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Dreizehntes Kapitel

Die Heimfahrt mit Gedanken samt allerlei Gesprächen

So sehr der Besuch Gritli gefreut hatte, so öde war es ihm ums Herz, als derselbe abgefahren war. Das ist das Schicksal der Zurückbleibenden, daß der größere Teil des Schmerzens beim Scheiden ihnen zukömmt; sie brüten über demselben, während den Reisenden die Winde der Welt ein Stück nach dem andern davonführen. Nachdem Benz und Lisi sich ihre Bemerkungen über Gritlis leides Aussehen und ihre Befürchtungen, daß die Kur eher zur schnellern Auflösung als zur Genesung helfen werde, mitgeteilt hatten, kamen sie auf die gepflogenen Gespräche von diesem Morgen und besonders über Mittag zurück. Lisi konnte sich nicht genug entsetzen über alles, was es gehört; das gehe noch weit über die Hoffart hinaus und die schönen Häuser, sagte es. Die Hoffart vergehe den meisten von selbst, wenn die Runzeln kämen ins Gesicht und das Zittern in die Glieder, aber eine solche Gottlosigkeit, ein solches Gar-nicht-mehr-Wissen, was Religion sei, das habe es noch nie gesehen, das sei ja ärger als Heidentum, denn die Heiden beteten doch noch und glaubten etwas, diese Neuen aber nichts, wären hoffärtig, hochmütig, einbildisch, grusam ufklärt, lebten gut und täten groß, kümmerten sich um niemanden weder im Himmel noch auf Erden, hülfen sich mit Uverschant-sein, solange sie könnten und solange sie's hätten, und wenn's fertig sei, so sei es fertig, nach weiterm frügen sie nicht. Das sei ein Leben: besseres nicht, als d's Vieh es habe, und dem sage man dann aufgeklärt! Es könne es nicht begreifen, aber es mache ihm angst, so könne Gott es nicht gehen lassen, er müsse dreinfahren, und dann gehe es bös, schwere Sünden forderten ein schwer Gericht. Es nehme ihns nur wunder, wie das in den Häusern aussehe, wo die Weiber auch so seien. Wie es gehe, wo die Männer auf diesem Loche pfiffen, habe es sattsam im Hunghafen gesehen, aber wo die Weiber noch stießen, statt zurückhielten, da müsse es noch ganz anders aussehen. Das müsse strub gehen, sagte Benz, er begehre es nicht zu erfahren, aber gerade das werde, so Gott wolle, den Leuten die Augen auftun, und sie werden die Exempel, welche Gott ihnen ordne, anschauen und umkehren. So gescheut, hoffe er, sei man noch im Lande, und täten die Leute ein Exempel nehmen, so schone wohl Gott mit seinen Gerichten. Sonst aber sei er auch der Meinung, es habe gefehlt und das Glück sei vorüber und eine schwarze, schwere Zeit komme über die Völker, bei der der Jammer groß sei, daß man sie habe erleben müssen. Wer es erlebe, der lerne wieder glauben und beten.

»Ja, was mir am meisten gruset«, sagte Lisi, »ist das leichtfertig Wesen und Reden der Weiber über alle Sachen, wo man sonst Respekt davor gehabt und auch den Kindern Respekt eingepflanzt. G'schau, du glaubst nicht, was ich da für leichtfertige Reden gehört über das Mannevolk und wie die Weiber es nicht zu genau zu nehmen hätten, sie wüßten nicht, warum sie, wenn sie einen Mann hätten, deswegen alle andern hassen sollten. Wenn er es nur nicht wisse; was man nicht wisse, brenne nicht, und dann gebe es doch bereits deren, die nicht viel daraus machten, ein Auge zutäten und mit dem andern blinzten; man werde alle Jahre vernünftiger und plage sich gegenseitig nicht mehr so z'Unnutz wie ehedem. Denk, o Benz, solche Sache nur zu denken, verschweige zu sagen ganz ung'schämt! Denk, o Benz, wenn das vor die Kinder kömmt, denk, was das für eine Zucht gibt und für einen Respekt und ob man sich dann verwundern soll, wenn die Kinder machen, was sie wollen, und sich der Eltern soviel achten als eines alten Besenstiels. Da kann man sehen, wie es geht, wenn keine Religion mehr ist, da geht alles untereinander, denn sie ist der Kitt, der alles verbindet und zusammenhält.«

»Hast recht«, sagte Benz, »wenn das neu Wesen an die Weiber kömmt, dann hat es gefehlt. Schon ein alt Sprüchwort sagt, daß ein Hagelwetter auf dem Acker sich verschmerzen lasse, wenn es aber in die Küche schlage, alles gefehlt habe, und Salomo sagt: ›Ein schön Weib ohne Zucht ist wie ein golden Gehäng in der Nase einer Sau, Holdseligkeit ist Betrug, Schöne ist Eitelkeit, ein Weib aber, das den Herrn fürchtet, ist lobenswert.‹ Hätt's doch nicht geglaubt, daß es so weit wäre. Ja, wenn die Kinder die Frömmigkeit nicht von den Müttern lernen, wo sollen sie dieselbe dann erlernen? Einmal nicht in den Schulen, wo man kein Testament mehr anrührt und über den Gellert spottet und vom Fragenbuch sagt, man sollte es öffentlich verbrennen. Ja, wenn die Weiber dieses Fieber haben und nicht mehr Hausmütter sind, etwa gar noch Zeitungen lesen und darob die Kinder schreien lassen, bis sie schwarzbraun sind im Gesichte, dann wird eine saubere Rasse nachkommen, daß Gott erbarm: Menschen, welche eine Krankheit haben wie die Erdäpfelkrankheit, es wird niemand wissen wollen, woher sie kömmt und was sie ist, man wird nichts wissen von ihr, als daß sie da ist, die meisten sie haben und die, welche sie haben, wenig oder nichts taugen, jedenfalls nicht lange währen.«

