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III. Odoaker und Theodorich der Große Nach Wippermann. (500 n. Chr.).

 

1.

Theodorich ist die lateinische Form des deutschen Namens Dietrich, welcher Volksherrscher bedeutet aus dem gothischen thiuda Volk, und riche Herrschaft.

Theodorich's Eltern waren Theodomir und Erelinva. Theodomir war ein Fürst der Ostgothen. Als die verheerenden Schwärme der Hunnen über das zusammenbrechende Gothenreich hinwegstürmten und die westgothischen Stämme sich auf das römische Gebiet zurückzogen, konnten die zurückbleibenden Ostgothen nur durch Unterwerfung unter den übermächtigen Feind einen unrühmlichen Frieden erkaufen. Ihre streitbare Mannschaft mußte dem wilden Hunnenführer Attila auf seinen Heereszügen folgen. Auch Theodomir mit seinen Brüdern Widimir und Walamir befand sich im Gefolge des hunnischen Königs. Doch Attila's Reich verschwand mit seinem Tode. Die Ostgothen, einmal aus ihren frühern Wohnsitzen verdrängt, ließen sich in den weiten Länderstrecken zwischen der untern Donau und dem Adriatischen Meere nieder. Hier aber erneuerten sich die alten Kämpfe der Gothen mit dem ränkevollen Kaiserhof zu Konstantinopel. Als einmal von dem Letzteren das vertragsmäßige Jahrgeld verweigert worden war, griff der muthige Theodomir rasch zu den Waffen und erzwang durch schnellen Sieg den Frieden. Der griechische Kaiser bewilligte alle Forderungen Theodomir's. Aber nach der Sitte jener Zeit verlangte er die Auslieferung des siebenjährigen Theodorich als Geisel und Unterpfand des Friedens. Der betrübte Vater zögerte. Doch sein Bruder Walamir redete ihm zu, er möge nicht durch Verweigerung der gestellten Bedingung seinem Volke die Wohlthat des Friedens entziehen. Theodomir gab nach und Theodorich kam nach Konstantinopel. Wie einst Hermann in Rom, wie Moses am königlichen Hofe Aegyptens den Samen edlerer Bildung empfingen und durch tägliches Anschauen die Kunst des Herrschens erlernten, so erzog auch Konstantinopel in dem germanischen Knaben sich selbst einen gefürchteten Gegner und seinem Volke einen weisen und thatkräftigen Fürsten. Das fürstliche Kind gewann durch seine Schönheit und reichen Anlagen die Liebe des griechischen Kaisers und ward am Hofe mit aller Auszeichnung behandelt. Doch das Kind reifte zum Jüngling und der Jüngling achtete aufmerksam auf die Sitten und Künste des Landes, in welchem er weilte. Und wenn auch ihm selbst nur ein mangelhafter Unterricht geworden zu sein scheint, so wurde doch seine Seele mit hoher Achtung vor der Gediegenheit und Vielseitigkeit der griechischen Bildung erfüllt.

 

2.

