Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Zwei Gerichtsverhandlungen, eine vormittag, eine nachmittag

Gerichtstage haben in jedem Lande Einfluß auf den Puls der Bevölkerung, das heißt auf alle die, welche irgendwie mit dem Gerichte verflochten sind. Amtsrichter, Wirte, Fürsprecher, Rechtsagenten sind auf den Beinen samt sämtlichen Parteien, das heißt die, welche freie Beine haben; die Kriminalisten, welche in den Gefängnissen sind, brauchen die Beine nicht stark, besonders wenn sie in Vergessenheit geraten sind, was jeweilen geschehen soll. Da werden Prozesse erstinstanzlich beurteilt, welche großen Einfluß haben auf das Familienglück, auf den Bestand der Familien, ja auf die ganze Zukunft eines Geschlechtes. Es werden Entscheide gegeben, welche furchtbar wirken auf die Gemüter der Menschen, Seelen vergiften und verbittern, wir möchten sagen für Zeit und Ewigkeit, Seelen stärken in der Bosheit, sie füllen mit neuer Lust, die Peiniger ihrer Nächsten zu sein, ihnen mit List und Ränken und Hülfe dehnbarer Gesetze und drehbarer Richter das Ihre abzubringen. Es wird entschieden über Freiheit und Ehre eines Menschen, und je nachdem es geschieht, gerecht oder ungerecht, nach dem Ernste des Gesetzes oder der Leichtfertigkeit der richterlichen Gemüter, nach gerechtem Ermessen oder zufälligen Sympathien, je nachdem sind die Wirkungen auf die allgemeine Ordnung und die Gemüter der Betreffenden. Jedes ungerechte Urteil ist zersetzendes Gift für das Ganze und für den einzelnen.

Es werden Eide geschworen zu Gott, dem Herzenskündiger, Leib und Seele zum Pfande gesetzt für Zeit und Ewigkeit: daß beide büßen sollen zeitlich und ewiglich, wenn ihr Eigner mit frevler Hand das Recht, das ihm nicht gehörte, genommen an den Stufen des Thrones des gerechten Richters der Lebendigen und der Toten. Diese Eide tönen durch Mark und Bein, durchs ganze Leben bis ins Grab, sie donnern in die Gerichte jenseits hinein. Sie donnern aber nicht nur in das Gericht dessen hinein, welcher falsch geschworen, sondern auch in die Gerichte derer hinein, die frevelhaft zu solchen Eiden antrieben, die leichtfertig und gewissenlos sie abnahmen, welche unbedenklich Seelen opferten und der geopferten Seelen spotteten. Wohl, wird das donnern an jenem Tage über den Häuptern von Advokaten und Richtern, welche mit den Eiden ein lästerlich Spiel getrieben, Menschen mutwillig in die Verdammnis gejagt, wie Hunde den Hasen jagen, bis er vor der Flinte der Jäger ist! Wo ein Eid über einem Haupte donnert, da bebt zum Tode das Herz, es zieht ein in dasselbe die ewige Pein. Wo hundert Eide über einem Haupte donnern, über Richtern, über Advokaten, wie unaussprechlich wird ihnen da sein, wie werden da brausen und fluten die Ströme glühender Pein über die freveln Häupter! Und an das denken die übermütigen Jungen nicht, treiben fort und fort ihr frevles Spiel.

Schwer lastet es auf der Seele des Arztes, wenn er am Bette eines schwer Erkrankten steht. Er sieht den wilden Kampf der Lebenskraft mit dem Krankheitsstoff, er soll die erste stärken, den letzteren schwächen, er soll entscheidend eingreifen, er soll der Lotse sein, der im Sturme das Schifflein durch die Klippen führt, und mit Bangen stehn hinter ihm die Lieben, leise, unaussprechliche Seufzer umsäuseln ihn. Da steht er, der Mann, in dessen Erkennen das menschliche Entscheiden liegt; in tiefem Bedenken steht er, wiegt die Lage der Dinge mit scharfem Sinn, und wenn er's nach besonnenem Bedenken zu haben glaubt, schreibt er rasch flüchtige Zeichen und entbietet die stärkende Macht, wie der Schütze in ruhigem Zielen den Zweck sucht und nicht drückt, bis er denselben erfaßt zu haben glaubt. Die Zeichen, die er geschrieben, entscheiden nächst Gott über Leben und Tod, darum schaut er so scharf, darum denkt er so besonnen, darum wird es ihm dabei so ernst im Gemüte. Aber sein Einschreiten entscheidet doch nur über das zeitliche Leben. Nun hängt freilich an einem Leben oft so vieles, und dieses Bewußtsein mag den Arzt um so besonnener machen und bedächtiger. Aber am Arzte zunächst hängt nur das Leben und auch dieses immer Gott vorbehalten, der über dem Arzte ist wie über der Erde die Sonne; die weitern Folgen allzumal und in jeder Beziehung liegen in Gottes Hand.

Beim Richter aber ist es anders. Der Richter steht höher als der Arzt. Dem Richter sind höhere Güter als das Leben in die Hand gegeben, nicht bloß das Eigentum, sondern Ehre und Freiheit, und überdies steht er an Gottes Stelle, verrichtet das Richteramt in Gottes Namen, oder vielmehr: er soll es verrichten in Gottes Namen, und tut er es nicht, so züchtigt ihn Gott nach anvertrautem Amt und Pfund. Dies ist so bis auf den heutigen Tag, denn es ist immer der gleiche Gott mit der gleichen Gerechtigkeit und der gleichen starken Hand, zu erhöhen und zu erniedrigen nach seinem Belieben.