»Ja, Benz, so ist es schon«, sagte Lisi, »und wenn jetzt erst noch der Professor kömmt, wo den Pfarrern den Glauben abgraben soll und den Unglauben und das Heidentum einimpfen! Muß man das geschehen lassen, ist da nichts zu machen? Einer Obrigkeit muß man ausrichten, was Stür und Brüch erfordern, selb weiß ich, aber muß man ihr auch den Glauben dargeben und die Seligkeit? Selb glaub ich nicht, selb wär vor Gott und Menschen nicht recht.« »Jä sieh«, sagte Benz, »so tauft man das Kindlein nicht, so stellt man die Frage nicht, sondern so ist sie gestellt, wie ich noch gestern gelesen: ob die Regierung das Recht habe, einen Professor anzustellen oder nicht? Und selb Recht hat sie, das ist keine Frage. Jetzt, was machen?«

»Stell man die Frage, wie man will«, sagte Lisi, »was macht das? Nehmt die Sache, wie sie ist, auf die kommt es an. Pfiff auf die Frage!« »Das verstehst du nicht«, sagte Benz, »die Advokaten regieren, und die sagen, es komme nicht auf die Sache an, sondern wie man die Sache drehe, das mach's; wer sie am besten drehe, der gewinn's. Denk jetzt, ihrer so viele, einer verflümter als der ander, drehen alle einen Weg, was wär da zu machen?« »Wohl«, sagte Lisi, das wäre zu machen; drehen sie die Sache, so dreht ihr sie, stellt sie auf den Kopf; daß dabei viel Geld, das ihnen aus den Taschen fällt, verlorengehe, braucht ihr nicht zu fürchten.«

»Bist eine Frau«, sagte Benz, »und redest wie eine Frau. Das macht sich nicht so, das würde sauber kommen, wenn man bei dir z'Rat wett.« »He«, sagte Lisi, »weißt was? Laßt uns zwei Monat die Hosen anziehen und kriecht in unsere Gloschli, sie sind schön warm, dann wirst sehen, wie das sich macht, und schämst dich vielleicht dein Lebtag, wieder Hosen anzuziehen, von wegen ich glaube, auch der liebe Gott habe an den Menschen gedreht, daß, was ehemals in die Hosen gehörte, jetzt ins Gloschli müsse und, wer für das Gloschli z'weg war, jetzt in die Hosen passe.«

»Du wirst die meinen, welche wir im Bad oben angetroffen«, antwortete Benz trocken. »Nein, die meine ich nicht«, fuhr Lisi hitzig auf wie ein jung Roß, das einen Stich erhalten von einer Bremse. »Diesen müßte vor allem der Marsch gemacht sein, die müßten mir den Schweinen misten, bis sie das Pantöffelimachen vergessen hätten. Die rechten Weiber meine ich, welche Gott fürchten, die Kinder lieben, einem rechten Hause wohl anstehen und vormähen in der Haushaltung und den Mann für den Mann halten, wenn er schon ein Fösel und ein Höseler ist. Aber was will man, wenn man schon die Laterne nehmen und bessere suchen würde, man fände sie nicht, von wege si sy nimme, si sy nimme!«

Ernsthaft sagte Benz: »Zähl darauf, was z'mache ist, kann man machen, daneben laß es jetzt guten! Du meinst dann doch auch, ich habe eine Haut wie ein hundertjähriger Büffel, wo nicht nur keine Büchsenkugel, sondern sogar keine Weiberworte mehr durchmögen.«

»Sei nicht dumm und werde bös, weißt ja wohl, wie ich bin und wie ich's meine«, antwortete Lisi. »Aber ist's nicht ein schrecklich Dabeisein, wenn man sieht, wie Unglück gestiftet wird, und man soll zusehen und schweigen und die Anstifter noch bezahlen, und zwar schön. Du weißt, wie ich es zu Hause habe, ich muß helfen, wo ich kann, da stehe ich ein; sehe ich was Ungerades, sind meine Arme da, es gerad zu machen. Kann ich's, so ist mir wohl, daran habe ich Freude. Jetzt seh ich Unglück in allen Ecken, es ist mir, als sehe ich allenthalben Zurüstungen, Land und Leute zu verderben, eine große Mordbrennerei, die auch an die Seelen geht. Da ist's mir, als sollte ich schreien und hätte keinen Mund, als sollte ich mit meinen Armen dreinfahren, die Mordbrennerei auseinanderreißen und hätte keine Arme mehr, hätte nichts mehr als Augen, den Frevel und das Elend zu sehen, und Ohren wüchsen mir, den Spott und das höllische Gelächter, das Heulen und das Zähneklappern zu hören. G'schau, Benz, das ist ein fürchterlich Dabeisein; bald ist es mir, ich müsse ersticken, bald, als brenne es mir im Kopf, als müßten Feuerflammen mir aus den Augen fahren und die Böswichter verzehren. Sieh, Benz, ich wäre schon lange ein Narr geworden, wenn ich dann nicht dächte, es sei einer ob uns, der habe einen Mund und werde, wenn es Zeit sei, sagen: ›Bis hieher und nicht weiter!‹, der habe Arme und werde den Böswichtern, sobald er sie reif finde, den Tiegel heizen. Und denk, o Benz, schon mehr als einmal kam dann der Satan und schob Zweifel in meine Seele, es kamen mir Gedanken, ich sei ein einfältiger Tropf und Gott sei keiner; wenn einer wäre, er hätte dem Treiben längst den Nagel gesteckt, seine Rechte gewahret und die Seinen bewahret vor den bösen Geistern. Ich merkte wohl, wer mir das eingab, und betete und merkte dann wohl, daß ein Gott ist, denn es mußte der Teufel weichen, und die Gedanken stoben auseinander wie böse Geister vor den drei heiligen Namen. Aber manchmal hatte es Not, bis er ging, und wenn ich meinte, jetzt sei er fort, war er wieder da.«

»Ja«, sagte Benz, »glaub nicht, daß mir die Sache gleichgültig ist, es ist mir angst wie dir, nicht für meine Seele, aber für die meiner Kinder; man weiß, was Lehr und Exempel können, besonders bei jungen Leuten. Aber eben, was machen? Die, welche jetzt die Gewalt haben, brauchen sie bis außen an; den einen machen sie die Faust, bis sie schlottern, die andern lachen sie aus und verspotten die Angst, daß die Religion in Gefahr sei, als ob man sich vor Gespenstern fürchte, Religionsgefahr ein dummes, blindes, totes Wort sei ohne alle Bedeutung. Da fürchten sich die einen vor der Gewalt, die andern vor dem Spott, und wer sich vor keinem von beiden fürchtet, dem drehen sie eben die Sache, daß er nichts dran machen kann.« »So dreht sie, bis sie auf den Grinden stehn!« sagte Lisi. »Selb nicht, aber was zu machen ist, selb will ich probieren, zähl darauf!« antwortete Benz.

