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Sechster Abschnitt.
Unumschränkte Könige.

I. Ludwig XIV. (1643-1715).

 

1. Frankreich und Deutschland.

Die traurigen Folgen des dreißigjährigen Krieges, der die Kraft des deutschen Reiches in seiner Wurzel gelähmt hatte, zeigten sich auf erschreckende Weise, als in Frankreich ein Alleinherrscher den Thron bestieg, der, eben so herrschsüchtig als stolz, es darauf anlegte, alle Nachbarmächte zu demüthigen und von Frankreich abhängig zu machen. Ludwig wurde schon als sechsjähriges Kind zum Könige von Frankreich gekrönt, seine Mutter aber führte bis zu seiner Großjährigkeit die Regentschaft. Schon in seinem vierzehnten Jahre erklärte sich Ludwig im Parlament für mündig und selbstregierend und begann nun eine Regierung, die allerdings zu den glänzendsten gehört in der ganzen französischen Geschichte, die aber auch das arme Volk von Grund aus ruinirte. Denn es begannen nun Kriege auf Kriege, welche die besten Kräfte des durch Handel und Gewerbfleiß so blühenden Frankreichs aufzehrten.

Durch die Minister Richelieu und Mazarin war die Selbstständigkeit des Adels gebrochen; die Parlamente, welche die Steuern ausschrieben und bewilligten, mußten thun, was der König wollte. Einst, da sich noch einmal die Parlamentsräthe ermannten, den übertriebenen Forderungen der Krone zu widersprechen, ritt der junge Ludwig, der in St. Germain eben zur Jagd sich anschickte, spornstreichs nach Paris, trat im Jagdkleide und mit der Reitpeitsche in der Hand in die Versammlung und donnerte die Herren Abgeordneten so an, daß sie demüthig Alles bewilligten, was man verlangte. Der Wille des Einzigen war das Gesetz für Alle; als man bei dem König einst von der Rücksicht auf den Staat sprach, antwortete er rasch: » Der Staat – das bin ich!« Kein Wunder, wenn Ludwig so große Macht bekam, daß Kaiser und Könige sich vor ihm beugten, denn es kostete ihm nur ein Wort und ganze Heere standen ihm zu Befehl.

Ganz anders war es in Deutschland, diesem Rumpfe mit hundert Köpfen, wo jeder kleine Fürst und Herzog einen König vorstellen, Niemand dem Kaiser folgen und für das Reich etwas thun wollte. Selbst einige reiche Fabrik- und Handelsstädte versuchten es, sich zu der Unabhängigkeit der alten Reichsstädte zu erheben. Münster, Erfurt, Braunschweig und Magdeburg waren es namentlich, die sich weigerten, den Fürsten, in deren Gebiet sie lagen, Abgaben zu entrichten und Besatzungen von ihnen einzunehmen. Mit bewaffneter Hand mußten sie erst dazu gezwungen werden. Des Kaisers vornehmster Rathgeber, Fürst von Lobkowitz, stand in französischem Solde, und die drei geistlichen Kurfürsten von Köln, Mainz und Trier wollten sogar dem König Ludwig ihre Stimme geben, daß dieser zum Kaiser von Deutschland erwählt würde. Die Protestanten widersprachen aber dem kräftig und blieben dem Hause Oesterreich treu.

 

2. Der Kurfürst von Brandenburg gegen Ludwig.

Ludwig XIV. hatte im Jahre 1672 auf höchst ungerechte Weise die vereinigten Niederlande angegriffen, und die deutschen Fürsten am Rhein waren verblendet genug, ihm ihre Hülfe zu leihen. Die armen Niederländer kamen in die größte Gefahr, von der französischen Uebermacht überwältigt zu werden, und riefen vergebens ihre Nachbarn um Hülfe an. Nur der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, für seine westphälischen Länder fürchtend, wagte es, mit der Aussicht auf gute Hülfsgelder, die ihm die Holländer versprochen hatten, nicht blos mit seinem ganzen Heere aufzubrechen, sondern auch den Kaiser zum Beitritt zu bewegen. Aber wie bitter mußte er das bereuen! Er wußte nicht, daß des Kaisers Minister, Fürst von Lobkowitz, in französischem Solde stand, und dem General Montecuculi, der wirklich mit 17,000 Mann kaiserlicher Truppen abging, geheimen Befehl ertheilt hatte, sich mit den Franzosen durchaus in kein Gefecht einzulassen. Voll froher Hoffnung, mit deutscher Tapferkeit den französischen Räubereien in Holland ein Ende zu machen, vereinigte er sich mit dem österreichischen Feldherrn zu Halberstadt und drang darauf gerade nach Westphalen, dem dort plündernden Türenne die Spitze zu bieten. Aber Montecuculi bewies dem Kurfürsten mit mancherlei Gründen, wie weit vortheilhafter es wäre, sich nach der Mosel zu wenden, um dort den Franzosen alle Zufuhr abzuschneiden, und sich mit den Holländern im Lüttich'schen zu vereinigen, wodurch die Franzosen genöthigt würden, Westphalen und die Niederlande von selbst zu verlassen. Friedrich Wilhelm wich bescheiden der Autorität des größeren Kriegshelden und folgte ihm unverdrossen auf einem weiten Umwege durch das Hessische und über Koblenz, und da Trier, Mainz und die Pfalz aus Furcht vor den Franzosen den Durchmarsch nicht gestatten wollten, noch weiter herunter. Als man endlich über den Rhein hätte setzen können, weigerte Montecuculi sich dessen schlechterdings unter dem Vorwand, daß man nun den Generalen Türenne und Condé nicht mehr gewachsen sei. Das durch so viel nutzlose Märsche sehr entkräftete Heer zog hierauf wieder zurück nach Hessen und den Westerwald nach Westphalen in die Winterquartiere, aus denen aber der Hunger und die feindlichen Angriffe des Bischofs von Münster, der es mit den Franzosen hielt, es bald über die Weser zurücktrieben. So ward ein schönes Heer, das einen ganzen Sommer und Herbst vergebens herumgeführt war, durch die Treulosigkeit eines einzigen Verräthers zu Grunde gerichtet!

Der Kurfürst, schändlich betrogen, hatte nicht nur ein Heer eingebüßt, sondern erhielt auch nun die versprochenen Hülfsgelder von Holland nicht, ja er mußte es geschehen lassen, daß die Franzosen seine westphälischen Länder nicht blos barbarisch ausplünderten, sondern ihm auch die Festungen Wesel und Rees Wegnahmen. Mit schweren Opfern mußte er den Frieden (zu Vossem unweit Löwen 1673) von den Franzosen erkaufen.

 

3. Eroberungskrieg gegen Deutschland.

Ludwig XIV. hatte dieser deutschen Uneinigkeit lachend zugesehen und erlaubte sich jetzt die übermüthigsten Neckereien. Deutsche Kaufmannsgüter auf dem Rhein wurden ohne Umstände weggenommen, die Rheinbrücke bei Straßburg wurde abgebrannt, das Trier'sche und Kölnische auf wiederholten Durchzügen schrecklich verwüstet, und zehn Reichsstädte im Elsaß, die das Reich im westphälischen Frieden sich ausdrücklich vorbehalten hatte, wurden ohne Umstände unter französische Botmäßigkeit gebracht. Und das Alles geschah mitten im Frieden. Aber Ludwig wollte mit Fleiß den Kaiser Leopold reizen, um noch ganz Lothringen an sich reißen zu können und wieder einen Frieden wie den westphälischen zu schließen.