In seinem achtzehnten Jahre kehrte Theodorich an den Hof seines Vaters zurück. Er fand sein Volk in einer vielfach verwickelten und bedrohten Lage, herumschweifende Horden der wilden Hunnen und Sarmaten beunruhigten die Grenzen des ostgothischen Gebiets und veranlaßten mannigfache Kämpfe, in deren einem auch Theodorich's Oheim Walamir rühmlich kämpfend gefallen war. Doch der schlimmste Feind Theodomir's und seines Hauses war ein stammverwandter Fürst. Als nämlich ein halbes Jahrhundert früher König Alarich seine gewaltigen Heeresmassen aus der Heimath in das schönere Italien geführt hatte, war doch auch ein nicht unbedeutender Theil des westgothischen Volkes in seinen alten Wohnsitzen zurückgeblieben. Ihr Gebiet umfaßte die heutige Bulgarei und die angrenzenden Gegenden. Ueber dieses Reich herrschte zur Zeit Theodomir's ein König, welcher ebenfalls den gothischen Lieblingsnamen Theodorich führte und den Zunamen Strabo erhalten hatte. Zur Vermeidung eines Mißverständnisses möge er hier stets unter dem letzten Namen angeführt werden. Wohl hätten nun Theodomir und Strabo sich als Fürsten eines Brudervolkes eng an einander anschließen und dem hinterlistigen Kaiserhof zu Konstantinopel gegenüber eine Achtung gebietende Stellung einnehmen sollen. Doch schon damals ruhte der Fluch der Uneinigkeit und Zwietracht auf den germanischen Fürsten und Völkern. Die Beherrscher des oströmischen Reiches erkannten gar wohl, wie furchtbar ihnen die vereinigten Gothen werden könnten. So suchten sie denn dieselben zu trennen. Statt durch Offenheit und Redlichkeit sich in den arglosen Germanen getreue und friedliche Nachbarn zu gewinnen und etwaige Uebergriffe derselben mit gewaffneter Hand kräftig zurückzuweisen, suchte der konstantinopolitanische Hof Argwohn und Mißtrauen zwischen den gothischen Fürsten zu säen, voll tückischer Arglist heute den Einen und morgen den Andern durch Geschenke und Versprechungen an sich zu ketten und wider den Nachbar aufzuhetzen. Leider waren seine Bemühungen nicht ohne Erfolg geblieben; doch dem hochsinnigen Theodorich war es vorbehalten, sein Volk einem so unwürdigen Verhältniß zu entreißen.

 

3.

Bald nach seiner Rückkehr in das Vaterhaus zeigte der ritterliche Jüngling durch eine glänzende Waffenthat, daß auch in der Fremde sich in ihm die angeborne germanische Heldenkraft ungeschwächt erhalten habe. Ein Hause räuberischer Sarmaten war in die Donauländer eingefallen und hatte die kaiserlichen Truppen, welche dort standen, geschlagen. Rasch sammelte Theodorich eine Schaar von 6000 tapfern Streitern und warf den Feind in siegreichem Kampfe zurück. Doch nicht zufrieden mit diesem Erfolge, drang er selbst in das Land der Sarmaten ein und eroberte ihre Hauptstadt, das jetzige Belgrad. Ruhmgekrönt zog der jugendliche Held in seine Heimath zurück.

Nicht lange darauf geschah es, daß der alte Theodomir von einer schweren Krankheit befallen wurde und dem Tode nahe war. Da versammelte er die Edlen seines Volks und empfahl ihnen seinen Sohn Theodorich zu seinem Nachfolger. Denn es bestand unter den Gothen noch immer die Sitte der freien Königswahl. Die Gothen wählten mit Freuden den blühenden Jüngling Theodorich zu ihrem König, und dieser faßte mit muthiger Hand die Zügel der Regierung, um für sein Volk ein neues Zeitalter zu schaffen.

Der griechische Kaiser Zeno empfing die Nachricht von Theodorich's Thronbesteigung mit Freude und Besorgniß, denn er liebte und fürchtete zugleich den jungen Herrscher. Er hielt es für gerathen, vorerst ein freundliches Verhältniß mit ihm anzuknüpfen, und sandte sofort Boten an Theodorich, welche ihn mit ehrenden Worten nach Konstantinopel einluden. Theodorich folgte der Einladung und der Kaiser ritt ihm entgegen und geleitete ihn in feierlichem Zuge in seinen Palast. Auch erhob er den jungen Gothenfürsten zu den höchsten Würden seines Reichs und überhäufte ihn mit Ehren und Auszeichnungen. Zuletzt ließ er die eherne Bildsäule Theodorich's vor seinem Palaste aufstellen. Aber hinter dieser außerordentlichen Freundlichkeit verbarg er einen arglistigen Plan. Nur zu leicht gelang es dem schlauen Griechen, das offene, vertrauensvolle Gemüth Theodorich's zu bethören und die beiden Herrscher der Gothen, Theodorich und Strabo, in Feindschaft und Streit zu verwickeln.

