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Drittes Kapitel

Zwei Besuche, einer unerbeten, der andere erbeten

Am andern Tag war Hans daheim, mißmutig begreiflich. Des eigentlichen Arbeitens, des Einstehens als Meister mit Hand und Wort, der voranmäht, -säet und -milcht, wenn irgendwo es nötig ist, hatte er sich entwöhnt. Er legte zuweilen noch Hand an, jedoch bloß bei leichtern Geschäften, wo man dazu- und davonkonnte, wie man wollte.

Das Aktenstudium ist gar ein bequemer Vorwand, wenn es heiß ist und man faul wird oder sonst nicht mag. Hans konnte wirklich Geschriebenes lesen, jedoch meinte er nicht, daß beim Aktenstudieren wirklich alle Worte gelesen und begriffen sein müßten. Gibt es ja Fürsprecher, welche in bitterliche Verlegenheit kämen, wenn sie alle Worte, die von ihnen gebraucht und geschrieben werden, erklären sollten.

Er war nachmittags im Baumgarten und befaßte sich mit Apfelschütteln, da sah er eine Chaise daherfahren. Es war eine ungewohnte Erscheinung, sie wurde daher mit Spannung betrachtet. Einer entfuhr Hans, als er in der Chaise den Regierer und den Präsidenten erkannte. Sie kamen ihm nicht recht; »die hätten daheim bleiben können!« sagte er. Die gestrige Flemmete surrete ihm noch im Kopf. Daß sie Niggis Peterli nicht geholfen, selb wußte er wohl, aber er hatte sie je länger, je mehr im Verdacht, sie hätten eine gewisse Vorliebe für den halbbatzigen Hauptmann empfunden. Hauptsächlich aber begehrte er keinen solchen Besuch, weil er sich seiner Frau schämte, überzeugt war, sie könne der Sache keine Gattig geben, wüßte sich nicht zu präsentieren; fürchtete, sie möchte noch mit Fleiß unartig sein, denn er wußte, wie lieb ihr die beiden Herren waren. Hans tat seiner Frau unrecht. Hübsch war sie wirklich nicht mehr, aber was so einem Hause wohl ansteht, kannte sie von Jugend auf.

Es war Hans selbst, der nicht wußte, was er tun sollte, der aus dem Blei war. Er wollte es nicht wie üblich und bräuchlich, er wollte es besser, er wollte es herrschelig und wußte doch selbst nicht, wie man das anstelle. Er meinte, man müsse an die Sache tun wie ein Narr, und merkte nicht, daß das gerade das Allerunherrscheligste, das Siegel dessen ist, der was vorstellen will, was er noch nicht ist, allweg etwas Neues, zu dem er gekommen, er weiß nicht wie, und in welchem er sich schön gebärden möchte, und im Eifer nicht sieht, daß er Grimassen macht, ungefähr wie eine neue Herrenköchin, welche meint, sie müsse, um das Kraut gehörig zu kochen, eine halbe Sau dabei verbrauchen.

Der Regierer und der Präsident waren wie gewohnt nach dem Essen ins Wirtshaus gegangen, den Kaffee zu trinken oder sonst was. Diese beiden liefen noch zusammen, und wenn sie einander haßten, so ward es doch nicht sichtbar. So ein Präsident und Regierer leben sonst zumeist in sehr interessanten Verhältnissen, ungefähr wie ein katholischer Pfarrer und sein Kaplan. Es soll geschehen, daß diese beiden eifersüchtig werden wegen der Köchin, welche ihnen kocht. Nun, die Köchin, welche, wie wir meinen, zwischen einem Regierer und dem Präsidenten steht, ist nicht eine gemeine, natürliche, sondern eine figürliche, das Volk. Das Volk kocht ihnen nicht bloß den Brei, sondern schafft ihnen Salz, Mehl und Milch dazu an, kurz, zumeist alles, was sie an und im Leibe haben; seine Gunst muß ihnen also teuer sein, sehr teuer, und je mehr Gunst, desto lieber. Also der Liebere mochte jeder sein, darum auch in allen Teilen der Bessere, der Geschicktere, der Weisere, der Mildere, der Anmütigere, der – der – kurz: der alles in allem.

Aus diesen gesinnungsvollen und gesinnungstüchtigen Bestrebungen gibt es interessante Verhältnisse, man glaubt es gar nicht, man könnte Wunder davon erzählen. Nun, wie jene zwei Schulmeister, welche einander durch eine Ritze in der Wand zwischen ihren beiden Schulstuben vermittelst Federkielen Dinte ins Gesicht spritzten, haben, soviel wir wissen, noch kein Regierer und Präsident getan, wahrscheinlich haben die Wände keine Ritze gehabt. Aber von Birnenkriegen und Briefhändeln erzählt man sich Großartiges. Wieviel Liebe und gegenseitige Neigungen aus den Voruntersuchungen in die Hauptuntersuchungen und aus den Hauptuntersuchungen in die Voruntersuchungen geflossen und nicht geflossen und was sonst noch allerlei geflossen, wird die Nachwelt vernehmen, das eine durch die Akten, das andere durch die Tradition, und wie wohl das Vaterland dabei lebt, merkt man schon jetzt.

