Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel

Von einem Sonntag, wo man z'Dorf geht, und wie sich die Herzen ergießen

Zu Küchliwyl war Sonntag. Wohl kein Wort hat in aller Herren Länder in den Ohren des eigentlichen Volkes einen schönern Klang als das Wort Sonntag. Es ist, als höre man Glockengeläute, als sehe man die Sonne am blauen Himmel und friedlich und fröhlich alles auf Erden. Es wird einem, als liege man auf sonnigen Matten oder an schattigem Waldesrand und in süßen Träumen sehe man durch den weiten Himmel ein weißes Wölklein ziehn und dieses Wölklein sei die eigene Seele, die, entbunden von des Leibes enger Hütte, droben in den unendlichen Räumen den Vater suche, der verheißen hat, daß jedes Kind, welches ihn suche, ihn auch finden werde. Der schöne Klang weckt süße Gefühle der Ruhe bei den Müden, bringt das Wehen des Friedens über unruhige Seelen, ist der Ruf aus der Heimat allen, welche das Sehnen nach oben haben, welche das wahre Heimweh im Herzen tragen.

Es war ein sonniger Sommermorgen in der Mitte des Vormittags. Das Dorf schien verödet, die Bewohner gestorben oder ausgezogen nach dem trügerischen Amerika. Nur um die Kirche herum und da, wo die Toten ruhn, sah man Lebenszeichen, merkte, daß das Dorf noch lebe, war ja sein Herz noch lebendig. In diesem Herz des Dorfes, in der Kirche, hörte man ein wunderbar mächtig Tönen, um die Kirche herum sah man weibliche Gestalten, die kamen, eine Weile horchend stunden, dann wieder gingen. Es waren Weiber und Töchtern, welche gaumen sollten daheim und kochen, während die übrigen in der Kirche waren, den Herren öffentlich anzurufen und das Wort Gottes zu lernen. Hatten sie gegen das Bränten Sorge getragen und dem Feuer mit einigen Scheitern die gehörige Nahrung gegeben, traten sie rasch in die Nähe der Kirche, um einige Worte Gottes zu hören und an ihrem Sinne sich zu laben. In Küchliwyl war die Mehrzahl wirklich noch der Meinung, der Mensch lebe nicht von Brot alleine, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes gehe.

Der Pfarrer hatte ein schönes Wort, predigte langsam, volltönend, weithin verständlich, der Klang seiner Stimme weckte unwillkürlich in den Seelen die Andacht. Als man das Amen hörte, entschwanden alsbald die Gestalten. Es war, als seien es besprochene Geister, die vor einem gewaltigen Wort die Flucht ergriffen. Es war eine andere Macht, welche sie vertrieb, es war die Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Heimkehrenden nicht lange auf das Essen warten mußten. Sie wußten, wie am hungerigsten die Menschen am Sonntag werden, und sie mutwillig zur Ungeduld zu reizen, hielten sie für Sünde. Nach dem Amen ward in der Kirche noch gebetet um Gottes Hut und Schutz für alle Stände, für Kranke und Bedrängte, für des Landes und der Kirche Heil. Darauf wurde gesungen, eine gute Orgel half kräftig mit, und endlich mit dem Segen die Gemeinde entlassen. Bedächtig öffnete der Sigrist die Türen, sie füllten sich mit der entlassenen Menge, voran die Weiber bedächtigen Schrittes, solange sie unter dem Dache der Kirche waren, dann plötzlich alle Segel aufspannend, jedes seinem Hafen zu, seiner Haushaltung. Gute Fracht hatten sie eingenommen, und wie treue Bienen den gesammelten Blumenstaub nach Hause tragen, dasselbe mit Honig füllen, bringen fromme Weiber des Herren Worte heim, schmücken damit die Herzen ihrer Kinder, füllen sie mit Gottseligkeit.

Im Chor der Kirche blieben die Männer zurück, welche in den Sperrsitzen saßen. Zu ihnen trat der Pfarrer, sie grüßend und einige Worte mit ihnen wechselnd, worauf er alsbald die Kirche verließ. Der Pfarrer war ein Mann im besten Alter, von würdigem, festem Wesen und schien geachtet von den Männern. Es waren des Dorfes Vorgesetzte, welche gewartet hatten auf des Pfarrers Bericht, ob Geschäfte zu einem Stillstand oder Chorgericht oder Sittengericht vorlägen. Da der Pfarrer nichts hatte, sie ebenfalls nichts wußten, gingen sie auseinander, den Weibern nach. Je mehr der Geist entfliegt, desto häufiger wechselt man den Namen der Beamteten und Behörden, desto einfältiger wird man alle Tage. An sich liegt in keinem Namen eine Kraft und in keinem ein Fünklein Geist, das er dem Besitzer zubringt. Aber im Laufe der Zeit verbinden sich mit den Namen gewisse Vorstellungen, von ihrem Besitzer fordert man die Erfüllung bestimmter Pflichten, legt ihm dagegen eine Würde bei und erweiset ihm ein gewisses Maß von Achtung.

Setzt man neue Namen an Stelle der alten, so sind diese wiedrum ein x, das heißt eine unbekannte Größe; was sie bedeuten sollen, weiß man nicht, oft weder die, welchen sie gegeben werden, noch die, welche mit diesen in Verkehr kommen, man denkt: es werde halt was Neues sein. Die Besitzer der neuen Namen vergessen die alten Pflichten und machen neue Ansprüche, das Publikum setzt die alte Achtung beiseite und beginnt den alten Kampf um neue Freiheiten, das heißt um ein Leben ohne Schranken. Sehr oft kommt dann eine gewisse Akkommodation zustande, wo man den Beamteten das Recht zugesteht, zu sein, wie sie wollen, dagegen sie dem Publikum das Recht, zu machen, was es will, das heißt, die Beamteten übernehmen gegen eine gute Bezahlung, versteht sich, die Rolle der sogenannten Bündeng'schücher, welche man auf die Acker stellt, um Sämereien vor den Vögeln zu schützen. Sobald Krähen und Spatzen ihres Anblickes gewohnt sind und gesehen haben, daß sie weder was verwehren können noch wollen, so achten sich ihrer weder Krähen noch Spatzen mehr; wie großartig sie sich auch gebärden mögen, so sind und bleiben sie Bündeng'schücher.

Unter den Männern, welche die Kirche verließen, mußten zwei stattliche Gestalten auffallen, sie waren groß, stark und trugen sich mit einem gewissen Selbstbewußtsein; der eine trug dunkle Kleidung von Guttuch, der andere eine elbe von Halblein. Den erstern nannte man Hunghans, den andern Ankenbenz nach Landessitte, wo oft der Name der Besitzung mit dem Taufnamen verbunden wird, um den Besitzer zu bezeichnen. Der erste hieß Hans und sein Hof der Hunghafen; der zweite hieß Bendicht, verkürzt Benz, und sein Hof die Ankenballe. Es waren die reichsten und angesehnsten Männer in der sehr wohlhabenden Gemeinde Küchliwyl, ihre Höfe wahre Edelsteine im Lande, in mehrhundertjährigem Besitz ihrer Familie. Diese Unveränderlichkeit mag hier und da, wo die alten Tugenden verfallen, mit diesen die alte Familie ebenfalls, den Verfall des Besitzes zur Folge haben. Wo aber in einer Familie die alte Kraft und die alte Gottesfurcht bleiben, da erzeugt dieser unveränderte Besitz eine gegenseitige Treue zwischen dem Besitzer und dem Besitztume. Von weitem erkennt man dieses Verhältnis an der Üppigkeit des Landes, den alten, schönen Bäumen, den wohlerhaltenen Gebäuden, der Sorgfalt überhaupt, welche im Großen und im Kleinen sichtbar ist. Höfe, welche rasch Hand ändern, gewähren einen desto trostlosern Anblick. Da ist alles verwahrlost, Gebäude, Land und Bäume, man hat vom Lande nur genommen, ihm nichts gegeben: Die Nidel ab der Milch, wie ist diese noch dann so dünn und blau. Wenn bei einem solchen Gute Wald sein soll, merkt man denselben kaum mehr. Die Bäume stehen in demselben so dünn und traurig wie Zähne im Munde eines achtzigjährigen Zuckerbäckers.