Noch unerfahren und getäuscht durch das heuchlerische Wohlwollen Zeno's ließ sich Theodorich zur Kriegserklärung gegen seinen Volksgenossen Strabo bewegen. Zeno stellte ihm diesen Krieg als nothwendig für das allgemeine Beste dar und versprach ihm ein Hülfsheer von 50,000 auserlesenen Streitern.

Um die bestimmte Zeit brach Theodorich mit seinem Heere auf und zog nach dem Gebirge Hämus, das schon seit Jahrhunderten der gewöhnliche Kriegsschauplatz in den Kämpfen der Römer und Gothen gewesen war. In den waldigen Gebirgsthälern jener unwegsamen Gegend gesellen sich bestellte Wegweiser zu Theodorich und führen ihn immer tiefer in die Schluchten und Felsen des Hämus hinein, bis ihm endlich von einer steilen Anhöhe herab das feste Lager seines Feindes Strabo drohend entgegenwinkt. Die griechischen Hülfstruppen sind ausgeblieben und mit bitterem Zorn sieht sich Theodorich betrogen und verrathen. Unentschlossen lagert er sich dem Feinde gegenüber.

So hatte es Zeno gewollt. Deutsche standen schlagfertig wider Deutsche. Aber an der deutschen Biederkeit scheiterte dies Mal die Arglist der Fremden.

Unerwartet erschien Strabo unter dem Walle des ostgothischen Lagers und forderte ein Gespräch mit Theodorich. Dieser kam herzu. Neugierig strömten die Ostgothen auf den Wall und lauschten auf die Worte des Fürsten. Strabo aber erhob voll edlen Unwillens seine Stimme und schalt den überraschten Theodorich mit gar ernsten Worten, daß er sich durch die doppelzüngige Rede des griechischen Hofes habe bethören lassen und nun im brudermörderischen Kampfe die Waffen wider die eigenen Landsleute kehre. Die Krieger des Theodorich empfanden die Wahrheit, die aus Strabo's Worten sprach, und forderten mit Ungestüm von ihrem Könige die Auflösung seines Bundes mit Konstantinopel. Theodorich aber schwankte noch immer zwischen der Treue gegen das einmal gegebene Wort und der Forderung der Natur und seines Volkes. Doch als am andern Tage Strabo sich wieder auf dem Vorsprunge des Felsens zeigte und noch einmal mit kraftvollen Worten zu den Ostgothen redete, da gab auch Theodorich nach und verband sich mit Strabo zu steter Freundschaft. Hatte doch Zeno selbst den Vertrag weder gehalten noch überhaupt halten wollen. Große Freude herrschte nun in beiden gothischen Lagern.

Theodorich aber brach mit seinem Heere auf und rückte als zürnender Feind in die Staaten des treulosen Zeno. Dieser beantwortete Theodorich's Vorwürfe mit leeren Ausflüchten, ja die Schamlosigkeit des feigen Griechen ging so weit, daß er abermals sein Spiel begann, um Theodorich zum Kriege gegen Strabo zu bewegen. Er verhieß ihm ein Geschenk von 1000 Pfund Goldes und 10,000 Pfund Silbers. Aber mit Entrüstung verwarf der Gothenfürst solchen Antrag. Da wandte sich Zeno mit seinen Vorschlägen an Strabo, und wirklich gelang es seiner List und Klugheit mit diesem. Der wankelmüthige Fürst vergaß, wie er selbst einst so schön und warm für die brüderliche Einheit der Gothenstämme gesprochen hatte, und erklärte endlich seinem Freunde Theodorich den Krieg. Aber das Schicksal wollte nicht den Ausbruch des Bruderkampfes. Strabo, als er den Zug gegen die Gothen beginnen wollte, verwundete sich selbst mit der Spitze seiner Lanze und starb plötzlich.

 

4.