So eine Reise zweier Eheleute, welche selten vom Hause kommen, selten längere Zeit ungestört alleine sind, durch Fahren und Beschwerden nicht nervös angegriffen werden, sondern in ruhiger Gemütlichkeit verharren und in traulichem Gespräch die empfangenen Eindrücke verwerchen, weckt die Innigkeit, rüttelt die alte Liebe auf, schüttelt die Seelen ineinander, sie durchdringen einander lebendiger. Solche Reisen müssen aber nicht zu lange dauern, höchstens drei Tage, damit nicht Mißstimmungen kommen aus körperlicher Ermüdung. Mißstimmungen enthalten eine Säure, welche allen wohltätigen Wirkungen hinderlich ist, Mißstimmungen wirken zersetzend. Es ist sonderbar, trifft aber sehr oft ein, daß, je feiner ein Ohr die Stimmung musikalischer Instrumente unterscheidet, je mehr Mißklänge ihm wehe tun, es förmlich bis zum Ohrfeigenausteilen mißstimmen, desto mehr der Besitzer dieses Ohres Mißklängen des Gemütes ausgesetzt ist, sie rücksichtslos seinen Mitmenschen zum besten gibt, ja selbst fordert, daß sie daran wohl leben sollen. Wir möchten aber doch billig denkende Leser fragen, was auf die Länge schwerer zu ertragen ist, eine verharzete Geige oder ein gallichtes oder zerrissenes Gemüt, ein Klavier mit gesprungenen Saiten oder eine Seele mit angeschwollenen Launen?

Unser reisendes Ehepaar war glücklich in der einsamen Traulichkeit auf seinem Wägeli; es konnte ab dem Herzen reden, was es drauf hatte, und wenn seine Ansichten zuweilen auch auseinandergingen, so liefen sie doch nicht auseinander an entgegengesetzte Pole, sondern bogen immer wieder ein und flossen desto inniger zusammen. Sie gedachten, noch selben Abends heimzukommen, wenn schon sehr spät; aber es hat schon oft jemand etwas gedacht, es ging aber anders. Es begann das Roß zu hinken, stärker und immer stärker. Benz hatte es frisch beschlagen lassen, es mußte ein Nagel wohl nahe gegangen oder das Eisen zu hart angezogen sein. Zudem war das Roß des langen Laufens auf der harten Straße nicht gewohnt. Anders konnte Benz nichts entdecken. »Frau, heute kommen wir nicht heim, wir könnten eine böse Sache machen«, sagte Benz. »Bleiben wir im nächsten Dorfe über Nacht, reißen das Eisen ab, daß der Fuß schön verkuhlen kann, so ist morgens alles wieder gut, und zu versäumen haben wir so viel nicht.« Das war Lisi sehr zuwider, aber Lisi hatte Verstand und schickte sich darein ohne fernere Mißstimmungen.

Das nächste Dorf war nicht groß, ein rechtes Baurendorf ohne Herrenhäuser; ob Herren drinnen waren oder doch wenigstens halbe, wie, wenn man nicht ganz spanische Schafe oder ganz englische Schweine vermag, man sich doch ein halb oder ein Achtel spanisches Böcklein oder ein Zwölftel englisches Eberlein beilegt, das wissen wir nicht. Wir sahen keine dort, aber das will eben gar nichts sagen, denn solchen Mischet, sei es nun ein halb, ein Zwölftel, sieht man eben am wenigsten daheim und besonders des Sonntags nicht, das ist auch der Tag, an welchem sie ihrem Herren dienen und irgendwo ein Kalb anbeten, selten ein goldenes, meist ein schmutziges; doch gibt es hie und da auch güldene, gewöhnlich solche, welche das Glück gehabt, sich einige Zeit mit Staatsfinanzen zu befassen oder als Massaverwalter und Geltstagschreiber zu florieren.

Ein Wirtshaus war im Dorfe, auch eine Schmiede, wie es ja auch im Liede heißt: »Es ist kein Dörfchen so klein, Schmiede müssen drin sein.« Aber auffallend still war es, nicht bloß bei der Schmiede, das war natürlich, sondern auch beim Wirtshaus, und das war seltsam. Erst nach einigem Pochen kam der Wirt heraus, ein stattlicher Mann, machte aber eben kein holdselig Gesicht. »Wollt Ihr abspannen lassen?« frug er. Da erzählte Benz, wie er heimgewollt, aber das Roß erlahmet sei und er nicht weiterkönne. Da erwachte des Wirtes Teilnahme, er besah das Roß mit kundigem Auge und sagte alsbald: »Bis morgen ist alles wieder gut, aber das Eisen muß ab; der Schmied ist nicht daheim, aber solche Kleinigkeiten kann man selbst machen. Am Morgen soll er dann da sein, so früh man will. Ich will Hammer und Zange holen und sehen, wo ein Knecht ist zum Helfen.« »Bin Hülfs genug«, sagte Benz, »es mangelt sich da des Knechtes nicht.«

Der Wirt ging hinein, und vor ihm kam ein hübsches Mädchen und sagte: »Wollt Ihr nicht so gut sein und hineinkommen?« Lisi war in keinem Wirtshause Stammgast, daher verlegen, ohne Mann hineinzugehen, und meinte, es wolle warten, bis sie im Stalle fertig seien, sie kämen dann miteinander. Das hörte der Wirt, der mit den Werkzeugen daherkam. »Geht, geht!« sagte er, »warum warten? Da können wir das Weibervolk nicht brauchen! Nun, kannst nicht gehen mit der Frau?« schnauzte er das Mädchen an, und Lisi ging, um dem Mädchen nicht noch mehr derbe Worte zuzuziehen. Die beiden Männer verrichteten ihre Sache im Stall schnell, sie hatten beide kundige Hände, wie rechte Bauern – und das war der Wirt auch – sie haben sollen. Als sie fertig waren, das Roß sichtbarlich munterte und mit Lust zu fressen begann, wuschen sich beide am sprudelnden Brunnen mit Nachdruck die Hände, gingen hinein und trafen Lisi in Unterhaltung mit dem Mädchen in der Gaststube.