Der Hunghafen lag im Tale, sein größter Reichtum waren Matten, wie man sie selten findet, Nuß- und andere Bäume kränzten grün und schön die stattlichen Gebäude, ein großer, klarer Bach floß durch das Land. Die Ankenballe dagegen war an einer Bergseite in einer Vertiefung, Dühle, auf drei Seiten gegen Wind und Wetter geschützt. Weithin glitzerten, in der Abendsonne besonders, die zahlreichen Fenster des schönen Hauses. Birnbäume wie Eichen stunden im Baumgarten. Zwei reiche Brunnen sprudelten unter breiten Dächern ihr kühles Wasser in große Tröge, aus denen es in zwei große Teiche floß. Aus diesen Teichen ward das Land gewässert. Diese Teiche aber sollten auch das Wasser liefern, wenn Gottes Wille Feuersnot über den Hof bringen sollte. Die Familien auf beiden Höfen waren durch manches Geschlecht hindurch befreundet und vielseitig verwandt. Die gegenwärtigen Besitzer waren in einem Wasser getauft worden, hatten zusammen die Unterweisungen besucht, waren in ihrer ledigen Zeit die treusten Kameraden geblieben, leiteten jetzt einträchtig die Gemeinde, ihr Wort galt in derselben, als käme es gedruckt von oben herab. Es waren aber auch tüchtige Bauern und ehrbare Hausväter geworden, welche mit ihren Leuten aßen und schwitzten und vor ihnen wenig anders voraushatten, als daß sie vormähten in allen Dingen, am schwereren Orte trugen, am ersten auf waren, am letzten niedergingen.

»Seid ihr diesen Nachmittag daheim?« frug Hunghans. »Meine Frau möchte einmal unter dem Dache weg, sagte sie. Sie sei so blange im Gemüte. Es fehlt ihr seit einiger Zeit, sie nimmt die Sachen zu schwer.« »Allweg«, sagte Ankenbenz. »Meine wird große Freude haben, sie sagte schon lange, sie hätte deine, es weiß kein Mensch, wie lange nicht gesehen außer in der Kirche. Aber kömmt gleich nach dem Essen, so mag sich doch etwas ergeben. Die Weiber werden sonst nicht fertig, und bringt die Kinder mit, meine hielten euch sonst nichts darauf.« »Wird wohl geschehen«, sagte Hans, »aber macht nicht Umstände, hörst, sonst hat es meine ungern, daß ich dir etwas gesagt. Sie meint sonst, ihr könntet glauben, ich hätte es gesagt, damit die Aufwart desto besser sei. Sie ist seit einiger Zeit gar grusam empfindlich und mißtreu.« »Wegen der Aufwart häb nit Kummer; wenn ihr's nicht anders triebet, wir hätten weniger uns zu g'mühen, wenn wir zu euch kommen«, antwortete Benz. »Vexierst«, sagte Hans. »Aber hörst, mach's, sonst hab ich Verdruß. Wir kommen ja nicht Essens wegen.« »Selb brauchst nicht zu sagen«, antwortete Benz, »habt es ja besser daheim als irgendwo. Daneben weißt, die Weiber haben ihre Köpfe, und in der Küche hört alles Befehlen auf. Wird bei dir nicht anders sein. Daneben ist's mir leid, wenn deine nicht z'weg ist. Hoffentlich wird's bessern. Meine und deine waren schon manchmal nicht z'weg, und wenn die Zeit um war, besserte es ihnen ohne Dokterzeug.« Hans sagte nicht viel darauf, sie waren eben beim Scheideweg, wo Benz mit einer Ermahnung, nicht lange zu säumen, rechts ab den Berg aufging mit langen, langsamen Schritten.

Oben auf einem Vorsprung an des Berges Seite war schon lange ein großer Hund sichtbar, unbeweglich, als wäre es ein steinerner. Als Benz über die Mitte des Berges war, ward das Bild lebendig, schlug einige Male an, kam dann trippelnd und wedelnd den Berg ab, tat einige kurze Sätze, wedelte endlich nahe bei dem Meister mit dem ganzen Leibe, sprang an ihm auf, leckte ihm die Hand, sprang vorauf, sprang zurück, wand sich um des Meisters Beine, und lange ging's, bis er es dahin brachte, sittig neben seinem Herrn einherzugehen. Benz nahm diesen Empfang mit der Ruhe hin, welche eben die Hunde am meisten fesselt durch Liebe und Respekt. Er tätschelte dem Hund einige Male den Kopf, trat dann nicht weiter mit ihm ein, geschweige daß er seine Narrheiten teilte und mit ihm spielte wie ein Metzgerjunge. Mit ruhig sicherm Blicke überschaute Benz sein Land, bemerkte auf jedem Stück den Standpunkt der Gewächse. Ob Zugreifen oder Zuwarten nötig sei, sah er mit einem Blick und aus der Ferne.

Als er eine kleine, steile Strecke überstanden hatte, lag vor ihm sein Haus in sonntäglichem Glanze, und ein unwillkürliches Wohlgefallen überflog sein Gesicht. Zwei Kinder sprangen ihm entgegen, das größere voraus, das kleinere, zweijährig ungefähr, hintendrein mit der Hast, welche große und kleine Kinder ankömmt, wenn sie jemanden sich vorlaufen sehen. Daher stolperte es wie andere auch über einen Stein, fiel vor den Füßen des Vaters, ehe derselbe es halten konnte, in den Staub. Es schrie mörderlich wie üblich, als Benz es auf die Arme nahm, mit dessen Fürtüchlein ihm das Gesicht reinigte und mit freundlichen Worten es begütigte. Da, auf des Vaters Armen verging dem Kinde das Weinen bald, die Freude glänzte auf seinem Gesichte, vom Vater getragen zu werden, laut und stolz jubelte es dem Hause zu.

Auf den Bänken, welche um das Haus herum angebracht waren, lagerten die Hausbewohner, vor der Küchentüre stund die Hausfrau, eine ehemals schlanke Gestalt mit ausdrucksvollem, kräftigem Gesichte, alle des Vaters und Meisters harrend wie ein Regiment des Obersts zum ersehnten Aufbruch, doch nicht in den Krieg, sondern nur zum Essen. »Frau, bekömmst Dorf, Hunghans will diesen Nachmittag mit den Kindern kommen«, rief Benz. »Tüfel!« rief die Frau, »und habe keinen frischen Anken; daneben sind sie mir lieb und recht. Am Samstag waren alle Hände voll zu tun und später Feierabend!« »Grit, Grit!« und noch manchmal: »Grit!« mußte sie rufen, bis ihre Stimme durch den Jubel der Kinder drang, die sich auf ihre Gespielen freuten, als wäre jedes von ihnen ein Neujahrkindlein oder ein heiliger Niklaus, ehe Grit herbeilief, ein hübsches, muntres Mädchen von siebenzehn Jahren. »G'schwind, Meitschi, mach z'weg, es muß g'anket sy!« »Ja, Mutter«, rief das Meitschi, flog eines Satzes davon, band eine Schürze um den Hals, die schmucken Kleider zu schirmen, machte sich mit großer Freude ans Werk, ohne zu fragen: »Mutter, wann soll ich dann essen?«

»Marei, richt an, geschwind!« lautete das zweite Kommando. Marei, die starke Meisterjungfrau, schritt stark durch die Küche, kommandierte ihrerseits die untergebenen Geister zur Beihülfe, rasch und willig waren sie bei der Hand. »Cho esse!« war das dritte Kommando, und aufs Tempo erhoben sich diesmal alle, selbst der meisterlosige Hüterbube, der seit einem halben Jahre schon da war und noch nicht viel von Gehorsam wußte. Nach einem Tischgebete, welches in der Kehr ein Kind sprach, ließ man sich die Fleischsuppe schmecken, griff tüchtig das Fleisch an, welches in drei Sorten, gesalzenes und frisches Rindfleisch und Speck, vorhanden war, brauchte Gemüse dazu, schöne Bohnen, jedoch mit großer Vorsicht, als ob man fürchte, Platz zu verschlagen damit oder Bauchweh zu kriegen. Bekanntlich macht Fleisch durstig, darum wurden aus Freigebigkeit, wie man sie nicht an allen Orten trifft, einige Kacheln schöne, nicht blaue Milch aufgestellt, woran die meisten sich köstlich labten und besser daran lebten, als sie an irgendeinem andern Getränke gelebt hätten.