Der jugendlich feurige Theodorich erglühte im gerechten Zorn wider den griechischen Hof, der nun schon lange alle Gerechtigkeit mit Füßen getreten hatte. Einem reißenden Bergstrom gleich überfluthete das gothische Heer das wehrlose griechische Reich. Verzagt barg sich Zeno hinter den Wällen seiner Hauptstadt. Aber von seinem Palaste aus sah er den Himmel geröthet von dem Brande der Städte und Dörfer ringsumher, deren unglückliche Bewohner schwer für die Treulosigkeit ihres Herrschers büßen mußten. Zeno hatte kein Heer, das vermocht hätte, den Kampf mit dem furchtbaren Gegner zu bestehen. Durch neue Unterhandlungen und große Versprechungen hoffte er den Frieden zu gewinnen. Aber Theodorich hatte kein Ohr mehr für die glatten Worte des griechischen Hofes. Der Krieg zog sich in die Länge, denn das feste Byzanz war schwer zu erobern. Da stieg plötzlich in der Seele des jungen Gothenkönigs ein großer Gedanke auf. Er wollte seine Gothen in ein mächtiges, geschlossenes Reich vereinigen und im Frieden regieren; er wollte sie wegführen von der Nachbarschaft der treulosen Griechen in ein besseres Land, wo der Segen des Friedens die Gothen zu einem gebildeten, wohlhabenden Volke machen sollte. Gleich dem Alarich wollte er sie in die gesegneten Fluren Italiens führen, eines Landes, dessen schlaffe, weiche Bevölkerung nicht lange der gothischen Tapferkeit widerstehen konnte.

 

5.

Doch eben dieses Italien war bereits in kläglicher Hülflosigkeit den Waffen eines deutschen Fürsten unterlegen. Dieser Fürst war Odoaker oder Ottokar. Odoaker war ein Mann von schlichter Herkunft, aber nach dem Höchsten strebend und früh schon die Ahnung künftiger Größe in sich tragend. Eine alte Sage berichtet darüber also: Einst hatten sich mehrere deutsche Männer verabredet, gemeinsam nach Italien zu wandern und dort im römischen Kriegsdienst ihr Glück zu versuchen. Unter ihnen befand sich auch ein schöner, kräftiger Jüngling von hoher Gestalt und feurigem Auge. Auf ihrer Wanderung kamen sie durch die Gegend, wo jetzt Passau liegt. Hier wohnte ein frommer Einsiedler, Severinus geheißen. Der war aus fernen Landen gekommen, um in Deutschland das Christenthum zu verkündigen. Odoaker aber und seine Genossen waren dem Christenthum schon zugethan. Da pilgerten sie denn nach der einsamen Wohnung Severin's und begehrten den Segen des heiligen Mannes zu empfangen. Sie traten ein in die kleine Hütte. Der riesengroße Odoaker aber mußte in gebückter Stellung dastehen, um nicht mit dem Haupte an die niedrige Decke des Gemaches zu stoßen. Da sah ihn der Klausner an und sagte: »Ziehe getrost hin nach Italien, jetzt trägst du ein geringes Kleid, einst aber wirst du ein Herrscher werden über Viele!« Und Odoaker zog fröhlich seine Straße.

In Italien herrschte bei Odoaker's Ankunft große Verwirrung. Von der allgemeinen Wanderlust ergriffen, waren mehrere kleine deutsche Völkerschaften über die Alpen hinabgestiegen in die schönen Ebenen des Po und hatten Gefallen gefunden an dem einem Garten gleichenden Lande. Unter ihnen waren die Rugier die an Zahl und Kraft hervorragendsten. Sie hatten an den einförmigen Ufern der Ostsee im heutigen Pommern gewohnt, wo noch jetzt der Name der Insel Rügen an sie erinnert. Ein solcher Rugier war auch Odoaker. Durch Einsicht und Kriegsmuth schwang er sich zur Feldherrnwürde empor und zertrümmerte endlich mit kühner Hand das abgelebte römische Reich, dessen letzter Kaiser ein schwacher Knabe war, Romulus Augustulus genannt. Odoaker schenkte ihm ein Schloß mit einem reichen Einkommen in Unteritalien und er selber machte sich zum Könige Italiens. Er herrschte mit Weisheit und Kraft; aber nach kurzer Blüthe sollte sein Königreich durch die Hand eines Mächtigeren fallen.

