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Gretli hatte sich den Abend über bei den Herren Lehreren gar nicht gezeigt, obschon es sie kannte; aber eben weil es sie kannte, war es nicht Liebhaber von ihnen. Später durfte es die elterliche Unterhaltung nicht stören; ob es aber nichts von derselben hörte, das ist ein anderer Handel, den wir nicht zu entscheiden wagen. Am folgenden Morgen strich Gretli um die Mutter herum wie die Katze um eine Bäurin, welche Milch ausrichtet. Die Mutter tat, als merke sie es nicht, redete vom Einsetzen des Gemüses und vom Hechler, der hätte kommen wollen, den man aber des Dreschens wegen nicht haben könne. Aber was frug doch Gretli dem Hechler nach, so einem staubichten Kuderbälli! Endlich sagte Gretli: »Mutter, was habt ihr gestern gehabt vom Hunghafen, du und der Vater?«
»Nichts, daß ich wüßte«, antwortete die Mutter. »Hast aber gehorcht; du weißt doch, wie ich das hasse.« »Nein, aparti gehorcht habe ich wäger nicht, Mutter«, antwortete Gretli. »Aber das Gadenloch war ein wenig offen, um Wärme hinaufzulassen, und da weißt du wohl, versteht man hie und da ein Wort, wenn man schon nicht expreß aufpaßt. Da verstund ich deutlich, daß ihr etwas vom Hunghafen und von den Hansen, dem jungen und dem alten, hattet.« »Und vom Benz nicht auch, he?« frug die Mutter. »Ach Mutter«, sagte Gretli, »Ihr meintet es sonst so gut mit mir, und Ihr seid mir immer die liebste Person auf der Welt gewesen – nit, der Vater ist mir auch grusam lieb, aber ich darf ihm nicht so alles sagen, was mir vorkommt – und jetzt könnt Ihr mich so plagen. Benz sah ich so lange nicht, Ihr tut, als sei er nicht mehr auf der Welt, redet kein Wörtlein von ihm vor mir, und ich soll nicht einmal nach ihm fragen. Warum soll er entgelten, was die andern machen, warum soll ich ihn nicht mehr liebhaben, weil die andern wüst Hüng sind, und er ist mir so grusam lieb. Nein, Mutter, so begehre ich nicht mehr zu leben; lieber will ich noch heute sterben, und wenn man mich totschlagen wollte, ich lief nicht davon.« »Möcht's nit probieren«, antwortete Lisi kaltblütig. »Wohl, Mutter, wohl, es ist mir Ernst. Du weißt nit, wie einem ein Mensch lieb sein kann, du weißt nit, wie grusam lieb mir Benz ist, und je länger ich ihn nicht sehe, desto lieber wird er mir. Und ich soll nicht einmal wissen, was ihr von ihm gehabt. Weiß Gott, was ihr im Schilde führet und was es noch geben soll. Wenn es etwas Gutes wäre, so dürftest es mir schon sagen. Aber es hat mich niemand mehr lieb; wenn ich doch nur allen schon aus den Augen wäre!« – und somit fing das arme, trostlose Mädchen gar bitterlich zu weinen an, daß das Wasser in Strömen ihm aus den Augen schoß.
Lisi bekam Erbarmen. Es hatte in der Tat nicht daran gedacht, daß ein junges Herz heißblütiger ist als ein älteres und ein liebendes Mädchen noch lange nicht die Geduld hat zu warten, wie es kömmt, wie eine verständige, bestandene Frau. Gretli hatte aus Respekt für die Eltern und weil seine Liebe eine solche war, die man nicht gerne ums Haus herum vor allen Leuten sonnet oder jedem Mistkrattenbub davon erzählt, ziemlich geschwiegen und so ruhig als möglich getan, so daß Lisi meinte, es sei auch ebenso ruhig inwendig. Hatte es vielleicht wie schon manche Mutter gehabt, die ihre Tochter viel kindlicher oder kindischer glaubt, als sie ist, meint, so ernsthaft nehme sie die Sache nicht, die Flüchtigkeit des Kindes, wo es heißt: Aus den Augen, aus dem Sinn, wohne ihr noch bei.
Jetzt erschrak Lisi fast bei diesem so unerwarteten Ausbruch. »Nit, Meitschi, nit!« sagte es daher. »Tue nicht so, es meint es ja niemand böse mit dir, du solltest doch wissen, wie lieb du uns bist. Aber was trägt es ab, viel von einer Sache zu reden, an der man doch nichts machen kann? Kein Mensch denkt ja daran, vor deinem Glück zu sein, sondern nur dein Unglück zu verhüten. Viel Gemeinschaft haben mit Benz in diesem Augenblick trägt nichts ab, es hätte nur desto böser. Sie würden meinen, er trüge uns alles zu, und würden wüst tun auf alle Weise. Ich weiß wohl, was Benz möchte; es wäre ihm darum, dich zu heiraten, damit du ihnen die Haushaltung machtest und er so mehr Gewalt bekäme über das Hauswesen. Aber eben das, Meitschi, möchte ich um kein Lieb zulassen, keins von meinen Kindern möchte ich in ein Wespennest stoßen. Denk doch auch, was du für eine Lebtig hättest so zwischen Tür und Angel! Niemanden könntest du es recht machen; wolltest Ordnung schaffen, so täten dich alle verfolgen, ließest es schlitten, so würde man brüllen, da könne man sehen, was du für eine seiest; man hätte glauben sollen, was für ein Ausbund daherkäme, und jetzt ginge es statt besser schlechter. Am Ende müßtest du nicht bloß an allem schuld sein, sondern es ginge dir akkurat wie deiner Gotte selig, und wenn du schon nicht stürbest, so brächtest du doch ein saures Gemüt davon, und das ist bös. Denk, wenn du dein Lebtag die Kust von ergraueter Ankenmilch im Maul haben müßtest, wie angenehm das wäre; ein sauer Gemüt gibt noch viel bösere Kust.«
»Aber Benz muß ja auch dabeisein, Mutter«, antwortete Gretli. »Du und Benz sind einstweilen noch zwei«, antwortete Lisi. »Benz muß dabeisein, du aber mußt gottlob nicht. Er war seit langem dabei, ist sich der Sache gewohnt, du aber kömmst aus einem Hause, wo eine ganz andere Lebtig ist; wohl, du würdest die Augen auftun, wenn du dort mithalten müßtest, und für es anders zu machen, hast du noch zuviel Flaum in den Haaren, der Luft der Welt hat sie dir noch nicht gehörig geputzt. Benz dagegen ist schon mehr erhärtet, er hütet übrigens seine eigene Sache, und wenn er dabei schon Mühe und Not hat, wird es ihm nicht schaden. Es ist nichts schlimmer, als wenn man glaubt, man müsse jungen Leuten alles vorgeigen und vormalen, daß sie nichts zu tun hätten, als das Maul aufzumachen wie die Kinder, wenn die Kindermutter mit dem Breilöffel kömmt. Von dem haben wir allerdings geredet und gefunden, da sei einstweilen gar nichts zu machen. Es ist nichts schlimmer, als wenn man mit einem ungeduldigen Wesen da dreinfahren will, wo man gar kein Recht dazu hat; man macht die Sache nur böser, und was man tut, wird bös ausgelegt als Zwängsucht oder Eigennutz, wie gut man es auch gemeint haben mag. Darum muß man alles einstweilen gehen lassen, glaub's, es wird von selbst auseinander sich haspeln, wenn die Zeit um ist, wann, weiß Gott.«
»Ja, wenn dann nichts mehr da und der Hunghafen an ein Schachenhüttli vertauschet ist«, sagte Gretli traurig, dem die Liebe im Herzen, aber im Kopf doch auch die Bäurin stak. Den praktischen Unterschied zwischen einer Schachenhütte und einem Baurenhause zu übersehen, ist selten die Liebe blind genug im Kanton Bern, noch eher die Sinnlichkeit.