Das Gesinde, welches Dorf ansagen gehört, hatte, wie es sich an guten Orten ziemt und auch gewöhnlich, die Sichelten ausgenommen, gefunden wird, Verstand, säumte nicht mutwillig, um die Meisterleute in Verlegenheit zu setzen. Wen die Meisterfrau nicht eigens bleiben hieß, machte sich abseits, wollte nicht im Wege sein, wollte nicht der sein, der neugierig wissen möchte, womit aufgewartet werde und was die da oben zu tun hätten. Was in einem echten Bauernhause von altem Schrot und Korn extra verzehrt wird, braucht niemand zu wissen. Soweit möglich wird es mit dem Schleier des Geheimnisses bedeckt. Die Neugierde der Nachbaren mag ihren guten Teil an dieser Sitte haben, aber sicher auch eine Art von religiösem Gefühl, als ob solche Aufwart nicht recht sei, als ob der Überfluß eine Sünde sei, das Gesinde und die Armen sich darüber zu beklagen hätten. Es wäre schön, wenn dieses Gefühl bei Prinzen, Grafen, Fabrikfürsten einkehren täte, bei jedem in gehörigem Grade, es würde in Zukunft weniger Revolutionen geben, oder wenigstens würde in den Revolutionen weniger Schein zu Berechtigung sein.

Mit besonderer Sorgfalt räumten die Knechte Futtertenne und Ställe auf, kehrten ums Haus herum, bis kein Strohhalm selbst mit einem Fernrohr zu entdecken war, putzten das Vieh, als wenn es z'Hochzeit sollte. Sie wußten, Hunghans war ein Kenner, und ein gut oder ein bös Wort von ihm zogen schwer bei ihrem Meister. Aber noch hatte es nicht eins geschlagen, waren die dicksten Bursche unsichtbar geworden. Ebenso rasch ward in der Küche sich gerührt, damit das Möglichste abweg sei, wenn der Besuch anrückte. So ward allen unnötigen Einsprachen gegen die Aufwart vorgebeugt, die Hausfrau konnte ruhig bei den Gästen sein und ihnen zeigen die Herrlichkeiten der Welt, Pflanzungen und Schweine. In einem solchen Hause, wo man nicht nach siebenzehn Windgegenden springen muß, wenn man für drei Personen ein Kaffee machen soll, alles bei der Hand ist, nichts geschont zu werden braucht aus Angst, man habe morgens nichts mehr zum Frühstück, da ist bald viel gemacht. Nicht lange nach dem Verschwinden der Knechte war auch die Hausfrau so ziemlich fertig und, mit den Händen im Schoße, der Gäste gewärtig.

Da, wo am Morgen der Hund gestanden, stunden jetzt die Kinder zum Ausguck nach dem ersehnten Besuche, dessen sie um so ungeduldiger harrten, je seltener er ihnen zuteil ward. Sie hatten nicht alle Tage Visite. Endlich erscholl das Geschrei: »Sie kommen, sie kommen!« Dahergerannt kamen die Kinder, als ob der Feind käme, bargen sich hinter den entgegengehenden Eltern, wagten kaum die Näschen hervorzustrecken, und wenn sie es taten, fuhren sie alsbald mit großem Geschrei hinter die breiten Rücken ihrer Beschützer. Ergötzlich war es, zu sehen, wie schüchtern und zimpferlich sie die beiden mitkommenden Kinder begrüßten, ihnen kaum von weitem die Hände zu geben wagten und wie wild das bald darauf durcheinanderging.

Nachdem die üblichen Begrüßungen und Entschuldigungen abgetan waren und die Gründe, warum man nicht alle Kinder mitgebracht, auseinandergesetzt und wahrscheinlich ein einziger vergessen ward, der eigentliche nämlich, setzte man sich zum Erkühlen und Ausruhen in die Stube. Die Gäste mußten sich allen Weigerungen zum Trotz ein Glas Wein gefallen lassen. Das Ausruhen hatte Hunghanse Frau nötig. Sie war bleich und mager, trug das Gepräge der Kränklichkeit, und matt waren alle ihre Bewegungen. Die beiden Weiber waren sich ebenfalls verwandt gewesen, dazu bekannt und vertraut von Jugend auf. Obgleich kaum eine halbe Stunde auseinander wohnend, sahen sie sich dennoch selten, außer auf Augenblicke in der Kirche. So eine rechte Bäurin weiß, daß sie am schönsten daheim ist, so gleichsam als des Hauses Licht und die allgegenwärtige Schaffnerin Gottes. Man kann sich denken, daß dann, wenn zwei Freundinnen, welche so lange kein vertraut Wort miteinander gesprochen und dazu mit niemand anderm, sich viel zu sagen haben mußten, wenn es einmal angefangen war. Von einem solchen vollen Herzen macht sich eine rechte Stadtbase, welche vom Morgen halb eilf Uhr an bis abends um halb eilf, mithin zwölf Stunden lang Besuche macht oder hat, mit Lunge und Zunge aus Leibeskräften schafft, den allerhintersten Gedanken zutage schrotet, gar keinen Begriff. Sie, die ihren Kasten alle Tage leert, kann unmöglich sich vorstellen, was alles in einem Platz hat, von welchem man vielleicht ein halbes Jahr lang den Deckel nicht gehoben.

Die Ankenbäurin war über das Aussehen ihrer Freundin sehr erschrocken, denn es war beträchtlich verändert, seit sie dieselbe zum letztenmal gesehen. Aber sie hatte nicht ausgerufen: »Mein Gott, wie siehst du aus! Lange lebst du gewiß nicht mehr!«, – sondern das Erschrecken bestmöglichst verborgen, hütete sich, allzu große Teilnahme zu zeigen, wie sehr es ihr auch darum war. Lange hatte Hunghanse Frau nicht Rast in der Stube. »Es nimmt mich wunder«, sagte sie, »was du für Sachen hast und wie es dir geht in diesem trocknen Sommer. Ich weiß nicht mehr, was machen.« Gäb wie Benze Frau mahnte, noch in der kühlen Stube zu bleiben, was zu sehen sei, sei bald besehen, es mußte aufgebrochen sein. Benze Frau merkte, daß die andere Schweres auf dem Herzen hatte und es ihr anvertrauen wollte, wahrscheinlich eben ihre Kränklichkeit und die Angst um die Kinder, wenn sie dahintenbleiben sollte. Sie wanderten in die Pflanzungen hinaus, aber was Hunghanse Frau im Herzen hatte, mußte tief unten sein, es wollte nicht hervor. Sie seufzte öfters, bückte sich, riß irgendein Blatt ab und sprach dann Abgebrochenes über das, was sie besahen. Schon hatten sie Flachs und Hanf betrachtet, Rübli, Rüben, Kabis, ja selbst den Bohnenplätz, wo Benzen Frau die Eröffnung bestimmt erwartet hatte, im Rücken, und es war nichts erfolgt. Sie kamen bis zu einem großen Gelbbirnenbaum, welcher frei stund und von welchem aus man das Haus übersah und im Hintergrund die Berge stunden, da stund sie still und sagte: »Bin so müde, wollen wir absitzen?« Und als sie abgesessen waren, fing sie an zu weinen bitterlich.

