Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Geredet ist nicht gesprochen

Fritz Grünbaum: Servus, Karl. Entschuldige ...

Karl Farkas: Nein, ich entschuldige nicht. Warum kommst du wieder so spät?

Grünbaum: Ich hatte ein schreckliches Erlebnis: Als ich an der Wohnung meines Portiers vorbeikam, stand die Tür offen. Was sehe ich? Der Hausmeister steht mitten im Zimmer, weiß im Gesicht, Schaum vor dem Mund, ein Messer in der Hand –

Farkas: – Und?

Grünbaum: Und rasiert sich!

Farkas: Du sprühst schon wieder. Aber zu früh. Beginnen wir, die Revue zu schreiben, da kannst du sprühen.

Grünbaum: Mir ist heute gar nicht so sprüherisch. Ich habe mir gestern abend »In der Nacht« angesehen.

Farkas: Was soll das heißen, du hast dir gestern den Abend in einer Nacht angesehen?

Grünbaum: Das Stück »In einer Nacht«, die Reinhardt-Inszenierung.

Farkas: Und wie war es?

Grünbaum: Alea jacta est.

Farkas: Was heißt das?

Grünbaum: Der Werfel hat gefallen.

Farkas: Du sprühst schon wieder.

Grünbaum: Im Gegenteil, ich bin deprimiert. Nach 188 einem Drama, mag es noch so schön dichterisch sein, bin ich immer so niedergedrückt. Ich bin gegen Dramen: immer die Toten ... Wenn schon hohe Kunst, dann lieber Oper! Zum Beispiel »Aida« –

Farkas: Aber die wird doch zum Schluß lebendig begraben?

Grünbaum: Ja, aber sie singt wenigstens dazu.

Farkas: Gesprüh Nr. 3!

Grünbaum: Musik ist immer versöhnend. Die in musikalischer Untermalung dargestellten Unlustgefühle erfahren ...

Farkas: Geschenkt! Keine Malerei, keine Psychologie ... jetzt kommt die Revue. Heute muß sie fertig werden.

Grünbaum: Das predige ich dir seit Wochen –

Farkas: Predigt will ich auch keine. Ich will endlich die erste Szene sehen, dein Gerede ist überflüssig. Also der Vorhang hebt sich –

Grünbaum: Es irritiert mich, daß du gesagt hast, ich rede. Wieso rede ich? Bin ich der Roosevelt? Der redet.

Farkas: Der darf reden, weil er nicht stört.

Grünbaum: So? Frag' die Japaner, ob er sie nicht gestört hat.

Farkas: Wo, ich bitte dich, soll ich jetzt einen Japaner hernehmen? Also, der Vorhang hebt sich, auf der Bühne erblickt man – – Warum sagst du übrigens, daß der Roosevelt redet? Die anderen reden doch auch? Zum Beispiel in Genf!

Grünbaum: Das ist aber nicht dasselbe: der Roosevelt hat gesprochen und in Genf wird geredet. 189

Farkas: Und was wird dort geredet?

Grünbaum: Das sagen sie nicht, sie sind Diplomaten.

Farkas: Roosevelt ist doch auch ein Diplomat?

Grünbaum: Nein. Roosevelt ist – ein Staatsmann! Der Staatsmann macht Ernst, und der Diplomat – eine Konferenz!

Farkas: Da bin ich auch ein Staatsmann: ich mache jetzt Ernst und fange die Revue an. Also der Vorhang hebt sich, auf der Bühne erscheint eine Dame –

Grünbaum: Ich will nicht wissen, was erscheint, mich interessiert nur, was geschieht! Ohne Stückstoff kann der Dramatiker nicht leben.

Farkas: Jetzt kommst du mir gar mit Chemie!

Grünbaum: Warum nicht? Die Chemie hat der Revue schon große Errungenschaften geschenkt.

Farkas: Nämlich?

Grünbaum: Die Wasserstoff-Blondinen.

Farkas: Genug! Erst bist du kosmisch, dann bist du kosmetisch; jetzt sei endlich einmal komisch und schreib einen witzigen Dialog.

Grünbaum: Wie soll ich schreiben, wenn ich die Daumen halten muß?

Farkas: Für wen?

Grünbaum: Für Österreich.

Farkas: Was ist denn schon wieder passiert?

Grünbaum: Weißt du nichts vom Ländermatch Österreich–Ungarn?

Farkas: Interessiert mich nicht. Diese Sportpsychose ist mir unverständlich: da kämpfen zweiundzwanzig Manderln, und fünfzigtausend Menschen schauen zu. 190

Grünbaum: Spiegelbild der Weltgeschichte: beim Ländermatch Japan–China kämpfen Millionen, und die ganze Erde schaut zu. Schaut zu und tut nichts. Beim Sportmatch schreien doch die Zuschauer wenigstens, aber beim Krieg schauen sie nur zu.

Farkas: Pardon, Roosevelt hat geschrieen!

Grünbaum: Allerdings!

Farkas: Und Genf auch!

Grünbaum: Zwischen amerikanischen und Genfer Erklärungen ist aber leider
ein großer Unterschied: In Amerika wird beschlossen, was zu geschehen hat, und in Genf wird beschlossen, wann man, um zu beschließen, was zu geschehen habe, sich das nächstemal wieder treffen wird.

Farkas: Wie bei dir und mir: jeden Samstag kommen wir zusammen, um eine Revue zu schreiben, und jeden Samstag beschließen wir dann nur, uns nächsten Samstag, um die gleiche Revue zu beginnen, wieder zu treffen. Aber heute darf das nicht wieder passieren, also vorwärts! Der Vorhang hebt sich, auf der Bühne erscheint eine reizende junge Dame –

Grünbaum: Da liegt schon die erste Schwierigkeit: wie besetzt man diese Rolle? Du weißt doch, bei den Wiener Theaterdirektoren herrscht jetzt der Schrei nach den neuen Gesichtern.

Farkas: Aber damit meinen die Theaterdirektoren doch nicht neue Schauspieler!

Grünbaum: Sondern?

Farkas: Neue Geldgeber! 191

Grünbaum: Dieser Schrei ist erst in der vorgerückten Saison fällig, im September reicht das Betriebskapital noch auf Ideale, da wollen sie neue Schauspielergesichter –

Farkas: Über die Besetzung spricht man erst, wenn das Stück fertig ist. Vorläufig haben wir noch nicht die erste Szene. Also der Vorhang hebt sich – es erscheint eine reizende Dame –

Grünbaum: Weder hebt sich ein Vorhang, noch erscheint eine Dame, vielmehr ist es acht Uhr, und wir müssen in den Simpl zur Vorstellung.

Farkas: Na also: schon wieder um keine Zeile weitergekommen!

Grünbaum: Ich glaube, ich bin überarbeitet! Das kommt daher, daß ich in diesem Sommer keinen Urlaub nahm.

Farkas: Das kannst du doch jetzt noch nachholen. Verreise!

Grünbaum: Wohin denn? Bei den heutigen Devisenschwierigkeiten? Ich möchte nach Schottland – wo soll ich die Pfund hernehmen? Ich möchte an den Lido – wo soll ich die Lire hernehmen? Ich möchte an die Riviera, wo soll ich die Francs hernehmen?

Farkas: Geh doch in einen Österreichischen Kurort!

Grünbaum: Wo soll ich die Schillinge hernehmen? 192

 


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