»Dafür habe nicht Kummer«, sagte Lisi, »da laß nur den Vater machen! So weit außen auf den Ästen ist Hans doch noch nicht, jedenfalls ist ein schönes Muttergut da, und du gehst auch nicht mit leeren Händen, und in keinem Fall läßt der Vater den Hof in fremde Hände, wenn Benz ihn dafür hält. Dann weißt du doch, woran du bist, was dein und andern Leuten, wer Koch und Kellner ist und für wen du arbeitest. So steht's. Ohne daß du so wüst zu tun und uns zu vermalestieren brauchst, haben wir an dich gedacht, besser, als du es könntest, denn lieber bist du uns, als du es wert bist. Aber so hat man es mit den Kindern, das sind die undankbarsten Geschöpfe von der Welt. Rutscht man ihnen nicht Tag und Nacht auf den Knien nach und frägt in einem fort: ›Schätzeli, was wotsch?‹, so schreien sie, man liebe sie nicht, man tue nicht an ihnen, was man solle, als ob man sie am Messer hätte und morden wolle. Es ist ein wüstes Lumpenpack.«
»Zürn doch recht nicht!« sagte Gretli weich und die Mutter um den Hals nehmend, »ich weiß ja wohl, daß ihr mich liebhabt. Aber warum sagt ihr mir von dem allem nichts? So wußte ich ja nicht, wie ihr es meintet.« »Selb wär g'späßig«, sagte die Mutter. »Du solltest wohl wissen, wie wir es meinen, ohne daß wir es dir alle Abend zu sagen brauchen, wenn du Glauben und Vertrauen zu uns hättest. Aber so ist es in der Welt, es ist in Gottes Namen nirgends Glauben und Vertrauen mehr, weder zu Gott noch unter den Menschen. Hat man lauter Liebs und Guts jahrelang erfahren, und einmal geht's nicht nach unserm Kopf, so sattelt man um und kriegt das Herz voll Mißtrauen und Zorn; das gibt die undankbaren Kinder, die auf den Höllenwegen gehn.« »Mutter, Mutter«, sagte Gretli, »nit so! Mein Lebtag will ich es nie mehr so machen. Aber reden hättest auch mit mir können. Es drückte mir so oft das Herz ab, es dünkte mich, du müssest es mir ansehen und mit mir reden, und darum kam es mir, ihr wolltet von allem nichts, weil Hans ein Radikaler sei und sonst nicht tue, wie recht, und das müßten jetzt Benz und ich entgelten.«
»Nein, Kind, nein«, sagte die Mutter, »so köpfig sind ich und der Vater denn doch nicht. Anständig ist uns d'Sach allweg nicht, aber ich denke, das ändere auch, und allweg ist Benz nicht wie die andern, hat das Hudeln nicht angenommen, in der Kirche sieht man ihn auch noch, und nie habe ich gehört, daß er die vermessenen Reden führe wie die andern. So sei nur ruhig, aber d's Lose laß sein! Es könnte dir sonst geschehen, daß ich dich für die Jumpfere ansehen und es dir machen würde, wie ich es schon mehreren gemacht; mit einem braven Klapf habe ich schon mancher das Losen vertrieben für solange, als sie im Hause waren.«
Von da an wohlete es Gretli beträchtlich, es konnte mit der Mutter reden, und bekanntlich verliert die schwerste Bürde die Hälfte ihres Druckes, wenn man von ihr reden kann, wenigstens eine Zeitlang. Was ihm nun aber Kummer machte, und den durfte es der Mutter doch nicht mitteilen, war der Gedanke, daß Benz es nicht wisse, wie gut man hier gegen ihn gesinnet sei, nicht daran denke, ihn die Sünden der andern entgelten zu lassen. Nun, wenn es ihm geradezu hätte Bescheid machen wollen und ihn bestellen hierhin und dorthin, so wäre die Sache rasch abgetan gewesen, aber das wollte Gretli nicht. Es gehörte nicht zu dem Schlage, welcher den Wahlspruch hat: Helf, was helfen mag! und jedem zweibeinigen Buben mit dem Holzschlegel winket. Es blieb dabei, wenn er es nur wüßte, ohne an Mittel zu denken, ihn es wissen zu lassen.
