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II. Reformation in England und Schottland.

 

1. Heinrich VIII. und der Papst.

Zu der Zeit, als Karl V. Kaiser in Deutschland war, regierte König Heinrich VIII. in England. Dieser war anfangs ein sehr eifriger Anhänger des Papstes und hatte selbst gegen Luther geschrieben, so daß er vom heiligen Vater den Titel »Beschützer des Glaubens« empfing. Aber die Freundschaft dauerte nicht lange. Heinrich hatte auf Befehl seines Vaters schon im 18ten Jahre die 24jährige Katharina von Aragonien, Ferdinand's des Katholischen und der Isabella Tochter, heirathen müssen, konnte aber seine Frau nicht leiden. Indessen hatte er sie aus Pflichtgefühl geduldet. Katharina gab ihm eine Tochter, Maria, aber keine männlichen Erben, welche der König so sehr wünschte. Die Ungleichheit des Alters, auch der Zwang, den ihm seine Gemahlin auferlegte, machten den leidenschaftlichen König immer mißvergnügter. Bereits 17 Jahre hatte er mit seiner Gemahlin gelebt, als er eine ihrer Hofdamen kennen lernte, die ihn durch ihre Anmuth und Schönheit so bezauberte, daß er nun durchaus seine Frau los sein wollte, um das Hoffräulein heirathen zu können. Anna Boleyn (Bulehn) war ihr Name. Um die Scheidung möglich zu machen, führte Heinrich an, seine Ehe mit Katharina sei unrechtmäßig, weil diese schon früher seines verstorbenen Bruders Frau gewesen sei. Vor Allem mußte aber der Papst erst die Scheidung erlauben und diesem hätte es auch nur ein Wort gekostet, aber er hatte mancherlei Rücksichten zu nehmen. Katharina war die Base Kaiser Karl's V. und dieser drohte dem Papste, falls dieser die Scheidung gestatten wollte. Indessen wagte es der Papst auch nicht, geradezu dem König von England sein Gesuch abzuschlagen. Er schickte einen Legaten nach London, der die Sache untersuchen sollte, aber sogleich die Weisung erhalten hatte, Alles möglichst in die Länge zu ziehen. Diese Kunst verstand der Legat meisterhaft; doch kam ihm auch die Hartnäckigkeit der Königin sehr zu Hülfe. Als diese vorgeladen worden war, fiel sie ihrem Gemahl zu Füßen und erinnerte ihn unter vielen Thränen daran, wie sie nun seit 20 Jahren bereits sein treues Weib sei. Aber diese Erinnerung brachte den König erst recht auf. Da sich die Unterhandlungen vier Jahre lang hinzogen, riß dem ungeduldigen Heinrich die Geduld. Er brach die Unterhandlungen mit dem Papste ganz ab, und da ein kluger Geistlicher auf den Einfall kam, der König möchte doch bei allen Universitäten sich Raths erholen, ob es Unrecht sei, sich von Katharina zu scheiden und Anna Boleyn zu heirathen, so ergriff er mit Freuden diesen Rath. Wirklich sprachen auch die Universitäten ganz so, wie er es gewünscht hatte. Sie erklärten die Ehe mit Katharina für unrechtmäßig und die Vermählung mit jeder andern Frau für erlaubt.

So ward denn die unglückliche Katharina verstoßen und gleich darauf hielt Heinrich mit seiner lieben Anna Hochzeit. Aber auf den Papst war er so erbittert, daß er sich von der katholischen Religion ganz lossagte. Gewiß hätte er die lutherische Lehre, die in England bereits viel Anhänger gefunden hatte, angenommen, aber Luther hatte ihm früher einmal einen derben Brief geschrieben und das konnte ihm der eitle Heinrich nicht vergessen. Er schrieb daher nach seinem eigenen Gutdünken ein Lehrbuch des christlichen Glaubens und verlangte, daß alle Unterthanen seine neue Lehre, die ein Mittelding zwischen der katholischen und evangelischen war, annehmen sollten. Das war eine despotische Forderung; die Lutheraner und Katholiken weigerten sich, den ihnen lieb und theuer gewordenen Glauben wie ein Kleid zu wechseln. Da ließ Heinrich aller Orten Scheiterhaufen errichten und die treuen Bekenner wurden grausam hingerichtet. Dann zog er alle kleineren Klöster in seinem Lande ein, 315 an der Zahl, und als die reichen Einkünfte derselben in seinen Schatz geflossen waren, kamen auch die größeren Klöster und Abteien an die Reihe, mit ihren unermeßlichen Reichthümern. Aber das gewonnene Geld verschleuderte Heinrich auf die unbesonnenste Weise an seine Günstlinge. Sonst hatten zur allgemeinen Landsteuer die Geistlichen das Meiste beigetragen; jetzt, da sie der Güter beraubt waren, fiel das weg und Karl V. sagte mit Recht: »Der König von England hat mit eigener Hand die Henne todtgeschlagen, welche ihm die goldenen Eier legte!« Der Papst hatte zu einem so ungeheuren Eingriffe in die Rechte der Kirche natürlich nicht geschwiegen; Heinrich wurde in den Bann gethan und sein Land Jedem, der es zu erobern Lust hätte, übergeben. Aber die Macht des heiligen Vaters war schon sehr geschwunden und die Fürstenmacht die überwiegende geworden.

 

2. Johanna Gray und Maria von England.

Heinrich VIII. hatte in einer Despotenlaune die unschuldige Anna Boleyn, die er im Verdacht der Untreue hatte, hinrichten lassen und darauf nacheinander noch vier Frauen genommen, von welchen eine starb, die andere (Anna von Kleve) wieder nach Deutschland geschickt, die folgende wegen wirklicher Untreue enthauptet wurde, und nur die letzte ihn überlebte. Als Heinrich VIII. starb, war sein einziger Sohn Eduard VI. erst neun Jahr alt. Es übernahm daher sein Oheim, der Graf Herfort, unter dem Namen »Protektor« (Beschützer) von England, die vormundschaftliche Regierung. Unter ihm ward die Reformation vorzüglich durch den Erzbischof von Kanterbury, Thomas Cranmer, auf eine mildere und weisere Art verbreitet. Die Protestanten erhoben triumphirend ihr Haupt, jedoch nicht ohne geheime Furcht, es möchte dieser Triumph nur von kurzer Dauer sein. Denn der junge König war sehr schwächlich, so daß sein baldiger Tod zu fürchten war; seine Schwester Maria aber galt für eine eifrige Katholikin und diese, als die Tochter aus Heinrich's erster Ehe (mit Katharina von Aragonien) mußte den Thron erben. Lieber hätten die Engländer Heinrich's Tochter aus zweiter Ehe (mit Anna von Boleyn), die protestantische Elisabeth, als Königin anerkannt, aber wenn Maria übergangen wurde, mußte auch Elisabeth übergangen werden. Diesen Umstand benutzte Northumberland, einer der mächtigsten und reichsten Herzoge in England, um seine ehrsüchtigen Pläne durchzusetzen und die königliche Krone an sein eigenes Haus zu bringen. Er hatte seinen Sohn Guilfort Dudley (sprich Gilfort Doddli) mit Johanna Gray, einer Enkeltochter der jüngeren Schwester Heinrich's VIII., vermählt. Als nun Eduard auf dem Sterbebette lag, begab er sich zu ihm und wußte durch allerlei Vorspiegelungen das Gewissen des jungen Königs so lange zu ängstigen, bis dieser endlich seine eigene Schwester Maria von der Thronfolge ausschloß und sie dagegen der Johanna Gray zusicherte. Sobald der König gestorben war, ließ Northumberland den Palast mit einer Wache umgeben, damit das Volk nicht früher den Tod erführe, als er seine Veranstaltungen getroffen hätte. Schon waren von ihm die Vornehmsten des Reichs durch große Versprechungen gewonnen und Johanna Gray wurde zur Königin erwählt. Sie war erst sechszehn Jahr alt und zeichnete sich gleicherweise durch die reinste Tugend und Anmuth, als durch den feingebildetsten Geist aus. Sie hatte nichts von den Plänen und Mißgriffen Northumberland's erfahren. Nun, als ihr Vater, der Herzog von Suffolk (Suffock), mit dem Herzog von Northumberland ihr die wichtige Nachricht überbrachten, ward sie vor Schrecken sprachlos und als sie sich gefaßt hatte, sprach sie zu den Anwesenden: »Der Schwester Eduard's, nicht mir, gehört der Thron. Ungeachtet meiner Jugend bin ich alt genug, die Wechsel des Glücks zu kennen und habe in Katharina von Aragonien und Anna Boleyn warnende Beispiele. Auch ich fühle mich zu schwach für eine solche Würde, und wer mich wahrhaft liebt, wird mich nicht Stürmen aussetzen wollen, die unvermeidlich sind.« Doch den vereinigten Bitten ihrer Verwandten und Freunde ergab sie sich. »Mag denn Gott mir Kraft verleihen,« sprach sie, »das Szepter zu seiner Ehre und zum Besten der Nation zu führen.«

