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Vierzehntes Kapitel

Gritli schließt die Badekur und macht eine Überraschung, und Lisi will grad machen, was krumm ist, kömmt aber nicht ins klare und kann darum nicht

Einen Tag lang oder zwei lebte Gritli wohl an dem Besuche, am Erzählen, was das für reiche und vornehme Leute gewesen und wie nahe sie verwandt seien und, so Gott wolle, noch näher verwandt werden würden; lebte wohl an den Ärgernissen, welche die zweite Sorte an solchen Erzählungen erzeigte, an ihrem Nasenrümpfen über Lisis Manieren, welche so bäurisch und grobänisch seien, daß man wohl sehe, die Frau habe durchaus keine Bildung. Dann entstunden merkwürdige Disputationen über Bildung, was sie sei und was sie nütze. Wir wollen diese Disputationen diesmal nicht mitteilen, sondern bloß bemerken, daß man den Mangel an Bildung gewöhnlich so bezeichnete: sie rede so grob und wisse nichts zu schwatzen als von Hühnern und Kühen; der merke man es an, daß die nichts lese als etwa das Fragenbuch und die Kinderbibel. Darauf ward dann erwidert: mit Schwatzen und Romänlilese sei ein Bauernhof nit g'werchet, eine Haushaltung nicht gemacht, und man hätte nie gehört, daß die Meitscheni, welche am zimpfersten hätten tun können, die besten Weiber geworden seien.

Es gibt wohl wenig Worte, welche so lächerlich angewandt, so seltsam begriffen werden als das Wort: Bildung. Es ist zwischen Bildung und Bildung ein viel größerer Unterschied als zwischen Flittergold, Goldschaum und echtem, massivem Golde, als zwischen einer Trödlerboutique und einem Warenlager von soliden, neuen Stoffen. Unter Bildung versteht man allgemein Manieren und Wissen, welche nicht unmittelbar durch den Stand, welchem man angehört, notwendig gemacht werden, nicht durch das Handwerk oder den Beruf, welchem man angehört, bedingt sind, sondern über diese Schranken irgendwie hinausreichen.

Daß nun das wunderlichste Zeug unter dem Namen Bildung passieren will und daß der eine mit Respekt von einer Bildung redet, über welche sich ein anderer den Buckel voll lacht, begreift man. Am widerlichsten ist die Bildung, wo in lauter Negation oder Gottlosigkeit einige Witze und einige Stücke aufgeschnappten Wissens schwimmen, eine Wassersuppe mit einigen dünnen Scheibchen Brot, rari nantes in gurgite vasto. Ehedem war diese Bildung ein Vorrecht der Müsterler oder Commis voyageurs, jetzt machen sie ihnen viele Schulmeister und einige Leutnants streitig. Eine andere ist die, wo man Zuckermäulchen macht und dummes Zeug liest und dummes Zeug schwatzt, hinten und vornen nichts weiß, am allerwenigsten etwas von dem, was man in den Schranken seiner Lebensweise kennen sollte. Diese Bildung ist vorzüglich weiblicher Art, erstreckt sich von den obersten bis in die untersten gesellschaftlichen Schichten, wird aber am stärksten von denen geritten, die noch etwas mehr scheinen möchten, als sie sich selbst dünken.

Die Weisheit, die von innen herauskömmt, an vernünftigen Gedanken schafft und sie weiht mit höheren Gefühlen, ist aus der Mode gekommen. Wer andächtig hinauf in die Sterne schaut, mit Ehrfurcht erhabene Namen nennt, in Demut sich beugt vor dem Allerhöchsten, den begreift man nicht, darum lacht man ihn aus. Mit offenem Maule hörte man einem zu, der den Durchmesser der Erde angeben kann und das Gewicht der Sonne, der sagen kann, wie schnell die Erde läuft und wie die Berge im Mond heißen und was ein Demokrat sei und wie, wem das Leben gegeben worden, das Recht habe zu fordern, daß man es ihm auch erhalte und womöglich mit großen Pasteten und, wenn das nicht möglich, so doch mit kleinen. Das ist Bildung, so wird sie verstanden, vornehmlich praktisch, und wie glücklich ein Mensch im Bewußtsein des Besitzes solcher Bildung ist, noch glücklicher als ein Büblein in den ersten Hosen, kann man alle Tage auf der Landstraße sehen.

So war große Meinungsverschiedenheit im Bade über Bildung an sich und den Wert dieser Bildung, und zwar eine so große, daß an eine Einigung nicht zu denken war; die Standpunkte, welche die Parteien eingenommen hatten, lagen zu weit auseinander, es war, als ob man sich vom Faulhorn und vom Rigi aus kanonieren wollte. Solche leere Kanonaden werden zuweilen lange fortgeführt, wenn besondere Gründe vorhanden sind, doch ohne Reiz und Aufregung. Das erfuhr Gritli. Schon am dritten Tag war aller Reiz verschwunden, und es ward ihm öd und leer im Gemüte, es kam ihm vor, als sei alles im Bade schwarz geworden über Nacht; als sei Gift im Wasser, so schauderte Gritli bei jedem Schluck erbärmiglich. Da konnte es nicht mehr bleiben, es mußte heim.