Salatanni zum Beispiel, welches bald darauf zum Spinnen abholte und wiederum einen inhaltsschweren Nachmittag da verbrachte, ungestört von den Herren Lehreren, wäre, so wüst es war, doch eine prächtige Botschafterin gewesen, aber Gretli dachte nicht daran, es zu benutzen. Es blieb bei dem Wunsche: »Wenn er's nur wüßte! Ach, wenn er's nur wüßte!« Das ist denn doch vielleicht der Seufzer, der am häufigsten in Mädchenherzen erklingt, und es klingt so schön: »Ach, wenn er es nur wüßte!« Und wenn alle die: »Ach, wenn er es nur wüßte!« einmal zu gleicher Zeit in Europa einen Ausbruch täten aus den Räumen, in denen sie verschlossen sind, es würde ein Knall und Donner geben, daß man ihn hörte in Amerika und alle die Echos im Kaukasus knallten und donnerten wenigstens von einer Leipziger Messe zur andern ununterbrochen. Und wie mancher gute, zarte Junge würde erstaunt ausfahren und verblüfft stillestehn, ungefähr wie Lots Weib, wenn er sich plötzlich von lauter Seufzern: »Ach, wenn er es wüßte!« umsaust und umrungen fühlte. Was hülf's ihm? Entweder würde ihm sein Herz verspringen vor Wonne, oder er würde aus lauter Verlegenheit, welchem Seufzer er nachlaufen solle, sterben, oder er würde, wenn er allen nachlaufen wollte, in Ewigkeit nicht fertig werden. Wie unendlich glücklich würde mancher, wenn solche Töne ihm klingen würden von einem Orte her, wo er nie geträumt, daß ein einziger Pulsschlag ihm gelten könnte! Wie viele gehen kühl aneinander vorüber; wenn sie wüßten, wie das in den Herzen rumpelt: »Ach, wenn er's wüßte!«, sie fielen einander stehenden Fußes um den Hals, und wäre es mitten auf dem Weibermarkt. Wie viele aber auch würden unaussprechlich unglücklich werden, wenn sie erführen, in welchen Herzen es für sie getönt und vielleicht noch tönt: »Ach, wenn er es wüßte!«, während sie mit Herzen zusammengekettet sind, welche um und um stachlicht sind wie alte Igel und in denen nichts tönt als: »Ach, wenn er nur wäre im Pfefferland oder mira im Himmel!«
Darum wird der liebe Gott wohl gewußt haben, warum er es so geordnet hat, daß nicht alle Seufzer krachen und donnern müssen wie Lawinen oder Wasserfälle, sondern daß man ganz stille, leise seufzen kann, daß es niemand hört als Gott. Wie manches Mädchen, wenn es abends gebetet hat, mag seufzen: »Ach, wenn er es wüßte!«, und dieser Seufzer ist doch sein best Labsal, an ihm entzündet ein schönes Leben sich, ein Leben voll holder Träume, voll Licht und Wonne, ein immer neues Labsal für die einsame Seele. Und wie manches Mädchen mag einschlummern zur langen Ruhe, ein seliges Lächeln verklärt die blassen Züge, die scheidende Seele ließ es zurück, ihr letzter Gedanke war: »Ach, wenn er es nur wüßte!«, aber der Seufzer war verklärt im Morgenrot freudiger Hoffnung. Kurzweilig wohl sind die, aber gewöhnlich nicht lange, welche, statt zu seufzen, einem mit den Ellbogen in die Seite fahren, die Augen unter die Nase stoßen und mit langgespaltenem Maule fragen: »Du, was meinst, wie g'fiel d'r, nähmst mih öppe? Hätt noh neuis, was d'r g'fiel. Hätt hundert Krone vo d'r Gotte g'erbt, u d'r Vater lebt noh!«
Indessen meinte Gretli doch nicht, daß es ihm geordnet sei, zu warten bis ins ewige Leben, ehe Benz vernehme: da oben meine man es immer gleich gut mit ihm, er solle nur nicht verzappeln, es werde schon noch alles gut kommen. Es hoffte, von ungefähr mit ihm zusammenzutreffen, da oder dort, aber es war wie verhexet, es konnte nicht mit ihm zusammenkommen. Es brachte es nicht weiter, als daß es ihn einigemal von weitem am Rücken sah. Wenn dann die Mutter heimkam aus der Kirche oder vom Krämer oder die Meisterjumpfere vom Salzholen oder irgendein Knecht, der ausgewesen, und Gretli fast allemal hören mußte, sie hätten Benz gesehen, mit ihm gesprochen, der sei fry magere, ward es rot, tat es ihm im Herzen weh, bis es endlich glaubte, es sei entweder verhexet oder es werde nicht sein sollen, sondern geordnet sein, daß sie nicht zusammenkommen, was in der Sache selbst ungefähr auf eins herauskam. Während es Benz nie näher vor Augen kriegte, traf es alle Augenblicke Hans an, der mit ihm den Klöti machte, so recht übermütig zutäppisch sich machte, wie wenn es eine Gnade wäre, daß er es nicht unter seiner Würde halte, es zu kennen, ungefähr als ob er ein Prinz sei und Gretli eines Buchbinders oder eines Besenbinders Tochter.
Hans dachte wahrscheinlich zuweilen, wenn alles fehl, so fehle ihm doch Gretli nicht, das werde unb'sinnt den jüngern Sohn nehmen, wenn es dem gefalle, ihns zu wollen. Dumm sei es daher, nicht vorzubauen, um im Fall der Not zugreifen zu können. Ankenbenz war wohl ein Konservativer und Hans nichts weniger als lieb, aber Ankenbenz war ein Bauer, der wußte, was der Hunghafen wert war, und Hans frug nicht viel darnach, war Geld konservativ oder radikal. Sollte etwa das Meitschi nicht gleich anbeißen, so verließ er sich darauf, es werde wohl irgendeine Gotte oder Base haben, welche ihm sage: »Tue nit dumm, Gretli, denk, es gibt nur einen Hunghafenbauer!« Aber es ist eben verschieden in der Welt und in den Herzen der Meitscheni, da sind auch nicht lauter Seufzer der Liebe, sondern da tönt es auch: »Ach, wenn doch der Uflat wüßt, wie er mir z'wider wär, er ließ mich dann vielleicht ruhig.« Geradeso lauteten in Beziehung auf Hans die Seufzer in Gretlis Herzen. Es nahm sich aber auch fest vor, wenn er ihm noch mehr begegnen sollte, es nicht bei innerlichen Seufzern bewenden zu lassen, sondern es ihm grob und deutsch herauszusagen: »Hans, bist ein Uflat, geh mir zehn Schritt vom Leibe, oder ich haue dir, was ich in Arm bringen mag, meinethalb Hauptmann oder nicht Hauptmann.« Das war Gretlis tapferer Entschluß, und es hätte gehauen, aber es ging anders.
Einmal zur Seltenheit waren Vater und Mutter zusammen an einen Markt gefahren, sie hatten allerlei zu kramen und vielleicht auch die Absicht, allerlei zu vernehmen, wie es stehe in der Welt. Namentlich trieb Lisi, welches man sonst immer zwingen mußte, wenn es von Hause sollte, an dieser Fahrt. Es sei nichts, wenn man immer zu Hause sitze, man komme dabei ganz aus der Welt hinaus. Gehe man dann einmal unter die Leute, so komme man ihnen vor, als sei man hundert Jahre unter der Erde gewesen, könne sich auf nichts mehr verstehen. Benz war es auch recht. Wahrscheinlich merkte er Lisi wohl, vielleicht war es ihm auch so, nur ließ er es nicht merken. Übrigens war es nie nein, wenn Lisi zur Seltenheit einmal fortwollte; man hätte das Wichtigste liegenlassen, wenn es von weitem den Wunsch nach einem Fuhrwerk hätte blicken lassen. Es sagte daher oft scherzweise: »Ihr seid mir doch die wüstesten Leute unter der Sonne, sehet mich nirgends lieber als am Rücken, mögt nicht warten, bis ihr mich aus dem Hause habt, und ich glaube, es wäre euch das Rechte, wenn ich nicht wiederkäme.«
In ihrer Abwesenheit führte Gretli das Hausregiment. So was hat für Mädchen immer einen gewissen Reiz, wenn sie auch nicht tanzen wie die Mäuse, wenn die Katze aus dem Hause ist. So ein Tag unterbricht die gleichförmige Reihe der Tage, wo alles wie am Schnürchen geht, einer akkurat wie der andere ist. Einer gewissen Freiheit wird man sich immerhin bewußt, man kann weniger machen, man macht auch mehr, und zwar unbefohlen, und freut sich auf die verwunderten Augen, wenn die Wiederkommenden es gewahr werden. Mädchen nisten gerne in ihren Heiligtümern, ziehen ihre Herrlichkeiten an die Sonne, lassen sie von den Mägden bewundern, probieren sie auch wohl. Wenn über Mittag nichts extra aufgestellt wird, so wird doch nachmittags ein Kaffee gemacht, ja auch dazu geküchelt, und zwar nach erhaltenen geheimen Instruktionen und nicht hinterm Rücken, wie es allerdings auch geschehen mag.