Was Ludwig XIV. durch seine Schikanen beabsichtigt hatte, geschah. Der Kaiser konnte nicht länger mit Ehren schweigen, und nach vielen vergeblichen Beschwerden erfolgte 1673 die Kriegserklärung. Im August brach Montecuculi mit 33,000 Mann aus der Oberpfalz nach dem Main auf. Türenne kam ihm schon entgegen, denn es verstand sich, daß das arme Deutschland wie immer der Schauplatz der Verheerung sein mußte. Bei Ochsenfurt in Franken trafen die Heere zusammen, und es gelang dem österreichischen Feldherrn, die Franzosen so in die Enge zu treiben, daß er leicht das ganze feindliche Heer hätte aufreiben können, wenn – er nicht von dem verräterischen Lobkowitz geheimen Befehl gehabt hätte, durchaus kein Treffen zu liefern. Türenne entkam glücklich nach Philippsburg und hinterließ auf seinem Zuge durch die Pfalz die gräßlichsten Spuren französischer Kriegswuth. Nachdem er seinen Vortheil ersehen – denn er war ein trefflicher Kriegskünstler – schlug er die Deutschen bei Holzheim. Das schöne Rheinland mußte die Uneinigkeit des Reiches hart büßen. Auf des französischen Kriegsministers Louvois Befehl wurden in der Pfalz Städte und Dörfer bis auf den Grund niedergebrannt, die Menschen wie das liebe Vieh fortgetrieben, und der ganze Grenzstrich zwischen Deutschland und Frankreich zur Wüste gemacht.

Friedrich Wilhelm war schon mit 20,000 Mann unterwegs gewesen, um den Oesterreichern zu Hülfe zu eilen, aber diese hatten die Ehre des Sieges allein haben wollen und voreilig losgeschlagen.

 

4. Der große Kurfürst bei Fehrbellin (1675).

Auch dies Mal sollte der große Kurfürst für seinen Patriotismus am schwersten büßen. Ludwig XIV. trat mit den Schweden in ein Bündniß und bewog sie, über die Grenze zu setzen und dem Kurfürsten in's Land zu fallen. Im Dezember 1674, während dieser mit seinem Heere in Franken lag, rückten die Schweden unter dem Feldmarschall Wrangel in Pommern ein und in die Mark Brandenburg, und erpreßten die größten Kriegssteuern in beiden Provinzen. Ludwig triumphirte; er glaubte nun das herrlichste Mittel gefunden zu haben, das Reichsheer zu trennen. Allein er irrte sich. Friedrich Wilhelm schrieb seinem Statthalter in der Mark, die Schweden würden ihn durch ihren Einbruch nicht zur Untreue gegen seine Bundesgenossen reizen; er bedauerte das Schicksal seiner Unterthanen, indessen möchten sie geduldig ausharren, bis er ihnen mit seiner ganzen Macht zu Hülfe kommen könnte. Er reiste hierauf mitten im Winter selbst nach dem Haag, um sich mit den Niederländern zu verständigen, versuchte auch die Höfe von Wien und Kopenhagen zum Kampf gegen Schweden zu bewegen; aber beide versagten ihm ihre Hülfe. Auch auf dem Reichstage zu Regensburg bemühte er sich vergebens um einen Bundesgenossen. So mußte er sich also selber genug sein. Mit seinen in den Winterquartieren wohl ausgeruhten Brandenburgern brach er zu Anfang des Junius 1675 plötzlich auf, eilte mit schnellen Märschen nach Magdeburg, ging bei Nacht über die Elbe und stand vor Rathenow, da man ihn noch tief in Franken glaubte. Schrecklich war die Ueberraschung der in Rathenow befindlichen Schweden, als sie plötzlich von allen Seiten sich angegriffen sahen. Die meisten wurden niedergehauen, die andern wollten nach Havelberg flüchten, wo Wrangel's Hauptquartier war. Auch die in Brandenburg und der Umgegend liegenden Schweden brachen dahin auf, aber der Kurfürst ließ ihnen durch vorangeschickte Reiter alle Brücken abbrechen. Der Prinz von Hessen-Homburg sollte mit 1600 Reitern den 7800 Mann starken Feind zum Stehen bringen, aber nicht eher losschlagen, bis der Kurfürst selber nachgekommen sei. Bei Fehrbellin machen die Schweden Halt und nehmen eine gute Stellung ein. Prinz Homburg, von seinem Muthe verleitet, greift an, wird aber bald gänzlich umzingelt. Der Kurfürst hat sein Fußvolk dahinten lassen müssen und ist noch eine Meile entfernt. Nun geht Alles im Sturmschritt vor, fast eine Meile im vollen Lauf. Schnell übersieht der Kurfürst die Stellung, postirt auf einem noch unbesetzten Hügel sein Geschütz und dieses donnert in den Feind. Der Kurfürst macht dem Prinzen Luft, kommt aber unter das Geschütz seiner eigenen Kanonen. Die Kugeln schlagen dicht um ihn her ein, man zielt auf ihn und seinen weißen Schimmel. Da bietet ihm sein Stallmeister Frobenius sein eigenes Pferd, und wenige Augenblicke, nachdem er selbst das fürstliche Pferd bestiegen, sinkt er, von einer schwedischen Stückkugel getroffen, todt herab. Die Schweden dringen wüthend gegen den Hügel und das Brandenburger Geschütz, schon schwanken einige Schaaren, als der Kurfürst herbeieilt, sich selbst an die Spitze etlicher Schwadronen stellt, die keine Offiziere mehr haben. »Muth!« ruft er, »ich, euer Fürst, nun euer Hauptmann, will siegen oder ritterlich mit euch sterben!« Da werfen die kräftigen brandenburgischen Arme die Feinde auf allen Seiten und Wrangel nimmt seinen Rückzug nach Fehrbellin. Alles Geschütz und Gepäck wird eine Beute der Sieger.

Es war eine denkwürdige Schlacht; die erste, welche die Brandenburger allein und über einen Feind gewannen, der seither noch im Glauben der Unbesiegbarkeit stand. Selbst Montecuculi ließ zu Ehren des Sieges dreimal feuern. Von der Beute gab der Kurfürst 2000 Wagen und unzählig Vieh dem schwer mitgenommenen Landvolk. In Berlin mit Jubel empfangen, hielt Friedrich Wilhelm vor Allem einen Dankgottesdienst, wozu er den Text angab Jerem. XX, 11: »Der Herr ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen!« Den Glückwünschenden sagte er: »Es ist Gottes Wille, der hat es gethan!«

 

5. Die Rëunion Ludwig's.

Dem tapferen Kurfürsten hatte indeß seine Tapferkeit zunächst nicht viel geholfen, denn als es zum Frieden von Nimwegen kam, mußte der Kaiser den Schweden Alles lassen, die Franche-Komté (Freigrafschaft Burgund), die früher als kaiserliches Lehen zu Deutschland gehört hatte, wurde Frankreich einverleibt, auch die Festung Freiburg ihm abgetreten. Die deutschen Fürsten wurden gar nicht gefragt und Friedrich Wilhelm allein konnte nicht mehr widerstreben; er mußte das kaum eroberte Schwedisch-Pommern wieder herausgeben.

Mit den eroberten deutschen Länderstrecken waren die Franzosen noch lüsterner geworden, es schmeckte nach Mehr. Ludwig versuchte seine Eroberungen im Frieden fortzusetzen und ein Parlamentsrath zu Metz, Roland de Ravaúlx, gab ein Mittel an, wie der große König mit Ehren zum Besitz des ganzen linken Rheinufers, ja aller Ufer in der Welt gelangen könne. Er stellte nämlich dem Kriegsminister Louvois vor, welchen Gebrauch man von dem in den letzten Friedensverträgen vorkommenden Ausdruck: Die und die Städte sollten an Frankreich » mit allen ihren Dependenzen« abgetreten werden – machen könnte. Man dürfe nämlich nur in der Geschichte nachschauen, welche Länder, Städte und Dörfer ehemals zu dem und dem Gebiete gehört hätten, so würde man sicher finden, daß immer eins mit dem andern zusammengehangen habe. Louvois hielt auf den ersten Anblick der Sache den Menschen für unklug; indessen je mehr er den Vorschlag überlegte, desto sinnreicher erschien er ihm, als er bedachte, daß man dem zerrissenen Deutschland alle Schmach ungestraft anthun könnte. So legte er denn dem Könige den Vorschlag vor, dem es ganz recht war, das ganze linke Rheinufer ohne Schwertstreich zu erlangen.

