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Zweiter Abschnitt.
Die römischen Kaiser und das Christenthum.

Tiberius und Nero.

I. Tiberius (38 n. Chr.).

 

1.

Dem Tiberius, welcher schon zu Augustus' Lebzeiten an der Spitze der Geschäfte sich befunden hatte, wurde es leicht, die Regierung an sich zu reißen, zumal da die kaiserliche Leibwache der Prätorianer auf seiner Seite war. Kaum sah er, daß der Senat und das Volk sich vor ihm demüthigten, so spielte er eine sonderbare Komödie. Er stellte sich nämlich, als wollte er die Regierung nicht übernehmen. Nur Augustus, sagte er, sei im Stande gewesen, ein so großes Reich zu leiten; seine Schultern seien für solch' eine Last zu schwach, man sollte einen Würdigeren wählen. Und doch würde es demjenigen Senator übel ergangen sein, der diese Erklärung für baare Münze genommen hätte. Das merkten auch Alle sehr wohl und baten daher inständigst, doch den Senat nicht durch seine Weigerung unglücklich zu machen. Aber er trieb das lächerliche Spiel noch lange fort. Je mehr der Senat bat, flehete, weinte und fußfällig die Arme nach ihm ausstreckte, desto mehr Abscheu heuchelte Tiber vor der Regierung. Endlich – endlich stellte er sich von so vielen Bitten überwunden, erklärte aber, nur für einige Zeit wolle er das schwere Amt übernehmen. Dabei hatte er sich genau Die gemerkt, die ihn nicht ernstlich gebeten oder es sich gar hatten merken lassen, daß sie ihn nicht gern zum Kaiser haben wollten; diese sparte er für seine Rache auf. Denn schon in den letzten Jahren des Augustus war ein schreckliches Gesetz gegeben worden, das der beleidigten Majestät, nach welchem Jeder, der über den Kaiser oder seine Regierung schlecht oder unehrerbietig spräche, zur Rechenschaft gezogen und nach Umständen mit dem Tode bestraft werden sollte. Von dem Vermögen des Angeklagten bekam der Ankläger einen Theil, und da läßt sich denken, zu welchen Schändlichkeiten jenes Gesetz Veranlassung gab. Manche nichtswürdige Menschen machten sich ein eigentliches Geschäft daraus, Andere anzugeben, die oft nichts weiter gethan hatten, als verdrießlich eine Bildsäule des Kaisers anzusehen, oder bei dem Aussprechen des kaiserlichen Namens die Achseln zu zucken. So wurde Mancher, der gar nichts verbrochen hatte, plötzlich aus der Mitte seiner Familie herausgerissen, in's Gefängniß geworfen und ohne weiteres Verhör hingerichtet. Fast kein Tag verging, an welchem Tiberius nicht eine Menge von Todesurtheilen unterzeichnete, und das that er sehr gern. Eine Mutter wurde hingerichtet, weil sie über ihren Sohn Thränen vergossen hatte, der auf Tiberius' Befehl hingerichtet worden war. Zuletzt war der Schrecken vor dem Despoten so groß, daß sich Männer und Frauen selbst um's Leben brachten, nur um nicht dem Kaiser und seinen Söldnern in die Hände zu fallen. Je freundlicher Tiberius war, desto mehr mußte man sich vor ihm hüten. Außer sich liebte er kein Wesen, selbst seine Mutter nicht, die doch so viel für ihn gethan hatte. Er sagte einmal: »Wenn ich todt bin, mag der Himmel einfallen!«

 

2.

Daß Tiberius höchst mißtrauisch war und von Jedem das Schlimmste argwöhnte, lag ganz in seiner Despotennatur. Seine Leibgarde, die Prätorianer, brachte er auf 10,000 Mann, die sollten theils seine Person beschützen, theils seine Bluturtheile vollstrecken. Sie wurden in befestigten Kasernen ( castra praetoriana) vor den Thoren der Hauptstadt gelagert, und hielten Alles in Furcht und Schrecken. Der Oberste dieser Leibwache war Sejanus, ein schlechter, verworfener Mensch, aber eben deshalb dem Tiberius lieb und werth. Dieser Sejanus, um desto ungestörter in Rom wirthschaften zu können, beredete den Kaiser, lieber auf dem Lande sich zu vergnügen, wo er vor Meuchelmord sicherer sei, als in der Stadt. Das schien dem Tiberius nicht übel; er verließ wirklich Rom und wählte die Insel Caprea oder Capri, Neapel gegenüber, zu seiner Residenz. Da baute er sich einen prächtigen Palast und fröhnte allen Lüsten und Begierden. Diese Insel war aber auch ganz passend für seinen Argwohn und sein Mißtrauen. Ueberall von schroffen Felsen umgeben hat sie nur Einen Zugang, der von dem Palast aus leicht übersehen werden konnte, und es wurde streng verboten, daß Keiner ohne ausdrückliche Erlaubniß des Kaisers nach Capri käme. Einmal kam ein armer Fischer, der einen vorzüglich schönen Fisch gefangen hatte, nach der Insel und kletterte an einer Felsenwand hinauf, um ihn dem Kaiser zu überreichen. »Unglücklicher, wie kommst du hierher?« schrie ihn Tiberius an, sobald er ihn erblickte, und befahl sogleich, ihm mit dem Fische und der harten Schale eines Seekrebses so lange das Gesicht zu reiben, bis die Haut abspränge.

Unterdessen regierte Sejan in Rom auf fürchterliche Weise. Die meisten vornehmen Familien wurden nach einander ausgerottet, und ihr Vermögen floß in die Kasse des Kaisers und seines würdigen Freundes. Es kam eine solche Angst über die Römer, daß keiner mehr seinem Nächsten trauete und selbst in seinem eigenen Hause kein lautes Wort zu sprechen wagte, aus Furcht, die Wände möchten Ohren haben. Man erwies dem Sejan dieselbe Ehre, wie dem Kaiser; auf den Gassen, in den Tempeln und Privathäusern wurden ihm Bildsäulen errichtet. Da schöpfte der Kaiser Verdacht, und ehe sich's der Günstling versah, ließ er ihn ermorden.

Nach des Sejanus Hinrichtung wurde Tiberius noch finsterer und grausamer. Oft ließ er sich zum Vergnügen verurtheilte Menschen nach Capri bringen, vor seinen Augen foltern und dann von dem Felsen in's Meer hinabstürzen. Doch von Zeit zu Zeit wachte sein böses Gewissen auf und ließ ihm besonders des Nachts keine Ruhe. Einmal schrieb er an den Senat einen Brief, der die Qualen seines Gewissens verrieth und mit den Worten anfing: »Was soll ich euch schreiben oder nicht schreiben? Die heimlichen Mächte mögen mich noch ärger quälen, als es täglich schon geschieht, wenn ich es weiß.« – Aber diese innere Angst trieb ihn nicht zur Besserung, sondern zu noch größeren Verbrechen, um darin seinen glühenden Haß zu kühlen, den er gegen die ganze Menschheit empfand. Trotz seines wüsten Lebens wurde Tiberius doch 78 Jahre alt und regierte 24 schreckliche Jahre über Rom. Zuletzt fiel er in eine ekelhafte und schmerzliche Krankheit, und aus Besorgniß, daß er noch einmal sich erholen möchte, erstickte ihn ein Oberst der Leibwache unter aufgeworfenen Betten.


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