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Hanse Mutter klagte, kränkelte, dökterlete ununterbrochen und wurde zusehends schwächer. Gritli hatte den großen Fehler, beständig Arzt zu wechseln. Hörte es von einem berühmten zehn Stunden weit, es mußte nicht zu machen sein, sonst ließ es Zeug von ihm holen und brauchte es längere oder kürzere Zeit, je nachdem es ihm wohl oder übel machte. Jedoch, da es von nichts gesund wurde, wechselte es sicherlich nach vierzehn Tagen wieder. Zudem brauchte es noch zwischendurch, was alle Weiber, welche zu ihm kamen und akkurat die gleiche Krankheit gehabt haben wollten, als unfehlbares Mittel ihm angaben. Endlich traf es auf einen Arzt, der b'sunderbar wohl für ihns war und dem es ungewohnt lange treu blieb. Derselbe zeigte viel Teilnahme, bedauerte es sehr, vernütigte keine seiner Klagen, bestätigte sie alle, sagte dann aber: es sei nicht alles verloren, er habe schon Hunderten geholfen, welche viel schlimmer z'weg gewesen. Aber es sei ein großes Glück, daß es noch zu rechter Zeit zu ihm gekommen, das habe ihm sicherlich Gott eingegeben, einen Tag später hätte er nichts mehr machen können. Alles komme jetzt darauf an, daß es den Sommer erlangen möge, dann müsse es ihm in ein Bad, nach Weißenburg oder in den Gurnigel, und recht ausgeputzt werden, dann werde es ein ganz neuer Mensch, es solle nur darauf zählen.
Nebenbei mahnte er die Söhne, sie sollten Verstand haben mit der Mutter, sonst töte es sie, selb würden sie doch nicht wollen, denn sterbe die, nehme der Vater eine andere, darauf könnten sie zählen; solange Gott nehme, nehme er auch, das sei gerade der Rechte dafür. Da hätten sie eine Stiefmutter, und kriege die Kinder, so seien sie hier übrig und könnten sehen, wo sie z'Platz kämen, oder nach Amerika, wo man Hausplätze, soviel man wolle, haben könne für drei Kreuzer und die nötigen Geißen geschenkt bekomme.
Hans dem Alten sagte er: Er täte besser, er bliebe daheim und überließe nicht die ganze Last seiner schwachen Frau. Hier sei sein Platz, hier verdiene er was, drinnen tue er nichts als den Flegel stellen (zum Stimmen die Hand aufheben) und leeres Stroh dreschen. Ob er drinnen sei oder nicht, dem frage kein Hund was nach; hier aber fehle der Meister, wenn er drinnen d'r Löhl mache. Drinnen verdiene er nicht nur nichts, sondern verbrauche sein eigen Geld; was ihm hier zugrunde gehe, das wisse er nicht einmal. Von einer andern Sache wolle er nur nichts sagen. Früher habe man über die vielen Garnisonen geklagt und daß die Buben drinnen das Geld verklopften, die Gesundheit verlören und alles Schlechte lernten. Wie es jetzt gehe, möchte er wissen. Die Buben nehme man ja viel strenger, alle fingerslang müßten sie fort, bald für dieses, bald für das. Ehemals sei doch noch Zucht gewesen, da habe man von Gehorchen etwas gewußt; jetzt solle einer probieren, Ordnung zu halten, der Wüstest sei der oberst. Aber zu den Buben nehme man jetzt noch die Manne hinein all fingersläng, und was das könne, habe schon manche Haushaltung erfahren und manche Frau erschmöckt.
Man kann begreifen, daß dieser Arzt sich bei den Häuptern des Hauses nicht besonders beliebt machte. Hans der Alte fluchte über ihn, es sei ein D... Konservativer, die sollte man bei den Beinen aufhängen, absonderlich Ärzte, welche weit herumkämen und meinten, sie hätten von Gottes wegen das Recht, allen Leuten zu sagen, was ihnen in die Gosche komme, und wo die Leute es annähmten aus Furcht, sie könnten sonst einmal ein Tränklein bekommen, wohl bitter oder wohl stark. Wenn er mehr daheim wäre, so wollte er den bald forthaben, daneben werde er bei seiner Frau nicht viel schaden; wenn sie mit ihm zufrieden sei, möge er es ihr gönnen, und wenn sie weniger zu klagen habe, sei man auch weniger mit ihr geplagt. Hans der Junge haßte ihn ebenfalls, kehrte sich aber an keine seiner Mahnungen, wenn es ihm auch am übelsten erging, wenn sein Vater anders heiraten sollte. Hans war eben im Rausche, achtete sich des Arztes Reden nicht so weit, daß sie Einfluß auf sein Betragen gehabt hätten; er sagte bloß, wenn es sich ihm einmal wohl schicke, so schlage er dem Donner beide Beine abeinander. Benz war der einzige, der Ohren hatte und wirklich auch hörte. Er war von Natur der Gemütlichste und zudem am wenigsten im Rausch, sah also die Dinge, wie sie waren, und hatte das unbefangenste Urteil; überdem genoß er von dem gegenwärtigen Glück am allerwenigsten und war dabei soviel oder mehr als jeder andere beteiligt. Er gab der Mutter kein böses Wort mehr.
