Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Die Sache mit dem Storch

                Ich kann mir nicht helfen, ich glaub' an den Storch.
Und wenn ich auf alle Methoden horch',
Wie angeblich Kinder zur Erden reisten,
Das mit dem Storch gefällt mir am meisten!
Z. B. sagt man, ein Kind wird geboren,
Wenn sich zwei Leute Liebe geschworen
Und der Mann mit der Frau, wenn es Abend wird . . . spät . . .
Ich red gar nicht weiter, es ist zu blöd!
Denn abgeseh'n davon, daß es gemein,
Müßt das doch furchtbar umständlich sein:
Da muß sich der Mann erst Handschuh' anzieh'n,
Dann muß er zum Vater des Mädchens hin,
Muß vorlegen alle Finanzunterlagen,
Dann muß der Vater »Da ham Sie se« sagen,
Dann setzt in Bewegung man sämtliche Hebel,
Besorgt sich die Ausstattung, kauft sich die Möbel,
Zwei Betten, ein Sofa, die Nippes-Etagere,
Die Tagtöpf', die Nachtkästchen und was sonst mehr,
Dann kommt noch die Hochzeit, die ich nicht schilder'
(Onkel David frißt wie ein Wilder);
Die Zahlung der Mitgift (es fehl'n zwei Prozent),
Der Abschied des Brautpaars, die Brautmutter flennt,
»Adieu, liebe Tochter« – »Adieu, lieber Vater«, 41
Tränen, Ermahnungen, großes Theater,
Bis dann die Brautleut' so weit endlich sind.
Und alles das um so ein winziges Kind?

Hör'n Sie mir auf, sonst wird mir noch übel,
Das mit dem Storch ist mir viel mehr plausibel!
Wozu die entsetzliche Plage und Müh'?
Ist Kindererzeugung Hausindustrie?
Im Gegenteil: Kinder sind Fertigwaren,
Die man komplett mit Haut und mit Haaren
Gegen Bestellung und ohne Müh'n
Laut Muster direkt ab Storch kann bezieh'n!
Und selbst wenn ich wirklich es möglich find',
Daß man zuhaus fabriziert sich ein Kind,
Wie kann schon ausseh'n ein Fabrikat,
Wo man doch keinerlei Fachkenntnis hat?
Weiß ich denn, was man dazunehmen muß,
Daß es z. B. zwei Füß' hat zum Schluß?
Oder was muß man tun, daß der Schädel nicht hohl?
Kann man das machen aufs Gratewohl?
Beim Storch kann man alles das abwarten still:
Man ruft sich den Vogel, sagt, was man will,
Der ist doch vom Fach, man wünscht, man bestellt,
Und paar Monat' später kommt's auf die Welt!

Eins freilich muß ich gestehen sogleich:
Was an dem Storch mir mißfällt, ist der Teich!
Oder glauben Sie wirklich, es ist ein Vergnügen,
Neun Monate lang im Teich zu liegen?
Ohne Theater, ohne Konzerte,
Keine Geschäfte, keine Offerte, 42
Zeitungen sind überhaupt nicht zu seh'n,
Man weiß nicht einmal, wie die Kurse steh'n!
Man liegt im Schlamm, im Wasser, im kalten,
Ist nicht imstand', sich zu unterhalten,
Immer dieselbe Gesellschaft bei Tisch:
Noch ein Fisch und wieder ein Fisch!
Zum Überfluß sind auch die Brüder noch stumm,
No sagen Sie: ist das ein Publikum?
Ich schwör' Ihnen zu, ich bin ganz beklommen,
Wenn ich schon seh' die Herren Karpfen kommen!
Schwimmen daher in langen Zügen,
Nicht ein Wort ist herauszukriegen!
Wenn sie so kommen von jedem Geschlechte,
Heringe, Aale, Lachse und Hechte,
Ohne zu reden, in endlosem Marsch,
Denkt man sich wütend: »Jetzt fehlt noch der Barsch!«
Man könnte schrei'n vor langer Weile,
Aber dann überlegt man sich's doch in Eile,
Denn macht man den Mund auf, um wirklich zu schrei'n,
Kommt so ein Fisch und – legt Eier hinein!

Mit einem Wort: im Teich ist es fad,
Aber was noch entsetzlicher ist, ist das Bad!
Da muß man doch schärfsten Protest erheben:
Nicht genug, man badet im Leben,
Soll man sich überdies dazu bequemen,
Noch vor der Geburt ein Bad zu nehmen!
Bei Lebzeiten baden ist schon sehr bös,
Aber vor der Geburt ist es skandalös!
Das ekelt doch einen von Herzensgrund! 43
Außerdem aber ist's ungesund:
Denn schließlich muß man doch Schnupfen kriegen!
Im kalten Wasser herumzuliegen
Tage-, wochen- und monatelang,
Bevor man noch kommt auf die Welt, ist man krank!
Und ist man gesund und kommt dann zur Welt,
Wird man gewöhnlich falsch zugestellt.
Ich bitt' Sie, der Storch kann doch nicht einmal lesen!
Ich bin z. B. bestimmt gewesen,
Zu werden vom reichen Mayer der Sohn,
Und er liefert mich ab daneben bei Kohn!
No meinen Sie, daß das den Vogel geniert,
Wenn bei dem Schnorrer er mich deponiert?
Das macht ihm doch nicht den geringsten Schreck,
Ich heiß' Kohn, und er fliegt weg!
Jetzt sagen Sie ehrlich: für dieses Vergnügen
Hab' ich neun Monat' im Teich müssen liegen,
Um einen Schnorrer zum Vater zu kriegen?
Dazu hat man erst einen Storch engagiert?
Bei der Mutter wär' mir dasselbe passiert!
Glauben Sie mir, man hat nichts davon,
So oder so, das Ende heißt Kohn!
Ob muttergeboren, ob teichgefischt,
Den reichen Papa hat noch niemand erwischt!
Mit Ach und Krach kommt der Mensch auf die Welt,
Erst kauft er Devisen, dann hat er kein Geld,
Und das steckt er dann in eine Pleite hinein,
Am besten wär's, gar nicht geboren zu sein! 44

 


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