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Es ist ein großer Unterschied, ob man mit Besonnenheit Schritt vor Schritt einem bestimmten Ziele zu durch das Leben gehe, seine Tage mit Weisheit zähle, wie Salomo sagt, oder aber ob man sich willenlos treiben lasse durch äußere Anregungen und innere Gelüsten, hierherum und dortherum, jeden Morgen sturm erwache, halbsturm den Tag verbrauche, ganz sturm endlich wieder ins Nest krieche. Wer Verstand hat, begreift dieses.
Einem rechten Bauer hat Gott seine Bahn gezeigt, hat ihm das Jahr eingeteilt und macht ihm die Tagesordnung und alles nach der Uhr, welche er ihm zum Himmelsfenster hinausgehängt hat, der lieben, hellen Sonne, die eigentlich nichts anders ist als der Widerschein von Gottes Angesicht. Da geht der Bauer seinen Weg ehrbar und ehrenfest wie die Sonne, schafft jeden Tag sein Tagewerk, kürzer oder länger, drinnen oder draußen, immer nach Gottes Tagesordnung. Dabei sind seine Hände gesegnet, sein Hof bringt reiche Frucht, und seine Kinder blühen ihm munter auf, gedeihen, wie das junge Gras im kühlen Tau, in der Zucht und Vermahnung des Herren. Da wird die Arbeit und ihr Segen die wahre Lebenslust, der sichere Mut, der nie die Hand vom Pfluge zieht, wie schwer das Pflügen sein, wie lange es dauren mag, weil er weiß, daß der Herr bei den Seinen ist, sie nicht erliegen läßt, jede treue Arbeit ein gesegnetes Ende findet. Das ist das wahre Leben voller Wonne, das nie Ekel bringt, aber eine große Befriedigung, bei welchem es dem ganzen Hausstand wohl ist; die Familie wurzelt tiefer, blüht schöner alle Tage, und zwischen immer neuen Blüten reifen die Früchte süß und schön.
Ganz anders geht es, wo diese Tagesordnung verlassen wird, der Mensch für Gottes Sonnenzeiger keine Augen mehr hat, sondern drei andere Dinge im Leibe: den Appetit einer alten Kuh auf grüner Weide, die Liebe einer Katze im Februar und endlich den Dünkel, den Satan der Eva im Paradiese eingepflanzt. Dabei kommt der Mensch freilich auch an ein Ziel, aber es ist kein selbstgewähltes, dem er mit bedachten Schritten zugeht, sondern es ist ein Ziel, das er eben gar nicht will, dem er in Ängsten und Nöten sich zuwälzen muß. Die Lust zur Arbeit und die Stetigkeit an der Arbeit verschwinden, man mag nicht mehr dabeisein, entzieht sich derselben unter jedem Vorwande, nimmt etwas in die Hände, und kaum hat man es drin, wirft man es weg und läuft weiter. Da ist kein ruhig Dabeisein mehr; was gehen muß, soll im Schnapp gehen, und geht es nicht, so läßt man unter Fluchen und Schimpfen alles fahren.
Man denke sich nun einen Bauer, der am Morgen nicht aufmag, dessen Leute kaum wissen, was sie tun sollen, womit die Zeit verbringen, der endlich gegen zehn Uhr strub und mit verpichten oder verpläreten Augen herumläuft, dann in ein Wirtschaftsloch taucht, sich zu erfrischen, vielleicht zum Essen heimkömmt, vielleicht auch nicht, nachmittags entweder ein Rühiges nimmt bis auf den Abend oder aber irgendwohin abdämpft oder fährt, wo Pläsier ist, einige gute Kameraden zu finden sind oder sonst angenehme Gesellschaft, von woher man heimkömmt bald um zwölf und bald um drei. Wie es da gehen muß in einer Baurenwirtschaft, wo der Bauer sich in einem solchen faulen Leben herumwälzt wie ein Eichhorn in einer Trülle oder ein ander Tier im Kot, kann man sich vorstellen. Oder man denke sich statt des Bauren einen Handwerker im Gewerbe, so kann man sich die Klagen und das Verganten so vieler Handwerker erklären, denn wie geht's in der Werkstatt, wenn der Meister in der Wirtschaft sitzt?
Am besten scheinen solche Lebensweise Schreiber und Beamtete ertragen zu können, sich dabei am besten zu befinden, aber es ist eben nur Schein. Wenn das Wetter für sie am besten ist und für sie die Weide ohne Zaun, geht doch alle Augenblicke einer kaputt oder brennt durch mit etwelchem Defizit. Schlägt aber der Wind um, hui, wie es sie da nimmt wie Käferbrut in einer kalten Nacht oder wie sie ausreißen rudelweise über den breiten Bach oder wenigstens ins Thurgau, um bei Rettung von Klostergütern sich wieder zu erholen und den Schacher mit den Juden zu lernen! Die Einförmigkeit dieses Lebens wird zuweilen unterbrochen durch einen Schießet oder sonst ein Fest, wo man dann großartig und gleichsam berechtigt hudelt ganze Tage und ganze Nächte hintereinander, alles wegem Vaterland und der Freisinnigkeit und zu Ehren des Fortschrittes und der Aufklärung und um dem Kaiser von Rußland zu imponieren, die übrigen Potentaten aber samt und sonders, selbst mit dem Fürsten Reuß-Greiz-Lobenstein, ins Bockshorn zu jagen.