Das scheint blutwenig und ist doch viel, namentlich für den, welcher sonst von allen andern böse, wenigstens keine guten erhält. Das fühlt niemand tiefer als kränkliche Leute und vergelten es nach ihrem Vermögen. Gewöhnlich besteht das zwar nur in Worten: wie das und das b'sunderbar gut sei, wenn man etwas wolle, sei es nie nein, und b'hülflich und von gutem Bescheid grusam. Diese Worte haben aber einen guten, gewichtigen Klang und reden noch fort, wenn der Mund, der sie ausgesprochen, längst erkaltet ist. Schon gar oft hat bei einem Meitschi einem Burschen niemand so eindringlich z'Best geredet als die Kunde: »B'sunderbar e Gute isch er gege sy Mutter g'si, si het ne g'rühmt, solang si het chönne rede; u wo si nimme chönne het, het si noh nah ihm g'längt u ne ag'lueget, bis ere d'Auge broche sy.« Das ist kein unrichtiger Schluß, wenn auch allfällige Rechtsgelehrte viel dagegen einzuwenden hätten mit wenn und aber, jedoch und dennoch. Wer gegen seine Mutter gut war, ist gewiß auch gegen seine Frau kein Hund, besonders wenn die Frau keiner gegen ihn ist.
Nun, mit Hülfe des Arztes erlängte Gritli den Sommer, und vom Bad war je länger, je mehr die Rede. »Lue, Fraueli«, sagte der Arzt, »ins Bad mußt, sage nur, wo du willst, Weißenburg, Gurnigel, Niederbaden, das sind die Hauptbäder, die andern sind nur ganz sekundär. Ich für mich glaube, Weißenburg wäre am besten für dich.«
Beiläufig gesagt, es ist sehr merkwürdig, wie mit dem Schicken in Bäder manöveriert wird. Es ist oft, als ob sie eigentlich ganz neutral wären, so ein angenehm Passetemps sowohl für den Kranken als den Arzt. Doch ist das offenbar nicht, besonders bei den Hauptbädern nicht. Wie wär's daher, wenn die Ärzte die Bäder und ihre Heilkräfte etwas besser in Kopf kriegten, als es zuweilen der Fall zu sein scheint? Wir glauben wirklich, es könnte nichts schaden und es wäre wirklich besser, wenn der Arzt das Bad bestimmen würde, statt es den Patienten auslesen zu lassen. Die messen des Bades Kraft oft gar sonderbar, nach längern Fischen zum Beispiel, dickern Krebsen, weißerm Kalbfleisch, festerm Kopfsalat, grünern Erbsen und zartern Bohnen; von Spiel und Damen, Finanzen und Aussichten wollen wir nicht einmal reden.
Diese Aussicht auf das Bad stärkte Gritli bedeutend; was mußte erst das Bad selbst für Wirkung tun? Es zog seine Gedanken an sich, beschäftigte ihns angenehm, es hatte daher auch weniger Verdruß, und dies ist in solchen Gesundheitsumständen die Hauptsache. Der Herr Amtsrichter kümmerte sich einstweilen um die Sache wenig. Wenn Gritli davon redete und etwa frug: »Was meinst, wo soll ich hin, welches wär das besser?«, so sagte er: »Meinethalben geh, wo du willst, oder wart, bis es Sommer ist; es ist dann noch immer früh genug, davon zu reden.«
Hans war ein Staatsmann geworden, er mied einläßlichen Bescheid; er hatte gehört, es sei schon geschehen, daß man sich mit solchem verfänglich gemacht. Er lebte fast nur noch politisch, ausgenommen wenn die Sitzungen aus waren, dann ließ er sich gerne Wohlsein hinter einer Gans oder einem Hasenpfeffer oder auch ohne dieselben bei der »Hintern Tugend«. Er hatte sehr bedeutenden Einfluß, und wenn man ihn hörte, ward einem ganz wohl ums Herz und zumut, als ob man Fecken hätte und schon morndrist fliegen könnte. Denn Hans strich die Zukunft wie goldgelben Anken und honigsüßes Hung aufs Brot. Er behauptete, wenn sie das Ruder nur vier Jahre in Händen behielten, so kenne man das Land gar nicht wieder, so schön sei es geworden: der Bauer ohne Abgaben, der Ackerbau im Flor, der Handel im Flor, Geld zum Fressen, keine Armen mehr, denn die Armentellen seien abgeschafft; wer es nicht selbst machen könne, dem werde man sonst helfen, bis er mehr als genug habe. Der Landmann müsse einmal auch wissen, was leben sei, er habe lange genug bös gehabt und sei der Hund im Kegelspiel gewesen. Wenn ihn dann zuweilen ein Vorwitziger fragte: »Aber Hans, woher das Geld zu dem allem? Es kostet alles Geld, und es regiert niemand umsonst«, so sagte Hans: »Habe nicht Kummer für alte Schuhe! Für das haben Witzigere als du längst gesorgt. Es haben bisher gar viele nichts gezahlt, die Reichsten nichts, die müssen jetzt füremachen, denen nimmt man das Hung. Es ist nichts als billig, daß einmal nicht mehr die armen Schuldenbürli, sondern die Kapitalisten, die Blutsauger, Patrizier und Städter zahlen müssen; die haben sich lange genug gemästet, die müssen jetzt einmal auch wissen, daß ein anderer Meister ist; jetzt muß endlich vaterländisch beutleret werden, zuerst gesagt, sie hätten gestohlen, dann ihnen das Geld genommen von Rechts wegen.
