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Karl Farkas: Servus, Fri –
Fritz Grünbaum: Geschenkt! Ich nehme mir nicht einmal die Zeit, auf deinen Gruß zu danken. Heute muß die Revue fertig werden!
Farkas: Goldene Worte. Ich habe übrigens einen herrlichen Stoff –
Grünbaum: Wieder von Shakespeare?
Farkas: Nein, heute von Molnar.
Grünbaum: Shakespeare wäre mir lieber gewesen. Der kann sich nicht wehren. Aber Molnar wird Krach schlagen, wenn wir seinen Stoff verwenden.
Farkas: Warum? Er hat mir ihn doch überlassen! Ein wirklich erstklassiger Stoff, drei Meter –
Grünbaum: Akte, meinst du?
Farkas: Nein, Meter, echt englisch, rein Wolle, Fischgrätenmuster, 53 Schilling per Meter.
Grünbaum: Wovon sprichst du? Vom Revuestoff?
Farkas: Nein, vom Hosenstoff.
Grünbaum: Seit wann verkauft der Molnar Hosenstoffe?
Farkas: Seit vierundzwanzig Jahren! Molnar & Co.
Grünbaum: Und mit diesem Blödsinn hältst du jetzt unsere Arbeit auf?
Farkas: Wieso? Wir haben doch noch gar nicht angefangen. Aber bitte, beginnen wir: Der Vorhang 198 hebt sich, auf der Bühne sieht man prachtvolle Beine –
Grünbaum: Aha, Tibbett?
Farkas: Nein, Ballett! Wie kommst du auf Tibbett?
Grünbaum: Weil er einen Sensationserfolg hatte.
Farkas: Ich weiß: mit seiner Stimme!
Grünbaum: Auch! Aber beim Damenpublikum hauptsächlich mit seinen Beinen.
Farkas: Er hat also perlende Töne und girlende Beine?
Grünbaum: Ja, er ist eine Kreuzung zwischen Schaljapin und Tillergirl.
Farkas: Womit wir schon wieder von unserer Arbeit abgelenkt sind. Ich hab's gezählt: hundertneunundvierzigmal hast du mich bei der Arbeit unterbrochen, du stehst knapp vor dem Jubiläum.
Grünbaum: Jubiläen sind jetzt hochaktuell: am 30. Oktober wird Armin Springer fünfzig Jahre Schauspieler gewesen sein, am 8. November sind's fünfunddreißig Jahre, seit Edmund Eysler seine erste Operettenpremiere hatte, und übermorgen findet die 75. Eroberung Madrids durch General Franco statt.
Farkas: Gratuliere herzlichst.
Grünbaum: Dem Franco?
Farkas: Nein, dir zum Jubiläum: Soeben hast du zum hundertfünfzigstenmal gestört.
Grünbaum: Du entfesselst eben meine Phantasie, statt sie durch Einfälle zu fesseln.
Farkas: Hast du denn Einfälle?
Grünbaum: Ich schüttle sie aus dem Ärmel.
Farkas: Schön, schüttle! 199
Grünbaum: Mit Vergnügen. Also der Vorhang hebt sich, chinesische Landschaft!
Farkas: Das ist alles? Chinesische Landschaft! Wo ist da der Einfall?
Grünbaum: Den machen die Japaner.
Farkas: Wieso?
Grünbaum: Sie fallen ein – in China.
Farkas: Warum?
Grünbaum: Weil sie Scherereien in der Innenpolitik haben.
Farkas: Und das müssen die Chinesen büßen?
Grünbaum: Natürlich, nach dem Rezept: »Wenn's einem nicht klappt, wird man ausfällig!« Wenn die Staatsmänner keinen Einfall haben, dann machen sie einen.
Farkas: Ich verstehe. Und wenn du keinen Einfall hast, redest du von China.
Grünbaum: So! Ich werde dir gleich das Gegenteil beweisen. Also der Vorhang hebt sich, auf der Bühne sieht man eine Tanzgruppe – – hm!
Farkas: Warum brichst du ab? Woran denkst du?
Grünbaum: An die Besetzungsschwierigkeiten.
Farkas: Aber wir haben doch alle Damen bereits engagiert.
Grünbaum: Ich meine nicht die Damen, sondern die Chinesen.
Farkas: Wieso?
Grünbaum: Die machen den Japanern Besetzungsschwierigkeiten.
Farkas: Schluß! Genug Ferner Osten. Bitte um etwas Revue!
Grünbaum: Aber gern. Also der Vorhang hebt sich – 200 übrigens im Nahen Osten ist ja auch viel los: Jetzt ist der Mufti aus Palästina nach Syrien geflohen.
Farkas: Interessiert mich nicht.
