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II. Reformatoren.

 

Doktor Martin Luther. Vergl. Joh. Matthesius, Leben Luthers. Geschichte der Reformation des 16. Jahrhunderts von J. G. Merled Aubigné. Aus dem Französischen. 2. verb. Aufl. (Stuttgart 1861) II. III.

 

1. Wie Luther in's Kloster kommt.

Am 10. November 1483, am Abende vor dem Martinstag, ward zu Eisleben einem armen Bergmann Hans Luther ein Söhnlein geboren, das am folgenden Tage getauft und, dem heil. Martin zu Ehren, Martinus genannt wurde. Hans Luther war vom Dorfe Möra, unweit des Thüringer Waldes, mit Margarethe, seiner jungen Ehefrau, nach Eisleben gezogen, um hier durch angestrengten Fleiß sich seinen Lebensunterhalt zu schaffen. Doch er fand da nicht, was er suchte. Der junge Martin war kaum ein halb Jahr alt, als die Eltern Eisleben verließen und nach dem 5 Stunden entfernten Städtchen Mansfeld zogen, da die Arbeit in den dortigen Bergwerken einen besseren Lohn verhieß Aber auch hier mußte die Familie erst mit bitterer Armuth kämpfen. Mit Gebet und Gottvertrauen und von seiner frommen und tüchtigen Hausfrau unterstützt, arbeitete indeß Hans Luther rüstig fort und der Herr segnete seinen Fleiß, so daß er zwei Feuer (Schmelzöfen und Schmiede) erwerben konnte, um seiner Rechtschaffenheit willen auch bald in den Rath der Stadt erwählt wurde. Von seinem wohlerworbenen Gut machte er den besten Gebrauch, las, wenn er eine freie Stunde hatte, in guten Büchern, lud auch öfters die Geistlichen und Schullehrer des Ortes an seinen Tisch, so daß der kleine Martin schon früh manches gute Wort zu hören bekam. Oft knieete der Vater vor dem Bette des Kindes und betete laut und inbrünstig, daß sein Sohn den Namen des Herrn im Gedächtniß behalten und zur Ausbreitung der göttlichen Wahrheit wirksam sein möchte. Dieses väterliche Gebet ist herrlich erhört worden!

Der Vater schickte sein Söhnlein früh in die Schule, und bei schlechtem Wetter nahm er es auch wohl selber auf die Arme, um es hinzutragen. Die Zucht in damaliger Zeit war sehr streng. Zu Hause wie in der Schule wurden die Kinder fleißig mit Ruthen gestrichen und oft übermäßig. Sein Lehrer prügelte den vielleicht etwas ungestümen Knaben einst 15 mal an einem Vormittage und selbst die Mutter züchtigte ihn einmal wegen einer Haselnuß so hart, daß Blut floß.

Durch solche Strenge ward des Kindes Gemüth eingeschüchtert. Doch lernte Martin fleißig die Kapitel des Katechismus, die zehn Gebote, das Vaterunser, die christlichen Gesänge und die lateinische Grammatik.

Als er 14 Jahre alt geworden war, sandte ihn der Vater nach Magdeburg zu den Franziskanern in die Schule. Da hatte der Knabe eine schwere Lehrzeit. Freunde und Gönner hatte er nicht, Keiner tröstete ihn, und vor seinen strengen Lehrern zitterte er. Dabei mußte er durch Singen vor den Thüren der wohlhabenden Bürger sich das tägliche Brod verdienen.

Als die Eltern von der Noth ihres Sohnes hörten, schickten sie ihn schon im folgenden Jahre nach Eisenach auf die Schule; in dieser Stadt hatten sie Verwandte und sie hofften, daß ihr Martin dort eine Stütze fände. Doch diese Verwandten, selbst arm, konnten ihm gar keine Unterstützung bieten, und so mußte der junge Luther manchen Abend hungrig zu Bette gehen. Eines Tages aber, da er im Schuleifer vor der Thür eines ehrsamen Bürgers gesungen hatte, Namens Conrad Cotta, trat die Ehefrau desselben auf die Schwelle, winkte ihm und hieß ihn eintreten. Diese fromme Frau hatte schon öfters in der Kirche sich an der klaren und sanften Stimme des jungen Luther erbaut, und erbarmte sich nun des Armen; sie nahm ihn an ihren Tisch und so kam der Jüngling in eine Familie, die seinen niedergedrückten Geist wieder aufrichtete und sein Gemüth erheiterte. Bis zum 18. Jahre blieb Luther in Eisenach und er brannte nun vor Begierde, an einer Universität, an einer reichen Quelle des Wissens, seinen Durst nach Erkenntniß löschen zu können. Sein Vater sandte ihn 1501 nach dem hochberühmten Erfurt und schrieb ihm das Rechtsstudium vor, im Glauben, daß die guten Anlagen des Sohnes ihn bald zu einer ehrenvollen Beamtenstelle führen würden. Mit allem Eifer warf sich der Student auf die Philosophie des Mittelalters und die sogenannten sieben freien Künste Das Trivium: Grammatik, Dialektik, Rhetorik; das Quadrivium: Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie. und keine Minute im Tage blieb unbenutzt. Er begann jeden Morgen seine Arbeit mit herzlichem Gebet, ging dann in die Kirche, um sein Werk mit Gottes Segen zu treiben, und sein Sprüchwort war: Fleißig gebetet ist über die Hälfte studirt! Er befragte auch gern seine Lehrer und besprach sich in Ehrerbietigkeit mit ihnen über Das, was ihm besonders wichtig schien und noch unklar geblieben war.

In seinen freien Stunden besuchte er am liebsten die Universitäts-Bibliothek. Eines Tages (er war schon zwei Jahre auf der Erfurter Universität gewesen und 20 Jahre alt) fiel ihm ein Buch in die Hand, das ihm bis dahin ganz unbekannt geblieben war – eine lateinische Bibel. Zu seiner großen Verwunderung entdeckte er darin viel mehr Geschichten und Texte, als die Bruchstücke der Evangelien und Episteln, welche die Kirche sonntäglich dem Volke vorlesen ließ. Aus der ersten Seite, die er aufschlägt, fesselt ihn die Geschichte von der Hanna und dem jungen Samuel, er liest, und kann sich vor Freude kaum fassen. Das Kind, das seine Eltern für das ganze Leben dem Ewigen weihen, das Loblied der Hanna, worin sie singt, Jehovah erhebe den Niedrigen und setze den Armen unter die Fürsten, die herrliche Entwickelung des jungen Samuel – das Alles liest der fromme Student mit herzlicher Lust, und er geht mit dem Wunsche heim: O, wenn mir doch Gott auch einmal ein solches Buch bescheeren möchte! Bald kehrt er in die Bibliothek zurück, seinen Schatz wieder auszusuchen, und er liest mit immer größerer Freude.

In demselben Jahr erhielt der junge Luther die erste akademische Würde, er ward Baccalaurëus Die akademischen Würden waren: Baccalaurëus, Magister, Doktor. Der Magister ward mit großer Feierlichkeit ernannt, man trug ihm Fackeln vor; noch größer war die Festlichkeit bei einer Doktorpromotion, man ritt in höchstem Pomp in der Stadt umher und hielt dann einen feierlichen Schmaus.. Um die Prüfung gut zu bestehen, hatte er so übermäßig gearbeitet, daß er in eine schwere Krankheit fiel. Ein alter Priester besuchte den Todtkranken und richtete seinen Muth durch kräftige Trostworte auf. »Seid guten Muthes« – sprach der Greis –, »mein lieber Baccalaurëus, Ihr werdet dieses Lagers nicht sterben, unser Gott wird noch einen großen Mann aus Euch machen, der Viele trösten wird.«

Luther genas; die Krankheit, die Worte des Priesters und das Lesen der Bibel hatten sein Gemüth ernst gestimmt und, obschon er es sich selber noch nicht gestand, die Lust an der Jurisprudenz ihm verleidet. Doch studirte er fleißig weiter und ward im Jahre 1505 zum Magister artium (Doktor der Philosophie) erhoben. So sehr ihn der Fackelzug und die ganze Feier erfreute, so richteten sich doch seine Gedanken immer mehr auf den Zustand seiner Seele und das Eine, was ihm Noth that, Vergebung der Sünden und Versöhnung mit Gott, konnte er in der Philosophie und in den alten Klassikern nicht finden. Da geschah es, daß sein Herzensfreund Alexis plötzlich von Mördern überfallen und erstochen wurde, und nicht lange nachher, daß bei einem Gewitter ganz nahe bei ihm der Blitz in die Erde fuhr und sein Leben wunderbar gerettet wurde. Da beschloß er, sein ganzes Leben nur Gott und seinem Dienst zu weihen, der Welt zu entsagen und in einem Kloster den Frieden der Seele zu suchen.

Nachdem er alle seine Universitätsfreunde zu einem fröhlichen Mahle eingeladen hatte, wobei die Musik das trauliche Beisammensein erheiterte, verkündete er seinen Freunden den bis dahin geheim gehaltenen Entschluß. Vergebens suchten ihn diese zurückzuhalten; noch am selben Abend verließ er sein Zimmer, ließ alle Sachen und Bücher zurück und nur den Virgil und Plautus nahm er mit. So ging er im nächtlichen Dunkel hin zum Augustiner-Kloster – es war am 17. August 1505 – klopfte an die Pforte und begehrte Einlaß. Das Thor öffnete sich und schloß sich wieder hinter ihm; der gefeierte Universitäts-Lehrer war ein armer Augustiner-Mönch geworden, ohne Wissen und Willen seines Vaters.

 

2. Wie es ihm im Kloster ergeht.

Im Kloster fand Luther nicht die Ruhe des Herzens, nach der ihn so sehnlich verlangte. Während seines Probejahres wurden ihm die allerdrückendsten Geschäfte aufgebürdet. Er mußte die Kirche ausfegen, die Thüren auf- und zuschließen, die Thurmuhr aufziehen, die Unreinigkeiten des Klosters austragen, ja sogar mit dem Bettelsacke in Erfurt umherwandern. Das war ihm um so empfindlicher, da Jedermann den Magister kannte und nicht selten die Leute mit Fingern auf ihn zeigten. Aber Luther ertrug Alles in Demuth und Furcht Gottes. Seine größte Freude war, daß im Kloster auch eine lateinische Bibel war und daß er in der heiligen Schrift alle Tage lesen durfte. Die Mönche sagten ihm freilich: Nicht mit Studiren, sondern mit Betteln sollst du dem Kloster nützlich werden! Und als er Profeß that und die Kappe anzog, nahmen ihm seine Klosterbrüder die Bibel wieder. Weil er aber Tag und Nacht im Kloster betete und studirte, und sich dabei mit Fasten und Kasteien abmergelte, so war er stets betrübt und all' sein Messelesen wollte ihm keinen Trost geben. Wie aber Gott Denen, die ihn mit redlichem Herzen suchen, sich nicht unbezeuget läßt, so ließ er ihn fromme Männer finden, die ihn trösteten, wenn er vor Angst vergehen wollte. So schickte ihm Gott einen alten Klosterbruder zum Beichtvater, der wies ihn hin auf Gottes gnädige Vergebung der Sünden. Dieser Zuspruch machte einen tiefen, wundersamen Eindruck auf sein Gemüth. Auch der ehrwürdige Johannes von Staupitz, der über die vierzig Augustinerklöster in Meißen und Thüringen gesetzt war, suchte den frommen Luther aufzurichten: »Du willst mit Gewalt ein Sünder sein,« sagte er ihm einst, »und hast doch keine rechte Sünde. Soll Christus dir helfen, so mußt du nicht mit solchem Humpelwerk und Puppensünden umgehen, und aus jedem Gedanken gleich eine Sünde machen!« Dergleichen Zuspruch half wenigstens auf einige Zeit; aber dann kamen auch wieder recht trübe Stunden. Einmal schloß sich Luther mehrere Tage lang in seine Zelle ein, aß und trank nicht und versank in tiefe Melancholie, so daß er nichts von dem merkte, was um ihn her vorging. Die Mönche dachten, da er gar nicht wieder zum Vorschein kam, es sei ihm ein Unglück begegnet; sie zerbrachen die Thür, und nur durch die Töne der Musik brachten sie ihn wieder zur Besinnung.

Im Jahre 1502 hatte der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, in seiner Residenz Wittenberg eine Universität gestiftet; es fehlte aber noch ein tüchtiger Lehrer der Philosophie, und er gab dem Dr. Staupitz den Auftrag, ihm Jemand dazu in Vorschlag zu bringen. Dieser dachte gleich an Luther und lud den Bruder Martin ein, nach Wittenberg zu kommen. Dem schwermüthigen Manne wollte das nicht in den Sinn und er meinte, dazu sei er nicht gelehrt genug. Aber Staupitz ließ nicht nach, und so zog Luther 1508 im 25. Jahre seines Alters nach Wittenberg und nahm seine Wohnung in der Zelle eines Augustinerklosters, die man noch jetzt den Reisenden zeigt. Nun sollte Luther auch einmal predigen; aber dazu wollte sich der blöde Mann gar nicht verstehen. »Herr Doktor,« sagte er zu Staupitz, »Ihr bringt mich um mein Leben; ich werde es nicht ein Vierteljahr treiben.« Doch Staupitz drang durch, und siehe! gleich die erste Predigt machte gewaltiges Aufsehen, denn Luther predigte einfach und kräftig im Geiste der heiligen Schrift, und was er sagte, das kam ihm aus dem Herzen. Da machte man ihn zum Prediger an der Universitätskirche, die nun von andächtigen Zuhörern jeden Sonntag überfüllt war.

 

3. Wie Luther gegen die Mißbräuche der katholischen Kirche eifert.

Bald darauf, im Jahre 1510, wurde er in Angelegenheiten seines Ordens – denn auch als Professor war er Augustinermönch geblieben – nach Rom geschickt. Hier lernte er in der Nähe die Verdorbenheit der katholischen Geistlichkeit kennen, und ärgerte sich besonders über den großen Leichtsinn, mit welchem die Priester den Gottesdienst verrichteten. »Kaum hatte ich eine Messe gelesen,« erzählte er selbst, »so fehlte bei ihnen schon keine an der Mandel. Ist es doch, als ob man um Lohn bete.« Er versicherte nochmals: »Nicht tausend Goldgulden wollte ich nehmen, daß ich Rom nicht sollte gesehen haben.«

Kaum war er von seiner Reise zurückgekehrt, so erhielt er die besondere Auszeichnung, zum Doktor der Theologie ernannt zu werden. Der Kurfürst hatte ihn einmal predigen gehört und war so sehr durch ihn erbaut worden, daß er selbst die Kosten zu seiner Amtserhöhung hergab. Nun war des Studirens kein Ende, denn er wollte seiner neuen Würde auch Ehre machen und suchte mit emsigem Fleiße das nachzuholen, was er in seiner Jugend nicht hatte lernen können.

