Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Der alte Staub und der neue Besen

Karl Farkas: Servus, Fritz.

Fritz Grünbaum: Servus, Karl. Wieso aber eigentlich »servus«? Heute sagt man »Prosit Neujahr«.

Farkas: Verzeih! Also Prosit Neujahr!

Grünbaum: Wieso »Prosit Neujahr«? So etwas ärgert mich. Wie kann ein gebildeter Mensch so einen konventionellen Stumpfsinn reden?

Farkas: Also das ist stark. Du selbst hast es von mir verlangt. Hast du nicht gesagt: »Heute sagt man Prosit Neujahr«?

Grünbaum: Ja! Aber bist du »man«? Du zählst dich doch zur geistigen Oberschicht? »Man« aber ist die Personifikation der trägen Gedankenlosigkeit. »Man« sagt zum Beispiel »guten Tag«. Warum? Wenn du auf der Straße einem Mann begegnest, den du kennst, ist er entweder eine gleichgültige Bekanntschaft oder ein guter Freund. Ist er dir gleichgültig, hast du keinen Anlaß, ihm einen guten Tag zu wünschen; ist er aber dein Freund, warum rationierst du ihm sein Wohlergehen mit einem Tag? Warum sagst du nicht »gute Woche«? Oder wünsch' ihm doch gleich ein gutes Jahr!

Farkas: Eben habe ich es getan, habe dir ein gutes neues Jahr gewünscht und du hast das eine träge Gedankenlosigkeit genannt. Du bist ein Sophist. 229

Grünbaum: Ich bin kein Sophist, sondern ein Pessimist. Ich habe nichts dagegen, daß du mir ein glückliches neues Jahr wünschest; gedankenlos ist es nur, daß du glaubst, dein Wunsch könnte in Erfüllung gehen. Das Leben wird von Jahr zu Jahr ärger. Warum bist du also zu Neujahr so gut gelaunt?

Farkas: Weil ich mich freue, daß es nicht schon das nächste Neujahr ist. Denn dann beginnt –

Grünbaum: – unsere neue Revuearbeit. 1938 wird sie ja ohnehin nicht fertig!

Farkas: Wie kannst du das sagen? Ich habe beschlossen, im kommenden Jahre einen radikalen Tempowechsel in unserer Arbeit eintreten zu lassen. Jetzt steht ja alles im Zeichen des Wechsels: im Kalender ist Jahreswechsel, bei der britischen Flotte Kommandantenwechsel, in Rumänien Regierungswechsel und zwischen Japan und England Notenwechsel –

Grünbaum: – und vorgestern in der Silvesternacht hab' ich auf dem Stephansplatz einen bekannten Geschäftsmann getroffen, der beim Mitternachtsläuten seufzend ausrief: »Jetzt wird ein 8000-Schilling-Wechsel von mir fällig.«

Farkas: Da haben wir noch einen Wechsel vergessen: den Besitzerwechsel der Weihnachtsgeschenke. Man fragt längst nicht mehr, »was hast du für Weihnachtsgeschenke bekommen?« Man müßte – –

Grünbaum: Kümmere dich nicht darum, was man müßte! Denk' daran, was wir müssen! Wir brauchen eine neue Revue. Wenn wir die alte noch lange weiterspielen, streikt das Publikum.

Farkas: Wir sind ja in Wien, da gibt's keinen Streik.

230 In Paris ist das jetzt hochmodern. Dort ist doch im Augenblick Generalstreik.

Grünbaum: Generalstreik interessiert mich nicht. Aber sehr einverstanden wär' ich mit einem – Generäle-Streik. Stell' dir das vor: Ausstand sämtlicher Heerführer der Welt ... Stillstand der Kriegsunternehmungen in Spanien und Ostasien ... Ausbruch des Weltfriedens!

Farkas: Laß mich mit dem Frieden zufrieden.

Grünbaum: Kriegerisch, Herr Farkas?

Farkas: Nein, nur arbeitswütig! Also paß auf: Der Vorhang hebt sich –

Grünbaum: – und es zieht.

Farkas: Ich meine die Kurtine, nicht die Portiere. Auf der Bühne sieht man das heitere Hollywood –

Grünbaum: Hat sich was, heiter. In heller Aufregung ist Hollywood momentan. Die Garbo und der Powell sind der republikanischen Partei beigetreten.