Es ist sehr merkwürdig, wie moderne Staatsjungen faseln. Ehedem wetteiferte jeder Staat um die Ehre, sich einen christlichen zu heißen, ja es gab sogar einen König, welcher sich anmaßte, der allerchristlichste heißen zu wollen. Gegenwärtig ist ein kindisches Renommieren an der Tagesordnung, ein Sich-Schämen alles Christlichen, daher die dumme Rednerei, kein christlicher, sondern ein Rechtsstaat sein zu wollen. Darunter kann man nicht verstehen einen Staat, wo Recht und Gerechtigkeit herrschen. Denn wo sind diese, wo man nicht mehr christlich sein will, und wo sind sie in den Ländern zu finden, die sich als Rechtsstaaten proklamiert haben? Das kann nichts anders heißen sollen als ein Staat voll Rechtsgelehrte und Rechtshändel! Daß Gott erbarm! Wären Heuschrecken nicht besser und allerlei Fieber? Und trotz allem Geplapper von Rechtsstaat sind wir doch eigentlich ein Gottesstaat geblieben und gottlob, daß wir es geblieben sind. Gottlob, der Grundsatz herrscht trotz allen Namen dem Wesen nach noch unter uns, alle Obrigkeit sei von Gott, aus Gottes Gnaden und alle Ordnung sei von Gott, sei in seinem Namen und unter der Verantwortung gegen ihn zu verwalten. Jeder Beamtete, vom Polizeidiener weg bis zum höchsten, schwört Gott, ihm Treue und Wahrheit zu leisten, das Gesetz zu handhaben, seine Pflicht zu tun, und zwar: so wahr ihm Gott helfe! Und namentlich schwören dieses die Richter von allen Sorten, hohe und niedere, denen die Waage der Gerechtigkeit anvertrauet wird. Man kann es nicht oft genug wiederholen: wir sind noch immer ein Gottesstaat, jede Bedienstung im Staate ein von Gott anvertraut Amt, jeder Bedienstete Gott verantwortlich für seines Amtes Verwaltung, absonderlich die Richter, welche entscheiden über Leben, Ehre und Eigentum der Kinder Gottes, welche richten sollen, wie sie wünschen, gerichtet zu werden. Wie bedächtig müssen sie daher wohl des Gerichtes Waage halten, wie besonnenen Auges prüfen das Neigen der Schale, wie ernst das Urteil zusammensetzen, wie streng es prüfen und wieder prüfen und doch trotz allem Prüfen mit bangem Herzen und zögerndem Munde es aussprechen, und zwar beides, das Schuldig und das Nichtschuldig! Denn ist das eine ungerecht oder das andere, so ist's ein ungerecht Gericht und eine Schuld vor Gott. Dieses Urteil fällt in die Verhältnisse der Menschen wie ein Stein ins Wasser, reißt sie voneinander, spritzt sie auf, wirft Kreise, zittert fort über die ganze Oberfläche, nur mit dem Unterschied, daß die Kreise im Wasser vergehen, die Oberfläche sich glättet in wenig Minuten, die Wirkungen eines Urteiles aber fortwirken in den Verhältnissen jahrelang, oft bis ins dritte und vierte Geschlecht, ja fortwirken bis jenseits des Grabes, bis an die Stufen von Gottes Richterstuhle.

Darum, wer ein Richteramt begehrt, begehret ein schweres Amt, bedarf einen scharfen, geprüften Blick, einen reifen Ernst, einen gottergebenen Sinn, der in seinem Herrn zu stehen und zu fallen weiß. Ach, großer Herrgott, was mußt du für Augen machen, wenn du musterst die zahllosen Richterscharen, die da sitzen auf den Stühlen der Richter und haben in den Händen das Schwert der Gerechtigkeit! Und Buben statt Männer siehst du zahlreich sitzen auf diesen Stühlen, leichtfertige Buben, die das Schwert handhaben nach ihrer Laune, heute so und morgen anders, die es handhaben als ein bubenhaftes Spielzeug, zu necken und zu plagen, wen sie erreichen mögen, alle, die ihnen mißfallen, Richterbuben ohne Glauben, ohne Tugend, ohne Begriff ihrer Verantwortlichkeit vor Gott, ohne Scham vor den Menschen, die nichts sind als Muster der Unflätigkeit, nichts fürchten als den Pöpel und dessen Laune, nichts lieben als sich und das Laster. O großer Herrgott, wie muß dein Auge flammen über solche Richterbuben, welche die Begriffe von Recht und Unrecht, von gut und bös verkehren, eine Herrschaft üben gegen dich und in des Teufels Dienst und das Volk verführen wollen zu diesem Dienst! O großer Herrgott, wie tief muß aber auch dein Erbarmen sein mit denen, über welche solchen Buben Gewalt gegeben ist! Ach, wenn gebetet wird: »Erlöse uns von allem Bösen!«, so gedenke der Armen in Gnaden, welche schmachten unter solcher Gewalt!

Es war also Amtsgericht, ein ziemlich starkes, Händel von allen Sorten und Rechtsgelehrte hageldicht. Die Amtsrichter kamen langsam heran, ungefähr wie die östreichische Landwehr. Diese Amtsrichter waren in der Mehrzahl angesehene Bauern, hie und da ein Arzt, hie und da ein Handwerker. Solche Amtsgerichte waren den Juristen längst ein Dorn im Auge; die Juristen wären gerne nicht bloß Anwälte, sondern auch Richter gewesen. So weit waren sie im Fortschritt der Begriffe, daß sie dafür hielten, die ganze Hand sei besser als nur ein Finger. Indessen gab es in der Mehrzahl aus den Bauren die besten Amtsrichter. Sic waren verständig von Haus aus, kannten die einfachere Gesetzgebung, welche nicht alle sechs Wochen änderte, einer schlechten Magd gleich, welche mit einer unverständigen Meisterfrau auch nie länger als drei Wochen zusammenbleibt, kannten vor allem das Objekt des Streites, alle bäuerlichen Verhältnisse in Weid, Wald und Feld, in Stall, Küche und Keller. Dieses ist soviel wert als die Kenntnis der Gesetzgebung. Gelehrte Juristen haben hirnwütige Urteile gefällt, über welche ein einfältiger Bauer sich entsetzte, und warum? Darum, weil der Herr Jurist eigentlich nie wußte, warum es sich eigentlich handelte. Ändern aber die Gesetze alle sechs Wochen, was eine wahre teufelsüchtige Schelmerei am Volke ist, wie eine ärgere nie ein König oder ein Patriziat begangen, dann freilich kommen Bauern denselben nicht mehr nach, dann kommen aber auch die Juristen selbst nicht mehr nach, dann entsteht ein grausiger Wirrwarr, und dieser grausige Wirrwarr ist der grausige Schoß von tausend und abermal tausend Prozessen, an die niemand gedacht, wenn die Gesetzgebung lauter und bekannt gewesen wäre. Auch hat der rechte Bauer bedeutenden Einfluß auf seine Umgebung und bringt gar oft einen ausgemachten Prozeß mit, wenn er ans Gericht kömmt. Ärzte sind schon doktrinärer und geraten oft ganz schief drein und ebenso Handwerker, welche der Kitzel gerne reitet, für Gelehrte gelten zu wollen, die von Aktenstudieren reden, ihr Handwerk vernachlässigen, Kunden abweisen, weil sie Vorträge zu machen hätten, und dabei, während sie mit aller Welt Sachen sich abgeben, um ihre eigenen kommen. Der Handwerker mit Gesellen ist abhängiger als der Bauer und vermag Allotrien, das heißt Nebenbeschäftigungen, welche seinen Beruf nichts angehen, noch viel weniger zu ertragen als der Bauer. Aber wenn dann die Politik Trumpf ist, ist ein bäurisches Amtsgericht schlecht daran; dann ist nicht bloß der Teufel los, sondern es ist, wie wenn jeder sieben Teufel im Leibe hätte und des Teufels Großmutter Präsident wäre.