Ein Vorfall gab indeß seinem Geiste plötzlich eine ganz neue Richtung. Ein Dominikanermönch, Namens Johann Tetzel, reiste damals in ganz Deutschland herum, Ablaßzettel zu verkaufen, und kam bis Jüterbogk, vier Meilen von Wittenberg. Die Kirche hat schon seit den ältesten Zeiten das Recht geübt, den Christen für ihre Sünden eine Buße aufzulegen, auch, wenn sie sich reuig und bußfertig zeigten, ihnen die Strafe abzukürzen. Daraus entstand aber im Volke der Aberglaube, die Priester könnten die Sünden vergeben und den Sünder von der ewigen Strafe, von den Leiden im Fegefeuer lossprechen. Solches benutzten die Päpste und schickten Ablaßverkäufer in's Land, die für Geld den Leuten Ablaßzettel verkauften, die den Leuten sehr willkommen waren, da sie sich nun wegen ihrer Sünden beruhigt fühlten. Wer z. B. die Erlaubniß haben wollte, in der Fastenzeit Butter und Käse zu essen, der kaufte sich für einen Groschen solch' einen Zettel.

Damals war Leo X. Papst, ein vergnügungssüchtiger, prachtliebender Mann, der viel Geld brauchte. Besonders erforderte der Bau der Peterskirche ungeheure Geldsummen, und um diese zu erhalten, wurde ein allgemeiner Ablaß ausgeschrieben. Unter den Ablaßverkäufern, die in Deutschland umherzogen, war aber keiner unverschämter, als eben jener Tetzel, ein nichtswürdiger Mensch, den das erbitterte Volk schon einmal hatte ertränken wollen. Dieser setzte jetzt eine Menge von Ablaßzetteln ab. Wenn er nach einer Stadt kam, so hielt er immer einen feierlichen Einzug, damit das Volk recht zusammenlaufen sollte. Die päpstliche Bulle, worin der Ablaß verkündigt war, wurde auf einem sammetnen Kissen vorangetragen; die Priester und Mönche, der Magistrat und die Schulen zogen ihm mit Kerzen und Fahnen entgegen und holten ihn ein; alle Glocken läuteten, man begleitete ihn in die Kirche, wo er des Papstes Panier, mit einem rothen Kreuze geziert, aufrichtete, und nun begann der Handel. Er hatte zwei Kasten bei sich; in dem einen waren die Zettel, in dem andern das Geld, und er pflegte wohl zu rufen: »Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer in den Himmel springt!« Es waren Ablaßbriefe für alle Vergehen zu haben, für Diebstahl, Meineid, Gewaltthat, Mord. In Jüterbogk ward aber Tetzel mit eigener Münze bezahlt. Ein Ritter meldete sich, der einen Ablaß begehrte, weil er Jemand aus der Landstraße zu berauben vorhabe; – denn man konnte auch für Sünden, die erst in der Zukunft begangen werden sollten, einen Ablaßzettel erhalten. »Ei,« sagte Tetzel, »solchen Zettel mußt du theuer bezahlen!« Der Preis wurde ihm gern gezahlt, und der Ablaßkrämer fuhr mit seinem schweren Geldkasten ab. Als Tetzel in einen Wald kommt, sprengt plötzlich ein Ritter mit mehreren Knechten auf ihn ein, hält den Wagen an und nimmt den vollen Geldkasten in Besitz. Tetzel verflucht den Räuber in den Abgrund der Hölle, doch dieser zeigt ihm lächelnd den Ablaßzettel mit den Worten: »Kennst du mich nicht mehr?« Der leere Kasten wird noch auf dem Rathhause zu Jüterbogk aufbewahrt.

Der Handel mit diesen Ablaßzetteln machte die Leute ganz gewissenlos, denn sie mußten am Ende glauben, eine Sünde habe nicht viel zu bedeuten, da man sie mit einigen Groschen, höchstens mit einigen Thalern lösen konnte. Und Tetzel lehrte geradezu, der Ablaß sei die höchste und allerwertheste Gabe Gottes. Das Ablaßkreuz mit des Papstes Wappen vermöge eben so viel als Christi Kreuz, wie denn auch unser Heiland dem Papste alle Macht übergeben habe. Da war es denn kein Wunder, daß das unwissende Volk dem Tetzel nachlief. Aber Luthers frommes Gemüth empörte sich ob solcher Betrügerei; er fing an zu predigen und zu lehren gegen den Unfug. Seine Predigten regten mächtig das Volk auf und der Zudrang war um so größer, je kühner und ungewöhnlicher sie waren. Es kam da Manches zur Sprache, was jeder rechtschaffene Christ schon selbst gedacht, aber nur nicht auszusprechen gewagt hatte. Aber damit war der feurige Doktor noch nicht zufrieden. Er schlug am 31. Oktober 1517 einen großen Bogen an die Thür der Schloßkirche zu Wittenberg, auf welchen er 95 Sätze ( theses) geschrieben hatte, die er gegen Jedermann mündlich und schriftlich vertheidigen wollte. Es war besonders auf Tetzeln abgesehen, aber der hütete sich wohl, nach Wittenberg zu kommen und mit dem Doktor Luther zu disputiren. Er machte, daß er aus der Gegend von Wittenberg fortkam und ließ sich dort nicht weiter sehen. Dagegen wurden Luthers Sätze mit Begierde von Jedermann gelesen. In vielen tausend Abdrücken flogen sie schnell durch Deutschland, so daß man binnen vier Wochen sie schon überall kannte. Und aller Orten sprach man von dem muthigen Mönche aus Wittenberg und was nur noch aus der Sache werden möchte. An die große Kirchenspaltung dachte noch Keiner.

 

4. Der Papst und Luther.

Besonders waren die Dominikaner, ohnehin den Augustinermönchen nicht freundlich gesinnt, böse auf Luther, denn jener Orden führte das einträgliche Geschäft des Ablaßpredigens. In Predigten und Schriften zogen sie mit wüthenden Schmähreden gegen die Theses los, schalten den Verfasser ohne Weiteres einen Ketzer und nahmen dabei die Wendung, daß ein Angriff aus den Ablaß auch ein Angriff aus den Papst und die heilige Kirche selber sei. Luther aber entwickelte seine Lehren auf einer Versammlung der Augustinermönche in Heidelberg, gab eine Erklärung und Vertheidigung seiner Theses heraus und überschickte sie dem Papste mit der Bitte um eine Entscheidung, in der er die Stimme Christi zu vernehmen hoffe. Hätte nun Leo X. den Ablaß oder wenigstens die ärgerlichsten Mißbräuche desselben abgestellt, so hätte wohl Luther, bei seiner noch fortdauernden Ehrfurcht für den päpstlichen Stuhl, geschwiegen. Aber Leo X. befahl, Luther solle binnen 60 Tagen in Rom erscheinen, um sich wegen seiner Reden und Schriften zu verantworten. Hier wäre es ihm übel ergangen, aber glücklicher Weise ging er nicht hin. Der Kurfürst Friedrich der Weise hatte ihn schon damals wegen seiner Freimüthigkeit so lieb gewonnen, daß er erklärte, er werde nicht zugeben, daß man den Doktor Luther nach Rom schleppe. Er brachte es dahin, daß Leo seinem Gesandten, dem Kardinal Kajetan, Befehl gab, Luthern in Augsburg zu verhören. Dahin reiste auch dieser ab, und zwar zu Fuße, vom Kurfürsten mit Reisegeld und Empfehlungsbriefen an einige vornehme Rathsherren versehen. Der Kardinal empfing ihn freundlich, forderte aber streng, er solle seine Irrthümer widerrufen, sich künftig derselben enthalten, und in allen Stücken sich dem Papste gehorsam beweisen. Unerschrocken antwortete Luther, er sei sich keiner Irrthümer bewußt, und vertheidigte, was er gelehrt hatte, mit christlichem Muth. Doch versprach er zu schweigen, wenn auch seinen Gegnern Stillschweigen auferlegt werde. Damit war aber der Kardinal sehr unzufrieden; er hieß ihn gehen und nicht wiederkommen, wenn er nicht nachgeben wolle. Da verließ Luther auf Rath und mit Beihülfe seiner Freunde schnell und heimlich die Stadt Augsburg, und kam nach 11 Tagen wieder in Wittenberg an. Doch zuvor hatte er noch in Gegenwart mehrerer Zeugen von dem übelberichteten Papst an den besser zu berichtenden appellirt, und diese Berufung nicht nur an den Dom zu Augsburg angeschlagen, sondern auch dem Kardinal überschicken lassen. Dagegen verlangte der Kardinal, der Kurfürst von Sachsen solle nun Luthern nach Rom schicken, und der Papst bestätigte die Ablaßpredigten und erklärte Luther für einen Ketzer. Er hatte an Kajetan geschrieben: »So du sein mächtig wirst, wollest du ihn ja wohl und gewiß verwahren lassen, bis so lange du von uns weitere Befehle erhältst, auf daß er vor uns gestellt werde. Wo er in seiner Halsstarrigkeit beharrt, und du seiner nicht kannst mächtig werden, so geben wir dir gleiche Gewalt und Macht, an allen Orten Deutschlands ihn und Alle, so ihm anhangen, für Ketzer, Verfluchte und Vermaledeite zu publiciren.« Diese Rede trieb Luthern weiter; er appellirte von dem Papste an eine allgemeine Kirchenversammlung.

Nun versuchte Leo X. Luthern durch Milde zu gewinnen. Er übertrug seinem Kammerherrn Karl von Miltitz, einem Edelmann aus dem Meißnischen, dem Kurfürsten von Sachsen eine goldene Rose, als Gnadenzeichen des Papstes, zu überbringen und bei dieser Gelegenheit die Streitigkeiten mit Luther in Güte beizulegen. Miltitz ließ Luthern nach Altenburg kommen, und durch seine Milde und Freundlichkeit gelang es ihm auch, daß er den Doktor dazu bewog, einen überaus ehrerbietigen Brief an den Papst zu schreiben und dem päpstlichen Stuhle und der römischen Kirche die tiefste Ergebenheit auszudrücken.

Aber was Miltitz aufzubauen versucht hatte, zerstörte wieder Dr. Johann Eck, Professor der Theologie zu Ingolstadt. Dieser, ein gelehrter und gewandter Mann, aber auch heftig und stolz, glaubte mehr als alle Gegner Luther's auszurichten oder durch die Feinheit seiner Disputirkünste ihn niederschlagen zu können. Er forderte daher ihn und andere wittenbergische Theologen zu einer öffentlichen Disputation nach Leipzig. Als Luther mit einigen anderen Professoren sich auf den Weg machte, begleiteten seinen Wagen an 200 Studenten, die mit Spießen und Hellebarden nebenher liefen. Die guten Leute wollten sorgen, daß ihrem geliebten Lehrer kein Leid geschehen sollte. Die Leipziger Disputation dauerte mehrere Wochen; es ward aber nichts entschieden, denn jede Partei schrieb sich den Sieg zu. Wohl aber fühlte sich nun Luther angetrieben, den Ursprung der Papstmacht näher zu untersuchen, und die heillose Anmaßung so vieler Päpste an's Licht zu ziehen. Sehr erbittert reiste Dr. Eck nach Rom ab und bewog den Papst, eine Bulle gegen Luthern zu erlassen. In dieser Bulle wurden 41 Sätze aus Luther's Schriften als ketzerisch verdammt, das Verbrennen dieser Schriften anbefohlen, er selbst, wofern er binnen 60 Tagen nicht widerrufen würde, mit dem Banne bedroht, und allen deutschen Obrigkeiten anbefohlen, ihn und seine Anhänger gefangen zu nehmen und nach Rom zu senden. Zur Bekanntmachung und Vollziehung dieser päpstlichen Bulle kam Eck triumphirend nach Deutschland zurück, in der Hoffnung, Luthern ganz und gar zu vernichten. Doch er betrog sich. Zwar wurden an einigen Orten, als zu Köln, Mainz und Löwen, Luther's Schriften verbrannt; aber in Kursachsen und andern Orten durfte die Bannbulle gar nicht bekannt gemacht werden; das Volk zerriß sie und in Leipzig wäre Eck beinahe todt geschlagen worden. Bei Luther aber war der letzte Rest von Ehrfurcht gegen die Heiligkeit und Unfehlbarkeit des Papstes verschwunden; er schrieb sein Werk von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, nannte den Papst den Antichrist, der die Wahrheiten der heiligen Schrift zu unterdrücken suchte, und rechtfertigte alle seine Behauptungen, die in jener Bulle als ketzerisch verdammt waren. Auch wiederholte er seine Berufung an eine allgemeine Kirchenversammlung und kündigte dem Papst allen Gehorsam auf. Durch einen öffentlichen Anschlag berief er die Studenten in Wittenberg zusammen und zog am 10. Dezember 1520, Vormittags 9 Uhr, vor das Elsterthor, begleitet von einer Menge Doktoren und Studenten. Dort ward ein Scheiterhaufen errichtet und angezündet, und Luther warf eigenhändig die Schriften über das päpstliche Recht, die wider ihn erlassene Bulle und andere Schriften seiner Gegner in's Feuer, wobei er die biblischen Worte sprach: »Weil du den Heiligen des Herrn betrübet hast, so betrübe und verzehre dich das ewige Feuer!« Damit war der entscheidende Schritt gethan, durch welchen er sich auf immer von der katholischen Kirche trennte; an der Flamme des Scheiterhaufens sollte sich bald die Fackel eines furchtbaren Religionskrieges entzünden, der unser schönes, von Gott gesegnetes Vaterland in eine Einöde verwandelte, ohne die Kluft zu füllen, die bis auf den heutigen Tag noch die Katholiken von den Protestanten trennt.