Es ist das der umgekehrte Sinn von dem Sinn, der da meint: »Selber fressen macht feiß«, der daheim die Seinen ohne Brot, ja hungern läßt, während er in Brannt- oder anderm Wein sich gütlich tut, auch sein Geld auf andere Weise schmählich verschleudert. Denn man bilde sich nicht ein, dieser Würgengel der Familien, dieser greuliche Sinn, der nur ans eigene Fleisch denkt, finde sich bloß in den Hütten, wie man gewisse Tiere nur in Sümpfen findet. Dieser Sinn findet sich ebensogut in den Palästen, manch gräflich, manch freiherrlich Geschlecht hat er hingewürgt. Es ist der schöne hausväterliche und hausmütterliche Sinn aber, der an alle denkt, dem nichts schmeckt, wenn nicht alle haben, der alles Gute mit allen teilt, nur die Bürde für sich behält, immer für das Haus sorget und denkt an die daheim. Das ist der schöne Sinn, den der Zeitgeist und seine Lumpenlehren nicht dulden will; dieser konservative, christliche Sinn, der das Haus erbauet hat, soll fort und den Irrgeistern weichen, die von Pinte zu Pinte fahren, dort des Hauses Mark verzehren, unbekümmert um die daheim. An einem solchen Tage können Töchtern auch die Hausmütter spielen, probieren, wie wohl dieses ihnen anstehe und wie sie es können. Das ist noch etwas mehr, als wenn ein Vater dem Sohn das Leitseil gibt, damit er probiere, wie er das Fahren könne; denn zum Fahren bedarf es nur ein Pferd, um als Bäurin haushalten zu können, muß ein Mann und Bauer auf den Laden.
Mit Spinnen und Singen hatte man auf der Ankenballe einen fröhlichen Morgen zugebracht, zu Mittag an guter Milch und einem zarten, handlichen Erdäpfelstock sich mannlich gelabt, und trillerend trug nun Gretli in zwei großen Melchtern auch den Schweinen ihre Mahlzeit zu. Die Schweine hörten von weitem seinen Schritt, empfingen es mit mächtigem Grunzen, in welches die kleinern mit ihren scharfen Stimmchen quiekten und quakten. Mit Anstand und Kraft handhabte Gretli den Zepter der Schweinställe, den mutzen Besen, und schäkerte so gleichsam mit demselben mit einem alten Paar Schweine, als hinter ihm eine Stimme fragte: »Hast aber schwere?«
Rasch wandte Gretli sich um und sagte: »E, bist du's, Hans Uli? Hättest mich bald erschreckt! Was bringt dich Guts so weit nebenaus?« »Unser Herrgott hat mir ein Kind beschert, ich wollte die Frechheit haben und dich fragen, ob du es nicht zur heiligen Taufe tragen wollest?« »Dank für d'Ehr«, sagte Gretli. »Es wird's wohl geben können, aber es ist mir z'wider zuzusagen, Vater und Mutter sind z'Märit. Könntest nit warte, bis sie heimkommen? Sie sind nie spät.« »Selb git's nit« sagte Hans Uli, »ich will auch noch z'Märit, da muß ich pressieren, wenn ich meine Sache verrichten will. Wenn du nichts darwider hast, so wird es wohl nicht viele Umstände geben. Dann möchte ich, daß du es selbst verrichtetest. Du bist mir immer b'sunderbar lieb gewesen, und ich habe oft gesagt, wenn ich einmal eine Gotte mangle, so müssest du sie sein. Ich hätte es ungern, wenn du nicht selbst kämest, mir nur so eine Jumpfere schicktest. Es ist zwar wyt u kalt, aber ihr habt Roß und Wage, und du bist nit so e Zuckerstengel, wo das Aluege nit erlyde mag, v'rschwyge de d'r Bysluft.« »Meinst?« sagte Gretli lachend. »Aber komm herein, wir können drinnen dann noch darüber reden.«
»Habe wahrhaftig nicht Zeit«, sagte Hans Uli. »Ich versäumte mich zu lange. Unsereinem muß die Zeit gar zu Ehren ziehen, wenn er einmal vom Hause ist. Ich wollte sagen, ich könne wiederkommen, wenn die Eltern daheim sind, aber es ist mir fast nit möglich, der Sache so viel nachzulaufen. Aber ich weiß, du darfst dich wohl unterstehen, mir zuzusagen; was du machst, ist ja, als hätten sie es gemacht.« »Meinst?« sagte Gretli, »du könntest dich irren, möcht's wenigstens nit probieren. Aber das will ich dir zugesagt haben. Ich weiß, sie hätten es dir nicht abgesagt, du warest ihnen immer anständig.« »Ja, wäre ich nur nie hier fort, aber es kömmt einem manchmal krumm i Gring, man macht's mit Fluchen oder Plären nie mehr grad«, antwortete Hans Uli. »Komm doch herein!« sagte Gretli. »Wäger nit, muß pressiere, komme ohnehin spät heim u muß noh i d'Appithek gah Zeug nehmen.« »Ist jemand krank?« frug Gretli. »Nit apart«, sagte Hans Uli, »aber das Kind hat nicht Schlaf, und da hat die Hebamme gesagt, es sei dafür nichts besser als Treyack; wenn man einem Kinde jewylige e Löffel davon eingebe, so könne es schlafen, als wenn es nie mehr erwachen wollte. Adie u dankeigist u fehl nit!« sagte Hans Ulrich. »Um neun Uhr läutet es, und der Pfarrer ist ein exakter, der wartet nit.«
Raschen Schrittes eilte Hans Uli den Berg ab, Gretli ging der Küche zu, kehrte plötzlich um, lief der Seite zu, wo Hans Uli abgegangen war, aber der sah nicht um; zu errufen war er nicht mehr. »Kann man doch so dumm sein, das ist dümmer als dumm«, brummelte Gretli vor sich hin. Drinnen verkündete es den beiden Mägden, es könne einem doch ung'sinnet was begegnen, sie sollten mal raten, was ihm begegnet sei. Sie rieten allerlei, sogar an eine alte Frau, welche die Schweine gefüttert, denn von so einer ging die Sage, aber das Rechte rieten sie nicht. Gretli verkündete ihnen endlich, es sei von Hans Uli zu Gevatter gebeten worden.