Das Amtsgericht fing gewöhnlich sehr spät an, dieweil der Präsident desselben sehr faul war, auch ist's zuweilen den Fürsprechern und den Klienten nicht unbequem, Zeit zu Verabredungen und Besprechungen zu finden.

Der Haupthandel an diesem Tage war ein Eid, der geschworen werden sollte. Dieses Wort hat im Volke einen schweren Klang, einen desto leichtern leider bei vielen Richtern und Juristen. Eid, sagt man gewöhnlich, sei eine Anrufung Gottes, daß er der Wahrheit Zeugnis gebe; eigentlich aber ist es nicht so. Gott ist der oberste Richter jeder Kreatur, der zeitliche und der ewige, aber auf Erden läßt er sich vertreten sichtbarlich, hat Wächter geordnet über die Güter, welche er durch seine Gesetze dem Menschen sichergestellt haben will, Leben, Ehe, Gut und Ehre. Nun aber kömmt es sehr oft vor, daß diesen Wächtern ihr Latein zu Ende geht, das heißt, daß sie in ihrer menschlichen Beschränktheit nicht finden können, bei welcher der streitenden Parteien das Recht liegt; es sind weder Zeugen noch andere Beweismittel da, der Richter hört bloß widersprechende Behauptungen, hat es dabei wie alle andere Menschenkinder, er sieht nur an und nicht in die Leute. In allen diesen Fällen, wo er an den Schranken menschlichen Wissens steht wie ein Ochs an einer Mauer, da tut er ein Bekenntnis. »Das Ding versteh ich nicht«, sagt er, »aber der Eid ist das Ende alles Haders«: er erkennt die Parteien in Eid. Mit dieser Erkenntnis bekennt der Richter, er sei an den Schranken seines Amtes, seine Kompetenz sei aus, der Handel gehöre vor einen obern Richter, und zwar vor den allerobersten, der ins Verborgene sehe und den Rat der Herzen kenne. An diesen Richter weist er die Streitenden. »Wer von euch«, sagt er, »an den Stufen dieses höchsten Richterstuhles das Recht ergreifen und es sich zueignen darf, dem spreche ich es zu. Aber er bedenke, daß er, wenn er das Recht durch den Eid ergreift, er an diesem Richterstuhle ein Pfand zurückläßt, und zwar Leib und Seele, und zwar für Zeit und Ewigkeit, daß er entsagt dem Gebet und der Gnade, dem Segen und der Seligkeit!«

So ein Eid ist daher eine starke Sache, wiegt schwer im Volk; ein falscher Eid ist ein Verbrechen, vor welchem den allermeisten am meisten graut. Vor solchem einen sterblichen Menschen zu wahren, hielt Regent und Volk für Pflicht. Die Nächstenpflicht gebietet, des Nächsten Leib zu retten aus drohenden Gefahren; warum nicht vielmehr noch seine Seele, wenn ihr Heil gefährdet ist? Denn mit einigen Worten, die in einigen Sekunden gesprochen, in einigen Sekunden verhallet sind, sich das Recht verschaffen, Lasten abwälzen, vielleicht Tausende gewinnen zu können unwiderruflich, ist eine schwere Versuchung.

Nun aber schickt der Teufel seine Diener aus in Gestalt von Advokaten, Vätern, Freunden, manchmal auch Weibern, den Versuchten zu drängen in allen Tönen, abzuklepfen, flädern zu lassen, das heißt, den Eid zu tun. Die Anwälte verdrehen die Eidesformel oder pfuschen in die Philosophie, die Väter drohen, die Freunde spotten, die Weiber heulen, schreien: »Schwöre, oder ich lasse mich scheiden!« Kurz, es geht um die arme Seele wie um ein Aas auf freiem Felde. Zur Hut gibt man ihr daher einen Wächter bei.

Sowie der Richter jemand in Eid erkennt, fertigt er einen Befehl an den Pfarrer aus, in dessen Gemeinde der in Eid Erkannte wohnt, denselben in der Wichtigkeit des Eides zu unterweisen. Diese Unterweisung zerfällt auf natürliche Weise in zwei Teile: erstens die Erläuterung des Eides im allgemeinen, zweitens die Anwendung auf den besondern Fall, in welchem der zu Unterweisende sich befindet, wozu namentlich die Wahrung vor jenen bösen, verlockenden Geistern gehört und ihre genaue Bezeichnung. Dieses letztere ist natürlich allen Mathyslene – so nennt man nämlich alle Anwälte, welche bei Eiden die angedeutete schlechte Rolle spielen – in Tod zuwider, ungefähr wie dem Teufel selbst, wenn ihm eine Seele entrissen wird. Diese Unterweisungen brechen gar zu oft die fürsprecherische Gewalt über die Klienten, lösen den Bann, der über die armen Seelen gesprochen ist. Dann kann man aber auch hören, wie es losgeht in Kneipen und Ratssälen (zwischen beiden ist in moderner Zeit kein großer Unterschied mehr, und bei dem entschiedenen Fortschritt, in welchem wir sind, wird bald gar keiner mehr sein) über den armen Pfaffen, der eine Seele aus ihren Klauen gerettet. Die verfluchten Kuttenstinker, Schwarzröcke steckten ihre Nase in alles, was sie nicht angehe, aber warten die nur, die Zeit sei bald da, wo ihnen der Nagel werde gesteckt werden! Ja, wenn arme Seelen zu wahren und zu hüten vor des Teufels Geistern die Pfarrer nichts mehr angeht, dann ist ihre Zeit wirklich vorüber, und nichts Besseres können sie tun als sich schlafen legen zu den Vätern, denen es vergönnt war, treue Hüter ihrer Schafe zu sein und sie zu schützen vor reißenden Wölfen und brüllenden Löwen, welche sie verschlingen wollten. Und wie der Hirt nicht bloß da ist, das Schaf zu hüten, wenn es im Stalle ist, sondern vorzüglich, wenn es im Freien ist und allem Getiere zugänglich, so ist der Pfarrer auch nicht bloß dafür da, in der Kirche zu predigen und zu lehren, sondern er ist dafür da, in alle Verhältnisse hinein das Wort Gottes zu tragen und den Teufel und seine Geister zu bekämpfen auf allen Lebenswegen und den armen Seelen diese Geister zu entlarven und ihnen beizustehen im Kampfe mit dieser höllischen Drachenbrut, diesem apokalyptischen Getiere. Je mehr das Antichristentum auf die Stühle der Macht sich setzt, desto mehr wird das geistliche Amt beschroten, das geistliche Wirken verketzert. Oben wird der Ton so angeschlagen, daß der unterste Polizeidiener sich berufen glaubt, ein erklärter Feind der Pfaffen zu sein und all ihr Reden oder Wirken als unberufene Einmischung in Dinge, welche sie nichts angingen, höhern Orts denunzieren zu müssen.