 

6.

Auf einem Feldzuge in die Donauländer hatte Odoaker auch mehrere den Gothen verbündete Völkerstämme angegriffen und sich hierdurch den ostgothischen König Theodorich zum Feinde gemacht. Der griechische Kaiser wünschte, Theodorich möchte sich nach Italien wenden und so das griechische Reich von einem gefährlichen Nachbar befreien. Daher bezeigte er sich in einer mündlichen Unterredung überaus freundlich gegen den scheidenden Helden und trat ihm das ganze Land Italien feierlich ab. Denn er betrachtete sich als den nächsten Verwandten des gefallenen römischen Kaiserhauses und darum als den rechtmäßigen Herrn des weströmischen Reiches.

Freudig folgten die Gothen dem Rufe ihres ritterlichen Königs. Im Frühling des Jahres 489 begann die allgemeine Auswanderung. Der gewaltige Zug zählte allein 200,000 wehrhafte Männer; Frauen und Kinder folgten auf Wagen. Aber die Fahrt nach Italien war überaus beschwerlich und gefahrvoll. Gleichwie einst die Kinder Israel durch die Schrecken der Wüste und die gewaffneten Schaaren feindlicher Völker sich den Weg bahnen mußten zu dem ihnen verheißenen neuen Vaterlande, so konnte auch Theodorich mit den Seinen nur auf unwegsamen Straßen und durch unwirthbare Länder zur erwählten künftigen Heimath gelangen, und er hatte mit der Natur nicht minder als mit den auflauernden Haufen raublustiger Barbaren zu kämpfen. An den Ufern der Donau hin und dann durch das südliche Germanien nahm er seinen Weg und erschien dann endlich an dem rauschenden Isonzoflusse, wo schon die welsche Zunge ihren Anfang nimmt.

Wohlgerüstet stand Odoaker an den Marken seines Reichs. Die Gothen waren erschöpft durch die Mühsal der langen Wanderung, zum Theil ohne Nahrung und Waffen. Aber Theodorich entflammte durch feurige Reden den Muth seiner Streiter und besiegte seinen Gegner in drei großen Schlachten. Wankelmüthig neigte sich das italische Volk bald dem Odoaker und bald dem Theodorich zu. Seinem Herzen waren beide Herrscher fremd. Fast ohne Schwertstreich öffneten die Städte Italiens dem Sieger die Thore. Selbst das Heer Odoaker's ward wankend in seiner Treue. Da warf sich der auch im Unglück nicht verzagende Odoaker mit wenigen Getreuen in seine feste Hauptstadt Ravenna und rüstete sich zur entschlossensten Gegenwehr. Ravenna lag damals am Meer, während es heute durch ein allmäliges Zurücktreten der Fluthen eine Stunde weit vom Strande entfernt ist. Diese Lage unterstützte die Vertheidigung. Theodorich war seinem Gegner auf dem Fuße gefolgt und unternahm die Belagerung der Stadt. Mit Heldenmuth widerstand Odoaker. Oftmals brach er in nächtlicher Stunde mit den Seinen aus der Stadt hervor und verbreitete Tod und Schrecken im feindlichen Lager. Aber in immer engeren Kreisen umschlossen die Gothen die bedrohete Stadt und sperrten endlich sogar den Hafen ab. Eine furchtbare Hungersnoth entstand unter den Belagerten. Da entschloß sich Odoaker, nachdem er drei Jahre lang sich tapfer gewehrt, an seinem Glücke verzweifelnd, zur Uebergabe; sie erfolgte am 27. Februar des Jahres 493. Am 5. März hielt Theodorich seinen feierlichen Einzug in die bezwungene Stadt. Odoaker ward mit Schonung und Auszeichnung am Hoflager des Siegers aufgenommen und behandelt. Aber Theodorich fürchtete auch noch den bezwungenen Gegner. Denn Odoaker war seinem Ueberwinder an Edelsinn wie an Muth ebenbürtig und mochte wohl einmal den Kampf um die entrissene Königskrone erneuern. Da tauchten in Theodorich's sonst so reinem Gemüthe arge Gedanken auf. Denn in hoher Stellung ist auch viel Verführung. Gleichwie einst Alexander der Große, auf dem Gipfel des Glücks angelangt, seinen Ruhm mit rohen Ausbrüchen der Leidenschaft befleckte, so hatte auch in jenen Tagen der finstere Geist der Herrschsucht und des Argwohns Gewalt bekommen über den Gothenhelden. Bei einem Gastmahle stieß Theodorich mit eigener Hand sein Schwert in die Brust des unglücklichen Odoaker.