In der Zeit, von welcher wir reden, stunden Regierer und Präsident auf leidlichem Fuße. Daß der Regierer den andern mit verächtlichen Augen ansah, der Präsident eifersüchtig war wie ein siebenzehnjähriges Mädchen, das wußten bloß noch die Vertrauten. Manchmal ist's bei den Majestäten umgekehrt. Beim Kaffee war von der gestrigen Wahl die Rede, welche ihnen unbegreiflich vorkam. Sie wußten nicht, spielte Hans mit ihnen ein Spiel wie sie mit ihm oder war er zu Küchliwyl aus dem Glanz gekommen. Es war ein schöner Tag und später Mondschein, beides äußerst angenehm zum Ausfahren und Heimkommen. »Wie wär's, wenn wir ihm über den Hals führen?« sagte der eine, »er gibt uns Bericht.« »Mir recht«, sagte der andere, »wir sehen dann auch seine Frau, die muß seinen Reden nach nicht die Holdseligste sein. Uns wird sie wohl auf dem Strich haben; Weiber lieben die Kameraden ihrer Männer selten.« »Ja, aber den ganzen Abend bleiben wollen wir nicht, das wäre langweilig, besonders wenn die Frau Amtsrichterin ein sauer Gesicht macht. Wir wollen machen, daß wir den Amtsrichter wegkriegen, es gibt sich wohl ein Vorwand.« »Warum nicht!« sagte der Regierer. »Ich habe eine Anzeige wegen einer Straße in der Bohnenweid, die liegt hinter Küchliwyl. Nicht weit davon ist die ›Erle‹, dort hat man ein gut Glas Wein, und die Fische backen sie recht passabel.« »Und ein verdammt hübsches Stubenmädchen ist dort«, sagte der Präsident, »so eben recht, nicht gar zu anlässig und auch nicht zu zimpfer, geradeso, wie sie am angenehmsten sind.« »Ihr seid Liebhaber von dem Zeug, wie es scheint«, sagte der Regierer. » Ma foi oui!« antwortete der Präsident, »doch nicht mehr als andere.« Der Regierer lenkte ab und sprach von der Notwendigkeit, die Wahloperationen besser zu überwachen, von einer festeren Gliederung ihrer Partei, von entschiedenen Schritten, welche getan werden müßten, um zu dem freien Leben zu kommen, wie es alleine zeitgemäß sei, wo von Teufel und Pfaffen keine Rede mehr, das bürgerliche Gesetz die erste und einzige maßgebende Gewalt sei. Der Präsident war nicht eifrig bei diesen Erörterungen, wir glauben, er sei mit seinen Gedanken vorausgeeilt, bereits über die Bohnenweid weg, während die Chaise erst im Hunghafen anfuhr.

Hans empfing sie, so gut er konnte, aber mit Verlegenheit. Er entschuldigte sich, wie wüst er daherkomme, er dürfe sich fast nicht zeigen, aber bei der Arbeit könne man nicht hoffärtig sein. Er rief den jungen Hans, den Leutnant, das Roß abzunehmen. Der trat schon kecker und selbstbewußter auf und fühlte eine gewisse Gleichheit in den Gliedern. Dem alten Hans kam der Mut auch allgemach wieder, als die Herren in lauter Bewunderung schwammen über den Misthaufen, die großen Bäume und den zahlreichen Viehstand, wobei zuweilen ein Mißverstand unterlief, ein Birnbaum mit einem Nußbaum, ein Stier mit einer Kuh verwechselt wurde.

Gritli, die Frau Amtsrichterin, war nicht angenehm überrascht durch diesen Besuch. Indessen faßte sie sich. Sie sah doch einmal die beiden, es nahm sie wunder, wie die g'figürt seien, welche so vielen Einfluß auf ihren Mann hatten. Vielleicht konnte sie ihnen so im Vorbeigehen eins längen, einen rechten Tätsch geben. Von solchen Tätschen sind die meisten Weiber Liebhaber und verstehn sich noch besser darauf als auf Eiertätsche. Gritli war nicht ohne gewissen Anstand, und wenn sie schon kein blühend Aussehen hatte, war sie doch nicht häßlich, ja als Städterin, wo man das Verkommene liebt, stinkend Rehfleisch, faule Austern und Mondschein auf den Gesichtern am hellen Mittag, da hätte man sie eine interessante Gestalt gefunden, so gleichsam mit einem vornehmen Air behaftet. Sie grüßte mit Manier, gab die Hand, hieß die Herren in die Stube kommen und sagte, sie brauche ihnen nicht zu sagen, daß es in einem Bauernhause nicht sei wie in einem Herrenhause, sie müßten es nehmen, wie sie es fänden.

Kaum waren die Herren abgesessen, so frugen sie: »Apropos, Amtsrichter, sagt uns jetzt: wie ging das gestern mit der Wahl zu? Je mehr wir darüber dachten, desto weniger begriffen wir daran.« Der Amtsrichter hatte dieses Gespräch sehr ungern; seine Frau ging ab und zu, brachte Wein, Käs und Brot: er verhandelte Staatsangelegenheiten nicht gerne vor ihren Ohren. Er wollte uneinläßlich antworten, aber die Herren, welche sich einmal auf diesen Sattel gesetzt, merkten Hans nicht, bedauerten sehr den Vorfall, konnten ihn nicht begreifen, hatten Hanse Wahl als eine ausgemachte Sache betrachtet, redeten vom nächsten Male, wo diese Schlappe auf eklatante Weise gutgemacht werden müsse. Da müsse künftig ganz anders aufgepaßt werden, überhaupt vieles ganz anders gehen, sonst komme ung'sinnet ein anderer und befehle.

Seinetwegen sollten sie nicht Mühe haben, sagte Hans, er würde es doch kaum annehmen, es sei besser, er bleibe daheim bei seiner Sache. Daneben wisse er nicht, wie es zugegangen. Da ihm niemand apart gesagt, man wolle ihn wählen, so habe er auch nicht Gelegenheit gehabt zu sagen, man solle ihn nicht wählen. Da schoß der Regierer der Frau Amtsrichterin einen Blick zu, diese verstund ihn. »Es ist gegangen, wie es sollte«, sagte sie, »darum wird es so haben sein sollen, aber wer es aufgebracht, weiß ich auch nicht.« Die Herren wollten spaßen. Es sei ihr Ernst, sagte die Frau Amtsrichterin, sie hätten ein großes Wesen, da mangle es jemanden, der die Hand am Arme habe, sonst komme es nicht gut. Hans sei ohnehin mehr fort, als ihr lieb und ihm gut. Wenn er erst Ratsherr geworden, so hätte sie nicht gewußt, wie es zu- und hergehen sollte. Die Weiber meinen, sagte Hans halb verlegen, wenn Kinder und Männer ihnen nicht fortwährend an dem Fürtuch hingen, so gehe es nicht; nur wenn sie zur Unzeit Kaffee machen wollen, da sollte man nebenaus.