Es war über zehn Uhr, die Leute stunden umher, das Gerücht begann sich zu verbreiten, der Präsident stehe auf, die Köchin mache das Frühstück z'weg. Der Polizeidiener von Krutligen stund auch dort, eine verkommene Gestalt aus dem Siebenjährigen Krieg, jedoch ohne Zopf. Das Uniform mangelte Flickens, der Hut genierte den Regen nicht mehr viel, die Schuhe an den Füßen waren noch ziemlich gut und die roten Aufschläge an der gelben Kutte durchschnittlich noch sichtbar. Hans, der Amtsrichter aus dem Hunghafen, kam daher, trat zum Polizeier und sagte: »Haselberger, Euere Leute werden dasein und werden die Finger aufheben wollen?« »Sie sind da«, sagte der Polizeier Haselberger, »aber ob sie eidigen wollen, weiß ich nicht. Es geht das Gerede, unser Pfaff habe in der Eidsunterweisung dreinwärmen und sie äne umebringen können, daß sie Mut hätten abzustehen. Weiß aber nicht, ob es ist oder nicht.« »Daß die doch das Maul in allem haben müssen; was geht das so einen Pfarrer an?« sagte Hans, »das wäre mir lustig, so weit es gehen lassen und nicht schwören; wer soll dann die Kosten zahlen? Der Pfarrer wird nicht Lust dazu haben.« Darauf ging Hans weiter in bedeutendem Ärger; das Gerede ward lebhaft unter den Umstehenden und der Eid stark verhandelt.

Wir wollen uns mit Darlegung des Falles nicht befassen, sondern bloß bemerken, daß er unter die Gattung von Prozessen gehörte, bei welchen man, wenn man sie anfängt, auch von ferne sich weder ihren Verlauf noch ihr Ende denkt – diese werden von den Anwälten gemacht –, die anfänglich ganz klein sind, aber durch künstliche Mittel bis zur Unkenntlichkeit anschwellen, an denen eigentlich nichts bedeutend ist als am Ende die Kosten, die Kosten, die oft nicht bloß den Wert des Streitgegenstandes übersteigen, sondern das Vermögen der Streitenden, beider oder des einen oder des andern, daß mancher entweder das Heil seiner Seele oder sein Vermögen lassen muß. Das sind Versuchungen, wo man Gott täglich bitten muß: »Vater, führe mich nicht darein!« Es ist da dann oft der Fall, daß an der Leistung eines Eides nicht bloß das Vermögen der Betreffenden hängt, sondern die Berichtigung der Prozeßkosten. »Schwört der mir nicht«, sagt der Fürsprecher, »kriege ich keinen Kreuzer für all meine Mühe; drum muß mir der schwören, er mag wollen oder nicht. Der Gegner hat Geld, der kann zahlen, dem will ich dann aber auch eine Kostensnote machen, daß ihm die Schwarten krachen.« Ein Handel dieser Art war es, welcher heute vorkommen sollte.

Endlich hatte die Köchin den Präsidenten abgefüttert, die Kunde ward gebracht, derselbe sei sichtbar geworden. Das Gericht sammelte und setzte sich.

Eine Eidesleistung ist eine feierliche Handlung und ward bis dahin vom Volke mit einer Art heiligem Grauen angeschaut. Dazu trug besonders viel bei, daß, wenn die Schwörenden niederknien, die Eidesformel abgelesen werden sollte, Türe und Fenster geöffnet wurden als eine Mahnung: nun ziehe in die enge Gerichtsstube statt der menschlich beschränkten Richter der Allmächtige selbst, dessen Thron der Himmel, dessen Fußschemel die Erde ist. Der also, der Wunderbare, Unsichtbare, der ist da mitten unter allen, vor ihm knien die Schwörenden, er sieht die Wahrheit in des Herzens Grund, er hört die Worte aus ihrem Mund, da ist weder Täuschung noch Entschuldigung, Wahrheit ist Wahrheit, Lüge ist Lüge, und wo ein Frevler lügt und schwöret falsch, da hat er's vor dem Allmächtigen getan, und von Stund an ist über dem Frevler des Allmächtigen strafende Hand.

Das sind Augenblicke, in welchen es auch vor des menschlichen Richters Bewußtsein wieder kommen soll, an wessen Stelle er hier schaltet und waltet, wer sein Walten prüfe und wer sein Walten richte. Ach Gott, wie demütig müßte ein Richter sein, vor dessen Bewußtsein ein solches Erkennen stünde stündlich!

Ob der Präsident sich dessen bewußt war, wissen wir nicht recht, er war sehr übellaunig und hatte sich bitterlich beklagt über das Demoralisiertwerden der Dienstboten, es sei in Gottes Namen nichts mehr mit ihnen anzufangen; so habe ihm heute seine Köchin alte Butter, die gestunken wie die Pest, und geröstete Brotschnitten, wie Kohlen so schwarz, vorgestellt, er müsse bekennen, es habe ihm den ganzen Tag verderbt, er könne nichts mehr hassen, als wenn ihm gleich am Morgen so was arriviere.

Als nun nach den üblichen Verhandlungen zum Eid geschritten werden sollte, als alles bereit war, trat einer derer, welche den Eid leisten sollten, vor und sagte: »Verzeiht, wir sind rätig geworden, abzustehen und nicht zu schwören. Es sind da so Sachen, welche wir nicht recht verstanden haben und welche uns nicht anständig sind. Mache man mit uns in Gottes Namen, was man will, es geht um die armen Seelen, und man lebt nur einmal, hat man's versäumt, so hat man's versäumt.« Da gab es bestürzte Gesichter im Saale. Ihr Anwalt redete halblaut. Der Präsident sagte: Es sei recht, wenn sie nicht mit gutem Gewissen es tun könnten, daß sie es unterließen; was einmal getan, habe man getan. Aber sie hätten es früher bedenken sollen und es nicht so weit treiben, das hätte ja keine Art, was das seither für Mühe und Kosten gegeben. Nun, das war manierlich noch geredet und am rechten Ort, obschon ein warmes Lob ihres Abstehens und eine scharfe Warnung an alle, welche die Leute in Prozesse führten, daß sie nicht wüßten wie, und zu Eiden lockten und trieben, von denen sie wohl wüßten, daß sie falsch sein müßten, auch am Ort gewesen wären.