Er komme gleich wieder, sagte der Wirt, er wolle nur die Sache ans Ort tun. Wenn sie immer da sei, wo sie hingehöre, so verliere man die Zeit nicht mit Suchen, sondern könne Tag und Nacht nur zugreifen, so habe man's. Bald darauf kam eine stattliche Frau herein, grüßte freundlich und sagte: sie wollte sie eingeladen haben, hinüber zu ihnen zu kommen. Sie hätten heute Kindtaufe, sie schäme sich fast, es zu sagen, so alt schon und so große Kinder und noch Kindstaufe. Daneben nehme man mit Dank, was Gott gebe, und Gott Lob und Dank täten die ältern Kinder nicht wüst, sondern hätten große Freude an dem Kinde, und jedes wolle zu ihm sehen. Sie hätten kein großes Wesen, sondern machten es im stillen. Es seien nur einige ältere Gevatterleute und Verwandte da, und die würde es freuen, wenn sie kämen; man hätte um so kürzere Zeit beisammen.

Benz meinte, sie wollten nicht stören, es sei ihm ohnehin leid, daß er ihnen überlegen sein müßte. Lisi sagte, sie wollten nicht Ungelegenheit machen; mit einer Halbe und einer Suppe seien sie zufrieden, daneben sollten sie machen, als ob sie gar nicht da wären. »Macht nicht Umstände!« sagte der Wirt, der wieder hergekommen. »Sie hätten es drüben ungern, wenn Ihr nicht kämet; sie meinten, Ihr verachtet sie. Wir sind hier an einem Nebenausort und grobänisch Baurenleute, reden aber doch gerne ein vernünftig Wort mit rechten Leuten, wie Ihr allem an seid. Daneben hättet Ihr Langeweile hier, es ist noch früh, und Leute kommen keine mit Schein. Sie wissen, daß wir Kindstaufe haben, und scheuten sich, Ungelegenheit zu machen oder daß man meine, sie kämen, um zu schmarotzen. Darum ist kein einziger Mensch da. Sonst ist's doch nicht so hier an einem Sonntag, hätte es ungern.«

Lisi wollte Umstände machen, Benz aber sagte, er denke, sie würden sie nicht einladen, wenn es ihnen nicht recht wäre. Es sei ihnen vielleicht auch kommoder, wenn sie die Leute beisammenhätten als apart, so wollten sie wohl kommen, aber Umstände solle man nicht machen. Nun, deren gab es dann freilich, als Benz und Lisi oben an den Tisch sollten, wo Platz für sie gemacht und Teller z'weg gestellt waren, und Zeit brauchte es, bis sie oben angesiedelt waren. Lisi tat besonders ungebärdig. Wenn es gewußt, daß man so Umstände machen würde ihretwegen, so hätte man es nicht hinübergebracht. So uverschant zu sein und da obenan zu sitzen, hätte kei Gattig, das sei der Göttertene Platz.

Als sie endlich saßen, da hätte man gar nicht gemerkt, daß sie Fremdlinge wären und Unbekannte. Die ganze Gesellschaft war wie aus einem Gusse, bestund aus etwas mehr als einem Dutzend Personen, männliche und weibliche, alle von echtem Baurenschlage, währschaft gekleidet, nirgends ein Fetzen herrscheliges oder narrochtiges Zeug. Eine natürliche Höflichkeit hatte bald die Bekanntschaft vermittelt, und bei der Gleichförmigkeit der Lebensweise und Interessen ward bald die Rede flüssig, wurde bloß unterbrochen durch eine lebhafte Unterhandlung zwischen Lisi und der Wirtin, die nach üblicher Sitte, jedem neu angekommenen Gaste alle Gerichte vom ersten bis zum letzten aufzustellen, mit der Suppe anfangen wollte. Diesmal wurde Lisi Meister, und die Wirtin mußte sich begnügen mit einem Stück Pastete, welches sie als Repräsentant der übrigen ersten Gerichte ihnen aufdringen konnte.

»Was bringt ihr Neus?« ist wohl die erste große Weltfrage, wird gängig sein zwischen dem Kaukasus und den Pyrenäen allüberall. »Nicht viel«, lautet die ebenso übliche Antwort oder: »Nit viel Guts, es gibt zehnmal was Schlimmes, ehe einmal was Gutes.« Sie seien im Bade gewesen, sagte Benz, eine kranke Base zu besuchen. »Es werden viele Leute oben gewesen sein?« wurde gefragt. Auf die bejahende Antwort seufzte eine Frau: »Für Badefahrte und Narrheit haben die Leute immer Geld, aber wenn es um Schuldigkeiten auszurichten zu tun ist, will niemand welches haben. Nun, wer es nötig hat, dem ist es z'gönnen, wenn er es vermag, aber die andern sollte man mit mutzen Besen heimjagen.«

Es komme in eins, meinte Lisi, ob viele im Bade oder daheim Staat machten und Geld brauchten, Art sei Art, und wenn die Sache verputzt sein müsse, so könne man es zu Hause wie anderwärts. Sie könne nicht begreifen, sagte die Frau, was die Leute sinneten; wenn das Geld vertan sei, sei es mit der Vornehmheit und dem Gutleben ganz vorbei. Ja, so weit dächten die meisten nicht, meinte Lisi. Die meisten hätten das Geld nicht geerbt, da hieße es: »Wie gewonnen, so zerronnen« und: »Ring d'rzu, ring d'rvo.« Da meine man, sei man einmal ung'sinnet zu Geld gekommen, so gehe dies sein Lebtag so, das Glück habe all Tag Jung. »Ja, ja«, sagte die Frau, »das wird von dem neuen Zeug her gewesen sein, wo nicht adelig genug tun kann und meint, sie seien zum Vertun da, andere zum Arbeiten; ja, ja, die wissen nichts von bösen Zeiten, die denken nicht an die nächste Fastnacht, so wenig als ans ewige Leben.«

»Ja, wegem Leben mahnt es mich daran: was sagt man bei euch von dem Professor, den die Regierung angestellt hat, um die Geistlichen auf den Unglauben zu dressieren, damit sie die Leute vom Christentum abbrächten?« frug ein älterer Mann, wohl der Vornehmste am Tische.