Die Sache ward in bester Form Rechtens eingeleitet. Vier »ehrwürdige« Gerichtshöfe wurden eingesetzt zu Metz und Besançon, dann zu Dornick und Breisach unter dem Namen der »Rëunionskammern« (1680) und diese untersuchten nun, was zu den im westphälischen und nimwegener Frieden den Franzosen abgetretenen Ländertheilen irgend einmal gehört hatte, mithin setzt damit rëunirt, d. i. wieder vereinigt werden müsse. Man kann denken, was diese Herren jetzt für Entdeckungen in der Geschichte machten; sie sprachen gegen 600 Städte, Dörfer und Schlösser ihrem Könige zu. Dieser ließ sogleich die Besitzer vorladen, um dem neuen Oberfeldherrn den Huldigungseid zu leisten, und als sie nicht erschienen, wurden sie ihres Eigenthums verlustig erklärt. Umsonst schrie Alles laut auf. Ludwig war Ankläger, Zeuge, Richter, Vollstrecker – Alles in einer Person; ja der freche Louvois bewies die Gerechtigkeit des Raubes damit, daß man ja Gerichtshöfe dafür niedergesetzt habe: Die Verletzten klagten beim deutschen Reichstag; aber dieser hatte über rothe und grüne Sessionsstühle und über die Rechtschreibung des Namens Kurfürst sich zu streiten. Endlich vereinigte man sich zu einer Zusammenkunft in Frankfurt, wohin auch Ludwig Gesandte zu schicken versprach. Während aber dort die deutschen Abgeordneten stritten, wie man nach Rang und Würde sitzen sollte, nahm Ludwig Straßburg und Casale, die Schlüssel zu Deutschland und Italien, ließ in Straßburg die Bürger sogleich entwaffnen, den Dom den Katholiken übergeben und die Stadt stark befestigen. Bischof Fürstenberg empfing den König im Dom mit den Worten: »Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben den Heiland gesehen!« So ward die Stadt schmählich dem deutschen Reich entrissen, von welcher Karl V. zu sagen pflegte: »Wenn der Türke vor Wien und der Franzose vor Straßburg stände, würde ich erst dem bedrohten Straßburg beispringen!«

 

6. Die Belagerung Wien's durch die Türken (1683).

Bald sollte auch, so hatte Ludwig gehofft, der andere Schlüssel zum deutschen Reiche, das Bollwerk im Osten – die kaiserliche Residenzstadt Wien –, fallen. Ludwig, der in seinen Anschlägen zu Deutschlands Verderben unermüdlich war, hatte die Türken zum Angriff gegen Kaiser Leopold aufgehetzt. Von Anfang und von Niedergang wollte er zu gleicher Zeit, hier durch seine eigenen Waffen, dort durch die des Erbfeindes der Christenheit, Deutschland zermalmen, er, welcher wie zum Spott den Titel »allerchristlichster König« trug. Sein tieferer Plan war, dann plötzlich im vollen Glanze seiner Macht aufzutreten und seinen Sohn zum deutschen Kaiser krönen zu lassen. Deshalb lagen seine Gesandten in Konstantinopel dem Sultan Muhamed II. immerfort an, den Kaiser mit Krieg zu überziehen; des Kaisers eigene Schuld aber öffnete dem Verderben Thor und Thür.

Dies kam also: Leopold hatte der jesuitischen Partei volle Gewalt gegeben, den evangelischen Glauben in dem freiheitsstolzen Ungarn auszurotten und Alle, welche dort an jenem Glauben hielten, sollten auf alle erdenkliche Weise bedrückt und zum Katholizismus zurückgebracht werden. Deutsche Truppen wurden in's Land gelegt, um jede Empörung niederzuhalten; aber die Ungarn erhoben sich für ihre gerechte Sache und ein kühner Mann, Emmerich Tököly, trat an ihre Spitze, um Gewalt durch Gewalt zu vertreiben. Bald stand ganz Ungarn in Aufruhr und Ludwig schürte denselben schadenfroh durch seine Gesandten. Tököly aber warf sich den Türken in die Arme, um sich die ungarische Königskrone als türkischer Vasall auf's Haupt setzen zu können. Da führte der Großwessier Kara Mustapha im Jahre 1683 ein Heer von 200,000 Türken durch Ungarn gerade gegen Wien und dachte für gewiß, es zu erobern und zu seiner Hauptstadt zu machen. Der Hof floh über Hals und Kopf nach Linz, verfolgt von den lauten Verwünschungen der Unterthanen, die mit Recht alles Unheil der schlechten Regierung und der Schwäche des Kaisers zuschrieben. Auch viele Einwohner Wiens suchten ihr Heil in der Flucht.

Doch die deutsche Treue und der ritterliche Sinn des trefflichen Polenkönigs Sobiesky machten Alles wieder gut. Der fränkische und schwäbische Kreis und die Kurfürsten von Baiern und Sachsen hatten dem Kaiser Hülfstruppen gesandt; Johann Georg III., der sächsische Kurfürst, war sogar persönlich mit in's Feld gerückt. Und was guten Erfolg verhieß, der Oberbefehl über die verbündeten deutschen Truppen lag in den Händen des Herzogs Karl von Lothringen, eines der größten Feldherrn seiner Zeit. Bevor aber dieser alle seine Truppen beisammen hatte und stark genug war, um es mit dem gewaltigen Feinde aufnehmen zu können, hatte Kara Mustapha längst die Hauptstadt Wien eingeschlossen und belagerte sie mit allem Ingrimm und aller Wuth. Die Wälle und Mauern der Stadt hielten schlechten Stand. Die Türken drangen mit Laufgräben und Minen immer näher heran. Was von der Bürgerschaft die Waffen tragen konnte, bewaffnete sich, mit Einschluß der Bürgerwehr war die Besatzung 22,000 Mann stark. Angeführt von dem heldenmüthigen Grafen Rüdiger von Starhemberg, kämpften sie wie die Löwen, das Blut floß in Strömen, denn Kara Mustapha führte immer neue Schaaren in's Treffen; er hatte bei dem Propheten geschworen, die Stadt dem Erdboden gleich zu machen. Unablässig donnerten die türkischen Kanonen, die Straßen Wiens waren mit Leichen und halbverhungerten Menschen erfüllt; es ward am 10. September durch eine Mine die Burgbastei in die Luft gesprengt und der wackere Starhemberg eilte auf den Stephansthurm, um als Zeichen der äußersten Noth eine Rakete steigen zu lassen. Da sehen die Wiener auf der Spitze des Leopoldberges eine rothe Fahne flattern, es steigen Raketen auf und die Rettung ist nahe!

Das verbündete Heer zieht von der Höhe des Kalenberges herab Johann Sobiesky, der König von Polen, ist mit 12,000 Reitern und 3000 Fußgängern im Heere des Herzogs von Lothringen erschienen und dieser rückt nun zum Entsatze heran. Fünf Kanonenschüsse geben das Zeichen zur Schlacht. Jeder Hohlweg, jeder Schutthaufen wird von den Türken mit aller Todesverachtung vertheidigt; die Polen auf dem linken Flügel, Herzog Karl auf dem rechten, drängen unaufhaltsam vor, die von neuem begeisterten Muth ergriffenen Wiener brechen aus ihren Mauern hervor; – aber noch immer schwankt der Sieg, denn Kara Mustapha wüthet wie ein Verzweifelter, daß ihm die sichere Beute entrissen werden soll, er läßt in seine eigenen weichenden Schaaren einhauen, zugleich aber auch von den gefangenen Christen, die als Sklaven fortgeführt werden sollten, 30,000 niedermetzeln. Aber der christlichen Tapferkeit vermögen die Moslems nicht zu widerstehen, um 6 Uhr Abends ist der Sieg entschieden, die Türken stürzen in wilder Flucht davon, nach Raab zu, ihr ganzes Lager mit allen seinen Schätzen den Siegern überlassend. Dreihundertsiebenzig Kanonen, die Kriegskasse mit mehr als zwei Millionen Thalern und das prächtige Zelt des Großwessiers, allein zu 400,000 Thaler geschätzt, fällt den frohlockenden Siegern in die Hände.