 

5. Luther in Worms.

Kaiser Karl V. hatte auf das Jahr 1521 einen Reichstag ausgeschrieben, der in Worms gehalten werden sollte, und schrieb an den Kurfürsten, er möchte doch auch kommen und den Luther mitbringen, damit dessen Sache dort verhandelt würde. Der Kurfürst fragte bei Luther an, ob er wohl nach Worms gehen würde, wenn man ihn dahin entböte. »Wenn ich berufen werde,« antwortete Luther, »so will ich auch gehen. Fliehen will ich nicht, widerrufen noch viel weniger, so wahr mich mein Herr Jesus stärket; denn ich kann keines ohne Gefahr der Gottseligkeit und Vieler Seligkeit thun!« Nun wurde ihm beim Kaiser sicheres Geleit ausgewirkt und zugleich erhielt er die kaiserliche Citation, binnen 21 Tagen nach Worms zu kommen. Als er abreiste, umarmte er noch einmal seinen lieben Freund Melanchthon. »Komme ich nicht wieder,« sprach er, »und morden mich meine Feinde, so beschwöre ich dich, lieber Bruder, laß nicht ab zu lehren und bei der Wahrheit zu verharren. Arbeite unterdessen für mich, weil ich nicht hier sein kann. Du kannst es ja noch viel besser machen. Daher ist auch nicht viel Schade um mich, bleibst du doch da. In dir hat der Herr noch einen viel gelehrteren Streiter.«

In Begleitung des kaiserlichen Herolds Kaspar Sturm, ferner seines Bruders Jakob, seiner Freunde Justus Jonas, Nicolaus Amsdorf und des berühmten Rechtsgelehrten Hieronymus Schurf trat Luther am 2. April die Reise an. Er fuhr in einem Wagen, den ihm der wittenbergische Magistrat geschenkt hatte. Wo er unterwegs anhielt, lief meilenweit das Volk herbei, den Mann zu sehen, der so dreist dem Papste widersprochen hatte. Als er seinem geliebten Erfurt sich näherte, kam ihm ein langer Zug zwei Meilen weit zu Pferde und zu Fuß entgegen, und in der Stadt konnte der Wagen vor allem Gedränge kaum aus der Stelle. Auch ließ man ihm nicht eher Ruhe, bis er predigte – und unter welchem Zulauf geschah das! In Eisenach wurde er krank, doch erholte er sich bald wieder. Man warnte ihn, nicht weiter zu reisen, denn man werde ihn in Worms zu Pulver verbrennen. Aber muthig antwortete er: »Wenn gleich meine Feinde ein Feuer machen, das von Worms nach Wittenberg reicht, so will ich doch im Namen des Herrn erscheinen, Christum bekennen und denselben allein walten lassen.« In der Nähe von Worms kam ihm ein Bote von Spalatin, seinem Freunde und des Kurfürsten Geheimschreiber und Hofprediger, entgegen, er sollte doch ja nicht nach Worms kommen und sich in solche Gefahr begeben. Luther ließ aber zurücksagen: »Und wenn auch so viel Teufel in Worms wären, als Ziegel auf den Dächern, so will ich doch hinein!«

Am 16. April 1521 zog er in Worms ein. Vor seinem Wagen ritt der kaiserliche Herold einher; eine Menge von Reitern und Wagen, die ihn eingeholt hatten, schlossen sich an, und mehr als 2000 Menschen drängten ihm nach bis in sein Quartier. Schon am folgenden Morgen erschien der Reichsmarschall bei ihm und citirte ihn, Nachmittags auf der Reichsversammlung zu erscheinen. Zur bestimmten Zeit holte er ihn selbst ab. Da gab es wieder einen großen Zusammenlauf! Auf der Straße standen die Menschen Kopf an Kopf; ja Viele stiegen auf die Dächer und alle Fenster waren dicht besetzt. Aber dieses Mal warteten die Leute vergebens; denn weil durch das Gedränge nicht durchzukommen war, mußte Luther durch Hinterhäuser und Gärten geführt werden. An der Thüre des großen Saales standen mehrere Ritter. Einer von ihnen, der berühmte Georg Frundsberg, klopfte ihn treuherzig auf die Schulter und sprach: »Mönchlein, Mönchlein! Du gehest jetzt einen Gang, dergleichen ich und mancher Kriegsoberst in der schwersten Schlacht nicht gethan haben. Bist du aber rechter Meinung und deiner Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen fort und sei nur getrost, Gott wird dich nicht verlassen!« Diese Worte stärkten Luther's Gemüth nicht wenig, denn etwas beklommen war ihm doch um's Herz, als er, der zurückgezogene Mönch, nun auftreten sollte vor Kaiser und Fürsten, um seine Meinung zu vertheidigen. Jetzt öffneten sich die Saalthüren und Luther schritt hinein. Da saß auf dem Throne Kaiser Karl V., obwohl erst 21 Jahre alt, doch sehr stattlich und würdevoll, in wahrhaft kaiserlicher Pracht, und in zwei langen Reihen vor ihm saßen die Fürsten, Herzöge und Grafen des deutschen Reiches. Alle schaueten Luthern stark an, und mehr als 5000 Menschen, die in dem Saale und vor den Fenstern standen, sahen nur auf ihn allein. Man legte ihm seine Bücher vor und der Reichsmarschall fragte ihn, ob er sie für die seinigen erkenne und ob er widerrufen wolle? Die erste Frage bejahte er; aber wegen der zweiten bat er sich bis zum folgenden Tage Bedenkzeit aus, die ihm der Kaiser auch gewährte.

Erst als er den Saal hinter sich hatte, athmete er wieder frei. Das hatte er nun erfahren, daß es nichts Kleines sei, so vor Kaiser und Reich zu stehen und seine Meinung zu verfechten. Aber schnell gab ihm der Gedanke an den Beistand Gottes, für dessen Wort er hier zu reden habe, neue Kraft und er freute sich, als er schon am folgenden Nachmittage um 4 Uhr wieder zur Versammlung abgerufen ward. Nachdem er zwei volle Stunden draußen hatte warten müssen, umringt von unzähligen Neugierigen, öffneten sich für ihn die Thüren und er trat ein. Schon brannten im Saal die Fackeln und Kerzen. »Allergnädiger Kaiser, gnädigste Kurfürsten, Fürsten und Herren!« hob er an, »ich erscheine gehorsam zu dem Termine, so mir gestern Abend angesetzt ist, und bitte durch Gottes Barmherzigkeit Ew. Majestät und Gnaden wollen diese gerechte und wahrhaftige Sache, wie ich hoffe, gnädigst hören; und so ich aus Unverstand vielleicht einem Jeglichen seinen gebührlichen Titel nicht geben, oder mich sonst nicht nach Hofgebrauch in Geberden erzeigen sollte, mir es gnädigst zu Gut halten, als der ich nicht zu Hofe gewest, sondern immer im Kloster gesteckt bin und von mir anders nicht zeugen kann, denn daß ich in dem, was ich bisher mit einfältigem Herzen gelehret und geschrieben, allein Gottes Ehre und der Gläubigen Christi Nutz und Seligkeit gesucht habe.« Dann redete er von seinen Büchern und den darin enthaltenen Lehrsätzen, alles in deutscher Sprache. Da erinnerte man ihn, der Kaiser verstehe davon nicht viel; er solle doch das mit lateinischen Worten wiederholen. Das that er auch, ob er gleich sehr schwitzte und ihm wegen des Getümmels sehr heiß war. Nachdem er lange überaus bescheiden gesprochen hatte, fiel ihm ein vornehmer Geistlicher in die Rede und verlangte eine runde richtige Antwort, ob er widerrufen wolle oder nicht. »Weil denn,« antwortete Luther, »kaiserliche Majestät, kur- und fürstliche Gnaden eine schlichte, einfältige, richtige Antwort begehren, so will ich eine geben, die weder Hörner, noch Zähne haben soll, nämlich also: Es sei denn, daß ich mit Zeugnissen der heiligen Schrift, oder mit klaren und hellen Gründen überwiesen werde, so kann und will ich nichts widerrufen, weil es nicht gerathen ist, etwas wider das Gewissen zu thun. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen!«

Mit diesen kräftigen Worten trat Luther ab; aber er hatte nicht vergebens geredet. Das freudig und muthig abgelegte Bekenntniß der Wahrheit hatte ihm viele Herzen, auch unter den Fürsten gewonnen. Der alte Erich, Herzog von Braunschweig, sonst ein großer Feind der Reformation, schickte ihm eine silberne Kanne voll Eimbecker Bier, daß er sich damit erquicke. Luther fragte den Boten, welcher Fürst seiner so in Gnaden gedächte, und da er hörte, daß es Erich sei und daß er selbst vorher von dem Biere getrunken, so fürchtete er keine Vergiftung, sondern trank beherzt daraus und sprach: »Wie heute Herzog Erich meiner gedacht, also gedenke seiner unser Herr Christus in seinem letzten Kampfe.« Erich vergaß dieser Worte nicht und erinnerte sich noch derselben auf seinem Sterbebette. Besonders aber hatte sich Friedrich der Weise über Luther's Freimüthigkeit gefreut, und er äußerte noch denselben Abend gegen Spalatin: »Recht schön hat Doktor Martin geredet vor dem Herrn Kaiser und allen Fürsten und Ständen des Reichs; er ist mir nur zu herzhaft gewest.«

Noch einmal versuchte man, Luthern zum Widerruf zu bewegen; aber er antwortete: »Ist meine Sache nicht aus Gott, so wird sie bald untergehen; ist sie aber aus Gott, so könnt ihr sie nicht dämpfen!« Nun erhielt er die Erlaubniß abzureisen und verließ Worms am 26. April; denn Kaiser Karl hielt ihm das versprochene sichere Geleit, so sehr auch der päpstliche Gesandte ihm zuredete, einem Ketzer brauche man kein Wort zu halten. Er antwortete dem Legaten mit Festigkeit: »Ich mag nicht erröthen wie einst Sigismund!« Dagegen wurde Luther in die Reichsacht erklärt. Es hieß in dem Beschlusse, Luther habe nicht als Mensch, sondern als der böse Feind in Gestalt eines Menschen mit angenommener Mönchskutte vieler Menschen lange Zeit verborgen gebliebene, verdammte Ketzerei in eine stinkende Pfütze gesammelt und selbst etliche Ketzereien von Neuem erdacht. Darum solle vom 14. Mai an Niemand diesen Luther hausen, höfen, ätzen, tränken, und seine Bücher solle Niemand kaufen, verkaufen, lesen, behalten, abschreiben, drucken und abschreiben und drucken lassen – u. s. f. Diese Verordnung wurde auch das Wormser Edikt genannt.

Zwar fehlte es dem Kaiser an Zeit und Macht, dieses Edikt in Ausführung zu bringen, aber doch war die Gefahr, in welche Luther gerieth, groß und dringend. Kurfürst Friedrich der Weise beschloß daher, ihn seinen Verfolgern wenigstens eine Zeit lang zu entziehen. Demnach geschah es, als Luther auf der Rückreise nicht weit von Eisenach, in der Nähe des Schlosses Altenstein war, daß der Wartburger Amtshauptmann, Hans von Berlepsch, und dessen Freund, Burkhard von Hund, Herr zu Altenstein, mit zwei Knechten aus dem Walde sprengten und mit verstellter Gewalt Luther's Wagen angriffen. Sein Bruder Jakob, der neben ihm saß, sprang beim Anblick der Reiter, ohne Abschied zu nehmen, aus dem Wagen und lief in größter Angst nach Waltershausen. Luther selbst wurde aus dem Wagen gerissen, in den nahen Wald geführt, daselbst umgekleidet, auf ein Pferd gesetzt und um Mitternacht auf das Schloß Wartburg gebracht. Hier nannte man ihn Junker Görge und behandelte ihn als einen Staatsgefangenen; aber so gut, daß selbst der Kellermeister sich darob verwunderte.

 

6. Luther auf der Wartburg.

Nur die vertrautesten Freunde, wie Melanchthon und Spalatin, wußten, wohin Luther gekommen war; unter dem Volke verbreitete man die Sage, der Teufel habe ihn geholt. Aber bald zeigte er, daß er noch lebe und vom Geiste Gottes beseelt sei. Aus seiner Zurückgezogenheit schrieb er gegen den Ablaß, den der Erzbischof von Mainz auf's Neue in Halle predigen ließ, und er bewirkte, daß dem Unfug Einhalt geschah; dort fing er seine Kirchenpostille und faßliche Erklärung der Sonntagsevangelien an. Sobald eine neue Schrift des Gottesmannes erschien, merkten wohl seine Freunde und Feinde, daß Luther noch am Leben sei, aber den Ort konnten sie nicht erfahren. Das Allerwichtigste aber, was der Reformator auf der Wartburg arbeitete, war seine vortreffliche Uebersetzung der Bibel, die voll Kraft des heiligen Geistes das beste Rüstzeug für Ausbreitung der neuen Lehre wurde, und die für alle Zeiten ein Heiligthum des deutschen Volkes bleiben wird. Da Luther so angestrengt arbeitete, verfiel er zuweilen in Schwermuth und wähnte dann, der Teufel verfolge ihn, um sein Werk wieder zu zerstören. Einst, heißt es, glaubte er sogar den Teufel an der Wand zu sehen, aber herzhaft warf er das Tintenfaß nach ihm.

Indessen ereignete sich manches Denkwürdige in Wittenberg, wie im übrigen Deutschland. Schon in demselben Jahre (1521) wagte ein sächsischer Geistlicher, sich zu verheirathen. Viele Mönche traten öffentlich zu Luther's Lehre über, besonders die Augustiner in Sachsen. Die Messe wurde in deutscher Sprache gehalten, die Hostie nicht mehr emporgehoben und angebetet und das Abendmahl Jedem, der es wünschte, in beiderlei Gestalt gereicht, wie es der Heiland vorgeschrieben. Aber wie leicht das rechte Maß überschritten und die Reform zur Revolution (Umsturz) wird, zeigte sich auch hier. Doktor Karlstadt, Luther's Freund und Amtsgenosse, ein ungestümer, schwärmerischer Eiferer, stürmte mit seinen Anhängern die Kirchen, vertrieb die katholischen Geistlichen und vernichtete die Bilder der Heiligen. Andere Schwärmer schafften die Kindertaufe ab. Luther vernahm das mit dem tiefsten Unwillen. Denn wie feurig und reizbar auch sein Gemüth war, so war ihm doch solches stürmische Gebahren ein Greuel. Nicht länger mochte er auf der Wartburg bleiben, obgleich sein Kurfürst dieses wünschte; denn wo es dem christlichen Glauben galt, fragte er nicht nach der Gunst seines Herrn, wie hoch er auch sonst ihn verehrte. Auf der Stelle reiste er nach Wittenberg ab und predigte allda acht Tage lang gegen den Unfug der neuen Propheten.

 

7. Thomas Münzer. Johann von Leyden.

Die Bauern hatten es damals in Deutschland sehr schlimm. Sie waren zwar nicht eigentlich Leibeigene, mußten aber harten Frohndienst leisten, d. h. für ihre Gutsherrn mehrere Tage in der Woche arbeiten; auch wurden sie zugleich vom Landesherrn und Gutsbesitzer mit schweren Abgaben belastet. Sie hatten schon einige Male versucht, das Joch abzuschütteln, aber man hatte sie jedes Mal mit Härte wieder unterworfen. Nun erfolgte die Reformation. Luther predigte von der christlichen Freiheit und meinte, man solle die Christen nicht zum Glauben zwingen und ihrem Gewissen Gewalt anthun; aber die Bauern verstanden unter dieser christlichen Freiheit die Befreiung von Abgaben und Frohndienst. Sie schaarten sich zusammen, um ihren Herren den Gehorsam aufzukündigen.

