Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Karl Farkas: Servus, Fritz!
Fritz Grünbaum: Servus, Karl! Sprechen wir gleich von unserer Arbeit!
Farkas: Einverstanden. Also, der Vorhang hebt sich –
Grünbaum: Und? Warum stockst du? Hast du keinen Einfall?
Farkas: Doch, aber woher soll ich wissen, ob er dem Publikum gefallen wird?
Grünbaum: Darauf muß man es ankommen lassen!
Farkas: Schrecklich, wie groß beim Theater das Risiko ist: man engagiert Schauspieler, läßt Dekorationen malen, kauft Kostüme, und dann, wenn die Premiere ein Durchfall war, kann man alles wegschmeißen! Das kommt daher, weil wir die Wünsche unserer Kundschaft erraten müssen. In anderen Berufen macht die Kundschaft ihre Bestellungen und der Geschäftsmann braucht sie bloß auszuführen!
Grünbaum: Das ist im Handel möglich, aber doch nicht in der Kunst!
Farkas: Oho, bei der Ravag wird jetzt der Radiobeirat eingeführt. Der wird also bei der Ravag quasi Bestellungen machen. Die Ravag braucht daher künftig die Wünsche des Publikums nicht mehr zu 212 erraten, sondern läßt sich sie bei-raten.
Grünbaum: Erwartest du dir etwas von dieser Neuerung?
Farkas: Im Gegenteil! Früher konnte die Ravag machen, was sie wollte, und die Abonnenten hatten nichts dreinzureden.
Grünbaum: Und von jetzt ab?
Farkas: – werden die Abonnenten was dreinreden! Aber die Ravag wird doch machen, was sie will.
Grünbaum: Immerhin wird sie etwas machen, während wir gar nichts tun! Also, der Vorhang hebt sich, auf der Bühne ist ein Fest im Gange –
Farkas: Was ist das für ein Stumpfsinn? Entweder ist das Fest auf der Bühne oder im Gange. Im Gange ist es aber zwecklos, weil man es dann auf der Bühne nicht sieht.
Grünbaum: Wenn ich sage »im Gange«, so meine ich nicht »auf dem Korridor«, sondern »im Verlauf«, das Fest hat also bereits begonnen, fünfzig Tänzerinnen in prunkvollen tibetanischen Goldkostümen –
Farkas: – das Stück zu 350 Schilling, ergibt eine Summe von 17.500 Schilling Ausstattungskosten nur für das erste Bild. Woher nimmst du 17.000 Schilling. Wer soll sie uns schenken?
Grünbaum: Frankreich.
Farkas: Warum sollte uns Frankreich Kostüme schenken?
Grünbaum: Es hat uns doch auch Bücher geschickt. Hast du nicht davon gelesen? Vor acht Tagen hat der französische Gesandte den Österreichischen Bibliotheken 15.000 französische Bücher 213 überwiesen. Eine hochherzige Spende!
Farkas: Hochherzig, aber leider nicht komplett!
Grünbaum: Wieso? 15.000 französische Bücher! Was hätte Frankreich noch schicken sollen?
Farkas: 15.000 Franzosen, die diese Bücher lesen können!
Grünbaum: Jetzt handelt's sich nicht um Lesen, sondern um Schreiben! Also, der Vorhang hebt sich, wir befinden uns in Tibet –
Farkas: Nein, in St. Wolfgang.
Grünbaum: Warum?
Farkas: Dirndln sind billiger!
Grünbaum: Meinetwegen! Also fünfzig Dirndln –
Farkas: Nein, fünf! Mehr als fünf Kostüme kann ich nicht bewilligen. Das Theater muß sich den schlechten Zeiten anpassen. Reduzierung, das ist das Schlagwort unserer Tage. Ja ja, Abbau. Daran mußte ich auch denken, als ich gestern durch die Praterstraße ging –
Grünbaum: Jetzt sind wir nicht in der Praterstraße, sondern in St. Wolfgang.
Farkas: Wieso? Ist er denn auch nach St. Wolfgang gefahren?
Grünbaum: Wer?
