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Viertes Kapitel

Wie die Aufklärung für Volksbelustigungen sorgt

Gretli stellte sich dieses Verderbtwerden wie eine Krankheit vor, welche man akute nennt, so ein Nervenfieber, eine Gehirn- oder andere Entzündung oder gar die Cholera, welche in wenig Stunden oder Tagen dem Menschen Feierabend macht. Es gibt wirklich zuweilen auch solche Anfälle, welche über den Menschen kommen oder über ganze Völker, in welchen der Mensch zum Mörder, zum Dieb, zum Verbrecher wird fast plötzlich und es bleibt sein Leben lang, in welchen ganze Völker wie wahnsinnig werden, wie mit einem allgemeinen Rausch behaftet, das Greulichste vollbringen, ihr eigen Glück begraben auf Jahrzehnte und Jahrhunderte. Die meisten sittlichen Krankheiten oder Krankheiten der Seele sind langsamer oder, wie die Gelehrten sagen, chronischer Art, sind zäh, wachsen langsam, fast unmerklich, und Jahre kann es gehen, bis sie dem armen Schächer ein Ende machen, indem sie ihn langsam aufreiben oder, zur Leidenschaft geraten, immer rascher verzehren. Wie es zumeist langsam geht, bis eine krebsartige, verzehrende sittliche Krankheit einen Menschen zugrunde gerichtet hat, so geht es noch langsamer, bis ein ganzes Haus von dieser Krankheit angesteckt und zu Fall gebracht wird, zuweilen dauert es durch zwei oder drei Geschlechter; gegenwärtig, in dem Jahrhundert der Eisenbahnen, wo man viel schneller fährt und lebt, geht es rascher. Wie das Feuer, welches ein ganzes Haus verzehrt, von einem Punkte ausgeht, geht der sittliche Krebs von einer Person aus; so hat das sittliche Verderben eines Volkes immer auch einen Brennpunkt, von welchem aus es über das Volk kömmt. Derselbe sitzt zumeist bei denen, welche die Gewalt haben, sei es, daß es ihre eigene Natur ist oder ihr Schoß dazu gemacht wird, ohne daß sie es merken. Das ist um so gefährlicher, weil man da nicht wehren kann, weil es da geht wie bei einer Feuersbrunst, wenn man die totschlägt, welche löschen wollen, und die zu Gnaden nimmt, welche das Feuer schüren. Da kömmt es dann darauf an, ob eine Kraft im Volke sei, welche größer ist als die, welche die Krankheit verbreitet und absichtlich oder gedankenlos die andern ansteckt, eine Kraft da sei, welche mächtig ist, zu löschen und zu lähmen die, welche das Feuer haben wollen. Ist eine solche Kraft vorhanden, so rettet sie das Volk, wo aber nicht, so wird es elend und geht zugrunde.

Unserm lieben Gretli ist es zu verzeihen, wenn es den Lauf solcher Krankheiten nicht kannte. Überhaupt ist es der Liebe Art, mit der Hülfe nicht zu zögern und den Ochsen oder Esel, der an einem Sonntag in den Brunnen fällt, nicht bis am Montag zappeln zu lassen, geschweige dann einen Liebhaber. Es dachte nicht, daß es ihm ein recht Kapitel lesen wolle gut altdeutsch, dazu hatte es kein Recht, denn, so was man sagt versprochen, waren sie nicht. Es durfte nur so hintenum mit ihm reden, ihm verblümt zu merken geben, was es meine. Das ist nun wirklich wohl schwer, kann sich doch manche Frau nicht recht begreiflich machen, gäb wie armsdick sie spricht und mit allen zehn die Zeichen dazu greift. Die Mutter sah die Wirkung ihrer Rede wohl, aber sie setzte sie nicht fort. Wahrscheinlich dachte sie, vieles Gerede über wichtige Dinge schade dem weiblichen Gemüte, dies müsse stark werden und zu diesem Ende frühe lernen, das Wichtigste in sich selbst zu verwerchen ohne andere Hülfe als die von Gott.

Zum Glück war ein Sonntag vor der Türe, an welchem getanzt wurde in allen Wirtshäusern im Kanton Bern. Solcher Sonntage sind sechs gesetzlich bestimmte. Solche Tage sind im Kanton Bern, was die Tage der Heiligen im Kanton Solothurn und andern katholischen Ländern. Da heißt es, der Heumonat-, der Weinmonatsonntag usw., als ob in gedachten Monaten ein einziger Sonntag sei, für viele allerdings, für alle, denen der Sonntag kein Tag der Heiligung mehr ist, sondern bloß der rechte Fleischtag der Woche, das heißt der Tag, welchen man dem Fleische weiht und dafür sorgt, daß wenigstens an diesem Tage allem Fleisch auf Erden so recht sauwohl sei. Unter diese gehörte Gretli nicht. Im väterlichen Hause war eine andere Zucht, und diese führte zu einem andern Sinne. Indessen tanzte Gretli an solchen Sonntagen auch mit, wenn es schon nicht meinte, es müsse jedesmal dabeisein, wenn der Geiger den Bogen strich. Gretli war ein junges, lustiges Blut, und die Eltern dachten: »Ein Tanz in Ehren soll niemand wehren.« Sie hatten in ihrer Jugend auch getanzt, und zwar in allen Ehren; sie glaubten, ihre Kinder so erzogen zu haben, daß sie es ebenfalls auf gleiche Weise könnten.