Mit solchen Reden unterhielt Hans die Leute unbeschreiblich angenehm und verschaffte sich einen unbegrenzten Einfluß. Das sei einer, hieß es, so einen hätte man längst haben sollen, dann hätte man nicht so lange hunden und raxen müssen und doch kaum das Leben davongebracht. Der meine es gut mit dem Vaterland und allen Leuten, den müsse man machen lassen, dann komme es gut. Die guten Leute hatten ganz vergessen, daß Versprechen und Halten zwei sind und daß die Versprechen von allen Arten sich gegenseitig aufhoben. Denn quält man die Kapitalisten, so bringen sie sich und ihr Geld in Sicherheit; dann haben die, welche Geld bedürfen, das Nachsehen, der Verkehr stockt, der Verdienst hört auf. Sind keine Reichen mehr, geht es den Armen übel, und wenn niemand Armentellen oder Armentaxen zahlen soll, was sollen dann die Armen anfangen? Soll sie der Staat erhalten? Aber aus was, wenn keine Abgaben mehr bezahlt werden? Keine Kuh auf der Welt gibt ewig Milch aus eigenen Mitteln, sondern muß jeweilen fressen, wenn sie bei der Milch bleiben soll. Da konnte man sehen, wie der Mensch ein gebornes Babi ist; Babeni glauben bekanntlich alles, was ihnen wohltut da oder dort, und sonst nichts.
Einstweilen hätte man an Hans selbst sehen können, wie weit er von dem Zustande entfernt war, den er den andern versprach. Aber man sieht nicht bloß nicht in die Menschen hinein, man sieht auch in gar viele Häuser, in gar viele Verhältnisse nicht. Ja, wenn man in viele Häuser hinein bis z'hinderst sehen könnte, ich glaube, es würde einem g'schmuecht, daß man abliegen müßte. Da würde man nicht bloß sehen, wie es an vielen Orten fix ist, aber innen nix, man würde zur Einsicht eines Mangels, eines Elendes kommen, von dem man sich keinen Begriff macht, das man am allerwenigsten da, wo man es findet, erwartet hätte.
Hans war kein Josua, der die Sonne stellen konnte. Der Sommer kam, ehe man daran dachte, und Gritli sollte ins Bad nach Weißenburg, wo man gar wohl sei, wie es hieß, und nicht so schmürzelig z'esse wie nicht weit davon in einem andern Bade. Man sehe da, die Leute gönnten es den Gästen. Plötzlich fing Hans an, nicht mehr uneinlässig zu reden, sondern einläßlich. Er sehe nicht, was so eine Badefahrt abtrage, als unnütz Geld zu verklopfen. Müßte es gebadet sein, so habe man hier auch Wasser; müsse es Wasser gesoffen sein und sei das hiesige nicht gut, so könne man kommen lassen. Der Bote fahre alle Dienstage auf Bern. Es sei jetzt nicht an der Zeit, das Geld so unnütz zu verschlenggen, und dann müsse auch jemand daheim sein, um zur Sache zu sehen. Mit den Bädern sei es bloß Mutwille und Hoffart, und Narr genug sei er nicht, dafür Geld auszugeben, er hätte es an nötigern Orten zu gebrauchen, wenn er welches übrighätte.
Aber der gute Hans hatte eben keines übrig, sondern in alle Wege immer viel zuwenig. Der Hans, der den andern goldene Zeiten versprochen, daß die Schuldenbürleins glaubten, sie würden in wenig Wochen Millionärs, und die Taglöhnerweiber zu werweisen anfingen, ob sie ihre Mädchen zur Konfirmation in Seide oder in Sammet kleiden wollten, der Hans, der einen prächtigen Hof besaß und Gülten dazu, ward immer geldnötiger; die neue Zeit und das neue Leben und der Fortschritt schlugen übel bei ihm an. Es war ein sehr merkwürdiger Gegensatz zwischen Hanse Versprechungen und seinen eigenen Erfahrungen. Indessen irrte ihn dies nicht in seinen Redensarten, und andere sahen einstweilen nicht ins Spiel. Aber gespart sollte werden, wie er meinte. Es ist selten ein Verschwender so groß, daß er nicht ans Sparen denkt, ja sehr oft geschieht es, daß je mehr Mann oder Frau Geld verschleudern für ihren Leib, ihre Lust, ihren Hochmut oder für irgendeine Narrheit, sie dest wüster daheim sind, an anderer Maul es ersparen möchten. Nicht von ferne denken sie daran, das geldverschlingende Loch zu verschoppen; den Fehler suchen sie nicht am rechten Ort, sondern an dem oder an denen, an welchen ihnen am wenigsten gelegen ist, suchen sie mit aller Härte Schadens einzukommen. Da kömmt die brutale, gemeine Selbstsucht so recht klar an Tag, und zwar unter Zwillich und Halblein wie unter Seide und Sammet hervor. Unser Hans dachte nicht an sein neu, geldfressend Leben, Kapitale aufzukünden war ihm wie Gift unter der Nase, bei Ankenbenz Geld zu leihen war ihm in der Seele zuwider, er sollte ja droben längst zurückzahlen und konnte es nicht, und dünn sah es in den Schubladen seines Bureau aus. Sonst war dort das Geld sortiert gelegen. In einem Schublädchen war die Münze, in einem andern das kleine Silber, in einem andern die Brabänter Taler, in einem vierten die Fünffrankenstücke usw., jetzt hatte alles zusammen in einem mehr als Platz, und in keinem fand sich was überflüssiges für eine Badefahrt der armen Gritli.