Draußen mußten die Abstehenden Schärferes abtun, da begehrte ihr Fürsprech gar mörderlich mit ihnen auf, daß sie ihn nicht vorher mit ihren Absichten bekanntgemacht, nicht ihm den Abstand erklärt hätten, da hätte er sich die Schande ersparen können, zu erscheinen und um nichts und wieder nichts den Löhl zu machen. »Jä, seht, Herr!« sagte einer, »das taten wir expreß nicht. Wir wußten wohl, was Ihr uns gesagt hattet, Euch war es ums Geld, uns um die Seelen, und da glaubten wir, es sei genug, wenn wir es einmal sagten, wo es dann gleich gültig war und nicht jemand uns wieder abspenstig machen konnte.« »Warum das jetzt machen?« frug der Fürsprech weiter, »hättet euch früher besonnen, statt mich so mir nichts, dir nichts herumzusprengen. Mich wundert nur, wer euch dies angegeben hat, aus euch selbst nähmet ihr das nicht. Es ist dies niemand anders als der schwarz Donner! Es nimmt mich doch wunder, wenn man denen Hagle einmal das Handwerk legt und es ihnen verleidet, die Nase in alles zu stecken, wo sie nichts angeht.« »Habe es getan, wer da wolle«, antwortete ihm einer, »so war es jemand, der es gut mit uns meinte und uns nicht das Maul süß machte, um uns hineinzusprengen. Wären alle Leute so gewesen, so wäre die Sache nie so weit gekommen und nicht durcheinandergerührt worden wie ein Rübmus, bis nichts Lauteres mehr daran war.« »Wartet nur«, sagte der Fürsprech, »euch treibe ich es ein, und sollte es mich noch hundert Taler kosten, ihr müßt mir, wo ihr hingehört!« »Mach, was d' chast, du Blutsauger!« antwortete einer, »und wir sagen, was wir wissen.« So schieden sie, man kann eben nicht sagen im Frieden.

Wie wir schon gehört, ist es Sitte, daß das Amtsgericht, nachdem es die Last und Hitze des Tages überwunden hat, sich in den Schatten irgendeines wilden Tieres, eines Bären, Löwen, Hirschen oder gar einer Krone zur Ruhe setzt und den matten Leib wieder stärkt. Zumeist warten auch die Anwälte und halten mit, manchmal wegen der Kurzweil, manchmal um die politische Tiefe zu sondieren, manchmal um den Richtern, namentlich dem Präsidenten, irgendeines mißbeliebigen Urteils wegen gewaltig abzuputzen, als ob sie in keinen Schuh gut wären. Es heißt, wer unverschämt ist, der lebt dest bas! So geschieht es, daß Anwälte sich in das umkehrte Verhältnis zu den Richtern und namentlich den Präsidenten gesetzt, sich zu Meistern in den Audienzstuben gemacht, die Richter ausputzen, als wären sie bloße Türhüter, einen Terrorismus zu üben scheinen, welcher bei dem Publikum hier und dort den Glauben erzeugt, wenn man vor diesem oder jenem Präsidenten sich nicht durch diesen oder jenen Anwalt vertreten lasse, so sei die Sache verspielt. Es ist begreiflich, daß ein solcher Ruf der Praxis sehr förderlich ist und mangelnde Kenntnisse mehr als ersetzt.

Der Fürsprecher, dem seine Klienten vom Eid abgestanden waren, mochte fast nicht warten, bis die erste Sitzung zu Ende war und die zweite begann, wo er auch Sitz und Stimme hatte; er verspritzte fast vor Ungeduld, Zorn und Galle. Endlich war es erlebt, und was mußte er erleben? Er mußte erleben, wie man ihm spöttische Gesichter machte, wie mit falscher Teilnahme sein Schicksal bedauerte, ihn fragte, was er jetzt mit der Kostensnote anfangen wolle, die er, wenn nicht in der Tasche, so doch sicher zu Hause schon ausgefertigt habe. Er erlebte das bekannte Schicksal, zum Schaden noch den Spott haben zu müssen. Dem Gericht konnte er nichts aufladen; nachdem der Eid verweigert worden, war das Urteil dem Gerichte gegeben, es mochte wollen oder nicht. Das Gerede am Tische und zwischen den Flaschen drehte sich um den Handel. Natürlich sind die Gelehrten verschiedener Meinung über Natur und Gang desselben. Der Anwalt mußte schwere Vorwürfe hören, daß er ihn unrecht angepackt und alsbald in die juridische Sackgasse, den Eid, sich verlaufen habe; hätte er es soundso angefangen, so hätte er fahren mögen wie Schnupf.

Der Fürsprecher verteidigte sich, so gut er konnte, verlief sich aber eben wieder in die Sackgasse des Eides und meinte, was er Besseres hätte tun können als die Sache zum Eid führen; hätten sie flädern lassen, so wäre die Sache gewonnen gewesen. Man müsse nicht meinen, daß er so leichtfertig, weil er nichts mehr gewußt, zum Eid gekommen, er hätte die Bursche vorher unterholzet gehabt, daß er geglaubt, sie seien bombenfest, täten sieben aufeinander statt nur einen. Und wären sie am Morgen vor dem Gericht zu ihm gekommen und hätten ihm vom Abstand gesagt, er garantiere und wolle tausend Taler darauf wetten, sie hätten geschworen und hätten schwören können mit Recht; einen Meineid hätte er auch nicht begehrt, obschon er glaube, es werde viel Aberglauben mit ihm getrieben. Wenn man die Sache von der und der Seite ansehe, und da müsse man sie ansehen, so hätten sie ohne Bedenken schwören können. (Der Fürsprech gehörte unter die vielen, welche keine Sache gerade von vornen ins Auge fassen können, sondern alles schief in allen möglichen Winkeln betrachten müssen.) Aber da gehe ihm der Himmel...s Pfaff und verdrehe den Leuten Kopf und Augen und mache sie abspenstig, dem treibe er es aber ein aus dem ff, er solle darauf zählen; es nehme ihn wunder, ob ein solcher Himmelsträppeler sich in Sachen zu mischen hätte, von denen er nit e D... verstehe. In der Wichtigkeit des Eides solle er unterweisen, wie das Gesetz vorschreibe, aber der Handel selbst gehe ihn nicht den Teufel an, darein habe er sich gar nicht zu mischen. Ausdrücklich sei ja verordnet, daß man ihnen die Prozeßakten nicht zu geben habe, man werde wohl wissen, warum man das ins Gesetz getan. Ungeachtet dessen könne sich keiner deren schwarzen Hagle enthalten, in die Sache selbst zu pfuschen, und wäre es nur, daß er seiner Frau oder Köchin was zu b'richten hätte. Das gute nicht, bis man eine Buße darauf setze, wenn sie was vom Prozeß redeten, oder was d's beste wäre, die Unterweisungen ganz abschaffe. D'Sach gebe nur Kosten, ein Eid mehr oder weniger werde nicht soviel zu bedeuten haben, und wenn, so werde unser Herrgott soviel nicht darnach fragen, ob er einen Bauern mehr oder weniger im Himmel habe.

Das gab nun einen Augenblick Feuer, indem ein Amtsrichter bemerkte, er wüßte gar nicht, warum unserm Herrgott ein Bauer im Himmel nicht so lieb sein werde als ein Herr oder gar ein Fürsprech. Wegem Lügen, d'Sach verdrehen und die Leute ins Unglück zu sprengen, werde er im Himmel doch apart niemanden nötig haben.