Andere machen es sich noch viel bequemer, verpachten ihre Güter, setzen sich großartig zur Ruhe, manchmal schon im zwanzigsten Jahr, so daß man von ihnen nicht bloß sagen kann, sie spinnen nicht, sie säen nicht, sondern auch sie lesen nichts, sie schreiben nichts, sie denken eigentlich auch nichts, und der himmlische Vater nähret sie doch. Und warum sollte er nicht, nährt er ja auch die Regenmoleni, die Muheime, die Werren, die Wentelen und die Zägge; ach, er ist gar so gut, der himmlische Vater! Aber gesagt hat er auch, und das sollte man nicht vergessen: »Müßiggang ist aller Laster Anfang« oder wie es eigentlich die Bibel sagt: »Müßiggang lehrt viel Böses«, und gesagt hat er auch: »Sechs Tage sollt du arbeiten, und wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen«, und beides sollte man ebenfalls nicht vergessen. Nun, die lustigen Brüder werden darüber lachen und sagen: »Verboten hin, geboten her, wir haben's, und wir brauchen's, wer will's uns wehren, he?« Nun, braucht's nur, wehren tut's euch niemand, aber was Gott gesagt hat, das hat er gesagt; wenn er in euer Essen und Trinken den Unsegen legen will, wer will es ihm wehren? Das bedenkt auch!
In diese zweite Klasse von Menschen ließen die beiden Hanse sich immer mehr hinein, anfangs der alte voran, aber bald kam ihm der junge vor, da die Jungen schnellere Beine haben, begreiflich! Indessen war zwischen dem alten Hans und zwischen dem jungen noch ein bedeutender Unterschied, den man nicht übersehen darf. Der alte Hans hatte andere Tage erlebt, er wußte eigentlich wohl, wie es gehen sollte. Es war nun einmal so, aber wie er dahin gekommen, konnte er nicht recht begreifen; es war ihm oft unwohl dabei, aber wie daraus kommen, konnte er ebensowenig begreifen, als wie er drein gekommen. Er tröstete sich mit unbestimmten Gründen, daß es wohl besser kommen werde, wenn einmal dies und wenn einmal jenes usw. usw.
Der junge Hans dagegen wußte von etwas anderm nichts, und so war es ihm in diesem Leben ganz sauwohl; er meinte, er sei auf dem allernächsten Weg zu den höchsten Ehren, dem größten Glück, z'nächst unter dem Loche, um ans Brett zu kommen. Er redete oft davon, wie es gehen müsse, wenn einmal die Rechten ans Brett kämen, wie sie es diesen, jenen machen wollten, wie dann, wenn die Jungen einmal das Heft hätten, die rechten Grundsätze erst gehörig eingeführt werden würden. Dann dachte er sich die Welt als das Schlaraffenland, wo jeder hätte, was er wollte, und durfte, was er mochte. Das nahm er als bestimmt und sicher an, kümmerte um das Wie sich durchaus nicht, ward aber wütend über jeden, der ihm widersprach. Je weniger er ihn widerlegen konnte, für um so schlechter hielt er ihn, bombardierte ihn mit den schlechtesten Namen, unter welchen Vaterlandsverräter einer der manierlichsten war, redete je nach der Zahl der Flaschen, welche er im Leibe hatte, leiser oder lauter von Hängen und Köpfen. Es war sehr kurios, er verwechselte alle Augenblicke sich und das Vaterland miteinander, jeden Widerspruch gegen sich taxierte er als Vaterlandsverrat und jeden Widerstand gegen sein Agieren als Aufruhr im Vaterland. Es sollen noch viele mit dieser Krankheit behaftet sein, ist übrigens nicht so unbequem, sie braucht keine Weisheit, sondern lediglich einen braven Vorrat von Knebel- und Knittelworten. Dieser Vorrat hatte auch das vor allen andern Vorräten voraus, daß er nicht nur nicht ausging, sondern alle Tage größer wurde. Es war sich auch nicht zu wundern, denn es waren gar zu viele, und zwar ganz Burste, beflissen, ihn im Fluß zu erhalten und durch neu ersinnete zu mehren; die sämtliche junge Garde gab sich damit ab.
Diese junge Garde, die Hoffnung des Vaterlandes, unter welcher Hans mit vielem Glanze stand, bestund meist aus Leuten, welche in Hoffnung waren, in untern Stellen auf höhere lauerten oder aus magerem Gewerbe einen Sprung tun wollten in fetten Staatsdienst oder in der Kameradschaft mit Staatsdienern einen undurchdringlichen Schild suchten, hinter welchem der größte Spitzbube sicher war, aus schlechten Leutnants, die schlechte Hauptleute, und aus schlechten Hauptleuten, welche noch schlechtere Majors und Kommandanten werden wollten; die Schreiber, Fürsprecher, Agenten, Notars-, Sekretärssubjekte, Geschäftsleute, auch Handlungsdiener, reitende und sitzende, bildeten die Hauptmasse dieser jungen Garde. In größeren Stationen hielt sie täglich dreimal Appell, vor dem Essen beim Extrait, nach dem Essen beim Kaffee, abends bei Wein oder Bier, wo zugleich auch der Staat behandelt wurde, und zwar mit einem Eifer, einem Fleiße, wie kein Stammgast einen Säufuß behandeln konnte. Auf häufigen Ausflügen wurde die Mannschaft beweglich erhalten, große Zusammenzüge fanden alle Augenblicke statt, wobei es zumeist sehr glänzend zuging: Schießeten, Vereinszusammenkünfte, Offizierbälle, Volksfeste und Volksversammlungen, Gesangfeste und Märkte, Grännete, Sackgumpeten und Theater.