Nützen oder Nichtnützen läßt sich in Umständen, in denen Gritli war, gar nicht fragen. Erstlich weiß eigentlich, gründlich genommen, kein Mensch, nicht einmal der Arzt, ob es nützt oder nicht nützt in Beziehung auf die Krankheit. Jedenfalls nützt eine Abwechslung, eine Badefahrt in Beziehung auf das Gemüt, bringt neuen Trost, neue Hoffnungen, frische Luft, andere Umgebungen, entfernt von den Haussorgen und gibt Zerstreuung usw. Nun, es läßt sich nicht allerwärts tun, aber bei dem Verbrauch, den Vater und Sohn sich erlaubten, und bei dem Reichtum, den Gritli eingekehrt, konnte es auf eine solche Kur billig Anspruch machen, und sollte sie hundert Taler kosten.
Hans sagte freilich nicht, es reue ihn das Geld, aber Gritli war nicht dumm, und in gewissen Krankheiten ist man noch dazu mißtrauisch, daß es keine Art hat. Das tat nun Gritli grusam weh, daß es das einzige im Hause sein sollte, an dem gespart wurde, dem man das Nötigste nicht mehr gönne. »Nichts gönnt mir der Uflat mehr«, dachte es oft bei sich, »als den Tod, es wird ihn dünken, wenn ich nur schon untere wäre. Aber z'G'falle täte ich es ihm jetzt nicht; es wäre ihm nur, daß er wieder eine andere nehmen könnte, eine Junge, Hübsche. Er wartete kaum, bis ich kalt wäre. Aber ich will ins Bad, alles zwängen wird er doch nicht. Ich weiß, was ich mache: Lisi muß mir helfen, das macht ihm Verstand, zähle er nur darauf!«
Sohn Benz erhielt den Auftrag, hinaufzugehen und Lisi um einen Besuch zu bitten, und zwar an einem bestimmten Tage, wo Vater Hans sicher daheim war. Benz ging halb gern, halb ungern hinauf. Ihn zog Gretli, welches er lange nicht gesehen hatte; das Meitschi hatte er nicht vergessen, hatte sich aber in seinen dummen Gedanken forsch gemacht, wie die Studenten sagen, hatte gedacht, einstweilen begehre er nicht zu heiraten, er sei noch zu jung, und davonlaufen werde ihm das Meitschi nicht, und laufe es, so könne es seinethalben laufen, er finde hinter jedem Zaun ein anderes. Aber es regte sich doch etwas wie böses Gewissen in ihm, er konnte gar nicht mit sich einig werden, wie tun, wenn er einmal oben sei. Er stellte sich unwillkürlich vor, Gretli werde die erste Person sein, an die er oben laufe. Je näher er kam, desto größer war der Zwiespalt in seinen Ansichten über das Gesicht, mit welchem er ihm begegnen wolle. Er war oben, er hatte sich noch nicht entschlossen. Glücklicherweise sah er auch kein Gretli weit und breit, sah niemanden, bis er über den Gartenzaun sah; dort war die Bäurin und erdünnerte Salat. Das war ihm lieb, als er statt der Tochter die Mutter sah. Liebhaber haben es sonst umgekehrt.
Verwundert sah Lisi auf und machte Benz ein seltsam Gesicht. »Was bringt dich Aparts, daß man dich einmal auf der Ankenballe sieht?« frug Lisi. »Hab eine unsaubere Hand, sonst wollte ich sie dir geben, bist desohngeachtet Gottwillche.« Benz richtete seinen Auftrag aus, Lisi jätete fort, brachte durch Fragen Benz zum Reden. Endlich, als das Gartenbeet zu Ende gebracht war, stund es auf und hieß Benz ins Haus kommen. Er müsse pressieren, sagte der, er sollte schon daheim sein. »Flausen!« sagte Lisi, musterte ihn in die Stube, als ob er sein eigen Kind wäre, und stellte ihm Wein vor. Der Auftrag hatte ihns erschreckt, die Art, wie Benz ihn ausrichtete, diesen wieder in Gunst gebracht. Lisi sah, es hatte die beste Gelegenheit, sich über die Zustände im Hunghafen gründlich zu unterrichten, und zwar auf eine sehr erlaubte Weise.
Benz war früher auf der Ankenballe wie daheim gewesen, er war ein Patenkind des Hauses und sonst verwandt. Das Herz ging ihm auf, und was immer drückender auf demselben lastete, das Bedauern mit der Mutter, den Kummer über den Vater, den Zorn über den Bruder gab er an Tag. Er möge halten, wie er wolle, sagte er, er sehe nichts andres vor, als der Wagen falle um. Er müsse alles schlucken und alles machen; sage er ein Wort, sei das Feuer im Dach. Wenn die Mutter ihn nicht erbarmete, er hätte schon lange z'Krieg dinget. Die habe es aber noch viel böser als er, komme alle Tage mehr von der Kraft und sollte alle Tage mehr ertragen, alles leiden und zu keiner Sache was sagen. Daneben könne ihn der Vater auch dauren, daß er nicht einsehen könne, wo die Sache endlich hinausmüsse. So müßten sie in wenig Jahren erarmen, es sei nicht anders möglich, alle Jahre mehr brauchen und alle Jahre weniger verdienen. Es gehe in allem bös, auf dem Land und im Stall, und der Bruder sei ein hochmütig Kalb, das nichts verstehe, alles regieren wolle, und das größt Unglück sei, daß der Vater nichts an ihm sehe als Tugenden, großen Hochmut mit ihm treibe, statt ihn niederzuhalten und den Hochmut ihm zu verleiden.