Innige Gebete des Dankes sendet das erlöste Volk zum Himmel. Die Namen Johann Sobiesky, Karl von Lothringen und Rüdiger von Starhemberg sind in Aller Munde und sie leben noch fort in der dankbaren Nachwelt. Nach zwei Tagen kam der Kaiser Leopold von Linz zurück, aber das Volk schauete nicht auf ihn, sondern auf den edlen Sobiesky von Polen. – Die Nachricht von dem Entsatze Wiens war Ludwig XIV. so empfindlich, daß er sich drei Tage lang eingeschlossen haben soll. Er hatte die Türken mit Geld, mit Offizieren, Ingenieurs unterstützt, ihnen auch einen Belagerungsplan für Wien ausarbeiten lassen und so sicher auf die Eroberung der Hauptstadt gerechnet, daß er schon der Zeit entgegen sah, in welcher das geängstigte Deutschland seine Hände nach ihm ausstreckte. Dann wollte er Vermittler sein und so seinem Sohne den Weg zu der langersehnten Kaiserkrone bahnen. Alle diese glänzenden Aussichten waren nun mit einem Male zerstört.

 

7. Prinz Eugen, der tapfere Ritter.

Wiederum hatte Ludwig XIV. seine Raubkriege begonnen, von den Niederlanden und dem deutschen Reiche Länderstücke abgerissen, die Rheinprovinzen schrecklich verwüstet; die französische Habgier hatte sogar der Todten nicht geschont und mehrere silberne Särge aus dem Dome zu Speier geraubt. Gegen das verbündete Holland, England, Spanien und Oesterreich hatten Ludwig's Feldherren Siege auf Siege erfochten. Da, als Ludwig's Größe und Stolz auf dem Gipfel stand, war auch sein Fall am nächsten. Ein Franzose von Geburt sollte die Unbill, welche Kaiser und Reich von dem französischen Tyrannen erlitten hatten, rächen.

Eugen war der jüngste von fünf Söhnen des Eugen Moritz, Titulargrafen von Soissons, aus einer Seitenlinie der Herzöge von Savoyen, und wurde 1663 zu Paris geboren. Wegen seines schwächlichen Körpers ward der Kleine zum geistlichen Stande bestimmt, lernte auch früh mit großem Eifer Griechisch und Latein, und Ludwig XIV., der ihn zuweilen sah, nannte ihn scherzweis nur das »Aebtchen.« Aber den Jüngling ekelte die Theologie an und von allen Büchern, die in seine Hände kamen, las er keine lieber, als die alten Geschichtsschreiber, besonders solche, welche die Kriegsthaten großer Helden beschrieben. Da sein Vater früh starb, wurde seine Mutter genöthigt, den Hof zu verlassen und in den Niederlanden ihren Wittwensitz aufzuschlagen. Ihre älteren Söhne hatten bereits Regimenter; auch Eugen erbat sich eins, aber der König, der ihn wegen seiner Kleinheit verachtete, fand den Einfall wunderlich und ließ ihm sagen, er möchte nur Geistlicher werden.

Eugen war im zwanzigsten Jahr, als die Nachricht von dem neu ausgebrochenen Türkenkriege erscholl. Mehrere mißvergnügte Offiziere benutzten diese Gelegenheit, in österreichische Dienste zu treten, um gegen die Ungläubigen zu kämpfen; Kaiser Leopold empfing sie mit Freuden. Der junge Eugen kämpfte so wacker bei dem Entsatz durch Sobiesky, daß ihn der Kaiser mit einem Dragonerregimente belohnte. Doch veranlaßte seine schwächliche Figur und sein grauer Mantel, in dem er öfters auszureiten pflegte, die kaiserlichen Soldaten noch lange zu dem Scherze, der kleine Kapuziner werde wohl nicht vielen Türken den Bart ausraufen.

Aber der Held wußte sich bald mehr Ansehen zu verschaffen. In den Türkenkriegen, die er mitmachte, ging er dem kriegserfahrenen Prinzen Ludwig von Baden und dem noch berühmteren Herzog von Lothringen (Karl V.) nicht von der Seite, beobachtete alle ihre Pläne und richtete ihre schwierigsten Aufträge aus, so daß Herzog Karl, als er mit ihm nach Wien zurückkehrte, ihn dem Kaiser mit den Worten vorstellte: »In diesem jungen Helden blüht der erste Feldherr seines Jahrhunderts auf.« Und dieses Wort ging in Erfüllung. In wenigen Jahren hatte sich Eugen bis zum Generalfeldmarschall emporgeschwungen und die besten Feldherren Ludwig's XIV. aus dem Felde geschlagen, so daß sich der stolze König alle Mühe gab, den so gefährlichen Feind wieder auszusöhnen. Er ließ ihm die Statthalterschaft der Champagne, die Würde eines Marschalls von Frankreich und eine jährliche Pension von 2000 Louisd'or anbieten. Aber der Prinz betrachtete mit Recht das Land, das ihn so liebreich ausgenommen, als sein wahres Vaterland und sagte dem französischen Gesandten: »Antworten Sie Ihrem Könige, daß ich kaiserlicher Feldmarschall bin, welches eben so viel Werth ist, als der französische Marschallstab. Geld brauche ich nicht. So lange ich meinem Herrn redlich diene, werde ich dessen genug haben.« Und mit dankbarer Liebe ist der große Mann dem österreichischen Kaiserhause treu geblieben bis an seinen Tod.

Das Aeußere des Helden fiel nicht sehr in's Auge; doch gewann sein kleiner, leichter und sehr gewandter Körper durch die Strapazen des Krieges bald eine gewisse Festigkeit und die bleiche Farbe seines länglichen Gesichts verwandelte sich in eine männliche Bräune. Er hielt den Körper sehr gerade und faßte Jeden, der mit ihm redete, scharf in's Auge. Seine Stimme war beim Kommandiren stark und vernehmlich, außerdem sprach er für einen Franzosen sehr bedächtig und langsam. Die Nase war lang, die Augen schwarz und feurig. Die Nase stopfte er beständig mit spanischem Tabak voll – wie Friedrich der Große – daher er den Mund beständig offen hielt. Sein schwarzes Haar ergraute früh und machte darauf einer gewaltigen Wollenperrücke, nach damaliger Mode, Platz.

Bei aller Größe war Eugen die Bescheidenheit und Leutseligkeit selber, jedes fremde Verdienst willig anerkennend. Seine Aufmerksamkeit erstreckte sich auf die kleinsten Dinge, und seine Offiziere fürchteten eben so sehr seinen Falkenblick, als sein ungeheures Gedächtniß. Mitten in der Verwirrung der Schlacht blieb er besonnen und ruhig; Furcht war ihm ganz fremd. Thätigkeit war sein Element; in den Jahren der Kraft brauchte er nur drei Stunden zum Schlaf. Seine Erholung fand er in dem Studium der Mathematik und der Geschichte, auch wohl der Philosophie. Noch in seinem Alter wußte er aus den alten Geschichtsschreibern ganze Seiten auswendig. Alle Dispositionen zu Angriffen und Belagerungen entwarf er mit eigener Hand; er sann sogar zum Vergnügen auf mögliche Fälle und überlegte, was in jedem derselben zu thun sein würde. Die Soldaten liebten und bewunderten ihn. Er war aber auch so behutsam in der Schonung seiner Leute, daß er ohne Noth nicht Einen opferte. Die Verpflegung des Heeres, besonders in den Winterquartieren, lag ihm über Alles am Herzen, und wenn Mangel eintrat, schoß er lieber von seinem Gelde vor, ehe er es am Zahlungstage fehlen ließ. Dafür verlangte er aber auch Pünktlichkeit im Dienst und strengen Gehorsam. Ausreißer schoß er oft mit eigener Hand im Fliehen nieder.