»Selb ist wahr«, sagte Gritli, »man hat sie gerne daheim, so weiß man doch, wo sie sind und was sie machen. Daneben weiß ich wohl, daß die Männer fortmüssen, mein Vater selig war auch Amtsrichter, es muß es jemand sein, und wer das Vertrauen hat, muß gehen, man kann das Amt nicht umgehen lassen wie den Dorfmuni. Aber eins möchte ich den Herrn Regierer gebeten haben: schickt die Amtsrichter heim zu rechter Zeit, laßt ihnen durch den Landjäger wissen, wenn es Feierabend ist! Sie werden nicht mehr Recht haben als andere Leute. Denkt, was würde Euere Frau denken oder sagen, wenn Ihr so spät nach Hause kämet, manchmal erst nach Mitternacht! Wenn es ledige Bürschli wären, wo noch keine Regel haben, ich wollte nichts sagen, aber Manne sind Manne, und was anständig ist, ist anständig.«

Der Präsident war ledig, der Regierer hatte eine Frau, aber die hütete sich, was zu sagen, sie wußte warum, und wenn er einmal im Wirtshause saß, hielt ihn das Aufstehen am allerhärtesten. Die Herren warfen einander Blicke zu, jeder mochte dem andern seinen Klaps gönnen. Hans hatte es sehr ungerne; er sagte: »Meine Frau kömmt nirgendshin, weiß nicht, wie die Welt sich ändert, und geht mit den Hühnern z'Sädel, da meint sie, es sollten es alle Leute so haben, sonst komme es nicht gut.« Der Regierer, der disputieriger Natur war, aber einem guten Witz nicht abhold bei guter Laune, fing die Rede der Frau Amtsrichterin auf und wollte sie belehren über die Pflichten des Weibes, namentlich wenn dasselbe das Vaterland liebe, und über die Rechte des Mannes, namentlich wenn sie dem Vaterlande dienten und den Tag über schwitzten zu dessen Heil.

Hans war wie auf Dornen. Es war ihm angst, der Regierer gebe seiner Frau neuen Stoff zu Mißtrauen und Aufreden, seine Frau breche erst dann so recht los und richte grob an. Dem Präsidenten war es ebenfalls nicht geheuer dabei. Er kannte den Kollegen und wußte, wie derselbe, einmal ins Reden gekommen, nicht aufhören könne und dann Theorien aus dem Stegereif entwickelte, welche ins Aschgraue spielten. Er wollte unterbrechen, den Artigen und Galanten machen. Er sagte, man habe schon lange davon gesprochen, die Herren Amtsrichter müßten einmal ihre Frauen mitbringen. Es würde sicher alle freuen, miteinander Bekanntschaft zu machen, und dann könnten sie am besten sehen, wie es zugehe und, wenn man sich jeweilen versäume, es aus lauter Liebe und Freundschaft geschehe, weil man die Gedanken austausche, sich gegenseitig ausbilde, den Gesichtskreis erweitere. Gritli verstund die schönen Redensarten, welche versöhnen sollten, als Spott; er führe sie aus, meinte sie. Es wäre eigentlich nichts als billig, wenn die Sache diesen Weg ginge, sie hätten auch ihren Teil daran, antwortete Gritli. Indessen dächte es, einstweilen bliebe sie noch daheim, sie möchte nicht anderen den Platz verschlagen. Damit brach Gritli ab und ging hinaus. Sie sollten es nicht für ungut halten, sagte Hans, man sei gar grobänisch auf dem Lande. Man meine es notti gut, gäb wie grob man rede, und b'sunderbar seine Frau. Sie komme nicht unter andere Leute, da wisse sie nur so zu reden, wie sie von Jugend auf gewohnt sei.

Wie froh Hans aber war, als die Herren vom Aufbruch sprachen und von der Bohnenweid, kann man denken. Als die Herren hinaus zum Einsteigen kamen, trat Gritli sie verwundert an, daß sie schon fortwollten. Sie hätte ihnen ein Kaffee machen wollen, so gut sie es verstehe. Sie würden doch nicht schon heimwollen, es sei viel zu früh, die Sonne sei ja noch am Himmel, und Hans lasse die immer untergehen, ehe er sich auf den Weg mache; er werde fürchten, er verderbe die Haut. »Die Herren wollen drum noch weiter«, fiel Hans ein, und die Herren, die dachten: »Die hat ein Donners Maul!«, beurlaubten sich höflichst. Der Herr Regierer sagte, wie es ihn freuen würde, wenn die Frau Amtsrichterin einmal zu seiner Frau käme, die hätte schon lange gewünscht, ihre Bekanntschaft zu machen. Und die Frau Amtsrichterin bat ihn, er solle doch einmal seine Frau hinausbringen, es würde sie freuen. Öppe nit wege der Aufwart, man könne es nicht besser geben, als man es habe und verstehe.