Dem Benz war es, als rede er zu einer Mutter, das Tiefste in seinem Herzen gab er hervor; das war viel besser, als was er äußerlich sonst zeigte, es war ganz noch vom bessern Alten, gefiel Lisi wohl, versöhnte ihns ganz mit ihm. Die beiden wurden wieder Freunde, doch nicht aus Grund, daß sie einen Unschuldigen verrieten wie Pilatus und Herodes. Lisi versprach das Kommen und sagte Benz: »Warest lange nicht hier, warte nicht mehr so lange, hörst! Wenn es dich düecht, du möchtest kommen, so komm; kann ich was helfen, so weißt, daß ich es gerne tue.« Das wäre guter Bescheid, sagte Benz, er hätte ihn nicht erwartet, und wenn es erlaubt sei, werde er zusprechen. »So mach's!« sagte Lisi und ging wieder an sein Geschäft, aber zornig ging's mit seinem Küchengeschirr um; es schlug's herum, als ob's von lauter Eisen und Stahl wäre. Benz sah Gretli nicht. Es geht oft ganz anders, als der Mensch denkt, guten Menschen viel besser, als sie denken.
Die Ankenballen Bäurin stellte sich zur bestimmten Zeit im Hunghafen ein. Sie hatte ihre Kanone geladen bis z'vorderst, wie die Bursche an Hochzeiten die Katzenköpfe laden, wenn sie recht klepfen sollen. Sie wollte Hans zu merken geben, wie ihr nicht unbekannt sei, wo er seine Geldkatze verloren, welche mehr Geld enthalten, als seine Frau zu einer Badefahrt bedürfe, und wie er ein andermal in einem Walde wie ein Hase immer wieder aufgejagt worden sei, wie er sich auch habe versetzen mögen. Sie wollte ihn nach dem Weibergut fragen und ob es, seit er an der Regierung sei, Brauch geworden, daß die Männer den Abnutzen alleine vertun könnten, die Weiber nichts mehr davon hätten, verrebeln und verserben müßten; wäre eine saubere Regierung das! So wollte die Ankenballen Bäurin Hunghans im Fall der Not zu Leibe.
Die Hunghafen Bäurin hatte mit Blangen der Freundin geharrt, ging ihr entgegen, sobald sie dieselbe von weitem sah. Wie erschrak aber Lisi über den Anblick Gritlis, das so lang und blaß, mit so schweren Schritten, als sei es bereits bis an die Knie im Boden, ihm entgegenkam! »Gottlob, daß du kömmst!« sagte Gritli, »mochte fast nicht warten. Gäll, wie ich aussehe! Aber der Doktor sagt, wenn ich ins Bad käme, werde es schon bessern, und denk, der Uflat sagte mir erst gestern noch, ich solle nicht daran denken, es gebe es dieses Jahr nicht, vielleicht erst im andern, wenn das Korn mehr gelte. Dann brauche ich keine Badefahrt mehr, bin dann dem Elend los und aus dem Verdruß. Aber dauren tut es mich, daß ich allein das wohlfeile Korn entgelten soll, sich selbst bricht er kein Brösmeli ab, d's Kunträri. Er ist daheim, sage ihm die Sache recht und mach ihm den Marsch, er fürchtet dich am meisten. Sag dem Vater, die Gotte von der Ankenballe sei da!« sagte sie einem Kinde und führte diese ins Stübli. »Mutter, ich kann ihn nirgends finden, er ist nicht daheim«, berichtete das Kind. »Wäre g'späßig«, sagte Gritli, »redete ja noch erst mit ihm«, ging und suchte ihn, kam aber ohne Hunghans wieder. »Lue, so macht er's!« jammerte Gritli; »meint man, er sei einmal einen halben Tag daheim, ist er über alle Berge. Wahrscheinlich floh er dich, durfte dir nicht unter Augen kommen, wenn er schon an der Regierig ist.«
So war es wirklich auch. Hans war nicht dumm. Sobald er die Gotte von der Ankenballe von weitem sah, wußte er, was es geben sollte. »Bin nicht ein Narr und warte, weiß schon, was das geben soll. Lieber lasse ich sie ins Bad, als daß ich mir von der den Bart machen lasse. Und nützer ist's mir, ich mache nicht, daß sie mich auf die Trommel bringen; man hört gar weit, was Weiber austrommeln, und tönt nicht schön.« So tat er auch, fuhr rasch aus den Holzschuhen in andere, und ehe Lisi noch im Hause war, war er auf der andern Seite aus demselben und auf dem Wege, wo man den Leuten beim Hause am schnellsten aus dem Gesichte kam. Über das Wohin war er begreiflich nicht verlegen. Es müßte einer, der Amtsrichter ist und obendrein noch an der Regierung, dumm sein, wenn er nicht gewandt würde in Vorwänden und bekannt mit den Gelegenheiten, wo man sicher vor seinem Weibe ruhig absitzen kann.
