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Viertes Buch.
Stefan Huse.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Ein fremder Mieter

Als Mary das Ziel ihrer Fahrt erreicht hatte, hieß sie den Kutscher, nachdem sie ihn abgelohnt, noch zehn Minuten warten; sei sie bis dahin nicht zurückgekehrt, so solle er weiterfahren. Dann schritt sie auf ihre alte Wohnung zu.

Wer schildert jedoch ihr Erstaunen, als sie über ihres Vaters Fenster ein Schild angebracht sah, das ihr beim Schein der Straßenlaterne grell entgegenleuchtete.

›Stefan Huse,
Galvanoplastische Anstalt‹

stand in großen Buchstaben darauf geschrieben. Ein trostloses Gefühl der Verlassenheit, der Heimatlosigkeit überkam sie. Der fremde Name, das veränderte Aussehen des Hauses, das sie noch vor wenigen Wochen bewohnt hatte, versetzten sie plötzlich in eine unbekannte Welt, in der sie nichts zu suchen und zu fordern hatte. Nur die gerechte Entrüstung über die Treulosigkeit der Hausmeistersleute bewog sie näher heran zu treten, um der Sache auf den Grund zu kommen. In dem Zimmer des neuen Mieters brannte noch Licht und Mary konnte durch die matten Fensterscheiben in das Gemach blicken, welches ihr Vater so sorgsam vor den Augen eines jeden Unberufenen zu verhüllen pflegte.

Die ganze Einrichtung war völlig verändert, der Raum in eine Werkstatt verwandelt. Die große magneto-elektrische Maschine, das Gefäß mit der Kupfervitriollösung und noch andere seltsame Geräte, deren Zweck sie nicht kannte, fesselten zuerst ihre Aufmerksamkeit, nach und nach fielen ihr jedoch auch allerlei Gegenstände ins Auge, mit denen sie vertraut war, die ihrem Vater gehörten; vor allem die wohlbekannte Geldkiste, die in einer Ecke stand, und der lange dunkle Vorhang im Hintergrund, welcher stets den geheimnisvollen Apparat verhüllt hatte. War vielleicht auch dieser auf der alten Stelle geblieben?

Ein bejahrter, sehr hochschulteriger Mann, der mit ihr zugekehrtem Rücken am Tische stand, war eben beschäftigt, verschiedene glänzende Gegenstände in Seidenpapier zu wickeln. Jetzt wandte er sich und trat an das Fenster. Mary sah einen Augenblick sein höchst eigenartiges Gesicht, von krausem grauem Haar umrahmt; dann ward es dunkel vor ihren Augen – der alte Galvanoplastiker hatte den Rollvorhang herunter gelassen.

Die Wohnung gehört mir, ich habe sie noch auf zwei Monate gemietet, war Marys unwillkürlicher Gedanke. Rasch näherte sie sich der Hausthür und zog die Klingel. Ein Unbekannter öffnete und fragte nach ihrem Begehr.

Sie wünschte die Hausmeisterin, Frau Braun, zu sprechen.

»Die Brauns sind ausgezogen, ich habe jetzt das Haus zu verwalten,« lautete die Antwort.

»Aber die Zimmer dort drüben gehören von Rechts wegen mir,« rief Mary bestürzt, »und ich sehe, daß ein Fremder eingezogen ist. Hat denn Frau Braun sie zum zweitenmal vermietet, oder haben Sie es vielleicht gethan?«

»Ja, aber ich glaubte, es wäre ganz in der Ordnung. Der letzte Mieter soll das Weite gesucht haben. Entschuldigen Sie – Sie sind am Ende gar die junge Dame, die hier mit ihrem Vater gewohnt hat?«

Mary bezwang ihre wachsende Angst. »Die bin ich,« erwiderte sie. »Ehe ich fortging, habe ich noch die Miete für das laufende Vierteljahr bezahlt. Ich dachte die Wohnung abgeschlossen zu finden, meines Vaters Möbel und Bücher waren darin, auch – –«

»Bedaure,« versetzte der Mann, »von der Bezahlung weiß ich nichts; Frau Braun wird das Geld wohl für sich behalten haben.«

Das junge Mädchen stand ratlos da; ihr blieb nichts übrig, als den Ort zu verlassen; aber ihres Vaters Apparat – was sollte aus dem werden? –

»In dem Zimmer war auch eine Maschine, ein Modell, auf das mein Vater großen Wert legte; es ist doch nicht zu Schaden gekommen?«

»Eine Maschine? Wohl das blanke Ding hinter dem Vorhang? Wir haben nicht gewagt es anzurühren«.

»Morgen werde ich wiederkommen und es abholen,« erwiderte Mary und verließ das Haus. Schon im nächsten Augenblick kam sie jedoch mit einer Geberde des Schreckens durch die noch offene Thür zurückgestürzt. Ein leichter Jagdwagen rollte die Straße daher; das schöne Gespann war ihr nicht unbekannt.

»O, was soll ich beginnen?« rief sie in banger Furcht. Sie fühlte nur allzudeutlich, daß, wenn Stanhope sie jetzt entdeckte, sie nicht die Kraft haben würde ihm zu widerstehen. Gab sie aber seinen Bitten nach, so war es vielleicht sein Verderben.

Zum Glück hielt der Wagen auf der gegenüberliegenden Seite der Straße vor dem hell erleuchteten Apothekerladen. »Er kommt hierher, er wird mich finden. Kann ich mich denn nirgends verbergen?« Sie sah sich hülflos um, der Hausverwalter hatte sich bereits zurückgezogen, aber jetzt hörte sie eine Thür gehen – das frühere Zimmer ihres Vaters öffnete sich – der alte Mann, den sie erst am Fenster erblickt hatte, stand auf der Schwelle und starrte sie bestürzt und verwundert an. Mit flehend erhobenen Händen eilte sie auf ihn zu. »Er kommt, er kommt!« mehr vermochte sie nicht zu sagen. Der Greis schien jedoch ihr Verlangen auch ohne Worte zu verstehen.

»Nur hier herein,« rief er mit seltsam rauhem Ton, faßte sie am Arm, zog sie in seine Werkstatt und schloß die Thür. Im nämlichen Augenblick verkündete der Schall der Hausglocke, daß Stanhope Einlaß begehrte.

*


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