Hans Uli war nämlich Knecht gewesen auf der Ankenballe, war aber einmal in einen bösen Luft geraten und hatte einen geschwollenen Kopf bekommen wie ein doppelt Bernmäß, das heißt, böse Leute hatten ihm vorgespiegelt, wie er da oben so hart werchen müsse und um ein so gerings Löhnli, ein Bursche wie er mache leicht d's Halb einen größern. Hans Uli hatte das per se gerne gehört, tat von da an wüst, und als Benz ihn wieder fragte für das nächste Jahr, warf er den Kopf auf, machte oberherrliche Gesichter, wollte gnädig sich zum Bleiben verstehn, aber um einen d's Halb größern Lohn und andern Gedingen obendrein. Da sagte Benz ruhig: »Du, hör, es ist am besten, wir gehen eine Weile auseinander, vielleicht wirst dann wieder zufrieden.« Hans Uli war Benz sehr anständig gewesen, denn er war treu und verständig; er verlor ihn ungern. Aber er war auch alt genug, um zu wissen, was man an einem Knechte hat, der so gleichsam nur aus Gnaden bleibt, und einstweilen behielt er das Heft noch gerne selbst in Händen. Er ließ ihn also gehen, obgleich Lisi muckelte: es wäre doch vielleicht gut gewesen, man hätte noch ein Jahr mit ihm probiert, von wegen wo er gewesen, da hätte man gewußt, daß die Sache zum Danke gemacht werde.
Hans Uli war weitergezogen, aber der Kopf schwoll ihm bald auf; er merkte, daß er einen dummen Streich gemacht. Indessen hielt er sich nicht dafür, daß er hinging und sagte: »Ich war ein Esel und bin's nicht wert, daß ihr mich wieder annehmt; indessen wollte ich doch angehalten haben –.« Als er ein Kind bekam, da trieb es ihn zu Gretli, und daß er die Alten nicht angetroffen, war ihm ganz recht. So bereitete sich ein Friede vor, bei dem er nicht viele Bekenntnisse abzulegen hatte, der sich so gleichsam von selbst gab.
Wie aus einem Munde frugen beide Mägde: »Oh, Gotte sy! Was hast für einen Götti?« Ach, Gotte sy wäre für sie auch ein Glück gewesen, b'sunderbar wegem Götti, der war der Hauptschleck. »Vergaß zu fragen, er pressierte gar, und als es mir in Sinn kam, war er schon zu weit weg!« antwortete Gretli. »Aber nein, wie dumm«, sagte die ältere Magd, »Gotte sy u nit nah'm Götti frage, nein aber, kann man auch!« »Ich war noch nie Gotte«, sagte die jüngere, »aber das käme mir doch gewiß zuerst in Sinn und ob's ein Bub sei oder nicht, dem ich Gotte sein müsse, von wege Bube bedeuten Glück im Heiraten, nume so es Meitschi het nit viel z'bidüte. Es ist lätz für dich, daß es nit e Bub ist, by Bube git's zwe Göttene, nit ume eine.« »Vielleicht ist's ein Bub«, sagte Gretli. »Er pressierte so, daß ich gar nicht dazu kam, der Gattig Sachen zu fragen.« »Nein aber auch, so witzig und doch so dumm! Aber jetzt, was willst alege?« sagte die ältere Magd. Das ist eine Frage, welche an manchem Orte schnell beantwortet ist, ungefähr so: »Du Göhl, was anders, als was ih ha!«
Nun, bei Gretli war das anders; wenn es auch nicht d'r Narr machte mit der Hoffart, so hatte es doch viele und kostbare Kleider. Eine rechte Bauerntochter soll viele Kleider haben und schöne, es ist eine Art von Mitgift. Wer weiß, was sie für einen Mann kriegt, ob der Geld hat für Weiberkleider, und wenn er schon Geld hat, was hilft's, wenn er ein Uhung ist? Dieses setzt aber soliden Stoff und einen gewissen Bestand in der Mode voraus, und so war es auch. Der Kittel war so ziemlich über die Mode erhaben und anderes ebenfalls. Wie es jetzt gehen wird, wo man bereits mittags zum Ändern sendet, was man am Morgen neu angezogen, und der Näherin sagen läßt, d'Sach wär recht, aber wohl weit, sie solle das noch viel verflüchter zusammenziehen. Nicht narrochtige Kleider hatte Gretli, aber kostbare; es besaß Silber und Seide, und wie es der Kinder größte Lust ist, mit dem Sparhafen zu g'vätterlen, so sind Mädchen glücklich im Mustern und G'schauen von Kleidern.
Als auf die Frage: »Was willst alege?« Gretli antwortete, daran erst habe es nicht gedacht, baten beide, es solle die Kleider holen und probieren, sie wollten ihm auslesen helfen, es sei heute Märit, und da habe man ja üser Lebtig nie g'meint, daß man fürs Vaterland werchen müsse. Dawider hatte Gretli nichts, sondern selbst Lust daran. Die Herrlichkeit ward zusammengetragen, auseinandergelegt, und die Herzen zersprangen fast vor Lust und Freude. In Rät und Burger wurde erkannt, Gretli stehe die Seide am besten an. »Sie werden luegen, wann sie dich in dem schwarzen seidenen Kittel, dem schwarzen seidenen Tschoppen und den sechsfachen Göllerkettelene sehen, so was ist dort in der ganzen Gemeinde nicht, du stichst alle aus weitherum«, ward geurteilt.
»Es düecht mih, wenn ich nur einmal eine halbe Stunde solche Kleider anhaben könnte, es nähmte mich wunder, wie ich darin käme«, seufzte die ältere Magd. »Dem ist schnell abgeholfen«, lachte Gretli. »Komm, Mädi, wir wollen Bäbi z'weg rüsten, daß es d's Land uf, d's Land ab kei Schöners gibt.« »Wird Müh ha«, antwortete Mädi. »Einmal vor allem aus muß es sich waschen und z'Bode. Es meint immer, Wasser mache wüste Haut, und will es nur mit Abtrocknen machen. Ich habe ihm schon oft gesagt, was es doch mit seiner Haut wolle, die sei wie eichene Rinde; das best wär, wenn es sie an ein Kalbfell tauschen könnte, und wenn es schon siebezig Batzen nachgeben müßte, solle es sich nit b'sinne. Aber da hilft alles Sagen nüt; es hat an manchem Ort Z'sämegesparts, man könnte nicht nur Bohnen setzen, sondern Bäume.« Bäbi in seinem Glück sagte nur: »Schwyg du, u de du!« und ging alsbald auf Gretlis Befehl, sich zu waschen.
