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Achtzehntes Kapitel.
Stanhope und Mary

Aus ihr spricht mein guter Engel,« rief Stanhope, als sich die Thür hinter Flora geschlossen hatte. »Sage mir, Geliebte, kannst du mir mein Zögern, meine Zweifel vergeben? Willigst du ein, mein Weib zu werden?«

»Und Nathalie Yelverton?«

»Sie mag kommen wann sie will, ich habe nichts mit ihr zu schaffen.«

»Aber weshalb verlangte Ihr Vater, daß Sie jenes Mädchen heiraten sollten?« –

»Er hat keine Gründe angegeben; es würde mir Glück und Ehre bringen,« sagte er.

»Und würden Sie auch Glück und Ehre in einer Verbindung mit mir finden? Es liegt ein Schatten auf meinem Leben, den ich nie habe verscheuchen können. Wie, wenn er nun auch Ihren guten Ruf und Namen verdunkeln sollte?«

Der junge Mann war bleich geworden.

»Ist Ihr Vater nur ein Sonderling oder – verzeihen Sie mir, Mary – liegt seinem seltsamem Wesen irgend ein Unrecht – etwas Böses zu Grunde? Könnte es uns in Schmach und Schande stürzen?«

»Mein Vater ist fast mein einziger Gefährte und Lehrer gewesen. Wenn man den Baum an seinen Früchten erkennt, so können Sie nach meiner Geistes- und Herzensbildung das Wesen meines Vaters beurteilen. Er hat mich nur Gutes gelehrt und mir stets die liebevollste Nachsicht bewiesen.«

»Er hat einen Engel aus dir gemacht,« rief Stanhope, sie stürmisch an sein Herz drückend, »hierfür könnte ich ihm alles verzeihen. Vielleicht gelingt es uns, ihn von seiner Furcht zu heilen; wenigstens kann er mir sagen –«

»Wer weiß, ob Sie ihn je wiedersehen. Er hat auf lange Zeit Abschied von mir genommen und ich kenne seinen Aufenthaltsort nicht. Das bekümmert mich schwer.«

»Seltsam, höchst seltsam!« murmelte Stanhope. »Es muß seine Absicht gewesen sein –«

»Ich will Ihnen sagen, was seine Absicht war: Er wollte seine Einwilligung zu unserer Verbindung geben – eine andere Erklärung für seine Handlungsweise finde ich nicht. Glauben Sie mir, dies wäre nie über meine Lippen gekommen, hätten Sie mich nicht gefragt, ob ich Ihr Weib werden will. Nun aber sollen Sie alles erfahren, was ich selber weiß.«

»Das verstehe ich nicht, Mary. Warum entfloh er damals und ließ mich vergebens auf seine Rückkehr warten? Er muß doch dir gegenüber irgend einen Vorwand gebraucht haben, um zu erklären, warum er das Haus ohne mich verließ.«

»Er sagte mir nur, ich solle ihm sogleich folgen, der Herr habe versprochen, alle nötigen Anordnungen zu treffen, dann käme er nach. So gingen wir denn zur Hinterthür hinaus, wo schon ein Wagen für uns bereit stand.«

»Wirklich! der Schritt war also schon im voraus überlegt!«

»Allem Anschein nach, nicht wahr? – Als wir im Wagen saßen, sprach mein Vater mit mir, sehr traurig, aber sehr liebevoll. Er küßte mich, und meine Wange war naß von seinen Thränen. Wir waren schon lange gefahren, da beugte er sich über mich und flüsterte – –«

»Sprich weiter, liebes Herz.«

»Ich bringe dich in ein Haus, wo du eine junge Dame und einen Herrn finden wirst. Mache dir die Dame – sie ist Witwe – zur Freundin und –« Marys Verwirrung war so groß, daß ihre Stimme zu einem Flüsterton herabsank – »und heirate den Herrn, so wirst du deinen alten Vater glücklich machen an seinem Lebensabend.«

Auf Stanhopes Stirn lagerte sich eine düstere Falte. »Und du, was antwortetest du?«

»Muß ich das auch gestehen? – Was hätte ich denn anders sagen können, als: wo ist Herr White? Ich glaubte, du brächtest mich zu der ihm befreundeten Dame? Daß er dies that, ahnte ich ja nicht und ich dachte an jenem Abend nur an Sie.«

Er drückte einen innigen Kuß auf ihre Stirn. Ja, sie war unschuldig und rein; sie wußte nichts von den Berechnungen ihres Vaters.

»Das war gut und recht; an mich allein sollst du immer denken. – Und was erwiderte dein Vater?«

»Er fragte mich, ob Sie Herr White wären, und als ich dies bejahte, schwieg er lange; ich glaube vor Ueberraschung. Den Sack mit dem Gelde gab er mir erst, als der Wagen hier vor dem Hause hielt. Dann nahm er Abschied von mir und sagte, er könne mich nun ohne Furcht verlassen, da für meine Zukunft gesorgt sei. Wohin er gehe, dürfe er mir nicht anvertrauen, aber er würde stets im stande sein, über meine Wohlfahrt zu wachen und sich an meinem Glück zu freuen. Ich solle nicht nach ihm suchen, auch mit andern nicht über ihn reden, bis er von selbst wieder zum Vorschein käme. Ich solle mich Mary Dalton nennen, unter diesem Namen erwarte mich die Dame. – So kam ich in dieses Haus und sah Sie wieder – aber wie anders war alles geworden!«

Sie hatte den Blick zu ihm erhoben, ihre Lippen bebten, die Wangen glühten ihr vor Scham und innerer Erregung. Alles hatte sie nun gestanden und ihre Brust befreit. Wie reizend sie aussah im Kranz der blonden Locken, mit den seelenvollen Augen, deren Zauberkraft er noch nie widerstanden hatte. Aus der Liebe dieses holden Wesens würde er Hoffnung, Thatkraft, Begeisterung für alles Große und Gute schöpfen. Ein Leben ohne sie schien ihm jetzt undenkbar.

Die seltsamen Umstände, die ihren Eintritt in sein Haus begleitet hatten, das Dunkel, das ihren Vater umgab und auch sie selbst geheimnißvoll umhüllte, Zweifel und Unbehagen – alles war vergessen in diesem Augenblick.

»Mary, ich liebe dich von ganzem Herzen,« rief er »und abermals frage ich dich: willst du die Meine werden?«

Wie groß auch die Wonne sein mochte, die sie empfand, sie ließ sich nicht von dem Freudentaumel berauschen. Leise entwand sie sich seinen Armen und ihre ganze Kraft zusammenraffend erwiderte sie:

»Heute vermag ich noch keine Antwort zu geben. Lassen Sie mich eine Woche hier im Hause bleiben; nach Ablauf dieser Zeit will ich mich entscheiden. Wanken Sie in Ihrem Vorsatz, steigt irgend ein Gedanke, ein Zweifel, in Ihnen auf, der Ihren Frieden stört, oder Sie bereuen läßt, was Sie heute gethan haben, – dann versuchen Sie nicht, mich zu halten. Weit lieber will ich mit gebrochenem Herzen zu Grabe gehen, als jemals in den Augen meines Gatten Mißtrauen in meine Vergangenheit und Furcht vor der Zukunft lesen. Davor möge mich der Himmel bewahren.«

Die Worte verfehlten ihren Eindruck auf Stanhope nicht. Er sah ein, daß jeder Versuch, ihren festen Entschluß zu erschüttern, jetzt vergeblich sein würde und fügte sich in den unvermeidlichen Aufschub.

*


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