Die alte Garde bestund aus den Habenden, mehr oder weniger Befriedigten, denen an der Stirne als Devise geschrieben stand: »Ein Mann wie ich!« Diese Devise wechselte etwas die Färbung vor Wahlen oder in politischen Krisen, wo man nicht bestimmt wußte, welche Wendung die Geschichte nehmen könnte; dann leuchtete sie in einer Minute oft ganz mild, in weichen Tönen, würden Kunstkenner und Kunstkennerinnen sagen, in der nächsten Minute flammte sie ganz martialisch auf, bald von einem rotborstigen, bald einem kannibalisch schwarzen Schnauz überschattet.
Zwischen beiden Garden waren immer Mittelspersonen, welche in beiden Lagern saßen und eine tägliche Verbindung unterhielten. Solche Personen sah man immer häufiger, bis endlich alte und junge Garde sich zu einem Korps verschmolzen, dessen bedeutendster Bestandteil die junge Garde war. Dieses Korps hatte nicht bloß täglich dreimal Appell, sondern Sammlung und Parade alle Tage in der Hauptstadt, teils in einer Privatkaserne, welche vom Zar dem Zimmermann den Namen trug, teils in einer Staatskaserne, auf welcher ein Staatsmichel seine gestämpflete Flagge wehen ließ.
Im Hunghafen konnte Hans der Jüngere den bezeichneten Bürgerpflichten sowenig nachkommen als Hans der Ältere; im Hunghafen saß man auch dreimal zu Tische, aber mit Krethi und Plethi und ohne Wein, ohne Karte, ohne Staatsgespräche; da war weder Kaffee noch Speisewirtschaft, geschweige dann ein »Bären« oder ein »Adler«. Man hatte es also unbequemer, anstrengender, man mußte weiter, mußte eine halbe, eine ganze, zwei Stunden weit zu Appell oder Sammlung, was aber auch seine schöne Sonnseite hatte. Erstlich konnte ihnen, wenn sie bald da-, bald dorthin gingen, niemand nachrechnen, wie oft in der Woche oder vielmehr des Tages sie im Wirtshaus waren; zweitens wurden sie nicht so einseitig, sondern wurden vielseitiger. Es bildet sich in jedem Wirtshaus ein eigener Ton aus; wer nur in ein Wirtshaus geht, wird schrecklich eintönig; wenn er ein Wort sagt, weiß man gleich, welch Wort nachkömmt; wer aber in der Woche mehrere Male Wirtshaus wechselt, bleibt vielseitiger, ja, er ist imstande, so in eintönigen Wirtschaften mit neuen Redensarten, Ansichten und nie gehörten Gedanken die Leute in ein Erstaunen zu versetzen, daß sie wochenlang das Maul nicht zubringen vor Verwunderungen und Andacht. Drittens ist man etwas weiter vom Hause viel ungestörter, besonders wenn man daheim nicht angibt, wo man zu finden sei, oder absichtlich einen falschen Ort nennt. Nun, für die beiden Hanse war dieser Grund so bedeutend nicht; keiner hatte eine Frau, welche in Ermanglung einer Polizei den Dienst selbst verrichtete und den Mann bei den Haaren zum Wirtshaus herauszutransportieren versuchte.
Dieses Leben führt man nicht umsonst, und dieses Leben ist sehr kostbar, viel kostbarer, als das althergebrachte bäurische Wirtshaussitzen war, ausgenommen großartige Verklopfete, wo zum Beispiel ein Bauer an einem Markte austrommeln ließ, wer mit ihm zu Mittag essen und sein Gast sein wolle, solle um zwölf Uhr beim »Löwen« sich einfinden usw. Die Garde, alte und junge, lebte gerne je besser, desto lieber; das herrschelige, schreiberliche Element machte das Bedürfnis nach Zapfenwein, nach Köstlichem allgemeiner, Wein von zehn bis zwanzig Batzen die Flasche floß wie Bach, ja, es waren seinerzeit Gardisten, welche bei jedem Anlaß Champagnerflaschen köpften zu Dutzenden. Jetzt zwar hat es ihnen gebessert, und sie trinken auch mindern, wenn sie ihn haben. Dazu kömmt das Spielen, welches scheinbar unschuldig getrieben wird öffentlich ums Kaffee oder um einige Flaschen. Dann aber wird es, wenn man angetrunken ist, auch anders getrieben in obern und hintern Zimmern, welche außerhalb der Grenzen allfälliger Polizei liegen. Denn nach neuer Theorie ist in einem öffentlichen Wirtshaus nur die Stube, an deren Türe das Wort Gaststube steht oder allfällig auch Tanzsaal, wenn nämlich getanzt wird, sonst nichts der Polizei zugänglich, alle andern Zimmer sind