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Fritz Grünbaum: Servus, Karl.
Karl Farkas: Servus, Fritz.
Grünbaum: Du, auf dem Weg hierher habe ich über das Problem des schöpferischen Einfalls nachgegrübelt, und da ...
Farkas: Halt! Kein Problem, kein Grübeln, kein schöpferischer Einfall, heute wird die Revue geschrieben.
Grünbaum: Dazu bin ich ja hier. Ich möchte aber für diese Revue einen Stoff aus dem Leben ...
Farkas: Das Leben ist ein schlechter Dichter, seine Stoffe beginnen recht spannend, verlaufen aber dann so banal!
Grünbaum: Unsinn, hast du noch nie etwas Dramatisches erlebt?
Farkas: Doch! Erst vorgestern nachts –
Grünbaum: Erzähle!
Farkas: Ich gehe um halb acht durch die menschenleere nächtliche Kärntnerstraße –
Grünbaum: Fängt schon gut an!
Farkas: – plötzlich ein gellender Pfiff, ein Mann in jagender Hast an mir vorbei ...
Grünbaum: Hochinteressant!
Farkas: – trägt einen Frauenhut ...
Grünbaum: Auf dem Kopf? 182
Farkas: Aber nein! In der Hand! Hinter ihm die Polizei ... Der Mann hatte nämlich in dieser Nacht viermal in einem und demselben Modesalon einen Einbruch verübt ...
Grünbaum: Wunderbar! – – Da muß er ja den ganzen Laden ausgeräumt haben?
Farkas: Nein! Einen einzigen Hut hat er gestohlen – für die Frau, die er liebte.
Grünbaum: Prachtvoll: der Dieb aus Hörigkeit! Aber warum mußte er wegen eines Hutes viermal einbrechen?
Farkas: Sie hat ihn viermal zurückgeschickt – umtauschen!
Grünbaum: So ein Blödsinn!
Farkas: Ich sage ja, das Leben ist kein Dichter.
Grünbaum: Du siehst, das Mysterium des schöpferischen Einfalls ist ...
Farkas: – etwas, das nicht hierhergehört! Heute wird nicht philosophiert, sondern Revue geschrieben. Aber so machst du es immer: erst lädst du mich zur Arbeit ein, und dann wird zwecklos herumdebattiert.
Grünbaum: Schön! Geben wir uns gegenseitig das Ehrenwort, heute ausschließlich beim Thema zu bleiben.
Farkas: Einverstanden, Ehrenwort.
Grünbaum: Ehrenwort.
Farkas: Also, der Vorhang hebt sich –
Grünbaum: Pardon, ich möchte nur feststellen, daß die Abirrungen vom Thema immer von dir ausgehen.
Farkas: So? Wer hat das letztemal davon 183 angefangen, daß die in Spanien sich herumprügeln?
Grünbaum: Herum»schlagen« meinst du –
Farkas: »Schlagen« und »prügeln« ist dasselbe.
Grünbaum: Falsch! Der Geist der Sprache differenziert die beiden Ausdrücke. Du kannst doch nicht sagen, »mein Herz prügelt nur für dich«. Die Hypertrophie der Sprache –
Farkas: – hat mit unserer Revue nichts zu tun, Schluß! – Also: der Vorhang hebt sich –
Grünbaum: Ha –
Farkas: Was gibt's?
Grünbaum: Die Finken prügeln, der Lenz ist da!
Farkas: Was soll das wieder heißen?
Grünbaum: Weil du sagst, »prügeln« und »schlagen« ist dasselbe!
Farkas: Es ist zum Verzweifeln! So unkonzentriert warst du schon lange nicht. Was hast du denn heute?
Grünbaum: Namenstag.
Farkas: Heute? Der war doch vorige Woche?
Grünbaum: Wieso?
Farkas: Der Tag des Pferdes.
Grünbaum: Hei, du wirst witzig. Fangen wir schnell an, die Revue zu schreiben, bevor sich der Anfall legt.
