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Achter Abschnitt.
Aufblühende Wissenschaft und Kunst des 18. Jahrhunderts.

I. Linné.

 

1.

Seit der Erfindung der Buchdruckerkunst war es dem Einzelnen möglich geworden, seine Gedanken und Erfahrungen auch Andern auf leichte Weise mitzutheilen, und der Drang dazu konnte in keiner Wissenschaft stärker sein, als in der Naturgeschichte, die den Menschen durch so viele räthselhafte Erscheinungen zum Nachdenken veranlaßt. Der Liebhaber der Natur ward zu unausgesetzten Beobachtungen getrieben, jeder Tag brachte ihm Neues und Anregendes in Wort und Wirklichkeit. Die Schifffahrt, welche die entferntesten Länder fremder Welttheile den Europäern aufschloß, unterstützte mächtig die Forscherlust. Jeder wollte unbekannte Naturkörper zur Kenntniß bringen, Viele legten sich Sammlungen an und wandten sich an ihre Freunde in den überseeischen Ländern, um die Naturalienschätze zu vermehren.

Aber es war schwierig, all' das Mannichfaltige aus den verschiedenen Naturreichen zu ordnen. Die Wissenschaft hatte damals noch keine Gattungen und Geschlechter in streng geschiedenen Reihen abgetheilt; man konnte damals noch nicht sagen: »Dieser Vogel gehört zu den Finken, zu den Sängern u. dergl.,« sondern man mußte, um das Einzelne zu bezeichnen, wie Rösel in seinen »Insektenbelustigungen« sagen: »Der hochzitronengelbe, oranienfarbene Tagpapilio mit breiten Flügeln.« Jedermann sieht ein, daß solche Bezeichnungen auch für eine geringe Anzahl von Geschöpfen schwer im Gedächtnisse zu behalten waren und zur Quelle vieler Mißverständnisse wurden, dabei jede bequeme Uebersicht erschwerten. So erkaltete der Eifer für das Einsammeln der Naturkörper wieder und die Wissenschaft kam nicht vorwärts. Da trat Linné auf und beschenkte die Welt mit dem ersten gelungenen Versuche dessen, was wir ein System nennen, d. h. mit einer geordneten Eintheilung aller Thiere, Pflanzen und Mineralien.

Zur Bezeichnung eines ganzen Geschlechtes diente dem wackern Naturforscher ein einziger Name, z. B. für das Katzengeschlecht Felis; um nun die Gattung anzudeuten, erhielt dieser noch einen Beinamen, z. B. die wilde Katze ( felis catus), der Tiger ( felis tigris). Linné wählte die lateinische Sprache, da sie von den Gelehrten aller Nationen gekannt war und man sich sehr kurz darin ausdrücken konnte. »Die Freude« – sagt Oken – »nach Linné's System die ganze Natur mit Einem Blicke zu überschauen und Alles, was vorkommt, mit Leichtigkeit darin auffinden und benennen zu können, wirkte so mächtig, daß Hunderte von Menschen, davon ergriffen, sich in alle Welttheile zerstreuten, allen Gefahren trotzten und selbst das Leben aufopferten, um Naturalien zusammenzubringen und sie ihrem Lehrer zu schicken. Andere arbeiteten rastlos zu Hause an der Untersuchung und Beschreibung der Thiere, welche nun aus aller Welt zusammenströmten, oder die sie in den Gärten, in den Flüssen oder am Meere fanden.«

 

2.

Karl von Linné wurde im Mai 1707 zu Räshüllt in der schwedischen Provinz Smaland geboren. Sein Vater, ein Landpfarrer, war ein leidenschaftlicher Botaniker und so erhielt der kleine Linné frühzeitig Gelegenheit, die Pflanzenkunde zu üben. Der Vater hatte seinen Karl zum geistlichen Stande bestimmt und schickte ihn frühzeitig auf die Schule zu Wexiö. Aber die Art des damaligen Schulunterrichts ward dem lebhaften Knaben bald so zuwider, daß dieser oft die Schule versäumte und dafür im Freien umherlief, um Pflanzen zu suchen. So kam es, daß er in den gelehrten Sprachen merklich hinter seinen Mitschülern zurückblieb. Die Lehrer erklärten daher seinem Vater, aus dem Jungen, der ganz ohne Fleiß und nur bemüht sei, Kräuter und Schmetterlinge zu sammeln, könne höchstens ein Handwerker werden. Hierauf gab ihn der Vater zu einem Schuhmacher in die Lehre.