Am Donstag nach dem Besuch schrieb es, man solle ihns holen, wenn man es noch lebendig haben wolle. Am Freitag saß es in die Post und fuhr heim. Einen Tag noch da, so töte es ihns, dünkte ihns, sagte es. Im Hunghafen hatte man Bericht erhalten von der Ankenballe, Gritli sei nicht übel z'weg und lasse alle grüßen, es dünke ihns, es fange an zu bessern; der Besuch hätte ihm allerdings wohlgetan. Drei Tage darauf kam der Brief mit dem Befehl, ihns schleunigst abzuholen, wenn man es noch lebendig heimhaben wolle. Der Brief erregte bei den beiden Hanse einen großen Unwillen. Daraus könne man sehen, wie wunderlich die Mutter sei, heute dünke es sie so, morgen so, alle Tage anders. So schnell bessere oder böse es einem Menschen nicht, selb sei nicht erlebt worden. Aber Benzens werden aber allerlei getätscht haben, das sei der Mutter ins Haupt gestiegen, das lasse sie oben nicht mehr leben. Wie mißtreu die sei, könne kein Mensch begreifen, das sei eigentlich ihre Krankheit; wenn sie die Sache nehmen würde wie andere Leute, so fehlte es ihr nirgends, sie wäre so gesund als die andern. Von dieser Krankheit helfe ihr kein Bad und kein Doktor, für die sei nichts gut als der Tod. So pressieren werde es nicht, man müsse erst das Nötigere machen, ehe man wieder im Lande herumfahre.

Am folgenden Tag, als sie zu Abend aßen, ging die Türe auf, und unter derselben stund Gritli. Hei, wie die Mägde aufschrien, kein Gesicht war, welches nicht blaß wurde, denn alle dachten nichts anders, als Gritli sei gestorben und künde sich. Als es anfing zu reden, da merkten sie, daß es das lebendige Gritli sei, aber Gritli merkte ebenfalls die allgemeine Bestürzung und die daraus folgende kalte Begrüßung, empfand das bitter und sagte bitter: »Ich sehe wohl, ich komme unwert, ihr hättet mich lieber gar nicht mehr gesehen. Habt nur noch ein klein wenig Geduld, so komme ich euch aus den Augen.« »Die Badefahrt hat somit weniger genützt als gekostet«, antwortete der ältere Hans. »Schweig nur!« sagte Gritli, »es wäre niemand leider gewesen als dir selbst, wenn sie viel abgetragen hätte; die Kosten werden dich daher nicht besonders reuen, übrigens ging es aus meiner Sache so gut als aus deiner.« Knechte und Mägde, das Peinliche dieses Gesprächs fühlend, brachen auf. Benz lenkte ein, fragend nach der Ursache der Überraschung, hinderte gröbern Ausbruch, aber die neu aufgeregte Bitterkeit blieb, wurde alle Augenblicke flüssig.

Daß auch Lisi erschrak, als es die plötzliche Ankunft Gritlis erfuhr, kann man sich denken. »Jetzt ist's fertig«, sagte es. Im Hunghafen hatte man sich wohl gehütet, Bescheid zu senden nach der Ankenballe, aber so was Merkwürdiges läuft schneller als der Wind, fast so schnell als die galvanischen Telegraphen. Es hatte sich nämlich das Natürliche mit dem Wunderbaren seltsam gemischt, und es lief eine Erzählung um, aus der man nicht recht klug wurde, ob Gritli erst tot erschienen und dann lebendig nachgekommen oder lebendig gekommen und dann in einen Geist sich verwandelt habe. Das alles sei geschehen, weil man so übel mit Gritli umgehe, darum sei ihm vergönnt worden, als es so unwert gekommen, als Geist davonzufahren. Lisi machte sich alsbald nach erhaltener Nachricht auf, und als es mit starken Schritten dem Hunghafen nahte, sah es der jüngere Hans von weitem und rief: »Der Teufel muß doch alles herbeitragen; d's beste ist, man gehe, der Teufel weiß, wer alles noch nachkommt.« Somit ließ er fallen, was er in den Händen hatte, und drückte sich. Er war ein starker Kriegsheld, aber Lisi auf Schußweite nahe kommen, ging über seinen Heldenmut, absonderlich wenn derselbe noch nicht begossen war.

Dem älteren Hans ward es nicht so gut; der lief Lisi gerade in die Hände. Als er Lisis Frage nach Gritli beantwortet hatte, wollte er weiter. »Höre, Hans«, sagte Lisi, »sei doch so gut und gehe diesmal nicht fort, ich habe mit dir zu reden.« Es sei ihm leid, sagte Hans, aber er habe eine Verrichtung. »He nun«, antwortete Lisi, »wenn du nicht warten magst, so kann ich meine Sache mit kurzen Worten machen, zürn es dann aber nicht, wenn sie nicht glatt gedreht sind wie Seidengarn! Allem an ist Gritli gekommen, um zu sterben. Was es heimgetrieben, weiß ich nicht, denn als wir dort waren, dachte es gar nicht ans Heimkommen. Darum hätte ich lieber zuerst mit ihm geredet als mit dir. Von dem, was dahinten ist, will ich nicht reden; was gemäht ist, ist gemäht. Aber jetzt hör, Hans, sei mir manierlich mit deiner Frau, geh nicht mit ihr um mit schnöden Worten und Widerwillen, daß sie sieht, wie du nicht warten magst, bis sie dir ab den Augen ist!«