Am folgenden Tage begab sich die junge Königin nach dem Tower (Tauer), dem gewöhnlichen Aufenthalte der englischen Könige vor ihrer Krönung, und hielt ihren Einzug mit großem Gepränge. Das Volk aber nahm keinen Theil an der Feier, es murrte laut und weigerte sich standhaft, die Schwiegertochter des ränkevollen Northumberland als Königin anzuerkennen. Der überwiegend größere Theil des englischen Volkes erklärte sich für Heinrich's VIII. Tochter Maria, deren Anhang sich schnell vergrößerte und die nach wenigen Tagen triumphirend in die Hauptstadt einzog. Nur neun Tage hatte Johanna regiert und diese kurze Zeit war für sie traurig und schmerzlich genug gewesen. Northumberland ward gefangen genommen und zum Tode verurtheilt. Er war nun so kleinlaut und verzagt geworden, daß er noch auf dem Blutgerüste bekannte, blos der Ehrgeiz habe ihn verleitet, von der katholischen Religion zu lassen und einem Glauben beizutreten, den er innerlich verdamme; er wünsche, daß alle Engländer wieder katholisch werden möchten. Sein Tod ward von Niemand betrauert. Auch Suffolk, Dudley und Johanna Gray wurden in's Gefängniß gesetzt und zum Tode verurtheilt: Doch vollzog man nicht sogleich das Urtheil, denn der Erstere schien nicht gefährlich und für die beiden Letzteren sprach die Jugend.

Maria hatte von ihrer Mutter, Katharina von Aragonien, eine glühende Vorliebe für den katholischen Glauben eingesogen. Alles, was ihr Vater und ihr Bruder für die neue Lehre gethan hatten, auszurotten und die katholische Lehre in aller Pracht wieder herzustellen, war ihr fester Wille. Die vertriebenen Bischöfe wurden wieder eingesetzt und wer sich der Messe widersetzte, in's Gefängniß geworfen. An 200 Menschen wurden, da sie sich weigerten, zur alten Kirche zurückzukehren, grausam hingerichtet. Nur eine Angelegenheit konnte für kurze Zeit eine kleine Unterbrechung ihrer unduldsamen Handlungen herbeiführen, die Wahl eines Mannes. Sie erklärte sich für Philipp II., Karl's V. einzigen Sohn. Philipp, erst 26 Jahre alt, willigte aus Politik in die Vermählung mit der bereits 38jährigen Maria, die er durchaus nicht liebte. Aber ganz England war über diese Heirath aufgebracht, denn man fürchtete den Stolz und die Grausamkeit des heimtückischen Philipp.

Diese Stimmung suchte Suffolk mit seinen Freunden zu benutzen, um einen Aufstand zu erregen – zu seinem und seiner Kinder Verderben. Denn Maria unterdrückte die Unruhen schnell und ließ den Herzog von Suffolk enthaupten. Nun ward auch der Tod des jungen Dudley und seiner unglücklichen Gemahlin beschlossen. Johanna empfing die Nachricht von ihrer Verurtheilung mit großer Ruhe und beklagte nur ihren jungen Gatten. Maria hoffte, sie im Angesicht des Todes noch zur katholischen Religion herüber zu ziehen, und schickte einen gewandten Geistlichen zu ihr. Johanna empfing denselben mit einer Milde und Zartheit, die ihn selber tief bewegten; aber über ihren Glauben sprach sie so fest und bestimmt, daß der Geistliche ihre Ueberzeugung nicht zu erschüttern vermochte.

So kam der Tag des Todes heran. Guilford Dudley sollte sofort sterben. Er wünschte Johanna noch einmal zu sehen; diese aber, welche das Ergreifende des Abschieds fürchtete, ließ ihm sagen, er möchte sie lieber im Jenseits erwarten. Als er zum Tode geführt wurde, winkte sie ihm aus dem Fenster ihres Gefängnisses den letzten Abschiedsgruß zu, und als bald darauf der in ein weißes Tuch gehüllte Leichnam vorübergetragen ward, freute sie sich zu hören, daß er standhaft und seinem Glauben treu gestorben sei. Festen Muthes schritt sie nun zum Blutgerüst; der katholische Geistliche begleitete sie ohne ihren Willen. Ihr Gebetbuch in der Hand, achtete sie wenig auf seine Zusprache; doch dankte sie ihm zuletzt freundlich für seine Güte und wünschte, daß Gott ihn erleuchten wolle, die Wahrheit zu erkennen. Dann hielt sie eine kurze Anrede an die Umstehenden, klagte sich an, daß sie schwach genug gewesen sei, die Krone anzunehmen, obgleich ihr Herz sich nie darnach gesehnt habe, und demüthigte sich vor Gott, der sie durch Leiden von der Liebe zum Irdischen habe losmachen wollen. »Ich sterbe – so endete sie – als eine evangelische Christin, entsage allen Verdiensten vor Gott durch meine Werke, da ich wohl weiß, wie viel an ihnen fehlt, um nicht auf seine Gnade und das Verdienst Jesu allein zu rechnen.« Sie schloß mit dem lauten Gebete des 51. Psalms.

Als sie ihr Haupt auf den Block legte, rief sie noch: »Herr! In deine Hände befehle ich meinen Geist!« Kein Auge blieb trocken, selbst die Anhänger Mariens weinten. Ihr Leichnam wurde in der Kapelle des Towers neben dem ihres Gatten beigesetzt. – In alle Länder ist der Ruf ihres seltenen Verstandes und ihrer schönen Seele gedrungen; überall, auch spät noch, sind nah und fern ihrem Schicksale Thränen geflossen. Künstler und Dichter haben gewetteifert, sie in ihren Werken zu verherrlichen. Der Oberrichter aber, der ihr Todesurtheil gesprochen hatte, ist nach dessen Vollziehung wahnsinnig geworden, hat unaufhörlich gerufen: »Weiche, – weiche von mir, Johanna!« – und so ist er gestorben H. Niemeyer (Beobachtungen auf Reisen Th. I)..