Endlich sagte sie: »Zürn nicht, Lisi, aber ich kann nicht helfen, es will mir fast das Herz versprengen. Mein Lebtag habe ich noch niemanden geklagt, hatte eigentlich auch nicht Ursach dazu und will auch weiter niemand klagen, will schlucken, bis es ausgeschluckt ist, aber dir muß ich es sagen, warst du mir doch nebst meinen Leuten der liebste Mensch auf Gottes Erdboden. Ich weiß wohl, es muß jeder Mensch seine Bürde haben, ich dachte immer, als ich es so gut hatte, meine werde mir auch noch werden, aber an das hatte ich nicht gedacht. Nein, weiß Gott nicht!« Und aufs neue kamen ihr stromsweise die Tränen.

Lisi war auch erschrocken. Ihr erster Gedanke war der, den in solchen Fällen die meisten Weiber haben: »Mein Gott, geht Hans nebenaus? Dem hätte ich es doch nicht zugetraut. Da sieht man wieder, daß keinem zu trauen ist, nein, es ist nicht! Benz, der wohl, für den wollte ich die Hand ins Feuer haben, aber er ist auch ganz ein anderer als die andern.«

So war es eigentlich doch nicht, wie Lisi dachte. Endlich konnte die betrübte Frau fortfahren. »Ich meine nicht«, sagte sie, »daß ein Mann wie Hans nichts tun soll für das Allgemeine; wenn die nichts tun wollten, welche den Verstand dazu haben und es vermögen, einen Tag umsonst zu versäumen, wie meiner und deiner, wem sollte man es dann anmuten? Sie haben ihn auch brav gebraucht in Gemeindssachen, und ich habe kein Wörtlein dagegengesagt, wie sehr es mir auch zuwider war, wenn er ganze Tage fort sein mußte und die ganze Bürde auf mir alleine lag. Du weißt ja, wie es geht, wenn der Mann fort ist, jedes Meister sein, keins gehorchen will!« Lisi nickte, sagte aber nichts, denn wenn Benz nicht daheim war, war Lisi Meister, hatte das Wort und brauchte es. Das ist aber nicht allen gegeben.

»Wo es aber die Änderung gab im Kanton«, fuhr die Frau fort, »die Alten abemußten, die Neuen ans Brett kamen, schrissen sie Hans auch z'weg, wie du weißt, er mußte Amtsrichter werden. Dagegen sagte ich wiederum nichts. Mein Vater war auch Amtsrichter gewesen, ich hätte nicht gewußt, warum ich Hans davor sein sollte, er schickte sich dazu viel besser. Hans kann b'sunderbar gut G'schriebenes lesen, und schreiben kann er hintereinander fort, es gibt ihm gar nichts zu sinnen; dem Vater ging's schwer. Gäb wie er Brillen gekauft, eine ganze Drucke voll, d's Geschriebene sah er nie recht zu lesen, und mit dem Schreiben ging's auch bös. Den Namen schreiben wohl, das ging flätig. Er könnt's, sagte der Vater, aber er sehe es nicht. Dazu gab es einen schönen Lohn, dafür konnte Hans wohl zuweilen einen Tag versäumen und jemanden dafür anstellen; daß er das Wüsteste alleine austrappen und immer der erste und der letzte sein sollte, meinte ich nie. Ich dachte, es ginge so wie unter meinem Vater selig. Wunderselten mußten sie zusammen. Dann lud sie der Landvogt zum Essen ein, wartete ihnen auf, daß sie von Wunder erzählten, und das Geld blieb im Sack. Nun, manchmal tranken sie noch einen Schoppen zusammen während dem Anspannen. Aber lange blieben sie nie beisammen, aus Furcht, der Landvogt könnte es vernehmen und es ungerne haben; beim Sonnenschein waren sie gewöhnlich heim. Jetzt geht es anders und, weiß Gott, alle Tage böser; so stehe ich es nicht mehr aus. Alle Fingerslang ist Amtsgericht, und wenn ich sage: ehedem beim Vater selig sei es nicht so gewesen, so sagt Hans: ›Wart nur, es kömmt anders, es ist jetzt noch das und das; wenn das fertig ist, so kann man Ruhe haben.‹ Oder: ›Es kömmt ein Gesetz; wenn das einmal da ist, so erleichtert das die Sache, man glaubt es nicht.‹ Aber g'fergget wurde nichts, und das Gesetz kam nicht. Seit einiger Zeit muß er viel für den Präsidenten ins Schloß, d'Sach für ihn zu machen. Hans klagte anfangs, er spare ihm die bösen Sachen, und wenn jemand zu büßen sei, müsse er es tun. Dä D... Sch... wolle immer den Lieben spielen, nicht der sein, der die Leute ins Unglück bringe, aber meineidig zu werden alle Tage und das Gesetz nicht zu halten, mache ihm nichts. Den schlechtesten Hudel fürchte er mehr als unsern Herrgott, und das niederträchtigste Straßenmensch sei ihm lieber als der Heiland, dem Hundsbub gehe er nicht mehr; er habe den Lohn dafür, daß er die Sache selbst mache, und nicht dafür, daß er andere die Suppe ausfressen lasse. Aber dem Hundsbub geht Hans doch und je länger, je lieber, klagt nichts mehr über ihn, und wenn man sie zusammen sieht, sollte man meinen, sie seien die besten Freunde, und so wird es wohl auch sein.

Doch das ist noch nicht das ärgste; wenn es nur das wäre, ich wollte mich noch darein schicken, aber denk, Lisi, denk, er kam schon mehrere Male nachts nicht heim und, wenn er kömmt, immer später, manchmal erst gegen Mitternacht, und nicht, wie er sollte, sondern daß man wohl merkt, er habe getrunken. Anfangs dachte ich, das könne es jedem geben, und sagte nichts als: ›Bist spät!‹ Dann hatte er immer eine gute Ausrede. Er mußte noch auf den Schreiber warten, um zu unterschreiben, was auf die Post sollte, oder der Regierer war zu ihnen gekommen, als sie eben fortwollten, und da hätte es sich nicht geschickt, gleich fortzugehen, er hätte es sonst zürnen können; oder es hätten zwei Fürsprecher einander wüst gesagt und sich gegenseitig alle Schelmenstücke ausgebracht, daß man nicht genug hätte losen können. Als es immer häufiger geschah, sagte ich nichts mehr, wenn er heimkam, und Hans auch nicht. Aber mein Gott, was mußte ich vernehmen, als ich unterderhand mich erkundigte, was dann eigentlich getrieben werde. Denk, Lisi, da hocken sie ganze halbe Tage und halbe Nächte beisammen, saufen und spielen, und wer macht das? Sellig Manne und die Oberen voran, der Regierer und der Präsident und Agenten und Schreiber und alles Gesindel, wo sich herbeiläßt. Das hocke alles untereinander ungeschämt, und von Feierabend sei keine Rede mehr, und die, wo Ordnung halten sollten, seien die Allerärgsten, und wenn es recht angehen solle mit Spielen, gingen sie in eine andere Stube, da sehe man oft noch gegen Morgen Licht, und da werde gespielt, wie man es noch nie erlebt, mehr als um hundert Taler gehe es manchmal über Ort. Denk, Lisi, und ich daheim in dem Wesen, mit Kindern, Knechten und oft noch Handwerksleuten, muß alle Augenblicke sagen: ›Der Amtsrichter ist nicht heim, weiß nicht, kommt er oder kommt er nicht.‹ Muß mich schämen vor allen Leuten, daß es so ist, schämen vor den Kindern und Knechten, wenn sie merken, wie spät er heimkömmt, und beständig Verdruß haben. Die Buben machen, was sie wollen, wenn der Vater nicht daheim ist, verführen mir noch die Knechte und geben ihnen ein böses Beispiel. Und was das für ein Warten ist, so von acht bis vielleicht um zwölf Uhr! Ich sollte schlafen, aber ich kann, weiß Gott, nicht; da muß ich aufpassen, ob ich ihn nicht höre, muß denken: was macht er jetzt, oder ist ihm etwas begegnet? Und kommt er endlich heimgestolpert, so muß ich weinen, weinen, bis oft der Tag am Himmel steht. O Lisi, du weißt nicht, wie voll es mir da ums Herz ist; es dünkt mich oft, ich müsse ersticken. Oh, wenn du wüßtest, wie ich den Regierer und den Präsidenten hasse! Ich kann ihrethalb fast nicht mehr beten. Z'mitts drin kömmt es mich an, als sollte ich sie verwünschen und verfluchen, so die Leute zu verführen, vom Hause zu schlagen und Frau und Kinder im Stiche zu lassen!«