»Sie soll ihre Sache haben, wie sie sie immer gehabt, ihr ging nichts ab; sie konnte nehmen und brauchen, was sie wollte, es sagte niemand was dagegen. Es ist dann nicht, Base, daß man hier keinen Verstand hat, bis eine Frau kömmt und uns ihn macht«, antwortete amtsrichterlich der Amtsrichter. »Höre, Hans«, sagte Lisi, »du weißt wohl, was ich meine; ich kam nicht, um mit dir z'worten und z'leerem z'disputieren. Spare deine sauren Augen und bösen Worte, das ist keine Speise für kranke, auszehrende Menschen. Du brauchst dir nicht lang Zwang anzutun, aber lang hat zu büßen, wer an solchen Menschen sich versündigt. Sterben wirst du wohl auch einmal müssen, und an die Ruhe wirst doch auch gerne wollen.« »Da laß mir den Kummer über!« sagte Hans. »Was ich bei Lebzeiten mache, das weiß ich, habe deretwegen nicht Kummer, und wenn ich einmal gestorben bin, wird es mich erst nicht mehr plagen, selb weiß ich.«

»Nein, selb weißt du nicht«, sagte Lisi, »wenn du schon Amtsrichter bist. Es könnte eine Zeit kommen, wo du hier und dort pläretest über das, was du hier getan, ohne zu wissen, was du tatest. Doch wie gesagt, Worten will ich nicht mit dir. Nur das will ich dir sagen: sei gut gegen Gritli, sonst verbrülle ich dich das Land auf, das Land ab als e Uhung gegen die erste Frau, daß du keine zweite kriegst, daß jede den Bösen selbst angenehmer fände als dich! Mach, daß dein Bub, der Hans, es auch tue, sonst mache ich ihm das gleiche. Den nimm ins Auge, das ist ein Kalb, wenn er schon Leutnant ist oder gar Hauptmann, und tust du dem den Ringgen nicht ein, so kriegst du von dem eine Ohrfeige, daß du über d'March ausfährst, zähl darauf!«

»Was hat dir denn der z'widerdienet?« frug Hans spöttisch. »Wenn er nicht mein Vetter wäre, gar nichts, denn er kam mir die längste Zeit nicht unter die Augen«, fuhr Lisi ergrimmt auf. »Aber weil er mein Vetter ist, so muß ich mich seiner übel schämen, und wenn du ein Vater wärest, wie es sich gehörte, tätest du es auch und stecktest ihm den Nagel.« »Was macht er denn Schlechtes? Gib hervor, wenn du was weißt, es täte mich sehr wundernehmen!« frug der Amtsrichter. »Ungefähr was du, und somit wird es nichts Böses sein«, sagte Lisi gemessen und zündete dem Amtsrichter mit seinen Augen ins Gesicht, daß dasselbe ganz rot ward; dann ging es Gritli suchen, und wohin der Amtsrichter ging, wissen wir nicht.

Als Gritli Lisi sah, floß ein seltsam Gemisch von Jammer und Freude ihm über die Zunge; leider war der Jammer nachhaltiger und floß bald ungemischt. Es konnte sich nicht trösten über den bösen Empfang und daß sie gar gemeint, es erscheine schon tot, und daß man noch keine Anstalten gemacht, ihns abzuholen, und daß ihm seither niemand ein gut Wort gegeben als Benz und ihm noch niemand anerboten, zum Doktor zu gehen und ihm zu sagen, es sei da.

Es war nicht Lisis Sitte, wie es vieler Sitte ist, Öl ins Feuer zu gießen. Lisi hatte nicht Freude am Zank, sondern am Frieden, sprach Gritli bestens zu und suchte es zum Lachen zu bringen, denn es ist wohl nichts, welches Zorn und Bitterkeit rascher verzehrt und macht, daß die Stimmung rasch umspringt wie um Tag- und Nachtgleiche der Wind, als ein heiteres Lachen. »Aber du Dori«, sagte Lisi, »es wäre mir selbst nicht viel besser ergangen. Da schreibst einen Brief, man solle dich holen, und husch fährst du ihm nach wie eine Hex auf dem Besen und stehst ihnen da unter die Türe mir nichts, dir nichts. Ich hätte gradaus brüllet und nichts anders geglaubt, als du seiest gestorben und kündest dich. Denn erst so nötlich tun, wie man schwach sei, und dann da vor einem stehen, da muß man ja glauben, es sei der Geist.«