Privatzimmer, und der Wirt kann darin machen oder machen lassen, was beliebt. In diesen heiligen Hallen kennt man die Grenzen nicht; da geht es ganz nach Belieben, und die Verluste steigen in die Hunderte von Gulden, und das an ganz ordinäri Tagen, wo man an nichts gedacht als an eine gute Flasche. Und dann an den Extrafesten der großen Garde, wo der ganze Adel zusammenläuft, wo man sich sehen lassen muß, man mehrere Tage fort ist, vielleicht sogar in der Uniform! Zu diesem gibt es dann noch eine Menge Ausgaben, von denen man selten spricht, die man kaum aufschreiben wird, die aber auch ins Guttuch laufen. Wir meinen nicht solche, welche die Linke, wenn sie die Rechte gibt, nicht kennen soll, sondern ganz andere. Werke der Gemeinnützigkeit und Barmherzigkeit machten die Garde, besonders in den letzten Zeiten, nicht arm, sie hatte ihre schwache Seite an einem ganz andern Orte; Bürgschaften mochten vielleicht schmerzhafte Wunden schlagen, aber wir können sie nicht so mir nichts, dir nichts zu den gemeinnützigen Taten rechnen. Vielleicht hieß es dabei: »Hilfst du mir, so helf ich dir, schweigst du mir, so schweig ich dir.«
Zu diesen großen, fast täglich sich wiederholenden Ausgaben woher das Geld? Nun, die Rechtsgelehrten, welche an einem einzigen Sitzungstag hundert bis hundertfünfzig Gulden in die Tasche schieben, vielleicht Staatspraxis haben, welche großartig einträgt, fragen dem nichts nach, sie haben Geld genug und leben lustig, es ist immer, als wenn sie nach dem Sprüchwort leben müßten: Wie gewonnen, so zerronnen. Ähnlich haben es die Rechtsagenten, die haben Geld wie Heu, solange sie das Geld, welches sie eintreiben müssen, behalten und damit Wucher treiben dürfen auf alle Sorten, durch gute Kameradschaft gesichert, die nichts auf sie kommen läßt, die Gläubiger mit wahrer Burgerlust an der Nase herumführen, daß sie von ihrem Gelde nichts haben als einen langen Ärger und, als Düpflein aufs i, eine noch längere Kostesnote. Denen, welche Kassen unter sich haben oder deponierte Gelder hinter sich, tut es ebenfalls nichts, die haben Geld genug; kriegen sie die Taschen leer, füllen sie aus den Kassen wieder zu oder lassen sich aus andern Kassen zufüllen, und um der Sicherheit willen ist immer einer dem andern Bürg. Wenn endlich auch ein Urteil oder eine Maßregel nicht mehr vermieden werden kann, wird das Urteil oder die Maßregel nie vollzogen, man läßt sie liegen, wo sie liegt, oder macht den Betreffenden gar noch zum Massaverwalter in Geltstagen und Liquidationen, was in Beziehung auf die Erholung weit über eine Badefahrt geht. Ach, wie man da lieben, blinzen, schonen, sich erholen kann, man glaubt es gar nicht. So eine Masse hat schon manchem Verwalter besser zugeschlagen als Birenschnitze einem magern Roß. Wie sollte es da an Geld fehlen, woher sollte die Verlegenheit kommen?
Aber ganz anders ist es mit einem Baurensohn, und zwar mit einem reichen. Der Bauer hat viel zu verkaufen, zu verwerten, hat im Fall der Not Unterpfänder, der Handelsmann kann von einer Achsel auf die andere legen, mit Wechseln fechten oder in Ersparniskassen pumpen, aber der Baurensohn, was soll der machen? wir fragen. Der Sparhafen ist bald verbraucht, die paar Schafe, welche er halten darf, reichen nirgendshin, kaum, wenn es recht angeht, für einen Tag, geschweige für eine Woche, die paar Taler, welche der Vater zu geben gewohnt war, sind wie Federn, hinter welche der Wind kömmt. Hie und da hat eine blinde Mutter offene Hand fürs liebe Söhnchen, aber solche Mütter gibt es nicht allenthalben. Da bleibt dem Sohne nichts übrig, als entweder dem Vater in der allerneusten Modesprache zu sagen: »Alt, mach füre!« oder aber zu nehmen und sich anzueignen, wie es sich gibt: Eingenommenes Geld nicht abliefern, für eine verkaufte Kuh oder Roß es im Sack behalten, einziehen, wo man wußte, daß der Vater was ausstehen hatte, dem Müller einige Säcke mehr fassen, als er mahlen sollte und das Mehl abzuliefern hatte, oder sonst leihen oder stehlen.