 

3. Elisabeth und Maria Stuart (1558-1603).

Elisabeth hatte, aus Furcht vor ihrer Stiefschwester, der Königin Maria, in strengster Zurückgezogenheit gelebt, aber die Mußezeit wacker benutzt, ihren Geist zu bilden. Maria starb aber bereits nach fünfjähriger freudenloser Regierung. Sobald Elisabeth die Nachricht vom Tode der Schwester erhielt, eilte sie mit freudiger Ueberraschung nach London und wurde vom Volke jauchzend empfangen. Es war, als ob die Engländer ahnten, daß eine neue glorreiche Zeit für das Land gekommen sei.

Die erste Handlung der jungen Königin war, daß sie die evangelische Lehre wieder auf den Fuß herstellte, wie sie unter Eduard VI. gewesen war. Aber sie verfuhr dabei als kluge Frau. Nur nach und nach wurden die unter Maria eingeführten katholischen Gebräuche wieder abgeschafft. Sie erklärte sich dann selbst für das Oberhaupt der Kirche und setzte in 39 Artikeln die Religion in der Art fest, wie sie noch jetzt unter dem Namen der englischen Hochkirche oder der bischöflichen Kirche in England herrschend ist. Die katholische Kirche war ihr schon darum verhaßt, weil sie die Ehe zwischen Heinrich VIII. und Anna Boleyn, der Mutter Elisabeth's, nicht als gültig anerkannte; aber auch ihr heller, aufgeklärter Geist konnte sich nicht mit dem katholischen Lehrbegriff versöhnen.

Ihr Charakter war übrigens ein sonderbares Gemisch von Tugenden und Fehlern. Ohne schön zu sein (denn sie war etwas breitschulterig und hatte eine zu große Nase), war sie doch sehr liebenswürdig und freundlich. Gegen das gemeine Volk war sie äußerst herablassend und leutselig, und suchte aus alle Art die Gunst desselben zu gewinnen. Leute aus den niedrigsten Ständen hatten zu jeder Zeit freien Zutritt zu ihr; sie nahm ihre Bittschriften mit vergnügter Miene an, dankte für die Zeichen von Anhänglichkeit und ließ sich mit ihnen in ein Gespräch ein, so daß jeder Unterthan mit der größten Bewunderung seine Königin verließ. Gegen die Großen des Reichs aber trat sie mit stolzer Würde auf, um ihnen den Abstand recht fühlbar zu machen. Von dem Gepränge, mit dem sie öffentlich erschien, wenn sie des Sonntags aus ihren Gemächern sich in die Kapelle begab, erzählt ein Zeitgenosse: »Zuerst erschien eine Menge von Edelleuten, – Grafen, Barone und Ritter; dann kam der Kanzler mit den Siegeln zwischen zwei Lords, die Schwert und Szepter trugen. Ihm folgte Elisabeth, und wohin sie blickte, fielen die Anwesenden auf ihre Kniee. Hinter ihr kam ein langer Zug wohlgekleideter junger Damen und zu beiden Seiten stand eine Reihe von Edelleuten in reichen Uniformen und mit vergoldeten Streitäxten.« Sie war überhaupt sehr eitel und herrisch; selbst im vorgerückten Alter hörte sie noch gern, wenn man sie mit der Venus au Schönheit, mit der Minerva an Klugheit und mit der Diana an Sittsamkeit verglich. Obwohl sie die Gesellschaft der Männer gern hatte, vermählte sie sich doch nie, um freier und ungebundener zu sein. Auch Philipp II. bewarb sich um ihre Hand, ward aber zurückgewiesen.

 

Maria Stuart, Königin von Schottland.

Der schwärzeste Punkt im Leben der Elisabeth ist ihr Betragen gegen ihre unglückliche Verwandte, Maria Stuart, Königin von Schottland. Heinrich VIII. hatte zwei Schwestern gehabt; die jüngere war die Großmutter der Johanna Gray, die ältere aber war mit Jakob IV., König von Schottland, vermählt worden. Ihr Sohn war Jakob V., der Vater der Maria Stuart. Als hätte sie das Unglück schon in der Wiege verfolgen wollen, starb der Vater, als sie erst acht Tage alt war. Es entstanden innere Unruhen in Schottland und die Königin-Mutter führte ihr fünfjähriges Kind nach Frankreich, wo Maria am Hofe der Katharina von Medicis erzogen wurde. Obwohl die französische Königin sammt ihren Söhnen in große Sittenverderbniß versunken war, erhielt doch die junge Maria Stuart durch die Sorgfalt ihrer Mutter die beste Erziehung und war bald wegen ihrer Schönheit und Herzensgüte der Gegenstand allgemeiner Liebe und Verehrung. Kaum sechszehn Jahre alt, wurde sie mit dem Dauphin, dem nachmaligen Könige Franz II., vermählt. Maria sah sich jetzt im Besitze des größten Glückes. Alles huldigte ihrer Würde, ihrer bezaubernden Anmuth und der junge König hatte sie von Herzen lieb. Doch nur anderthalb Jahre regierte Franz II., als ein früher Tod ihn hinwegraffte; bald daraus starb Marien's Mutter, die bis dahin als Regentin die Regierung in Schottland geführt hatte.

Unter der Regentschaft war es in Schottland sehr unruhig zugegangen; die neue Lehre der Protestanten hatte auch hier Wurzel gefaßt, besonders durch einen Schüler Kalvin's, Johann Knox, der mit dem ganzen Feuer seiner Beredsamkeit und Ueberzeugung gegen den katholischen Lehrbegriff kämpfte. Seine heftigen Predigten entflammten das Volk so zur Glaubenswuth, daß es die katholischen Kirchen ausplünderte und die Priester mißhandelte, und als die Regentin die Uebermüthigen strafen wollte, stand Alles gegen sie auf und sie mußte froh sein, einen Vergleich abschließen zu können. Mit Vergnügen sah Elisabeth, wie die Schottländer nach dem Tode der Regentin die katholische Religion abschafften und die reformirte Lehre einführten; ihren lauernden Blicken entging Nichts, was in dem Nachbarlande vorging. Sie wußte, daß die Wünsche und Hoffnungen aller Katholiken auf Maria Stuart gerichtet waren, und daß diese in Vieler Augen für die rechtmäßige Königin von England galt, als Enkelin der ältesten Schwester Heinrich's VIII. So wurde der Haß und die Eifersucht gegen die Thronbewerberin, gegen die Katholikin und gegen das schönere Weib immer größer. Maria schauderte vor dem Gedanken, das schöne Frankreich, das Land ihrer Jugendfreuden, mit dem rauhen, nebligen Schottland vertauschen zu sollen, worin der Aufruhr tobte, – und doch mußte sie nun die schwere Regierung übernehmen. Sie hielt bei Elisabeth um die Erlaubniß an, ihren Weg durch England nehmen zu dürfen, aber diese schlug die Bitte nicht nur ab, sondern rüstete eilig eine Flotte aus, um Marien aufzufangen, wenn diese zu Schiffe von Frankreich nach Schottland führe.

