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1.
Die Juden hatten sich schon öfters gegen die Römer empört und waren immer erst nach vielem Blutvergießen wieder unterworfen worden. Zu Nero's Zeit war eine abermalige Empörung ausgebrochen, und der Oberfeldherr Vespasian wurde gegen sie abgeschickt. Da Jerusalem auf mehreren Bergen lag, feste Mauern hatte und daher schwer einzunehmen war, so begnügte sich Vespasian, es einzuschließen, in der Hoffnung, die Parteien in der Stadt selber würden sich untereinander aufreiben. Indessen ward er zum Kaiser ausgerufen; er mußte nach Rom eilen und übertrug die Bezwingung der hartnäckig sich wehrenden Juden seinem Sohne Titus. Dieser griff die Belagerung sogleich mit großem Eifer an und ängstigte die Juden mit seinen großen Belagerungsmaschinen, mit welchen große Steine und Balken geschleudert wurden. Er eroberte einen Theil der Stadt nach dem andern, aber die Juden wehrten sich mit dem Muthe der Verzweiflung, und jeder Fußbreit des gewonnenen Stadtraums mußte durch Ströme Blutes erkauft werden. In der Stadt wüthete der Hunger auf schreckliche Weise; aus den platten Dächern und auf den Gassen sah man die Leichen der verhungerten Mütter und Kinder haufenweise herumliegen. Eine Frau hatte im Wahnsinn des Hungers sogar ihren Säugling geschlachtet und setzte das Fleisch ihres Kindes den eindringenden Soldaten zum Essen vor. Das Gerücht dieser That gelangte auch zu den Ohren des edlen Titus. Er schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und rief die Götter zu Zeugen an, daß er an diesem Frevel nicht schuld sei. Desto mehr empörte ihn der Starrsinn der Juden, die sich noch immer auf der Burg Zion und im Tempel behaupteten. Endlich waren auch die Vorhöfe desselben in den Händen der Römer, aber als sich die Juden noch nicht ergeben wollten, warf ein römischer Soldat Feuer in das herrliche Gebäude und es ging in Flammen auf. Noch einen Monat länger hielt sich die Burg und nun ward erfüllt, was Jesus vorhergesagt hatte. Die große prächtige Stadt sank in grauenhafte Trümmer, die meisten Einwohner wurden erschlagen, viele als Sklaven verkauft oder in fremde Länder abgeführt. Wie schrecklich ging nun an dem unglücklichen Volke der Fluch in Erfüllung, den es selbst bei Jesu Kreuzigung über sich ausgesprochen hatte: »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!« Titus hätte den Juden Gnade angedeihen lassen, wären sie von ihrem halsstarrigen Hasse gegen die Römer nicht verblendet worden. Nun wurden sie in alle Länder zerstreut, lebten, von den andern Völkern gehöhnt und verachtet, als ein ausgestoßenes, von Gott verlassenes Geschlecht und erst unserer Zeit ist es aufbehalten, den Zustand der armen Juden zu verbessern.
2.