Das aufgehende Feuer löschte der Präsident alsbald. »Herr Amtsrichter«, sagte er, »der Herr Fürsprech hat es sicher nicht bös gemeint. Er hat nur von Bauern geredet, weil die, welche heute schwören sollten, Bauern waren; wären es Herren gewesen oder Handwerker, so hätte er Herren oder Handwerker gesagt; der Herr Fürsprech ist sicher viel zu liberal, um zu glauben, die Herren seien mehr wert als die Bauern, au contraire, ich denke, er glaube eher das Gegenteil. Aber was die Sache selbst anbelangt, so bin ich ganz der Meinung vom Herr Fürsprech. Die Pfarrer haben dabei eigentlich gar nichts zu tun, und je weiter man die Schwarzröcke vom Leibe hat, desto wöhler ist man. Sie meinen, sie müssen in alles reden, und es ist im Grunde gar herzwenig mit ihnen. Sie sind in der Bildung allen andern Ständen wenigstens um fünfzig Jahre zurück. Ich weiß by Gott nit, was ihnen ihr langes Studium nützt. Es ist gerade, als wenn sie dabei allen Verstand verstudierten und nichts lernten als einen heillosen Kastengeist und die Einbildung, besser zu sein als andere Leute, und sind sie doch nicht um ein Haar besser, nicht um ein Haar, sage ich. Und im Umgang sind es die unangenehmsten Leute, ich erschrecke allemal, wenn ich einen auf zwanzig Schritte sehe und denken muß, er wolle mit mir reden. Man wird diesen Menschen gar nicht mehr los, sie hängen an einem wie Kletten.«

Nun sammelte sich der ganze Gewitterstoff auf diesem Punkte, entlud sich über die Häupter der armen Pfarrer, sie wurden die Sündenböcke für die Sünden der ganzen Welt. Bald schlug der Blitz in den ganzen Stand, bald auf einzelne Häupter, bald wegen Eidesunterweisungen, bald wegen irgend etwas anderm, einem Kalberhandel oder einer Predigt, einem Krankenbesuche oder einer Geschichte wegen Bohnenstecken. Hier und da wurde ein Pfarrer von dieser allgemeinen Verdammung ausgenommen, aber wenn man fragte, warum, so war es nicht wegen geistlichen Dingen, sondern entweder weil er selbst über seine Amtsbrüder gelästert oder weil er beim »Bären« oder »Löwen« vor Handelsjungen und Rechtsgumpern gesagt: man müsse erstlich nicht alles buchstäblich nehmen, und zweitens brauche man nicht alles zu glauben, was man predige, oder weil er ein fideles Aas sei, so lange im Wirtshause saufe als einer, an Abendsitzen sein Wohlgefallen habe und nicht meine, daß Kärteln Sünde sei.

Wer die Leute beobachtet hätte, würde vielleicht gemerkt haben, daß nicht alle Anwesenden ganz einstimmten, aber sie widerredeten nicht, wie es in der Schrift heißt: aus Furcht vor den Juden. Diese Rasse von Menschen wird einstweilen noch nicht aussterben, im Gegenteil, in dem Maße, als die Leute zu klein werden für das Militär, scheinen sie auch zu schwach zu werden für ein offenes Stehen zu dem, was sie für recht und wahr halten. Freilich mag es bei der großen, vorgerückten Bildung immer mehr Leute geben, welche gar nichts für recht oder wahr halten, daher auch allem beistimmen können, was gerade Trumpf ist und als gültig ausposaunet wird, heute diesem, morgen gerade dem Gegenteil. In dieser Gewandtheit turnen namentlich die Schullehrer voran, besonders in Beziehung auf die Sprachlehre.

Ein einziger Amtsrichter war da, welcher nicht Chorus machte, sondern die Opposition vertrat, daher den Streit verlängerte. Er behauptete die Notwendigkeit des Pfarramtes, der Eidesunterweisungen, die Wohltätigkeit der pfarramtlichen Funktionen, verteidigte einzelne ihm bekannte Persönlichkeiten, bekannte sich wirklich als Christ, bedauerte den Mangel an Glauben, schrieb demselben gar viele Übelstände zu, über die man sich bitterlich beklage, aber die Ursache derselben nicht finden könne oder nicht finden wolle. Der Glaube gab viel hin und her zu reden. Die meisten wollten noch was glauben, einen christlichen Sinn haben, aber es war ihnen nicht recht klar, was er eigentlich sei, woraus er bestehe, wo sie ihn hätten. Und abermals wurde weidlich auf die Pfarrer geschimpft; wenn sie die gehörige Bildung hätten und recht predigten, das heißt zeitgemäß, das heißt im Geiste des Zeitgeistes, so wäre alles ganz anders.

So kam's, daß, als der Regierer einrückte, dieses Gespräch noch in vollem Gange war. Der Regierer war ein eigener Mann, er war merkwürdig gescheut und doch merkwürdig dumm, eben ein merkwürdig Beispiel, wie Dummheit und Gescheutheit beisammenwohnen können in holder Eintracht und süßem Frieden. Daß er ein großes Wort führte unter Rechtsgelehrten und Staatsleuten (wir sagen absichtlich nicht Staatsmännern, deren sieht man selten zwei beisammen, es ist mit ihnen ungefähr gleich wie mit raren Vögeln oder sonstigen raren Tieren), hatte er recht, er konnte es; wenn auch nicht der Gelehrteste, hatte er doch einen sehr scharfen Verstand und eine seltene Kombinationsgabe, wenn es ihm der Mühe lohnte, sich anzustrengen. Nun wollte er allenthalben das große Wort führen, alles am besten verstehn. Unter Fabrikanten, Baumeistern, Theologen dozierte er die wahre Lehre, die beste Methode, und die Ärzte machte er vollends des Teufels. Hier verstund er alles aus dem Fundamente und gab den Ärzten nicht undeutlich zu verstehen, daß er zwischen ihnen und einem Esel den Unterschied nicht auffallend finde. Nur mit den Nerven, sagte er, sei er noch nicht recht im reinen, das sei eine ziemlich verwickelte Sache. Wenn er aber einmal recht wüßte, was sie wären, wollte er auf der Stelle ihre ganze Krankheits- und Heilslehre den Ärzten schwarz auf weiß geben.