»Aber warum macht Hans seither immer ein sauer Gesicht? Ich will wetten, wenn ich gestorben gewesen, er machte ein ganz anderes«, sagte Gritli. »Hör, Gritli«, sagte Lisi, »mußt es nicht so nehmen, so machst du die Sache selbst bös, schlimmer, als sie ist, und schadest dir selbst. Du mußt nicht Sachen dazu dichten, die gar nicht sind, und mutwillig so dich selbst quälen. Probier, denk einmal das Bessere und nicht immer das Bösere! Sieh, darauf kömmt ja alles an, wie man die Sache ansieht, ob böser oder besser. Besinn dich, was der Heiland sagt: ›Das Auge ist des Leibes Licht; wann nun dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. Wenn aber dein Auge neidisch ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis selber sein.‹ Zürn nit, Gritli, du bist grusam mißtreu, suchst hinter allem etwas, wo nichts ist, und luegst d'Sach nit eifältig an, wie sie ist, darum macht dich alles unglücklich, was du siehst, geradeso wie das beste Kaffee einen schlecht dünkt, wenn man ein bitter Maul hat.«

»Ach, was kann ich dafür?« jammerte Gritli, »er ist schuld daran. Warum hat er mich nicht mehr lieb? Oh, wenn er mich lieb hätte, es wär alles anders; es ist alles erst so worden, seit er mich nicht mehr liebhat. Wenn er mich liebhätte, ich hätte nicht Ursache mißtreu zu sein, würde die Sache auch anders nehmen, ich könnte mich in alles schicken.« »Aber, Gritli, zürn mir recht nicht!« sagte Lisi, »Gritli, meinst, das sei der Weg, daß er dich wieder liebe, wenn du immer mit ihm rauest und ihm ein Gesicht machst, als hättest du abgestandenen Essig getrunken? Wer weiß, wenn du freundlich wärest und dich nichts merken ließest und guten Bescheid hättest immerdar, wer weiß, ob er sich nicht änderte und es dir wohlete!« »Mach's, wenn d's kannst!« sagte Gritli. »Aber haltest du es auch mit ihm, daß du den Fehler bei mir suchst? Er wird dir geklagt haben über mich. Allweg hast du dich gesäumt vor dem Hause; er wird mit dir gesprochen haben. Das hätte ich doch nicht geglaubt, daß ich das erleben müßte, daß auch noch du von mir abfielest.« Und es begann stark zu tropfen bei Gritli.

»Aber mein Gott, ist's möglich!« fuhr Lisi auf und war drauf und dran, böse zu werden. »Nein, los, Gritli, so sei mir nicht!« sagte Lisi. Wie lieb du mir bist, weißt du; darum sagte ich, was ich glaubte, es sei gut und diene zum Frieden. Was kömmt beim Aufguslen und Z'wegstüpfen heraus, macht man die Sache besser? Nein, Gritli, hätte geglaubt, du hättest bessern Glauben zu mir, ich hätte Ursache, über dich zu klagen. Wenn du so mißtreu gegen mich bist, wie mußt du es erst gegen andere sein! Nein, ich halte dir fry d'r Gottswille a, sei nicht so, du plagest dich ja am meisten selbst damit. Denk immer bei allem, es scheine böser, als es sei; nimm's, wie's chunnt, glaub, wir können wenig zwängen; es ist aber ein anderer, und der wird am Ende alles wohl machen.«

»Ja, ich merke wohl«, sagte Gritli, »was du mir sagen willst. Ja, ich werde es nicht mehr lange machen, ich werde den Leuten wohl bald aus den Augen kommen; dann bin ich allen Leiden ab und komme, so Gott will, einmal an die Ruhe, und ich weiß, die gönnt man mir, nichts lieber als die. Und wenn ich gestorben bin, wie geht es dann? Dann sieht gar niemand mehr zur Sache; Brauchen ist Trumpf. Und wie lange geht's, so schleipft er eine herbei, läuft eine andere in meinen Kleidern herum und braucht meine Sache. O mein Gott, o mein Gott!« Schluchzen verschlang die Stimme, ein Krampf drohte das arme Gritli zu erstecken.

»O Gritli, Gritli, was machst du dir selbst für Plage! Wenn du sterben solltest, lebt ja Gott noch. Kannst du es dem nicht vertrauen, waltet er nicht nach seinem Willen, lebest du oder seiest du gestorben?« So suchte Lisi zu trösten, aber da tröste jemand, wenn es Nacht ist in der Seele, in der Brust kein Atem, Wasserbäche aus den Augen rinnen. Schluchzen den Körper auf- und niederschnellt.

Lang ging's, bis Gritli wieder hörte und der Rede mächtig ward. »Ja, ja, du hast recht«, sagte es. »Ich sollte es mir gragglych sein lassen, aber wenn ich es könnte! Ich mag wollen oder nicht, so muß ich dran denken, wie es gehen wird, wenn ich nicht mehr bin. Darum muß ich immer denken, der liebe Gott meine es gut und nehme mich noch nicht. Oh, mir wäre es viel wöhler, wenn ich an die Ruhe könnte, aber denk, Lisi, d'Sach, d'Sach, wer wollte dazu sehen, sehen, daß nicht alles eines Tags verbraucht würde! Ja, wenn ein braves Söhniswyb da wär, da würde ich dem lieben Gott danken, wenn er mit mir zufrieden wäre und mich holte.«