»Aber haben die denn nicht auch Weiber und Kinder?« frug Benzen Frau. »Einer ist ledig, der andere verheiratet, aber was frägt der Frau und Kindern nach, das ist unter solchen Herren nicht mehr der Brauch, und die Mode bringen die jetzt auch auf das Land hinaus«, jammerte die Amtsrichterin. »Sie werden daneben froh sein, wenn er nicht daheim ist; das ist die ruhige Zeit, welche sie haben, wie man mir sagte. Und bei solchen ist er, und die verderben mir meinen Hans an Leib und Seele, zähl darauf, und dem muß ich zusehen! Einmal habe ich ihm d'r tusig Gottswille angehalten, er solle Amtsrichter Amtsrichter sein lassen und daheim bleiben, er sehe doch, wie es gehe und wie ich alle Tage weniger der Sache nachmöge, ich stünde es, weiß Gott, nicht mehr aus. Da verspricht er es mir halb und halb, ich habe gemeint, jetzt sei ich im Himmel. Nach dem nächsten Amtsgericht frage ich ihn: ›Und jetzt, hast abgegeben?‹ ›Nein‹, sagte er, ›die andern wollten es nicht tun.‹ Da ward mir schwarz vor den Augen, und seither sagte ich nichts mehr. Ich dachte, es werde nicht mehr so lange dauren. Aber am andern Tage kömmt die Magd vom Krämer heim und sagt mir, sie dächten Hans zum Ratsherrn zu machen. Da war mir nicht mehr zu helfen. Ich hatte gedacht: Strengers könnte ich nichts mehr erleben, als ich schon erlebt. Aber wohl, da zeigte mir unser Herrgott, wie er für uns Menschen ung'sinnete Sachen bereit habe. Hans Ratsherr! Hans wochenlang fern sein, und wo? Drinnen in der Stadt! Lisi, denk, drinnen, du weißt, was das sagen will! Bis jetzt konnte ich über Hans weiter nichts klagen, als was ich sagte; aber was dann aus ihm wird, wenn sie ihn zum Ratsherrn machen, und was er drinnen mitmachen muß und Schlechts allerhand lernt, selb weiß Gott! Das stehe ich nicht aus. Es ist mir nicht einmal wegen mir, es ist mir wegen Hans; er muß es büßen und kömmt um seine arme Seele. Wenn die ihn ganze Wochen lang in den Fingern haben, so werden sie ihm die Religion bald ausgeredet haben wie schon andern mehr. Da duldete es mich nicht länger, ich mußte mit dir reden. Ich sage nichts mehr; tat er mir selbmal den Gefallen nicht, er täte ihn jetzt auch nicht. Aber Benz und er sind so wohl füreinander; wenn Benz ein Wort mit ihm redete, ich dächte, es fehlte nicht, er tät's Benz zu Gefallen. Und tut er's nicht, so bringt es mich ins Grab.«

Lisi hatte großes Mitleid mit dem Jammer der Freundin. »Wenn meiner es mir so machen würde, ich stünde es auch nicht aus«, dachte es. Aber Lisi hätte es ausgehalten, denn Lisi war von stärkerem, elastischerm Holz und verstund etwas vom Regieren. Lisi versprach, mit Benz zu reden, tröstete die Freundin, so daß diese recht aufgerichtet sich erhob, die Inspektion mit der Betrachtung der Schweine beendigte und glücklich wieder in der Stube, von wo sie ausgegangen, landete. Hier war das Abendessen bereitet und Gretli nach den Männern gesandt, daß sie kämen, ehe alles kalte.

Diese waren unterdessen auch herumgestiegen, hatten die mannigfachen Saaten beaugenscheinigt, waren selbst bis in den Wald gekommen, wo Benz gerne und mit Stolz seine prächtigen Tannen von allen Altern und üppigen Buchen zeigte. Sie besprachen nebenbei manches, aber die Politik ließen sie links. Sie waren in derselben weit auseinandergekommen. Hunghans war durch seine Stelle als Amtsrichter und zeitweiliger Stellvertreter des Präsidenten in den Strom des Tages gekommen und ward lustig von dessen Wellen getrieben. Seit Jahren war es Sitte, daß jeder Tagsatzung irgendeine politische Frage vorgeworfen wurde, wie einem Hunde, der einschlafen will, ein Bein. An solche Fragen wurde das zeitliche und ewige Heil der Schweizer gesetzt, allem aufgeboten, die Gemüter daran zu erhitzen, das eingefrorne Schweizer Blut in einen glühenden Strom verzehrender Lava zu verwandeln, der von des Teufels Knechten geleitet werden konnte über jedes beliebige Land, bis der gleiche Brand ganz Europa überflutet. Diese Fragen betrafen gewöhnlich die Verhältnisse der Schweiz zu irgendeinem gekrönten Haupte, bald einem geistlichen, bald einem weltlichen, waren sogenannte Lebensfragen, an welchen man das politische Leben der einzelnen maß und würdigte, auf welche man des Landes Existenz zu setzen suchte, und waren zumeist nicht einen halben Batzen wert. Nun verstund Hunghans von der ganzen Auswärtigkeit keinen Pfifferling; die staatlichen Verhältnisse waren ihm so unbekannt als die Geographie der Sonne. Er war ein guter Gemeindsmann. Ward er ausgeschossen hier und dort, um Gemeindeangelegenheit zu besorgen, so machte er seine Sache vortrefflich, aber wenn er als Gesandter nach Rom zum Papst geschickt worden wäre, so wäre seine Verlegenheit sehr groß gewesen, nach welcher Himmelsgegend er sich zu wenden und in welcher Sprache er für einen Dolmetsch zu sorgen hätte. So war es damals, so ist es übrigens noch jetzt. Aber das hinderte Hans durchaus nicht, ein sehr eifriger Politiker zu sein und seine Grundsätze, wie er es nannte, was ihm eingebleuet wurde, eifrigst zu verbreiten.