Farkas: Aus Überzeugung?

Grünbaum: Nein, aus Wut! Weil man Myrna Loy und Clark Gable zum Königspaar des Films ernannt hat.

Farkas: Ja, der Film ist eben eine nervöse Branche.

Grünbaum: Und das Theater vielleicht nicht? Jede Woche gibt's eine andere Aufregung, die dann im Sande verläuft. Vorige Woche zum Beispiel hat's geheißen, der Tautenhayn, gestützt auf eine politisch maskierte Gruppe, übernimmt das Raimund-Theater, und jetzt wird's auf einmal ein Marionettentheater.

Farkas: Ob politische Geldgeber oder Marionettentheater, das ist ein und dasselbe: die Drahtzieher sind hinter den Kulissen. 231

Grünbaum: Apropos, Kulissen! Kehren wir zur Revue zurück. Aber laß sie nicht in Hollywood spielen. Filmstücke waren schon zu oft da. Ich möchte etwas anderes.

Farkas: Du möchtest! Muß ich mich nach dir richten? Du legst dir da ein Wahlrecht zurecht –

Grünbaum: Bin ich ein Ungar? In Budapest, höre ich, legen sie sich jetzt ein neues Strafrecht zu.

Farkas: Worauf läuft das hinaus?

Grünbaum: Ich kenne mich in politischen Dingen nicht aus. Von Wahlen weiß ich nur eins: man wähle von zwei Kandidaten – das kleinere!

Farkas: Mich interessiert von allen Wahlen nur eine: die Stoffwahl für unsere nächste Revue. Also paß auf: der Vorhang hebt sich, man sieht eine Flucht –

Grünbaum: Die armen Chinesen!

Farkas: – eine Flucht von Zimmern meine ich, eine moderne Luxuswohnung. Darin wohnt ein armer Maler –

Grünbaum: Ein armer Maler in einer Luxuswohnung? Du weißt wohl nicht, was du redest.

Farkas: Im Gegenteil, ich trage dieses Motiv schon sehr lange mit mir herum.

Grünbaum: Ich verstehe: du gehörst zu jenen seriösen Menschen, die sich einen Blödsinn sehr lange überlegen, bevor sie ihn aussprechen? – Wie kann sich ein armer Maler den Luxus einer Luxuswohnung leisten? Er kann nicht einmal die Colonia-Gebühr bezahlen, geschweige denn die Ablöse!

Farkas: Ich sehe, du hast die Zeitung nicht gelesen. Der Ablöse wird jetzt definitiv der Garaus gemacht! 232

Grünbaum: Höchste Zeit! Man hat sich ja nicht mehr getraut, einem Hausherrn unter die Augen zu treten! Wenn sich so ein armer Mieter nach einer Wohnung erkundigte, hat ihm der Hausherr das Götz-Zitat zugerufen.

Farkas: Nicht möglich!

Grünbaum: Doch! Er hat ihm gesagt: »Das Gute zahlt man nie zu teuer!«

Farkas: Du bist also gegen die Luxuswohnung als Revue-Schauplatz? Macht gar nichts, ich habe tausend andere Ideen –

Grünbaum: So viele brauchen wir nicht, eine genügt.

Farkas: Also paß auf: der Vorhang hebt sich –

Grünbaum: Aber nicht mehr heute! 8 Uhr! Wir müssen in den Simpl zur Vorstellung. Vergiß übrigens nicht, wir müssen heute dort Neujahrstrinkgelder geben.

Farkas: Wieviel willst du geben?

Grünbaum: Ich richte mich nach dir.

Farkas: Wird das nicht zu wenig sein?

Grünbaum: Wir können das im Wagen besprechen. Du hast ihn doch unten?

Farkas: Ja, aber mein Chauffeur ist krank. Also fahr' ich selber.

Grünbaum: Hm. Ich glaube, ich fahre mit der Elektrischen.

Farkas: Mir scheint, du hast kein Vertrauen zu mir. Hast du mich schon fahren gesehen?

Grünbaum: Natürlich! Neulich. Du bist gefahren wie der Blitz.

Farkas: Schnell?

Grünbaum: Nein, im Zick-Zack! 233

 


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