So ungefähr war Hans z'weg, doch das hatte er best, daß sein Alter nicht streng war, es mit ihm nicht genau nahm. Der Vater hatte gewissermaßen ein bös Gewissen, er durfte dem Sohne die Schnur nicht so enge ziehen, denn seit der Verschmelzung der alten und jungen Garde wußte der Junge ungefähr auch, was der Alte brauchte, und im Fall der Not hätte der Respekt den Jungen durchaus nicht geniert, es dem Vater vorzuhalten. Zudem reute es den Vater nicht so übel. Er hielt viel auf Hans, und seltsamerweise war er immer mehr auch in dem Traume befangen, man dürfe das Geld, was man jetzt brauche, sich nicht halb so sehr reuen lassen, das komme alles sechzig- und hundertfältig wieder. Wie, das hätte er eigentlich gründlich nicht auslegen können; er meinte es halt so, er dachte vielleicht, wenn alle Schmarotzer über ihm weg seien, so möchte es ihm auch mehr ziehen, er hätte vielleicht gesagt: wenn einmal die Verfassung eine Wahrheit sei, dann käme die Zeit für den Bauer, wo er leben könne wie ehedem ein Herr. Jedoch wäre er vielleicht in Verlegenheit gekommen, wenn er hätte angeben sollen, in welchem Paragraph der Verfassung dieses liege. Kurz, er war überzeugt, was man jetzt talerweise ausgebe, könne man später korbweise wieder fassen; darum gab er anfangs Hans Geld und viel Geld ohne viel Widerrede, sagte bloß dabei: »Z'gut wollte ich es doch nicht machen, von wegen z'viel ist z'viel.«
Es steht aber selten etwas in der Welt stille, entweder geht es vorwärts oder rückwärts, namentlich solche Lebensweisen, wie sie die beiden Hanse führten. Beide brauchten unvermerkt mehr Geld; es war, als ob der Hals weiter würde und das Geld ründer, es wollte gar nicht mehr bleiben. Der Unterschied zwischen beiden war bloß der, daß dieses Schwinden und gleichsam Schmelzen des Geldes, ähnlich des Schnees Schmelzen in der Sonne, den alten Hans schmerzte gleichwie ein Fleck am Körper, wo die Haut ab ist, wenn er immer und immer wieder gerieben wird, auch immer mehr schmerzt. Wir haben bereits gesehen, wie bei Hans das vorrätige Geld geschwunden ist, er sich mit fremdem helfen mußte. Nun sollte das bezahlt werden, aber statt dessen hätte er immer mehr noch nötig gehabt. Man stelle sich einen Brunnentrog vor, in welchen reichlich Wasser fließt oben zur Röhre hinaus, aber unten ist der Stämpfel ausgezogen, da kann das Wasser sich nicht sammeln, da bleibt der Trog leer immer und immer, das ist ja jedem Kinde bekannt. Wenn nun der Brunnentrog gar zwei Löcher hat, und zwar solche, welche alle Tage größer werden, kann da wohl ein Tropfen im Troge bleiben? Das fühlte der ältere Hans, ihm wuchsen die Verlegenheiten zu und das Bangen: wo nehmen und doch machen, daß die Kirche mitten im Dorfe bleibt, – und warum hätte er es nicht fühlen sollen? Wenn eine Kuh ausgemolken ist und man strupft ihr doch immer wieder am leeren Euter, fängt die nicht an zu schlagen und zu brüllen, und ein Amtsrichter sollte es nicht fühlen, man denke!
Nun, wie oben gesagt, schlagen und brüllen tat der Amtsrichter nicht, aber er brummte und muckelte immer lauter, je häufiger Hans strupfte und je länger es sich verzog, daß man die Taler in Körben fassen konnte. Der Amtsrichter hatte bereits unterderhand einen Titel veräußert, der hatte ihm wirklich im Herzen weh getan, denn ein hausväterliches Gefühl hatte er noch, verlumpen wollte er denn doch nicht; aber die Kraft, den Wagen zu stellen, hatte er nicht, er legte die schönsten Hoffnungen unter, aber bekanntlich stellt man mit Seifenblasen keinen Wagen, der bergab geht, da muß Buchenholz oder was von Eisen herbei.
Hans der Junge hatte es dagegen ganz anders. Der hatte keinen Funken Hausväterliches im Gemüte, keine Teilnahme für des Vaters Seufzer, keine Rücksicht auf seine Wünsche, keine Gedanken ans Verlumpen, aber auch gar keine Gedanken, daß es nicht gut komme, wenn er so fortfahre, daß er nicht zu allem, was er treibe, vollständig berechtigt sei, ja vollständig berechtigt, über seinen Alten zu klagen, der anfange zu seufzen, wenn er füremache, das Geringste für ihn blechen solle. Das ist eine sehr merkwürdige Anschauung der Dinge, sie ist aber gar nicht neu, sondern viel allgemeiner, als man glaubt, sie ist nicht besondern Ständen eigen, sondern besondern Gemütern, daher man sie an der Spitze und am Schwanze der menschlichen Gesellschaft findet. Wie erbittert ist man schon oft geworden über den Bettelmann und hartnäckigen Branntweinsäufer, der hartnäckig alles die Gurgel abjagte, Weib und Kinder die bitterste Not leiden ließ, nicht nur selbst nichts tat, sondern noch für sich verbrauchte, was sie erarbeiteten und erbettelten! Eine solche Gefühllosigkeit konnte man nicht fassen; ein Unmensch, ein Utüfel sei er, lautete das allgemeine Urteil. Aber ein Graf, der mit Pracht, Spiel und Weibervolk seiner Kinder Vermögen und guten Namen durchbringt, sie zu Bettlern macht, ist der nicht noch viel ärger als der Bettelmann? Erstlich ist es einem Graf doch zuzumuten, daß er seine Pflicht besser kennen, die Folgen seines Tuns besser übersehen könne als der Bettelmann; zweitens macht er seine Kinder noch viel unglücklicher, denn, je höher der Fall, desto rauher geht es zu dabei, desto mehr Glieder gehen kaputt. Und ein König, mit Respekt zu sagen, der für nichts Sinn hat als für Wollust und etwelche Narrheiten, sein ganzes Land in Not und Armut stürzt, Leben, Eigentum, Ehre im großen unsicher macht, wie es ein Räuberhauptmann im kleinen zu machen pflegt, hat der nicht akkurat das gleiche Gemüt wie der Bettelmann, nur ist er um so strafbarer, je höher er gestellt, je mehr ihm anvertraut ist. Zwischen ihm und dem Bettelmann ist eben kein anderer Unterschied als im Maße der Strafe, welche er von Gott zu gewärtigen hat.