Grünbaum: Hast du Recht. Durch diese Flucht wird sich nicht viel ändern. Höchstens gehen jetzt die Berliner Postanweisungen statt nach Jerusalem nach Beirut!
Farkas: Uns schickt aber niemand Postanweisungen. Daher müssen wir arbeiten. Also der Vorhang hebt sich –
Grünbaum: Genau genommen, geht es in Europa auch nicht ruhiger zu als in Asien. Scheinbar versagen sämtliche Regierungsformen. Denn es herrschen in Europa Kaiser, Könige, Führer, Parlamente und Militärdiktatoren, und nur eins herrscht dort nicht: Ruhe!
Farkas: Richtig! Das einzige, was in Europa wirklich herrscht, sind Übelstände.
Grünbaum: Es scheint, daß die Regierungskunst früherer Zeiten verloren gegangen ist. In jedem Land hat es so ein Regierungsweisheitssprücherl gegeben. Zum Beispiel bei uns das berühmte Wort: »Tu felix Austria, nube!«
Farkas: Was heißt das?
Grünbaum: »Wenn schon ein Blödsinn geschehen soll, dann lieber – heiraten!«
Farkas: Gar keine üble Idee! Soll der Franco die Tochter vom del Vago heiraten, wird in Spanien Ruhe sein!
Grünbaum: Du siehst, wie weise die alte Regierungskunst war. Oder zum Beispiel das Ideal Heinrichs von Frankreich, daß jeder sein Huhn im Topf 201 haben solle!
Farkas: Also in der Tschechoslowakei hat er sich damit blamiert: ich weiß nicht, ob die mit ihrem – Henlein sehr glücklich sind.
Grünbaum: Ich bezweifle es auch. Speziell nach den letzten Henlein-Krawallen in Teplitz!
Farkas: Dort soll's ja heiß zugegangen sein.
Grünbaum: Henleins Schuld. Er hätte nicht persönlich kommen, sondern den Rutha als Vertreter schicken sollen.
Farkas: Da wär's nicht heiß zugegangen?
Grünbaum: Nein!
Farkas: Sondern?
Grünbaum: Hm, hm??
Farkas: Und mir wird heiß und warm, wenn ich an unsere Revue denke.
Grünbaum: Überflüssigerweise! Ich habe mir alles überlegt, paß auf: Der Vorhang hebt sich, auf der Bühne sieht man eine Burg, die Fahne weht – Apropos Burg: hast du gehört, daß das Burgtheater geschlossen wird?
Farkas: Bist du bei Trost? Die Heimstätte unserer Klassiker?
Grünbaum: Das ist es eben: man kann die Klassiker nicht mehr spielen.
Farkas: Warum?
Grünbaum: Damit sich das Ausland nicht beleidigt.
Farkas: Verstehe ich nicht. Warum sollte man zum Beispiel »Die Jungfrau von Orleans« nicht geben?
Grünbaum: Wegen England. Es soll nicht gezeigt werden, daß Engländer eine Jungfrau hinrichten.
Farkas: Und »Don Carlos«? 202
Grünbaum: Mit dem Franco willst du dir's verderben? Im »Carlos« sieht man zu viel spanischen Hofskandal.
Farkas: Und »Hamlet«?
Grünbaum: Dasselbe in Grün mit Dänemark.
Farkas: Und »Egmont«?
Grünbaum: Die braven Holländer als Rebellen gezeichnet? Ausgeschlossen!
Farkas: No, und »Fiesko«?
Grünbaum: Verschwörung in Genua? Mehr fehlt uns nicht!
Farkas: Wie wär's mit »Räuber«?
Grünbaum: Um Gottes willen!
Farkas: Aber »Die Räuber« richten sich doch gegen keinen einzigen Staat?
Grünbaum: Und jeder Staat fühlt sich betroffen, weil sie alle Butter auf der Stirn haben.
Farkas: Aber aus solchen politischen Erwägungen müßte man die Oper doch genau so sperren. »Carmen« beleidigt die weibliche Ehre der Spanierinnen, »Butterfly« verletzt die amerikanische Marine, »Die Afrikanerin« könnte als Anspielung auf Abessinien Anstoß erregen, »Palästrina« würde als politischer Druckfehler gedeutet werden ... kurzum, warum hat man bei der Oper nicht die Angst vor ausländischer Empfindlichkeit?
Grünbaum: In der Oper kann sich niemand über den Text beleidigen, weil man die Sänger eh nicht versteht. Aber lassen wir Burg und Oper und kehren wir zur Revue zurück! Also der Vorhang hebt sich, man sieht –
Farkas: – daß es fünf Minuten über acht ist. Wir 203 müssen in den Simpl zur Vorstellung.
Grünbaum: Und wann wird die Revue fertig?
Farkas: Wenn der Mufti in der Wochenschau dem Dr. Weizmann die Hand schüttelt. 204