Anfangs verfuhren die Bauern noch glimpflich; sie setzten zwölf Punkte ihrer Beschwerden auf und schickten sie nach Wittenberg, damit Luther und Melanchthon ihr Urtheil darüber abgeben möchten. Luther fand nun freilich mehrere ihrer Beschwerden gegründet, aber er rieth zur Unterwerfung. »Vergesset nicht,« schrieb er, »daß in der heiligen Schrift stehet: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr!« Zugleich ermahnte er die Herren zur Mäßigung und Nachsicht. Aber damit war beiden Theilen schlecht gedient. In Franken, Schwaben, Thüringen – überall brach die Empörung aus, überall zogen zahlreiche Bauernschaaren aus, um das Land zu plündern und zu verwüsten. Klöster und Kirchen wurden eben so wenig verschont, als die Burgen und Schlösser. Jeder Ritter oder Adlige, welcher den wüthenden Bauern in die Hände fiel, wurde gespießt oder enthauptet; nicht anders verfuhren aber auch die Herren. Luther, da er sah, daß er mit sanften Worten nichts mehr ausrichtete, erließ eine harte Streitschrift »wider die räuberischen und mörderischen Bauern,« und da diese auf keine vernünftige Vorstellung mehr hören wollten, sagte er, »man solle sie wie tolle Hunde todtschlagen.«

In Thüringen brach auch die Empörung aus; an deren Spitze stellte sich Thomas Münzer, ein Schüler Luther's. Dieser höchst schwärmerische Mann, der früher Weltpriester zu Zwickau gewesen, aber wegen seiner aufrührerischen Reden von dort vertrieben worden war, rühmte sich besonderer Offenbarungen Gottes, durch welche ihm das Wesen christlicher Freiheit weit klarer geworden sei, als Luther sie kenne und lehre. Nach diesen vermeintlichen Offenbarungen sollte jetzt ein ganz neues christliches Reich gestiftet werden, in welchem völlige Gleichheit herrschen und alle Güter gemeinschaftlich sein müßten. »In diesem Reiche,« sagte Münzer, »bedarf es nicht der Fürsten und Obrigkeiten, nicht des Adels und der Geistlichkeit; im Christenthum soll kein Unterschied sein zwischen Reich und Arm!« Zu dieser bewegten Zeit, wo jede neue Lehre hastig aufgegriffen wurde, verschafften sich die Lehrsätze Münzer's leicht Eingang bei dem gemeinen Volk, und den Armen zumal dünkte es sehr einladend, mit den Reichen fortan theilen zu können und des lästigen Arbeitens überhoben zu sein. Vorzüglich waren es die Bauern, die sich zu diesem neuen Propheten retteten. Unter seiner Anführung zogen sie von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf und verwüsteten und zerstörten Alles mit Feuer und Schwert.

Die Noth war groß; doch die Fürsten rüsteten sich, der Empörung Einhalt zu thun. Sie ließen ihr Heer gegen Frankenhausen aufbrechen, wo die Bauern auf einem Berge ihr Feldlager aufgeschlagen und mit einer Wagenburg befestigt hatten. Um nichts unversucht zu lassen, schickten die Fürsten einen Edelknaben an sie ab, der ihnen Gnade anbieten sollte, wenn sie friedlich auseinander gingen und die Rädelsführer auslieferten. Da erschrak Münzer über die Gefahr, in welcher er schwebte, hielt eine feurige Rede an die Bauern, die er damit schloß, es möchte sich nur Keiner fürchten vor den Kugeln der Feinde, die würde er alle mit seinem Aermel auffangen, und wer in der vordersten Reihe niedergeschossen würde, der stünde in der hintersten wieder auf. Ihm sehr zu gelegener Zeit entstand gerade ein Regenbogen am Himmel. »Seht!« schrie er, »das Zeichen des Bundes, welchen Gott mit uns macht! Dieser Bogen ist der Bürge unseres Sieges und des Untergangs unserer Feinde. Also zum Kampf und Sieg!« Noch standen die Bauern unschlüssig da, sahen ihn an und seinen Aermel; da ließ er den Abgesandten in Stücke hauen, um so den Weg zu einem gütlichen Vergleiche abzuschneiden. Nun griffen die Bauern zu ihren Sensen, Piken und Schwertern und erwarteten ihre Feinde. Diese ließen auch nicht lange auf sich warten. Die Kugeln sausten, die Reiter sprengten heran und wie Streu stob das Bauernheer auseinander. Die armen verblendeten Leute sahen sich nach Münzern um; aber der hatte beim ersten Kanonenschuß die Flucht ergriffen und sich in Frankenhausen auf einem Heuboden versteckt. Die Bauern fielen nieder und baten um Gnade. Aber nun war es zu spät; fünftausend wurden erschlagen, viele niedergeritten, die Gefangenen sammt dem Rädelsführer Münzer enthauptet.

Von Münzer's Anhängern waren einige entkommen und hatten sich nach Holland gewendet, wo sie Anhänger fanden. Diese Leute kamen auf den Einfall, Alle, die zu ihnen gehörten, noch einmal zu taufen, weil die Kindertaufe keine wahre Taufe sei, da ja die Kinder nichts davon verständen und auch in der heiligen Schrift nichts davon angeordnet sei. So bildete sich die Secte der Wiedertäufer. Einige derselben kamen nach Westphalen und ließen sich in der Stadt Münster nieder. Die Verworfensten dieser Wiedertäufer waren Johann Bockold, gewöhnlich Johann von Leyden genannt, und Johann Matthiesen, ein Bäcker aus Haarlem. Diese verbanden sich mit einem Prediger der Stadt, Namens Rottmann, der ein unwürdiger Schüler Luther's war und viele Bürger für seine Neuerungen gewann. Vergebens ermahnte und drohete der Bischof – er mußte Münster verlassen; vergebens versuchte der Magistrat dem Unwesen Einhalt zu thun, man jagte ihn fort. Heinrich Rulle, ein Mönch aus Haarlem, rannte wie besessen durch die Stadt und schrie unaufhörlich: »Thut Buße und lasset Euch taufen, denn der Tag des Herrn ist nahe!« Dasselbe Geschrei wiederholten am Nachmittage Johann von Leyden und Bernhard Knipperdolling, ein Tuchhändler aus Münster. Nachdem sich die Rotte des Zeughauses bemächtigt hatte, luden Rottmann und Knipperdolling die Bauern ein, sie möchten nur ihre Arbeit sein lassen und in die Stadt kommen, da würden sie ein besseres Leben finden. Sie lehrten, wie Münzer, eine allgemeine Gütergemeinschaft; die Reichen mußten Alles hergeben und verließen je eher je lieber die Stadt, die nun den Armen und Wiedertäufern allein überlassen blieb. Matthiesen befahl, daß Jeder sein Gold, Silber und übriges Eigenthum in ein bestimmtes Haus bringen sollte; es geschah. Dann wurden alle Bücher verbrannt, ausgenommen die Bibel.

Indessen rückte der Bischof von Münster mit einem Heere herbei, die Stadt zu belagern. Da erschien der Bäcker Matthiesen auf dem Markte, suchte sich dreißig Männer aus und rief: »Gott hat mir offenbart, daß ich mit diesen Leuten allein das ganze Heer des Bischofs in die Flucht schlagen werde!« Wirklich zog der Tollkopf aus und alle waren neugierig, wie es ihm ergehen würde. Aber er wurde gleich vom ersten Soldaten niedergestochen. Da trat der Schneider Bockold auf und sprach, das habe er längst gewußt, denn er sei bestimmt, des Bäckers Wittwe zu heirathen und auch als Bürgermeister an Matthiesens Stelle zu treten. Nun wurde der Schneider Bürgermeister, aber diese Würde verrückte ihm vollends den Kopf. Auf sein Geheiß mußte ein Goldschmied dem Volke bekannt machen: »Gott hat mir offenbart, daß Bockold ein König ist, dazu bestimmt, den ganzen Erdkreis zu beherrschen und alle Fürsten todt zu schlagen.« Da fiel Bockold auf seine Kniee und rief: »Meine Brüder! das hat mir Gott schon vor längerer Zeit offenbart, aber ich wollte warten, bis ein Anderer es euch verkündigte.« Nun ließ sich Bockold eine goldene Krone, einen Scepter und ein breites Schwert machen; auf dem Markte ließ er sich einen Thron errichten und ertheilte dort Audienz, und wenn er über die Straße schritt, trug er einen scharlachrothen Mantel mit einer langen Schleppe, die ihm von Edelknaben nachgetragen werden mußte. Er erlaubte seinen Anhängern, so viel Weiber zu nehmen, als sie nur wollten; er selbst brachte es auf vierzehn. Eine dieser Frauen enthauptete er auf dem Markte mit eigener Hand, weil sie ihm Vorstellungen über all' den Unsinn machte, dann tanzte er mit den übrigen um den blutigen Leichnam herum. Endlich schickte er 28 Apostel aus in die nächsten Städte; das Reich Christi, wie er sagte, sollte nun aufgerichtet werden. Doch nun sollte dem Unwesen ein Ende gemacht werden. Der Bischof schloß die Stadt immer enger ein und die Hungersnoth nahm so überhand, daß Viele verhungerten, Andere wie Schatten umherwankten. Und doch durfte Keiner sich unterstehen, von Uebergabe zu sprechen. Da flohen zwei Bürger aus der Stadt und zeigten dem Bischof einen geheimen Eingang. In einer stürmischen Nacht drangen 400 feindliche Krieger durch den Graben auf den Wall und nun begann ein furchtbares Gemetzel, das bis in den hellen Tag hinein fortdauerte. Wer fliehen konnte, der floh oder versteckte sich in Kellern, wüsten Klöstern und andern Schlupfwinkeln. Der König verkroch sich auf den höchsten Boden des Aegidii-Thurmes; er wurde aber von einem Knaben verrathen und in Fesseln geschlagen. Nicht besser erging es seinen beiden Ministern, Krechting und Knipperdolling. Rottmann aber stürzte sich, um den Bischöflichen nicht lebendig in die Hände zu fallen, mit dem Schwerte in der Faust in die dichtesten Haufen der Feinde und fiel, ritterlich kämpfend, ehrenvoller, als er gelebt hatte. Bockold, Krechting und Knipperdolling wurden in eiserne Käfige gesperrt, wie seltene Thiere im Lande umhergeführt, dann aber in Münster grausam hingerichtet. Die Käfige mit den Leichnamen hing man am Lampertus-Thurme auf (1532).

 

8. Fortgang der Reformation.

Durch alle Händel, Verirrungen und Ausschweifungen, die um diese Zeit entstanden, ließ sich der wackere Luther doch keineswegs aufhalten, die gute Sache zu fördern. Im Jahre 1523 schrieb er eine neue Ordnung des Gottesdienstes, die auch bald in Wittenberg Eingang fand; dann besorgte er, in Verbindung mit dem Kapellmeister Johann Walther, das erste evangelische Gesangbuch, wozu er selber kräftige Lieder und Gesangweisen lieferte. Im Jahre 1524 verließ er das Kloster und legte die Mönchskutte ab, und im folgenden Jahre verheirathete er sich mit einem zwar armen, aber an Tugend reichen Fräulein, Katharina von Bora, die vorher Nonne im Cisterzienser-Kloster zu Nimptschen bei Grimma gewesen war. Späterhin reiste Luther mit seinem Freunde Melanchthon in Sachsen umher, um zu untersuchen, wie die Prediger und Schullehrer beschaffen wären. Da fanden sie eine erstaunliche Unwissenheit, und das konnte nicht wohl anders sein, da gute Schulen die größte Seltenheit waren. Das bewog Luthern, seinen großen und kleinen Katechismus zu schreiben, damit die Pfarrherren und Lehrer doch einen Leitfaden hätten, nach welchem sie das Volk und die Jugend unterrichten könnten. Dazu forderte Luther die Rathsherren aller Städte Deutschlands auf, für die Verbesserung des Jugendunterrichts zu sorgen und ermahnte die Fürsten, die eingezogenen Kirchengüter zu diesem löblichen Zwecke zu benutzen. Und nicht bloß in Kursachsen wurde um diese Zeit nach Luther's Sinn und Lehre die Reformation eingeführt, sondern auch in vielen andern Gegenden Deutschlands, ja auch in Preußen, Schweden, Dänemark.

Unstreitig wurde die Reformation dadurch sehr begünstigt, daß Kaiser Karl V. sich nur selten einmal in Deutschland sehen ließ und überhaupt viele andere Dinge im Kopfe hatte, die ihm weit mehr am Herzen lagen, als die Zänkereien der Deutschen. Seitdem er mit König Franz I. von Frankreich, einem jungen ritterlichen Fürsten, zugleich auf der Kaiserwahl gewesen war, haßten sich beide mächtige Monarchen. Sie haben vier erbitterte Kriege mit einander geführt, besonders wegen der Oberherrschaft in der Lombardei. Diese Kämpfe hielten Karl von Deutschland fern und nie hat dieser sonst so große Kaiser den Charakter der Deutschen recht kennen gelernt. Nur wenn einmal der Lärm in Deutschland zu arg wurde, oder wenn er Geld brauchte, schrieb er einen Reichstag aus. So ließ er im Jahre 1529 einen Reichstag in Speyer halten, wo abermals der Streit zwischen den Katholischen und Lutheranern vorgenommen wurde. Nach langem Hin- und Herreden gaben die Katholiken so weit nach, daß die Lutherischen für's Erste freie Religionsübung behalten sollten, wenn sie die Messe beibehielten und allen Neuerungen entsagten. Dagegen protestirten aber die Lutherischen und erhielten seitdem den Namen » Protestanten«.

Noch wichtiger war 1530 der Reichstag in Augsburg, dem der Kaiser selbst beiwohnte. Auf Anrathen des Kurfürsten von Sachsen hatte der gelehrte und sanfte Melanchthon eine Schrift aufgesetzt, in welcher die Lehrsätze der neuen Kirche enthalten waren. Diese Arbeit war ein wirkliches Meisterstück; jedes Wort war sorgfältig abgewogen, und so klar die Glaubenslehren der Protestanten dargelegt waren, so schonend war über die Irrthümer der Katholiken hinweggegangen. Diese Augsburger Konfession, wie man die Urkunde nannte, wurde öffentlich vorgelesen und dann dem Kaiser überreicht, welcher darauf erwiderte, er wolle diesen trefflichen Handel mit allem Fleiße erwägen und dann seine Entschließung bekannt machen. Er übergab nun die Schrift einer Gesellschaft von katholischen Geistlichen, unter denen auch Eck mit seinen Genossen war. Diese faßten nun eine Gegenschrift ab, aber in so heftigen, unschicklichen Ausdrücken, daß selbst der Kaiser sie mit Unwillen zurückwies und eine andere aufzusetzen befahl. Diese wurde nun den Protestanten übergeben und der Kaiser bedrohete sie mit seiner Ungnade, wenn sie noch ferneren Widerspruch dagegen erheben würden. Wie wäre aber ein Vertrag zwischen beiden Parteien noch möglich gewesen, da beide so himmelweit von einander abwichen? Es blieb Jeder hartnäckig bei seiner Meinung. Die Fürsten aber fuhren fort, in ihren Ländern die Reformation zu verbreiten. Luther war nicht mit in Augsburg gewesen, denn der Kurfürst von Sachsen hielt es nicht für räthlich, den Geächteten und Gebannten solcher Gefahr auszusetzen; aber über alle Angelegenheiten hatte man ihn zuvor befragt und ohne seine Zustimmung war nichts von Seiten der Protestanten ausgeführt worden.