Wohl folgte die Reue der unseligen That; aber keine Reue konnte den Mord ungeschehen machen. Er haftet als ein unauslöschlicher Flecken an dem sonst so ruhmvollen Andenken Theodorich's.

Jäher Schreck durchzuckte die Freunde des edlen Gemordeten. Doch ihnen geschah kein Leid. Mit großmüthigem Vertrauen nahm Theodorich sogar mehrere Diener Odoaker's, die bis zum letzten Augenblicke treu zu ihrem Herrn gestanden hatten, in seine Dienste.

 

7.

Nun war Theodorich's einziger Gegner gefallen. Mit zitternder Unterwürfigkeit begrüßte ganz Italien den mächtigen ostgothischen König als seinen Gebieter. Und als später Theodorich sogar das südliche Frankreich zu seinen Staaten geschlagen und die Regierung über das wankende Westgothenreich in Spanien übernommen hatte, da war das ostgothische Reich das mächtigste der Erde und umfaßte die blühendsten Länder Europa's. Denn es gehorchten dem Gebote Theodorich's alle Lande von den eisigen Häuptern der deutschen Alpen bis zum rauchenden Gipfel des Aetna, und von den baumlosen Haiden Ungarns bis zum Felsen Gibraltars, der Pforte des Mittelmeers. Zu Sitzen seiner Herrschaft wählte Theodorich die Städte Ravenna und Verona. Verona ward von den Gothen »Bern« geheißen und war dem Theodorich eine werthe Stadt, weil er dort seinen glänzendsten Sieg über Odoaker erfochten. Darum wird er auch in den alten Sagen König Dietrich von Bern genannt.

Tapferkeit hatte das neue Reich gegründet; Weisheit mußte es ordnen. Verschiedene Völker waren unter Theodorich's Scepter vereint. Vor allen standen die feingebildeten, unkriegerischen Römer den nur mit den Künsten des Krieges vertrauten Gothen schroff gegenüber. Verschiedene Sitte, verschiedenes Recht galt unter Beiden. Auch der Glaube trennte sie. Denn die Römer gehörten der katholischen Kirche an, die Gothen aber waren Anhänger des Arius. Doch Theodorich wußte diesen Zwiespalt zu versöhnen. Beide Völker behielten ihre alten Gesetze und Einrichtungen und sollten ohne Neid und Eifersucht bei einander wohnen. Der arianische König störte nicht den Glauben und Gottesdienst der katholischen Römer, zugleich verstand er aber auch, sie nach ihren Neigungen zu beschäftigen. Die Römer zeichneten sich durch ihre Bildung und Geschicklichkeit in Verwaltung der öffentlichen Aemter aus. Darum nahm der König aus ihnen die Beamten seines Reichs. Das schmeichelte ihrer leicht erregbaren Eitelkeit und versöhnte sie mit der Fremdherrschaft. So bestanden denn die Titel und Würden der alten Kaiserzeit fort, wurden aber jetzt zur Freude des römischen Volks nach Verdienst und Würdigkeit verliehen und nicht nach Gunst, wie es gewöhnlich bei den Kaisern geschehen war. Zu seinem ersten Rathe erhob Theodorich den Kassiodorus. Dieser durch Frömmigkeit und Gelehrsamkeit ausgezeichnete Mann hatte lange Zeit hindurch die höchste Leitung aller Staatsangelegenheiten in seiner Hand, bis er als Greis sich in ein Kloster zurückzog und dort den Wissenschaften sich widmete.