Als Hans mit den Herren aufstieg, frug sie: »Kommst heute heim?« »Allweg«, sagte Hans, »aber wann, weiß ich nicht, ich muß mit den Herren an einen Augenschein.« »He nun so dann!« sagte die Amtsrichterin laut, und für sich selbsten setzte sie hinzu: »Es wird ein sauberer Augenschein sein das!« »Weißt, wo fuhren sie hin?« sagte sie zu ihrem Sohne, der das Roß gehalten. Es sei was wegen der Straße in der Bohnenweid, sagte Hans, der Sohn. »So«, dachte die Amtsrichterin, »oder wegem Stubenmeitschi bei der ›Erle‹. Das kömmt gut, wenn sie Hans noch nachfahren, wenn er einen Tag daheim ist! Aber in Gottes Namen, es geht, solange es mag. Eins freut mich, daß ich denen einmal z'merken geben konnte, wie es mir ist und für wen ich sie halte. Wenn sie wieder einmal die Weiber verhandeln und jeder sich rühmt, wie er es der seinen mache, so können sie dann auch erzählen, was ich ihnen gesagt, und Hans auslachen wegen seiner bösen Frau und ihm angeben, was er ihr sagen solle. Es ist nur schade, daß es nicht Lisi getroffen, das hätte ihnen noch anders angerichtet und doch gattlicher, als ich es kann.« Das Bewußtsein, einmal den Kragen geleert zu haben, tröstete die arme Frau noch manchmal in ihren einsamen Stunden; sie konnte nicht warten, bis Lisi es wußte, und ließ der Ankenballen Bäurin Bescheid machen, sie solle doch ja bald kommen, sie habe Wichtiges mit ihr zu reden.

Hans dagegen hätte eine rote Kuh gegeben, wenn er den Besuch hätte auswischen können aus der Reihe der Begebenheiten. Er mußte fortan gar manchmal von seiner Frau hören, wenn er heimwollte. Das machte ihm die Frau nicht lieber, machte ihr Leben nicht freundlicher, machte bloß, daß es Hans immer wöhler draußen ward, immer unheimeliger daheim.

Als Lisi die Botschaft vernahm, ja bald in den Hunghafen zu kommen, erschrak es. Es glaubte, Gritli habe die Abrede mit dem Polizeier vernommen, dieser nicht reinen Mund gehalten. Das wäre ihm sehr widerlich gewesen, denn so lieb ihm Gritli war, so fürchtete es doch, dasselbe könnte bei der gereizten Stimmung sich nicht enthalten zu sticheln und zu merken zu geben, wie man Hans den Fuß vorgehalten. Wenn man sich schon der dummen Weiber nichts achte, könnten sie doch viel verrichten, wenn sie wollten. Lisi konnte sich schwer losmachen. Es gibt Zeiten im Jahr, wo eine rechte Bäurin fast ständlige schlafen muß, wenn sie nichts versäumen will. Eine solche Zeit ist der Herbst, bis man eingewintert hat, wie man zu sagen pflegt, besonders wenn es ein reicher Herbst ist, viel Obst an den Bäumen ist und viel Speise in der Erde; bis alles am rechten Orte ist, für alles gesorgt, daß nichts zuschanden geht, da zieht es einer Bäurin nicht viel Ruhe und müßige Zeit.

Als Lisi gegen den Hunghafen kam, sah sein kundiges Auge alsbald, daß nicht mehr alles war wie ehedem. In einem entferntern Acker lag das abgefallene Obst von manchem Tag unter den Bäumen, es schien beinahe, als habe man es vergessen, wie es auch schon geschehen ist, daß, wo der Hausvater nie daheim war, Prozessen und andern Dingen nachlief, ganze Äcker zu schneiden vergessen wurden. Die Saatfelder schienen Lisi nicht so exakt bestellt wie sonst, die Saat hinter der ihrigen bedeutend zurück, dazu noch nicht alles angesäet. Im Baumgarten lagen große Haufen Obst, Rüben, Rübli, auch sogenannte Säuerdäpfel, das heißt kleine, verletzte, welche man nicht aufbewahrt, sondern gleich vorab füttert. Da sei man weit im Hinterlig, dachte Lisi, es wolle lieber nicht dabeisein. Ums Haus war ein bedenklich Gekehr, daß man nicht durchkonnte: es war fast, als wolle man auswandern. Bei allem dem sah Lisi nicht, daß man, trotzdem daß es günstig Wetter war, ein eigentlich Werk an der Hand hatte. Jemand zog Bohnenstecken aus, jemand schleppte sie heim und vermehrte damit den Gräbel ums Haus, jemand focht mit dem Kabis, jemand lud einen Wagen voll Erdäpfel ab, jemand brachte Obst zum Haus, jemand tat dies, und jemand tat jenes, und Gritli war mitten in diesem allem fast bis an die Nasenspitze, zog hier, regierte dort, ärgerte sich hier und dort und brachte doch nicht Einheit ins Ganze, das Geschleppe nicht in ordentlichen Gang. Es war gar nicht, daß die Frau Amtsrichterin nicht wußte, wie es hätte sein sollen, aber es fehlte ihr vielleicht der gehörige Überblick, ein mächtiger Wille, kurz: das Talent, zu befehlen.

Als sie die Freundin sah, begann sie zu jammern. »Du kömmst gerade recht, um zu sehen, wie es geht bei uns. Schämen muß ich mich ins bluetige Herz hinein, wie es bei uns aussieht, du kannst ja fast nicht zum Hause. Aber alles Sagen hilft ja nichts; d's Gunträri, es wird alle Tage ärger. Aber was soll ich machen alleine, ich bringe nichts ab.« »Hans wird fort sein«, sagte Lisi. »Aber wo hast die Buben, die werden dir doch an die Hand gehen und nicht alles an dich kommen lassen; alt genug wären sie, daß sie den Verstand haben sollten! Wenn mein Gretli ein Bub wäre, es regierte einen Hof wie Schnupf.« »Ja, wenn es daheim bliebe!« sagte Gritli seufzend und nötigte Lisi hinein, gäb wie dieses sich weigerte und meinte, es wolle ihns nicht versäumen, sondern helfen. Bäurinnen können gewöhnlich schwatzen und schaffen zusammen; den heutigen Mägden darf man es nicht mehr zumuten.