Nach Vespasians Tode regierte sein trefflicher Sohn Titus, von seinem dankbaren Volke »die Liebe und Wonne des Menschengeschlechts« genannt. Seine Regierung war kurz, aber segensreich. Das Erste war, daß er die geheimen Ankläger abschaffte. Er hatte das Gelübde gethan, Keinen zum Tode zu verurtheilen, und hielt es auch treulich. Wo er Jemandem etwas Gutes erweisen konnte, that er es mit Vergnügen, und sein Grundsatz war, daß Niemand von einem Kaiser mißvergnügt fortgehen dürfe. Bewundernswerth war seine Großmuth, mit welcher er denen vergab, die ihn beleidigt hatten. Nie wollte er eine Klage gegen Solche zulassen, die Uebels von ihm redeten. »Reden sie,« sprach er, »mit Unrecht Uebels von mir, so wird sie schon ihr Gewissen zeihen; reden sie aber mit Recht Uebels von mir, so wäre es Unrecht, die zu bestrafen, welche die Wahrheit reden.«
Einst stifteten zwei junge Römer von Adel (Patricier) gegen ihn eine Verschwörung an. Sie wollten zu einer bestimmten Zeit das Kapitol in Brand stecken, im Tumult den Kaiser ermorden und sich dann des Thrones bemächtigen. Aber ihr Vorhaben wurde entdeckt und der römische Senat verurtheilte sie zum Tode. Titus sollte dies Urtheil bestätigen; aber er war weit entfernt davon, ja er vergalt vielmehr seinen Feinden Böses mit Gutem. Er ließ beide Patricier vor sich kommen, stellte ihnen vor, daß nicht durch Schandthaten, sondern durch den Willen der Götter die Herrschaft verliehen werde, ermahnte sie dann, mit dem Stande zufrieden zu sein, in welchem sie sich befänden, und versprach, was sie sonst verlangten, ihnen gern bewilligen zu wollen. Darauf zog er Beide an seine Tafel und unterhielt sich mit ihnen auf das Freundschaftlichste. Am andern Tage wurde ein Fechterspiel gegeben. Titus erschien im Amphitheater, nahm seinen gewöhnlichen Platz ein und ließ jene beiden Patricier neben sich setzen. Die Waffen der Fechter wurden einer alten Gewohnheit gemäß ihm überreicht und so groß war sein Zutrauen zu denen, die kurz zuvor sein Leben bedroht hatten, daß er ihnen diese Waffen in die Hände gab.
Auch gegen seinen Bruder Domitian bewies Titus die größte Sanftmuth. Domitian, ein herrschsüchtiger und blutgieriger Mensch, hörte nicht auf, ihm Nachstellungen zu bereiten. Titus wußte es; aber weit davon entfernt, ihn deshalb zur Strafe zu ziehen, vergab er ihm nicht nur, sondern ließ ihm auch die Ehrenstellen, die er bis dahin bekleidet hatte, und erklärte ihn sogar zu seinem Nachfolger. Ja oft bat er ihn im Geheimen und mit Thränen: »Bruder! Liebe mich, wie ich dich liebe!«
3.
Unter dem guten Kaiser Titus wurde Italien von drei großen Unglücksfällen heimgesucht. Der Vesuv hatte seit undenklichen Zeiten nicht mehr gespieen, und hätte er nicht noch fort und fort geraucht, würde man den Vulkan für ganz erloschen gehalten haben. Um so unerwarteter kam der entsetzliche Ausbruch am 24. Aug. 79 n. Chr. Um 1 Uhr Mittags stieg von dem Berge eine ungeheure Rauchwolke auf, die sich immer weiter ausbreitete. Ein der Naturkunde ergebener Mann, Plinius der Aeltere, der sich gerade in der Gegend aufhielt, weil er Befehlshaber der in dem Meerbusen liegenden Flotte war, wollte das merkwürdige Phänomen in der Nähe schauen. Er befahl den Schiffern, ihn nach der andern Seite des Meerbusens nach dem Vesuv hin zu fahren, so sehr auch die erschrocknen Menschen ihn davon abmahnten. Eine Menge Fahrzeuge mit Flüchtlingen begegneten ihm, die alle über den kühnen Mann staunten, der so ruhig der Gefahr entgegeneilte. Schon fiel die Asche häufig aus der Luft herab, und wurde, je näher das Schiff kam, desto dichter und glühender; ein dumpfes Rollen ward gehört; heiße Steine flogen umher und schlugen rechts und links in das Wasser. Einen Augenblick schwankte Plinius, ob er doch nicht lieber umkehren sollte; dann rief er aber: »Mit den Muthigen ist das Glück!