»Mach g'schwind, von wegen du mußt dann noch gestrählt sein; wenn etwas gehen muß, so wollen wir die Sache doch gleich recht machen«, rief Mädi nach. Die Mahnung war ganz überflüssig, denn Bäbi wendete wirklich zu diesem Säuberungsprozeß seine ganze Gewalt an, so daß die Haut in nicht geringe Gefahr geriet und Bäbi selbst lange im Zweifel lebte, war sie noch da oder war sie weg. Mit dem gleichen Nachdruck, der Bäbi zu öfterm zerknirschtem Aufblicken und herzlichen Seufzern zwang, wurden die Haare bearbeitet, darauf erst die Kleider angetan, selbst einem schönen Mänteli, welches Gretli nur einmal getragen, nicht geschont und so endlich ein Meitschi hervorgebracht, ein ganz rar Stück. Gretli und Mädi bewunderten das Werk ihrer Hände; wer aber ganz glücklich wurde, das war Bäbi.
Den allermerkwürdigsten Gegensatz zwischen seinen Kleidern und seinem Wesen merkte es natürlich nicht, wie es noch sehr viele, die auf einer viel höhern Stufe der Kultur stehen als Bäbi, nicht merken und Tag für Tag angelegentlich beschäftigt sind, sich selbst lächerlich zu machen. Es kam sich wie der Ausbund der Schönheit vor und jammerte wehlich: wenn Gott ihm solche Kleider geordnet hätte, es wollte längst einen Mann haben und von den brävsten und reichsten einen. Aber es gehe allenthalben nach Gunst, denn es wisse nicht, warum ihm nicht solche Kleider hätten geordnet werden können so gut als andern Leuten, es sei doch so gut ein Mensch als ein anderer.
Es war wirklich fast unkennbar, und Gretli und Mädi hatten die größte Freude daran zu raten, welcher Bauerntochter es am meisten gleiche und wo es schöner sei, hinten oder vornen. Wäre Bäbi ein Pfau gewesen, es hätte das Rad so schön geschlagen, daß es den Schweif sein Lebtag nicht wieder hätte zusammenziehen können. Nachdem es sich ringsum besehen, am eigenen Anblick nach Herzenslust ersättigt und von Zeit zu Zeit geseufzt: »Nei aber, ih hätt's keim Möntsche glaubt, was d'Kleider mache, vo wytem wurd me sih v'rschwere, es wär Gretli, ume noh um es Namhafts bräver, als es jetzt noch ist. (Bäbi war ungefähr einen halben Zentner schwerer als Gretli.) Es nimmt mih doch wunder, was die Knechte sagten, wenn sie mich sehen würden, ob sie mich kennten oder nicht.« »Probier!« sagte Mädi. »Tüfel ja, selb will ich«, sagte Bäbi, du hast's doch nit ungern?« wandte es sich zu Gretli. »Warum wollte ich!« sagte Gretli, »es ist ja gerade, als wenn die Kleider dir geordnet wären; wer weiß, ob es dir nicht geordnet ist, daß du in denselben einen Mann bekömmst?« »Ih wott ja kene vo dene Ufläte, u hei si mih nüt g'schätzt i myne Kleidere, su cheu si mir jetz o pfyffe u blase. Ih wott e kene, my armi Türi nit, oder es müßt de e b'sungerbar e Freyne un e Styfe sy.« »U wenn er d'Nase nit z'mitts im G'sicht hätt?« frug Mädi. »So kannst du ihn dann haben, du schleckest noch die Ellbogen dazu, bis du hingerfer z'säme bist«, schnauzte Bäbi. »Die Knechte holzen im Schopf, was meinst, wenn ich hintenum ging und täte, als käme ich den Berg auf, und nach den Meisterleuten oder nach dir früge?« frug es Gretli. »Mach's so!« antwortete dasselbe.
Bäbi nahm noch einen Regenschirm und hintenum, dem Holzschopf zu. »Guten Abend, sind d's Bure daheim?« frug es. Die Knechte hatten es kommen sehen. »Die tschalpet gerade wie unser Babi«, sagte einer. »He; 's ist's ja«, sagte der andere. »Siehst nicht, wie es ein Auge weiter oben hat als das andere? Jetzt wollen wir uns seiner gar nicht achten und ihm d's Hingere kehre u luege, was es dann macht.« Gesagt, getan. Bäbi frug, sie sahen sich nicht um. Sie hätten sie nicht im Sack, antwortete einer, und sonst da seien sie auch nicht. »Sind sie daheim?« frug Bäbi. »Geh und sieh, wenn es dich wundernimmt!« erhielt es zur Antwort. Es mochte fragen, was es wollte, es erhielt ähnliche Antworten, aber keiner sah sich um. Da ward Bäbi endlich böse, trat zu einem hin, riß ihn am Arm herum und frug: »Kennst mich, oder kennst mich nicht?« »O Babi!« sagte der, »weißt nit, daß man d'Kälber am Mögge kennt, d'Hühner am Gaggle und d'Babeni am Tschalpe, u wenn du hundertmal angeri Kleider aleyst, su bist Babi u blybst Babi. Es ist dir i Gotts Name nit z'helfe.«
Nun nahm aber der andere Bäbis Partei und sagte: So solle er nicht kommen, das sei nit Manier und unhöflich; Babi sei darnebe e bravi Person, wenn es nur die Augen gleichweit oben hätte, so wäre es von den schönsten Weibervölchern, wo man sehen wollte, aber die verderbten ihns übel. Ihm täte das nichts machen. Babi brauche nur den Kopf schräg zu halten, zu chieren dä Weg, wo das eine z'Himmel fahren wolle, so seien sie im Gleichgewicht. Aber mit den Beinen wüßte er nichts zu machen, die seien in Grund und Boden hinein verpfuscht. So hatten die beiden Bursche das arme Bäbi unbarmherzig auf der Gabel, und als sie sahen, wie das Spiel angegangen, kamen die beiden Mädchen auch noch dazu. Mädi half brav, Gretli hielt die Schranken, daß es nicht ausartete. Bäbi konnte nicht vom Fleck; beide Kräfte, die anziehende und die abstoßende, das Rühmen und das Ausführen, hoben sich auf und bannten es fest. Es war eine Komödie, welche aus dem Stegreif aufgeführt wurde.