 

9. Luther's Ende.

Die protestantischen Fürsten, Johann der Standhafte (Sohn Friedrich's des Weisen) von Sachsen, Landgraf Philipp von Hessen an der Spitze, schlossen in Verbindung mit 11 Städten zu Schmalkalden einen Bund, daß sie treulich wollten zusammenhalten, wenn die Katholischen sie mit Gewalt der Waffen zwingen wollten, von ihrem Glauben abzulassen. Solches geschah im Jahre 1531. Luther war auch bei dieser Versammlung; aber so streitlustig er auch war, so verabscheuete er doch den Krieg, weshalb er oftmals äußerte, daß er lieber einen zehnfachen Tod erdulden, als durch seine Lehre einen Krieg entzünden wollte. Seiner Meinung nach sollte man alle Sachen der Religion Gott anheimstellen, der werde eher und besser für sie sorgen, als irgend eine bewaffnete Macht. Wirklich kam es auch, so lange er lebte, nicht zum Kriege. Dagegen hatte er in seinen letzten Lebenstagen viel andere Kümmernisse zu tragen. Nicht blos krankhafte Zufälle ergriffen ihn, als Schwindel, Ohrenbrausen, Steinschmerzen – Folgen seiner übergroßen Anstrengung! – er sah auch sein Ansehen auf der Universität Wittenberg hier und da angetastet, und in seiner großen Reizbarkeit wurde der sonst so heitere und lebensfrohe Mann finster und verschlossen. So von innen und außen bestürmt, verließ er in einer Aufwallung seines Unmuths (im Mai 1545) Wittenberg und begab sich auf das ihm vom Kurfürsten geschenkte Landgut Zeilsdorf bei Borna. Allein die Bitten der Wittenberger und die Ermunterungen Johann's des Standhaften bewogen ihn doch, wieder zurückzukehren. Er kam im August desselben Jahres wieder nach Wittenberg, doch mit dem Flehen zu Gott, daß er bald abgerufen werden möchte. Und sein Flehen ward erhört. Was hätte auch die Vorsehung dem Lebensmüden nach so vielen unsterblichen Thaten Schöneres geben können, als einen sanften Tod?

Kurz nach seiner Rückkehr baten ihn die Grafen von Mansfeld, nach Eisleben zu kommen, um eine Streitigkeit, die unter ihnen entstanden war, zu schlichten und beizulegen. Mit Bewilligung seines Kurfürsten machte er sich mitten im Winter auf die Reise, begleitet von drei Söhnen und seinem alten Diener Ambrosius Rutfeld. Als er nach Halle kam, mußte er drei Tage lang bei seinem Freunde, dem Oberprediger Justus Jonas, bleiben, weil die Saale ausgetreten war, und nicht ohne Lebensgefahr setzte er endlich auf einem Kahne über. So kam er am 28. Januar 1546 nach Eisleben, wo ihn die Grafen mit vielen Reitern feierlichst einholten. Beim Anblick seiner geliebten Vaterstadt ward sein Herz mächtig ergriffen; aber eine Erkältung hatte ihm bereits Brustbeklemmungen und Ohnmächten verursacht. Gleichwohl war er unermüdet thätig; er arbeitete an dem ihm aufgetragenen Friedenswerk, prüfte und billigte eine ihm vorgelegte Kirchenordnung, weihete zwei Prediger ein und predigte selber vier Mal, zuletzt am 14. Februar. Am 17. Februar fühlte er sich auf's Neue krank und schwach; er mochte daher den Friedensunterhandlungen nicht beiwohnen, sondern blieb auf seiner Stube, legte sich auf's Ruhebette, ging dann wieder herum, betete öfters und unterhielt sich darauf mit seinen Freunden. Todesgedanken stiegen in ihm auf und bedenklich sprach er die Worte: »Ich bin hier in Eisleben geboren, wie, wenn ich auch hier sterben sollte?« Aber er blieb sehr heiter beim Vorgefühl seines Todes. Abends ging er in das Speisezimmer zu seiner gewöhnlichen Tischgesellschaft. Bei Tische sprach er viel von der Kürze des Lebens, von der Hoffnung der Ewigkeit und dem dereinstigen Wiedersehen. Nach dem Abendessen kehrte er in sein Zimmer zurück. Da befielen ihn die heftigsten Brustbeklemmungen, bis er während des Reibens mit warmen Tüchern ein wenig einschlummerte. Um 10 Uhr erwachte er wieder und ließ sich in seine Schlafkammer führen. Indem er sich hier in das gewärmte Bett legte, reichte er seinen anwesenden Söhnen und Freunden die Hand und sprach: »Betet zu unserm Herr Gott für sein Evangelium, daß es ihm wohlgehe, denn das Konzilium zu Trident und der leidige Papst zürnet hart mit ihm!« So beschäftigte ihn noch in seiner Todesstunde der Gedanke an das große Werk seines Lebens! Schwer athmend schlief er ein, doch um 1 Uhr erwachte er wieder, von Brustbeklemmungen gequält. Er ging in seine Stube zurück und in derselben einige Mal auf und ab; dann legte er sich auf's Ruhebett, klagend, daß es ihn auf der Brust hart drücke. Nun werden Aerzte herbeigeholt; auch Graf Albrecht von Mansfeld und dessen Gemahlin erschienen und brachten stärkende Tropfen, mit denen sie ihm die Pulsadern bestrichen. Doch alle Hülfe war vergebens! Immer heftiger wurden die Brustbeklemmungen. Seine Freunde suchten ihn zu trösten; weil er schwitze, werde Gott Gnade zu seiner Besserung geben. Er aber antwortete: »Es ist ein kalter Todesschweiß, ich werde meinen Geist aufgeben, denn die Krankheit mehret sich.« Dann fuhr er fort: »O mein himmlischer Vater, Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, du Gott alles Trostes, ich danke dir, daß du mir deinen lieben Sohn Jesum Christum geoffenbaret hast, an den ich glaube, den ich gepredigt und bekannt, den ich geliebt und gelobt habe. Ich bitte dich, mein Herr Jesu Christ, laß dir meine Seele befohlen sein. O himmlischer Vater, obschon ich diesen Leib lassen und aus diesem Leben hinweggerissen werden muß: so weiß ich doch gewiß, daß ich bei dir ewig bleiben und aus deinen Händen mich Niemand reißen kann.« – Man reichte ihm Arzneien; dann betete er drei Mal hinter einander: »Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöset, Herr, du getreuer Gott.« Jetzt wurde er still; man rieb und rüttelte ihn, aber er schlug kein Auge auf. Da rief ihm Doktor Jonas zu: »Ehrwürdiger Vater! Wollt Ihr auf die Lehre Jesu, wie Ihr sie gepredigt habt, auch sterben?« Er antwortete mit einem vernehmlichen Ja, legte sich dann auf die rechte Seite und starb so ruhig und sanft, daß die Umstehenden noch lange glaubten, er schlummere. Es war in der Nacht zwischen 2 und 3 Uhr, am 18. Februar 1546, als der große Mann verschied.

Ungemein groß war das Wehklagen bei der Nachricht von Luther's Tode. Viele Tausende hatten ihn als Vater geliebt, als Rathgeber geehrt und mit wahrer Ehrfurcht aufgeschaut zu ihm, dem freimüthigen, unerschütterlichen und gottesfürchtigen Lehrer. Schaarenweis strömte daher Alt und Jung zu seiner Leiche; auch sämmtliche Grafen von Mansfeld, der Fürst Wolf zu Anhalt, der Graf Heinrich zu Schwarzburg und viele Edelleute kamen, um dem Todten das Opfer ihrer Liebe und Trauer zu bringen. Am 19. Februar trug man die Leiche in die Andreaskirche zu Eisleben, wo Dr. Jonas unter vielen Thränen die Leichenpredigt hielt. Aber der Kurfürst Johann Friedrich (Nachfolger Johann's des Standhaften) wollte nicht, daß Luther in Eisleben begraben würde. Innigst betrübt über dessen Tod, schrieb er an die Grafen von Mansfeld, er hätte gewünscht, daß sie den alten Mann mit ihren Händeln verschont hätten; nun, da er todt sei, solle sein Körper in der Schloßkirche zu Wittenberg bestattet werden. Demnach ward am 20. Februar die Leiche von Eisleben abgeführt, begleitet von den Grafen von Mansfeld und deren Hofstaat, vom Adel der umliegenden Gegend und einer zahllosen Menge von Bürgern und Bauern. Auf dem ganzen Wege von Eisleben nach Wittenberg läuteten überall die Glocken; von Ort zu Ort strömten Menschen herbei und das Gedränge war oft so groß, daß der Leichenzug still halten mußte. Am 22. Februar traf derselbe in Wittenberg ein. Die ganze Universität, der Rath und die Bürgerschaft waren ihm entgegen gegangen, auch viele ehrbare Frauen und Mädchen. Darauf wurde die Leiche in die Schloßkirche gebracht und als sie in die Gruft vor dem Altare hinabgelassen ward, blieb kein Auge thränenleer. So ward noch im Tode der Gottesmann geehrt, der uns Deutsche erlöst hat von dem Ceremoniendienst und Lippenwerk und uns den Weg gezeigt, wie wir Gott verehren und anbeten sollen im Geist und in der Wahrheit.

 

10. Luther im häuslichen Leben. Nach Fr. Bäßler.

Freigebig war Luther, wie selten ein Reicher; freilich schützte er, während er allerwegen die Noth seiner Nächsten zu lindern beflissen war, seine eigene Familie allzuwenig vor einer sorgenvollen Zukunft. Als ihn einer seiner Freunde erinnerte, er möchte doch zum Besten seiner Familie ein kleines Vermögen sammeln, gab er zur Antwort: »Das werde ich nicht thun, denn sonst verlassen sie sich nicht auf Gott und ihre Hände, sondern auf ihr Gold.«

Nothleidenden gab Luther, so lange er noch Etwas hatte, ja auch noch, wenn er Nichts mehr hatte, wie folgende Beispiele beweisen werden. Einst kam ein Mann, der sich in Geldnoth befand, auf Luther's Studirzimmer und bat ihn um eine Unterstützung. Luthern gebrach es damals, – und das mochte öfters der Fall sein – ebenfalls an Geld. Da er aber doch gern helfen mochte, besann er sich, holte das Pathengeld eines jüngst geborenen Kindes und gab es dem Bittenden. Die Wöchnerin, welche davon nichts wußte, merkte es doch bald an der Leere der Sparbüchse und war etwas ungehalten über die unbedachte Großmuth ihres Mannes. Luther aber entgegnete ihr: »Laß es gut sein, Gott ist reich, er wird anderes bescheeren.«

Ein ander Mal kam ein armer Student zu ihm, welcher nach Vollendung seiner Studien Wittenberg verlassen wollte, und bat Luther um ein Reisegeld. Da aber Luther selbst ohne Geld war und vergebens bei seiner Frau darum angefragt hatte, so war die Verlegenheit des Gebetenen fast größer, als die des Bittenden. Plötzlich fiel Luther's umhersuchender Blick auf den schönen vergoldeten Becher von Silber, den er vor Kurzem vom Kurfürsten zum Geschenk erhalten hatte; er lief herzu, faßte das Kleinod und reichte es dem Studiosen. Dieser war darüber bestürzt und wollte nicht zugreifen und Katharina schien durch den Entschluß ihres Mannes nicht eben angenehm überrascht. Da das der Doktor sahe, machte er den Ueberraschungen schnell ein Ende, drückte den Becher mit Kraft zusammen und sprach: »Ich brauche keinen silbernen Becher. Da nimm ihn, trag' ihn zum Goldschmied und was er dir giebt, das behalte!«

War in Luther's Hause das Mittagsmahl mit sinnreichen Reden gewürzt, so verschönte den Abend meistens Musik und Gesang. Einer unserer neueren Dichter hat den Ausspruch gethan:

Wo man singt, da laß dich ruhig nieder;
Böse Menschen haben keine Lieder.

Wer am Abend vor Luther's Hause vorüberging, der konnte es deutlich und mit andächtiger Freude hören, daß darinnen gute Menschen wohnten. Luther selbst begleitete den Gesang mit Flötenspiel oder mit der Laute. »Musik« – pflegte er zu sagen – »ist das beste Labsal eines betrübten Menschen, dadurch das Herz wieder zufrieden, erquickt und erfrischt wird; sie verjaget den Geist der Traurigkeit, wie man an König Saul siehet. Die Jugend soll man stets zu dieser Kunst gewöhnen, denn sie macht feine und geschickte Leute.«

Luther war ein eben so liebherziger als verständiger Vater seiner Kinder. Einst brachte ihm die Muhme seiner Kinder eins auf dem Arme entgegen, da segnete er es und sprach: »Gehe hin und bis fromm; Geld will ich dir nicht lassen, aber einen reichen Gott will ich dir lassen, der dich nicht verlassen wird. Bis nur fromm, da helfe dir Gott zu! Amen!«

Seine überaus große Zärtlichkeit gegen seine Kinder hinderte ihn jedoch nicht, sie in guter Zucht zu halten. Als sein zwölfjähriger Sohn sich eines Vergehens schuldig gemacht hatte, ließ er ihn drei Tage nicht vor sich und nahm ihn nicht eher wieder zu Gnaden an, bis er ihm schrieb, sich demüthigte und Abbitte that. Bei dieser Gelegenheit, als die Mutter, Dr. Jonas und Dr. Teutleben für ihn baten, sprach Luther: »Ich wollt' lieber einen todten, als einen ungezogenen Sohn haben.«

Im Jahre 1542 erkrankte seine innig geliebte vierzehnjährige Tochter Magdalena, ein anmuthiges Jungfräulein von trefflichem Gemüth und hellen Geistesgaben. Die Krankheit ließ sich sehr schlimm an, Luther wich kaum noch vom Bette der Tochter. »Ich habe sie sehr lieb« – seufzte er – »aber lieber Gott, da es dein Wille ist, daß du sie dahin nehmen willst, so will ich sie gern bei dir wissen.« Darauf wandte er sich zur Kranken: »Magdalenichen, mein Töchterlein, du bliebest gern hier bei deinem Vater und zeuchst auch gerne zu jenem Vater?« Die Tochter erwiederte: »Ja, herzer Vater, wie Gott will.« Da sagte Luther: »Du liebes Töchterlein, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach;« und wandte sich herum und sprach: »Ich hab' sie ja sehr lieb; ist das Fleisch so stark, was wird der Geist sein?«

Da nun Luther's Hausfrau sehr traurig war, laut weinte und jammerte, sprach er zu ihr: »Liebe Käthe, bedenk' doch, wo sie hin kommt, sie kommt ja wohl!« In der Nacht vor Magdalenen's Tode hatte Katharina einen Traum; es däuchte sie, zween schöne junge geschmückte Gesellen kämen und wollten ihre Tochter zur Hochzeit führen. Als nun Philippus Melanchthon in's Kloster kam, zu fragen, was ihre Tochter machte, da hat sie ihm den Traum erzählt. Aber er war darüber erschrocken und hat zu den Anderen gesagt: »Die jungen Gesellen sind die lieben Engel, die werden kommen und diese Jungfrau in das Himmelreich, in die rechte Hochzeit führen.« An demselben Tage starb sie.