Der Hofkriegsrath in Wien, welcher jeden Schritt der Feldherren nach langweiligen Beobachtungen vorschrieb, lähmte oft die besten Kriegsoperationen. So wollte er auch den Prinzen Eugen nichts unternehmen lassen, als sich die Türken über die Theiß nach Zentha zurückzogen. Aber Eugen paßte seine Gelegenheit ab, und unbekümmert um den Wiener Hofkriegsrath drang er auf die türkische Armee ein, als diese eben über den Fluß ging (1697, 11. Sept.), und erfocht einen so herrlichen. Sieg, daß die Türken 30,000 Mann an Todten und 6000 Mann Gefangene verloren. Die Schlacht endete mit dem Tage, »als ob – wie Eugen in seinem Berichte nach Wien sagte – die Sonne gezögert hätte, um mit ihren letzten Strahlen den herrlichsten Sieg kaiserlicher Waffen zu beleuchten.« Als die Schlacht schon begonnen hatte, kam ein Bote vom Hofkriegsrathe mit dem Befehl, keine Schlacht zu liefern. Eugen aber ließ den Boten warten, ohne die Depeschen zu lesen, und schlug wacker los, bis der Sieg errungen war. In Wien wollte man ihm dafür an's Leben, aber der Kaiser Leopold sprach: »Dafür bewahre mich Gott, den Mann zu strafen, durch den mir Gott so viel Gutes erwiesen hat.«

 

8. Der spanische Erbfolgekrieg.

Am 1. November des Jahres 1700 war König Karl II. von Spanien gestorben, der letzte vom Mannesstamm der Habsburger in spanischer Linie, und nun hatte die habsburgisch-österreichische Linie die nächsten Ansprüche auf den Thron. Aber auch Ludwig XIV. machte Ansprüche auf die große Monarchie, zu der noch Neapel und Mailand, Sicilien und die Niederlande gehörten. Ludwig war nämlich mit der ältesten Tochter Karl's II. vermählt, aber die spanische Prinzessin hatte feierlich auf jeden Anspruch verzichten müssen. Auch der Kurfürst von Baiern, Maximilian Emanuel, machte Rechte geltend, denn er war gleichfalls mit dem spanischen Königshause verwandt. König Ludwig, um die Eifersucht der übrigen Mächte nicht zu reizen, verlangte blos für seinen zweiten Enkel Philipp von Anjou die spanische Krone; sobald der König Karl gestorben war, rief er: »Nun giebt es für Frankreich keine Pyrenäen mehr!« und schickte sogleich ein Heer nach Spanien, das die Anerkennung erzwang. Der französische Prinz zog als König Philipp V. feierlich in Madrid ein.

Kaiser Leopold konnte dem nicht ruhig zuschauen und erklärte an Frankreich den Krieg. Er fand Bundesgenossen an dem neuen Könige Friedrich I. von Preußen, der 10,000 seiner Brandenburger sandte, an den Seemächten England und Holland, die ihrer eigenen Sicherheit wegen die Uebermacht der Franzosen nicht zulassen konnten, und später traten noch Portugal und Savoyen dem Bunde bei. Was aber noch mehr Werth war, als zwei große Armeen, das waren die beiden großen Feldherren, die jetzt den Oberbefehl erhielten, Prinz Eugen, der Sieger von Zentha, und der britische Held Herzog Marlborough. Aber auch Ludwig fand Bundesgenossen. Zwei deutsche Fürsten, der Kurfürst Maximilian von Baiern, dem die Niederlande von den Franzosen zugesichert wurden, und dessen Bruder, der Kurfürst von Köln, traten auf Ludwig's Seite, wurden aber dafür vom Kaiser mit der Reichsacht belegt. So brach nun ein blutiger Krieg aus, der bis zum Jahre 1714 zu Wasser und zu Lande geführt wurde.

Eugen eröffnete den Feldzug im März des Jahres 1701, indem er mit einem 30,000 Mann starken Heere nach Italien aufbrach, wo der tapfere französische Feldherr Catinat sich festgesetzt hatte. Freudig und vertrauensvoll folgten dem Prinzen Oesterreicher und Preußen bis auf die Gipfel der Alpen. Aber hier boten sich seiner Kühnheit die ersten Schwierigkeiten dar. Alle Pässe waren bereits von den Franzosen besetzt und Catinat hielt es für eine baare Unmöglichkeit, daß Eugen, wofern er keine Flügel hätte, über das Gebirge zu dringen vermöchte. Allein diesem zweiten Hannibal war kein Gebirge unübersteiglich. Ein steiler Berg verschloß einen Ausweg, an den kein Franzose gedacht hatte. Eugen bewaffnete einige Regimenter mit Hacken, Bohrern, Pulver; Gemeine und Offiziere begannen zu arbeiten, und in wenigen Tagen war ein Weg von sechs Meilen in der Länge und 9 Fuß in der Breite durch die Felsen gebrochen. Auf diesem wurden die auseinander genommenen Wagen und Kanonen hinaufgebracht, dann mit Seilen, Winden, Flaschenzügen in die Tiefe hinabgelassen. Mit Erstaunen sah Catinat den ganzen Zug von den Bergen Herabkommen und, ehe er es verhindern konnte, die Ebene von Verona bis an die Etsch besetzen. Bald täuschte ihn Eugen durch unerwartete Wendungen, bald verschanzte er sich so klug, daß er nicht anzugreifen war, und zuletzt überfiel er ihn bei Carpi und schlug ihn tüchtig auf's Haupt.

Gleich wacker wußte Eugen in Gemeinschaft mit dem trefflichen Marlborough zu siegen. Dieser, nachdem er einen festen Platz nach dem andern in den Niederlanden genommen, wandte sich nach Deutschland und vereinigte sich mit Eugen. Bei Höchstädt (oder Blindheim, einem benachbarten Dorfe) trafen sie auf die vereinigten Franzosen und Baiern und eine Hauptschlacht mußte jetzt entscheiden (1704). Marlborough warf sich an der Spitze der Engländer und Hessen mit Ungestüm auf die Franzosen, durchbrach ihre Reihen und trieb sie in die Flucht. Einen ungleich schwereren Stand hatte Eugen, der am linken Flügel mit seinen Oesterreichern gegen die tapfern Baiern focht. Drei Angriffe der Oesterreicher wurden von diesen heldenmüthig zurückgeschlagen und erst beim vierten Sturme, als der Kurfürst die Franzosen schon in wilder Flucht begriffen sah, gab er verzweifelnd den Befehl zum Rückzuge. Zwanzigtausend Franzosen und Baiern lagen todt oder verstümmelt auf dem Schlachtfelde. 15,000, unter ihnen der französische General Tallard selber, waren gefangen und außerdem fielen alle Kriegskassen, 5300 Wagen, 117 Kanonen und 300 Fahnen den Siegern in die Hände. Die Franzosen flohen über den Rhein zurück und der Kurfürst folgte ihnen.

