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Siebentes Kapitel.
Zwei Pakete

Jack Hollister wartete ungeduldig auf Stanhopes Rückkunft; er hatte ihm noch etwas zu sagen.

»Ich habe mir alles gründlich überlegt, während du fort warst,« begann er, sobald sein Freund eingetreten war. »Du mußt meine Beichte bis zu Ende hören, damit kein Mißverständnis zwischen uns aufkommen kann. Als Bewerber um Floras – Frau Whites – Hand bin ich nie aufgetreten, sie hat mir auch keine besondere Gunst erwiesen, aber ich habe sie geliebt, seit ich sie vor zwei Jahren zum erstenmal auf dem Wohlthätigkeitsball sah. Mit Freuden hätte ich mein lustiges Junggesellenleben, meinen Klub, meine Rennpferde, mein Segelboot aufgegeben, um mir mit ihr ein stilles, bescheidenes Heim zu gründen. Doch, das war nicht nach ihrem Sinn. Neben deinem Vater wenigstens hatte ich gar keine Aussichten. Ob je der Gedanke in ihr aufgestiegen ist, daß alle äußern Vorteile doch nicht für den Unterschied der Jahre entschädigen können, weiß ich nicht; in letzter Zeit ist es mir manchmal so erschienen. Ihre Verlobung hat mich damals schrecklich mitgenommen und das tragische Ereignis des heutigen Tages bringt mich ganz außer Fassung. Wenn ein anderer – und noch dazu ein Freund – das Mädchen heimführt, das man liebt und er wird gleich nach der Hochzeit dahingerafft, dann kommt man sich vor wie sein Mörder. Es thut mir jetzt freilich leid und ich schäme mich meiner Thorheit und Eifersucht, aber noch neulich, als wir alle bei Tische saßen, wünschte ich, ein Blitzstrahl möchte das Haus treffen und uns alle unter seinen Trümmern begraben.«

»Jack!«

»Ich muß offen gegen dich sein, Stanhope, sonst kann ich dir nie wieder frei ins Gesicht sehen. Unaussprechlich sehne ich mich danach, jetzt zu ihr zu eilen, sie zu trösten, ihr Ein und Alles zu sein, und doch würde ich keinen Augenblick zögern, das Unglück ungeschehen zu machen, wenn es in meiner Macht stände, damit wir ihn wieder in unserer Mitte hätten, so stark und hoffnungsreich und voll hingebender Zärtlichkeit für sie, wie er noch gestern war. – Glaubst du das? –«

»Ja, ja,« murmelte Stanhope zerstreut; er überdachte die seltsamen Verwickelungen ihrer Lage, während er mechanisch im Zimmer auf und ab ging.

»Du kennst die Liebe noch nicht und die Eifersucht mit allen ihren Qualen,« fuhr Jack lebhaft fort. »Wenn du einmal ein Mädchen liebst, wirst du begreifen, wie das einem den Kopf verdrehen kann, selbst wenn man gar keine Aufmunterung erhält; dann wirst du mich vielleicht entschuldigen.«

»Ich tadle dich nicht,« war Stanhopes ruhige Antwort, »du kannst deine gute Natur nicht verleugnen, trotz aller bittern und leidenschaftlichen Regungen.«

»Also bleibt alles zwischen uns beim alten,« rief Jack, sichtlich erleichtert, und die Freunde trennten sich mit warmem Händedruck.

Frau Hastings leistete jetzt ihrer verwitweten Tochter Gesellschaft; sie war eine jener geräuschvollen und wichtigthuenden Personen, welche, sobald sie ein Haus betreten, förmlich davon Besitz nehmen. Friede und Ruhe schienen bei ihrer Ankunft zu entweichen, selbst der Schmerz diente zur Schaustellung und verlor allen heiligenden Einfluß. Für Stanhope war ihre Gegenwart unerträglich und er blieb den ganzen Abend über auf seinem Zimmer. Erst am andern Morgen, als die Dame ausgefahren war, um die nötigen Trauerkleider für ihre Tochter zu besorgen, ging er in seines Vaters Studierzimmer hinunter. Bange Zweifel bestürmten ihn noch immer. Es lag ihm vor allem daran festzustellen, was in jener kurzen Stunde vor der Trauung geschehen sein könne, um den eben noch so hoffnungsfrohen Mann in einen Verzweifelten zu verwandeln. So ließ er denn Felix und Peter zu sich entbieten, welche beide schon längere Zeit im Dienste ihres Herrn gestanden hatten und der ganzen Familie treu ergeben waren.

»Es müssen doch gestern Briefe für meinen Vater angekommen sein, Felix,« redete er den alten Diener an, »welche einer Antwort bedürfen; doch finde ich sie weder auf seinem Schreibtisch noch in der Rocktasche. Haben Sie nicht die Postsachen in Empfang genommen?«

»Jawohl; ich brachte die Briefe herein als Sie beim Frühstück waren. Sie standen am Fenster, während der Herr sie las, wie Sie sich erinnern werden.«

»Das sind nicht die, welche ich meine,« versetzte Stanhope; er hatte ja seinen Vater jene drei Briefe mit ruhiger Miene und ohne alle Erregung beiseite legen sehen.