Man kann sich denken, daß dieses Verschwinden des Delinquenten die Unterhaltung der Freundinnen nicht lähmte. Gritli ergoß sich in Klagen, und Lisi ward bald weich, bald zornig, weinte oder zerdrückte Kraftworte zuvorderst im Munde. Von einer solchen Herzlosigkeit und Liederlichkeit in einem Bauernhause hatte es noch nie gehört. Daß alleweil Leute verlumpten oder schlecht zusammen lebten, wußte es wohl, aber so recht ins Spiel gesehen hatte es nicht und, daß so etwas in einer solchen Familie begegnen könnte, nicht gedacht. Die gute Bäurin dachte nicht daran, daß, wie in den schönsten Körper eine Krankheit sich schleichen kann, welche die guten Säfte verzehrt, denselben in ein Gerippe verwandelt, dem Tode in die Arme führt, eine Krankheit in eine Familie schleichen, sich dort festsetzen kann, gleich dem Schwamm oder der trockenen Fäulnis in einem Hause, und alles verzehren, was Gesundes an Leib und Seele ist, Fleiß und Frömmigkeit, Ehre und Geld, Gewissen und Frieden.
»Sei es jetzt, wie es wolle«, sagte Lisi, »gehen mußt. Sag deinem Mann, ich hätte nicht geglaubt, daß mit Hunghans es so weit kommen könne, daß er einer Frau nicht mehr unter die Augen dürfe. Aber helfen solle ihm das nichts; befiehlt es der Arzt, so müßtest du ins Bad, habe er nicht Rosse und Geld dazu, so hätten wir beides, und mein Mann müsse dich führen. Sagten die Leute darüber, was sie wollten, ich früge dem Gerede der Leute nichts nach, er frage ihm ja auch nichts nach, sonst täte er anders.«
Lisi hätte für sein Leben gerne, da der alte entronnen, wenigstens dem jungen Hans, dem Leutnant, dessen Sündenregister es ziemlich auswendig wußte, den Kopf gewaschen, aber der zeigte sich ebenfalls nicht in Schußweite; er wußte, was Lisi konnte. Hans war ein gewaltiger Bramarbas, ganz nach dem Muster unserer jungen Staatsleute, welche daheim die Preußen zu Tausenden fressen ungekocht, dieweil sie wissen, daß sie nie vor ihr Angesicht kommen werden. So eine resolute Bäurin mit Herz und Mund am rechten Orte ist aber ein noch ganz ander Stück Mensch als so ein dünner Preuße, selbst wenn ihm ein Helm auf dem Kopfe sitzt; so eine Bäurin führt Kartätschen im Munde, ist selbst unverwundbar, ihre Worte gehen nicht bloß durch Mark und Bein, sie gehen durch Dorf und Gau, sie gehen über Berg und Tal.
Lisi mußte mit der geladenen Kanone wieder den Berg auf und trug schwer daran, war froh, daß es droben den Schuß ausziehen, das heißt Benz erzählen konnte, was es gerüstet gehabt und wie es ihm ergangen. Es glaube nicht, sagte es, daß Gritli noch zu helfen sei, das sei zu weit gegangen. Wenn das Bad ihm schon etwas helfe und es komme wieder heim in den Gallenhafen, so sollte künftig der Hof heißen, so sei es im alten. Der Ärger töte es, die Unfläte mordeten es an Leib und Seele durch den beständigen Verdruß und daß es mehr machen sollte, als es möge. Es könne es nicht anders einsehen, als daß das gemordet sei von innen, wenn man auch von außen keine Hand anlege. Gegen solche Männer sei der alte Blaubart noch ganz manierlich, der mache es doch kurz und gut und martere nicht jahrelang, wie Buben Fliegen und Käfer marterten. Jedoch müsse es ins Bad; tue man einem Missetäter seinen letzten Willen, ohne zu fragen, was es nütze und was es koste, so wüßte es nicht, warum einer kranken Frau, welche solche Mittel eingekehrt, ihre Wünsche nicht sollten erfüllt werden. Es habe Hans sagen lassen, es müsse sein; vermöchte er es nicht, so vermöchten sie es und hätten Rosse im Stall, Gritli zu führen.