Dieser Mann kam also herein, und als er das Gespräch hörte, faßte er es alsbald auf und nahm das große Wort: Das sei eine Sache, über welche viel schon gesprochen worden und welche zwei Seiten hätte. Er für sich brauche keinen Pfarrer, und wenn alle wären wie er, er schaffte sie heute noch ab. Ja, wenn der Mensch auf der rechten Höhe stehe, brauche er eigentlich weder Gott noch Teufel, er habe beides in sich und Himmel und Hölle ebenfalls. Aber da noch nicht alle Menschen auf dieser Höhe seien, wo sie das Regiment über sich selbständig nach eigenem Gutdünken ohne Gott und Teufel führen könnten, sondern von äußern Gewalten regiert werden müßten und in Ordnung gehalten, so daß Menschheit und Staaten bestehen könnten, so sei die Frage eigentlich die: ob man die Pfarrer dazu brauchen könne oder nicht, ob sie dienliche Werkzeuge seien, die Staatszwecke zu fördern, oder ob sie es nicht seien. Man sollte glauben, das verstünde sich von selbst, daß sie dem Staate dienten, der sie anstelle und nähre, dem sei aber eben leider nicht so. Ihnen spuke immer noch das Pfäfflein im Leibe und die Idee einer Kirche im Kopfe, die was für sich Apartes sei, mit der Menschen Seelen zu tun habe und noch über den Tod hinaus für sie sorgen müsse, daher sie auf eine eigene Art alle über einen Leisten zu richten hätten, ungefähr wie eine Köchin Tauben und Kapaunen alle so zu braten hätte, daß sie einander glichen wie ein Ei dem andern. Mit dieser Einbildung habe man fortwährend zu kämpfen, müsse mit allen Mitteln ihnen diesen Dünkel nehmen, ihnen es mit aller Gewalt grob und fein eintrichtern, daß sie nichts seien als Staatsbeamtete, und zwar von den untern, und nichts sollten als Staatsbefehle vollziehen und Staatszwecke fördern. Wo sie was anderes tun, da sind sie schädlich, da muß man sie auf die Finger klopfen.

»Da könnt Ihr lange«, sagte der Präsident, »schlagt sie ihnen ab, so predigen sie Euch nur um so lauter von der Erbsünde und dem ewigen Leben und sticheln um so handgreiflicher auf alle, welche nicht zum Abendmahl gehen und nicht ganze Tage verbeten, und beschreiben es, als wären sie dabeigewesen, wie die in der Hölle sieden und schwitzen müßten; sie machen den Aberglauben alle Tage neu.«

»Ja«, sagte der Regierer, »das wäre wohl gut, wenn das Volk wäre, wie es sein sollte, aber so, wie es noch ist, darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, man muß Vorurteile schonen, dasselbe so nach und nach daran gewöhnen, daß man nicht viel auf den Geistlichen und ihrer Sache habe, und sie je länger, desto enger eintun. Glaubet, es hat schon viel gebessert, nur bei meinem Besinnen. Als ich jung war, da meinte man noch, was ein Pfarrer sei, und auf den, der nicht zur Kirche ging, zeigte man mit Fingern. Die Schulbuben wären Euch nachgelaufen, Präsident! Einstweilen scheinen sie mir noch nötig zu sein. Sie müssen mir die innere Polizei machen wie die Landjäger die äußere. Ihr wißt, man muß bei äußern Krankheiten innerlich und äußerlich doktern, wenn man Meister werden will. Nun ist es wahr, einstweilen verstehen sie von diesem Doktern gar nichts, sie brauchen schlechte Mittel, und was sie an einem Orte bessern, bösern sie am andern. Es ist eine verfluchte Sache mit den Doktoren und Pfaffen, sie verstehen alle nichts. Ich weiß aber wohl, woher das kömmt. Da meint so ein Pfaff, der mir die innere Polizei im Menschen machen und vorbeugen soll, daß er mir kein Verbrechen begehe, er müsse mit dem Teufel und dem Glauben fechten. Da meint der Tropf, daß, wenn er es dahin bringe, daß ein Mensch den Teufel fürchte und Gott vertraue, was er gemacht, und dank ihm der Schinder dafür! Kömmt mir so ein rechter Taugenichts, Schelm oder Mörder in die Hände, ich nehme ihn, wie es meine Sitte ist, gründlich auseinander, zergliedere ihm sein Verbrechen, zeige ihm seine Strafwürdigkeit, was sagt er mir? ›Verzeiht, Herr!‹ sagte er, ›kann nichts dafür, wahrhaftig nicht, der Teufel hat es mir eingegeben, der Teufel hat mich gestüpft.‹ Mit dieser Ansicht, welche ihnen niemand anders als der Pfarrer beigebracht, rechtfertigen sie sich, bleiben ganz gemütlich, ruhig dabei, meinen, ich solle den Teufel hängen lassen statt ihrer. Wiederum kommt mir ein Lump, ein Hausvater, der die Familie vernachlässigt, der Gemeinde zur Last fällt, und ich brülle mit ihm, daß an den Fenstern der Kitt springt, und ich meine, der Kerl sollte mir zu Wasser werden, bleibt er mir ganz gleichmütig stehn und sagt, wenn mir endlich die Stimme ausgeht: ›Verzeiht, Herr, was kann ich dafür? Ich habe auf Gott vertraut, der hat mich im Stiche gelassen.‹ Jä, was sollte ich da machen? Und von wem kommt das als von dem D... schwarzen Esel und seiner Lehr vom Glauben und Vertrauen? Die macht die Leute faul und leichtsinnig, sie legen die Hände in Schoß, sperren das Maul auf und meinen, vom Himmel her werde ihnen Gott die Tauben gebraten ins Maul schlenggen.«

»Da habt Ihr sie«, sagte der Präsident, »geradeso geht es mir auch. Aber wie wollt Ihr da ändern, kann ein Mohr seine Farbe ändern und weiß werden?«

»Nein«, sagte der Regierer, »das meine ich nicht, weiß wohl, daß so ein alter Pfaff ärger als ein Mohr ist und schwärzer. Die alten muß man aussterben lassen, ihnen bloß, solange sie leben, alle Tage den Teufel im Gütterli zeigen, damit sie das Maul halten und nicht aus dem Schlotter kommen. Helden sind es nicht und vom Teufel nicht Liebhaber, sie werden so leise zu reden anfangen, daß sie niemand mehr versteht; dann, wenn sie auch noch nichts nützen, schaden sie doch nichts mehr. Wenn man sie in die rechten Finger gibt, so einem, der Freude hat am Kujonieren, so einem recht Tüfelsüchtigen, dem es eine Burgerlust ist, wenn seine eignen Kinder zu Gott schreien, weil er sie dann noch einmal mißhandeln kann, zählt darauf, sie werden mäusestill und zahm wie die Spatzen im Winter! Die ließe ich also aussterben und, wenn was dran zu machen ist, je geschwinder, desto lieber. Die jungen, die muß man anders lehren, die muß man b'richten auf die rechte Art; an der rechten Bildung fehlt es den alten, gibt man den jungen die rechte Bildung, so hat man sie, wie man sie haben will. Will ich ein Pferd zum Fahren, dressiere ich es für das Fahren, will ich es reiten, dressiere ich es zum Reiten, dann habe ich es, wie ich es haben will. Ich kann nicht begreifen, wie unsere Regierungen so lange mit Blindheit geschlagen sind; es war, als ob sie nicht wüßten, daß es aus Hühnereiern nur Hühner und nicht Störche gibt und die Katze junge Katzen gebiert und nicht Lämmer. Was ich da sagte, wollten die Regierungen schon lange, sie wollten Staatsdiener und ließen die Jungen als Kirchendiener von Kirchendienern dressieren, das heißt erziehen, und schlagen hintenher die Hände über dem Kopf zusammen, daß sie aus alten Pfaffenhänden immer wieder junge Pfaffen kriegen. Das hat man in Deutschland schon lange viel besser begriffen und die Universitäten darnach eingerichtet. Da wird nur von Wissenschaft gesprochen, die Wissenschaft ist die oberste Richterin aller Dinge im Himmel und auf Erden, sie nimmt Gott z'weg so gut als den Menschen, und je wissenschaftlicher ein Professor ist, desto schärfer geht er z'weg mit Gott und nimmt ihn übers Knie wie der Schuhmacher das Leder, aus welchem er Schuhe machen will; um so mehr sieht er Kirche und Pfaffen über die Achsel an, und wenn er einen Kerl als recht dumm bezeichnen will, so sagt er ihm: er sei gerade so dumm wie ein Pfarrer vom Lande, ein Dorfpfarrer; das seien ihm nach den Heustüffeln die dümmsten Kreaturen auf Gottes Erdboden.«