Am 15. April 1562 segelte Maria Stuart mit zwei Galeeren- und vier Transportschiffen von Kalais ab. So lange sie die französische Küste noch zu sehen vermochte, ruhte ihr Blick unverwandt auf dem Lande, an welchem ihre Liebe hing. »Lebe wohl, Frankreich, lebe wohl! Ich werde dich nimmer Wiedersehen!« rief sie im schmerzlichsten Tone mehrmals aus. Bald darnach entstand ein dichter Nebel, unter dessen Schutze ihre Galeeren dem auflauernden englischen Admiral glücklich entgingen; drei Transportschiffe aber fielen in dessen Hände. Mit steigender Angst näherte sich die junge Königin der vaterländischen Küste; denn wie ihr Volk gegen sie gesinnt sei, wußte sie nicht. Um so angenehmer wurde sie bei ihrer Landung überrascht, indem alle Stände zusammenströmten, der schönen Herrin ihre Huldigung zu bringen. Kaum 19 Jahre alt, stand sie jetzt in der Blüthe ihrer Schönheit und Jugend, und ihr freundliches, anmuthiges Wesen nahm Aller Herzen für sie ein. Der Tag ihrer Ankunft war für sie ein Tag der Freude und des Glückes, der einzige frohe Tag, den sie in Schottland verleben sollte.

Die Reformirten fürchteten, unter einer katholischen Königin möchte die katholische Religion wieder ihr Haupt erheben. »Soll man leiden,« schrieen die Prediger von den Kanzeln, »daß dieser Götze (die katholische Lehre) wieder in dem Reiche aufgerichtet werde?« Nichts half, daß Maria Jeden bei seinem Glauben ließ, daß sie nur für sich um die Erlaubniß bat, Messe in ihrer eigenen Kapelle halten zu dürfen. »Die Messe ist schrecklicher,« rief der unduldsame Knox von der Kanzel, »als 10,000 fremde Soldaten, die in dem Königreiche landen würden!« Und ein Kirchendiener, den das Volk Lichter in die Kapelle tragen sah, wurde vor dem Schlosse Marien's gemißhandelt und fast ermordet. Selbst auf ihrem Zimmer machte Knox der Königin oft so bittere Vorwürfe, daß sie in Thränen ausbrach. Und doch mußte sie den heftigen Mann auf alle Weise schonen, da er beim Volke beliebt war.

Um nicht ganz allein zu stehen, vermählte sie sich mit dem Grafen Heinrich Darnley (Därnli), den sie wegen seiner Schönheit und Jugend lieb gewonnen hatte. Doch die Schotten sahen diese Verbindung sehr ungern, weil Darnley katholisch war. Maria mußte zu ihrem großen Schmerze bald erfahren, daß die äußere Schönheit des Mannes sie verblendet habe; er war roh, trotzig und hochfahrend und ganz unfähig, die Zärtlichkeit der Königin zu erwidern. Diese wurde immer kälter gegen ihn und schenkte ihr Zutrauen einem jungen Italiener, David Rizzio, den sie wegen seines Talentes für Gesang und Lautenspiel zu ihrem Geheimschreiber erhoben hatte. Doch der Uebermuth dieses Emporkömmlings reizte die schottischen Großen zum Zorn und Darnley gab Befehl, ihn zu ermorden. Vor den Augen der Königin – der Bedrängte hatte sich der Gebieterin zu Füßen geworfen – erdolchten die Verschworenen den Günstling. Diese vermessene That entfremdete das Herz Marien's noch mehr von ihrem Gemahl; es war, als ob das Gespenst des Ermordeten sich zwischen Beide gestellt hätte.

Dies Verhältniß benutzte Graf Bothwell (Boßwell), der aus angesehenem schottischen Adel stammte, aber ein höchst ausschweifender und liederlicher Mensch war. Es war ihm gelungen, Marien's Gunst so sehr zu gewinnen, daß sie nichts ohne seinen Rath unternahm. Er legte es darauf an, die Königin durch eine Scheidung von Darnley zu befreien, um sie dann selber heirathen und den schottischen Thron besteigen zu können. Da aber Maria von keiner Scheidung wissen wollte, dachte Bothwell darauf, sie mit Gewalt von ihrem Gemahl zu trennen. Die Gelegenheit fand sich bald. Darnley war in Glasgow erkrankt und sobald Maria dies erfuhr, erwachte – wie es schien – ihre frühere Liebe zu dem Manne wieder und sie reiste zu ihm, um ihn mit aller Sorgfalt zu pflegen. Beide Gatten versöhnten sich wieder und reisten, zusammen nach Edinburg, wo sie ein Privathaus bezogen. In einer Nacht, als die Königin sich aus dem Hause entfernt hatte, um der Hochzeit einer ihrer Kammerfrauen beizuwohnen, flog das Haus, worin sich der König befand, mit einem fürchterlichen Knall in die Luft. Das Volk strömte voll Schrecken hinaus und fand Darnley sammt seinem Bedienten todt in dem Garten. Allgemein nannte man Bothwell den Mörder des Königs, ja es erhoben sich Stimmen, welche Maria selber anklagten. Diese betheuerte zwar ihre Unschuld, aber die Umstände legten doch starkes Zeugniß wider sie ab. Statt sich von dem bösen Bothwell loszumachen und die geforderte Untersuchung gegen ihn einzuleiten, ließ sie sich unter dem Scheine eines gewaltsamen Ueberfalles als Gefangene aus eines seiner Schlösser entführen, und reichte ihm, drei Monate nach der Ermordung ihres Gatten, vor dem Altare ihre Hand. Elisabeth und der französische Hof hatten sie dringend abgemahnt und gewarnt, doch vergeblich!

Diese höchst unbesonnene Vermählung mit dem Mörder ihres Gemahls erhöhte den Verdacht und reizte die Schotten zum Zorn; der empörte Adel stellte ein Heer in's Feld und Bothwell rettete sich nur durch die schleunigste Flucht. Er entkam nach den Orkney-Inseln und trieb eine Zeit lang Seeräuberei; dann flüchtete er sich nach Dänemark, wo er im Gefängniß zehn Jahre lang schmachtete und im Wahnsinn starb. Maria aber wurde von den Rebellen im Triumph nach Edinburg geführt, wo der Pöbel sie verhöhnte und ihr eine Fahne vortrug, auf welcher die Ermordung Darnley's abgebildet war. Man brachte die arme Königin in ein festes Schloß (Lochleven bei Edinburg), behandelte sie dort mit aller Härte und Verachtung und zwang sie endlich, eine Schrift zu unterzeichnen, in der sie der Regierung entsagte und diese ihrem Sohne Jakob übertrug, während dessen Minderjährigkeit ein Graf Murray (spr. Morree) die Regentschaft führen sollte. Mit viel Thränen unterschrieb sie das verhaßte Papier und hoffte nun, in Freiheit gesetzt zu werden. Aber vergebens! Man verschärfte noch ihre Gefangenschaft und kränkte die Verlassene auf alle Art. Diese unwürdige Behandlung erregte wieder im Volk und Adel Theilnahme für die unglückliche Königin; ein junger Edelmann entführte sie aus ihrem Gefängniß und viele ihrer alten Freunde versammelten sich um sie, mit den Waffen in der Hand. Aber das kleine Heer war zu schwach; es ward von der Kriegsmacht des Grafen Murray auf's Haupt geschlagen und Maria floh mit wenigen Begleitern, nicht wissend, wo sie nun Zuflucht finden sollte.

 

Maria in England.

Da erinnerte sie sich der freundlichen Theilnahme, die ihr die Königin Elisabeth während ihrer Gefangenschaft bezeigt hatte, und zu ihr beschloß sie zu fliehen. Schnell warf sie sich in ein Fischerboot und landete noch an demselben Tage in Carlisle (Kärleil) auf englischem Boden. Sie war so eilig entflohen, daß sie weder Geld noch die nöthigen Kleidungsstücke mitgenommen hatte. Ein Eilboote ward nach London geschickt, für die hülfesuchende Königin Schutz zu erflehen (1568).