Farkas: Der Halifax.
Grünbaum: Nein, der ist nur nach Berlin gefahren. Man will jetzt die schlecht funktionierenden Kollektivberatungen des Völkerbundes durch Einzelverhandlungen von Staat zu Staat ersetzen. Das Haus der Nationen in Genf hat ja leider versagt.
Farkas: Eben! Das ist mir in der Praterstraße eingefallen. 214
Grünbaum: Schon wieder Praterstraße! Also, was ist dir eigentlich dort eingefallen?
Farkas: Daß es im Gemäuer rieselt.
Grünbaum: Kein Wunder, es gibt zu wenig Persönlichkeiten, die das Haus stützen könnten.
Farkas: Zu wenig? Gar keine! Und deshalb muß jetzt das Haus niedergerissen werden. Warum auch nicht? Gespielt wird dort nicht mehr, also weg damit!
Grünbaum: Wovon redest du? Wo wird nicht mehr gespielt? Im Völkerbund?
Farkas: Nein, im Carl-Theater! Ich sagte doch »auf der Praterstraße«!
Grünbaum: Das Carl-Theater ist mir unwichtig. Aber unser Simpl ist mir wichtig. Und dort wird bestimmt auch nicht gespielt werden, wenn wir nicht bald mit der neuen Revue fertig werden.
Farkas: Das kommt daher, daß wir mit dem Schreiben immer zu rasch beginnen. Du hast deine Sonderwünsche bezüglich der Revue und ich habe die meinigen. Beide müßten aufeinander abgestimmt werden, bevor wir zu schreiben beginnen. Man muß sich erst zusammensetzen, um sich auseinanderzusetzen, ehe man sich hinsetzt, um zu schreiben.
Grünbaum. So wie der Halifax in Berlin.
Farkas: Der schreibt eine Revue?
Grünbaum: Gewissermaßen. In Berlin soll jetzt zwischen England und Deutschland das große europäische Spiel konzipiert werden.
Farkas: Also sind England und Deutschland die Regisseure dieses Spiels. 215
Grünbaum: Richtig.
Farkas: Und jetzt informiert sich das eine über die Absichten des anderen?
Grünbaum: Jawohl. Und was sich dann herausstellt, sind Englands und Frankreichs politische Wünsche.
Farkas: Und was sind die Wünsche der übrigen Nationen?
Grünbaum: Fromme Wünsche.
Farkas: Aha, in der europäischen Revue sind die anderen Nationen die Statisterie, sozusagen die Girls?
Grünbaum: Ja.
Farkas: Und Rollen spielen nur England und Deutschland.
Grünbaum: Mhm.
Farkas: Und zu dieser Rollenverteilung ist jetzt Lord Halifax nach Berlin gefahren?
Grünbaum: Ja, er will Deutschlands Wünsche hören und Englands Wünsche Deutschland zur Kenntnis bringen.
Farkas: Und was wird das Ergebnis sein?
Grünbaum: England wird Deutschlands Wünsche erfüllen.
Farkas: Na, und –
Grünbaum: – und sonst nichts!
Farkas: Du bist ein merkwürdiger Mensch: vom politischen Spiel kennst du schon das Finale, aber von unserer Revue weißt du noch nicht einmal, wie die erste Szene beginnt –
Grünbaum: Oho! Der Vorhang hebt sich, man sieht die Dirndln von St. Wolfgang und hört, wie sie rufen –
Farkas: Acht Uhr ist's, wir müssen in den Simpl. 216
Grünbaum: Na also, wieder eine Sitzung mit Gewäsch vertratscht!
Farkas: Wir müssen eben mehr Sitzungen haben als nur eine einzige in der Woche.
Grünbaum: Ausgeschlossen. Bei mir ist schon jeder Tag besetzt. Du ahnst nicht, wie viel ich zu tun habe. Ich arbeite fünfundzwanzig Stunden täglich!
Farkas: Unsinn, der Tag hat doch nur vierundzwanzig Stunden?!
Grünbaum: Ja, aber ich stehe eine Stunde früher auf! 217