Georg Groddeck
Der Seelensucher
Georg Groddeck

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Georg Groddeck zum Seelensucher

Neulich hat mich wieder Jemand darüber zur Rede gestellt, daß ich, wie es so üblich in der Psychoanalyse sei, alles auf die Sexualität zurückführte. Ich habe gefragt, womit sich eine solche Behauptung begründen lasse, da ich doch mit meinen Patienten ebensooft über alle möglichen Dinge spräche, wobei nicht die leiseste Andeutung des Eros vorkomme. Der Patient verwies mich auf meine Bücher, zunächst auf das Buch vom Es: er begreife nicht, wozu ich solch ein Buch veröffentlicht hätte. Wozu ich das getan hätte, könne ich ihm nicht sagen, erwiderte ich. Aber daß ich es veröffentlichen mußte, sei doch selbstverständlich. Er, mein Widersacher, habe doch auch nicht verhindern können, daß das Kind, das er gezeugt habe, von der Mutter geboren worden sei und er verlange auch gewiß weder von sich selbst noch von seiner Frau, daß das Kind in irgend eine Kammer eingesperrt werde, damit es die Leute nicht sähen. Genau ein solcher Naturprozeß sei es mit dem Buch vom Es gewesen. Ein Zweck sei dabei gar nicht in Frage gekommen, sondern die Notwendigkeit. Wem es nicht gefalle, brauche es nicht zu lesen. Im Übrigen wisse ich, daß im Buch vom Es viel von der sexuellen Frage geschrieben sei; aber es seien doch auch noch andre Dinge darin abgehandelt. Das gab mein Gegner zu, kam nun aber auf den Seelensucher zu sprechen und auf das 376 Titelbild dieses Buchs. Ich bat ihn es mir aus dem Gedächtnis zu beschreiben, und er schilderte nun, daß da ein Mann auf der Weltkugel sitze und die Leibesmitte eines nackten Frauenfigürchens ganz versunken durch eine Lupe betrachte; das beweise doch, wie ausschließlich ich alles unter dem Gesichtswinkel der Sexualität betrachtete.

Mitten in dieser Auseinandersetzung lachte er, und als ich ihn nach dem Grund dieses Lachens fragte, meinte er, es sei ihm erst jetzt aufgefallen, daß dieser Mann ja der Welt den Rücken zudrehe, sie also überhaupt nicht ansehe; der Sinn dieses Bildes sei also Spott über Menschen, die das Vergrößerungsglas in so stumpfsinniger Weise benutzten. – Da möge er wohl recht haben, sagte ich. Er könne auch noch eine andre Schlußfolgerung daraus ziehen, nämlich die, daß der Haß gegen die Psychoanalyse und gegen Freud und etwa auch gegen mich und meine Bücher gar nicht darauf beruhe, daß wir die Sexualität überall in unsre Weltbetrachtung hineinzögen, – denn wir sind ja nicht gleich dem Manne, der sich auf die Welt setzt, damit sie ihn nicht in der Betrachtung weiblicher Reize störe, – sondern darauf, daß wir solch weltabgewendeten Genitalbetrachtern, und deren gibt es jetzt Millionen, die geheime Freude ihrer lüsternen Gewohnheit stören, alles Geschlechtliche aus dem Weltgeschehen herauszunehmen, um es mit der Lupe zu vergrößern. Daß wir den Menschen des neunzehnten Jahrhunderts entlarven, sein albernes Beginnen dem Gelächter kommender Generationen überliefern, das ist, was man uns noch nicht verzeiht. Und deshalb bleibt uns nichts andres übrig, als auch uns dem Hohn unseres eigenen Zeitalters zu überantworten.

Freuds Lehre hat an sich mit dem, was man Erotik nennt, 377 nicht das Mindeste zu tun, und wir, die wir uns mit mehr oder minder Recht seine Schüler nennen, ebensowenig; wenn wirklich einer von uns Lust haben sollte, es dem Narren mit der Lupe gleich zu tun, so soll man ihm den Seelensucher zu lesen geben, damit er entweder sich über sich selber gesund lacht oder an seiner Wut erstickt.

Nicht Freud hat den Menschen mit dem Hinterteil auf die Welt gesetzt, er saß schon darauf, ehe Freud geboren ward; nicht Freud gab dem Menschen Figürchen und Vergrößerungsglas in die Hand, er nimmt ihm Beides als gütiger Lehrer fort und dreht ihn mit sanfter Hand der Welt zu: Sieh, wie groß die Erde ist und wie klein das Dingchen, das dir so wichtig vorkommt; schau dich um, das bißchen Freude, das die Sexualität macht, kannst du überall finden. Die Welt ist durchtränkt davon.

Ich weiß nicht, ob sich mein Gegner geschämt hat; ich habe ihn nicht gefragt.

Groddeck.

 


 


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