Benz antwortete, bei ihnen sei die Sache noch nicht so recht unter den Leuten. Es seien bei ihnen auch zweier Gattig Leute wie allenthalben. Aber er glaube doch, der Mehrzahl sei es nicht anständig, und wenn es auf sie ankomme, der Professor ließe das Züglen sein. Das freue ihn, sagte ein alter Mann. Man könne daran sehen, daß im Berner Volk doch mehr Glauben sei, als die Leute glaubten. Es solle einer in Bern, der am meisten zur Sache zu sagen habe, gesagt haben: wegen der Religion könne man im Kanton Bern machen, was man wolle, wegen dem Glauben sei man ganz gleichgültig; wenn man nur brav lösen könne, Käse, Holz, Kühe und Rosse brav gölten, sei man lange zufrieden. Da könne man sehen, was so einer, der über das Volk befehlen wolle, für Gedanken habe und wie er das Volk kenne. Wohl, das Berner Volk habe Religion, es wäre ja sonst nicht so gesegnet von Gott, aber es mache nicht großes Wesen damit, trage sie nicht auf Stangen desume. Ja, sagte Benz, so sei es. Er habe es selbst erfahren und Leute wegen der Religion sich kümmern hören, denen er es gar nicht zugetraut. »Mein Gott«, sagten sie, »es ist mir nicht wegen mir, sondern wegen meinen armen Kindern. Aber viele sind, sie haben es nicht so, und mit diesen haben die in Bern Umgänge, und an denen nehmen sie ab, was sie gerne glauben und allenthalben gerne so hätten. Es gibt dann auch ein Volk unter uns, und selb ist wahr, wo nicht menschelet, von dem man glauben sollte, es sei innerhalb der Schwelle des Kuhstalls geboren.«

»Da habt Ihr recht«, sagte eine Frau von mittlerem Alter. »Ich habe einen Bruder zwei Stund von hier, der hat eine Kuppele Bube, und alle können den Hof nicht erben, und zerreißt man ihn, so ist's auch gefehlt, haben zuviel zum Sterben und zuwenig zum Leben. Da ward ihm angegeben, er solle einen oder den andern was lernen lassen, Doktor oder Aflikat; das sei nicht mehr wie ehedem, daß man dafür aus der Stadt sein müsse, das könnten jetzt alle lernen, und die Kosten seien auch so gar groß nicht, man könne es jetzt mit Geringerem auch machen. Das gefiel dem Vater wohl und b'sunderbar der Mutter, und der schönste Bub, den sie hatte – ich soll die Gotte sein –, mußte studieren. Es war b'sunderbar e G'lernige; was man ihm dargab, konnte er. Man schickte ihn in eine Sekundarschule; was er da lernte, weiß ich nicht. Mein Bruder klagte, er könne ihn nicht mehr brauchen daheim, er schäme sich der Arbeit; wenn er das gewußt, er hätte das Teufelwerk nie angefangen, aber die Mutter hatte große Freude dran und redete immer z'Best. Einem mit einem solchen Kopfe solle er doch nicht zumuten, zu werchen wie ein Knecht. Er solle nur Geduld haben, der gebe einmal einer, welcher an die Deichsel komme, und dann habe es die ganze Familie z'Nutzen. Und wie ging's?

Er kam nach Bern auf d'Hochschul, sagen sie ihr, und da ist er bald sieben Jahre, daß Gott erbarm! Anfangs rühmte man ihn grusam, keinen solchen habe man noch gesehen, geschweige gehabt, hieß es. Aber mir gefiel er von Anfang nicht, er kam so zottlet daher, daß es mir ab ihm grusete. Zottlen an der Pfeife, Zottlen am Rock, Zottlen an der Kappe und zottlets Haar, es mahnte mich an nichts besser als an einen zwanzigjährigen Kuhschwanz. Grob tat er, sah mein Lebtag noch keinen Gröbern. Doch das hätte alles noch nichts gemacht, die Zottlen hätte man abhauen können, das Haar waschen und strählen oder abscheren, wenn es zu verpicht war. Aber was der Bursche Geld verklopfte, es ist nicht auszusprechen. Dem Vater kam oft das Augenwasser, wenn er wieder ausrücken oder Schulden zahlen mußte, und was die Mutter ihm heimlich steckte, das wußte er nicht. Aber er meinte, wenn er nicht aushalte, sei es eine Schande und das ausgegebene Geld verloren. Auch wurde ihm der Bursche immer gerühmt, was das für einer sei, was der für einen Charakter habe und was für ein Herz. Und wenn er von Bern heimkam, konnte er nicht genug Rühmens machen, wie sein Bub im Ansehen sei. Die vornehmsten Herren, wo ganz z'öberst seien, seien seine Duzbrüder. Das seien ihm die gemeinsten Herren und auch nicht einen Fliegendreck groß Vornehms an ihnen, das seien ihm andere als die Patrizier, wo man habe zittern müssen, wenn man nur von einem den Namen gehört, und wo man nie gewußt, für was sie einen eigentlich ansehen, ob für einen halben Menschen oder einen halben Hund. Ja, und saufen hätten die können, er hätte immer unter den Tisch gucken müssen, es hätte ihn düecht, die müßten rinnen.

So rühmte mein Bruder, der arme Tropf, so konnte man ihn verblenden, und noch verblendeter war die Mutter; sie konnten in Gottes Namen nichts an ihrem Söhnchen sehen, und was sie sahen, darauf waren sie stolz. Wenn er heimkam, tat er wie ein Oberherr, kujonierte alle, behandelte die Brüder wie Schuhwische, sie waren ihm für nichts gut, als für bei ihnen Geld zu leihen oder ihm d's Sufen z'zahle; seine Eltern foppte er aus, besonders die Mutter, und die sah das noch für was Großes an. Er führte die lästerlichsten Reden, daß es einem angst ward im Hause, weil man glauben mußte, jetzt, jetzt schlage der Blitz ein, und die Mutter hörte ihm mit offenem Maul zu und sagte, das sei afe e G'lehrte; wenn sie in ihrer Jugend so g'schulet worden wäre, so wäre sie auch so g'schickt geworden, aber wo sie jung gewesen, da habe man in Gottes Namen nichts gelernt als das Namenbuch und das Fragenbuch und habe gemeint, man müsse i Gotts Name alles glauben, was der Pfarrer sage. Man hätte nichts anders gewußt, es nicht besser verstanden, von wegen dä Weg sei man von Jugend auf b'richtet worden vom Müetti u vom Großmütti und het i Gotts Name o g'meint, denen müsse man alles glauben. So sprach das dumm Trüech, das heißt meines Bruders Frau, und damit war dann dem Schlingel erst recht angeholfen, und er predigte den Unglauben Knechten und Mägden daheim und in Wirtshäusern überall, und viele meinten, was das sei, was man mit der neuen Lehre gewinne und wie grusam man mißhandelt worden sei, daß man diese Lehre dem Volk vorenthalten und mit dem dummen Glauben es geplaget, es um seine Rechte betrogen, und sahen den Lumpenbursch für eine Art Erlöser an.

