Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Zahnschmerzen

              Die herrlichste sämtlicher Gottesgaben,
Das Schönste auf Erden ist – Zahnweh zu haben!
Erstens einmal, das wird Ihnen willig
Jeder gesteh'n gleich: Zahnweh ist billig.
Andere Krankheiten kosten schon Geld,
Lange bevor man dieselben erhält,
Z. B. ein Husten: In unseren Zeiten
Bekommt den ein besserer Mensch doch vom Reiten!
No seh'n Sie? Das kostet doch gleich Geld in Haufen:
Erst muß man laufen, ein Pferd sich kaufen,
Dann kauft man sich Stiefel, dann kauft man sich Spor'n,
Dann Breeches für hinten und Handschuh für vorn,
Dann reitet man hin über Stock, über Stein,
Die Hügel hinauf, in das Wasser hinein,
Über Bretter und Zäune und Stangen und Kisteln,
Und wenn man zurückkommt, dann tut man – hüsteln.
Und das hat, wenn man's ausrechnet Post für Post,
Geschlagene zweitausend Kronen gekost'!
Zahnweh hingegen kost' nicht so viel,
Und außerdem ist es ein Kinderspiel:
Man braucht sich nur einfach begeben vors Haus,
Und stellt sich draußen in' Wind hinaus,
Dort bleibt fünf Minuten man gegenwärtig, 70
Dann kommt man nachhaus, und das Zahnweh ist fertig!
Und was das Vergnügen macht doppelt groß:
Zahnweh ist absolut kostenlos;
Der Wind macht doch draußen umsonst sein huhu,
Und du brauchst nicht einmal – Breeches dazu.

So weit also wär' der Gedanke gesponnen:
Der Zahnschmerz wird vollständig gratis gewonnen.
Doch wenn er schon einmal gewonnen ist faktisch,
Wie, fragt sich's, verwertet den Zahnschmerz man praktisch?
Die Antwort darauf ist: Zu allerhand Sachen.
Ich bitt' Sie, was kann man mit Zahnweh nicht machen?
Man kann damit geh'n spazier'n in den Prater,
Man kann besuchen den Schwiegervater,
Man kann damit fahr'n über Mähren nach Böhmen,
Man kann eine Loge in die Hofoper nehmen . . .
Und all das, wie logisch wir fest schon gestellt,
Gratis, umsonst und ganz ohne Geld.
Das heißt, auf der Bahn zahlt man freilich 's Billet
Und ebenso in der Oper 's Entree,
Aber das ist für die Kunst und die Fahrt,
Und nicht für den Zahnschmerz, der ist apart,
Den nimmt man vollständig gratis in' Prater,
In die Oper, nach Mähr'n und zum Schwiegervater.
Jetzt soll einer sagen, der all das ermißt,
Ob Zahnweh nicht billig und praktisch ist.

Keine von all diesen reizenden Sachen
Kann man mit anderen Krankheiten machen; 71
Ob Rheuma, ob Masern, ob Husten, im Grund
Ist alles das gegen den Zahnschmerz ein Hund.
Man kann nicht mit Rheuma spazier'n in den Prater
Und geht nicht mit Masern zum Schwiegervater,
Und Bronchitis bei »Siegfried« ist etwas Blödes!
Oder wollen Sie mit Husten sich anhör'n den Schmedes?
Man schmeißt Sie hinaus, daß der Fuß Ihnen bricht,
Aber Zahnschmerzen, seh'n Sie, die hört man nicht.
Und wenn sich vor Weh Ihre Haare stell'n auf,
Die Oper nimmt ungestört ihren Verlauf.
Das ist nur beim Zahnschmerz so prachtvoll gescheit:
Ihnen tut's weh, und der Sänger schreit!