An selbem Sonntagmorgen sagte Gretli der Mutter, es möchte hinunter ins Dorf gehen, wenn sie nichts darwider hätte; wenn was zu verrichten sei unten, wolle es es schon machen. So alleine gehe es aber nicht gerne; ob nicht Bäbi es begleiten könne? Bäbi war die Magd, die sogenannte Meisterjumpfere. Daß eine Magd mit der Tochter des Hauses zum Tanze oder, wie man hier sagt, auf den Tanzboden geht, ist eine tägliche Erscheinung, fällt niemanden weder im Guten noch im Bösen auf. Die Mutter erlaubte es, behielt aber, wie üblich und anständig, den Vater vor, obgleich sie wußte, daß, was ihr recht, dem Vater nicht zuwider war.

Als das Mädchen nachmittags fix und fertig vor die Mutter trat und sagte: »Leb wohl, Mutter, und hast noch was zu verrichten, so sag's!«, da erglänzten Lisis Augen von mütterlicher Freude. Gretli war ein nettes, schmuckes Mädchen, nicht zu groß, nicht zu schlank, so eben recht, um des Lebens Stürme zu ertragen, und alles, was es anzog, glänzte an ihm ganz besonders. Sein Hemd schien weißer als das anderer Leute, seine Schürze leuchtete vor allen andern, es war, als wenn alles erst recht rein und sauber würde, wenn Gretli dasselbe am Leibe hätte. Das ist keine üble Eigenschaft, andere haben es umgekehrt. Wir möchten sagen, es sei eine eigentliche Gabe Gottes. »Sieh, da hast was Geld!« sagte die Mutter. »Mangle es nicht«, sagte Gretli, »habe bei mir.« »Nimm's«, entgegnete die Mutter, »und zahle Bäbi eine Halbe; es kömmt so selten zum Wein und hat sich b'sunderbar wohl gestellt diesen Herbst, und wenn es keinen Burschen findet, der ihns zu Gast hält, so laß ihm aufstellen, Braten meinethalb und es Schübeli Salat dazu oder sonst, was sie haben!« Die Mutter konnte sich nicht enthalten, so gleichsam im Vergeß ihnen nachzutrappen auf den Rand des Hügels, wo sie ihnen weithin nachsehen konnte. »Bäbi hat angewendet«, sagte sie für sich, »und ist ein brav Mensch, stark und groß, aber das mag anwenden, wie es will, dahin bringt es es doch nie, daß man nicht von weitem sieht, welches die Tochter und welches die Jumpfere ist; und wenn Gretli nur die Werktagkleider anhätte und Bäbi g'suntiget wär, was es ertragen möchte, man sähe doch von weitem, was jedes wäre. Es ist dann nicht, wie es im Sprüchwort heißt, daß die Kleider immer die Leute machen; manchmal machen auch die Leute die Kleider.«

So ein schöner Sonntag halb im Herbste und halb im Winter, an welchem einzelne verspätete Pfyfolter ihre Flügel noch versuchen, Mücken in der Sonne tanzen, Mädchen der Lust nachflattern oder der Liebe oder beidem zugleich, ist eine milde, väterliche Predigt Gottes über die Worte des Apostels: »Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume, das Gras ist verdorret und seine Blume abgefallen, aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit.« Aber flatternde Mädchen haben zumeist die Ohren für solche Predigten noch nicht. Der Herr predigt immer zu rechter Zeit, aber es ist das Schicksal solcher Predigten, daß man sie zumeist erst hintendrein begreift, besonders Mädchen, es wäre denn, daß sie im Pech der Liebe säßen, die Liebhaber den Finkenstrich genommen.

In Gretli war eine Stimmung, nicht ganz wie die der Mädchen im Pech, aber doch eine ernste; es blangte nach Benz, und doch machte es ihm angst, ihn zu finden, denn wie ihm alles sagen so eben recht verblümt, daß er es merken und doch nicht übelnehmen konnte? Dagegen war Bäbi voller Lust wie ein Zicklein auf der Weide. Es hätte nicht viel gefehlt, es hätte hell aufgejauchzt, daß es zu Berg und Tal sich widerschlagen. Es ist sich aber auch nicht zu wundern. Schön z'weg wie vielleicht noch nie, das Herz voll Hoffnung, die Welt voll Sonne, die Meisterstochter an der Seite, Liebe und Lust nachzulaufen, will wahrhaftig was sagen, ist ein schön Ding.