Der kam auch einst zu uns, er müsse doch auch einmal sehen, was seine Gotte lebe, er habe so lange nichts von mir gehört, sagte er. Ich merkte wohl, was er wolle, ausrücken hätte ich sollen, aber lieber hätte ich mir die Finger abhacken lassen als dem einen Kreuzer gegeben. Da fing der Bursch auch sein Reden an und sein Lästern und rühmte, wie in Bern ein lustig Leben sei, das Gewissen hätten sie abgeschafft, Gottes Gebote an einen Nagel gehängt und jetzt sei alles erlaubt, was lustig sei. Wohl, dem tat ich das Maul zu, aber ich hatte einen Zorn und eine Angst, ich meinte, ich würde krank. Seither sah ich ihn nicht wieder, aber er soll wieder dasein, saufen in allen Wirtshäusern, lästern, predigen, wie es gehen müsse, daß einem die Haare zu Berge stehen. Und einem solchen Schmutzgüggel, dem der Fötzel zu den Ellenbogen aussieht, der bald sieben Jahre studiert und es zu nichts brachte, d'r Examen nie machen konnte, dem glauben noch Leute und lassen sich von ihm b'richten. Der hat meinen Bruder so nötig gemacht, daß ihm für d's Bure d's Geld fehlt; wenn er zwei solche hätte, brächten sie ihn um Hab und Gut, und was hat er davon? Nichts als Schande sein Leben lang, das Herzenleid ums Haus und das Exempel vor Augen, was man z'Bern lernt und wie weit man es mit dem Studieren auf die neue Mode bringen kann.«

»Oh, nicht bloß in Bern«, seufzte Lisi, »lernen sie die neue Mode, und noch andere Leute als Studenten machen sie nach und werden sie erfahren. Es ist wäger das Unglück an allen Orten, da hält es kein Berg ab und kein Wasser, und mit nichts kann man es erwehren, und das traurigst ist, daß die, welche es erwehren sollten und vielleicht erwehren könnten, nichts machen, das Maul zumachen, die Augen auf und glaraffen, ja vielleicht noch mitmachen, das Übel verbreiten und ihm z'Best reden.«

»Selb ist«, sagte ein Götti. »Unser Schulmeister hat die größte Freude an der neuen Lehre. Er erzeigt es nicht, der Pfarrer meint, wie treu er sei, aber es ist gerade das Gegenteil, von wegen der kann das Gleisnen aus dem ff. Hinterrucks stiefelt er auf durch die dritte, vierte Hand, keiner mehr. Er ist grusam ein Ehrsüchtiger und meint, der Pfarrer stehe ihm in der Sonne, und wenn er ihm, ohne daß es jemand merkt, das Ansehen abmachen kann, und wenn schon Haut und Haare mitgehen, so spart er's nicht.«

»Unser macht es ganz anders«, bemerkte der andere Götti, »der treibt sein Spiel offen, teilt da deren Lumpenbüchli aus, wo die Regierig hat schreiben lassen, und sagt, dä Donners Pfaff solle sich in acht nehmen und ein Wort reden zu diesem Handel oder ein Büchlein austeilen von denen, welche gegen seine Büchlein seien, so wolle er dem H... D... ab der Kanzel helfen, daß ihm die Schwarten krachen. Es habe sich gekehrt; ehemals hätten die Pfaffen den Herren Lehrern vom Amt geholfen, jetzt hätten die Herren Lehrer das Heft, und muxe ein Pfaff, so könne er marschieren aus dem Dienst. So tut er groß und paukt und donnert im Dorf herum auf den Dupf, als ob er der brüllende Löwe sei und alles verschlingen wolle.«

»Ja, aber nicht bloß die Schulmeister sind dä Weg g'kehrt, es gibt Pfarrer, die nicht besser sind, im Rat der Bösen sitzen, und andere, denen es im stillen recht ist oder ganz gleichgültig sind«, sagte ein Mann. »Da ist gerade der unsere daheim, aber ich möchte dann, daß es nicht weiterkäme; täte er es wiedervernehmen, könnte ich in große Leiden kommen. Da gehe ich am vordern Tag zu ihm, und als wir mit unserm Geschäft fertig waren, frug ich ihn: ›Sagt mir doch, Herr, was ist mit dem Professor? Das wär doch traurig, wenn man nichts mehr glauben sollte. Die Regierung hat uns die Zehnten geschenkt, jetzt will sie uns den Glauben an ein ewiges Leben nehmen, ist das wohl eine Gleichheit?‹ Da wollte mich der Pfarrer fast auslachen und fragte: ob man mir diesen Böllimann auch gemacht? Von dem sei ja keine Rede. Eine Hochschule sei keine Kirche. Auf der Hochschule müsse alles gelernt werden und vor allem das Neuste, was die Wissenschaft an Tag gebracht. Da heiße es dann: ›Prüfet alles und das Beste behaltet!‹ Soviel er gehört, sei der Professor ein recht braver Mann und in Deutschland ihnen nur zu gelehrt. Da sei es ein großer Gewinn, daß wir ihn hätten. Man werfe den Schweizern sonst vor, sie seien immer hundert Jahre hinter allen andern Völkern zurück. Ich gab nicht gleich ab, aber er tat mir alles durch und meinte am Ende: man solle doch nicht Kummer haben wegen dem Glauben; habe man den rechten, so werde kein Professor denselben nehmen oder an ihm schaden können. Unsereiner ist nicht gelehrt, kann aus hundert nicht eins antworten. Und wenn einem schon was in Sinn kömmt, so darf man es nicht sagen, man kömmt nicht gerne an Hag. Aber d'Sach hat mir nicht gefallen, ich sag es frank. Wenn die so reden, welche die Wächter sein sollen, was sollen dann wir?«