»Frau«, sagte Benz, »das war wohl grob. Denk, was das ist, so in eine andere Haushaltung hineinbefehlen; denk, was du sagen würdest, wenn eine andere Frau uns also kommandieren wollte! Du wärest die erste, welche auf die Hintern stünde.« »Alles mit Unterschied!« sagte Lisi. »Ja, wenn eine käme und mir über die Küchentüre hinein den Marsch machen wollte, wieviel ich von meinem Anken nehmen müsse für eine Suppe und wieviel von meinem Mehl für einen Brei, so würde ich der den Stand wohl weitergeben und sagen, sie solle ihre Nase in ihre Pfannen stecken. Aber es handelt sich hier nicht um einen Brei und nicht um eine Suppe, sondern um einen Menschen, und wunder nähmte es mich, ob sich, wenn man sieht, wie man jemanden verreblen und verserben läßt, niemand einmischen, einem kranken, verwahrlosten Menschen zu Hülfe kommen dürfe.« »Warum nicht!« sagte Benz, »die, wo es angeht, allweg, aber wo es einen nicht angeht, da soll man sich auch nicht einmischen, sonst kömmt man dreckig weg.«
»Aber Benz, wie kannst reden so dumm und wüst! Ich müßte mich deiner schämen mein Lebtag, wenn dich jemand hörte. Bist nicht gescheuter als so? Ja, so redet man heutzutage, wo es so schön geht in der Welt. So redet die Regierung. Wo sie helfen sollte, ist sie nirgends daheim, bloß wo sie regieren und kujonieren kann. So redet die Gemeinde, da geht sie auch nichts mehr an; jeder kann machen, was er will, und tun, wie er will, wenn er steuert und teilet. So redet alles vom Größten bis zum Kleinsten; keinen geht es was an, wenn dem Nächsten soll geholfen werden, und wenn man schon erkennt, es wäre nötig, so schiebt es einer auf den andern. Aber ist das christlich, Benz? Hast vergessen, was es heißt vom barmherzigen Samariter und daß der der Nächste sei, der Gelegenheit habe zu helfen? Ich möchte dich doch fragen: habe ich nicht das Recht, meiner Base und Gevatterin an die Seite zu stehen und zu reden für sie, wenn sie mißhandelt wird, und zu handeln für sie, wenn sie mißhandelt wird? O Benz, wie het's d'r böset, was bist für e Fösel, für e Höseler, für e Blütterlüpf, für e Züttel worde! B'sinnst dih allbets, wo du jung warest und noch auf die Gasse gingest, liefst du auch heim, wenn dein Kamerad Schläge bekam, ließest du ihn im Stich, und wenn ihrer sieben auf ihm waren? O nein! Damals warest du ein braver Benz, damals rührtest du dich, hieltest den Kopf dar, und sollte er eingeschlagen werden. Jetzt solltest du ein Mann sein und jetzt, was bist? E Fösel, e Höseler! Man soll den Mund nicht auftun, soll einer Base und Gespielin nicht helfen, weil es einem nichts angehe, weil die Leute davon reden könnten! Aber eben darum ist die Welt so bös, keinen faulen Birenstiel sind die Männer mehr wert, mit einem alten Weib ist's mehr als mit zehn deren Ölgötzen, wo das Maul nie auftun, niemanden helfen, für nichts einstehen, dieweil es sie nichts angehe, dieweil in keinem der Lumpeng'satzbücher geschrieben steht: in dem und dem Fall mußt du das und das tun. O Benz, wenn was mit euch wäre, nur ein einzig heblich Haar an euch wäre, es ging anders und besser, und d'Lumpenleute wüchsen euch nicht über den Kopf und würden euere Herren. Oh, es dünkt mich manchmal, ich möchte ein buchig Scheit nehmen und euch dreschen, als wäret ihr grau und feucht gewordene Korngarben.«
»Probier's!« sagte Benz mit lachendem Munde. – »Meinst etwa, ich dürfte nicht? Aber ich mag nicht anfangen, weil ich's altershalb nicht erleben würde, bis ich ringsum wäre. Spaß apart!« sagte Lisi, »schrecklich ist's, wenn man für eine kranke Frau nicht einige Gulden hat da, wo täglich mancher Gulden z'unnütz vertan wird; das ist ein langsam Morden, und soll da niemand was sagen dürfen, weil der Mann ein Großgrind ist und am Brett? Da ist das ärmste Bettelfraueli, dessen Mann ein Unflat gegen ihns ist, besser dran. Da sagen ihm alle Weiber wüst, sooft sie ihn zu Gesichte kriegen, und wenn das Fraueli fast tot ist, so werden auch die Gemeindsmannen lebig, lassen das Mannli vor die Gemeinde holen und sagen ihm alle Himmels Schande. Wenn du meinst, ich habe nichts zu sagen für Gotte, Base, Gespielin, so laßt den alten Unflat vor die Gemeinde kommen, du bist ja am Gemeindrat, oder vor Sittengericht, es wäre vielleicht dem Pfarrer noch das Rechte.«
»Magst was recht haben, Frau«, sagte Benz, »aber es ist manches recht, man kann es doch nicht erzwängen, alles Krumme kann man nicht gerade machen. Daneben mach, was du willst, ich bin dir nicht darwider, aber ziehe mich nicht hinein, hörst!« »Bist doch e Fösel, nit d'r schlechteste aber auch von denen einer, mit denen in Gottes Namen nichts ist, die Zähne im Maul haben, aber bloß für totes Fleisch und warme Suppe.«
Dieses Einstehn in der Liebe für Schwache und ihre Rechte, dieses Einstehn der Barmherzigkeit gegen die Unbarmherzigen, heißen sie, wie sie wollen, halten wir für den wahren christlichen Mut und den christlichen Mut für den höchsten unter allen Arten von Mut. Er ist unendlich mehr und stärker als der politische Mut, er umfaßt viel mehr Verhältnisse, schließt aber auch die politischen mit ein, und in allen diesen Verhältnissen setzt er das Leben ein, läßt andere nicht im Stich oder gar die Suppe ausfressen, welche er eingebrockt. Die badischen Flüchtlinge wären nicht so schmählich ausgerissen, hätten nicht sich gegenseitig so schmählich preisgegeben, wenn ein Funke christlichen Mutes in ihnen gewesen wäre. Was soll man aber zu den Massen von Gemeinds- und Staatsbeamteten sagen, welche mit der größten Begeisterung ihre Quartalzapfen einstreichen und mit ebenso großer Kaltblütigkeit unter ihren Augen das himmelschreiendste Unrecht, die gröbsten Gesetzesübertretungen geschehen lassen und, wenn einer sie antrittet und frägt: »Aber um Gottes willen, ist das möglich, wird da nichts gemacht, es ist ja himmelschreiend?«, sehr ruhig antworten: »Ganz recht, macht mir eine schriftliche Anzeige, dann will ich schon einschreiten, ohne die kann ich nichts machen.« Eine saubere, kommode Ordnung das und noch dazu eine so teure!