Noch waren sie nicht im Dorfe, so vernahmen sie, es werde dort nicht getanzt. Der Wirt hätte keine Geiger bekommen können. Der Wirt fluche über die Geiger, sie seien ein nichtsnutzig Pack, könnten nichts als fressen, saufen und hundertjährige Tänze; habe man ihnen aufgewartet wie den vornehmsten Herrschaften, sei es am Ende nicht recht, und wenn nicht jeder seine drei Gulden hätte, sagten sie einem wüst. Er wolle mit der Gattig Zeug lieber nichts mehr zu tun haben. Die Geiger dagegen bliesen auf einem andern Loche, vermalestierten den Wirt schrecklich, der sie dursten ließe, daß es ihnen ganz blöde geworden, ganz miserabel, daß sie vor Hunger nicht hätten schlafen können, daß er ihnen lieber nur drei Kreuzer als drei Gulden gegeben. Lieber wollten sie an einer Bettlerhochzeit geigen als bei diesem Wirte. So war großer Zwiespalt zwischen diesen Majestäten, und wie üblich mußte das Volk es büßen. Schon der alte Virgil sagt ja: »Wenn die Könige sich raufen, müssen die Völker die Haare lassen.«

Indessen vernahmen sie zugleich, daß der Strich des jungen Volkes nach Gäuchliwyl gehe. Dort sei heute ein groß Spektakel, beim obern Wirt sei eine Grännete, beim untern ein Sackgumpet. Dies sind zwei der geistreichsten Belustigungen, Kinder der Kultur, der Bildung und Aufklärung; sie entstunden nicht zugleich, sondern etwas nach den Schullehrerseminarien, eigentlich gleich nach der Freigebung der Wirtschaften auf Patente und den errichteten Pflanzungen der Menschen, welche nicht arbeiten mögen, dagegen desto besser leben wollen. Begreiflich, wer nicht arbeitet, hat desto besser Zeit zum Gutleben.

Jeder Wirt will leben, sucht sein Publikum, daher großer Fortschritt in Erfindungen von allen Arten. Der Erfindungsgeist hat vorher in hundert Jahren nicht halb soviel zutage gefördert als in den letzten zehn Jahren: Also Gränneten, wo einer alle mit Grimassen zu überbieten sucht, Sackgumpeten, wo die Kämpfer, in Säcke gesteckt, die am Halse zugebunden sind, nach einem Ziele gumpen oder hüpfen müssen. Eine Menge anderer herrlicher Erfindungen wie Gänseköpfeten usw., zu welchen das Publikum ununterbrochen eingeladen wird, wollen wir nicht erwähnen.

Was das Bäbi für eine Freude hatte, mal so was Schönes zu sehen! Es hätte nicht geglaubt, daß es ihm geordnet sei, so was B'sunderbares zu sehen, sagte es. Es hatte Mühe, das Herz im Leibe zu behalten, daß es ihm nicht vorausgumpe Gäuchliwyl zu. Viel Leute waren dort, besonders war die Jugend sehr zahlreich vertreten, von wegen so was ist ungeheuer bildend für die strebsame junge Welt, unendlich bildender als der Besuch eines Kindergottesdienstes. Warum sollten daher die Lehrer und die Schüler nicht das Bildendere dem Verdummenden und Veralteten vorziehen? Wie auf rote Schnecken, wenn es regnen will, trappete man bei jedem Schritte auf einen Schulmeister. Als Gretli kam, hatte beim untern Wirt die Grännete noch nicht angefangen; die Geigen gingen, und einige verlorne Paare fuhren wie angebrannte Schwärmer den Wänden nach. Der Wirt hatte nicht Stroh im Kopf, er spekulierte, wenn er mit dem Gränne erst anfange, wenn der obere Wirt mit dem Sackgumpen bald zu Ende sei, so ziehe er die Masse zu sich herab; habe er sie einmal, so gingen die meisten nicht mehr hinauf, wenn das Grännen auch aus sei, sondern blieben bei ihm.

Eben als Gretli beim untern Wirtshause vernommen, daß man erst hinaufmüsse, kam eine Chaise angefahren. Der Wirt war alsbald bei der Hand. Einer der beiden Herren, welche in der Chaise waren, rief ihm entgegen: »Wir kommen doch nicht zu spät, die Grännete ist doch noch nicht aus? Von wegen, wegen der kommen wir!« »Nein, Herr Regierer«, sagte der Wirt, »sie gumpen oben erst. Ich dachte, ich wolle warten, die Leute können nicht an beiden Orten sein.« »Nit dumm«, sagte der gleiche Herr, »Ihr seid ein Pfiffikus. Nun, so wollen wir hinauf. Aber wie wissen wir es, wenn Ihr unten anfangt?« »Will es Euch sagen lassen«, sagte der Wirt, »und nicht anfangen, bis Ihr da seid.« » Ma foi, d'Sach ist impayabel«, sagte der andere. »Ich hätte nicht geglaubt, daß unserem Volk so was in Sinn käme, es ist köstlich.« »Da seht Ihr, wie es sich entwickelt und was ihm für Einfälle kommen, seit es frei ist«, antwortete der andere und machte ein seltsam Gesicht zu den Worten. » Ma foi oui«, antwortete der zweite ganz ernsthaft. »Das sind Erscheinungen, ich hätte sie vorher nicht geglaubt, wenn es mir jemand vorausgesagt, das sind Tatsachen für den Historiker.« »Eine Prise, Herr Präsident!« sagte der erste und bot eine schöne Dose ihm dar. Der Präsident zog rasch seine glacierten Handschuh aus, sagte: » Excusez! Ihr habt immer verdammt starken Schnupf, eh bien, er macht desto heller im Kopf.«