»Unser Pfarrer«, sagte der Wirt, »redet auch ganz kaltblütig von dem Handel, doch gefiel es mir weit besser, als was du sagtest. Als ich das Kind zur Taufe angab, frug er mich, ob die Sache auch hier unter den Leuten sei und was sie dazu sagten. Ich sagte ihm, daß die Leute viel davon redeten und im ganzen sehr unwillig wären, daß man so einen heidnischen Professor anstelle und dazu noch einen fremden, fast so wie man einen Doktor kommen lasse, um einen Zahn auszuziehen, und daß es besser sei, der Professor komme nicht hier durch, es könnte ihm die Kutsche gekehrt werden. Wann man keinen Glauben mehr habe, was dann das Leben nütze, sagten die Leute. ›Sagt den Leuten‹, antwortete der Pfarrer, ›so leicht ginge dies nicht, sie sollten nur nicht Kummer haben. Ein Professor habe bei Studenten nicht den Einfluß, welchen sie sich dächten. Studenten hörten noch andere Professoren, Studenten könnten vergleichen, prüfen, und ihrer seien immer nur wenige; das sei ganz was anderes, wenn es Schulmeister wären. Die kämen als Buben in die Lehr, der Direktor sei da der Meister, sie müßten nehmen, was man ihnen gebe, und vom Prüfen sei die Rede nicht, und die Zahl sei groß, und hätten dann mit einer großen Zahl Kinder zu tun, die noch keinen Glauben hätten, wo seien wie ein weißes Papier, wo man darauf schreiben könne nach Belieben, etwas Gutes oder etwas Schlechtes. Bei dem Professorenhandel sei die Hauptsache die, daß man daran sehen könne, was die Regierung für Absichten hätte mit der Religion; der Professor stelle so gleichsam ihre Fahne vor. Nun sei das gut, daß man wisse, was Trumpf sei, denn sie möchten jetzt sagen, was sie wollten: mit dem Professor sei der Ausspruch getan, an dem lasse sich nichts drehen, probiere es, wer's wolle, Professor hin, Professor her. Wem es Ernst sei mit dem Glauben, der müsse mit der Regierung ändern, sobald ihre Zeit um sei, denn die könne, wie schon gesagt, noch viel Verflümerteres anstellen als so ein Professerchen. Das sagt den Leuten!‹ sagte er, und einstweilen sei es am besten, nicht viel zu machen. Daneben schade der Handel nichts, im Gegenteil, es geschehe ihnen ganz recht damit, sie wüßten dann ein andermal, was das für Leute seien, welche zu ihnen kämen wie der Teufel zur Eva im Paradies, und was sie davon hätten, wenn sie ihnen gegen einige Zehntgarben und gegen einige geschenkte Steuern Gottes Segen verhöhnen und den Glauben an das ewige Leben und den Trost am Heiland aufgeben sollten.«

»Mit Schein«, fiel eine Frau ein, »mag er uns das noch gönnen. Ja, wenn die Pfarrer alle so sind, was wollen wir? Er wird sich auch fürchten und nicht einer von denen sein, welche das Leben lassen für die Schafe.« Sie hülfe den Tüfel b'schyße, sagte die Gotte. Es sei nicht das erstemal und werde auch nicht das letzte sein. Was man hätte, hätte man; was man geben solle, behalte man und lasse den Teufel abfahren mit langer Nase.

Der Meinung sei es auch, daß er mit langer Nase abfahren solle, sagte Lisi, aber eben deswegen solle man sich rühren und Zeichen tun, wes Sinns man sei. Wolle man den Teufel verscheuchen, müsse man Lärm machen. Das möge so für einen alten Pfarrer gut sein, daz'hocke und die Zeit abz'warten. Derweilen verführe der Teufel viel zuviel Leute oder jage sie ins Bockshorn mit Brüllen und Großtun, daß am Ende kein Mensch mehr einen Gux auslassen dürfe gegen ihn, weil alle meinten, er sei Meister unbeschränkt im ganzen Lande. Man solle sich rühren und reden, wozu hätte man sonst die Freiheit, es möchte das doch wissen. Oder ob bei der Freiheit nur die einen brüllen dürften, stärker als sie möchten, die andern aber schweigen müßten und kusch machen? Selb möchte es doch probieren, von wegen Erfahrung bringe Wissenschaft. Sie hätten bei ihnen genugsam Exempel, wohin dieses Wesen führe, und Herzenleid genug darob.

Es entstund ein großer Eifer unter den Tischgenossen. Sie waren über die Sache alle einer Meinung, nur ob und wie man es anfassen müsse, darüber gingen die Meinungen auseinander. Als man so am besten dran war, brachte des Wirts Tochter das Kind herein, welches getauft worden war, gar schön geputzt mit den Geschenken der Gevattersleute, und reichte es der Mutter zum Stillen dar. Es ist nämlich fast durchweg Sitte, daß die Gevattersleute den Täufling beschenken mit einem Einbund und einer sogenannten Alegig: Hemmeli, Strümpfli, Käppeli, Röckli, auch Schühli. Aus den erhaltenen Alegige nimmt man die schönsten Stücke, zieht das Kind damit an und bringt es, wenn nämlich der Taufschmaus im eigenen Hause gehalten wird, zum Tisch der Mutter, wo dann Kind und die schönen Sachen, welche es trägt, nach Noten gerühmt werden. Es ist auch schon geschehen, daß die Gevattersleute nichts gaben, wenigstens nicht gleich am Tauftage, worauf man das Kind zu ihrer Schmach mit Strohzüpfen umwickelt zu Tische brachte.