Was ist's nun aber, das eine, welches die äußerlich so verschieden gestellten Menschen auf die gleiche Stufe bringt, in ihren Verhältnissen zu ihren Mitmenschen innerlich so gleichmacht? Es ist die Leidenschaft, das Laster, die übermächtig gewordene Sinnlichkeit, der alte Mensch, der jede Hülle abgeworfen, alle Rücksichten überwunden hat. Es ist dieser alte Mensch, der Gott und Nächsten hasset, untüchtig ist zu allem Guten und geneigt zu allem Bösen. Das Laster, die Leidenschaft verzehrt die Liebe, trocknet das Herz aus, erzeuget den Zustand, den man Herzlosigkeit nennt, übt die gleiche Macht über alles Edle und Schöne im Menschen wie der giftige afrikanische Wind über die Pflanzenwelt. Das macht aus Kindern die Würgengel der Eltern, aus den Eltern Quälgeister, aus dem Menschen überhaupt das gefährlichste und grausamste der Tiere, den sinnlosen Götzen, der sich selbst sich selbsten, das heißt seinem Götzen opfert.
Solche Unglückliche und Unglücksmacher gab es zu jeder Zeit, aber diese Art und Weise zur Religion machen, dadurch zum Dasein sie berechtigen, sie legitim machen, das war doch der Neuzeit vorbehalten; in der Fleischreligion, im Naturdienst der jungen Judenschule, die bald von alten und jungen Sündern und abgefallenen Christen voll ward, trat sie zutage und machte sich im Staate als Radikalismus geltend. Sie war es, welche das Christentum eine Sünde gegen die Natur, Unsittlichkeit nannte, das Leben nach seiner Natur die wahre Moral und Religion. Sie war es, welche durch diese Lehre die Liebe zerstörte, die Selbstsucht auf den Thron setzte, die Familie unmöglich machte, denn diese gedeiht nicht in solch sanktionierter Herzlosigkeit. Tausende kennen diese Theorie nicht und sind doch geimpft mit ihrem Gifte und liegen krank in ihren Fiebern und geben sie mit all ihren Gebärden zutage und gehen dem großen Kulturzustande entgegen, in welchem alle Menschen gleich sind, in welchem jeder Mensch zum simplen Veh wird und frißt und liebt, was er findet, unbekümmert darum, wie es heißt und wem es ist; wenn es ihn nur gut dünket, so ist d'Sach recht. Das ist die wahre Gleichmacherei der neuen Religion in selbstsüchtiger Sinnlichkeit, die umgekehrte der christlichen Gleichheit in der Liebe. Das ist der Zustand, der uns allen bereitet wurde, während man die Absicht dazu stets und frech ableugnete, das der Zustand, den man samt den Wegen dazu predigen lassen wollte, dem gemäß man die sämtliche Erziehung der Staatsbürger einrichten wollte, das der Zustand, in welchem viel tausend sich krümmen und winden, zu welchem Tausende als eigentliche blinde Wegeführer wirken und leiten – denn die wenigsten kennen das Ziel, denn die Sehenden leugnen es ab –, das der Zustand, in welchen unser junge Hans mehr und mehr versank in dem Maße, als er ein bedeutenderes Glied seiner Genossenschaft wurde, als er öfter ein wahrer Vaterlandsfreund genannt wurde und so wuchs in der eigenen Meinung, daß er sich selbst für eine der ersten Stützen des Vaterlandes hielt.
Dieser Zustand aber erklärt vollkommen, warum Hans das Seufzen und Brummen des bedrängten Vaters nicht bloß nicht berücksichtigte, sondern sich gewaltig darüber ärgerte oder darüber spottete, je nachdem er Wein getrunken, schweren oder leichten, es als eine Beeinträchtigung wohlerworbener Rechte betrachtete und sich gar öffentlich äußerte: d'r Alt hätt aber übel grännet, der meine, selbst fressen mache fett, und alles, was er nicht selbst brauche, sei z'Unnutz verbraucht. Aber das Bettlen und Gränne erleide ihm, das werde wohl ändern, einstweilen müsse er sehen, wie er es mache.
Und wie machte es Hans der Junge? Derselbe machte es wie andere in ähnlicher Lage: er machte alles, wozu er Gelegenheit hatte. Was er daheim machen konnte, das machte er. Papa Hans war zuwenig daheim, um an eine Spycherrechnung denken zu können; dieselbe lieferte Hans viele Taler. Doch hier war ihm Benz im Wege, der aufzupassen begann und bei Gelegenheit sagte: »Ich wollte es nicht zu gut machen, es sind noch andere da, die auch was wollen.« »Mach auch, was du kannst, meinetwegen!« antwortete Hans.