Hans hielt eine Zeitung, versteht sich das Organ der herrschenden Partei, doch war diese nicht der Hauptborn seiner Weisheit, sie war ihm bloß das Handbuch, aus welchem das Kind nicht viel machen kann, wenn nicht einer da ist, der dolmetscht und dasselbe ihm verständlich macht. Dieser Dolmetsch war eben der Regierer und auch der Präsident. Aber der Regierer hatte eine viel größere Gabe, sich Glauben zu gewinnen, und sicher saßen nie gläubigere und schlotterndere Kinder um ihre Kindermagd, wenn sie ihnen erzählte vom Teufel und seiner Großmutter, von bösen Geistern und Gespenstern, als die Amtsrichter um diesen Regierer, wenn er ihnen die Tagesfragen auseinandersetzte und von den Teufeln, den Aristokraten, Städtern und Päpstlern (Jesuiten waren damals noch nicht im Schwunge) sprach. Sie zitterten wie Espenläuber und glühten wie Glätteisensteine und immer, wie der Regierer wollte. Schlotter und Glut trugen sie dann aufs Land hinaus, und aus beiden gab's einen glühenden Schlotter oder eine schlotternde Glut, je nachdem das eine Element oder das andere vorzog. Deswegen waren die Erlauchten so oft und so lange unter den zu Erleuchtenden; nebenbei tat ihnen der Wein auch wohl, und das Spielen gefiel ihnen nicht schlecht. So tat ein Teil dem andern wohl, die einen labten sich leiblich, die andern geistig. Wie eine Katze, welche Junge hat an einem verborgenen Orte, dieselben des Abends besucht, mit wehlichem Miauen empfangen, zu den Jungen sich legt, bei ihnen die ganze Nacht liegenbleibt, während die Jungen an ihren Brüsten hangen, gierig sie aussaugen, so ungefähr war das Verhältnis. Man hätte auch sagen können, wie hungerige Vögel den alten Vogel mit aufgesperrten Schnäbeln empfangen, so sei es gewesen. Nur paßt beides darin nicht ganz, daß die jungen Vögel einstweilen im Neste bleiben und verdauen, bis sie stark zu eigenem Fluge geworden, während die Amtsrichter nach stattgehabter Fütterung ausflogen und alsbald wieder von sich gaben, was sie empfangen hatten, unverdaut, daß sie aber zu eigenem Fluge nicht erstarkten, sondern alle vierzehn Tage oder längstens alle drei Wochen vom alten Vogel gespeist werden mußten, in Extrafällen noch viel öfters.

So war's im Bezirk Schreibligen der Fall. Wir wissen daneben wohl, daß es an andern Orten ganz anders war, die Amtsrichter nicht junge Vögel waren, die ihr Lebtag von einem alten Vogel geätzt werden mußten, sondern selbständige, ehrenwerte Männer. Hie und da gab es auch unter den Amtsrichtern alte Vögel.

Benz stund nicht in diesem Lager, wie man heutzutage sich auszudrücken pflegt. Benz war ein rechter Bauersmann, der nicht stettig am Alten hängt, aber das Neue erst vorsichtig prüfen will, ehe er deswegen Mühe und Kosten hat, der nicht jeder Narrheit nachläuft, die als das Beste und Notwendigste ausposaunet wird, sondern um so mißtrauischer den Kopf schüttelt, je lauter man eben posaunet. Er war der Reform auch ergeben, er wünschte innere Verbesserungen; es dünkte ihn in der Tat nicht recht, daß nur die einen regieren und die andern nur gehorchen und zahlen sollten, und zwar von Rechtes wegen. Er hatte sich bei der Reform auch einigermaßen beteiligt, aber er meinte dabei nicht, daß jetzt wiederum nur die andern regieren sollten und die einen nicht, statt solcher, die bernerisch redeten, die, welche nur bielerisch könnten oder nidauerisch, statt denen mit schwarzen Haaren die mit weißen, statt denen, welche hott wollten, nur solche, welche links liefen, statt den Reichen die Hudeln, statt den Gesessenen Vagabunden, statt Frommen Heiden. Er meinte es ungefähr, wie es Jethro meinte, als er Moses den Rat gab: »Siehe dich um unter dem ganzen Volk nach tapfern, gottesfürchtigen, wahrhaftigen, geizhässigen Männern und setze über sie Oberste, die sollen das Volk richten. Wirst du dieses tun, so wirst du bestehen können und auch das ganze Volk und an seinen Ort kommen mit Frieden.« Etwas mehr lernen, um besser durch die Welt in den Himmel zu kommen als vernünftige Wesen, sei nicht bloß gut, sondern tue wirklich not, so meinte Benz. Daß man lernen müsse, um von der Arbeit weg ohne Mühe zu viel Geld zu kommen und um des Glaubens los und ledig und ein sogenannter Herr zu werden, das meinte er aber nicht. Nach und nach sah Benz, daß es nicht ging, wie es ihm wohlgefiel. Das ewige Rütteln und Schütteln behagte ihm übel, denn dabei komme nichts heraus, sowenig als es gute Ernten geben könnte, wenn es immer erdbebnete oder wenn man immer mit dem Pfluge im Felde wäre und ackerte. Der Landmann und alle Gewerbe müßten darunter leiden, am meisten das Land. Sobald politische Fragen auf dem Tapet seien, hätte man keine Zeit mehr für das, was dem Lande so not täte, bekümmere sich um gar nichts mehr, sondern stehe in den Kaffeehäusern herum und brülle, was in die Haut möge. Ein heillos Geld werde verschleudert, weil man untaugliche Leute wähle, nur weil sie die rechte Farbe hätten. Diese könnten machen, was sie wollten, es sei niemand da, der ihnen auf die Finger sehen wolle oder könne, eins von beiden. Ja, was man machen müsse, ziehe man auf die Politik, mache jede neu anzulegende Straße zu einer politischen Frage, ziehe sie nicht der kürzesten Linie oder dem bequemsten Terrain, sondern dem Land und den Häusern der Großräte nach. Auch die Schulen fange man an auf die Politik zu ziehen statt auf die Religion, mache die Kinder hochmütig statt demütig, entfremde sie dem Hause, lehre sie die Eltern verachten, führe alles aus, was die Eltern wüßten und täten, absonderlich die Bücher, welche sie im Hause hätten als die rechte Seelenspeise. Mit den Wirtschaften sauge man das Land aus, mit der schlechten Polizei verderbe und verführe man die Leute, die guten Gemeinden plage man, die schlechten lasse man wirtschaften nach Belieben, so wie man die schlechtesten Halunken behandle wie Kameraden, die Rechtschaffenen dagegen wie Feinde und Schurken. Man dürfe es nicht sagen, aber es sei doch fast so, als ob das Sprüchwort hieher passe: »Gleich und Gleichs gesellt sich gerne.«

So klagte Benz, hatte deswegen mit Hunghans manchen Strauß gehabt, der alles in Schutz nahm und verteidigte und meinte, das müsse so sein, das könne gar nicht anders sein. »Sieh, das geht nicht mehr wie ehemals; das war gut, wo es Landvögte gab, aber jetzt ist's anders, jetzt kann man nicht mehr so fahren wie ehedem, das würde auf diese Zeit passen wie eine Faust aufs Auge. Alles auf einmal kann man nicht machen, man muß billig sein. Geduld, es wird schon noch gut kommen, aber eins nach dem andern, nicht alles auf einmal. Und wer Freude hat am Klagen, wird immer was zum Klagen finden.« So fertigte Hans den Benz ab und konnte nicht hindern, daß ihm nicht unwillkürlich das Bewußtsein durchschimmerte, er, der Amtsrichter, verstehe die Sache, begreiflich, und Benz, der immer auf seinem Hofe sitze, begreife die Sachlage begreiflich nicht. Benz merkte das wohl, ließ sich aber auch nicht gerne so unter dem Bein durch und von oben herab abfertigen; er mied daher, mit Hans über solche Dinge zu reden. Zwei Bauren haben sonst Sprechstoff genug. Zwar mag es wirklich manchem gehen wegem Reden über Politik, wie man es mit dem Essen der Kartoffeln hat. »Was aßen die Leute, als sie noch keine Erdäpfeln hatten?« wird viel gefragt; »Mein Gott, was soll ich kochen, wenn ich nicht Kartoffeln habe?« wird viel geklagt. »Mein Gott, von was sprachen die Menschen, als sie noch nichts von Politik wußten?« und: »Mein Gott, von was sollte ich reden, wenn ich nicht von Politik reden soll?« kann man jetzt fragen.