Elisabeth triumphirte, als sie das seit Jahren gehetzte Wild nun freiwillig in's Garn gehen sah. Sie ließ der Maria sagen, sie könne für jetzt ihr nicht erlauben, nach London zu kommen; erst müsse sie sich von dem Verdachte reinigen, an der Ermordung Darnley's Theil genommen zu haben. Das hatte Maria nicht erwartet; nach der ersten Bestürzung weinte sie bitterlich. Gern – sprach sie – wollte sie ihre Sache der Entscheidung einer so gütigen Freundin unterwerfen. Das wollte eben Elisabeth. Sie leitete sogleich ein förmliches Gericht ein, das über die Königin und den Grafen Murray entscheiden sollte. Maria vertheidigte sich leicht gegen jede Anschuldigung. Als aber Graf Murray Briefe vorlegte, welche sie früher an Bothwell geschrieben haben sollte und die auf ein Einverständniß mit ihm zur Ermordung Darnley's deuteten: so erklärte sie, es sei wider ihre Ehre und königliche Würde, auf derlei Beschuldigungen etwas zu erwidern. Wahrscheinlich waren diese Briefe untergeschoben, denn so sehr auch Maria bat, ihr die Originale vorzulegen, so weigerte sich doch Elisabeth dessen fortwährend. Maria Stuart wurde auf ein festes Schloß in Gewahrsam gebracht und sollte nie wieder ihre Freiheit erhalten.

Für die Politik des protestantischen Englands konnte nichts erwünschter sein, als die katholische Königin von Schottland, die auf den englischen Thron selber Anspruch machte, in der Gewalt der englischen Königin zu wissen. Als Maria von England, die katholische Schwester der Elisabeth, gestorben war, hatten Maria Stuart und ihr Gemahl, Franz II. von Frankreich, Englands Wappen und den Titel der Könige von England angenommen, weil nach Auffassung der katholischen Partei die Auflösung der Ehe Heinrich's VIII. mit Katharina von Aragonien widerrechtlich, mithin Elisabeth nicht legitim war. Auch hatte Papst Pius V. gegen Elisabeth den Kirchenbann ausgesprochen und ihre Unterthanen vom Eide der Treue entbunden. Diese hatte also wohl Grund, Verschwörungen der englischen Katholiken zu fürchten, welche ihr Auge auf Maria Stuart geworfen hatten. Die englischen Staatsmänner erklärten im Parlament, zur Erhaltung der protestantischen Religion und zur Sicherheit der Königin Elisabeth sei der Tod der Königin von Schottland, der Mörderin ihres Gemahls, nothwendig.

Mit diesem Gedanken konnte sich Elisabeth vorerst nicht befreunden; sie wollte ihre Nebenbuhlerin unschädlich machen, und so blieb Maria Stuart neunzehn Jahre lang auf verschiedenen Schlössern gefangen. Da entwarf der Herzog von Norfolk den Plan, sie zu befreien, dann sie zu heirathen und ihre Wiedereinsetzung in Schottland mit Gewalt durchzusetzen. Doch der Plan ward verrathen und Norfolk büßte das Wagstück mit dem Leben. Darauf faßten zwei andere Katholiken, der Franzose Johann Ballard und der Engländer Anton Babington (Bäbington), den Entschluß, die grausame Elisabeth zu ermorden und den Kerker Marien's zu sprengen. Aber auch diese Verschwörung wurde verrathen und Babington, Ballard und zwölf andere Genossen wurden enthauptet.

Durch diese Verschwörungen wurde die Lage Maria's nur immer trostloser. Elisabeth, die nun das Leben der schottischen Königin als mit ihrer eigenen Sicherheit unverträglich hielt, beschloß den Tod ihrer Nebenbuhlerin. Sie ließ dieselbe auf das Schloß Fotheringhai (Foßheringhee) in noch engere Haft bringen und dann ein Gericht niedersetzen, welches über ihren Antheil an dem Hochverrate entscheiden sollte. Maria betheuerte ihre Unschuld und erklärte Alles für eine abscheuliche Verleumdung. Da man ihr keine Papiere vorlegen konnte, die ihre Schuld bewiesen hätten, so stellte man zwei ihrer Geheimschreiber als Zeugen wider sie auf, die man zuvor mit Geld bestochen hatte. Das Todesurtheil wurde ausgesprochen und von Elisabeth bestätigt.

Maria empfing die traurige Botschaft mit einer Heiterkeit und Würde, die alle Anwesenden rührte und erschütterte. Der Tag, sprach sie, nach dem sie so lange sich gesehnt habe, sei endlich eingetroffen; beinahe zwanzig Jahre habe sie im Gefängniß geschmachtet, und kein glücklicheres und ehrenvolleres Ende eines solchen Lebens könne sie sich denken, als ihr Blut für ihre Religion zu vergießen. Dann zählte sie die Kränkungen auf, die sie erlitten, die Anerbietungen, die sie gemacht, und die arglistigen Kunstgriffe und Betrügereien ihrer Feinde. Sie schloß, die Hand auf der Bibel, mit den Worten: »Gott ist mein Zeuge, daß ich nie nach dem Tode der Königin, eurer Gebieterin, getrachtet habe.«

Der 18. Februar 1587 war der Tag ihrer Hinrichtung. Die Nacht zuvor brachte sie größtentheils im Gebete zu. Um 8 Uhr Morgens trat ein Diener in den Kerker und zeigte ihr an, daß die Stunde geschlagen habe. »Ich bin bereit!« war ihre Antwort und ihr Auge strahlte Frieden. Sie bat flehentlichst um einen Priester, der sie auf des Lebens letztem Gange begleite; allein auch diese Tröstung ward ihr versagt. Mit einer Miene voll Ruhe und Majestät durchschritt sie die Halle, die zu dem Saale führte, wo das Blutgerüst aufgeschlagen war. Auf dem Wege fand sie ihren alten Haushofmeister Melvil, dem seit mehreren Monaten der Zutritt zu ihr verboten war. Der alte Diener fiel in die Kniee und weinte laut auf. Sie bot ihm liebreich die Hand. »Klage nicht – sprach sie – ehrlicher Mann, freue dich vielmehr, denn du wirst das Ende sehen von Maria's Leiden. Die Welt, mein guter Melvil, ist nur Eitelkeit und ein Meer von Thränen würde nicht hinreichen, ihre Trübsale zu beweinen. Gott vergebe Denen, die schon lange nach meinem Blute dürsten.« Dann brach sie in Thränen aus und sprach: »Lebe wohl, guter Melvil, lebe wohl!«

Als sie das Blutgerüst bestiegen hatte, trat der Dechant von Peterborough zu ihr und ermahnte sie im Namen der Königin Elisabeth, die katholische Religion abzuschwören. Maria bat ihn wiederholt, sich und sie nicht zu belästigen; er aber hörte nicht auf zu reden und drohete mit dem ewigen Höllenfeuer. Entschlossen, in der Religion, in welcher sie geboren und erzogen war, zu leben und zu sterben, sank sie auf ihre Kniee und betete voll Inbrunst für die bedrängte Kirche, für ihren Sohn Jakob und für Elisabeth. – Dann wurden ihr die Augen verbunden, die Henker ergriffen sie bei den Armen und führten sie zum Blocke. Hier kniete sie nieder und sprach wiederholt mit fester Stimme: »In deine Hände, o Herr, befehle ich meinen Geist!« Der Henker ward selber im Herzen gerührt, das Schluchzen und Weinen der Anwesenden machte ihn ganz verwirrt; er zitterte und verfehlte seinen Streich und erst aus den dritten Hieb ward das schöne Haupt vom Rumpfe getrennt. Als der Henker es emporhielt, rief jener Dechant: »Mögen alle Feinde der Elisabeth so enden!« Aber keine Stimme hörte man, die dazu Amen sprach. Der Parteigeist war aufgelöst in Bewunderung und Mitleid. Denn die unglückliche Maria war wohl sehr leichtsinnig, aber nicht böse gewesen, und ihre Fehler hatte sie schwer genug gebüßt. Sie starb im fünfundvierzigsten Jahre ihres Alters.