« Er befahl, gerade nach dem nahen Ufer zu steuern. Dort lag eine Stadt, worin er einen lieben Freund hatte; bei dem wollte er die Nacht zubringen. Aber er fand schon das ganze Haus in Verwirrung; die Fahrzeuge waren bereits bepackt, um eilig an Bord gehen zu können, sobald der Wind sich drehete und die Rauch- und Aschensäule nach der Stadt zu getrieben würde. Plinius sprach den guten Leuten Muth ein, ließ sich, um sie recht sicher zu machen, ein Bad geben, aß mit Appetit und machte allerhand Scherz. Indessen schlugen aus mehreren Stellen des Berges Feuerströme heraus; Flammen durchzuckten die Finsterniß. Alle blieben wach; doch Plinius legte sich ruhig zu Bette. Nach einigen Stunden aber mußte man ihn wecken, denn die Asche und die Steine fielen so dicht, daß man fürchtete, die Hausthür möchte versperrt werden. Die Erde begann immer heftiger zu schwanken, jeden Augenblick besorgte man den Einsturz des Hauses; und doch auch wagte man sich nicht aus demselben heraus, weil die glühenden Bimssteine dicht wie Hagel fielen. Endlich wurde der Aufbruch beschlossen. Jeder band sich ein Kopfkissen auf den Kopf, um die Steine abzuwehren, und nun ging die Wanderung durch die stockfinstere Nacht, die Sklaven mit Fackeln voraus. Als der starkbeleibte Mann, auf die Schultern zweier Sklaven gestützt, so forteilte, erhitzte er sich durch die Anstrengung, und stürzte plötzlich, vom Schlage getroffen, todt zu Boden. Die Uebrigen aber eilten weiter, um sich der drohenden Gefahr zu entziehen, und erst einige Tage später konnte man den Leichnam des Plinius aufsuchen, um ihn zu bestatten.
Der Neffe des Alten, der jüngere Plinius, war indessen in der Stadt, in welcher der Oheim wohnte, mit seiner Mutter zurückgeblieben. Hier war er Zeuge der schrecklichen Naturerscheinung, und wir haben noch zwei Briefe übrig, worin er dieselbe beschreibt. Auch an diesem auf der andern Seite des Meerbusens liegenden Orte wurde stündlich das Erdbeben ärger; das Hausgeräth bewegte sich und die Häuser schwankten. Der Sohn flieht mitten in der Schreckensnacht mit seiner alten Mutter an das Gestade des Meeres, um dort den Tag abzuwarten. Dort hörten sie den Einsturz vieler Häuser, das Meer schlägt schäumende Wellen und wirft die Seethiere und Muscheln weit auf's Land. Es ist Morgen geworden, aber die Sonne kann nicht durch den Aschenregen dringen, und es bleibt dämmerig. Alles, was fliehen kann, eilt von dannen; aber plötzlich wird es abermals rabenschwarze Nacht und nun entsteht schreckliche Verwirrung. Die Männer rufen einander zu, die Kinder und Weiber schreien, Menschen und Thiere laufen in der Finsterniß aneinander, die Wagen stürzen in Gruben und Löcher, und Jeder glaubt, die Götter hätten die Menschen verlassen und die Welt gehe unter. Noch entsetzlicher ist die Scene in der Nähe des Verderben speienden Berges; da ist der Aschenregen so gewaltig, daß drei blühende Städte, Herkulanum, Pompeji und Stabiä, völlig verschüttet werden. Ein ödes wüstes Aschenfeld ist ihr Grabhügel geworden. Siebenzehnhundert Jahre blieb ihre Spur verborgen, und erst 1711, dann 1738 kam man auf die Spur von Herkulanum, als der König von Neapel in der dortigen Gegend sich ein Landhaus bauen ließ. Man stieß zuerst auf das Theater, und je weiter man nachgrub, um so mehr zeigte sich die verschüttete Stadt. Jetzt sind bereits ganze Straßen ausgegraben, so daß man ziemlich frei in ihnen umher gehen kann. Die Häuser und das Hausgeräth haben sich gut erhalten; man sieht da noch Stühle, Tische, Flaschen, Lampen, Messer, Ringe und Schlüssel, die Wände sind mit Götter- und Heldengeschichten bemalt, und über den Hausthüren stehen noch die Inschriften. In den Buden am Theater lagen allerlei Eßwaaren, Nüsse, Weintrauben, Oliven, auch eine große Pastete, die aber zusammenfiel, sobald man sie berührte. Auch die Gebeine der Unglücklichen, die hier lebendig verschlungen wurden, lagen noch da als Zeugen des Schreckenstages; denn das Unglück war eingebrochen, als das Volk im Theater saß.