Gretli sagte zu Bäbi: »So, sehe ich die einmal, die gefallen mir schlecht.« »Kann nicht sagen«, antwortete Bäbi, »der mit der Schnupfdrucke ist so für einen Herrn nicht der Schönste, ich habe geglaubt, die Herren seien schöner, die Haut im Gesicht mahnt mich ganz an eine Kuhhaut, wenn sie halb gegerbt ist. Der andere aber wohl, der gefällt mir, er mahnt mich ganz an unseres Schneiders Bub, der lustige und hoffärtige, wo in der ganzen Welt herumkam bis z'hinterst hintere, bis ins Luggli (Locle), ja bis Punterlü (Pontarlier), wie sie sagen, kann's aber schier nicht glauben.«

Hinter dem Wirtshaus auf einer Wiese war der Sackgumpet; weit über das ganze Dorf weg erscholl das Gelächter, wenn einer fiel und unbehülflich mit den eingebundenen Armen am Boden zappelte, aufstehen wollte und nicht konnte. Gretli achtete sich dessen wenig, seine Augen gingen suchen, aber umsonst. Da stieß Bäbi seine Begleiterin unsanft in die Seite und sagte laut, wie wenn sie oben auf der Ankenballe alleine im Bohnenplätz wären: »Lue dert, dert links, dort ist Hunghanse Benz, ein ganzer Haufe Meitscheni sind dort, hoffärtigi vom Tüfel!«

Gretli hatte es ungern und wurde über und über rot, denn die Leute sahen sich nach ihnen um, aber gäb wie es zu Bäbi sagte: »So schweig doch!«, Bäbi demonstrierte fort, mit weit ausgestrecktem Arme hinzeigend auf Hunghanse Benz, und steuerte derselben Seite zu. So meinte es Gretli nicht, mit einigen derben: »Halt's Maul, willst dich stillehalten oder nicht!« brachte es endlich Bäbi dahin, daß es bloß noch muckelte: »Meinethalben, wenn du nicht willst, so laß es sein; das hat man davon, wenn man es gut meint und in guter Meinung z'weg helfen will.«

Es gibt Leute, welche nichts merken, und wenn man ihnen die Winke mit dem Holzschlegel um den Kopf schlüge. Diese Leute leben im süßen Wahne, andere Leute merkten sowenig als sie, reden und gebärden sich, als ob sie alleine auf der Welt wären oder die andern weder Augen noch Ohren hätten. Sind kommode Leute das, ausgenommen wenn man ihnen eben was zu merken geben will.

Man mag die Gleichheit der Menschen predigen, wie man will, so wird es immer verschiedene Stufen geben und namentlich bei den Meitscheni. Bäbi zum Beispiel stund auf der Stufe, wo man die Buben beim Arm erfaßt, nebe ume reißt, ihn anbrüllt: »Seh, kannst mir wohl eine Halbe zahlen und einen mit mir haben!« und ihn nicht wieder losläßt, wenn es wohlgeht, bis er eine Halbe gezahlt und einen mit ihm gehabt, und dann noch nicht einmal oder wenigstens höchst ungerne. Gretli stand schon auf einer ganz andern Stufe; da ist das Aktive ins Passive übergegangen, man will bemerkt, aufgesucht, gebeten und wieder gebeten werden. Höchstens hilft man der Natur, das heißt seinen geheimen Wünschen ganz fein nach, und zwar womöglich durch die dritte oder vierte Hand. Gretli tat auch das nicht. Aber verhehlen wollen wir nicht, daß es ihns zusammenzog und der Atem ihm kurz wurde, als stecke es in einem Schnürleibe, welche leider Gott auch auf dem Lande durch unselige Nähterinnen, ein im allgemeinen verderblich Gezüchte, eingeführt werden.

Es ist wirklich ein streng Ding: Einen besonders im Auge zu haben, und dieser eine braucht seine Augen anderswo, tut auch nicht einen Blick dahin, woher er so inbrünstig ins Auge gefaßt ist, daß es akkurat ist, als täte er mit Fleiß so dumm und sehe nur an einen Ort hin. Nicht weit von Benz sah man die zwei Herren stehn; wie es schien, kannten sie ihn, und der, welcher dem lustigen Schneider glich, tat schön, wahrscheinlich der Mädchen wegen, unter denen eine Reiche sein konnte, nach denen er seit langem fischen ging, denn gerade eine solche hatte er sehr nötig. Da trat zu ihnen ein Mann, der mit besondern freundschaftlichen Rücksichten begrüßt wurde. Gretli kannte ihn, es war Hunghans. »So«, dachte es, »der auch da? Was müßte man wohl dem Vater geben, wenn er heute dasein sollte? Aber es wird sein, was die Gotte geklagt: seit er ein Herrenschlecker geworden, sei er kein rechter Mann mehr. Jä, und wenn es dann noch rechte Herren wären!«