Farkas: Du hast recht. Aber apropos: Tag des Pferdes; was war das eigentlich für eine Veranstaltung?
Grünbaum: Das Pferd ist auch eine Kreatur Gottes. Und dennoch wird es geschlagen, mißachtet und ausgebeutet. Daran sollten wir erinnert werden.
Farkas: Sehr schön! Und wann wird der »Tag des Menschen« abgehalten? 184
Grünbaum: Seit wann bist du unter die Philosophen gegangen? Jetzt wird Revue geschrieben.
Farkas: Verzeihung. Also der Vorhang hebt sich –
Grünbaum: Jetzt hebt sich der Vorhang schon zum viertenmal und die Bühne ist noch immer leer wie das Mittelmeer seit Nyon.
Farkas: Wieso ist das Mittelmeer leer?
Grünbaum: Weil jetzt die Piraten endlich verschwunden sind. Es waren nämlich Schiffe versenkt worden, und man wußte nicht, wer schuld ist –
Farkas: Wer schuld ist? Wenn es nicht im Wasser wäre, hätte ich gesagt, die Radfahrer! Und jetzt weiß man also, wer schuld ist?
Grünbaum: Ja! Aber man sagt es nicht. Denn, wenn man sagte, wer schuld ist, wären die, die schuld sind, beleidigt und kämen nicht auf die Konferenz zur Bestrafung derjenigen, die nicht schuld sind.
Farkas: Sehr verzwickt!
Grünbaum: Das ist die Technik und Methode der Diplomatie: sie ist bestrebt, einen Fall so rettungslos zu komplizieren, daß man zum Schluß mit der primitivsten Lösung zufrieden ist. So ist's auch mit den U-Booten.
Farkas: Jetzt hör' schon auf, wir haben zu arbeiten. Deine U-Boote können mir gestohlen werden.
Grünbaum: Schon gescheh'n.
Farkas: Was?
Grünbaum: In Brest hat man ein U-Boot gestohlen.
Farkas: Wie stiehlt man eigentlich ein U-Boot, das kann man doch nicht in die Tasche stecken?
Grünbaum: Nein, die Leute wollten die Besatzung bestechen, ihnen das U-Boot gegen eine Million 185 Peseten zu übergeben.
Farkas: Dann war es doch ein Kauf?
Grünbaum: Aber das U-Boot ist doch viel mehr wert.
Farkas: Mehr als eine Million?
Grünbaum: Viel mehr.
Farkas: Und wie viele U-Boote hat so a Staat?
Grünbaum: Hunderte.
Farkas: Ein horrendes Geld.
Grünbaum: Und dazu kommen noch die Schlachtschiffe!
Farkas: Also, genau genommen, kostet doch so ein Krieg ein Vermögen.
Grünbaum: Natürlich.
Farkas: Und was kostet der Frieden?
Grünbaum: Gar nix.
Farkas: Da wär's doch praktischer, Frieden zu halten.
Grünbaum: Die Völker sind eben mehr für den Luxus. Du kannst sie alle Revue passieren lassen ...
Farkas: Revue, fangen wir um Gotteswillen endlich an. Der Vorhang hebt sich. Ein Gongschlag.
Grünbaum: Ha –
Farkas: Was denn?
Grünbaum: Warum sagst du nicht Gong-»Prügel«, wenn »schlagen« und »prügeln« dasselbe ist?
Farkas: Ich beschwöre dich, bleiben wir bei der Sache. Also der Vorhang hebt sich –
Grünbaum: Zu spät! Wir müssen zur Vorstellung in den Simpl, soeben hat es acht Uhr – geprügelt!
Farkas: Erstaunlich gut aufgelegt bist du! Wo wir heute nicht eine einzige Zeile geschrieben haben ...
Grünbaum: Nächste Woche! 186
Farkas: Und unser Ehrenwort, nicht vom Thema abzuschweifen, haben wir auch gebrochen!
Grünbaum: Macht nichts, nächste Woche geben wir uns – ein frisches Ehrenwort! 187