Jetzt hatte Elisabeth ihren Durst nach Rache gestillt und nun bemühte sie sich, das Gehässige der That aus ihre Minister zu wälzen. Sie stellte sich deshalb, als die Hinrichtung der Maria ihr gemeldet ward, sehr erschrocken und betrübt und entsetzte sogleich die Minister ihres Amtes. Diese erkannten wohl, was die Königin mit der Scheinanklage wollte, bekannten in Demuth ihre Schuld und wurden dann Einer nach dem Andern wieder angestellt, mit Ausnahme des wackern Davison, der sich standhaft geweigert hatte, an der ungerechten Verfolgung Marien's Theil zu nehmen.

 

Englands wachsende Seemacht.

Als Elisabeth durch eine solche Greuelthat ihren Thron gesichert hatte, wandte sie wieder alle Sorgfalt aus die Regierung ihres Staats und der glänzendste Erfolg krönte alle ihre Unternehmungen. Sie belebte den Handel und das Seewesen und ist als die Schöpferin der großen Seemacht Englands zu betrachten. Alle, die wegen ihres Glaubens aus Frankreich und den Niederlanden vertrieben wurden, fanden in England eine offene Freistätte, und auf solche Art ward die Insel ein Hauptsitz der Manufakturen und Gewerbe. Die Seefahrer, von der Königin aufgemuntert, besuchten alle Theile der Erde. Der Engländer Richard Chanceller entdeckte 1553 den Weg nach Archangel über das Eismeer, und der russische Czar bewilligte im Jahre 1569 einer englischen Gesellschaft das ausschließliche Recht zum Handel mit Rußland. Der große Seeheld Franz Drake eiferte dem Portugiesen Maghellan nach; er war der erste Engländer, der im Jahre 1580 eine Reise um die Welt unternahm. Er war es auch, der die so nützlichen Kartoffeln aus Amerika nach Europa brachte. Dieses Knollengewächs kam 1586 nach England und von da nach Frankreich, wo noch im Jahre 1616 Kartoffeln als eine große Seltenheit aus die königliche Tafel gebracht wurden. In Deutschland wurden sie erst 1650 im Voigtlande angepflanzt, in Niedersachsen aber erst 100 Jahre später (1740) angebaut.

Die Schifffahrt der Engländer nach Ostindien begann zu Ende des 16ten Jahrhunderts; die erste ostindische Handelsgesellschaft ward 1600 gestiftet. Um eben diese Zeit wurden auch Kolonien in Nordamerika gegründet; Walter Raleigh (Räli) nannte das von ihm in Besitz genommene Land nach seiner unvermählten Königin Virginia, d. i. Jungfrauenland. Den größten Triumph aber erlebte Elisabeth im Kampfe gegen die unüberwindliche Flotte Philipp's II. von Spanien.

 

4. Die unüberwindliche Armada.

 

1.

Als Elisabeth den englischen Thron bestiegen hatte, bot ihr Philipp II. seine Hand an, in der Hoffnung, daß es ihm nun gelingen werde, sich zum Herrn von England zu machen. Allein die kluge Fürstin hütete sich wohl, ein Anerbieten anzunehmen, das ebensowohl gegen ihre Neigung als gegen die Wünsche ihres Volkes war Eine abschlägige Antwort konnte Philipp, der stolzeste Monarch seiner Zeit, nicht verzeihen, und er haßte die Königin von England um so grimmiger, als diese immer entschiedener die katholische Religion in ihrem Lande unterdrückte. Dazu kam, daß Elisabeth den Aufstand der Niederländer unterstützte und daß der englische Seeheld Franz Drake den spanischen Seefahrern großen Schaden zufügte. So beschloß der König von Spanien einen Vertilgungskrieg gegen die protestantische Königin, in der Hoffnung, durch die Eroberung Englands zugleich dem Himmel und seiner Herrschbegierde ein Opfer zu bringen. So geheim als möglich ließ er die gewaltigen Rüstungen machen. Es gab keinen Hafen in Spanien und Portugal, in welchem nicht auf Befehl des Königs an der Erbauung neuer Fahrzeuge gearbeitet worden wäre. Galeeren, Fregatten und große Dreimaster wurden mit schweren Geldsummen ausgerüstet oder neu erbaut. Ein großes geübtes Landheer unter dem Oberbefehl des Herzogs Alexander von Parma sollte von der Flotte übergesetzt werden.

So furchtbare Anstalten, wie sie in Spanien und den Niederlanden betrieben wurden, mußten endlich offenbar werden und allen Fürsten und Völkern Europa's verdächtig erscheinen. Zwar ließ Philipp das Gerücht ausstreuen, er bezwecke nur die abgefallenen Niederlande wieder zu gewinnen;, aber Niemand, am wenigsten die kluge Elisabeth, ließ sich dadurch täuschen. Sie traf mit allem Nachdruck Anstalten zur Vertheidigung und schien jetzt eine ganz andere Frau zu sein, als die eitle, rachsüchtige und heuchlerische, die sie in ihrem Verhältnis zu Maria Stuart war. Sie zeigte sich jetzt voller Thätigkeit, Geistesgegenwart und Entschlossenheit. Den Weltumsegler Franz Drake schickte sie sogleich ab, den Spaniern in ihren Rüstungen Abbruch zu thun. Drake segelte mit seinem Geschwader nach Kadix, in dessen Nähe eine große Menge von Kriegsbedürfnissen und Lebensmitteln aufgehäuft waren. Die spanischen Kriegsschiffe, welche sich daselbst befanden, flüchteten bei seiner Ankunft sogleich unter die Kanonen der Festung und nun begann der englische Admiral sein Zerstörungswerk. Hundert reich beladene Schiffe wurden in einem Tage und zwei Nächten theils in den Grund gebohrt, theils verbrannt. Damit noch nicht zufrieden, segelte Drake nach dem Vorgebirge Vincent, eroberte dort mehrere feste Schlösser, verheerte die Küste und verbrannte abermals eine Anzahl von Schiffen. Darauf richtete er seinen Lauf nach den azorischen Inseln, wo er sich eines großen spanischen Lastschiffes bemächtigte, welches mit einer reichen Ladung aus Ostindien zurückkehrte. Andere kühne englische Seeleute, welche auf eigene Hand ihre Raubzüge unternahmen, fügten auch den Spaniern beträchtlichen Schaden zu, so daß hierdurch die Kriegsrüstungen der Letzteren nicht wenig verzögert wurden.