Drinnen sagte die arme Frau: »Du kömmst gerade recht, um zu sehen, wie ich drin bin. Du wirst gesehen haben, wie wir bereits im Hinterlig sind, daß man sich schämen muß, wenn ein Mensch vorbeigeht. Heute ist ein Tag zu Hauptsachen, säen usw. wie gewünscht, aber was geht? Nichts. Und wieviel solcher Tage im Jahr mit nichts vorbeigegangen sind, weiß Gott. Ja, das macht was aus in einem Jahre, besonders wenn das Wetter veränderlich ist. Aber will man an etwas hin, so fehlt es irgendwo, bald am Zug, bald an dem Wagen, bald muß der Alte fort, bald der Junge, oder Benz muß mustern. Der Alte hat das Auge nicht mehr bei der Sache, sieht nicht mehr, wo es fehlt, sorgt nicht mehr in der Zeit, daß man es hat in der Not; wenn die Not da ist und man die Sache brauchen sollte, merkt man erst, wo's fehlt, und ich mag, weiß Gott, nicht mehr an allen Orten sein, und wenn ich auch dabei bin und befehle, macht man doch, was man will, und gerade die Buben zuerst. Heute sollte gesäet werden. Da kömmt gestern ein Landjäger und ruft Hans, es habe etwas Ung'sinnets gegeben. Da vergessen die Buben, daß die Rosse sollten beschlagen sein, daß Korn zu Samen bestellt worden und sollte geholt werden. Nun fuhr Benz in die Schmiede, Hans um Korn aus, und keinem pressiert es, und keiner kömmt heim und vielleicht Hans, wenn er Kameraden antrifft, erst morgen und noch ohne Korn.«

»So, Benz auch?« frug Lisi erschrocken. »Er noch am wenigsten«, sagte Gritli. »Das meiste ist an ihm, und er kommt doch noch heim, aber zwischen den beiden Hanse ist fast kein Unterschied mehr.« »Aber wo nehmen sie das Geld her, Schulden werden sie doch nicht machen?« frug Lisi. »Selb glaub ich nicht«, sagte Gritli, »haben es auch nicht nötig, der Alte gibt ihnen, besonders dem Hans. Weil er selbst viel fort ist und spät heimkömmt, darf er den Buben nicht viel sagen, sondern muß sie kaufen und machen, daß sie zufrieden bleiben. Zudem hat er grusam viel auf Hans. Er meint, das werde einmal einer geben, wie im ganzen Lande keiner mehr sei. Sie machen ihm mit Hans den Grind groß und fragen ihn, was er für Augen machen werde, wenn der einmal als Oberst vor einem Bataillon herreite. Da meint dann Hans, er müsse ihm dazu verhelfen mit Geldspendieren, daß er allenthalben der erste sei. Das braucht ein Geld, Lisi, ich darf es dir nicht sagen.«

»B'soldung mag das ertragen«, sagte Lisi, »sie sollen gut bezahlt sein, die Amtsrichter.« »Das ist gleich wie: ›wer geht da durch?‹« antwortete Gritli. »Ich weiß nicht mehr, wo das Geld hinkömmt. Du weißt, wie wir z'weg sind, daß wir keine Zinsen zu geben, sondern noch Ausgeliehenes haben. So kann man es sonst machen, es muß es mancher mit minderem, und von Geldmangel wußten wir nichts, und wenn auch Hans zuweilen zuviel anlegte, weil der Titel gut war, half ihm dein Mann für ein paar Wochen aus, dann war schon wieder Geld da. Jetzt hat alles keinen Segen mehr, die Schublädli sind in Gottes Namen immer leer, gäb wie man verkauft und löst. Auf dem Verkaufen sind sie wie Habichte. Ist an einem Orte ein Stäubeli, welches Geld giltet, so muß es fort. Es ist ein Elend dabeizusein, man hat bald nichts mehr, einem armen Menschen zu geben, und wird es bald verstohlen tun müssen, will man nicht saure Gesichter und böse Worte haben, und doch ist immer weniger Geld da. Und wenn schon einmal ein ziemlicher Butsch zusammenkommt, er verschwindet, ich weiß nicht wie. Ich weiß nicht, aber entweder leiht er seinen Kameraden Geld, vielleicht gar den oberkeitlichen Herren, oder er braucht es für noch was Schlechteres, woran ich nicht denken mag, geschweige davon reden. Da drinnen muß ich sein wie eine Fliege im Spinnennetz. Zapple mich zu Tod, kann nicht frei werden, bis ich endlich ausg'sogen bin und es fertig ist mit mir, dann komme ich hoffentlich einmal a d'Ruh.« Lisi tröstete, so gut es konnte, obgleich das Betragen der Söhne ihm auch ins Herz schnitt. Es werde öppe ändere, sagte es, man müsse immer das Bessere hoffen.

»Allweg hoffe ich, es werde bald ändern«, sagte Gritli, »und ich ans bessere Ort kommen. Daneben habe ich auch zuweilen ein kleines Freudeli und letzter Tage eines gehabt, das mich nicht ruhig ließ, bis ich es dir erzählt. Denk, der Regierer und der Präsident waren da, gleich den Tag nach der Wahl, wollten das Gespött mit mir treiben, b'sunderbar der Präsident mit seinem Affengesicht und seinem goldenen Ring am Finger, aber denen putzte ich die Nase. Hans hatte es ungern, aber ich dachte: ›Mira! Ich habe auch manches ungern, und doch tut niemand was drum.‹ Sie ließen bald darauf anspannen und nahmen Hans mit und hatten eine Lüge ersinnet von wegen einem Augenschein in der Bohnenweid, und war ihnen nur wegem Stubenmeitschi bei der ›Erle‹. Sie sollen sich schön zugeputzt haben, man habe es der Chaise noch lange angesehen. Hans kam erst gegen Morgen heim. Nun, das Mal ward ich nicht böse, es hat mir ordentlich geleichtet; die wissen doch jetzt, wie es einer Frau ist, welcher sie den Mann verführen.«