Sobald Hans merkte, daß Ernst in der Sache war und anfing, Aufsehen zu machen, so legte er bei, wie es noch tausendmal geschehen würde, wenn man in unserer gebildeten Zeit nicht zu feig und nicht zu bequem zum Ernste wäre. Gritli fuhr begreiflich Hans an, als er heimkam. Es sei doch traurig für einen Mann, wenn er nicht warten dürfe, wenn eine Verwandte und Gevatterin zum Hause käme, so einer müsse doch ein schlecht Gewissen haben. Lisi habe es auch gefunden und sich verschworen, es solle ihm nicht geschenkt werden und das Fortlaufen ihm nichts nützen, und habe ihm Geld und Fuhrwerk angeboten, sobald es begehre. »So geht's«, sagte Hans, »wenn Weiber zusammenlaufen; und wenn man davonläuft, so ist sich nicht zu wundern. Da können sie nichts als über die Männer ausfahren und einander die Grinde großmachen. Wer hat gesagt, du sollest gar nicht ins Bad? Aber gemeint habe ich, wenn du Verstand hättest, so begehrtest du jetzt nicht zu gehen, wo man alle Hände voll zu tun hat und die Rosse zu brauchen alle Tage und wo das Korn nicht verkauft ist, weil es nichts giltet. Aber wenn es so gemeint ist, so kannst noch heute gehen, man kann den Zug ja stillestehn lassen deinetwegen.« »Aber Hans, du sprachest ja nicht von jetzt, du sagtest es mir ein für allemal ab, das drückte mir fast das Herz ab«, entgegnete Gritli. »Warum nicht gar!« begehrte Hans auf, »kein Sinn kam mir daran, dir davorzusein, wenn das Gröbste verwerchet ist. Ein andermal tue die Ohren auf und höre recht, ehe du solchen Lärm anfängst und mich in der Leute Mäuler bringst, selb wär anständig für eine Frau.« »Aber Hans, wie kannst das sagen und so mir kommen! Ich verstand dich nur zu gut«, jammerte Gritli. »Jawolle, verstehen«, polterte Hans, »wann hast du dein Lebtag was recht verstanden? Kannst befehlen, wann du fahren willst und ob ein- oder zweispännig.« Und ehe Gritli antworten konnte, war er zur Türe hinaus. »Was, jetzt soll ich noch falsch verstanden haben, soll an allem schuld sein, zu einem Babi oder einem Sturm will er mich machen, wüster könnte er es mir nicht machen«, so weberte Gritli, was eben keine passende Vorkur war.
Das gute Gritli wußte nicht, daß Hanse Ausrede, Gritli habe ihn nicht verstanden, keine persönliche war, das heißt keine, welche Hans ersonnen, um Gritli zu plagen und dumm zu machen, sondern daß es eine allgemeine Ausrede war, das heißt eine Manier, Sachen, die schief gingen, zu drehen und der andern Partie in die Schuhe zu schieben, welche Hans in seinem Lager gelernt hatte. Es ist eine der bedeutendsten Kriegslisten der Radikalen. Haben sie Vorschläge gebracht, Grundsätze geäußert, über welche das Volk zu Gott schreit, so schnauben sie daher mit dem Gebrüll, sie seien mißverstanden worden, die Jesuiten und verfluchten Konservativen hätten die Worte verdreht, seien die Teufel, welche mit Lug und Trug das Volk verblenden wollten, verleumdeten, verdächtigten, und machen Gesichter und Geschrei dabei, daß Unerfahrene wirklich glauben sollten, himmelschreiend Unrecht sei ihnen geschehen. Die Bursche haben eine eiserne Frechheit, eine Stirne wie Nagelfluh; wer sie noch nie erfahren, muß an ihre Worte glauben, als wären sie aus dem Evangelium, ja, man muß wenigstens siebenmal von ihnen so recht angelogen und angeschmiert worden sein, ehe man zum Verstand kömmt, an die Möglichkeit einer solchen steinernen Frechheit glaubt. Sobald man einmal zu diesem Glauben es gebracht hat und nun unbefangen ihr Wesen und ihre Worte prüft, so ist die Elendigkeit und Nichtigkeit entschleiert, und man kann es wiederum nicht fassen, wie man sich nur ein einzigmal durch solche Erbärmlichkeit habe können täuschen lassen.
Das arme Gritli hatte keine öffentlichen Erfahrungen, es hatte an den häuslichen mehr als genug, es nahm Hanse Worte viel zu tief, ward kränker darob und wollte den Kopf machen und, wenn es so gemeint sei, jetzt gar nicht ins Bad gehen. Aber Lisi ließ ihm sagen, so dumm solle es doch nicht sein und Hans diesen Gefallen tun, denn das wäre ihm eben das Rechte, und es möchte ihm begegnen, was da wolle, so müßte es hören: »Warum machtest den Kopf und gingest nicht ins Bad? Selber ta, selber ha!« Den Kopf machen ist wohl gut, aber es muß nicht so gleichsam in einem Anfluge geschehen, sondern nach reiflichem Bedenken; hat man eine Sache hinten und vornen besehen und die Zukunft bedacht, dann mag man den Kopf aufsetzen so lange, bis die Zukunft anderes und Besseres bringt.