Da gab's Bewegung. Nach stattgehabter Begrüßung, welche anfangs beinahe den Anschein hatte, als wollten sie sich küssen, machten die Herren lange Beine und mit Hans dem untern Wirtshause zu. Hans hatte nämlich die Nachricht gebracht, der untere Wirt möchte das Grännen angehen lassen. Das hatten auch noch andere gehört, liefen den ersten nach und die andern diesen nach, sie wußten nicht warum, aber ein eilend Gehen mehrerer hat was Magnetisches, zieht die andern nach; es gab einen allgemeinen Aufbruch. Das Volk stund auf, es wußte nicht warum, wie eine radikale Kapazität sich einmal ausdrückte. Mit Erstaunen und mit Grauen sah der obere Wirt diesem unerwarteten Manöver zu. Er frug: »Brennt's, brennt's, wo, was?« Nicht daß man wüßte, erhielt er endlich zur Antwort, aber beim untern Wirt gehe das Grännen an. Der Regierer sei schon voran. Umsonst rief der Wirt: »Wartet doch, wartet, es wird noch einmal gumpet, es ist noch nicht aus, es wird noch einmal gumpet!« Er rief umsonst; die Leute wollten nichts mehr vom Gumpen, sie waren jetzt aufs Grännen versessen. So wandelbar ist des Volkes Laune. Jetzt einmal erfuhr der obere Wirt, was Fluchen nützt. Er fluchte, daß der Boden zitterte, kein Mensch sah sich um; alles lief, als ob die Nachricht gekommen, im Unterdorf sei Kalifornien angekommen, dort könne jeder Gold haben, soviel er wolle. Bloß eine alte, lahme Frau, welche den Nachzügler vorstellte, wandte sich endlich um und sagte: »So schweig doch, du Brüllhung, sprengst sonst die Zähne aus dem Maul und hast sie nötig, wenn du selbst fressen mußt, was du geschlachtet hast!«

Auf dem Wege nach unten stieß im Gedränge Gretli auf Hunghans. Dieser begrüßte es freundlich und redete einige Worte mit ihm. Der Präsident sah nicht sobald Hunghans mit einem Mädchen reden, so handhabte er seine elegante Lorgnette, und im Drang seines weichen Herzens frug er den Hunghans, daß Gretli es noch hörte: »Wer ist das charmante Kind, mit welchem Ihr da gesprochen? Es charmants Töchterli?« »Es ist meiner Frauen Gotteli«, sagte Hans, »der Vater ist der Bauer auf der Ankenballe, man sagt ihm nur Ankenbenz, wir sind noch verwandt miteinander, von meiner und von der Weiber Seite.« »So, so«, sagte der Präsident, »es charmants Töchterli; also der Vater ist ein Bauer, was man sagt, ein hintersetzter, und die Tochter eine gute Partie?« »Ho«, sagte Hans, »wahrscheinlich. Wenn einmal alles gestorben ist, so bekömmt sie den Rest, wie man zu sagen pflegt.« »Ihr seid immer ein Spaßvogel. Es ist ein charmantes Töchterlein, ich sah heute noch keins, das mir so in die Augen gab. Das wird Liebhaber haben, ist vielleicht schon versprochen?« frug der Präsident. »Nicht daß ich weiß«, sagte Hans, »daneben ist's möglich, bin wenig daheim, und wenn ich es schon wäre, Meitschi haben ihre Sache oft sehr geheim. Nicht wahr, Herr Präsident?« »Ihr seid ein Vogel, Herr Amtsrichter«, sagte der Präsident geschmeichelt. Denn er hörte nichts lieber als Anspielungen auf seine Feldzüge und Siege beim weiblichen Geschlechte. Aber von da an trachtete er nach Gretlis näherer Bekanntschaft. Diese machte sich zufällig ganz leicht.

Benz und Gretli waren doch zusammengekommen und ganz zufällig, nicht einmal Bäbi hatte was dran gemacht; sie suchten beide einen Ort, wo man das Grännen am besten sehen könnte, da fanden sie sich. Bei den ersten Versuchen der Gränner mußte man lachen, nachher ward es zum dummen, einfältigen Spaß, dem man mitunter durch Schweinereien auf die Beine zu helfen suchte. Der Präsident spekulierte auf interessantere Aussichten, strich mit der Lorgnette herum, fand endlich Gretli und glücklicherweise bei Benz. Benz kannte er wohl, hatte ihn schon öfters beim Vater gesehen, mit ihm getrunken und gespielt. »Ja so«, sagte er, »Ihr seid in charmanter Gesellschaft, habt Euch vortrefflich placiert, aber d'Sach ist langweilig, es ist am Ende alles das gleiche und keine Abwechslung darin.« Nun dozierte er und zog dazu den Handschuh der Hand ab, an welcher er einen goldenen Siegelring hatte, wie er an anderen Orten anderes gesehen und unendlich geistreicher, wie man es hier machen müßte, und es fehlte nicht viel, er hätte im Drange seiner Begeisterung die Richtigkeit seiner Behauptungen anschaulich durch eigenes Grännen dargestellt.

»Wo bleibt unser Präsident?« sagte der Regierer, dem die Grännete nachgerade ebenfalls langweilig ward. »Was gilt's, er macht aber das Böcklein und streicht den Meitschene nach. Wir wollen ihm auf die Fährte, ungern oder nicht ungern hat nicht viel zu bedeuten, nicht wahr, Herr Amtsrichter?« »Ho«, sagte der Amtsrichter, »das war von je der Brauch, daß man einander in dieser Sache etwas plagte. Was man dem einen heute machte, das macht er dem andern morgen wieder. Das zahlt einander und geht am Ende z'gleichem auf.« »Ihr seid ein alter Praktikus, Herr Amtsrichter, merk's. Unser Junge aber ist noch jung, macht d'r Narr, möchte einen guten Schick machen, versteht aber den Pfiff noch nicht; nicht wahr, Amtsrichter?« »Der Herr Regierer verstund's besser«, sagte der Amtsrichter, »es ist gut, daß er schon eine Frau hat; es wäre sonst schlimm, vor dem sich in acht zu nehmen.« Darauf sagte der Regierer nichts. Wenn er nicht Wein getrunken hatte, so besaß er einen bedeutenden Takt, Gespräche anzuknüpfen und sie wiederum fallen zu lassen und beides zu rechter Zeit.