Nun erzählte Gritli Lisi auf ihre Weise, was die Herren ihr gesagt und was sie gesagt. Lisi wohlete es, daß es nur dieses und nicht die Wahlgeschichte war, auf welche kurioserweise Gritli nicht besonderes Gewicht legte. Gritli sagte bloß, es müsse Hans jemand den Fuß vorgehalten haben, denn es könne nicht glauben, daß Hans es nicht angenommen hätte, besonders den Reden der Herren an nicht. »Oder hat dein Mann etwa mit Hans gesprochen und ihm das Gewissen geschüttelt, bis er Verstand bekam?« »Nicht, daß ich weiß«, antwortete Lisi. »Ich richtete deinen Auftrag aus, aber Benz sagte, darein könne er nicht wohl sich mischen. Hans könnte meinen, Benz möchte selbst gerne ans Brett oder wolle wenigstens, daß Hans nicht mehr als er werde, gönne ihm die Ehre nicht. Es sei nichts Schlimmeres, als einem Menschen von der Annahme irgendeiner Stelle, an welcher was von der Ehre sei, abzuraten. Von wegen es sei jeder gerne ein Ehrenmann, und leider komme heutzutage bei vielen der Glaube auf, man komme dazu, wenn man was werde, wenn man Ratsherr oder Hauptmann werde oder gar Präsident von irgendwas, und wäre es auch nur von einer Rebstecken- oder Besenstielkommission. Wenn nun jemand ihnen von der Annahme solcher sogenannten Ehren abrate in wahren Treuen, so meinten sie, es sei Mißgunst oder man kenne sie nicht recht, traue ihnen den rechten Verstand zur Sache nicht zu, und hätten sie dessen doch mehr als genug; die und die meinten es doch auch gut mit ihnen und hätten ihnen gesagt, sie sollten es doch um Gottes willen nur annehmen wegem Vaterland, gerade solche Leute hätte dasselbe nötig, und die und die seien doch viel dümmer als sie und seien noch höher in Ehren, es brauche nicht halb soviel, als man den Böllima mache. Übrigens werde es sich dann erzeigen, und wenn es nicht gut komme, könne man immer machen, was man wolle. Da begreife man gar nicht, wie der Spruch wahr werde: ›Wer nichts hat, von dem wird noch genommen werden, was er hat.‹ Denn einer, der im ordinären Leben so passabel mit Ehren durchgekommen, werde, wenn er einem Ehrenamt nicht Ehre mache, schlecht bestehe darin, recht verachtet und nie mehr ästimiert sein ganz Leben lang, er werde so recht, was ein D... in einer Laterne. Aber das könne man predigen, solange man wolle, die Leute begriffen 's nicht, man mache sich nur unwert. Hans sei geradeso z'weg, man dürfe ihm jetzt nicht in Weg treten; wann er einmal recht angeschossen sei mit der Nase, dann könne man vielleicht wieder was machen.«

So b'richtete Lisi und brachte da Dinge vor, welche es wohl von Benz gehört, aber zu verschiedenen Zeiten, und von denen es glaubte, sie dienten Gritli zum Trost, besonders jetzt, da die nächste Gefahr abgewendet war; sie dienten aber noch besser, um Lisis Streich in ewige Nacht zu versenken. Gritli meinte, wenn es jemals ans Verhexen geglaubt, so sei es jetzt. Hans sei sonst so vernünftig gewesen, aber die hätten es ihm antun können, als ob sie es ihm in einem Tranke eingegeben, wie man es vor Zeiten Meitschene gemacht, wenn sie nicht lieben wollten. Lisi hätte vielleicht was sagen können, vielleicht auch was gesagt vom Magnet und wie es immer darauf ankomme, wo der Mensch den seinen habe, ob oben oder unten, ob im Hause oder außerhalb demselben, aber es wurde von Benz, dem Sohne, unterbrochen, der aus der Schmiede heimgekommen war. Wir glauben, er habe diesen Besuch auf den Blocksberg gewünscht. Benz hatte noch ein Bauerngewissen, er wußte, wie der Ankenballen Bäurin dieser verschleuderte Tag, das Durcheinander ums Haus und die Rückstände in der Arbeit vorkommen mußten, schämte sich deshalben nicht wenig; er wußte, daß er sich damit keinen Stein ins Brett setzte bei Lisi, des Baurens wegen nicht berühmt wurde auf der Ankenballe.

Nun griff er es aber verkehrt an, von wegen er kam aus dem Wirtshause und hatte statt einen Schoppen, wie es einem Baurensohn, wenn er Pferde beschlagen läßt, wohl ansteht, zwei getrunken. Er tat, als ob er alle hellauf sei, freute sich, die Gotte hier zu sehen. Sie werde auch nicht immer mögen daheim sein; wenn man längs Stück bös gehabt, müsse man zuweilen einen Tag den Kommet abziehen und Atem schöpfen.

Diese Rede ärgerte Lisi sehr. »Oh, wegen Böshaben wollen ich und du nicht klagen, es wird z'töten nicht gegangen sein. Wenigstens mich dünkte es nicht, daß ich extra Sonntag machen müsse, ehe wir fertig waren. Ich konnte es bequem ausstehen, bis wir fertig waren mit allem. Es dünkt mich aber nichts anderes, eine alte Frau mag 's Arbeiten besser ausstehn als das junge Volk. Wenn es so fortgeht, hat das an sechs Sonntagen in der Woche zuwenig und an einem Werktag zuviel.« »O Gotte«, sagte Benz, »wir haben immer gemacht, es ist dann nicht, daß wir meinten, wir müssen sechs Sonntage haben in der Woche, und heute schickte es sich nicht anders, wir mußten beschlagen lassen. Und wenn man rechnet, wieviel der Vater nicht daheim ist und wieviel Regentage waren, wo man nichts am Land machen konnte, wundert es mich, daß wir so weit sind.«