»Nein, das will ich nicht«, sagte Benz, »weißt, wie es des verlumpeten Ryfershäusern Bauern Joggi erging? Dort kam immer die Nidle ab der Milch im Keller, und die Bäurin sagte oft: sie wüßte nicht, was sie geben würde, wenn sie wüßte, wer das täte, e Hung, e Katz oder gar e Mönsch. Es war Christeli, ein Sohn, welcher die Nidle zu lecken verstund, besser als ein Hund das Wasser. Einmal war er wieder getrost an seiner leckern Arbeit, als eine Stimme zum Kellerloch hineinkam und rief: ›Jetzt weiß ich's, jetzt weiß ich's, wer der Hung oder die Katze ist, wo die Nidle lappet. Wart du nur, will's der Mutter sagen, die wird lose!‹ ›Sei nicht ein Narr, Joggi!‹ rief Christeli, ›komm und nimm auch; sie ist gar Donners gut!‹ ›G'wüß, isch si?‹ antwortete Joggi, lief dem Keller zu und streckte gierig den Kopf über eine volle Milchkachel. Platsch, schlug von hinten Christen Joggis Kopf in die Milchkachel hinein bis z'Bode und rief zur Kellertüre aus, als ob er am Spieße stecken täte: ›Mutter, komm, Mutter, komm, ih ha d'r Hung, wo d'Nidle lappet!‹ Die Mutter kam, fand Joggi mit schneeweißem Kopf am Ersticken, daß er längs Stück kein Wort reden konnte. Währenddem erzählte Christeli, wie er den Joggi angetroffen und wie er ihm den Kopf besser an die Milch gebracht; denn wenn er es nicht so gemacht, so hätte er es nachher abgelaugnet – und ich hätte sollen der Lügner sein. ›Gäll, Mutter, dem habe ich es recht gemacht?‹ Die Mutter gab ihm großen Beifall, nahm Joggi bei seinem Nidlehaar, und als sie es ihm halb aus dem Kopf hatte, konnte endlich Joggi wieder reden und kam mit der Wahrheit, aber kein Mensch wollte sie ihm glauben; sein Lebtag hieß er der Nidle-Joggi. Meinst, Hans, ich solle Joggi sein und meinen Kopf auch zuecheha? D'r Christeli z'mache wärist du nit z'gut!«
Hans fluchte über diese Antwort, doch nicht recht herzhaft, er fürchtete Benz denn doch in etwas, wollte ihn nicht zum Reden und Aufbegehren zwingen; am liebsten war es ihm, begreiflich, wenn Benz d'Sach machte und doch nicht viel zur Sach sagte. Er mußte also zu was anderm seine Zuflucht nehmen. Oberkeitliche Kassen hatte er keine unter sich, indessen hatte er Gemeindeverwaltungen, zog Vogtsgelder, lebte in der glücklichen Zeit der Emanzipation der Weiber, wo so viel Geld flüssig wurde, so viel Geld den Helfershelfern in den Rachen gejagt wurde, gemacht wurde, was jeder konnte.
Bekannt und nicht genug wiederholt kann die seinerzeit im Verfassungsrat geltend gemachte Maxime beim Besagten werden: es sei niemand wegen Liederlichkeit oder torrechter, blödsinniger Handlungsweise zu bevogten, das stoße gegen die Gewerbsfreiheit. Wo einer liederlich sei, ein Spieler sei, sein Geld verschlängge, da seien auch immer welche, die mit ihm g'werben, an ihm einen Profit machen wollten; bevogte man jenen, beeinträchtige und störe man diese in ihrem Gewerbe und handle gegen die Grundsätze der wahren Freiheit. Was läßt sich nun nicht alles aus diese Maxime bauen, wieviel hinter sie verbergen, was meint man?
Wir wollen dieses unsaubere Feld einstweilen nicht ausbeuten, wollen nicht Konsequenzen ziehen von dieser Maxime auf die Handlungsweise derer, welche sich den Staat so als einen alten Hudel vorstellen, mit dem G'winn und G'werb zu treiben erlaubt ist jedem, der zur Bande gehört oder den Kniff versteht. Wir wollen bloß aufmerksam machen auf die herrliche Jagdzeit, wo viele herrenlos oder vogtlos gemachte Weiblein ins Gehege fliegen verdutzt und ratlos, ins Gehege, wo pfiffige Sperber und hungrige Käuze auf der Lauer stehen. Da ließ sich was machen, und zwar nicht bloß einfach, sondern vierfach. Erstlich konnte man da wertlosen Titeln abkommen, zweitens konnte man Geld, welches sie erhalten und zinsbar anlegen wollten, ihnen abschwatzen gegen schlechtes Papier oder für schlechte Leute; drittens endlich konnte man ihnen gute Titel abschwatzen ums halbe Geld unter dem Vorgeben, der Titel tauge nichts; wenn sie einen Kreuzer dafür erhielten, könnten sie noch die Kappe nachwerfen aus Dankbarkeit; viertens und schließlich konnte man Titel zum Einkassieren annehmen und nie einen Kreuzer davon abliefern.