Gretli machte ihr endlich ein Ende, hieß diesmal Mädi feuern, Bäbi solle sich ausziehen, und lud alle zu einem Kaffee ein. Wenn die einen z'Märit seien, so sei es recht und billig, daß die daheim auch was hätten, erklärte Gretli. Mädi feuerte, aber Bäbi war einstweilen nicht aus den Kleidern zu bringen. Es solle sie ihm doch noch lassen über das Essen, bat es Gretli dringlichst. Es nehme ihns wunder, wie das Essen ihns darin düeche und wie es ihm anstehe, wohl oder übel, darin hinter dem Tische zu sitzen und Kaffee zu trinken. Gretli machte Vorstellungen dagegen, sagte: »Denk, wenn sie heimkämen oder wenn du schüttetest, was für Verdruß ich hätte!« Aber Bäbi setzte nicht ab, zwängte es durch, konnte als vornehme Tochter sich oben an Tisch setzen. Ach Gott, wie lebte unser Bäbi so wohl daran, und was mußte es doch leiden; aber es hielt standhaft aus, tapfer wie ein hoffärtig Mädchen in zu engen Schuhen! Wenn einmal bei schweigsamen Leuten die Schleuse vor der Redekammer losgeht, dann ist's schwer, sie wieder hinunterzulassen; das erfuhr Gretli. Es brachte die Leute fast nicht vom Tische weg und Bäbi aus den Kleidern, und doch hätte es um kein Lieb gewollt, daß die Eltern den hoffärtigen Gast angetroffen. Vielleicht hätten sie nichts gesagt, vielleicht gelacht dazu, aber das ist das rechte kindliche Gefühl, das sich aus Liebe und Respekt die Schranken selbst viel enger zieht, als es vielleicht, streng oder gesetzlich genommen, nötig wäre, das fühlt, was von ferne die Eltern unangenehm berühren könnte, und darum es meidet.
Indessen diesmal hätte Gretli nicht so zu pressieren gebraucht, denn es ward dunkel und die Eltern noch nicht heim. Gretli bekam große Angst, hundert Sachen kamen ihm vor, die ihnen begegnet sein könnten; es redete stark davon, die Knechte mit Laternen nach ihnen auszusenden. Die Knechte sagten, sie wollten schon gehen, warum nicht, aber sie fürchten, der Meister schätze es nicht, er kenne den Weg, könne fahren, und volle hätten sie ihn nie gesehen, und dem lieben Gott müsse man doch etwas anvertrauen dürfen. Wenn man an aller Orten mit Laternen auswollte, wenn um diese Zeit noch nicht alles daheim sei, so liefen mehr Laternen auf Erden herum als Sterne am Himmel. Man solle nur an den Hunghafen denken, dort gehe selten eine Nacht für, daß nicht der eine oder der andere erst am Morgen heimkäme und noch dazu volle.
Endlich bleibt nicht ewig aus; endlich kamen die Eltern und wurden von Gretli mit großem Geschrei empfangen, in welchem von Angst und Laterne viel vorkam. Benz nahm keine Notiz davon, Lisi sagte: »Man muß dich besser gewöhnen; wenn wir alle fingerslang fort wären, solange es uns gut dünkte, die Angst verginge dir schon.« Sie waren nicht voll, sondern hellauf, wie man es ist abends, wenn man den Tag über nur Angenehmes erlebt hat. Das war der Fall gewesen, absonderlich für Lisi. Es sah Benz ästimiert, fast mehr als in seinen besten Zeiten. Auf dem Markte waren sie fast nicht vorwärtsgekommen. Es habe ihns gedünkt, jeder rechte Mann hätte sich bei ihnen gestellt und gefragt: »Wie steht's, wie geht's?«, erzählte es. Und fast allen hätte man es angesehen, daß sie viel zu fragen und zu erzählen hätten, aber da auf offener Gasse es sich ihnen nicht schicke. Nachher, nach dem Essen, da hätte es sich dann gegeben, da sei viel geredet worden, und wenn sie hätten gehen wollen, sei immer wieder jemand dazugekommen; es nehme ihns wunder, daß sie nicht noch jetzt dort säßen. Der Vater sei jetzt voll guten Muts. Er hätte nicht geglaubt, daß es so töne allenthalben, aber wenn es so sei, so helfe er auch in Gottes Namen. Er hätte aber nie denken können, daß es so geschwind anders käme, sie hätten aber auch darnach getan. Weil sie keinen Glauben gehabt, hätten sie gemeint, andere Leute hätten auch keinen, und weil sie keinen gehabt, hätten sie nicht gewußt, für was er gut sei und was er ertragen möge, darum ihn nirgends geschont und, wo er sich gezeigt, mutwillig verhöhnt.
So erzählte Lisi der Tochter, während es sich auszog, denn in solchen Kleidern duldete es ihns nicht daheim, es mußte ändern, wenn es ihm wohl sein sollte, und wäre es auch nur für eine halbe Stunde gewesen. Darauf folgte die natürliche Frage: »Hat es nichts gegeben?« »Nicht, daß ich wüßte«, antwortete Gretli, »als ich soll am Sonntag Gotte sein dem Hans Uli, der bei uns Knecht gewesen.« »Das ist kurios«, sagte Lisi. »Erst heute hat der Vater von ihm b'richtet und gesagt, den täte er wiedernehmen, wenn es sich ihm schickte, es nehme ihn wunder, ob er ihn heute etwa antreffe, und ich habe ihm beistimmen müssen. Er war wohl ein Pukter, aber was man ihm befahl, das war auch gemacht und recht, auf den konnte man sich verlassen. Wer ist mit dir?« »Ach denk, Mutter, ich vergaß zu fragen, weiß nicht einmal, ist's e Bub oder es Meitschi. Er war grusam pressiert, wollte nicht einmal in die Stube kommen.«
»Ei, du Gansehirni du, was du bist, das frägt man doch sonst z'allererst. He nun, es ist für dich, du kannst nun im G'wunder sein bis am Sonntag. Daneben ist es lätz wegem Alegen, da richtet man sich sonst nach dem andern. Es wäre ja nicht recht, großen Staat zu machen neben einem armen Fraueli, hat man aber eine Vornehme neben sich, so ist man nicht gerne die Mindere, und käme man so nachgültig daher, so meinte sie, man tue es ihr z'Trotz und z'Spott.« »Mutter, ich dachte, die seidene B'kleidig paßte da gut«, sagte Gretli; »brauche ich sie nicht, so grauet sie.« »Das mach nit«, sagte Lisi, »b'sunderbar so auf das Ungefähr hin, wen du neben dir habest. Überhaupt habe ich großen Staat in der Kirche nie gerne; lasse man der Welt, was von der Welt ist, und gebe Gott, was Gottes ist! Lege den schönen Kittel von schwarzem Oberländer Tuch an, das Merinostschöpli und die schweren, aber altväterischen Göllerketteli, es steht dir gut und fällt nicht in die Augen. Aber ein andermal frag!« Gretli hatte nicht viel dagegen einzuwenden, und die Mägde, welche es aufweisen wollten, brachten nichts an ihm ab; es hatte halt noch den Glauben zur Mutter und mit Recht, denn es wußte nicht bald eine Mutter besser, was anständig war, als Lisi. Das Ding, wer mit ihm zu Gevatter stehen werde, wurmte ihns mehr und mehr, aber da war nichts zu machen, vergessen war vergessen, es mußte sich gedulden.