»Mit der zweiten Post sind nur Zeitungen gekommen,« versicherte Peter, »ich habe sie an den gewöhnlichen Platz gelegt; die dort waren es, glaube ich;« er deutete auf mehrere Zeitschriften und Tageblätter auf dem Tische.

Stanhope gab sich noch nicht zufrieden.

»Ist nicht irgend ein Besuch gekommen oder ein Bote, der einen Brief gebracht haben kann? Ich bin überzeugt, daß mein Vater, ehe er zur Kirche fuhr, ein wichtiges Schreiben erhalten hat, das sich noch vorfinden muß.«

Die Diener sahen einander an. »Wir wissen nichts davon,« versicherte Felix. »Herr White hat einige Briefe geschrieben, während er auf den Wagen wartete,« sagte Peter zögernd, als wisse er nicht recht, ob die Mitteilung dem jungen Herrn etwas nützen könne. »Er übergab sie mir zur Besorgung.«

»Ja, ja – das weiß ich,« fiel Stanhope ein, »von denen spreche ich nicht. Wo ist Josephine? Vielleicht hat sie jemand hereingelassen, während Ihr beide anderweitig beschäftigt waret.«

Das Kammermädchen wurde gerufen und befragt, ob sie einen Brief abgegeben oder einen Besuch in das Studierzimmer geführt habe.

»Nein,« sagte Josephine mit tiefem Erröten, denn der stattliche junge Herr flößte ihr große Scheu ein. »Es war zwar jemand da, aber er ist nicht hinaufgegangen. Herr White kannte den Mann nicht und sagte, er könne jetzt niemand empfangen.«

»Hat er seinen Namen genannt?«

»Ja, aber ich habe ihn vergessen. Es war etwas wie ›Stewart‹, aber doch anders. Er hielt ein kleines Paket in der Hand.«

»Hat er es dagelassen?«

»Nein, ich glaube nicht. Als ich wieder herunter kam war er nicht mehr da. Wahrscheinlich hatte ihm irgend jemand gesagt, es sei Herrn Whites Hochzeitstag.«

Felix und Peter schüttelten den Kopf; sie hatten von dem Fremden nichts gesehen und gehört.

»Ich ließ ihn im Vorsaal stehen,« fuhr Josephine ängstlich fort; »vielleicht war das nicht recht, aber er sah sehr anständig aus.«

Stanhope glaubte zwar nicht, daß die Angelegenheit irgend etwas zu bedeuten habe, wollte aber doch der Sache auf den Grund gehen; deshalb fragte er, um welche Zeit der fremde Besucher dagewesen sei. Das Mädchen erwiderte: bald nach zehn Uhr; Herr White habe sie kurz darauf nach dem Westminster-Hotel geschickt, um ein kleines Paket abzugeben. Da sei es halb elf gewesen.

Stanhope fiel es auf, daß jener Mann, der Herrn White zu sprechen wünschte, ein Paket in der Hand getragen und daß eine halbe Stunde später sein Vater das Mädchen mit einem Paket nach dem Hotel geschickt habe. War es vielleicht ein und dasselbe? Er konnte nicht umhin, die Frage zu stellen.

Josephine machte große Augen; der junge Herr schien überhört zu haben, daß der Fremde das Paket wieder mitgenommen hatte. Sie gab jedoch ihrer Verwunderung keinen Ausdruck, sondern antwortete nur, es seien ganz verschiedene Päckchen gewesen, das, welches sie fortgetragen habe, klein und in weißes Papier gewickelt, das andere aber, in des Mannes Hand, braun und viel größer.

Stanhope schalt sich insgeheim einen Thoren; er beschloß, nicht weiter zu forschen und entließ die Dienstleute. Aber wieder und immer wieder ging es ihm durch den Sinn, was wohl sein Vater nach dem Hotel geschickt habe und in welcher Absicht der Mann mit dem braunen Paket gekommen sein möge. Plötzlich sprang er betroffen auf. Zu oberst in dem Papierkorb, welcher neben dem Tische stand, an dem er gesessen, lag eine grüne Schnur mit zerschnittenem Knoten und ein braunes Einwickelpapier, das noch die Form der Schachtel erkennen ließ, die es umhüllt hatte. Darunter aber fand er die Briefe, die sein Vater beim Frühstück erhalten hatte. Er betrachtete das braune Papier genau; die Aufschrift lautete: ›An Herrn White‹ und trug den Vermerk ›eigenhändig zu öffnen‹, was der Sendung eine ganz besondere Wichtigkeit verlieh.

Bestürzt über seine Entdeckung stand er eben im Begriff, Josephine zurückzurufen, um nähere Aufklärung durch sie zu erhalten, als ein leises Klopfen an der Thür ihn hinderte, seine Absicht auszuführen. Flora White, die junge Witwe, trat ein, in der Hand ein mit weißem Papier umhülltes Päckchen tragend.

*


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