Auch Pompeji ist wieder an's Tageslicht gekommen (1748), aber nicht ganz, denn seine Stadtmauern hatten eine Stunde im Umfang. In den Straßen, die überaus enge sind, sieht man deutlich die ausgehöhlten Gleise. An den Straßenecken befanden sich viele Inschriften, die auf die Mauer mit Farbe geschrieben sind, und allerlei Bekanntmachungen enthalten, z. B. daß ein Haus zu vermiethen oder zu verkaufen sei, daß Fechterspiele gegeben werden sollen etc. Zwei Theater, eins für Lustspiele, das andere für Trauerspiele bestimmt, hat man vollständig ausgegraben, außerdem auch noch ein Amphitheater, das wenigstens 18,000 Menschen fassen konnte, in dessen Räumen man noch Löwengerippe fand. In einem Landhause des Cicero fand man noch die großen Weinkrüge an die Wand gelehnt, aber statt des Weines mit Lava angefüllt. Was an den Häusern auffällt, ist ihre niedere Bauart und die Kleinheit der Zimmer. Die meisten Häuser haben nur ein Erdgeschoß; das Licht erhielten sie weniger durch Fenster als durch die Thür, die also immer offen sein mußte und auf eine rings um den Hof laufende Galerie ging. Nach der Straße zu gingen wenig Fenster, denn die Zimmer öffneten sich eben nach der Seite des Hofes, zu dem der Haupteingang des Hauses führte. In der Mitte dieses Hofes befand sich ein Wasserbecken mit einem Springbrunnen. Links und rechts liefen die kleinen Zimmer, zum Aufenthalt bei schlechter Witterung oder zum Schlafen bestimmt; sonst verweilte man im Hofe selber und noch mehr draußen. Im Jahre 1832 grub man ein besonders schönes Haus aus; darin waren der Hof und die Zimmer mit schönem Mosaikboden geziert, d. h. es sind größere und kleinere Steinchen von verschiedener Farbe zusammengesetzt. Der Hof war mit 45 Marmorsäulen umgeben und in einem Winkel desselben befanden sich zierliche Nischen für die Hausgötter.
In einem andern Hause fand man 1700 Bücherrollen, die auf einem Repositorium der Reihe nach aufgestellt waren, – das war eine Bibliothek. Denn die Alten hatten weder solches Papier, wie wir, noch wurden ihre Bücher so gebunden wie die unsrigen. Man schrieb vielmehr auf die eine Seite einer Pergamenthaut und legte dieses Pergament dann aufgerollt hin. Oder man bereitete sich ein Papier aus der Zwiebel der in Aegypten häufig wachsenden Papyrusstaude, indem man die Häute der Zwiebeln abschälte, sie einweichte, dann über einander legte und so lange schlug, bis sie breiartig wurden. Aus dieser breiartigen Masse bildete man dann große Bogen, auf welche man, wenn sie getrocknet waren, die Buchstaben mit schwarzer Farbe auftrug. Von dieser Art waren jene pompejanischen Rollen; aber sie waren von der heißen Asche ganz verkohlt, und als man sie auseinander rollen wollte, fielen sie wie mürber Zunder zusammen.
So viel über Pompeji und Herkulanum. Auf jenes Unglück folgte eine Feuersbrunst in der Hauptstadt Rom, und dann wieder eine schreckliche Pest, die Tausende von Menschen hinwegraffte. Der menschenfreundliche Titus war überall mit seiner Hülfe gegenwärtig, wo die Noth am größten war. Das Wohlthun war seine Lust, und er pflegte jeden Tag für verloren zu achten, an welchem er seinen Mitmenschen nicht genützt hatte. Leider sollte seine treffliche Regierung nur zwei Jahre währen; er starb, vielleicht durch seinen heimtückischen Bruder Domitian vergiftet.