Als nun Magdalenchen in den letzten Zügen lag, fiel der Vater vor dem Bette auf seine Kniee, weinte bitterlich und betete, daß sie Gott wolle erlösen. Da verschied sie und entschlief in ihres Vaters Händen, denn die Mutter war wohl auch in derselben Kammer, aber weiter vom Bette abseits, um ihrer großen Traurigkeit willen und weil sie, wie Hagar, ihres Kindes Sterben nicht sehen wollte. Und als die Tochter im Sarge ruhete, sprach Luther: »Du liebes Lenchen, wie wohl ist dir geschehen. Du wirst wieder auferstehen und leuchten wie ein Stern, ja wie eine Sonne. Ich bin ja fröhlich im Geist, aber nach dem Fleische bin ich sehr traurig. Das Fleisch will nicht heran, das Scheiden vexiret Einen über die Maaßen. Wunderlich ist es, zu wissen, daß sie im Frieden und ihr wohl ist und doch noch so traurig sein.« Und da das Volk kam, die Leiche zu bestatten und sie den Doktor nach dem Gebrauch anredeten und sprachen, es wäre ihnen seine Betrübniß leid, sprach er: »Es soll euch lieb sein; ich habe einen Heiligen gen Himmel geschickt, ja einen lebendigen Heiligen! O hätten wir einen solchen Tod! Einen solchen Tod wollte ich auf der Stelle annehmen.«

 

Philipp Melanchthon (geb. 1497, gest. 1560).

 

1.

Der treue Freund und Gehülfe Luther's in dem großen Werke der Reformation wurde in Bretten geboren, einem Städtchen in der Unterpfalz. Hier wohnte in der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein wackerer Amtmann, Namens Reuter, dessen Tochter Barbara an einen eben so braven Mann, den Waffenschmied und Stückgießer Georg Schwarzerd, verheirathet war. Beide Familien lebten in herzlicher Freundschaft mit einander und besonders herrschte unter den jungen Eheleuten diejenige liebevolle Eintracht, welche nie verfehlt, die Kinder, die aus solcher Ehe hervorgehen, zu liebenswürdigen und glücklichen Menschen zu machen. Beide waren von sanftem Charakter, sehr arbeitsam und haushälterisch und nach dem Geiste der Zeit sehr religiös. Selbst des Nachts stand der fromme Schwarzerd aus dem Bette auf, um knieend ein Gebet zu verrichten.

Von fünf Kindern war Philipp das älteste; dieser Knabe zeigte schon früh die größten Anlagen, ein hellsehender, vielwirkender Mann zu werden. Ein leichter Sinn, eine ruhige Besonnenheit, eine liebenswürdige Bescheidenheit, verbunden mit äußerer Anmuth in Gang und Stimme, machten ihn in jeder Gesellschaft beliebt. Aber er war noch nicht 11 Jahre alt, als er schon seinen Vater durch einen frühen Tod verlor. Noch auf dem Sterbebette ermahnte ihn der brave Mann, sein Leben lang Gott vor Augen zu haben, denn es seien schreckliche Veränderungen in der Welt und böse Zeiten zu fürchten. »Ich habe« – das waren seine letzten Worte – »viele und große Dinge in der Welt erlebt, aber noch größere stehen bevor. Gott mag dich leiten und regieren.«

Nach seinem Tode nahm sich der Großvater Reuter der verwaiseten Kinder redlich an. Philipp erhielt einen Hofmeister, Johann Unger, der sich mit ganzer Seele seiner Erziehung hingab und sich bemühete, eine recht große Menge von Begriffen in seinem Kopfe zu entwickeln. Doch auch der Großvater starb bald, Unger verließ die Familie und der junge Philipp ward nun nach Pforzheim in die öffentliche Schule geschickt. Der Rektor dieser Anstalt war ein besonderer Freund der griechischen Sprache, und da diese in der Schule nicht eigentlich gelehrt ward, so versprach er, denjenigen Schülern, die im Lateinischen recht fleißig sein würden, darin besonderen Unterricht zu ertheilen. Philipp gehörte mit zu diesen Auserwählten und ward bald des Rektors Liebling. Als nun um diese Zeit Johann Reuchlin, ein berühmter Humanist (durch griechische und römische Wissenschaft und Kunst Gebildeter) durch Pforzheim kam und vom Fleiße des Knaben, dem er verwandt war, hörte: so war er darüber so erfreut, daß er ihm nicht nur mehrere Bücher schenkte, sondern ihm auch einen griechischen Namen aufdrang, der eine wörtliche Uebersetzung des Wortes Schwarzerd war – Melanchthon; nach einer damals unter den Gelehrten sehr gewöhnlichen Sitte.

Melanchthon's frühe Reife machte ihn schon im 14. Jahre zur Universität geschickt. Er ging (1510) nach Heidelberg und von dort (1512) nach Tübingen. Auf dieser letzteren Universität kam ihm zuerst eine Bibel zu Gesicht, die ihn zur näheren Erforschung der Lehre Jesu Christi und seiner Apostel reizte. Bon jetzt an war sein Beruf zur Theologie entschieden. Er verwarf, wie Luther, sogleich die trockenen, verworrenen Lehrsätze der Scholastiker und überließ sich einzig dem Studium der Bibel, von welcher er sich, sobald es ihm möglich war, ein Exemplar zu eigen machte.

Sechs Jahre hatte er in Tübingen gelebt, als sein Oheim Reuchlin vom Kurfürsten von Sachsen den Auftrag erhielt, ihm einen tüchtigen Philologen (Kenner der alten Sprachen) für seine Universität Wittenberg vorzuschlagen. Reuchlin erinnerte sich sogleich seines fleißigen Vetters, die Sache ward schnell abgemacht und im Jahre 1518 zog der 21jährige Melanchthon als Professor in Wittenberg ein. Ungeachtet seiner Jugend ging doch schon ein großer Ruf der Gelehrsamkeit vor ihm her, die Universität zu Leipzig veranstaltete sogar bei seiner Durchreise ein Fest zu Ehren des Gastes. Seine Vorlesungen wurden eifrig besucht, oft las er vor 2000 Zuhörern. Er besaß die Gabe des angenehmen und faßlichen Vortrages in einem hohen Grade und bei der tiefsten Einsicht die größte Bescheidenheit.

 

2.

Zufällig ward Luther Melanchthon's erste Bekanntschaft in Wittenberg. Sie wurden bald Freunde und blieben es bis in den Tod. Die Natur selber schien sie für einander geschaffen zu haben, denn Einer ergänzte den Andern. So wie Melanchthon mit allen seinen Kenntnissen und Einsichten keine Reformation würde zu Stande gebracht haben, so würde Luther durch seinen Ungestüm ohne des Freundes leitende Hand in tausend Verwirrungen gerathen sein; und wie Melanchthon fühlte, daß Luther's Muth und Sicherheit ihm fehlte, so ehrte Luther dagegen Melanchthon's gründliche Kenntniß und ruhigere Fassung. »Ich danke es meinem guten Philipp« – schreibt Luther einmal – »daß er uns Griechisch lehrt. Ich bin älter als er, allein das hindert mich nicht, von ihm zu lernen. Ich sage es frei heraus, er versteht mehr denn ich, dessen ich mich auch gar nicht schäme.« Die gerechte Anerkennung seines Verdienstes erwiederte Melanchthon mit einer Hochachtung, die an Verehrung grenzte. Gewöhnlich nennt er Luther in seinen Schriften vorzugsweise den Doktor. Sein Betragen gegen ihn war nachgebend und vorsichtig. Er erklärlich darüber in einem Briefe, der einige Zeit nach Luther's Tode geschrieben ist. »Luther« – sagt er darin – »war bei seinen großen Tugenden von Natur hitzig und aufbrausend. Oft mußte ich ihm eine sklavische Unterwürfigkeit beweisen, da er zuweilen mehr seinem Temperamente folgte und weniger auf seine Person und das allgemeine Beste Rücksicht nahm. Er konnte es nicht gut leiden, wenn man von seiner Meinung abwich.« Wie glücklich mußte sich's also treffen, daß der Mann, welcher Luthern in Ansehung des Wissens so weit übertraf, ihm in Ansehung des Muthes zum Handeln so weit nachstand. Nur daher kam es, daß ihr Ehrgeiz während einer Laufbahn von 28 Jahren nie feindselig zusammenstieß und die zum Wohle des ganzen Reformationswerkes so nöthige Harmonie nirgends störte.

Welch ein bedeutender Mann übrigens dieser Melanchthon gewesen sein muß, erhellet schon daraus, daß selbst der strahlende Glanz eines Luther's ihn nicht verdunkeln konnte. Wer beide Männer kannte, war oft zweifelhaft, welcher von ihnen der größere sei; ja Viele, denen Luther's rasche Anmaßungen mißfielen, traten der guten Sache nur um Melanchthon's willen bei. Seine unermüdete Thätigkeit, die selbst des kränkelnden Körpers spottete, die Gründlichkeit seiner Untersuchungen, die Klarheit seiner Darstellung, die heitere Ruhe bei den Entwürfen seiner Gegner – das Alles nöthigte seinen Zuhörern Bewunderung ab. Ein Fremder, der einmal seinen Vorlesungen beigewohnt hatte, versicherte, die Apostel könnten Jesu nicht aufmerksamer zugehört haben, als die Studenten dem Melanchthon. Eines seiner größten Verdienste war, daß er die Wissenschaften, die damals auf Schulen gelehrt wurden, in eine bequemere Form brachte, zweckmäßigere Schulbücher für dieselben schrieb und besonders für die Erlernung der alten Sprachen bessere Methoden erfand. Durch ihn wurde die griechische Sprache im nördlichen Deutschland erst bekannt. Er schrieb eine griechische Grammatik, welche 28, und eine lateinische, welche 32 Auflagen erhielt. Wir haben von ihm eine Logik, Ethik, Rhetorik, Poetik, Physik, die für ihre Zeiten vortrefflich waren. Dadurch, daß er das Neue Testament zuerst aus dem Griechischen erklärte und wohlfeile Abdrücke der einzelnen Bücher desselben den Studirenden in die Hände gab, arbeitete er Luthern ungemein in die Hand. Dieser hielt ihn auch für ein auserwähltes Rüstzeug, das ihm Gott zur Begründung seines Werkes zugesandt hätte.

 

3.

Melanchthon's Gewissenhaftigkeit in seinem Berufe ging so weit, daß er sich nicht getrauete, eine Reise zu seiner geliebten Mutter zu machen, aus Furcht, sich dadurch zu sehr zu zerstreuen. Aus demselben Grunde wollte er auch nicht heirathen, und Luther mußte ihn zu beiden Dingen erst lange ermuntern. »Reise du, lieber Bruder Philipp, in Gottes Namen!« sagte er zu ihm. »Hat doch unser Herr auch nicht immer gepredigt und gelehrt, sondern ist auch oft unterwegs gewesen. Er besuchte selbst zu Zeiten seine Freunde und Verwandte. Was ich aber von dir verlange: Komm bald wieder zu uns. Ich will dich Tag und Nacht in mein Gebet einschließen. Und damit gehst du!« Die Reise ging glücklich von Statten. Als er sein geliebtes Bretten zum ersten Mal von fern erblickte, stürzten ihm die hellen Thränen aus den Augen; er mußte vom Pferde steigen und fiel auf die Kniee nieder. »O vaterländischer Boden!« – rief er aus. »Ich danke dir, Gott, daß du mich ihn wieder sehen ließest!«

Seine Heirath ward am 25. November 1520 vollzogen. Seine Gattin, die Tochter eines wittenbergischen Bürgermeisters, Hieronymus Krapp, glich ihm in Sanftmuth und Nachgiebigkeit. Sie machte ihn sehr glücklich und beschenkte ihn mit zwei Söhnen und zwei Töchtern.

Schade, daß eine ausschließlich gelehrte Erziehung diesen herrlichen Mann für das öffentliche, thätige Leben durchaus verdorben hatte. Selbst zum Predigen konnte er nie bewogen werden, und wenn man ihn bei. der Reformation oft wider seinen Willen zwang, öffentlich aufzutreten, so that er jeden Schritt mit Angst und Beklommenheit. »Ach« – so schreibt er unter Anderm – »wenn man mich doch nicht aus meinem Hörsaal abriefe und mich nur zum Besten der Jugend ungestört arbeiten ließe! Das ist meine Ruhe und meine Freude. Für andere Dinge bin ich zu weich und ungeschickt.« Und in der That, als er Luthern nicht mehr hatte, glich er, der Rebe, die ihren Stab verloren hat. All' sein Muth sank dahin und als die Drangsale des Kriegs ausbrachen, waren die Thränen sein süßester Trost. »Mein Schmerz über die Kriegsunruhen verzehrt mich,« so schreibt er. »Oft zweifle ich, wenn ich die Elbe erblicke, ob ich ihn ausweinen könnte, wenn ich auch eben so viel Thränen weinen wollte, als die Elbe Wellen wirft.« Die Lutheraner haben es ihm auch vorgeworfen, daß er, wenn es von ihm abgehangen hätte, in Gottes Namen wieder Alles zum Alten zurückgeführt haben würde, um nur Frieden zu haben. Uebrigens wirkte er in seinem stillen Kreise unermüdet lehrend, forschend und schreibend bis an seinen Tod; noch am Tage vor seinem Tode trug er selber das Manuskript seines letzten Osterprogramms in die Druckerei.

 

Ulrich Zwingli (geb. 1484, gest. 1531).

 

1.

Zu den großen evangelisch gesinnten und mit hoher Thatkraft von Gott begnadigten Männern, welche die Herolde der neuen Lehre wurden, gehört vorzüglich der edle Zwingli, der gleichzeitig mit Luther, doch unabhängig von ihm, die Reformation in der deutschen Schweiz begründete. Er ward am 1. Januar 1484 in Wildhaus, einem Bergdörfchen der zum Kanton St. Gallen gekommenen Grafschaft Toggenburg, am Südfuß des Sentis zwischen steilen Berggipfeln gelegen, unter bescheidenen, aber gesunden und tüchtigen Lebensverhältnissen geboren. Sein Vater war Gemeinde-Amtmann, sein Oheim der Pfarrer von Wildhaus, später Dekan zu Weesen am Wallenstädter See. Vom Oheim empfing er seine erste Bildung, dann schickten die Eltern den hoffnungsvollen, aufgeweckten Knaben auf die Schulen nach Basel und Bern. In Bern zog der junge Zwingli durch seine musikalischen Talente die Aufmerksamkeit der Dominikaner auf sich und sie boten Alles auf, ihn zum Eintritt in ihren Orden zu bewegen; doch für den gesunden Sinn des Gemeindeammanns in Wildhaus und seines Bruders, des Dekans, war der Nimbus des Mönchthums längst geschwunden, und es gelang ihnen, den Jüngling von dem bedenklichen Schritt zurückzuhalten.