Bald nach diesem glorreichen Siege starb Kaiser Leopold und sein Sohn Joseph I. folgte ihm, der den Krieg mit gleichem Nachdruck zu Gunsten seines Bruders, des Erzherzogs Karl, fortsetzte, denn dem Karl gebührte der spanische Thron. Frankreich bot seine besten Truppen und Feldherren auf; doch vergeblich. Ein Schlag folgte auf den andern. In den Niederlanden erfochten Eugen und Marlborough einen großen Sieg bei Oudenarde (1708) und gleich darauf eroberte Eugen die für unüberwindlich gehaltene französische Festung Lille (Ryssel). Zu diesem Unglücke kam noch eine große Hungersnoth in Frankreich, in Folge eines schrecklich harten Winters. Das Volk war in Verzweiflung, der Schatz leer, die Schuldenlast ungeheuer. Da sank dem stolzen Könige der Muth und er demüthigte sich, nachdem er so lange an den Rechten der Völker und Fürsten gefrevelt hatte. »Gern wolle er auf Spanien, Westindien, Mailand und die Niederlande verzichten, wenn man seinem Neffen Philipp nur Neapel und Sicilien lassen wollte.« – »Auch nicht ein Dorf soll von der ganzen spanischen Monarchie dem Hause Habsburg entzogen werden« – lautete die stolze Antwort der österreichischen und englischen Feldherren. Auch dieses gab Ludwig zu; ja er erbot sich, selbst Elsaß und mehrere Festungen an der savoyischen und niederländischen Grenze abzutreten, aber auch das ward dem durch Schicksal und Alter gebeugten Könige abgeschlagen. Seine Gegner stellten die harte Forderung, er solle mit eigener Hand seinen Enkel aus Spanien vertreiben. Da blieb dem schwergeprüften Monarchen nichts übrig, als noch einmal das Aeußerste zu wagen. Noch einmal mußte das französische Volk ein Heer aufbringen und der erfahrene Marschall Villars übernahm den Oberbefehl. In Belgien, unweit Malplaquet, kam es zu einer Hauptschlacht, der blutigsten im ganzen Kriege. Die Franzosen fochten wie Verzweifelte, doch die Verbündeten siegten.

Ludwig's Lage war verzweifelter als je; abermals bot er Frieden an, willigte in Alles, was man verlangte, ja er erbot sich sogar, Hülfsgelder zur Vertreibung seines Enkels zu zahlen. Doch die übermüthigen Sieger bestanden auf ihrer grausamen Forderung, daß der Großvater selber den Krieg gegen den Enkel beginnen sollte. Schon war Erzherzog Karl als König Karl III. in Madrid eingezogen und hatte die französische Partei besiegt (1710), als zwei unerwartete Ereignisse die ganze Lage der Dinge änderten. Joseph starb schon im folgenden Jahre (1711) an den Pocken und nun wäre Karl III. von .Spanien zugleich Kaiser von Deutschland und Erbe der österreichischen Länder geworden, mit einer Macht, die allen europäischen Staaten gefährlich zu werden drohte; Marlborough aber fiel bei seiner Königin Anna in Ungnade und mußte seine Feldherrnwürde niederlegen. Dadurch erhielt Ludwig im Frieden von Utrecht (1713) so günstige Bedingungen, wie er sie nimmer erwartet hatte, denn sein Enkel Philipp V. behielt Spanien unter der Bedingung, daß es nie mit Frankreich vereinigt würde. Die spanischen Niederlande, Mailand und Sardinien erhielt Karl, als deutscher Kaiser der Sechste, der, von seinen Bundesgenossen verlassen, im Frieden zu Rastatt (1714) seine Einwilligung gab.

 

9. Die Aufhebung des Ediktes von Nantes.

Nachdem Ludwig eine Jugend voll Ausschweifungen und Sünden hinter sich hatte, ergab er sich der Frömmelei; die Frau von Maintenon, mit welcher er heimlich vermählt war, wußte in Gemeinschaft mit den Jesuiten, die durch den Beichtvater La Chaise auf den König wirkten, diesen Hang trefflich zu benutzen. Heinrich IV., dieser beste der französischen Könige, hatte den Protestanten (Hugenotten) im Edikt von Nantes volle Religionsfreiheit bewilligt und das war seit Langem der streng katholischen, von den Jesuiten geleiteten Partei ein Dorn im Auge gewesen. Nun stellte man dem »großen« Ludwig vor, welche Gnade bei Gott zu erlangen sei, wenn man die verführten Sünder zum wahren Glauben zurückbrächte. Man bewies ihm, daß er so lange kein vollkommener Souverain (unumschränkter Herrscher) sei, so lange noch zwei Millionen seiner Unterthanen einem andern Glauben als dem seinigen huldigten, und man versicherte ihn, daß der weise Heinrich IV. das Edikt von Nantes nicht gegeben haben würde, wenn er Ludwig's unumschränkte Macht gehabt hätte.

Da gab der bethörte König Befehl, man solle sogleich das Bekehrungswerk anfangen und in alle Provinzen zugleich Dragoner und Priester schicken, denn wer nicht gutwillig seinen Glauben verlassen wollte, den solle man mit Gewalt zwingen. Die Unglücklichen betheuerten, sie wollten mit Freuden ihr Leben für den König lassen, aber ihren Glauben könnten sie nicht wechseln wie ein Kleid. Aber dann rückten die Dragoner heran, setzten ihnen den Degen auf die Brust und schrieen: »Sterbt oder werdet katholisch!« Die unmenschlichen Soldaten wurden bei den reformirten Bürgern einquartiert und wirthschafteten mit den Gütern und Weibern derselben als mit ihren eigenen. Was der stille Fleiß einer redlichen, arbeitsamen Familie in vielen Jahren mühsam erworben und sorglich erspart hatte, das verzehrten jetzt rohe Kriegsknechte hohnlachend und trotzend in wenigen Wochen. Die, welche standhaft bei ihrem Glauben verharrten, wurden in die Gefängnisse geworfen, hingerichtet, die Geistlichen sogar gerädert. Frauen, die reformirte Psalmen sangen, schnitt man die Haare ab; den Eltern nahm man ihre Kinder weg und steckte sie in katholische Waisenhäuser, Greise wurden unter Flüchen und Drohungen an die Altäre geschleppt, um dort nach katholischer Weise das heilige Abendmahl zu empfangen. Damit aber Niemand entfliehen möchte, besetzte man die Grenzen und behandelte Jeden, der sich nicht mit einem Zeugniß eines Bischofs ausweisen konnte, als Staatsverbrecher. Wie das Wild wurden die Reformirten gehetzt.

Der Anfang mit diesen Abscheulichkeiten wurde in Bearn gemacht, dann kam die Reihe an Ober- und Nieder-Guienne, an Saint-Onge, Poitou, Languedok und Dauphiné. Hierauf wandte sich der Dämon des Fanatismus hinaus nach der Normandie, Pikardie, Bretagne, dann nach der Champagne und den inneren Provinzen. Ludwig erfuhr das Wenigste von den Gräuelscenen, ja man erfreuete ihn oft mit der Nachricht, daß der Ketzerei im Lande immer weniger werde und endlich, daß nun das Edikt von Nantes ganz überflüssig geworden sei. Hierauf schritt man zum völligen Widerruf desselben, und das neue deshalb ausgefertigte Edikt ward am 18. Oktober 1685 bekannt gemacht und von allen Parlamenten willig registrirt. Es hieß darin, das Edikt von Nantes sei nur in der Absicht gegeben worden, um an der Vereinigung der beiden Religionsparteien desto eifriger zu arbeiten; dies sei nun mit so gutem Erfolge geschehen, daß es nun jenes Ediktes gar nicht mehr bedürfe. Der noch übrige unbedeutende Haufen der Reformirten sei als eine Anzahl unruhiger Köpfe zu betrachten, die mit Ernst zum Gehorsam gebracht werden müßten. Es sei ihnen demnach jede kirchliche Zusammenkunft untersagt, bei Strafe des Gefängnisses und des Verlustes ihrer Güter. Jeder Reformirte, der auswandern, und jeder Prediger, der innerhalb 14 Tagen nicht auswandern würde, sollte zu den Galeeren verdammt werden. Uebrigens wolle man Niemand drücken.