»Selb dünkt mich nichts anderes«, sagte Lisi, »und es ist sich zu bedauern, daß junge Leute noch so hart werchen müssen, das ist gut genug noch für die Alten. Letzhin wurde der Pfarrer in ein Haus berufen, in welchem zwei Söhne mit ihrem Vater hart umgingen. Im Spätherbst mußte derselbe, der bald achtzig Jahre alt war, draußen vor dem Hause oder im Tenn am kalten Bysluft Rüben und Rübli abhauen und sonst noch allerlei verrichten, während die Söhne drinnen auf dem Ofen saßen. Arme Leute waren es nicht, sie hatten ein bezahlt Heimwesen und Geld am Zins. Als der Pfarrer ihnen die Unbill vorstellte, dem alten Mann solche Arbeit zuzumuten, an die sie keine Hand legten, antwortete der eine der Söhne: ›Jä, Pfarrer, wir werden alt, mögen nicht mehr wie ehemals, jemand muß es doch machen, und für alles Leute anzustellen, vermögen wir nicht, die sind gar teuer.‹ So geht es in der Welt, die Jungen mögen nicht mehr, die Alten können wieder dran.«

Das ging ans Mutterherz, und Lisi merkte gleich, daß es gefehlt. »Nein«, sagte Gritli, »so ist es doch nicht bei uns; Benz macht, was er kann, und ist gut gegen mich; wenn er mir etwas tun kann, ist es nie nein. Gemacht ist immer etwas worden, aber es wollte sich in Gottes Namen nicht immer schicken, und alleine kann Benz doch nicht alles zwingen. Daneben sind wir so weit nicht im Hinterlig; wenn es noch acht oder vierzehn Tage nicht wintert, so wird die Hauptsache am Ort sein, und Benz wird schon machen, daß es geht. Er muß jetzt den Vater vorstellen, wenn der andere nie daheim ist.«

Nun, Lisi zog alsbald die Pfeife ein, als es diesen Ton hörte, der aus einem Mutterherzen kam, welches den Tadel der Kinder schwer verträgt, ihr beständiger Fürsprech ist, sie an den Zähnen durch dick und dünn zu Ehren ziehen will. »He ja«, sagte Lisi, »das ist gut Lob, mach nur, daß es immer so tönt; du verdienst einen Gotteslohn. Stehe der Mutter an die Seite, es geht auch um dein Käsli, und ging's nicht, so mußt du doch was auf dir selbsten halten. Du sollst wissen, daß man die Hudle nicht allenthalben gerne sieht und, je mehr man sie an den einen Orten hervorzieht und sozusagen zu Ehren bringt, man sie an andern Orten um so mehr verachtet und um so weniger von ihnen wissen will. Selb vergiß nicht, Benz!« sagte Lisi mit Nachdruck. Benz fühlte den Stachel in den Worten, und während seine Mutter vermittelnd redete, machte Benz sich zur Türe hinaus; halb schämte er sich, halb war er böse.

Lisi ging mit schweren Schritten und schweren Gedanken der Ankenballe zu. Dunkel war es draußen, dunkel in seinem Gemüte. Das trübselige Wesen im Hunghafen brachte es nicht aus den Augen. Wie schnell war es da anders geworden, wie sichtbar trat da der Mangel eines Meisters hervor und nicht bloß im Hauswesen, sondern auch im Hausgeiste, in der Stimmung der Menschen; es war so recht unheimelig ums Haus und im Haus. Lisi hatte wohl gesehen, wie es mit Benz stund, daß Benz nicht böse war, aber angesteckt, daß er am Ende mitlaufen werde, wo die andern hinliefen, wenn er an den andern nichts abbrachte und an den Eltern nicht feste Stütze hatte. Es sah, wie Gritli alles ungern hatte, das Aussehen des Hofes, das Tun der Kinder, lieber wollte, es sehe es niemand, es klagte und entschuldigte in einem Atem; es beschwerte sich über die Kinder und wollte doch nicht, daß man ihm beistimme, man sollte ihns trösten. Es hatte grausamen Ärger, und den sürmelete es fort und fort aus, aber keine Kraft zu festem, nachhaltigem Eingreifen. Daher war da Tag für Tag trüb Wetter, ein unheimlich Wohnen; ein gut Wohnen ist nur da, wo heller Friede ist, und heller Friede ist nur da, wo ein guter und fester Wille Zucht und Ordnung hält in der Liebe und sichtlich zu aller Bestem. Da einen Kräfte und Gemüter sich, und was böse ist, wird ausgeschieden, muß entweichen.

Plötzlich fuhr dem sinnenden Lisi was Kaltes in die Hand, daß es laut aufschrie, und hintenher hörte man ein rasch verhallendes Kichern. Es war der Schnauz, der Lisi begrüßt, Gretli, welches der Mutter entgegengekommen war. »Ihr wüsten Geschöpfer ihr«, sagte Lisi, »mich so zu erschrecken!« Und doch hatte es seine Freude daran, daß man ihns nicht vergessen, sondern ihm entgegengekommen war. Gretli, eine halbe Vertraute der Mutter, wie die Mutter halb und halb die seine war, schlug ohne Säumen auf den Busch um Bericht von unten, und die Mutter verhehlte Mißfallen und Mißtrauen nicht. Gäb sie so dabeisein möchte, wollte sie lieber in einem großen Ameisenhaufen sitzen. Wenn es da nicht bessere, solle sich eine in acht nehmen, ehe sie da g'meine. Sie wollte lieber einen Mauser oder einen Besenbinder als einen Mann aus einer Wespere. Deutlicher sprach die Mutter nicht, aber Gretli verstund sie doch, ging gesenkten Hauptes neben der Mutter her, und ob es noch vieles hörte, was die Mutter sagte, wissen wir nicht, wenigstens frug es nichts mehr, antwortete aber auch nichts.