Anstatt in's Kloster ging Zwingli im Jahre 1499 auf die Hochschule nach Wien, welche damals von studirenden Schweizern gern besucht wurde und durch ihre philosophisch tüchtigen Professoren berühmt war. Hier schloß er mit gleich strebsamen Jünglingen seines Heimathlandes den Freundschaftsbund, übte sich in der Kunst, über wissenschaftliche Fragen frei zu reden und zu disputiren und bildete auch seine musikalischen Anlagen weiter aus. Als kenntnißreicher junger Mann kehrte er in's Schweizerland zurück und nahm in Basel an der Martinsschule die Stelle eines Jugendlehrers an. Doch rastlos arbeitete er auch fort an seiner eigenen Bildung und benutzte eifrig die Vorträge der Lehrer an der Baseler Hochschule. Unter diesen war besonders ein redlicher Theolog, Thomas Wyttenbach, welcher durch seine ebenso geistvollen als freisinnigen Vorlesungen den jungen Zwingli anzog. Wyttenbach lehrte schon damals öffentlich, daß das ganze Ablaßwesen nichts als ein bloßes Blendwerk sei; Jesus Christus allein habe das Lösegeld für die Sünden der Menschheit geleistet. In gleichem Sinn und Streben, aus das lautere Wort Gottes in der Bibel zurückzugehen, verband sich Zwingli auch mit Leo Jud, seinem Wiener Universitätsfreund, der sein treuester Mitarbeiter am späteren Reformationswerk wurde.

Nachdem Zwingli vier Jahre in Basel zugleich Lehrer und Schüler gewesen, ward er von der Gemeinde Glarus als Pfarrer berufen. In Konstanz ließ sich der 22jährige Mann vorerst zum Priester weihen, hielt auf seiner Reise in Rapperswyl die erste Predigt und in Wildhaus die erste Messe. Von 1506-1516 wirkte er nun als Pfarrer in Glarus. Es waren zehn bedeutende Jahre. Er machte als Feldprediger die Kriegszüge nach Italien mit, lernte das Verderbliche des Schweizer Söldnerwesens kennen und eiferte dann mit aller Kraft gegen die, welche um schnödes Gold das Blut ihrer Mitbürger an die Fürsten des Auslandes verkauften. Dies erweckte ihm viel Feindschaft, aber der größere Theil seiner Gemeinde war ihm herzlich zugethan; seine Predigten erleuchteten und erwärmten zugleich und bei aller sittlichen Strenge, mit welcher Zwingli die vielen Mißbräuche auch im staatlichen Leben rügte, fehlte doch die christliche Liebe nicht.

Als er im Jahre 1516 sich entschloß, als Prediger an den berühmten Wallfahrtsort Einsiedeln zu gehen, wollte ihn die Gemeinde nur »auf Urlaub« entlassen, und nöthigte ihn, seinen Titel und Gehalt beizubehalten. In Maria-Einsiedeln traf Zwingli abermals mit freigesinnten Männern zusammen, in denen das Gefühl lebendig war, daß die Schäden der Kirche zu offenbar seien, um nicht einer Heilung zu bedürfen. Am Fest der Engelweihe 1517 hielt Zwingli die Predigt, und redete voll des heiligen Geistes zu den Pilgerschaaren in volksthümlicher Kraft, daß nicht Maria, sondern Jesus unser Heil sei, daß Niemand angebetet werden solle als der alleinige Gott, und daß Gottes Geist und Gnade sich nicht an Einen Ort binden lasse, sondern aller Orten gegenwärtig sei.

Viele Pilger entfernten sich mit Schrecken, Andere schwankten zwischen dem Glauben der Väter und der Neuen Lehre, Viele wurden aber auch von der Wahrheit der evangelischen Predigt überzeugt. Der Ruf Zwingli's erscholl nicht allein durch die Städte und Dörfer der Schweiz, auch in Schwaben und im Elsaß ward des kühnen Predigers Name ehrenvoll genannt. Denn auch Zwingli hatte, wie Luther, das kühnlich ausgesprochen, was schon in vielen Gemüthern sich regte und worauf die ganze Zeit hindrängte.

 

2.

Nun berief man ihn nach Zürich, zwei Jahre darauf, nachdem Luther seine 95 Sätze angeschlagen hatte. Hier fand er ein gewecktes freiheitsliebendes Völkchen und einen Magistrat, der ihm auf halbem Wege entgegen kam. Die Zuhörer strömten ihm zu, denn er predigte das lautere, reine Evangelium, frei von menschlichen Zusätzen und Verdrehungen, und führte eine neue Art zu predigen ein, indem er in zusammenhängenden Vorträgen (Homilien) seiner Gemeinde das ganze Neue Testament bekannt machte und erklärte. Dabei deckte er die Verderbniß der Geistlichkeit und die Mißbräuche in der katholischen Kirche auf, und als ein Franziskaner-Mönch, Bernardin Samson, in der Schweiz umherreiste, um wie Tetzel in Norddeutschland den Ablaß zu predigen, eiferte Zwingli so kräftig gegen diesen Unfug, daß Samson es nicht wagte, nach Zürich zu kommen. Es wurden jetzt in mehreren Orten die Messe, die Ohrenbeichte und andere Gebräuche, die zum Mißbrauch ausgeartet waren, abgeschafft; hier und da verließen die Nonnen ihre Klöster und verheiratheten sich. Da nun Zwingli fortfuhr, für Ausbreitung der einfachen Lehre Jesu Christi thätig zu wirken, so bot ihm der Papst hohe Ehrenstellen an, in der Hoffnung, ihn dadurch zum Schweigen zu bringen. Aber Zwingli achtete die Ehre bei Gott und den Schatz im Himmel für höher, als menschliche Ehre, und lehnte alle Anträge ab. Der Rath berief darauf alle Geistliche, die vermeinten, Zwingli's Lehre widerlegen zu können, nach Zürich, und obgleich über 600 zusammen kamen, so ging der Reformator doch siegreich aus dem Wortkampfe hinweg. Nun gab er sein Glaubensbekenntniß von der wahren und falschen Religion heraus und äußerte sich darin fast ganz so wie Luther. »Nur die Bibel«, sagte er, »muß über unsern Glauben und über unser Thun entscheiden; alle menschlichen Zusätze sind verwerflich, und eher wird es nicht besser mit uns, als bis wir zu der Einfachheit der christlichen Kirche in ihren ersten Zeiten zurückkehren.« In wenigen unwesentlichen Stücken wich Zwingli von Luther ab, namentlich in der Lehre vom Abendmahl. Er lehrte, daß beim Tische des Herrn das Brod und der Wein zum Gedächtniß an das Leben und Sterben des Heilandes genossen würden und nur ein Erinnerungszeichen seien; während Luther behauptete, man müsse sich an den Wortlaut der heiligen Schrift halten, denn der Heiland habe ausdrücklich gesagt: » Das ist mein Leib!« Wie das Brod in den Leib und der Wein in das Blut Jesu Christi verwandelt würde, wüßten wir freilich nicht anzugeben, aber man solle auch nicht darüber klügeln. Obwohl es nun darauf ankommt, daß wir mit Demuth und aufrichtiger Liebe zu Jesu Christo das heilige Abendmahl genießen und in solchen Streitigkeiten nicht die Seligkeit beruht, so trennten sich doch die Lutheraner von den Anhängern Zwingli's, welche sich die Reformirten nannten. Denn Luther wollte durchaus nicht nachgeben und eine Unterredung in Marburg 1529, die auf Antrieb des Landgrafen Philipp von Hessen zwischen beiden Reformatoren Statt fand, brachte keine Vereinigung zu Stande.

 

3.

Lange schon hatte große Erbitterung und Feindschaft geherrscht zwischen den katholisch gebliebenen Kantonen der Schweiz und zwischen dem protestantisch gesinnten Zürich, das durch Bern verstärkt, mit den Städten Biel, Mühlhausen, Basel und St. Gallen ein Schutz- und Trutzbündniß geschlossen hatte. Nun brach der Krieg aus, und der edle Zwingli mochte nicht in Ruhe daheim bleiben, während um die höchsten christlichen Güter gekämpft wurde; hatte er doch den Kampf hauptsächlich veranlaßt. Er rüstete sich, als Feldprediger mitzureiten. Vor seiner Wohnung auf dem Stiftsplatze sammelte sich das Kriegsvolk. Das Pferd, welches ihn tragen sollte, ward herbeigeführt; er schnallte sich den Panzer an und sprach tröstend zu seinem treuen Weibe: »Die Stunde ist gekommen, wo wir uns trennen müssen! Es sei so, denn der Herr will es! Er sei mit dir, mit mir und den Kindern!« Der Vater hatte Mühe, aus den Umarmungen des tiefbetrübten Weibes und der weinenden Kinder sich loszureißen. »So der Herr will, sehen wir uns wieder!« – das waren die letzten Worte, welche die traute Familie von dem Streiter Gottes auf Erden vernehmen sollte.

Am 11. November 1531 kam es bei Kappel, nahe am Rigiberge, zur Schlacht. Die Züricher wurden von der Uebermacht der katholischen Kantone besiegt; auch Zwingli, der unter den Vordersten kämpfte, wurde mit Wunden bedeckt, sein Pferd getödtet, zuletzt sank er selber nieder. Ein Kriegsknecht aus Uri glaubte ihn zu erkennen, trat zu dem sterbenden Manne und rief: »Du siyst der Hilterich (Huldreich), sollt' i meine?« Zwingli leugnete es nicht. Da kniete der Mensch auf den Kraftlosen nieder und schrie ihm in's Ohr: »Gläubst an Papsten, so möchst du lebe.« Zwingli aber richtete sich kräftig empor und rief so laut, als seine geschwundenen Kräfte es erlaubten: »Ich glaube an Gott!« – »Da müßt du sterbe!« war die Antwort und alsbald stieß der Katholik den Protestanten das Schwert in die Brust. Zwingli's Leiche wurde noch an demselben Tage auf dem Schlachtfelde verbrannt. Sein Waffengefährte rettete mit Lebensgefahr das Herz des treuen Freundes und Lehrers und brachte es nach Basel zu Oekolampadius, auch einem Freunde Zwingli's, der Professor daselbst war. Dieser aber fragte mit ernster Stimme: »Bist du deß gewiß?« Und als ihm versichert wurde, es sei wirklich das Herz des unglücklichen Freundes, nahm er es und warf es in den Rhein mit den Worten: »Wir brauchen keine Reliquien!«

 

Johann Kalvin (geb. 1509, gest. 1564).

 

1.

Jean Chauvin (latinisirt Calvinus) war der Sohn eines angesehenen Kaufmanns zu Noyon in Frankreich. Der Vater, der wegen seines hellen Verstandes und festen Charakters in großem Ansehen stand, hatte den Grundsatz, daß man den Kindern die recht innige Liebe auf alle Art verbergen und sie durch die Furcht zum Guten erziehen müßte. So verfuhr er mit dem Sohne sehr streng, doch that dieses der Hochachtung und Ehrfurcht, welche derselbe ihm stets bewies, keinen Eintrag, und als Johann älter wurde, ward ihm der Vater der treueste Rathgeber und Freund. Das strenge Wesen war indessen doch auf den Sohn übergegangen. Von der andern Seite wirkte der Charakter seiner Mutter, die sehr religiös war, nicht minder lebhaft auf den Knaben ein. Wenn er sie in die Kirche gehen, lesen, singen, niederknieen, beten und weinen sah, so ward sein zartes Gemüth wunderbar davon gerührt und eine unaussprechliche Ehrfurcht vor dem Heiligen, Unsichtbaren durchzitterte seine Nerven. Auch ward er früh gewöhnt, oft unter freiem Himmel niederzuknieen und zu beten, und er that das immer mit der größten Inbrunst und Freudigkeit, auch wenn er ganz allein war. Ein geliebter Bruder, Anton, half ihm als Gespiele seine Kinderjahre versüßen.

Der kleine gesetzte Knabe gefiel allen Leuten, besonders einem Herrn von Montmor, der ihn sich von den Eltern ausbat, um ihn in Gesellschaft seiner Kinder erziehen zu lassen. Mit diesen ward er denn auch nach einigen Jahren in eine öffentliche Schule, das Kollegium de la Marche, nach Paris geschickt. Der junge, sehr fleißige, gehorsame und fromme Kalvin erhielt täglich die größten Auszeichnungen auf Kosten seiner Mitschüler, das machte diese neidisch auf ihn; Kalvin fand beständig an ihren Sitten etwas zu tadeln, das machte sie ärgerlich; er war in allen Dingen sehr eigen und empfindlich, das reizte sie, ihn immerfort zu necken und zu verspotten. Dadurch setzte sich eine gewisse krankhafte Reizbarkeit, ein Eigensinn und eine Eigenliebe bei ihm fest, obwohl seine Neigungen immer auf das Gute gerichtet waren.

Eine lateinische Disputation, in welcher er durch seine Gewandtheit und Gelehrsamkeit die Aufmerksamkeit aller Zuhörer erregte, verschaffte ihm schon in seinem 18. Jahre eine Pfarrstelle zu Pont l'Evèque, die er mit großem Beifall verwaltete. Eine Pfründe hatte er schon in seinem 12. Jahre bekommen, denn so verschleuderte man damals die übermäßigen Reichthümer der Kirche.

 

2.

Indessen blieb er nicht lange der so rühmlich betretenen Laufbahn treu. Durch einen gelehrten Vetter, Robert Olivetan, zuerst mit der vollständigen Bibel bekannt gemacht, auch schon ein wenig von den Grundsätzen der neuen Reformatoren in Deutschland und der Schweiz unterrichtet, fing sein Glaube an die Wahrheit des Katholizismus sehr zu wanken an, und dies erregte in ihm eine solche Unruhe, daß er sich lange weder zu rathen, noch zu helfen wußte. Eine Zeit lang widerstand noch immer die Liebe zu den in seiner Kindheit ihm eingepflanzten Meinungen und es kostete ihm einen harten Kampf, sie als Irrthümer aufzugeben. Aber dieser Kampf dauerte nur so lange, als der neue Glaube noch nicht zur festen Ueberzeugung hindurchgedrungen war. Sobald dies geschehen, war es ihm unmöglich, noch länger katholischer Priester zu bleiben. »Ich konnte meines Herzens wegen nicht bleiben« – äußerte er sich später über diesen Punkt. Er legte seine Stelle freiwillig nieder und ging nach Orleans, um die Rechte zu studiren, worein auch sein Vater, der sich von dieser Laufbahn mehr Ehre versprach, mit Freuden willigte.