Nach Erlassung dieses Gesetzes fingen aber erst die Gräuel recht an und die unterirdischen tödtlichen Gefängnisse füllten sich mit Unglücklichen, die nichts weiter verbrochen hatten, als daß sie nicht in die katholische Kirche gehen wollten. Die Verzweiflung der Verfolgten stieg auf das Höchste. Aber die Gewalt auf der einen Seite erzeugte die List aus der andern und wie sorgfältig auch der Kriegsminister Louvois die Grenzen besetzen mochte, so fanden doch nach und nach mehr als 50,000 Familien Mittel, durchzuschlüpfen und ihre Güter und ihre Geschicklichkeit benachbarten Ländern zuzuwenden. Da die meisten der Flüchtlinge arbeitsame und geschickte Handwerker waren, so nahmen die protestantischen Fürsten sie mit Freuden auf, und bald nach ihrer Auswanderung sah man in England und Deutschland französische Zeuge, Spitzen, Hüte und Strümpfe verfertigt, die man bisher aus Frankreich hatte kommen lassen müssen. Eine ganze Vorstadt von London wurde mit französischen Seidenarbeitern bevölkert. Der Prinz Wilhelm von Oranien und der Herzog von Savoyen errichteten ganze Regimenter von französischen Flüchtlingen und der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der allein 20,000 derselben in seine Mark vertheilte, gab in ihnen seinen Unterthanen eben so viele Lehrer ungekannter und nützlicher Künste und Gewerbe.

 

10. Ludwig's XIV. Hof und häusliches Leben.

Ludwig lebte meist zu Versailles, wo das prächtigste seiner Lustschlösser war. Hierher hatte er sich gleich in den ersten Jahren seiner Selbstregierung zurückgezogen, weil ihm Paris wegen der Tumulte daselbst zuwider geworden war. Er umgab sich mit einem solchen Glanze und einer solchen Pracht, wie sie in arabischen Zaubermärchen geschildert wird, und sein Hof, der sich unter immerwährenden Festlichkeiten bewegte, war zum Unglücke für viele Länder das Muster, nach welchem große und kleine Fürsten ihren Hofstaat einrichteten. War auch Vieles, was Ludwig anordnete, geschmacklos, steif und unnatürlich, wie z. B. die königlichen Gärten, wo sogar die Bäume in andere Gestalten zugeschnitten wurden, als ihnen die Natur gegeben hatte, und die schnurgeraden Alleen den ganzen Raum in abgezirkelte Beete theilten: so mußte doch der Anblick der Herrlichkeit, die er entfaltete, Bewunderung erregen und die Vorstellung von seiner Größe steigern. Man hat ihn häufig mit dem Kaiser Augustus verglichen – nicht ganz ohne Grund; mitten unter den geputzten und wohlaussehenden Gestalten war Ludwig immer die herrlichste Erscheinung; seine Gestalt war schön und einnehmend, sein Benehmen taktvoll und berechnend klug, jedes seiner Worte anziehend und geistreich. Die Gewalt, die er über Andere durch seine Persönlichkeit ausübte, kannte er recht wohl. Seine ganze Umgebung mußte in Kleidern, in der Bewegung und Begrüßung, beim Speisen und beim Beten, in der Kirche und im Opernhause, auf der Wachtparade und am Spieltische gewisse vorgeschriebene Regeln beobachten, die zusammengenommen das ausmachen, was man Etikette nennt. Die spanisch-italienische Tracht wurde ganz umgewandelt; der kurze Mantel mit einem Frack, der Wamms mit einer langen Weste vertauscht; kurze Beinkleider gingen bis an die Kniee, seidene Strümpfe bedeckten Fuß und Bein; was aber am meisten imponiren sollte, war – die Perrücke, ein riesiges Haargebäude in hundert Locken, das man auf den kahlgeschorenen Scheitel setzte. Nicht minder unnatürlich herausgeputzt erschienen die Damen, denen auch mehr daran gelegen war, recht steif und gravitätisch, als liebenswürdig zu erscheinen. So wenig man das natürliche Haar vor Puder und Pomade zu sehen bekam, eben so wenig konnte man die natürliche Gesichtsfarbe vor weißer und rother Schminke, Schönpflästerchen und dergl. wahrnehmen. Dabei war aber die ganze Tracht beständigem Wechsel unterworfen; wie die Laune des Königs oder eines anderen Hofkavaliers, einer Hofdame und deren Zofen oder Kammerdiener es sich einbildete, mußte das Kleid geschnitten, aufgeschlitzt, gewülstet oder die Perrücke frisirt und aufgesetzt sein. Die Mode aber verbreitete sich von Paris und Versailles aus in alle Welt und macht ja jetzt noch oft genug die Deutschen zu Affen der Franzosen und Französinnen.

Dieser Tracht entsprechend mußte auch der Gang, das Ein- und Abtreten und jede Geberde geregelt sein. Da entstanden die verschiedenen Arten von Komplimenten, Knixen, Verbeugungen; die Männer gingen nicht mehr wie sonst in Stiefeln, sondern trippelten gleich Weibern in leichten Schuhen auf den blanken Parquetten (getäfelten Fußböden) einher; es war bestimmt, wie viel Schritte man beim Eintritte zu machen harte, bis man sich zum ersten Male anständiger Weise verbeugen durfte u. s. w. Für König Ludwig XIV. wurde das Menuet erfunden, weil kein Tanz für den großen König anständig genug erschien. Diese lächerliche Steifheit und Gravität, welche zum Theile mit den spanischen Königinnen Anna und Maria Theresia nach Frankreich kam, beschäftigte den König oft mehr, als – die Kriege und Staatsangelegenheiten, welche doch nur seine Minister besorgten, wobei sie aber thun mußten, als ob er selbst Alles leitete. Ja er nahm unverschämt die Lobpreisungen hungriger Dichter an und eignete sich die Ehrenpforten und Triumphzüge zu, welche seinen Feldherren für erfochtene Siege zukamen. Nicht uninteressant ist die Tagesordnung dieses Monarchen, weil er sich hier ganz in orientalischer Weise zeigte; sie wurde beinahe in ganz Europa Sitte und findet zum Theil noch heute bei den höheren und höchsten Ständen statt.

Noch bis zum 15. Jahrhunderte war man der Natur treu geblieben, indem man am Tage wachte, um in der Nacht zu schlafen. Das änderte sich zuerst in den südlichen Ländern, in Italien, Spanien und Frankreich. Ludwig's XIV. Tagesordnung war folgende. Um 8 Uhr weckte ihn der erste Kammerdiener. Dann ging die Oberhofmeisterin zu ihm, um ihn nach einer alten, vermuthlich abergläubischen Sitte zu küssen, und zwei Leibärzte folgten, um ihn zu reiben und Ihm ein anderes Hemde zu geben. Hieraus rief man einige (adelige) Kammerherren, von denen einer ihm das Weihwasser, der andere das Gebetbuch reichte. Damit ließ man ihn denn einige Augenblicke allein, bis er Alle wieder herein rief. Jetzt war er aufgestanden, man reichte ihm den Schlafrock, und nun füllte sich das Zimmer mit Prinzen, Offizieren und den »Herren vom zweiten Zutritt.« In ihrer Gegenwart zog er sich mit graziösem Anstande Schuhe und Strümpfe an, ließ sich barbieren und setzte sich seine Perrücke auf; dabei ward von gleichgültigen Dingen, meist von der Jagd gesprochen.