Am folgenden Tag abends ging Gretli ins Dorf, beim Beck die übliche Züpfe zu bestellen und beim Krämer die sogenannte Fäschi, eine Kleidung, wie sie so ein klein Kind brauchen kann, zu kaufen. Man läßt sie sonst auch im Hause machen, aber sie waren rätig geworden, die Zeit sei wohl kurz und es gebe weniger Umstände, wenn man sie kaufe. Als Gretli bei der Krämerin fortwollte, frug diese: »Es wird einer aus dem Hunghafen mit dir zu Gevatter stehen?« »Was meinst, warum?« frug Gretli erschrocken und hastig. »Sie ließen Bescheid machen, der Schneider müsse morgen kommen, aber ohne Fehler, sonst weiß ich nichts. Du wirst das besser wissen als ich.« »Nicht einmal«, sagte Gretli, »ich vergaß zu fragen.« »Wird nicht sein, 's ist nit mügli. Nit frage, e aber nein! Kommst dann erst heute auf die Welt, Meitschi? Aber wart, wenn du willst, das kann ich dir vernehmen.« »Habe nit Müh!« sagte Gretli, »mag am Ende wohl warten bis am Sonntag. Wüßte übrigens nit, wie Hans Uli zum Hunghafen käme, und wenn es jemand von da wäre, hätte er es schon gesagt.« Gretli trauete der Krämerin nicht recht, sie war grusam radikal und verstund von der Politik ungefähr soviel als ein Butterfaß vom Schereschleifen, aber das irrte sie nicht, den ganzen Tag den Schnabel darüber offen zu haben. Lange sah sie Gretli nach und brummte endlich: »Meinst, es hätten nur Aristokraten und Jesuiten Nasen zum Schmöcken, wir andern ehrlichen Leute seien dümmer als das Vieh? Meinst, ich solle glauben, du wissest nicht, mit wem du zu Gevatter stehest? Wart, wenn du es mir schon nicht sagen willst, das vernehme ich doch!«
Das, was es vernommen, stach Gretli auf dem Heimweg immer tiefer. Warum war es nicht möglich, daß Hans Uli einen Götti vom Hunghafen genommen, und hatte er einen von dort, so mußte es Hans der Junge sein und kein anderer. Und das nahm es so bestimmt, daß, als es fast atemlos heimkam, es der Mutter sagte: »O Mutter, was mußte ich vernehmen, Hunghans der Jung muß mit mir Götti sein. Ich gehe nicht selbst, mit dem will ich nichts zu tun haben. Mädi kann gehen.« Aber Lisi war anderer Meinung. Als es Gretlis logische Sprünge vernahm, sagte es ihm, daß es dumm rede, denn das sei lange noch nicht gewiß, daß jemand von dort gebeten sei. Es habe schon mancher den Schneider auf die Stör genommen, er hätte nicht Gevatter stehen müssen. Und gesetzt, es wäre so, so müßte es doch gehen, denn es habe es versprochen, und was man versprochen, müsse man halten.
»Aber Mutter, kann ich nicht sagen lassen, ich sei unpäßlich?« frug Gretli. »Sei mir d's Herrgetts, das je zu machen, das ist Gott gespottet, sich mutwillig eine Krankheit anzudichten; es ist früh genug, wenn eine von selbst kömmt. Nein, das mach nie, es graut mir nicht bald vor etwas wie vor diesem.« »Aber Mutter, aber Mutter, mit Hans stehe ich nicht zu Gevatter, will nicht mit ihm ins Wirthaus, werde noch mit ihm heimfahren sollen in seinem Lumpenchaisli, in welchem er die schlechtesten Menschen im Lande herumgeführt; nein, mit dem fahre ich nicht, mit dem stehe ich nicht zu Gevatter, mit dem gehe ich weder in die Kirche noch ins Wirtshaus, lieber gehe ich unter das Dach hinauf und springe ins Tenn herab.« »Meitschi, ras' nit, das ist getan, nicht wie ein vernünftiger Mensch tun soll und vor Gott recht ist. Du bist an dem G'hürsch schuld, warum fragst nicht; jetzt mußt es haben und z'töten wird es nicht gehen.«
Aber Lisi brachte am Meitschi nichts ab, das fuhr fort, hinten und vornen auszuschlagen, bis der Vater kam. Als der den Zustand der Dinge übersehen hatte, sagte der: »Höre, Meitschi, d'Sach ist einmal so, und mit Wüsttun machst sie nicht anders; brauchst aber Verstand, so kann man dir helfen, wo es nötig ist. Du gehst, Peter kann dich meinetwegen am Morgen ein Stück Wegs führen, am hellen Tag wird dich niemand fressen, und für Hans in der Manier zu behalten, hast lange Mauls genug. Nachmittags komme ich dann dort durch, ich habe in der Gegend was zu verrichten und rede gerne mit Hans Uli ein Wort, bringe die Züpfe mit, und dann fährst mit mir heim.« Wenn Benz in solchen Dingen ein Wort sprach, so war's, als gieße man Öl auf eine sturmbewegte See, die Wellen legten sich, da gab es kein Werweisen mehr; der Vater hatte gesprochen, nun Punktum und Sand darauf!
Übrigens war Gretli auch innerlich ziemlich beruhigt. Es hatte den Vater im Rücken, es konnte in jedem Augenblick vom Vater reden, ihn so gleichsam brauchen wie den Teufel im Gütterli. Es wußte, Hans fürchtete ihn wie ein Schwert. Das war Trost, und Lisi sagte: »Sieh, was half dir das Wüsttun? Hätte es der Vater gesehen oder deine Worte gehört, so hätte er dich die Sache alleine ausmachen lassen oder höchstens dir den Knecht entgegengesendet; du weißt, er ist nicht der Meinung, daß man die Kinder was zwängen lassen solle mit Wüsttun oder gar mit vermessenen Reden.« »O Mutter, es ist mir leid, will's wäger nicht mehr tun«, antwortete Gretli. »Ja, bis d's nächstmal«, sagte Lisi.
Gretli hatte jetzt nur einen Kummer, und das war der, zu verhüten, auf dem Hinweg mit Hans zusammenzutreffen. Gelang ihm das, so war der ganze Handel bis auf das Gerede der Leute, daß es mit Hans zu Gevatter gestanden, gewonnen. Indessen tröstete es sich dabei wieder mit dem Vater. Die Leute könnten daraus, daß der Vater selbst komme, es heimzuholen, wohl sehen, daß mit Hans es nichts sei. Wäre es etwas, so hätte es ja den Vater nicht gebraucht. Sollte es zu früh gehen oder fast zu spät, um nirgends mit Hans zusammenzutreffen, und welchen Weg? so kalkulierte es mit der möglichsten Besonnenheit, aber es kriegte nichts heraus; wenn es sich entschlossen glaubte, tauchten neue Wenn und Aber auf, und von vornen mußte es wieder anfangen.