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Prosa und Theaterkritik
Brünner Theaterbriefe sollte man nicht mit geringschätzigem Lächeln als »Provinztheaterberichte« quittieren. Es ist nicht gekränkter Lokalpatriotismus, der sich trotzig in die Brust wirft und Beachtung für das Brünner Stadttheater verlangt. Denn vor allem darf nicht übersehen werden, daß gerade diese Bühne als deutsches Kunstinstitut in einer Stadt des vordringenden Tschechentums ein wichtiger Kulturträger ist. Überdies aber und im Vertrauen gesagt, haben wir in Brünn ein sehr gutes Theater, das unter der artistischen Leitung des Direktors A. C. Lechner, zugleich eines vornehmen, feinfühligen Regisseurs, zu respektablen Kunstleistungen gedieh, was die heurige Saison neuerdings beweist.
An der Spitze ihrer literarischen Premieren steht Otto Julius Bierbaums stimmungsprächtiges Erstlingsdrama »Stella und Antonie«, in dem Frau Försters pikante und kapriziöse Kunst glänzte, während die im ganzen recht gelungene Leistung des Herrn Bolten dennoch eine leise Sehnsucht nach dem noch immer unvergessenen Willy Malcher (Wiesbaden) nicht zu unterdrücken vermochte.
Bierbaums Stück, eine feine Ziselierarbeit in Barock, ist ein äußerst wirksames Drama, dem nur ein etwas wunderlicher Schluß Abbruch tut. Die 158 Brünner Aufführung (die erste in Österreich; das Wiener Burgtheater täte gut, sich dieses Dramas zu versichern) begegnete dem wärmsten Verständnis des Publikums. (. . .)
Das verhätschelte Lieblingskind des Brünner Publikums, die Operette, verfügt in dem Ensemble unserer Bühne über eine schlagfertige Armee lustiger Geister. Schade, daß es im Generalstab dieser Armee an einer Stelle bedenklich hapert! Denn leider krankt unsere Operette an der chronischen Unbeholfenheit der Operettentenöre seit Jahren. Die drei Premieren der diesjährigen Saison waren »Bruder Straubinger«, »Wiener Blut« und »Frühlingsluft«. Eyslers melodiöses, liebenswürdiges Werk fand den größten Beifall, der freilich auch der köstlichen Darstellung des Frl. Rainer (Oculi) und des Herrn Charle (Bruder Straubinger) galt. »Wiener Blut« ging den Weg aller schlechten Libretti von heute, eine Niederlage, an der die ewig-junge Straußmusik ebenso unschuldig ist, wie Herr Kapellmeister Stolz, der sein liebenswürdiges Temperament in den Dienst einer verlorenen Sache gestellt hatte. Fast hätte er mit »Frühlingsluft« gleich verlorene Liebesmüh' gehabt, hätten sich nicht Frl. Rainer und Herr Müller (Nazi) die Aufgabe gestellt, durch tolle Laune und Beweglichkeit diesem unsäglich traurigen Libretto zur Existenzmöglichkeit zu verhelfen. Früher halfen sich die Autoren aus Verlegenheiten, indem sie ihre überflüssig gewordenen Bühnenmenschen – sterben ließen. Die Verfasser der »Frühlingsluft« verbannen solche Unglückliche nach Orten, die man zur Not 159 andeutungsweise aussprechen kann. O tempora, o mores! Die Theaterstücke von gestern waren Mördergruben, heute sind sie – Senkgruben. Quae mutatio rerum! 160