Nun begann das eigentliche Ankleiden, bei dem die großen Herren ihm ein bestimmtes Kleidungsstück zu reichen hatten. Sobald er angekleidet war, ward von Allen gebetet, wobei die Geistlichen knieten. Dann ging der König in sein Kabinet, wohin ihm alle Anwesenden folgten und noch andere sich dazu einfanden. Er ertheilte seine Befehle und entließ dann die Herren bis auf seine natürlichen Söhne, deren Hofmeister und die Kammerleute. Jetzt konnte man ein Wort anbringen, gewöhnlich ward von Bauprojekten, neuen Anlagen und dergl. gesprochen. Sodann ging es in die Messe und dort mußte auch der ganze Hof gegenwärtig sein. Die Hofleute, um besser gesehen zu werden, stellten brennende Lichter vor sich hin. Eines Morgens machte sich Brissac den Spaß, zu versichern, der König werde heute nicht erscheinen. Schnell löschte Alles seine Lichter aus und rannte davon. Als der König kam, fand er zu seiner Verwunderung die Kirche leer und dunkel. Nach der Messe erschienen die Minister und der geheime Rath ( conseil) begann. Um 1 Uhr ward gespeist, gewöhnlich vom kleinen Kouvert, d. h. der König saß in seinem Zimmer allein an einem viereckigen Tische, in Gegenwart seines Bruders, seiner Söhne und Enkel, welche standen und zusahen, indeß er meist sehr wenig sprach, sich's aber trefflich schmecken ließ. Die Kammerherren bedienten ihn und Monsieur (des Königs Bruder) reichte ihm von Zeit zu Zeit die Serviette, wofür er zuweilen die Erlaubniß erhielt, sich zu setzen.

Nach der Tafel ging der König in sein Kabinet, fütterte die Hunde, spielte mit ihnen oder unterhielt sich mit Frauen. Dann kleidete er sich um und fuhr aus. Nach der Rückkehr ward wieder die Kleidung gewechselt – jede Tageszeit erforderte ihr besonderes Kostüm – und die Günstlinge, Kammerleute hatten wieder Zutritt. Als der König sich mit der Maintenon vermählt hatte, ging er regelmäßig jeden Tag zu ihr in ihr Schlafzimmer, wo zwei Lehnstühle zu beiden Seiten des Kamins standen, auf deren einem sie saß, während der König den andern einnahm und auf einigen Tischchen seine Briefschaften hatte; hierher wurden auch die Minister beschieden, die stehen bleiben mußten. Während die Frau las oder stickte und sich um politische Dinge wenig zu kümmern schien, folgte sie doch aufmerksam den Verhandlungen und hatte die Sache in der Regel schon vorher mit den Ministern abgemacht. Gab der König etwa nicht nach, so verwickelte man die Sache und vertagte sie.

Um 10 Uhr war Abendtafel und da mußte wieder der ganze Hof in vollem Glanze erscheinen. Nach dem Essen blieb der König gewöhnlich noch eine Weile im Speisezimmer stehen, mit dem Rücken an ein Geländer sich lehnend, und war von seinem Hofe umringt. Dann machte er den Damen eine Verbeugung und ging in sein Kabinet, wo dieselbe unbedeutende Unterhaltung (oft Klatschgeschichten aus der Stadt) fortgesetzt ward. Den Hunden gab er wieder zu fressen, nickte mit dem Kopfe und ging in sein Schlafzimmer. Hierhin durften ihm nur die Personen vom ersten und zweiten Zutritt folgen; in ihrer Gegenwart verrichtete er wie des Morgens sein Gebet und ward entkleidet. Dies hieß das kleine Niederlegen ( le petit coucher). Das große Schlafengehen war glänzender, und da reichte ein Prinz vom Geblüt das Nachthemd. Erst wenn der König eingeschlafen war, gingen die letzten Hofleute weg.

Diese Tagesordnung erlitt an großen Gallatagen, an welchen den Gesandten fremder Mächte feierlich Zutritt und Gehör bewilligt wurde, oder Hoffeste stattfanden, manche Abänderung. Dann ging Alles noch zeremoniöser zu und ein wirklich imposantes Schauspiel mußte es sein, wenn sich der ganze Hof in voller Pracht darstellte. Da gab es Karousselreiten, Ballete, Bälle, Konzerte, Theater, Feuerwerke und allerlei andere Festspiele; in den Gärten zu Versailles wimmelten alle Baumgänge von schimmernden Gestalten, in den Grotten standen Tische, bedeckt mit allen Kostbarkeiten und Leckerbissen der Welt auf krystallenen, goldnen und silbernen Gefäßen, die plätschernden Springbrunnen aber wetteiferten mit den Chören von Sängern und Tonkünstlern aller Art Fenelon hat diese Herrlichkeiten in seinem Telemach ausführlich beschrieben und mehrere Denkschriften jener Zeit bestätigen die Wahrheit seiner Schilderungen.. Oft führten die Herren und Damen des Hofes Maskenaufzüge, Ballette und Singspiele auf und zeigten sich dabei in den reichsten Kostümen.

Daß die Höflinge dem König auf die unsinnigste Weise schmeichelten, kann man sich denken. Einen Abend schläft Ludwig auf einem Schlosse und äußert sich gegen den Herzog von Antin, daß ihm die große Allee von Bäumen mißfalle, da sie die Aussicht auf den Fluß verhindere. Während der Nacht bietet der Herzog alle Arbeiter auf, um die Allee umzuhauen. Beim Erwachen erstaunt der König, die getadelten Bäume nicht mehr zu sehen. »Ew. Majestät haben sie verdammt, darum stehen sie nicht mehr,« sagte der Höfling. – Auch ein ziemlich großes Gehölz bei Fontainebleau mißfiel dem König. Der Herzog bestellt im Geheimen Arbeiter, läßt alle Bäume ansägen und nun leitet er bei einem Spaziergange die Aufmerksamkeit seines Herrn abermals auf diesen Wald. Der König spricht wieder sein Mißfallen aus; da giebt der Herzog Befehl und in einem Nu sieht man den Wald sinken. – Der König versuchte sich wohl in Versen, die ihm aber schlecht gelangen. Einst fragte er den geistreichen Boileau um sein Urtheil. Dieser antwortete sein: »Nichts ist Ew. Majestät unmöglich. Sie wollten schlechte Verse machen und es ist vortrefflich gelungen.«

Noch wenige Monate vor des Königs Tode wollte man seiner Eitelkeit ein glänzendes Fest geben. Man spiegelte ihm vor, der Schach von Persien, von dem berühmten Namen seiner Majestät unterrichtet, strebe nach der Ehre, mit ihm ein Freundschaftsbündniß zu knüpfen. Ganz Frankreich gerieth in Bewegung bei dem Gerüchte; Ludwig befahl dem Baron von Breteuil, dem Gesandten zwei Meilen von Paris entgegen zu gehen und ihn mit größter Pracht zu empfangen. Er selber gab ihm bald nach gehaltenem Einzuge eine glänzende Audienz, bei welcher er alle Edelsteine und Juwelen der Krone auf dem Leibe trug, im Werth von zwölf Millionen Franks. Er ließ dem Gesandten täglich 100 Louisd'or reichen und ein Badezimmer für 2500 Thaler für ihn einrichten. Die Reisekosten von Marseille wurden ihm mit 6000 Thalern vergütet. Indessen war der angebliche Perser nichts als ein portugiesischer Jesuit, der von seinen Ordensbrüdern aus dem Gefängnisse zu Konstantinopel befreit und nun dazu benutzt worden war, dem schwachen und eitlen Könige diese Komödie zu spielen. Ludwig, als er den Betrug gemerkt, ließ den Gesandten ohne Abschiedsaudienz abreisen.

Als eine schmerzhafte Krankheit den »großen« König auf das Todtenbette warf, flohen ihn alle seine Anhänger und Freunde und man konnte kaum ein Paar Bedienten bewegen, bei ihm zu bleiben. Das Volk, das er nicht blos arm gemacht, sondern auch der Sittlichkeit und alles Vertrauens beraubt hatte, jubelte laut auf bei der Nachricht von seinem Tode und der Pöbel verfolgte den Leichenzug nach St. Denys mit solchem Unwillen und solchen Schimpfreden, daß man genöthigt war, die Leiche auf Nebenwege zu führen.


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