»Dort ist er«, sagte der Amtsrichter. »Hätt's nicht geglaubt, daß er eine so gute Nase hätte; es ist schade, ist er nicht zu was anderem geraten, vor dem wäre kein Hase im Lager sicher, er stüpfte alle auf.« »Wo?« sagte der Regierer, der eben zuweilen tat, als sehe er nicht am besten. »Dort«, sagte der Amtsrichter, »dort bei dem Meitschi steht er, wo er vorhin gefragt, wer es sei. Er wird die gesucht haben, als er Euch verließ.« »Wer ist der, wo dabeisteht, ist das nicht Euer Sohn, der älteste, nicht der Leutnant?« »Es wird«, sagte der Amtsrichter. Der Regierer machte keine Bemerkung gegen den Amtsrichter, grüßte Benz, zog dagegen den Präsidenten auf, mutete ihm zu, er mache polizeiliche Nachforschungen, tauge aber nichts dazu, bleibe stecken, werde selbst aufgegriffen usw.

Der Präsident fuhr lange herum nach einer witzigen Antwort, aber es ging ihm wie einem, der mit einer langen Stange im Nebel herumfährt, um ihn anzuspießen. Als er keine an seinen Spieß kriegte, lenkte er ein auf seine Ansichten, wie man solche volkstümliche Bildungsmittel, Gränneten, Sackgumpeten, Gänseköpfeten usw. ästhetischer machen und etwas mehr Geist hineinbringen könnte. Wenn einmal wieder so was los sei an einem Orte, wolle er vorher mit den Leuten reden, ihnen seine Ansichten mitteilen. Er sei überzeugt, man könne sich mit nichts um das Volk verdienter machen, als wenn man an seinen Freuden Anteil nehme, in Gottes Namen Lieb und Leid mit ihm teile. »Und die Meitscheni auch, nicht wahr, Herr Präsident?« sagte der Regierer. »Solche Aufopferungen sind die schönsten Opfer auf dem Altar des Vaterlandes.« »Ich kenne Leute, welche in diesem Punkte großer Aufopferungen fähig wären«, antwortete spitzig der Präsident.

Gretli suchte diese Zweisprache zu benützen und wollte sich drücken. Der Präsident sah es und: »Jungfer ... er ... er (er durfte nicht Jungfer Ankenbenzin sagen, und den Geschlechtsnamen kannte er nicht), ich bin so frei, einen Vorschlag zu machen; zu sehen ist doch nichts mehr, wie wär es, wenn wir hineingingen zu Freund Weinzäpfli?« Gretli tat, als beziehe es dies nicht auf sich, und wollte weitersteuern, Bäbi zu, welches in der Nähe stund und an der Grännete ein göttliches Vergnügen durch sperrangelweit geöffnetes Maul einsog. »Nein, bitte sehr!« sagte der Präsident, »Jungfer ... er ... er macht uns sicher das Vergnügen und bleibt in unserer Gesellschaft?« Es sei nicht alleine, sagte Gretli, müsse bald heim usw. Da kam Bäbi daher und raunte Gretli ins Ohr: »Der lange Melcher ist da, der letztes Jahr bei uns war, der Lauser muß mir eine Halbe zahlen; ruf mich, wenn du fortwillst!«, und ehe Gretli antworten konnte: »Gleich jetzt!«, war Bäbi weiters dem langen Lauser zu sonder Rast, damit ihn nicht eine andere erjage.

Nun hoffte Gretli auf Benz, der werde ihns aus der Herren Hände befreien, oder auf dessen Vater. Doch umsonst. »Tu nicht so nötlich und komm!« sagte Hans, »sövli bös wird es dir nicht gehen; du kannst ja wieder fort, sobald es dir erleidet ist.« Das tat Gretli sehr weh, daß die Freundschaft von Vater und Sohn größer war zu den Herren als zu ihm. Sie sahen doch, wie ungern es kam, aber weil die Herren es wünschten, darum war's gleichgültig, komme es gerne oder ungerne, dachte es. Gretli verstummte und ging, dachte dabei: »So, ist das so gemeint? He nun in Gottes Namen, so mach, was du willst, heirate meinethalben einen von diesen Möffen, aber deinetwegen versetze ich keinen Tritt mehr.«