Daneben sei es mit den meisten Professoren auch nicht alles; er schämte sich, wenn er nicht gescheuter wäre als alle Professoren auf allen Universitäten Deutschlands. Die Deutschen seien bekanntlich Zöpfe und würden es bleiben in Ewigkeit. Dort sei keiner was, wenn er nicht einen Titel hätte, und ohne Titel habe einer dort nichts zu fressen. Nun sei Professor ein angenehmer Titel, klinge schön und gebe z'fressen; Unzählige sprängen darnach wie Fische nach Mücken. Aber für ihn zu kriegen, müsse einer was Neues gefunden oder ersinnet haben, was Tüfelsüchtiges, das noch keinem eingefallen sei, es sei gleichgültig, was, wenn's nur etwas sei, mit dem kein Teufel was machen könne. Je weniger man es begreife, desto schrecklicher werde es ausposaunet und gerühmt, weil niemand den Namen haben wolle, er habe es nicht begriffen oder er habe an die neuste Neuigkeit nicht gleich geglaubt. So einer werde dann Professor, kleide sich ganz und lebe gut. Komme man dann nach zehn Jahren darüber, daß, was er erfunden, nur eine neue Dummheit sei oder eine alte, aber neu angestrichen, so redeten die Ältern bloß sachte davon, respektierten jedenfalls ihr historisches Recht, bloß Jüngere, welche ebenfalls noch nach Mücken fahndeten, gerieten gierig darhinter und stellten es in seiner Blöße dar; unterdessen aber lasse es sich der Herr Professor wohlsein in seinen ganzen Kleidern, lebe gut, gehorche dem König oder der Majorität und frage dem Rest den Teufel nach. Auf diese Weise würden Leute erzogen, mit denen sich was machen ließe, Leute, welche man ganz kleide, gut leben ließe, wenn sie nämlich zu dem Dienst sich brauchen ließen, zu dem sie erzogen würden. Solche Leute würden nicht mehr von Gott und Teufel, von Furcht und Glauben predigen, sondern Moral, schöne Moral, was nützlich und was schädlich, mit was man am weitesten komme in der Welt, was dem Menschen am wöhlsten anstehe, wodurch er sich über die andern erhebe oder zu Ehren komme. Wenn einmal das gepredigt würde und so recht ausgelegt, dann gehe er auch zur Kirche, dann seien die Pfarrer nützlich. Er garantiere, auf diesem Wege wollte er eine ganze Gemeinde dahin bringen, daß kein Verbrechen mehr begangen, keine Person straffällig würde, daß man eine äußere Polizei ganz und gar entbehren könnte. Aber von den Pädagogen verstehe eigentlich keiner soviel, als Kot Platz habe im Auge einer Kleblaus. Das sei das dümmste Volk von der Welt; wenn man das gescheuter machen könnte, als es jetzt sei, es wäre das kommodste. Dieses Volk sei von einer Materie, wie keine so sei auf der Welt, die förme sich ganz nach den Fingern, in welchen sie sei, hart oder weich, spitz oder stumpf, spröde oder dehnbar, vergeßlich und b'sinnt, g'stabelig und beugsam, kriechend und fliegend, vierbeinig und bolzgradauf, kurz, das sei ein Volk, welches er auch erst in seinen Fingern haben möchte; indessen sei es doch ein Volk, mit dem sich was machen ließe, wenn es in die rechten Hände käme. Die Pädagogen seien empfindlich gegen den Wind, verstünden alsbald, wo Bartholome den Most hole und ad usum Delphini einzurichten, was ihnen zum Einrichten anbefohlen werde. Freilich müsse man ihnen immer auf die Finger sehen; sich selbst überlassen, täten sie eselmäßig und trieben das Krümmste von der Welt, und wenn sie drankämen, den Meister zu spielen, wäre der Teufel los. Darum müsse man sich von ihnen mit ihren hochbeinigen Worten nie imponieren lassen, nie Sand in die Augen streuen, das könnten sie wie die Juden beim Handeln. Zwischen beiden finde er überhaupt keinen großen Unterschied, beide verstünden es gleich gut, aus nichts viel zu machen und aus vielem nichts, wenn's nicht ihre Sache sei.

Der gute Regierer dachte, wenn er so recht im Reden und Trinken war, selten, wen er um sich hatte; so geschah es ihm denn oft, daß er so recht vaterländisch ins Guttuch fuhr. So war auch ein Rechtsagent anwesend, der früher Quasi-Pädagog, das heißt Schulmeister gewesen. Der hatte schon lange gemuckelt und ungern geschluckt, was der Regierer über die Pädagogen der untern Stufen sagte, den Professoren dagegen hatte er's von Herzen gegönnt, was ihnen zugemessen worden war; jetzt begann er aufzubegehren: Es wolle immer alles über die Lehrer aus, und doch, woher habe man das, was man wisse? Einmal auf die Welt gebracht habe man es nicht, auch nicht mit der Muttermilch eingesogen. Aber Undank sei der Welt Lohn. Die Bettler machten es geradeso; den, welcher ihnen am meisten gegeben, verlästerten sie bei dem Schnaps, welchen sie aus seinem Gelde tränken, weitaus am ärgsten. Der Regierer brannte auf und behauptete, wenn er nicht das Glück gehabt hätte, zu vergessen, was er in der Schule gelernt, er wäre der dümmste Kerl geblieben auf Gottes Erde. Nun ging es los.


 << zurück weiter >>