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Drittes Kapitel.
Entfesselte Leidenschaft

Jetzt erhob sich von der Straße her ein wahrer Höllenlärm. Fenster krachten, Weiber kreischten und immer näher klang das Geheul und Mordgeschrei der tobenden Menge. Abermals ward unten die Klingel gezogen, aber diesmal beeilte sich der Neger nicht, die Thür zu öffnen.

»So läutet mein Herr nicht«, sagte er und hielt das Ohr lauschend an die Thür. Doch er fuhr schnell zurück, gewaltige Faustschläge donnerten dagegen.

»Oeffnet«, klang es in rauhem Ton, »gebt uns den Neger heraus, dann wollen wir weiter ziehen!«

»Den Neger, den Neger!« brüllten hundert Stimmen im Chor, »wir müssen den Neger haben.«

White, der neben Philipps im Wohnzimmer stand, hob gerade die Hand nach der Gaskrone, um das verräterische Licht auszulöschen, als der Schwarze eilig zurückkam. »Warten Sie noch einen Augenblick«, schrie er laut, um den betäubenden Lärm zu übertönen, »mein Herr kommt gewiß bald und dann –« Er hielt inne, horchte und stürzte wieder in die Halle hinaus, diesmal nach der Hinterseite der Wohnung.

»Was sollen wir thun?« fragte Philipps angstvoll; »weit lieber möchte ich den rasenden Teufeln begegnen, als jenem Manne.«

»Uns bleibt keine Wahl«, schrie White zurück. »Möglich, daß der Pöbel das Haus erstürmt, das können wir nicht hindern; aber mir war's, als hörte ich soeben eine Geschützsalve – das Militär rückt heran.«

Philipps schüttelte den Kopf und warf einen verlangenden Blick nach der Thür – der Schlüssel war abgezogen. Aber die Riegel an den Fensterläden ließen sich leicht zurückschieben; schon wollte er, ohne auf Whites finstere Blicke zu achten, den Versuch wagen, da flog ihm ein Holzsplitter entgegen – ein Laden war eben eingeschlagen worden.

»Den Neger! Gebt den Neger heraus!« klang es mit furchtbarer Deutlichkeit durch die Oeffnung.

In namenloser Furcht stürzte Philipps auf den Tisch zu und wollte die Pistole in der verdeckten Schüssel ergreifen; »sie sollen mich nicht lebendig haben«, schrie er, »ich werde kämpfen bis zum letzten Atemzug.«

Plötzlich wurde sein Arm mit eisernem Griff festgehalten. Der Neger stand vor ihm, einen Papierfetzen in der Hand, auf den einige Worte flüchtig hingeworfen schienen.

»Von meinem Herrn«, rief er laut, während die Schläge immer stärker an Thüre und Fenster donnerten.

Philipps starrte auf das Papier, aber er vermochte nichts zu lesen. White gelang es jedoch nach einigen Minuten die Schrift zu entziffern. Der Zettel lautete:

»Verwundet – im Sterben – sage den Herren, sie sollen gehen.

D.«

Whites bleiches Gesicht wurde plötzlich blutrot; er zitterte und zeigte sich schwächer im Augenblick der Errettung als während der ganzen Zeit der entsetzlichen Spannung.

»Wir sind erlöst, begnadigt, freigelassen«, schrie er Philipps ins Ohr. »Der Mann liegt im Sterben, das hat sein Herz erweicht.«

Der andere stieß einen gellenden Schrei ans. »Fort, fort, laßt uns fliehen«, keuchte er. »Leben, frei sein, mein Töchterchen wiedersehen –«

Er stürzte nach der Thür, aber der Gedanke an die blutgierige Menge draußen fesselte seinen Fuß. Auf diesem Weg gab es kein Entkommen. Hilflos flehend sah er den Neger an.

Dieser hatte wieder sein früheres, ehrerbietiges Wesen angenommen; er winkte den beiden, ihm zu folgen.

»An der Mauer im Hinterhof werden Sie eine Leiter finden«, sagte er sobald sie weit genug waren, daß er sich ihnen verständlich machen konnte. »Ich hatte sie dorthin gestellt, um meine eigene Rettung zu bewerkstelligen, aber sie steht zu Ihrem Dienst.«

White nahm den Papierfetzen aus seiner Westentasche, in die er ihn gesteckt hatte. »Wo ist der Bote, der den Zettel gebracht hat?« fragte er mit einem forschenden Blick auf den Neger.

»Fort. Er kam und ging durch den Hinterhof.«

»Und Ihr Herr – wo ist er?«

»In der nächsten Schenke liegt er am Boden. Er stieß gerade den letzten Seufzer aus, als der Mann ihn verließ. Ein Stein ist gegen seine Brust geflogen und hat ihm die Rippen eingeschlagen. Sonst«, fügte der Neger mit Nachdruck hinzu, »würde er sicherlich nicht versäumt haben, seine Gäste zu empfangen.«

Mit einem Fluch wandte White dem Schwarzen den Rücken. »Kommen Sie«, rief er Philipps zu und sprang, wie von einer schweren Last befreit, die wenigen Stufen in den Hof hinunter.

Philipps stürmte ihm frohlockend nach, an dem Neger vorbei; das plötzliche Aufhören des Straßenlärms veranlaßte ihn jedoch, sich noch einmal umzuschauen. Dies war verhängnisvoll. Zwei Spiegel, die an den gegenüberliegenden Wänden hingen, gewährten ihm den Einblick in ein hinteres Zimmer, und dort sah er einen Mann, dessen Antlitz er kannte, obgleich er es seit zwölf Jahren nicht mehr geschaut hatte.

Es war ihr vergebens erwarteter und gefürchteter Gastgeber, der, weder verwundet noch tot, in Kraft und Gesundheit dastand, den Ausdruck teuflischen Triumphs in den hohnlachenden Mienen, als frohlocke er über den Erfolg eines gut angelegten Planes.

Starr vor Schrecken über den Zusammensturz aller seiner Hoffnungen blieb Philipps stehen. Der Neger aber, welcher glaubte, er zögere aus Furcht vor der Wut des Pöbels, beeilte sich, ihn mit der Versicherung zu beruhigen, daß die Polizei den Haufen auseinandergesprengt habe und die Aufrührer in der Richtung des Broadway entflohen seien. Diese Nachricht schien den Bann zu brechen, der Philipps gefesselt hielt. Er stieß ein wildes Gelächter aus.

»So will ich auch mein Heil in der Flucht suchen«, rief er, stürmte hinter White her und verschwand in demselben Augenblick im Hofe, als vorn im Hause die Lichter erloschen.

Was ihm jener letzte Blick verraten hatte, offenbarte er seinem Gefährten nie. Er mochte wohl seine guten Gründe dazu haben.

*


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