Unterdessen war Elisabeth nicht müßig geblieben. Um die Kampflust und das Rachegefühl des Volkes aufzuregen, wurden Druckschriften verbreitet, worin die Abscheulichkeiten, welche die Spanier in Amerika und den Niederlanden begangen, das vielfache Unglück, welches sie in England angestiftet hatten, und die von den Ketzergerichten verhängten Todesstrafen, auch die Marterwerkzeuge beschrieben wurden, mit welchen mehrere spanische Schiffe angefüllt sein sollten. Indem nun die Königin auf solche Weise die protestantischen Unterthanen ihres Reichs gegen die Spanier erbitterte, behandelte sie die Katholiken dagegen mit der größten Mäßigung und Milde. So erfüllte sie alle Bewohner Englands mit Zutrauen und machte sie willig, ihr jede Unterstützung zu geben, die sie verlangte. Man bewilligte ihr große Darlehen und bewaffnete sich überall; 20,000 Mann waren an den Küsten vertheilt, die Landung des Feindes zu verhindern; ein anderes Heer hatte sich zur Verteidigung der Hauptstadt bereitet und die Hauptarmee war 42,000 Mann stark. Nichts desto weniger hegten die erfahrensten Männer große Besorgnisse, da die spanischen Soldaten damals die geübtesten Krieger in Europa waren, überdies unter einem so vollendeten Feldherrn wie Alexander von Parma kämpften. Elisabeth allein war gutes Muthes. Sie gab alle ihre Befehle mit vollkommenster Ruhe, ermunterte das Volk, sah nach Allem selbst und zeigte, daß sie ganz zum Herrschen geboren sei. Eines Tages erschien sie im Lager. Auf einem edlen Streitrosse, einen Marschallsstab in der Hand, einen Brustharnisch von polirtem Stahl über dem prachtvollen Anzug, einen Pagen hinter sich, der den weißbefiederten Helm trug, ritt sie mit entblößtem Haupte von Glied zu Glied. Ein freudiges Hussahrufen der Soldaten empfing sie; dann hielt sie eine begeisterte Anrede an die Armee und diese war bereit, für die glorreiche Königin zu siegen oder zu sterben.

 

2.

Philipp's Ansicht ging dahin, den zerschmetternden Schlag unmittelbar auf England herabfallen zu lassen. Auf ihrem Wege nach England sollte die große Flotte alle englischen Schiffe, welche Widerstand leisten würden, verjagen, im Verein mit den niederländischen Transportschiffen in die Themse einlaufen, die ganze spanische Armee in der Nähe von London an's Land setzen und so mit einem Streich das Schicksal von England entscheiden. Die große Flotte, von den Schmeichlern des Königs die glückliche, die unüberwindliche, ja die katholische genannt, bestand aus 138 Linienschiffen von ungeheurer Größe, dabei befanden sich 60 eben so große Galeeren, welche schwimmenden Schlössern und Festungen nicht unähnlich sahen. Sie waren so dicht gebaut, daß, wie es nachher sich erwies, die meisten Kanonenkugeln nicht durchzudringen vermochten. Das Admiralschiff, welches den Seeadmiral Herzog von Medina-Sidonia trug, stellte gleichsam eine Stadt mit einem Thurme in der Mitte vor; auf demselben befanden sich außer dem Herzoge und seinem Gefolge noch 1200 Soldaten. Die Galeassen, Schiffe, welche die größten Galeeren an Größe übertrafen, hatten 300 Ruderer. Alle Masten und Stangen auf diesen riesenhaften Schiffsgebäuden hatte man mit Seilwerk umflochten und nichts vergessen, um sie unverletzlich zu machen. 15,000 Mann der besten Landtruppen waren an Bord, außer den 6000 Mann Seetruppen und Matrosen; die Bedienung und das Schiffsvolk eingerechnet, befanden sich auf der schwimmenden Stadt über 30,000 Menschen. Es gab wenig vornehme und begüterte Familien, welche nicht Söhne, Väter oder Verwandte auf der Flotte gehabt hätten. Die Zahl der Geistlichen und Mönche belief sich allein auf fast 700 Köpfe und an ihrer Spitze befand sich der gefürchtete Großinquisitor, welcher das schreckliche Ketzergericht über die protestantischen Einwohner Englands zu halten gedachte.

Das Geschütz belief sich auf 2630 Stück. Mit allerlei Kriegsbedürfnissen und Lebensmitteln war die unüberwindliche Armada so reichlich versehen, daß nur der Besitzer der ungeheuren Reichthümer Amerika's die Kosten davon zu tragen vermocht hatte. So fürchterlich ausgerüstet ging diese Flotte am 29. Mai 1583 von Lissabon aus unter Segel. An Menge und Schwere der Schiffe hatte der Ozean noch nie eine solche Flotte getragen und ein spanischer Geschichtschreiber erzählte davon, freilich mit spanischer Uebertreibung, das Meer habe nicht Raum gehabt, die mächtigen und zahlreichen Schiffe zu fassen.

Der Papst, Sixtus V., hatte den Bannfluch über die Königin von England ausgesprochen, sie ihres Reiches für verlustig erklärt und dem Könige von Spanien die Vollziehung dieses Richterspruches übertragen. So schien auch der Segen der Kirche dem Unternehmen nicht zu fehlen.

Indessen hatte Elisabeth zu ihrem Beistande die niederländischen Staaten gewonnen, die sich unlängst vom spanischen Joche losgemacht hatten. Sie rüsteten für ihre Bundesgenossin eine beträchtliche Flotte aus, die Küsten Hollands und Seelands wurden mit Wachen besetzt und die Tonnen, Pfähle und Seeleuchten, die zur Sicherung der Schifffahrt dienten, weggenommen. Um die Gunst des Himmels zu erlangen, wurden in England und Holland Fast- und Bettage gehalten und die Kirchen von zahlreichen Andächtigen besucht.

Nicht allein die thätigen und klugen Vorkehrungen der Engländer und Holländer erschwerten Philipp's Unternehmen, sondern auch in seiner eigenen Flotte lag ein großes Hinderniß. Die ungeheuren schwimmenden Maschinen wurden von unwissenden, schlecht geübten Steuerleuten und Matrosen regiert und noch hatte die Flotte den Hafen von Korunna, wo sie Truppen und allerlei Vorräthe einnehmen sollte, nicht erreicht, als sie, von einem heftigen Sturme überfallen, sehr beschädigt und auseinander getrieben wurde. Doch nach und nach fanden sich die Schiffe wieder im Hafen von Korunna zusammen.

Am 20. Juli ging endlich die Armada wieder unter Segel und nahm ihre Richtung gerade nach England zu. Langsam, in Form eines Halbmondes, der einen Raum von sieben englischen Meilen einnahm, segelte sie in die unter dem Namen des Aermelmeeres ( la manche) bekannte Meerenge ein. Fast wäre die englische Flotte, welche ganz ruhig in dem Hafen von Plymouth vor Anker lag und den Feind sobald nicht erwartete, überrascht worden, wenn der Admiral nicht noch zu rechter Zeit von der französischen Küste her gewarnt worden wäre. Jetzt kam die Insel Wight (Ueiht) den Spaniern zu Gesicht und dies war der Ort, wo die königlichen Befehle entsiegelt und großer Kriegsrath gehalten werden sollte. Jenen Befehlen zufolge sollte nun der spanische Admiral seinen Lauf gerade nach der Meerenge von Kalais nehmen, nach Dünkirchen steuern, sich hier mit dem Herzoge von Parma vereinigen und dann mit vereinter Kraft auf England losgehen. Umsonst stellten viele spanische Heerführer dem Herzog von Sidonia vor, wie viel klüger es sei, sogleich den Angriff auf England zu beginnen; der Admiral wagte es nicht, von dem königlichen Befehle abzugehen, und steuerte daher in dichtgeschlossenen Reihen auf die Rhede von Dünkirchen.

 

3.