Die schönste Funktion von erkrankten Zähnen
Ist aber der Kampf gegen jene Hyänen,
Die unter dem harmlosen Namen der Bräute
Auf ahnungslos-wehrlose männliche Leute
Unter Anwendung aller verworfenen Gaben
Mit Raffinement es abgesehen haben;
Ich meine die süßen, ätherischen Nymphen,
Die uns mit seid'nen, durchbrochenen Strümpfen,
Mit Battist und mit ähnlichen dünneren Sachen
Den Kopf verdreh'n und meschugge machen,
Die Elfen, die holden, die Feen, die edeln . . .
Was brauch' ich viel reden? Sie wissen: Die Mädeln!
Im Kampf also gegen die Fräuleins Elfen
Können uns nur die Zahnschmerzen helfen.
Das ist ein Mittel, das ist erprobt:
Mit Zahnweh hat sich noch keiner verlobt!

Stell'n Sie sich vor, Sie hab'n einen Schnupfen. 72
Der Kopf brummt, man könnt' sich die Haar' herausrupfen,
Man kann mit der Nase nichts schmecken und spür'n,
Also was kann man da machen? Man geht spazier'n.
Aber kaum daß vors Haus man nur steckt seinen Schädel,
Pech wie man hat, schon trifft man ein Mädel.
Also da ist nichts zu woll'n. Als galanter Mann
Fängt man da geistreich zu plaudern an.
Erst sagt man, »der Zufall ist wirklich ein netter«,
Dann sagt man, »was sagen Sie heut zu dem Wetter?«
Dann red't man vom Kleid, das sie anhat, mit Tupfen,
Und eh' man sich umschaut, red't man vom Schnupfen.
Auf das hinauf schaut dann das Fräulein den Mann
Sofort von der Seit', à la Hausmütterlein an,
Und streichelt ihm seine geschwollenen Nüstern
Und redet schon nicht und beginnt schon zu flüstern.
Und flüstert dann hin, und dann flüstert sie her,
Und wie schön es wär', wenn er verheiratet wär',
»– und schaun Sie, es braucht jeder Franz seine Franzi,
Und jeder Konstanz braucht seine Stanzi,
Und jeder Ignaz braucht seine Ines,
Und wer ist Ihre Ines? Sie Schlimmer, ich bin es!«
Und dann küßt sie Sie zart und – hinter die Ohr'n
Und Sie – sind ein Trottel und sind schon verlor'n!
Dann können Sie heiraten das Kleid mit den Tupfen.
Solche Sachen kommen vom Schnupfen!

Sie seh'n, wohin andere Krankheiten führ'n. 73
Mit Zahnweh kann Ihnen das niemals passier'n.
Denn wie so ein Mädel beginnt ihr Gequacke,
Hält man sofort sich die schmerzende Backe,
Und wenn sie dann anfängt vom Franz und der Franzi,
Und daß jeder Konstanz bedarf seiner Stanzi,
Und Ignaz der Ines –, da leistet Verzicht man
Auf weitere Schmonzes, und dann unterbricht man
Den reißenden Strom ihres Liebesgemütes:
»Pardon, liebe Ines, ich geh', denn hier zieht es!
Ich darf nicht in Zugluft mit schmerzenden Zähn' . . .«
Und dann zieht man den Hut, und dann läßt man sie steh'n.

Hier seh'n Sie den Unterschied, klar, ohne Schwankung,
Zwischen Zahnweh und jeder anderen Erkrankung:
Ob Schnupfen, ob Krämpfe, ob Stürze vom Zweirad – – –
Am Schluß steht ein Mädel und zwingt Sie zur Heirat,
Wenn Schnupfen Sie hab'n, zieht sie Sie mit sich fort,
Bei Zahnschmerz jedoch steht sie heute noch dort.
Drum will ich gesund sein vom Fuß bis zum Kopf,
Am Herzen, am Magen, im Mund und im Kropf,
Ich will sogar damit zufrieden mich geben,
Mit einer gesunden Leber zu leben,
Aber das will ich täglich vom Himmel erfleh'n:
»Ich bitt' dich um eines: um schlechte Zähn'!« 74

 


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