Sie hatten indessen interessant den Nachmittag verbracht ohne Politik und kamen jetzt zu ihren Weibern in gutem Frieden. Lisi mußte sich recht zwingen, Hans mit freundlichen Augen anzusehen und nicht zu sticheln. An einem einzigen Worte hätte Hans ja merken können, daß seine Frau geklagt, denn wer ein böses Gewissen hat, hat gewöhnlich auch eine feine Nase. Gretli, die älteste Tochter, wartete auf. Gretli war ein flinkes, anstelliges Mädchen, hatte Augen, die was sahen, Glieder, die sich rührten, einen Verstand, der gut begriff, war hübsch, sein Vater reich, und was will man mehr von einem Meitschi? So meint's die Welt! Wir meinen es anders, wissen noch was, ohne welches wir das hübscheste und reichste Meitschi nicht mit einem Stecklein anrühren möchten. Doch davon wollen wir jetzt nicht reden, bloß sagen, daß dieses, was wir meinen, Gretli nicht fehlte.

Gretli war Hunghanse Frau, Gritlis, Patenkind oder Gotteli, hatte von ihr auch seinen Namen empfangen. Gritli betrachtete Gretli mit feuchten, freudigen Augen, hatte immer ein freundlich Wort für dasselbe, und noch durch die Türe durch schien sie ihm nachsehen zu wollen. Gritli hatte sein Gotteli schon als kleines Kind zu seiner Sohnsfrau gemacht und fast mehr Freude an ihm gehabt als an den eigenen Kindern. Gretli hatte sich auch mit besonderer Anhänglichkeit der Gotte angeschlossen. Wenn es sie auch nicht so liebhatte wie die eigene Mutter, so galt ihm doch ein freundlicher Blick, ein freundlich Wort der Gotte mehr als von der Mutter; monatelang vergaß es es nicht. Ob Gretli dabei noch weiter dachte, ob es über die Mutter weg nach dem Sohn schielte? Meitscheni, was meint ihr, tat es das? Und, wenn es es tat, war das nicht schlecht, schrecklich, pfi Tüfel!?

Lisi wußte, was ihre Freundin dachte, war damit einverstanden, ohne daß sie darüber viele Worte verloren. Lisi saß da, in mütterlichen Stolz gehüllt, ließ Gretli machen, musterte es bloß zuweilen mit einem kurzen, scharfen Wort wie ein guter Instruktor seine eingeschulten Hauptleute, Majoren und Kommandanten. Die Gotte konnte sich nicht enthalten zu bemerken: »Nit, nit, du bist zu scharf mit dem Meitschi. Das macht ja mehr, als ihm möglich ist. Denk, wie jung und ob wir in diesem Alter gemacht hätten, was es! Du bist glücklich, daß du Meitscheni hast, die für dich einstehen, und nicht Buben, von denen man nichts hat als Verdruß.« Da sah Hans auf, Lisi fiel mit einer guten Frage dazwischen, und Gritli verschloß ihr jammervolles Herz wieder, welches unwillkürlich aufgesprungen war. Gretli war der Blitzableiter, und Lisi erzählte, was es alles mache, freilich mit einigen Glossen über Flüchtigkeit und Vergeßlichkeit der Jugend, und wie denn doch jemand hinter ihm sein müsse, der den Tätsch gebe. Von wegen so ein Meitschi werde denn doch nicht gehörig ästimiert und könne oft lange befehlen, ehe jemand ihm gehorche.

Als das Meitschi mit Auf- und Abtragen fertig war, der Wein in der großen, blanken Flasche auf dem Tische stund, da machte es die Hebe, schenkte ein, gab schalkhaften Bescheid auf schalkhafte Fragen, so daß es einen recht freundlichen, hellen Abend gab, wie oft nach den schwersten Regengüssen die Sonne am lieblichsten scheint. Der Abschied war sehr freundlich und wurde mit dem Versprechen besiegelt, daß Ankenbenzen nächstens hinunterkommen und wieder einziehen wollten, was sie jetzt ausgegeben.

Als am Abend Benz und Lisi allein waren, sagte der erstere: »Hör du, wie leid Hanse Frau doch aussieht, es ist ein Elend. Ist sie krank, oder fehlt ihr sonst was? Sie wird es dir wohl gesagt haben.« Nun erzählte Lisi, richtete seinen Auftrag aus und bat dringlichst, daß Benz da helfen möchte. »Es ist auch noch wegen uns«, setzte es hinzu. »Du weißt, wegen Gretli; das wäre mir doch zuwider, wenn die Buben sich ans Lumpen gewöhnten und meinten, es stünde ihnen auch wohl an, wessen man sich bei dem Schreibervolk nicht achtet. Red mit ihm expreß, wenn es sich nicht ungefähr gibt, und allweg mach, daß er nicht Ratsherr wird! Sag ihm, wenn ihm die Frau lieb sei, solle er es bei Leben und Sterben nicht annehmen, sonst habe es gefehlt.« »Los, Frau, darein mische ich mich nicht«, sagte Benz. Es wurde Lisi fast übel, als Benz so sprach, es mußte absitzen. »So, das ist schön«, sagte es endlich, »da sieht man jetzt, wie lieb euch eure Weiber sind. Je eher ihr der alten los seid, desto eher könnt ihr eine andere nehmen, eine junge oder eine reiche, je nachdem ihr eine nötig habt. Schlecht ist schlecht, aber am schlechtesten ist doch das Mannevolk, schlechter nützte nichts; das, Benz, hätte ich doch von dir nicht geglaubt. Wenn ich schon nie viel auf den andern gehabt, so meinte ich doch, du seist was wert und hättest noch ein Herz für deine Frau.«

So bös hatte Benz sein Lisi noch nie gesehen. Endlich brachte er es zu Worten. »Dümmeres als so ein Weibsbild gibt es doch nichts auf der Welt«, sagte er, als er endlich zu Worten kam. »Wenn eins einmal in Hitz und Eifer ist, sieht und riecht es nichts mehr, ist akkurat wie eine ertaubete Katze. Wäre es dir recht, wenn ich Amtsrichter und Ratsherr würde?« »Probier's! Du solltest mir d's Herrgotts sein! Meine arme Teure, ich liefe dir nach wie ein Schatten; gingest du ins Schloß, ich käme mit, gingest du nach Bern, ich käme mit. Wo du bist, habe ich das Recht, auch zu sein. Haben wir doch versprochen auf dem heißen Steine, eins zu sein und einander anzuhangen im Leben und im Sterben«, eiferte Lisi.

»Das würde lustig gehen, wenn die Weiber täten, wie du meinst, da würde man erst nicht fertig, und manchem würde der Ratsherr übel erleiden«, sagte Benz. »Glaub du nur, es hielten viele Weiber viel darauf, und wenn sie mitkönnten, so säße der Rat das ganze Jahr, und ihre Haushaltung könnte sein, wo sie wollte!« »Das müssen dumme sein«, meinte die Frau. »Allweg wärest sicher vor mir, und Hans hätte seine auch nicht zu fürchten. Dazu wären uns die Kinder zu lieb. Wenn die Väter ihnen nichts nachfragen, wen haben sie, der sich ihrer noch annimmt als die Mütter?« sagte Lisi. »Wenn die nicht noch einen guten Blutstropfen haben, dann gnade Gott den armen Kindern!«