Indeß hatte der Arzt Rothmann an dem jungen Linné ungewöhnliche Talente bemerkt; er stellte dem Vater vor, daß die Lehrer seines Sohnes die Fähigkeiten desselben nicht gut beurtheilt hätten, und rieth der Mutter, ihr Gelübde zu halten, und ihren Sohn Gott dadurch zu weihen, daß sie ihm erlaube, ein Priester der Natur zu werden. Die Aeltern folgten dem Rathe des verständigen Arztes und freudig verließ Linné seine Werkstatt. Tüchtige Werke über Botanik waren damals selten und Linné hätte auch kein Geld gehabt, sie zu kaufen. Doch verschaffte ihm sein Gönner Rothmann Tournefort's »Institutionen«, ein Werk, das er nun fleißig studirte. Auch benutzte er zwei Jahre lang die Bibliothek von Wexiö. Da ihm aber die Botanik keine Aussicht auf Versorgung bot, wählte er als Brodstudium die Arzneikunst, für welche er sich um so tüchtiger fühlte, als seine Kenntnisse in der Pflanzenkunde ihm das Studium derselben sehr erleichterten. Er bezog die Universität zu Lund und hier nahm sich der Botaniker Stobäus des armen Studenten an, rettete ihm auch einst das Leben, als er aus einer botanischen Wanderung von der sogenannten Höllenfurie, einem in Schweden einheimischen giftigen Gewürme, gestochen worden war.

Linné hatte noch lange Zeit mit Armuth und Dürftigkeit zu kämpfen; doch führte ihm die gütige Vorsehung immer wieder einen Gönner zu. So lernte ihn bei einem Besuche des botanischen Gartens zu Upsala der berühmte Celsius kennen und mußte seine außerordentlichen Kenntnisse bewundern. Der ehrwürdige Prälat zog ihn sogleich aus seiner hülflosen Lage. Celsius arbeitete damals an seinem schätzbaren Werke über die biblischen Pflanzen; er bedurfte eines Gehülfen und erwählte den jungen Linné. Dieser unterzog sich mit Freuden der ihm aufgetragenen Arbeit, und bei dieser Gelegenheit faßte er zuerst den großen Gedanken zu einem neuen Lehrgebäude in der Botanik. Vor der Hand schrieb er seine Gedanken in einem Aufsatze nieder, den er dem Professor Rudbeck mittheilte. Dieser bewunderte die Neuheit und den Scharfsinn der darin entwickelten Ideen und trug ihm auf, an seiner Stelle die Pflanzen im botanischen Garten zu demonstriren. Rudbeck hatte schon 40 Jahre vorher eine botanische Reise nach Lappland gemacht, deren Ergebnisse die öffentliche Wissbegierde noch mehr reizten; es ward der Plan zu einer neuen Reise in Anregung gebracht und Celsius schlug den jungen Linné dazu vor. Die literarische Gesellschaft brachte eine Summe von 50 Thalern zusammen, und dieses wenige Geld hielt der Botaniker für hinreichend, eine Reise von mehr als 800 deutschen Meilen zu machen. Im April 1732 trat Linné diese höchst gefährliche und beschwerliche Reise an, ganz allein und nur mit dem Unentbehrlichsten versehen, das er in einem Päckchen hinter sich auf dem Pferde trug. In sechs Monaten vollbrachte er glücklich seine Aufgabe und kehrte mit wichtigen Schätzen für die Naturwissenschaft, namentlich für die Botanik, zurück. Bald darauf ließ er die vollständige »Flora von Lappland« drucken, welche ein Muster für alle ähnlichen Arbeiten wurde. Ein Reichthum von neuen Entdeckungen, die genaueste und bündigste Beschreibung der Pflanzen war darin niedergelegt und die Gewächse waren hier zum ersten Mal nach der Zahl der Staubfäden und ihrem Verhältniß zum Pistill geordnet.