Und Gretli warf die Lippen auf und machte sein Köpfchen. Das Schmollen ist eine Waffe, welche jedes Weib hat, so wie der Esel die Hufen, der Ochse die Hörner. Es hat aber noch eine zweite Waffe, und diese hat es wie der Wolf die Zähne, die Wespe den Stachel. Das Schmollen ist eine Kunst, welche jedes Weib kann von Natur so gut als der Fisch das Schwimmen, der Vogel das Fliegen. Freilich nun sind die Kunstfertigkeiten und Manieren dabei verschieden. Die einen schweigen ganz und machen ein Gesicht dazu wie ein verblüfftes Flußpferd, wenn es den Kopf übers Wasser streckt und eine Kugel in die Nase kriegt; andere reden aber aus dem Pfeffer und machen Augen dazu wie Katzen im finstern Mond; andere werfen eben die Lippen spöttisch auf und geben Antworten, die aufs Haar wilden Kastanien gleichen, die Hülle ist stachlicht, der Kern bitter; noch andere kehren das Gesicht immer weg, man kriegt es gar nicht zu sehen, und wenn sie reden, so versteht niemand, was sie sagen; sie werden ungefähr dem Himmel gleichen einen Tag vor der Sündflut, wo ihm jedermann ansah, daß es mit ihm nicht richtig sei, aber auch niemand recht begriff, was es geben sollte.

Die Herren führten ihre ganze Liebenswürdigkeit ins Feld, ja sie ließen sogar die Reserven ausrücken, schenkten ein, machten Gesundheit, fuhren mit Tellern voll guten Sachen Gretli ununterbrochen um das Gesicht herum, drückten artige Komplimente z'weg, brachten allerliebste Neckereien vor, machten Anspielungen, welche, besonders die des Regierers, oft ziemlich saftig ausfielen. Benz saß da wie ein Klotz, und Hans dachte, seinethalb könnte es gehen, wenn es wolle, ihn dünke es, das Meitschi sollte bald genug haben. Des Meitschis Lippen wurden auch immer stotziger und seine seltenen Antworten schnippischer. Der Präsident fand, die Tochter hätte Geist, nur sei er nicht poliert, ein ungeschliffener Demant; das sagte er zwar nicht, sondern sprach von einem Tänzli, bedauerte bloß, darauf nicht eingerichtet zu sein. Handschuh hatte er, aber wahrscheinlich taugten seine Stiefel nicht mehr zum Tanzen. Dazu kam nun noch der junge Hans halb betrunken, sprach ebenfalls vom Tanzen und wollte Gretli nicht gehen lassen, welches schon mehrere Male aufgestanden war.

Glücklicherweise streckte Bäbi den Kopf zur Türe hinein und rief: »Gretli, los neuis!« Gretli ging hinaus, ließ die Türe offen, machte sich aber die Treppe ab zur hintern Türe hinaus, gäb wie ihm Bäbi nachrief: »Los doch, wart doch, los doch, wart doch! Lauf doch nicht, wie wenn du gestohlen hättest!« Aber Gretli wartete nicht, bis es sich vom Wirtshaus aus unsichtbar gemacht hatte. »Was ist doch nötig, so zu laufen?« keuchte da Bäbi heran, »wollte ja nur sagen, es sei mir erleidet in dem verfluchten Neste, ich wolle fort, sollest mich nicht suchen, wenn es dir etwa bei deinen Herren auch erleidet sei.« »Ich wollte, die wären, wo die Schneegänse; aber warum ist es dir so bald erleidet?« sagte Gretli. »He warum, der lange Lauser ließ eine Halbe kommen, vom besten befahl er, trank dann wie eine Kuh, die verbranntes Heu gefressen, und als er sie alleine fast ausgesoffen, lief er hinaus, sagte, er müsse jemanden was sagen, kam nicht wieder, und wer die Halbe bezahlen konnte, das war ich und hatte ein einzig Glas davon, der Hund, was er ist! Mein Lebtag sage ich keinem mehr, er solle eine Halbe zahlen.« »He nun«, sagte Gretli, »es ist uns dann beiden gleich gegangen, Verdruß gehabt und sonst nichts. Das ist gut für ein andermal, wir wissen dann, ob wir daheim bleiben oder so mir nichts, dir nichts in der Welt herumlaufen sollen.« »Hast du auch zahlen sollen?« frug Bäbi bedauerlich. »Warum nicht gar!« sagte Gretli. Da ward Bäbi still und sann darüber nach, was wohl Gretli so habe aufbringen können, wo man so schön aufgewartet und es doch nicht hatte zahlen müssen.

Als Gretli nicht wiederkam, kam der Präsident in Unruh. »Geht doch und seht, wo sie ist!« sagte er zu Benz, »die wäre zuletzt noch imstande, uns davonzulaufen.« Als Benz nicht gleich wiederkam, ging der Präsident ihm nach. Aber beide fanden Gretli nicht. Das Meitschi blieb verschwunden. Vom Regierer ward der Präsident tapfer ausgelacht, seine Kunst, die Mädchen zu fesseln, scharf bespöttelt. Noch jetzt wollte er die jungen Herren allenthalben ausstechen, behauptete der Regierer. Wenn es ihm einmal begegnet wäre, daß ihm ein Mädchen so unter den Händen drausgelaufen, er hätte sich vierzehn Tage lang vor den Leuten nicht sehn lassen dürfen. Die Mannschaft vom Hunghafen sagte nicht viel dazu, sie schien durch die Flucht des Mädchens sogar erleichtert. Der Alte ward lustiger, die beiden Brüder machten sich zum jungen Volk. An Gretli dachte niemand weiter als der Präsident. Es sei schade, daß das Mädchen so schüchtern sei, dachte er, aber wenn man ein paarmal mit ihm zusammengekommen sei, werde ihm dies schon vergehen. Keiner unter ihnen hatte eine Ahnung von dem, was in Gretlis Herzen vorging, von seinem Zorn über alle.