Als man das Kind, rundum sattsam bewundert, der Mutter wiederbrachte, nahm es diese mit schwerem Seufzer und sagte: »Komm, du armes Kind, sollst du denn kein ewiges Leben haben? Warum kamst du in die böse Welt? Um bös zu haben? Wenn du schon dein Sächli hast, wer weiß, was dir sonst wartet und was dir geordnet? Aber gottlob, daß die Menschen nicht stehlen können, was in Gottes Hand ist, sonst täten die wüsten Leute dir dein bestes Erbteil stehlen, ehe du was dazu sagen kannst, ja, ehe du auf der Welt wärest. Nein, die sollen es nicht stehlen, du arms Tröpfli, und wenn die bösen Lüt noch hundert Professoren uns auf den Hals reisen würden und die Schulmeister allesamt. Gäll, Vater, wir wollen es ihm treu bewahren? Was hülf's ihm, wenn es schon einst ein Kreuzerli von uns erben kann, wenn ihm unterdessen das rechte Erbe gestohlen wäre? Nein, Bubi, nein, habe nicht Kummer! Heute hat der Vater verheißen, er wolle dich dem Herren zuführen, und er haltet es dir; er ist ein guter Ätti, Gott Lob und Dank keiner von denen, welche ihren Kindern alles, alles verhudeln, das Zeitliche und das Ewige und, weil sie alles, alles verhudelt für sich und ihre Kinder, den andern Leuten jetzt auch noch das Ihre nehmen wollen, damit alle es gleich hätten, alle gleich tief drin wären im zeitlichen und ewigen Verderben. Nei, Bubi, nei, häb nit Kummer, und e Mutter hest o noh, e großi Sündere, aber die lat sih d'Seligkeit nit näh, und niemer söll's probiere. Bubi, mys Bubi, mir wei z'säme selig werde, was wei m'r süst?« In tiefes Weinen brach die treue Mutter aus und umschlang das Kind, wie die Mütter der ersten Christen ihre Kinder umschlangen, wenn Götzendiener sie rauben wollten. Da war es natürlich, daß die andern Weiber mitweinten und die Männer sehr ernst wurden.

So weit werde es nicht kommen, sagte Benz, wenn man schon jetzt nichts abbringe; wenn es recht ernst werde mit der Sache, so würden noch vielen Leuten die Augen aufgehen, und könne man das Haus räumen und Ordnung schaffen. Er habe das schon manchmal erfahren, daß er habe Äpfel schütteln wollen, und gäb wie er geschwitzt, sie seien oben geblieben wie angeleimt, und nach ein paar Wochen habe er den Baum kaum angerührt, so seien alle Äpfel runter gewesen. So könne man jetzt ein Zeichen tun, aber zu tief müsse man es nicht nehmen, wenn es nichts abtrage, ein andermal habe man um so mehr das Recht, sich zu künden, um so ringer werde es dann gehen, von wegen der alte Gott lebe noch, den bringe man sowenig von seinem Thron als einen rechten Christen um seinen Glauben.

Die Männer merkten Benz an, daß er die Weiber trösten wolle, und halfen ihm. Nach und nach ließen sie das Gespräch gleiten auf andere Dinge, und als endlich die Uhr ans Heimgehen mahnte, so dankten sie sich gegenseitig für die gemachte Kurzizyti. Sie wüßten nicht, daß sie seit langem einen so vergnügten Abend gehabt; das sei nicht so eine langweilige Fröhlichkeit gewesen, wie man es oft antreffe.

Als sie in ihrem Gemach waren, sagte Lisi, es sei doch kurios, es seien allenthalben Leute, man sollte es nicht glauben. Es hätte gar nicht dran gedacht, an einem Nebenausörtli wie dieses solche Leute anzutreffen; die hätten ihm ungleich besser gefallen als die Hoffärtigen und Gebildeten im Bade, und viel gescheuter seien sie. Es wollte es darauf ankommen lassen, ob es nicht so sei. Es wolle nicht davon reden, daß der liebe Gott es nicht auch so finde, aber alle vernünftigen Leute würden seiner Meinung sein, besonders das Mannevolk, welches die Haushaltung über die Hoffart setze und das Husen übers Hudle und rechts Essen über viel Saufen. Es sei ein Trost, daß man nicht alleine sei auf der Welt, sondern allenthalben rechte Leute antreffe mit guten Gedanken; deretwegen sollte man öfters ein wenig von Hause, man könnte da viel Trost fassen und manchen Kummer ablegen, mit dem man sich sonst übel plage. Jetzt hätte es ihm viel geleichtet. Wenn hier, wo man es am wenigsten erwarte, solche Leute seien, so könnte man denken, es seien durchs ganze Land doch noch viele solche, man kenne sie nur nicht.

Wenn Lisi hätte hören können, wie die neuen Bekannten auf dem Heimweg und daheim von ihnen sprachen, hätte es vielleicht gefunden, sie seien noch viel vernünftiger, als es sich dieselben gedacht, denn alle waren ihres Lobes voll und sagten, das seien doch noch Leute vom rechten Schlag; einen solchen Bauer und eine solche Bäurin hätten sie lange keine gesehen, nicht geglaubt, daß da unten noch welche von dieser Sorte seien. Wo noch solche Leute seien, da sei doch, so Gott wolle, nicht alles verloren, und wenn Gott um fünf Gerechter willen Sodom und Gomorrha hätte stehenlassen wollen, so sei doch für unser Schweizerländchen lange nichts zu fürchten.

Es ist wirklich schön, aber auch selten, wenn eine Gesellschaft mit solch gegenseitiger Befriedigung auseinandergeht. Am Morgen in aller Frühe wurde das Pferd gehörig beschlagen und war wieder ganz hellauf. Darauf gab es ein großes Märten; die Ürti war so klein, da der Wirt dem Abendessen nichts rechnete, sondern sie zu Gast hielt. Nun, prügeln tat man sich deswegen nicht. Lisi glich in der Küche etwas aus, Benz im Stalle, und nachdem sie von den Wirtsleuten das bestimmteste Versprechen erhalten hatten, auf der Ankenballe die Schuld einzuziehen und sie auch einmal zu besuchen, fuhren sie in den heitern Morgen hinaus und kamen glücklich nach Hause, wo sie mit großem Freudengeschrei empfangen wurden. Es war den Kindern und dem bessern Teil des Gesindes gewesen, als seien sie nicht mehr daheim, als hätte das Haus kein Dach. Nun hatte das gestrige Ausbleiben sie bekümmert; sie waren rätig geworden, wenn die Eltern bis mittags nicht da wären, so müßte man aus, sie zu suchen; um so größer daher die Freude, als sie wohlbehalten vor das Haus fuhren und Lisi beim Absteigen sagte: »Gott Lob und Dank, daß wir wieder daheim sind, jetzt bringt mich so bald niemand wieder fort. Nicht daß ich nicht Freude gehabt, aber so wohl wie daheim ist einem doch nirgends auf der Welt, wenn sie schon so groß ist.«


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