Die Engländer, welche von der Rhede von Plymouth aus die Bewegungen des Feindes beobachteten, wunderten sich nicht wenig, als sie die Spanier immer tiefer in den Kanal vorrücken sahen. Der englische Admiral bedachte sich nicht lange, sondern segelte frisch hinterdrein, um die spanischen Schiffe zu beunruhigen oder zu zerstören. Seine viel kleineren, aber gewandter segelnden Schiffe umzingelten jedes feindliche Kriegsschiff, das sich vereinzelte; mit einer Geschwindigkeit, welche die in der Steuermannskunst weniger erfahrenen Spanier in das höchste Erstaunen setzte, waren sie bald ganz nahe, bald wieder entfernt von der Armada, die gar sehr von den Verfolgungen litt und mit Mühe auf der Höhe von Kalais anlangte.

Von hier aus sendete der spanische Admiral dem Herzoge von Parma einen Eilboten zu, mit der dringenden Bitte, ihm seine Truppen zu senden, um die Landung zu bewirken. Allein dieser fand sich selbst in der größten Verlegenheit. Nachdem er mit unglaublicher Anstrengung seine Fahrzeuge in die niederländischen Häfen geschafft hatte, wurde er von der vereinigten Flotte von Holland und Seeland umzingelt und konnte sich nicht rühren. Die große spanische Flotte aber konnte sich weder der englischen noch der flandrischen Küste nähern, wegen der Untiefen und Sandbänke, die für große Schiffe sehr gefährlich waren. Auch mußten die Spanier beständig auf ihre eigene Vertheidigung bedacht sein, denn vom 30. Juli bis 12. August verging kein Tag, an welchem sie nicht von den Engländern beunruhigt wurden. Seitdem sich die Spanier von der Küste von Plymouth entfernt hatten, war eine so anhaltende furchtbare Kanonade, daß die Inseln und Küsten bis nach Frankreich hinein davon erdröhnten. Der hohe Bord der großen spanischen Schiffe machte es, daß ihre Kanonen über die niedrigen englischen Schiffe zumeist hinwegschossen, während jeder Schuß von den Engländern traf.

Um aus der Verlegenheit zu kommen, segelte der spanische Admiral gegen Dünkirchen und schien entschlossen, die feindlichen Flotten, welche diesen Hafen besetzt hielten, zu verjagen, auch wenn es ein Treffen kosten sollte. Kaum aber befand sich die Armada im Angesicht des Feindes, als eine Windstille die Bewegungen der drei Flotten gänzlich hemmte. Diese Stille dauerte den ganzen Tag und ließ dem englischen Admiral Zeit, über die Ereignisse, die sich vorbereiteten, nachzudenken. Nach kurzem Sinnen fiel er auf ein Mittel, wodurch er den Feind zu verwirren gedachte. Er ließ acht kleine Schiffe, welche nicht in dem besten Zustande waren, mit allerlei feuerfangenden Stoffen füllen und dieselben, sobald der Wind zu wehen begann, durch zwei Fahrzeuge von seiner Flotte mitten unter die Spanier führen. Die kühnen Seeleute, welche diese Fahrzeuge gelenkt hatten, steckten jene Schiffe in Brand und ruderten eiligst wieder davon. Dies geschah in einer finstern Nacht und die Dunkelheit machte den Anblick der brennenden Schiffe noch fürchterlicher. Die Spanier hielten dieselben mit Pulver angefüllt. Ein allgemeiner Schrecken ergriff sie. Jedes Geschwader, jedes einzelne Schiff dachte nur auf seine eigene Sicherheit und segelte fort, ohne sich um die übrigen zu kümmern. Einige nahmen sich die Zeit, die Anker zu lichten, andere aber hieben die Ankertaue ab und entfernten sich mit vollen Segeln. Viele wurden durch die Dunkelheit der Nacht verhindert, die gehörige Entfernung zu beobachten, stießen auf einander und beschädigten sich wechselsweise; noch andere, durch diese Stöße erschreckt, zerstreuten sich, geriethen auf Klippen oder mitten unter die Feinde.

Als der Tag nach dieser für die Spanier so verhängnißvollen Nacht anbrach, sah man ihre Schiffe nach allen Seiten zerstreut, mit Wind und Wellen kämpfend. Diesen Augenblick der Verwirrung benutzte der englische Admiral, um gemeinsam mit den Holländern den Feind anzugreifen. Es begann ein Kampf, welcher von 6 Uhr früh bis Abends 6 Uhr dauerte. Obschon einzelne Schiffe der Spanier, den alten Kriegsruhm ihrer Nation rechtfertigend, mit der größten Tapferkeit fochten, so blieben doch alle Vortheile entschieden auf Seite der Engländer, denn diese hatten schnellere Segler und kannten das Meer und die Küsten. Die Spanier verloren ein Schiff nach dem andern; der heftige Wind ließ es zu keinem Kampfe in geschlossenen Reihen kommen. Der Herzog von Sidonia gab das Signal zur Flucht; da aber ein starker Südwind wehte, welcher die Fahrt durch die Meerenge von Kalais nicht gestattete, so sahen sich die Spanier genöthigt, um Schottland und dessen nördliche Inseln herum nach ihrem Vaterlande zurückzusegeln.

Die Engländer folgten den flüchtigen Feinden in geschlossenen Reihen nach, da aber der Sturm immer heftiger wurde, ließ der Admiral seine Schiffe in den Häfen Sicherheit suchen, zufrieden mit den errungenen Lorbeeren. Die spanischen Schiffe aber wurden vom Sturme auf der hohen See umhergetrieben; viele stießen aufeinander, weil sie allzunah zusammen segelten, und versanken. Denjenigen, welche an die schottische Küste verschlagen wurden, versagte man die Einnahme von frischem Wasser, weshalb sie sich genöthigt sahen, die auf den Schiffen befindlichen Maulthiere über Bord zu werfen. Einige wurden ohne Masten an die Küste von Norwegen getrieben, wo sie scheiterten und Tausende von Menschen ihr Grab in den Wellen fanden; andere wurden in den Kanal zurückgeworfen und fielen in die Gewalt der Engländer und Holländer. So kamen nur armselige Trümmer der unüberwindlichen, glücklichen Armada in die spanischen Häfen zurück. Doch hörte selbst hier das feindliche Geschick, welches von ihrem Auslaufen an gewaltet hatte, nicht auf, sie zu verfolgen. Zwei große Galeeren, welche den Angriffen der Feinde und der Wuth der Stürme glücklich entronnen waren, geriethen in dem Hafen, worin sie vor Anker lagen, durch einen Zufall in Brand und wurden von den Flammen verzehrt.

Viele Personen vom vornehmsten Adel und aus den höheren Ständen, welche den Zug mitgemacht hatten, wurden theils auf der See, theils nach der Rückkehr ein Opfer des allgemeinen Elends. An Ueberfluß und Bequemlichkeit gewöhnt, überstiegen die Beschwerden und das Ungemach, welches sie erdulden mußten, ihre Kräfte. Es gab kaum eine Familie in Spanien, die nicht den Tod eines Bruders, Vaters, Sohnes, Gatten oder Verwandten zu beklagen hatte, und der Trauerkleider gab es am Hofe Philipp's II. so viele, daß sich dieser Monarch bewogen fand, ausdrücklich die Verkürzung der Trauerzeit anzuempfehlen, um nur nicht immer an den schweren Verlust erinnert zu werden, den er erlitten hatte.

Als der Herzog von Medina-Sidonia vor dem Könige erschien, fiel er ihm zu Füßen, denn er fürchtete mit Recht für sein Leben; doch wider Erwarten sagte Philipp ganz ruhig: »Stehen Sie auf! Ich habe Sie zum Kampfe gegen Menschen, nicht aber gegen Sturm und Klippen gesandt.«

 


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