Es gibt viele Leute, welche durchaus keinen Sinn haben für das, was in andern Herzen vorgeht, namentlich nicht für die Eindrücke, welche sie selbst gemacht und welche sich auf sie beziehen. Das sind zumeist Leute, welche nur mit sich beschäftigt sind, und doch wissen zumeist gerade diese Leute am allerwenigsten, wer sie sind, was sie sind, ja gewöhnlich nicht einmal, woher ihre Gedanken kommen, was sie bedeuten, höchstens, was sie begehren.

Als Gretli heimkam, merkte die Mutter alsbald, daß was nicht richtig sei, und brauchte nicht lange zu fragen, um alles zu vernehmen. Gretli begehrte gar bitterlich auf, erst über die Herren. »Sellig Herren u sellig Uflät!« Und erzählte der Mutter, was dieselben gesagt und wie sie sich gegen ihns betragen, gerade als ob es das ärgste Mensch unter der Sonne wäre. Etwas hatte Gretli recht und etwas nicht. Gretli nahm manches übel oder verstund es falsch, was gar nicht böse war, weil es neu war in der Welt und Neulingen alles unanständig ist, dessen sie nicht gewohnt sind. Anderes dagegen war wirklich beleidigend und unanständig und warum? Die beiden Herren hatten freilich nicht den besten Ton, waren in eigentlich guter Gesellschaft nicht eingelebt, aber soviel wußten sie doch davon, was man so grobhin reden durfte und was nicht, und den Maßstab davon hatten sie nicht bei einigen Luzerner Notabilitäten genommen, deren guter Ton armsdick ist und vornen mit fünf Fingern versehen. Daneben aber hatten diese Herren wie viele andere die grobe Unart zu glauben, mit Mädchen im Kittel sei anders zu reden als mit Mädchen in Röcken, da seien Zweideutigkeiten und übel riechende Anzüglichkeiten Höflichkeiten, und je schliefriger einer zu reden wisse, desto einen größern Ruf als artiger und kurzweiliger Herr erwerbe er sich. An diesem Vorurteil mag man auf dem Lande teilweise wirklich selbst schuld sein, da allerdings in der untern Klasse in der Regel alle Witze schmutzig sind und in vielen Häusern solche Witze geduldet werden in Gegenwart der Meisterleute, ja selbst der Kinder. Es gibt aber viele, welche von dieser Unart sich ferne halten, und sehr viele, deren Ohren vollständig daran gewöhnt sind, nehmen sie doch außerhalb ihrem Hause und namentlich von solchen Herren als grobe Beleidigungen auf, als mache man keinen Unterschied zwischen schlechten Menschern und rechten Mädchen, als meine man, alles, was den Kittel trage, sei von gleichem Schlage. So nahm es Gretli auf und war darum so bitterlich böse, am allermeisten über Benz, der solches geduldet, nicht die Herren g'schweigt oder es sonst aus diesem Fegfeuer erlöst, sondern wahrscheinlich noch seine Freude daran gehabt, wie die Herren es ausgeführt und ausgezäpfelt.

Gretli tat indessen Benz unrecht. Benz war über die Ankenbäurin böse. Die solle nicht meinen, hatte er bei sich ausgemacht, daß sie im Hunghafen regieren wolle wie oben auf der Ankenballe, der müsse man zu rechter Zeit die Finger stutzen, damit sie nicht zu weit greife im Handel. Einstweilen gehe es sie wenigstens noch hell nichts an, arbeitete er etwas oder nichts, trinke er einen Schoppen oder eine Maß. Dem Weibervolk müsse man den Verstand machen zu rechter Zeit, sonst hätte es der Teufel gesehen. So dachte Benz, und das ließ er Gretli fühlen. Er nahm seine Sache allzu gewiß, wollte die Kur anfangen, ehe er ein Recht zum Arztnen hatte. Zudem wußte er nicht recht, wie in der Gesellschaft der Herren sich benehmen; sein Bruder Hans, der öfter bei ihnen war, wußte es besser. Trotz aller Freisinnigkeit hielt er es doch für eine Ehre, mit den Herren Wein zu trinken; es tat ihm grausam wohl, wenn er sagen konnte, er habe mit dem Regierer oder dem Präsidenten eine Halbe gehabt, um so weniger durfte er sie zurechtweisen, um so weniger dachte er daran, Gretli in Schutz zu nehmen. Auch fühlte er natürlich nicht wie Gretli, wußte nicht, was traf und wie tief es ging. Lisi nahm das hinters Ohr, sagte aber Gretli nicht viel darüber als: »Wenn der Alt nicht witziger ist, dünkt es mich an den Buben nichts anderes, aber er wird es noch erfahren müssen, wohin das führt. Das Lehrgeld, ein Herr zu werden, wird teuer sein; mancher ist schon dran erstickt, wollen hoffen, er laufe noch zu rechter Zeit aus der Lehre.«


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