Mit seinem gewöhnlichen Fleiße brachte es Kalvin binnen kurzer Zeit auch in der Rechtswissenschaft ungewöhnlich weit. Er versagte sich alle Vergnügungen, aß sehr wenig und brachte die halbe Nacht noch über den Büchern zu. Ja, er verscheuchte alle seine Freunde durch seinen Studireifer, indem er es fast übel nahm, wenn ihn Jemand durch einen Besuch im Arbeiten störte. Seine Lehrer selbst erstaunten über seine raschen Fortschritte, und um ihn recht ehrenvoll auszuzeichnen, boten sie ihm aus freien Stücken die juristische Doktorwürde an. Er hatte die Bescheidenheit, sie abzulehnen, weil er sich erst in Bourges unter dem berühmten, aus Italien dorthin berufenen Rechtslehrer Andreas Alciatus zu einem recht vollkommenen Juristen bilden wollte.

Auf dieser Universität war damals auch ein junger Deutscher, Namens Wolmer, aus Rottweil in Schwaben gebürtig, als Professor der griechischen Sprache angestellt. Mit diesem machte Kalvin bald Bekanntschaft, und er ward von demselben dergestalt für das Studium der alten Sprachen und des Neuen Testaments eingenommen, daß er darüber die ganze Rechtswissenschaft in den Winkel warf und von dem heftigen Verlangen entzündet wurde, sich als Verbreiter der richtigeren Religionslehre Ehre bei Gott und ein Verdienst bei den Menschen zu erwerben. Er fing wirklich an, auf den Dörfern in der Nähe von Bourges im Geiste der neuen Lehre zu predigen, und weil er aus einem glühenden und überzeugten Herzen sprach, so fand er auch überall den lebhaftesten Beifall. Man suchte ihn auf alle Art in Bourges zu fesseln, aber der Tod seines Vaters rief ihn nach Noyon und dann nach Paris, wo er sich sogleich an die dort befindlichen Reformirten aus Zwingli's Schule anschloß. Er erbaute die Herzen der Gemeinde durch seine Reden, die er in den geheimen Zusammenkünften hielt, und beförderte durch allerlei geistliche Schriften die Ausbreitung der neuen Lehre. Schon in seinem 24. Jahre hielten ihn die Reformirten zu Paris für einen Hauptpfeiler ihrer Kirche. Die Königin Johanna von Navarra, Franz I. Schwester, selbst eine heimliche Freundin dieser Partei, ließ ihn oft zu sich kommen und unterhielt sich mit ihm über Gegenstände des Glaubens. Als aber die Verfolgungen gegen die Hugenotten begannen, mußte Kalvin aus Paris entweichen und reisete eine Zeit lang bei seinen Freunden umher. Dann wagte er es noch einmal, die Hauptstadt zu betreten, aber sogleich mußte er fliehen, um sein Leben zu retten. Ungern, aber gefaßten Muthes verließ er sein Vaterland; »denn« – so schrieb er – »verdient es die Wahrheit nicht, in Frankreich zu wohnen, so verdiene ich es noch weniger. Gern will ich das Schicksal, das sie trifft, auch mir gefallen lassen.«

Er kam nach Basel, wo damals der Katholizismus durch Zwingli's Lehre schon völlig verdrängt war. Auch hier fand er Freunde und Gönner in Menge, auch Lehrer, von denen er noch etwas lernen konnte. So legte er sich hier zuerst auf das Hebräische, und wie sich denken läßt, mit seinem gewöhnlichen Eifer. Voll des Wunsches, in seinem Vaterlande seinen Ueberzeugungen mehr Eingang und höhere Billigung zu verschaffen, schrieb er einen »Unterricht in der christlichen Religion« und widmete ihn dem Könige von Frankreich, dem aber seine geistlichen Rathgeber das Buch nicht einmal zu Gesichte kommen ließen.

 

3.

Im Jahre 1536 kam Kalvin nach Genf, einer Stadt, die sich seit längerer Zeit die Unabhängigkeit einer Republik erworben hatte und in großem Wohlstande war; auch war sie kürzlich durch ein Paar reformirte Prediger, Wilhelm Farel und Peter Viret, in die neue Lehre eingeweiht worden. Die beiden Geistlichen hörten nicht sobald von Kalvin's Ankunft, als sie ihn dringend baten, bei ihnen zu verweilen und einmal zu predigen. Er that das letztere und mit solchem Beifall, daß nach der Predigt das Volk in großer Menge zu seiner Wohnung strömte, um ihm Dank zu sagen. Kalvin konnte sich bei diesem Anblick der Thränen nicht erwehren und mußte Allen versprechen, am folgenden Tage noch einmal zu predigen. Das Ende war, daß ihn die Genfer gar nicht fortließen, sondern als Prediger anstellten. Seine Amtsthätigkeit war nun sehr bewegt. Er machte häufig kleine Reisen, um die benachbarten kleinen Gemeinden in ihrer ersten Einrichtung zu unterstützen, Lehrer zu bestellen, Streitigkeiten zu schlichten; nebenher ließ er auch Manches drucken, unter Anderem nach Luther's Exempel einen großen und kleinen Katechismus. Auch hielt er fleißig Disputation, und in seiner Streitlust forderte er alle Andersdenkenden heraus, ihm öffentlich Rede zu stehen. Der schnelle und glänzende Erfolg, mit dem sein Fleiß gekrönt wurde, veranlaßte die eigensinnige Rechthaberei, die keine andere Meinung neben sich dulden wollte. Auch über die Liturgie (die zum äußeren Gottesdienst gehörigen Gebräuche) gerieth Kalvin in Streit mit dem Genfer Rath und ward, da er nicht nachgeben wollte, aus der Stadt verwiesen. Aber die Straßburger, sobald sie davon hörten, beriefen ihn sogleich als Prediger und Professor der Theologie an ihre Universität. Er verbreitete auch in dieser Stelle eine vernünftige Gottesverehrung und eine strengere Kirchenzucht und erwarb sich eine Achtung, die fast an Furcht grenzte.

Hier in Straßburg dachte er auch darauf, sich zu verheirathen, und er traf eine glückliche Wahl, obschon seine Ehe kinderlos blieb. Nur drei Jahre blieb er in Straßburg; denn seine Freunde hatten in dem Rathe zu Genf wieder die Oberhand gewonnen, und das Volk sehnte sich ungestüm nach dem vertriebenen Prediger. Mehrmals ward er gebeten, zurückzukehren, aber die Straßburger wollten ihn nicht ziehen lassen, bis er sich endlich auf wiederholtes Bitten des Rathes und der Bürgerschaft von Genf zur neuen Uebersiedelung entschloß und 1541 glücklich wieder in Genf anlangte. Man kam ihm meilenweit entgegen; Jeder mißbilligte seine Verbannung und wollte sich von dem Antheile daran lossagen, so daß Kalvin im Scherze an einen Freund schrieb: »Wenn ich den Versicherungen der Genfer glauben soll, so hat keiner um meine Verweisung gewußt, so müssen mich die Häuser und nicht die Menschen dieser Stadt vertrieben haben.«

 

4.

Er fing nun wieder an zu predigen, zu lehren, zu schreiben und – zu eifern. Sein moralisches Gefühl ward schon dadurch empört, daß Jemand Zinsen nahm, oder eine Sache theurer verkaufte, als er sie selbst gekauft hatte, wenn sie nicht von ihm gebessert worden war. Um die Genfer sittlicher zu machen, entwarf er strenge kirchliche Gesetze, nach denen jede Unsittlichkeit, die vor einem eigens dazu ernannten Sittengerichte angezeigt wurde, mit öffentlicher Kirchenbuße gerügt ward. Man kann denken, wie besonders die junge Welt sich gegen diese Strenge auflehnte; da indessen die alten Leute sehr viel Erbauung darin fanden und Kalvin der Mann nicht war, der ein begonnenes Werk halb vollendet hätte liegen lassen, so ergab man sich darein und die neue Kirchenzucht bestand wenigstens so lange, als der Stifter lebte.

Bei Kalvin galt kein Ansehen der Person. Ami Perrin, ein Senator und General-Kapitain in Genf, war ein unmoralischer Mensch und heftiger Widersacher des Reformators. Einst erschien er als Pathe bei einem Kinde, das Kalvin taufen sollte. Dieser weigerte sich, ihn dafür anzunehmen, und sagte laut, zu Pathen müßten nur gottesfürchtige und fromme Personen genommen werden, von denen man Hoffnung habe, daß sie für das wahre Wohl ihrer Pathen christliche Sorge trügen. Ein ander Mal hatte sich ein Gerichtssekretair, Namens Bertelier, durch einige Ausschweifungen die Exkommunikation zugezogen. Er appellirte an den Rath und dieser bewilligte ihm nach einem halben Jahre wieder den Genuß des heiligen Abendmahls. Umsonst stellte Kalvin vor, daß an dem Menschen noch keine Besserung zu verspüren sei – der Senat wollte bei dieser Gelegenheit einmal durchgreifen, um seine Autorität über das geistliche Konsistorium zu behaupten. Das hieß aber dem Kalvin an's Leben gehen. An dem Sonntage, wo Bertelier das heilige Abendmahl genießen wollte, hielt Kalvin eine donnernde Predigt gegen die Sittenverderben und rief mit donnernder Stimme von der Kanzel herab: »Eher will ich das Leben verlieren, als diese meine Hand dem Unwürdigen das heilige Abendmahl reichen soll!« Das machte Eindruck, man befürchtete einen Aufruhr in der Kirche und Bertelier's Freunde riethen ihm selber, wegzugehen. Aber Kalvin blieb nicht auf halbem Wege stehen. Verschanzt hinter die ganze Masse des Volkes trotzte er dem Senate die Zusage ab, sich künftig nie mehr in Angelegenheiten mischen zu wollen, die vor das geistliche Departement gehörten.

Was übrigens den Haß, welchen Kalvin durch seine Strenge sich zuzog, bedeutend milderte, war die ungemeine Gewissenhaftigkeit, Arbeitsamkeit und Uneigennützigkeit, die auch seine heftigsten Tadler an ihm bewundern mußten. Wir haben schon bei Luther gesehen, daß ein Geists der einen höheren Zweck mit aller Kraft verfolgt, von aller Liebe zum kaufmännischen Gewinn so rein bleibt, daß er sogar den Schein des Eigennutzes fürchtet. So auch Kalvin. Er war arm und wollte es bleiben. Ein Anerbieten des Rathes, ihm eine Zulage zu geben, wies er mit den Worten ab: »Ich arbeite um des Gewinnstes willen, den Andere von mir haben sollen, nicht den ich von mir haben will.« Und doch belief sich sein Gehalt auf nicht mehr als 50 Thaler, zwölf Maaß Getreide, zwei Tonnen Wein und freie Wohnung Dennoch gab er einmal bei einer Theuerung noch zwanzig Thaler seines Einkommens ab und unterstützte dabei manchen Armen im Stillen.

 

5.

Wie weit aber der Glaubenseifer sich verirren kann, wenn die christliche Duldung fehlt, zeigt die Geschichte des unglücklichen Servede. Michael Servet (Miguel Servede) war ein spanischer Arzt, aber zugleich ein großer Denker und ein Freund von theologischen Untersuchungen. Er lebte und wirkte längere Zeit in Frankreich und führte mit den gelehrtesten Männern seiner Zeit einen Briefwechsel, auch mit Kalvin. Aber dieser brach bald die Korrespondenz ab, da er merkte, daß Servede über die Dreieinigkeit Gottes eine andere Meinung habe, als er, und auch mit der Lehre von der Gnadenwahl nicht einverstanden sei. Kalvin lehrte nämlich, Gott habe von Ewigkeit her die guten Menschen zur Seligkeit, die bösen zur Verdammniß bestimmt, ohne daß wir wissen, warum er gerade diese und jene auserwählt habe. Als nun Servede seine freieren Ansichten in einem besonderen Buche unter dem Titel: »Wiederherstellung des Christenthums« auseinandersetzte, schalt ihn Kalvin einen heillosen Ketzer, der in teuflischer Gestalt die Menschen verführen wolle. Da bereits Servede auf Antrieb der französischen Geistlichkeit in Vienne festgenommen war, sandte Kalvin noch die eigenhändigen Briefe des Angeklagten bei der Behörde ein und derselbe sollte die Todesstrafe erleiden, als es ihm gelang, aus seinem Gefängnisse zu entfliehen. Seine Reise führte ihn über Genf und hier in einer protestantischen Stadt vermeinte er sicher zu sein und gedachte sich einige Tage auszuruhen. Aber ach! kaum hatte Kalvin seine Ankunft erfahren, als der arme Flüchtling auf Kalvin's Anstiften in's Gefängniß geschleppt ward. Er erstaunte, den frommen, den redlichen Kalvin an der Spitze seiner Ankläger zu sehen. Dieser besuchte ihn zwar in seinem Gefängnisse, um ihn zur Abschwörung seiner vermeintlichen Irrthümer zu bewegen. Da aber Servede so standhaft, wie einst Luther, das, was er einmal für wahr und recht erkannt hatte, bis in seinen Tod behaupten wollte, so erklärte Kalvin, der Mensch wäre ein heilloser, unverbesserlicher Ketzer und müßte als solcher verbrannt werden. Der Angeschuldigte verlor vor Schrecken fast die Besinnung; dann raffte er sich wieder auf und berief sich auf die Gerechtigkeit seiner Sache, dann flehete er wieder um Gnade und Barmherzigkeit. Zuletzt wünschte er die barbarische Strafe des Verbrennens nur in die mildere des Enthauptens verwandelt zu sehen. – Alles umsonst. Er wurde auf den Scheiterhaufen geschleppt, den man vor dem Rathhause errichtet hatte. Noch in seiner letzten Stunde beschämte er die Fanatiker dadurch, daß er für alle etwaigen Kränkungen um Verzeihung bat. Zu Denen, die bis zuletzt bei ihm blieben, sagte er: »Ich fürchte mich nicht vor dem Tode, aber ihn als einen Verbrecher leiden zu müssen, das zerreißt mein Herz. Jesu mein Heiland, tröste mich, wie du einst getröstet wurdest! Der Drache, den ich bekämpfen wollte, überwältigt mich!« Sitzend auf einem niedrigen Block und angeschlossen an einen hinter ihm stehenden Pfahl, das Unglücksbuch an seiner Seite, sah er nun den Scheiterhaufen mit Mühe anzünden, denn man hatte frisches und feuchtes Holz genommen. Fast gebraten von dem langsamen Feuer, das gar nicht auflodern wollte, quälte sich der Unglückliche über eine halbe Stunde, während er unaufhörlich schrie: »Jesu, du Sohn des ewigen Gottes, erbarme dich mein!« Endlich warf das umstehende Volk, von Mitleid ergriffen, ihm brennende Holzbündel auf den Leib, die ihn nach unsäglichen Schmerzen erstickten (27. Oktober 1553).


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