Lisi sprach dringlich zu, es sollte sich doch nicht plagen mit allerlei unnützen Dingen, sich aller Sorgen entschlagen und brauchen, was ihns gut dünke. Gritli wollte nichts versprechen: »Du hast gut reden«, sagte es, »du könntest's aber auch nicht. Ja, wenn ich ein Söhniswyb hätte!« Nun blieb es auf diesem Kapitel fest sitzen und meinte, weil Hans doch keine Anständige zu bringen imstande wäre, denn welch bravs Meitschi möchte den Uflat nehmen, sollten Benz und Gretli heiraten und Gretli hinunterkommen und die Haushaltung machen. »So könnte ich es b'richten über alles. Ich könnte ihm auch meine besten Sachen anhängen, denn das Recht werde ich doch haben, mit meiner Sache zu machen, was ich will, daß Hans nicht mehr viel fände, wenn er ein Mensch als Frau ins Haus brächte.«

Es blutete Lisi das Herz, daß Gritli von diesen Gedanken sich nicht losmachen konnte. Es bot seine ganze Gewandtheit auf, aber umsonst; es mußte endlich versprechen, in den nächsten Tagen einmal Gretli zum Besuch zu senden. Es sei Gotte, sagte Gritli, und möchte das Kind einmal sehen. Einen solchen Wunsch kann man einer Sterbenden, als solche sah Lisi Gritli an, nicht versagen, so gerne Lisi es getan, denn es dauerte ihns das arme Kind um der Pein wegen, welche bei diesem Besuch seiner wartete.

Natürlich bezog sich die Gewährung bloß auf den Besuch, nicht auf die Heirat, denn diese wäre ihm vorgekommen, als ob es ein Lamm zur Schlachtbank liefere. Ob es je eine geben könne oder werde, das stellte es weislich in die Zukunft hinaus; dagegen war es nicht, aber die verhürschete Strange mußte ihm erst entwirrt sein.

Mit einem Herzen voll Elend ging Lisi heim, saß mehr als einmal ab, als ob es eine schwere Bürde zu tragen hätte. Das arme Gritli beelendete es unaussprechlich. Da könne man sehen, was aus den Menschen werde, dachte es bei sich; dem sei es auch nicht an seiner Wiege gesungen worden, daß es einen solchen Austrag nehme. Das sei das lustigste Meitschi gewesen weit und breit, lauter Flausen und Lachen, ein gutes Herz dabei, und verschworen hätte man sich, das könne sein Lebtag nichts schwer nehmen. Es sei allen Leuten wert gewesen, habe allen Leuten z'Best geredet, die Eltern hätten es auf den Händen getragen, die Dienstboten wären für ihns durchs Feuer gelaufen – und jetzt so z'weg!

»Die ärmste Frau, wo jedes Mahl vor den Türen zusammenlesen muß, ist besser dran, und womit das verdient? Ich wollte noch nichts sagen von seinem Verdruß, seinen Leiden, seinem nahen Sterben, das bleibt ja alles bald dahinten. Aber daß sein Herz so voll irdischen G'rümpels ist, es mit ganzer Seele und ganzem Gemüt an der Welt hängt, daß es da bleiben will, wo es doch nichts abbringt, daß es Gott nichts vertrauen darf und an seine alten Fetzen denkt und sich darum so nötlich kümmert, wem sie noch zugut kommen, selb grauet mir, selb ist das Elend von allem Elend. Wie heißt es in der Schrift: ›Was soll aus der Seele werden?‹ Soll die auch verlorengehen wie Gritlis schöne Zeit, und womit hat es sich versündigt, womit das verdient? Und ich war immer das Bösere und hatte ein scharfes Wort, wo Gritli ein gutes, und g'schirrete aus, wo Gritli dazu lachte, und jetzt? Gott soll mich bewahren, daß ich mich rühme wie der Pharisäer, ich weiß zu gut, daß ich eine arme Sünderin bin, aber das weiß ich auch, daß, wenn ich so z'weg wäre, an meine Kleider mir der Sinn nicht käme, daß ich mich kaum darum kümmern würde, wer sie nach mir trüge. Ich hätte Wichtigeres zu sinnen, hätte ein besseres Vertrauen auf Gott, und ich kann mir nicht denken, daß ich nicht auch mehr Gewalt hätte daheim und daher bessere Hoffnung für alles, wenn ich davonmüßte. Daneben weiß ich's nicht; man weiß nie, wie es einem bei diesem oder jenem ist oder wie man tut, bis man darin ist. Es kommt oft ganz das Gegenteil, als man sich's dachte; die Einbildung ist groß bei den Menschen, desto kleiner wird gerne dabei der Mensch, davon hat man Exempel genug beim Weibervolk und beim Mannevolk. Wer weiß, an Gritlis Platz wär ich vielleicht noch böser z'weg! Aber warum kam ich nicht an Gritlis Platz, warum ging es mir nicht so, warum habe ich Ursache, Gott alle Tage auf den Knien zu danken, daß ich so glücklich bin in alle Weg, daß es mir immer wie eine Sünde vorkömmt, wenn ich was wünsche oder über etwas klage? So ungleich geht es in der Welt, und warum? Muß ich, was ich zuviel bekommen, an einem andern Orte entgelten, und soll Gritli auch noch drüben es entgelten, daß es hier so bös gehabt und darum auch so geworden? Ja, wenn man nicht einen rechten Glauben hätte an Gott, so käme man nicht daraus und müßte glauben, d'Sach gehe ung'recht zu oder ung'fähr.«