Außer den öffentlichen Aemtern ruhete auch der Betrieb des Handels wie die Pflege der Künste und Wissenschaften fast ausschließlich in den Händen der Römer. Theodorich belebte den Handel durch den Bau trefflicher Landstraßen und durch Strenge gegen alle Räubereien. Die Ordnung und Sicherheit im ganzen Lande war so groß, daß, wer einen Geldbeutel verlor, ziemlich sicher war, ihn wieder zu bekommen. Vorzüglich liebte Theodorich die Baukunst, und er schmückte seine beiden Hauptstädte mit herrlichen Kirchen und Palästen, in deren edler Bauart man bereits die Anfänge der spätern altdeutschen oder gothischen Baukunst zu erkennen vermag.

Zur Sicherstellung seines Reiches gegen innere und äußere Feinde bedurfte aber Theodorich eines stets schlagfertigen und wohlgerüsteten Kriegsheeres. Dieses bildete er einzig und allein aus seinen Gothen, deren Treue und Tapferkeit sich in den vergangenen Jahren so glänzend bewährt hatte. Hunderttausend Streiter waren stets unter den Waffen. In vierzehn Heerhaufen getheilt standen sie in allen festen Plätzen des Reichs und vorzüglich an den Pässen der Alpen als stete Wächter des Friedens. Zugleich deckte eine Flotte von tausend Kriegsschiffen die Küste und schirmte die Sicherheit des Handels im Mittelmeer.

 

8.

Während so Theodorich wie ein Vater mit liebender Fürsorge über die Wohlfahrt seines Reiches wachte, wußte er nicht minder auch den auswärtigen Fürsten Achtung und Ehrfurcht einzuflößen. Mit Allen begehrte er in stetem Frieden zu leben, nie zog er das Schwert, außer wenn das Recht oder die Nothwehr es forderte. Aber oft genügte auch das bloße Erscheinen eines gothischen Heeres zur Herstellung des Friedens. Ein schöner, großartiger Gedanke leitete alle Verhandlungen Theodorich's mit fremden Fürsten. Er wünschte nämlich alle christlichen germanischen Könige zu einem großen heiligen Bunde zu vereinen, dessen Glieder in Freundschaft friedlich neben einander leben sollten. Die eiserne, rohe Zeit hat das schöne Bild nicht zur Wahrheit werden lassen. Aber doch ist Theodorich durch jene Gesinnung ein Wächter des Friedens und des Rechtes und somit ein Segen für seine Zeitgenossen gewesen.

Noch sind die Briefe vorhanden, die Theodorich an fremde Fürsten schrieb. Sie zeugen von der Weisheit des großen Königs nicht minder als von seinem Ansehen bei auswärtigen Herrschern. Einst führte der wilde Frankenkönig Chlodwig Krieg mit den Alemannen. Diese baten um Theodorich's Vermittelung. Alsbald schickte derselbe eine Gesandtschaft nach Frankreich. Sie ward begleitet von einem kunstreichen Sänger, der seinen Gesang mit anmuthigem Saitenspiel zu begleiten verstand. Am Hofe Chlodwig's pries er in herrlichen Liedern die Waffenthaten des siegreichen Königs. Zugleich aber überreichten auch die Gesandten ein Schreiben ihres Herrn, in welchem Theodorich in freundlich ernster Weise den Chlodwig zum Abstehen von fernerem Kampfe wider die Alemannen ermahnte. In dem Briefe heißt es: »Glaube mir, ich habe die glücklichsten Kriege dann geführt, wenn ich mit Mäßigung endigte.« Und Chlodwig folgte dem Rathe und versöhnte sich mit seinen Gegnern.