Vor dem Hause machte Lisi, was heimkehrende Mütter nicht ungerne pflegen, es sah zum Fenster hinein, ehe es sich kündete. Auf dem Lande, namentlich auf einsamen Höfen, ist man eben nicht stark mit Vorhängen versehen wie in den Städten, wahrscheinlich hat man nicht so viel zu verbergen. Kinder und Gesinde saßen um den langen Tisch, rüsteten Apfel, und oben am Tisch saß Benz, hatte ein großes Buch vor sich und las laut, man hörte es draußen. »Jetzt lue, Meitschi«, sagte Lisi, »und sinn daran! Sieh, da sitzt der Vater daheim, die andern sind alle auch da, hören, was er liest, keines rührt sich, und es mag geben, was es will, so ist er da, und auf ihn kann sich alles verlassen. Unten im Hunghafen sitzt der Alte, kein Mensch weiß wo, vielleicht sitzt ein Bub am Tisch, vielleicht auch nicht, das Gesind treibt, was es will, in Lärm und Lachen, und Gritli pläret im Stübli oder wiegelt trübsinnig ein Kind. Lue, Kind, was das für ein Unterschied ist, wenn der Hausvater daheim sitzt oder wenn er anderswo sitzt, der Teufel weiß wo! Denk dem nach und vergiß es nicht! Dank Gott, daß es so ist bei uns, Meitschi! Du arms Tröpfli weißt noch nicht, wie glücklich wir sind, du hast noch nichts andres erlebt, aber wenn du die Augen recht auftust, so wirst bald sehen, warum wir Gott am meisten zu danken haben, und wirst den rechten Respekt vor dem Vater bekommen. Es hat mich heute mehr als einmal z'briegge ta, und doch wollte ich um tausend Gulde nicht, daß ich nicht unten gewesen; erst jetzt weiß ich auch, wie ich es so gut habe über alles Verdienen aus.« So sprach die Mutter, ging dann hinein, brachte Freude und hatte Freude. Das arme Meitschi draußen hatte die Predigt der Mutter wohl begriffen, sie füllte ihm sein Herz mit Tränen.

Gretli liebte Benz. Gretli hatte es mit Benz wie Predigers- oder Buchhändlerssöhne, welche ihr Lebtag nichts andres wissen, als daß sie mit den Jahren Prediger oder Buchhändler werden würden; so wußte Gretli nichts anderes, als des Vaters Pate sich als seinen Mann zu denken, es liebte denselben daher sehr und zankte sich viel mit ihm. Benz war im Grund liebenswert, wenn auch kein Ausbund, so doch hübsch und gut, und Gretli hatte Freude dran, sich als seine Frau zu denken, daher auch einen besondern Eifer, der Mutter gehörig an die Hand zu gehen und alles so gut zu lernen oder besser noch als die Mutter, um einst auch eine rechte, berühmte Bäurin zu werden. So in einer rechten Bauertochter aus edlem Hause ist der Wille lebendig, nicht bloß einen Bauern zu ermannen, sondern einem rechten Bauernhause wohl anzustehen und ihm Ehre zu machen. Von der Selbstsucht, bloß einen Mann zu ermannen, unbekümmert darum, wie gottvergessen einer mit ihr gestraft ist, weiß ein rechtes Meitschi nichts, wohl aber hat es das Selbstbewußtsein, nicht bloß eine Bäurin aus Gnaden heißen zu wollen, sondern eine zu sein mit Recht und Ehren. So ein Mädchen wird nicht leicht durch die Liebe blind; um eine rechte Bäurin zu sein, muß es einen guten Bauern zum Manne haben, einen, der nicht bloß alles wohl versteht, sondern auch den rechten Sinn dazu hat, das heißt den Sinn der Arbeitsamkeit, der Häuslichkeit, der Ehrbarkeit und Frömmigkeit. Diese vier Eigenschaften muß ein Bauer haben, ohne sie ist er keiner oder wird es nicht lange bleiben.

Das war's, was dem armen Meitschi fast das Herz zerschnitt. Es hatte keine Ahnung gehabt, daß Benz nicht der Rechte sei, es hatte sich bloß Mühe gegeben, selbst recht zu werden; jetzt fängt es an, bei Benz zu fehlen, und jetzt, was machen, wie helfen? Anfangs kam wohl auch das Mißtrauen gegen die Mutter, welche die Sache zu schwer nehme und nicht mehr wisse, was Jungsein heiße, und wenn Benz Wein im Kopfe gehabt, so könne das ja jedem begegnen, und vielleicht habe es die Mutter nur so gedünkt. Mit einem vernünftigen Wort könne man mit Benz sicher machen, was man wolle. Aber solche Gedanken hielten nicht lange Stich, denn Gretli kannte seine Mutter zu gut, als daß es hätte denken können, sie mache aus einer Laus einen Elefanten. Zudem hatte Lisi Benz lieb, sah gewiß nichts Böses an ihm aus Widerwillen, hatte ja nie ein Wörtlein gesagt, um Gretli ihm abwendig zu machen.

Je lieber dem Menschen eine Sache ist, welche in Gefahr kommt, desto mehr Angst kriegt er, desto größer scheint ihm die Gefahr, desto dringlicher scheint ihm die Not, zu helfen, zu retten. Da wird fast zu klein für das große Bangen das größte Mädchenherz, der Schlaf geht fort, die Sinne werden schlaff, das Gedächtnis kriegt Löcher, Überlegen und Besonnenheit schwinden, kurz, der Zeitpunkt trittet ein, wo die Köchinnen die Suppe entweder zweimal salzen oder gar nicht, die Untermägde das Garn verdrehen, die Töchtern das Psalmenbuch aufs Sauerkraut legen und mit der Wurst in der Hand andächtig zur Kirche gehen, wo sie nicht mehr wissen, wie sie heißen, und wo es höchst gefährlich ist, sie in Garten zu senden, dieweil sie Salat, Kohl und Kabis ausreißen mit beiden Händen, fein säuberlich dagegen das Unkraut stehenlassen.


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