Aber die Sache war weder ungerecht, noch kam sie von ungefähr, sondern ganz naturgemäß und vollständig nach der Ordnung Gottes. Gritli war ein lustig, lieblich Mädchen gewesen, die Eltern hatten es auf den Händen getragen, dienstbare Geister sorgten, daß seine Füße nicht an Steine stießen, auf lustigen Wellen der Welt schaukelte es sich lustig, an Wind und Wetter des Lebens ward seine Natur nicht gehärtet, der Körper an nachhaltige Anstrengungen nicht gewöhnt, das Verwerchen von Widerwärtigkeiten im Gemüte, das Überwinden seiner selbst lernte das gute Gritli nicht, es war ein Blatt, mit dem leise freundliche Winde tändelten. Als es heiratete, war es anfangs ebenso. Hans liebte Gritli, hatte auch Ursache dazu, war kein strenger Hausherr, meinte nicht, es müsse alles eines Tages geschafft und alles Ungrade grad gemacht werden. Indessen war Gritli auch eine Bauerstochter und wußte, was einer Bäurin wohl ansteht; dem schönen Stande war es nicht so entfremdet, daß es sich dessen Obliegenheiten schämte und untüchtig dazu war, es war nur nicht andauernd an dieselben gewohnt. Es stund also auch als Bäurin ein, aber es ging ihm schwer wie jede Arbeit, wenn sie nicht Gewohnheit wird, es ging nicht alles, wie es wollte, es gab Widerwärtigkeiten aller Art wie in jeder Haushaltung. Es kam in die beschwerlichen weiblichen Zustände, welche körperlich und gemütlich oft große Beschwerden bringen und in welchen oft das arme Weib es besser hat als das reiche. Das alles mißstimmte Gritli, und die Mißstimmungen überwand es nicht. Es rückte ihm die Arbeit nicht, lief ihm nicht aus der Hand, und weil es sie doch gemacht haben wollte, ward es nie fertig, kam nie zur Ruhe, es war ihm, als sei es immer müde.

Es ist nichts, das eindringlicher auf das Gemüt zurückwirkt als die Pein der Müdigkeit. Das erfährt man am besten auf Reisen, wo ja die zärtlichsten Freunde uneins werden und so manches ehliche Glück in die Brüche gegangen ist oder wenigstens einen Spalt bekommen hat. Es entsteht ein körperliches und geistiges Mißbehagen, bei welchem Körper und Geist gleich reizbar werden, wobei, wenn das Übel andaurend wird oder chronisch, wie die Gelehrten sagen, ein Zustand wie der, in welchem Gritli sich befand, leicht entstehen kann und sicher schon öfters entstanden ist, als man daran denkt.

Gritli überwand die Welt nicht, sondern die Welt überwand Gritli. Gritli war im mindesten nicht gottlos, sondern, wie es meinte, eine gute Christin, hatte keinen Zweifel, glaubte alles, was ihm gesagt wurde, das geglaubt werden müsse, ja, es glaubte sicher noch darüberaus, und daß am Bonifaziustage das beste Bohnensetzen sei, hätte ihm sicherlich niemand ausgeredet. Aber seine Religion war mit seinem Leben nicht zusammengeknetet, lag gleichsam da, eine kostbare Reliquie in kostbarem Schreine, war nicht zur Kraft geworden, welche das Leben regierte, nicht zum Sauerteig, welcher das Leben durchdrang. Gritli hatte kein Laster an sich, aber Gritli wurde durch die wechselnden Eindrücke der Welt beherrscht, ein jeder herrschte, bis ein anderer ihn vertrieb; es ward nach und nach nichts bleibend als der Reiz, der Schmerz, die Bitterkeit, welche jeder vertriebene Eindruck hinterließ und jeder neue Eindruck auffrischte. Wer zählt die Herzen auf Erden, in welchen ähnliche Zustände walten, die von ähnlichem Weh durchsäuert sind! Hoffentlich ist dieses Weh das Fegefeuer, wo die Seelen abbüßen müssen ihr Verschulden und zu Gnaden kommen, wenn es endet.