Einige Jahre später war Streit entstanden zwischen demselben Chlodwig und dem westgothischen Könige Alarich dem Zweiten. Ein blutiger Krieg drohte auszubrechen. Da sandte wiederum Theodorich Boten und Briefe an die entzweiten Herrscher. Dem Alarich schrieb er: »Laß dich nicht hinreißen durch blinde Leidenschaft. Mäßigung erhält die Völker, Gerechtigkeit macht die Könige stark. Noch kann der Streit friedlich beigelegt werden!« Dem Burgunderfürsten Gundobald aber schrieb er mit väterlichem Ernste: »Alle Könige ringsumher haben Beweise meines Wohlwollens empfangen. Es bereitet mir großen Schmerz, wenn sie gegen einander freveln. Habet Ehrfurcht vor meinem Alter und wisset, daß ich euren Thorheiten entgegentreten werde.« Zwar konnte Theodorich dem Ausbruch des Kampfes nicht vorbeugen. Als aber Alarich im Kampfe geblieben und das gothische Reich den siegreichen Schaaren Chlodwig's offen stand, da verhinderte Theodorich durch sein kräftiges Einschreiten die völlige Auflösung des bedrohten Staates und übernahm im Namen des unmündigen Sohnes Alarich's die Regierung über die Westgothen.

Auch andere Fürsten ehrten den großen Theodorich als ihren Schutzherrn und sandten ihm Briefe und Geschenke. So schickte ihm einst der thüringische König Hermanfried eine Anzahl auserlesener Rosse, die in den üppigen Wiesenthälern des thüringer Waldes gezogen worden waren und durch ihre Schönheit die Bewunderung von ganz Italien erregten. Sie waren groß und wohlgebaut und von silbergrauer Farbe. Ihre Schnelligkeit glich der des Hirsches. Bei aller Stärke waren sie doch folgsam und trefflich zu gebrauchen. Ein andres Mal kam eine Gesandtschaft aus dem fernen Livland mit werthvollen Geschenken und selbst an dem nördlichsten Ende von Europa, in Skandinavien, pries man die Thaten des edlen Theodorich.

Die Freundschaft Theodorich's mit anderen Königen ward sehr befördert durch die von ihm eingeleiteten Ehebündnisse. So vermählte er seine älteste Tochter Ostrogotha mit dem burgundischen Fürsten Siegmund, seine jüngste, Amalasuntha, mit dem ostgothischen Edlen Eutharich. Eine dritte Tochter, Theodicusa, ward die Gemahlin des westgothischen Königs Alarich. Seine Schwester Amalafrieda gab er dem Vandalenkönig Theosimund und seine Nichte Amalaberga dem Hermanfried von Thüringen. Durch Theodorich kam die vorher unbekannte Sitte auf, daß Fürsten sich nur mit Fürstentöchtern vermählten. Theodorich's Gemahlin hieß Audafleda und war Chlodwig's Schwester.

Theodorich herrschte mit Kraft und Weisheit länger denn dreißig Jahre über sein weit ausgedehntes Reich. Aber die letzten Jahre seiner Herrschaft waren nicht erfreulich. Die Römer lohnten ihm seine väterliche Fürsorge mit Undank. Von dem arglistigen Hofe zu Konstantinopel genährt, verbreiteten sich geheime Verschwörungen über Italien. Da ward Theodorich's Gemüth von finsterem Argwohn ergriffen; seine heitere Milde verwandelte sich in blutige Strenge. Schwere Strafen trafen Schuldige und Unschuldige und man erkannte den sonst so edelmüthigen Theodorich nicht mehr. Da ward einst beim Mahle ein großer Fisch auf die königliche Tafel gesetzt. Der aufgesperrte Rachen des Fisches erschien dem Theodorich als ein Bild der Hölle, als das Angesicht der schuldlos Gemordeten. Sein Gewissen erwachte und tiefe Reue kam in sein Herz. Er wurde seines Lebens nicht mehr froh und starb bald darauf, im siebzigsten Jahre seines Lebens, 526 n. Chr. Zu Ravenna zeigt man noch heute sein kunstreich gethürmtes Grabmal.


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