»Lisi, nit«, sagte Benz, »tu nicht so, nimm Vernunft an! Du weißt ja, wie Hans und ich es hier haben. Einer von uns muß gewöhnlich ans Brett; ist's nicht der eine, ist's der andere. Wäre Hans nicht Amtsrichter geworden, hätte man mich gewählt, wird er nicht Großrat, kömmt alles auf mich dar. Das weiß Hans so gut als ich und auch du, wenn du willst. Hans ist lieber bei solchen Dingen als ich, kann es auch besser. Er hat Buben, und vielleicht macht es ihm die Frau daheim auch nicht ganz kurzweilig. Will Hans nicht Großrat werden, kommt man auf mich dar, und hättest du es gerne, wenn ich es würde? Das weiß Hans wohl, wie es ist. Rate ich ihm nun ab, so muß er meinen, ich tue es um meinetwillen, um mir ein Loch zu machen. Nehme ich es nachher auch nicht an, so hat er doch das Mißtrauen, und die ganze Gemeinde wird böse über mich, und ich muß es entgelten auf alle Weise. Dann, sieh, ist noch etwas, warum ich nichts dran machen kann. In die Sache kömmt je länger, je mehr Eifer, dieser Eifer ist die Hauptsache, dem rechten Grunde fragt man wenig mehr nach. Es wird gezankt auf Leibes Leben um des Kaisers Bart, und d's Vaterland kann zu sich selbsten sehen, so gut es kann. Wenn Gott es nicht besser mit uns meinte, als wir es verdienen, wir säßen längst im Elend. Es ist ein Parteiwesen, man glaubt es nicht, und gespannt wird gegeneinander je länger, je mehr. Nun ist Hans von der einen Partei und ich von der andern. Hans hat es mit der luftigen Herrenpartei, will obenaus, die ganze Welt fressen, will alles anders von z'hinderst bis z'vorderst, aber wie er es eigentlich will, weiß ich nicht. Ich bin nicht von dieser Partei, sondern halte es mit den gesessenen Leuten, will bessern mich und um mich, was zu bessern ist, wie Verstand und d'Sach es zulassen und mehr nicht, daneben zufrieden sein, Gott danken für das, was wir haben, und beten, daß es nicht schlimmer komme, jedem gönnen, was er hat, und tun, was Pflicht ist, arbeiten, die Kinder recht erziehen, daneben Gott vertrauen, selb ist meine Meinung. Hans weiß dies so gut als ich. Sag ich daher etwas von Nicht-Annehmen, so zieht es Hans auf die Partei und meint, es sei mir auch deretwegen und nicht wegen ihm, und wäre imstande, mich bei seinen Kameraden auszulachen, wie ich ihm schlau eine Falle gestellt, welche er hätte abtrappen sollen, aber diesmal sei er mir schlau genug gewesen. Begreifst jetzt, warum ich mich in die Sache nicht mischen darf, so leid es mir tut? Wenn Hans nur nicht so der Trabant derer wäre, welche am Brett sind und alles erzwängen wollen, nicht so ihr Weibel machte und das Spielen und Trinken sein ließe, so wäre er der rechte Mann da, wo er ist. Jemand muß und soll dabeisein, und Hans vermöcht's und hätte den Verstand dazu, wenn er sein selbst wäre und den Nutzen vom Land einsehen könnte. Aber eben da fehlt es, er ist im Garn, sie haben ihn gelockt und angedreht, wie es der Teufel armen Seelen macht, und jetzt haben sie ihn.«

Lisi ergab sich nicht so leicht, obgleich es Benz' Vorsicht billigte. Lisi begriff aber die Parteimacht über den einzelnen nicht so recht und das daherige Parteimißtrauen gegen jeden, der einen Angedrehten aus dem Netz lösen wollte, und zwar nicht von ferne aus politischen Gründen, sondern allein aus Wohlwollen für seine Person oder seine Familie. Lisi meinte, wie es wäre, wenn man die ältern Kinder hinter Hans schickte. Benz wehrte: erstlich sei es nicht recht, und zweitens scheine es ihnen anständig zu sein, wenn der Vater nicht so viel daheim sei. »Sie lieben auch zu machen, was sie gerne wollen, und Hans darf nicht mehr sagen, was er sollte. Das ist eben das Unglück, daß, wenn der Vater vom Hause schlägt, er den Buben die Zügel auch nicht mehr ziehen kann, wie er sollte.« »Kannst du ihnen aber nicht einmal ein Kapitel lesen? Benz ist dein Götti«, meinte Lisi. »Selb könnte ich vielleicht«, meinte Benz, »wenn es Gelegenheit gibt. Ein Wort so im Vorbeigang zieht oft mehr als ein Kapitel. Daneben wird es nicht viel abtragen. Die armen Leute sind auch in der Verblendung und meinen, Guttun und Arbeiten sei altväterisch. Es sei jetzt eine andere Zeit, so müsse man auch anders tun, man sei nicht mehr Knecht und Untertan, sondern frei und selbst Herr. Somit könne man frei leben, jeder, wie es ihm gut dünke, verfluchten Zwang brauche man sich nicht mehr antun zu lassen.«

»Das erfährt man leider«, sagte Lisi, »an jedem halbbatzigen Jungfräuli. Sie laufen lieber hungerig und barfuß umher, als in einem ordentlichen Platz es auszuhalten, wo sie, gäb wie leicht, angebunden sind. Aber selb muß doch ändern, sonst kömmt es nicht gut. Wie wär's, wenn man sich hinter den Doktor stecken würde? Wenn der Hans sagte, die Frau stünde es nicht aus, Hans blieb doch daheim.« »Wer soll mit dem Doktor reden?« frug Benz. »Der, welchen Hans jetzt braucht, gehört auch zur Bande, ist der ärgste Narr von allen, hat kein Gewissen und keine Religion, der würde bald mit dem Sprüchlein kommen: ›Mag sie es nicht ertragen, so sterbe sie doch in Gottes Namen, gäb so ein blöder Kratten mehr oder weniger!‹ Hans hat es dann auch wie jener, der einmal zu einem Ratsherrn in B. kam und ihm auf die Frage: ›Wie geht es Euch?‹ antwortete: ›Recht gut, Herr Ratsherr, recht gut, kann gottlob zufrieden sein.‹ Da sagte ihm der Ratsherr: ›Glaub's by Gott wohl, Ihr syt e Witlig!‹ Wenn wir ihm was sagten, würde er alsbald sagen: ›Ankenbenz hat gemeint, ich sei dumm. So ein Bauer meint doch, nur er habe eine Nase zum Schmöcken. Hat er nicht gemeint, ich solle Hunghanse abraten, sich wählen zu lassen! Er wäre gerne selbst Ratsherr geworden und wird gemeint haben, er könne mich fangen. Aber dem bin ich noch schlau genug!‹ Gritli könnte es ihm selbst sagen, aber es würde nicht viel nützen, zähl darauf!«

»Aber«, sagte das unabtreibliche Lisi, »könntest nicht machen, daß ein anderer gewählt würde?« »O Weiber, Weiber!« sagte Benz. »Nicht umsonst hat der Apostel gesagt, daß die Weiber schweigen sollen in der Gemeinde. Aber was hilft's, daß sie dort schweigen, wenn sie daheim den Männern Listen und Ränke in die Ohren blasen? Ich weiß wohl einen, der es gerne wäre, der könnte es wohl sein ohne Schaden daheim, und wegem Vaterland ist's das gleiche, sei Hans darin oder der: er lüpft wie Hans aufs gleiche Kommando, und einen andern bringen wir nicht z'weg aus unserer Gemeinde, und aus dieser soll es einen geben. Die guten Tröpfe meinen, wenn sie einen aus der Gemeinde drinnen hätten, so wären alsbald alle Schäden geheilet. Ja, einer drinnen kann zuweilen was machen, wenn er ein Mann darnach ist, Einfluß hat, bald zu schmeicheln, bald den Teufel im Gütterli zu zeigen weiß. Aber diese Vögel sind rar. Die meisten drinnen werden hundertmal über den Löffel balbiert, ehe sie es einmal merken. Ob man einen Märitstecken hineinschicke oder einen solchen, es kömmt exakt auf eins heraus, nur daß man so einen Märitstecken weder zum Spielen noch zum Saufen dressieren könnte. Anfangs war es nicht so, aber was ich höre, gefällt mir je länger, je weniger. Statt der ehrbaren Leute kömmt mehr und mehr junges Volk und allerlei G'hüder von Schreibern und der Gattig hinein, und kurz, es gefällt mir nicht. Darum schicke man Niggis Peter, an dem ist nichts mehr zu verderben, und Kinder hat er keine. Aber wie gesagt, viel daran machen kann ich nicht, denn, wenn Hans so etwas merken würde, er verzöge es mir sein Lebtag nicht.«


 << zurück weiter >>