Anders ward Lisi erzogen. Auch Lisi war ein hübsches, reiches Mädchen, war aber das älteste von mehreren Kindern und hatte eine scharfe Mutter und eine blinde Großmutter. Von früh an konnte es nicht müßig sein, mußte herhalten. Kein armes Kind in der ganzen Gemeinde mußte arbeiten wie Lisi, wie denn überhaupt bei uns durchschnittlich arme Kinder weniger arbeiten müssen als die reichen. Es mußte die kleinern Geschwister überwachen und ihre Unarten ertragen. Wenn es sich beklagen oder gar sie strafen wollte oder auch wüst tat, weil sie alles machen konnten, was sie wollten, und es dafür alles austrappen mußte, erhielt es zur Antwort: »Du sollst Verstand haben, sie haben noch keinen, was willst; du bist d's ältest, sollst auch das witzigere sein!« Wenn es dann sein kleines Herz so recht voll Neid und Bosheit hatte, flüchtete es sich zur blinden Großmutter, welcher es sehr lieb, die aber nicht blind am Geiste war. Die tröstete es dann aber mit Verstand, Liebe und Gottes Wort, lehrte es die Regungen des Gemütes überwinden oder läutern und den rechten Grund von allen Dingen, sagte ihm ein schönes Lied auf oder erzählte eine einschlagende Geschichte. Und wenn Lisi das Herz gar voll hatte, sagte sie: »Probier's, lieb sie recht und sei treu an ihnen, dann lieben sie dich auch, und kannst mit ihnen machen, was du willst, und wenn du ihr Meister bist, hast du auch nichts mehr über sie zu klagen.« Nun, in einem Tage ging das nicht, so was ist weder Schnupfen noch Tubaken, aber am Ende ging es doch, und wenn die Kinder niemanden mehr gehorchen wollten, so gehorchten sie Lisi. Das war das erste Werk, was es tat, und das gab ihm einen frohen Mut, daß es nicht bald ob etwas erschrak, sich nicht leicht unglücklich machen ließ, sondern der Sache ins Auge sah und dachte: »Laß doch sehen, was bist du eigentlich, und wer ist Meister, du oder ich?« Dieser helle Mut war sein Panzer, der seine Seele schützte gegen das Gift der Bitterkeit und Empfindlichkeit, die gewöhnlich Kinder der Schwäche sind oder aber der innern Bewußtlosigkeit, das heißt der blinden Hingebung an Eindrücke und Stimmungen, denen man sich hingibt, ohne sie zu prüfen, ohne sie anzusehen, wer sie seien und woher sie kommen. Das kam ihm aber auch wohl, als es heiratete.

Lisi mannete gut, so gut als Gritli. Benz war immer so reich als Hans. Aber Benz war ängstlicher in der Arbeit und ängstlicher mit der Zeit, die Frau mußte fertig sein zu rechter Zeit, sonst gab es einen Schatten auf Benzen Gesicht, und den konnte Lisi in den Tod hinein nicht leiden. Doch das hätte noch nichts gemacht, aber Lisi traf eine Schwiegermutter auf dem Hofe an und zwei Schwägerinnen, und das will was sagen. Es waren gar nicht böse Leute, aber sie hatten was an sich, worob schon manches Söhniswyb des Teufels ward. So wie sie nur an einen Gott glaubten und nur einen alleinseligmachenden Glauben kannten, so glaubten und kannten sie für alles nur eine rechte Manier, bei allem nur ein Wahres und Gutes, und das war das, was sie hatten, wie sie es machten; nur recht küchelte, wer küchelte wie sie, nur recht knetete und backte Brot, wer knetete und backte wie sie, und zwar mit allen Gebräuchen und Zeremonien ohne die geringste Auslassung; wer es anders machte als sie, der machte es unrecht, der sündigte nicht bloß – gegen Sünden muß man ja nachsichtig sein, denn alle sagen: »Ein armer Sünder bin ich auch, nicht bald einer mehr sündigt als ich, daneben der Schlechtest bin ich dann doch auch nicht« –, nein, so einer war ein Ketzer, das ist viel schrecklicher: ein Ketzer kann nicht selig werden, ein Sünder wohl, für die Ketzer ist Christus nicht gestorben, sondern für die Sünder. Nun gibt es aber nicht bloß kirchliche Ketzer, sondern auch häusliche, und häusliche Ketzergerichte sind viel häufiger als kirchliche und womöglich noch schärfer, und während doch jene längst aufgehört und jedenfalls nicht mehr ans Leben gehen, dauern jene noch fort in aller Schärfe und werden fortdauern, solange es Weiber gibt, alte und junge, Schwiegermütter und Söhnisweiber, Schwägerinnen und Meisterjungfern. Wo solche sind, da muß die junge Frau, die ins Haus kommt, Glauben schangieren so gut als Prinzessinnen, welche nach Rußland heiraten. Weh ihr, wenn sie die Holzscheiter nicht mehr drei Schuh lang will, wie es üblich gewesen, wehe ihr, wenn sie den Kaffee nicht brandschwarz röstet, wie es geschehen, seit man in diesem Hause Kaffee geröstet, ja dreimal wehe ihr, wenn sie das Sauerkraut, welches sie zu Ostern kochen will, nicht am Martistag ins Wasser legt und alle Wochen es heiß abbrüht, wie es die Ahnfrau des Hauses gemacht, dreimal wehe, wehe, wehe ihr, wenn sie meint, das Sauerkraut habe den Namen davon, daß es sauer schmecke, und müsse so gekocht werden, daß man noch etwas Saures daran merke! Wir behaupten steif und fest, diese häuslichen Ketzergerichte haben soviel Leben gekostet und zehnmal mehr Unglück angerichtet als die kirchlichen.