 

3.

Noch hatte Linné keine akademische Würde erlangt, die ihn berechtigte, Vorlesungen zu halten; auch fehlte es ihm an dem nöthigen Gelde, sich den Doktorgrad ertheilen zu lassen. Daher nahm er den Vorschlag an, mit sieben Jünglingen eine mineralogische Reise nach Lappland zu unternehmen. Nach seiner Rückkehr hielt er zu Falun den Zöglingen des Bergwesens Vorlesungen über Mineralogie und Hüttenwesen, und hatte nun so viel erübrigt, daß er im Jahre 1735 Doktor der Medizin werden und dann noch eine Reise in's Ausland machen konnte. Er begab sich nach Holland in die berühmte Universitätsstadt Leyden, wo damals der große Arzt und Naturforscher Boerhave wirkte. Dieser staunte über die Tiefe und den Umfang seiner Kenntnisse und schloß bald ein enges Freundschaftsbündniß mit ihm. In Leyden war es, wo Linné zuerst mit seinem genialen Natursystem in Tabellen hervortrat. Sein Name ward nun immer berühmter und überall fand er Freunde und Gönner, durch deren Empfehlung er eine Stelle bei einem Beamten der ostindischen Handelsgesellschaft, dem reichen Clifford, erhielt, der ihn als Hausarzt und als Aufseher über einen herrlichen Garten zu Hartecamp bei Harlem anstellte, wo er ungestört sich dem botanischen Studium überlassen konnte.

Im Jahre 1738 verließ Linné Holland, ging zuerst nach Paris, wo er Jussieu und andere berühmte Botaniker kennen lernte, und kam noch in demselben Jahre in Stockholm an. Anfangs kümmerte sich hier Niemand um ihn und nothdürftig erwarb er sich durch Ausübung der Arzneikunde seinen Unterhalt. Als aber seine glückliche Behandlung der Brustschwäche bekannt wurde, nahm ihn die Königin Ulrika Eleonora an und nun strömten ihm die vornehmsten und reichsten Kranken zu. Er ward Arzt bei der königlichen Admiralität und zugleich zum königlichen Botanikus ernannt. 1741 ward auf dem Reichstage beschlossen, Schweden in naturhistorischer Hinsicht aufmerksamer, als bisher geschehen war, bereisen zu lassen, und Linné zum Anführer der Reisegesellschaft erwählt. Die Beschreibung dieser Reise gab er 1745 heraus. Aber trotz seiner glücklichen Lage in Stockholm sehnte er sich nach einer Stelle, in der er sich ausschließlich seiner Lieblingswissenschaft widmen konnte, und er fand diese endlich in Upsala, wo er 1742 zum Professor der Botanik ernannt wurde. Unermüdlich forschte und schrieb er nun und der Glanz seines Namens strahlte über das ganze gebildete Europa. Die meisten Akademien Europa's ernannten ihn zu ihrem Mitgliede und von vielen Seiten her wurden ihm die glänzendsten und vortheilhaftesten Anerbieten zur Vertauschung seiner Stelle gemacht. Er aber blieb seinem Vaterlande treu; dafür schenkte ihm der König Gustav III. ein Landgut, verdoppelte sein jährliches Einkommen und erhob ihn in den Adelstand (1756). Im Schooße seiner Familie, umgeben von seinen Freunden und Kindern, führte er ein glückliches Leben bis 1774, wo er von einem Schlagflusse betroffen wurde, der mehrmals wiederkehrte und seiner thatenreichen Laufbahn 1778 ein Ende machte.

Im Jahre 1819 wurde ihm auf Befehl der Regierung in seinem Geburtsorte ein Denkmal gesetzt; allein Linné hätte dessen nicht bedurft, um seinen Ruhm auf die Nachwelt zu bringen. Sein Name wird genannt, so lange es eine Naturwissenschaft gibt.


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