Als nun Lisi auf die Ankenballe kam, kam es ihm wohl, daß es schon daheim eine tüchtige Schule in der Selbstüberwindung durchgemacht. Benzens Leute waren recht gut gegen Lisi, meinten nicht, eine junge Frau und ein junger Hund seien das nämliche Tier, aber einen steifen, starren Hausglauben hatten sie, und entsetzt hätten sie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn eine Frau ins Kraut keinen Speck geschnitten und eine Kelle Mehl weniger dareingetan hätte. Es hielt Lisi hart, sich zu fügen, aber gewohnt, vieles in sich selbst zu verwerchen, versuchte es es. Es sah, daß Benz Freude daran hatte und ihm so unterderhand, als sollte es es selbst nicht merken, seine Zufriedenheit bezeugte, das half auch nach, und endlich war das ganze Haus ein christliches, an geistige Notdurft gewohnt; man betete, las in der Bibel und in schönen Büchern, hauptsächlich von Arndt, und das erhielt Lisi bei Kraft, denn die Seele hat die Nahrung immer so nötig als der Leib.

Wie in teuren Jahren, wenn der Arbeiter wegen teurem Brot und anderen teuren Sachen kaum halb genug zu essen hat, derselbe, hohläugig und blaß, die Glieder mühsam bewegt, kaum die halbe Arbeit mehr verrichtet und alle Tage weniger, bis er endlich sich selbst kaum mehr zu tragen vermag, so geht es auch den Menschen mit ihren Seelen, wenn dieselben nicht gehörig gespiesen und getränket werden mit der rechten Speise und dem rechten Tranke oder mit der wahrhaftigen Speise und dem wahrhaftigen Tranke. Mein Gott, wenn doch einmal die verwahrlosten, verserbeten, aus Mangel an Nahrung verschmachtenden Seelen unsern Sinnen wahrnehmbar würden, was würde da für ein Wehgeschrei, gegen Himmel fahrend, die Luft erfüllen! Man entsetzt sich über hohläugige, halb verhungerte Arbeiter und mit Recht, aber wenn man erst die Seelen sehen könnte, die verraxeten und verrebelten mit den toten Augen und den klappernden Gliedern, in den Krämpfen des Todes sich windend und krümmend, sich gegenseitig die Speise verderbend, vergiftend, die Marter des Todes vermehrend, Seelen aus allen Ständen, Tausende im Weh geistigen Todes sich krümmende Seelen, da würde einem das Schreien vergehen, da würde Grauen und Grausen die Brust zusammenziehen, daß wir das Würgen des Todes am eigenen Leibe fühlten.

Durch die tägliche Nahrung und das Leben nicht vom Brot alleine, sondern auch von dem Worte Gottes blieb Lisi stark im Inwendigen, blieb gesund an Leib und Seele, ward Meister seiner selbst, Meister seiner Gefühle, seiner Gedanken und daher auch seines Tuns, ward daher, ohne zu meistern, Meister aller: Wer die Welt in sich überwindet, der überwindet sie auch außer sich. Es ging nicht manches Jahr, es konnte seinen Kaffee rösten, sein Sauerkraut kochen, auf welche Manier es wollte, es war jede gut, das Ketzermachen hörte auf, man ward freisinnig, liberal!

Das war der verschiedene Bildungsgang, der die beiden Freundinnen in so verschiedene Lagen brachte. Aber nicht die Bildung meinen wir, wie sie von Eugen Sue kömmt und seinem »ewigen Juden« oder »Martin, dem Findelkind«, wie sie feiner und gröber in niederer und höherer Gesellschaft blüht, im Zeitvertreiben, Amüsieren, Elegantmachen und pomadig Schlittenlassen besteht, daher in leiblichem und geistigem Müßiggang. Lumpenbücher lesen ist keine geistige Arbeit, sowenig als tanzen und gygampfen leibliche; Müßiggang aber ist aller Laster Anfang und der geistige noch viel gefährlicher als der leibliche, und unendlich viel mehr Menschen sind geistige Müßiggänger als es leibliche Müßiggänger gibt, ein gut Teil schläft. Man glaubt es gar nicht, was am Ende das für einen Unterschied ausmacht, ob einer ein geistiger Müßiggänger gewesen oder ein geistiger Arbeiter. Man kann ihn deutlich und begreiflich sehen an Gritli und Lisi, denn da liegt Grund und Ursache, warum es Gritli so und Lisi anders ergangen. Gritli hatte alle Tage Sonntag und tändelte mit der Welt, darum ward es von der Welt überwunden, und seine Sonntage verkehrten sich in Jammertage. Lisi rang mit der Welt und hatte schwere Tage, darum überwand es die Welt, und der Rest seiner Lebenszeit ward der Anfang des ewigen Sabbats.

So kam alles, aber damals ward es Lisi nicht klar; darum schmollte es halbers mit Gott, daß er Gritli so viel genommen und ihm, Lisi, so viel zugeteilt. So hat es die wahre Demut, der Hochmut hat es umgekehrt. So brachte Lisi ein Herz voll Trauer heim und konnte nicht aufhören, zu reden von dem Elend da unten und seinem Erbarmen darüber, und durch das dunkle Gewölke fuhren Blitze, zornige Worte über die, an denen alleine es alle Schuld sah.


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