Das ging auf mehrere Weise, daneben ganz einfach zu. So ein Rechtspraktikus von der neuen Schule ist eine Art von Vogel Greif; wer in einer Sekundarschule gebildet worden zu sein das Glück hat, wird ungefähr wissen, was das bedeuten soll, nämlich: wenn der Greif einmal etwas in den Klauen hat, so nehme es ihm, wer kann. Die kürzeste Manier war die, jedem, der nach seinem Gelde fragte, wüst zu sagen und, wenn er mit dem sich nicht begnügte, ihn zur Türe hinauszuwerfen. Die zweite, nicht viel längere, war die der allerlei Ausreden, die oft so lange währten, bis der Schuldner vergantet war, so daß man von der ganzen Geschichte nichts hatte als eine lange Kostesnote und Augen zum Plären. Ja, es geschah sogar, daß so manövriert wurde, daß der Gläubiger die Kosten bezahlen sollte, wo der Schuldner volle Bezahlung geleistet hatte. Oder man hatte die Papiere einem andern übergeben, hatte dem schon dreimal geschrieben, keine Antwort erhalten; endlich erschien der in öffentlichen Blättern als per-gegangen, er war zum Sündenbock für viele geworden. Oder man gab hier etwas auf Abschlag, dort ließ man sich einige Batzen abdrängen mit Not und Angst, dann gab der gnädige Herr nichts mehr, und wenn man endlich klagbar wurde, so sagte er, er stehe in Rechnung, und wenn man mit ihm rechnen wollte, so war er entweder nicht daheim, oder es schickte sich ihm sonst nicht. Und wenn man endlich ernstlich klagbar werden wollte, so war man erst verraten und verkauft, es war, als ob man den Nebel an eine Stange spießen wolle, als ob eine Krähe der andern die Augen aushacken solle, es war, wie es im Liede heißt: »Hansli soll gah Birli schüttle, d'Birli wei nit falle; da schickt d'r Bur es Hündli us, es soll d'r Hansli byße; das Hündli wott nit Hansli byße, d'r Hansli wott nit Birli schüttle, d'Birli wei nit falle. Da schickt d'r Bur es Knütteli us, es soll gah Hündli prügle! Knütteli wott nit Hündli prügle, Hündli wott nit Hansli byße, Hansli wott nit Birli schüttle, d'Birli wei nit falle.« Es schickte der arme Bauer umsonst Feuer aus, das Knütteli z'brenne, Wasser, das Füürli z'lösche, es Geißli, das Wasser z'sufen, e Metzger, das Geißli z'metzge, er mußte Birli Birli sein lassen und am Ende froh sein, wenn der Metzger ihn nicht für das Geißli ansah und ihn unters Messer nahm. Ja, wenn die Herre Fründe mit den Hudlen sind und die Regierungsstatthalter Fründe mit den Gerichtspräsidenten und die Gerichtspräsidenten Fründe von aller Welt, ja, dann ist aller Welt geholfen, einzig denen nicht, die etwas zu fordern oder etwas zu klagen haben und beides gegründet und mit Recht. Zur selben Zeit wurde viel Weibergut gemacht, kaum zu einer Zeit mehr, und zwar von vielen, welche längst Weiber hatten.
Indessen wenn wir aufrichtig sein wollen, so fiel Hans nicht viel davon ab, so gleichsam nur Brosamen von der Herren Tische. Hans hatte allerdings als Vogt und Verwalter mit diesen Dingen zu tun, aber er hatte weder Geld noch Titel, mit welchen er Gewinn und Gewerb treiben konnte, aber er hatte Freunde, welche deren hatten und den rechten Gebrauch zu machen wußten, niemand besser. Unter ihnen war namentlich einer, der kannte das Teufelswerk der Wucherei, keiner besser. Er wohnte erstlich sehr günstig auf der Grenze, wo Spitzbuben und Schelme einander gute Nacht sagen, hatte einen Freund ganz nahe. Was einem Agenten oder Notar allzu nahe an die Beine gehen konnte, das mußte der Freund machen; man denke, was das für sauberes Zeug gewesen sein mag! Dann hatte er Freunde von Station zu Station, mit denen er in Verbindung stand, nach Art aller Gauner; an der Hauptstation hatte er den Hauptgauner, einen kleinen, tüfelsüchtigen Kerl mit borstigem Schnauz, ungefähr von Farbe, wie die Ungernsäue Borsten haben, und einem verdrehten oder sonst krummen Beine, von dem die Sage ging, der Teufel habe es ihm so geworfen, als er ihm vom Karren gesprungen sei. »Jetzt lauf nur!« habe darauf der Teufel gesagt, »bist zeichnet.«
Dieser Kleine hatte nicht nur breite Flügel, unter denen seine Freunde sicher schermen konnten, sondern er hatte auch einen Schlüssel zu einer Schatzkammer, verschaffte seinen Freunden Geld, soviel sie wollten, um mit dem Landvolk wuchern zu können. Hanses Freund verstund dieses vortrefflich, daß einer die Haut über die Ohren hatte, ehe er merkte, daß das Schinden angefangen. So zum Beispiel, wenn er einen Mann betreiben sollte, füllte er erst nach und nach seine Taschen mit Stündigungsgeldern und erst, wenn er sie voll hatte und jener nichts mehr, machte er Ernst, trieb ihn zum Nest aus, und der rechtmäßige Gläubiger fand es leer wie einen Bienenkorb, in welchem die Mäuse gewesen. Kurz, das war eins der hülfreichsten und dienstbeflissensten Exemplare unter den schwarz oder rot geschnäuzten Rechtskundigen, besaß glänzende Equipage und war Hanse Busenfreund. Der half ihm beim Liquidieren, nahm die Nidle ab der Milch, machte brav Weibergut, und Hans fielen direkt nur die Brosamen zu, indirekt dagegen war er ihm von desto größerm Nutzen. Bekanntlich sollen alle Titel hinter der Vormundschaftsbehörde in einem Archive liegen, damit vorwitzige Vögte oder Verwalter nicht in Versuch kommen, dieselben zur Unzeit in Silber umzusetzen. Aber es soll manches sein und ist doch nicht; so weiß man an manchem Orte nicht, was im Archiv ist und was nicht darin ist; es werden Titel hinausgenommen, und nach vierzehn Tagen hat man es vergessen, nach einigen Monaten weiß man gar nicht, wo sie hingekommen. Ja, es soll Orte geben, wo gar keine oder sehr unvollständige Vogtsrödel existieren, so daß man nicht mehr weiß, welcher Hudel dem andern Hudel Vogt ist.
Nun, so arg war es doch zu Küchliwyl nicht. In den guten Zeiten hatten Hans und Benz auch gute Ordnung gehalten; das Schlechte, die Unordnung, die Anmaßung einiger Kapazitäten waren noch nicht so verjähret, daß man sich scheute, von weitem ihnen mit der Nase zu nahe zu kommen, sondern herumging von weitem wie um ein Aas, das seit vierzehn Tagen an der Sonne liegt. Benz scheute man immer noch, und obgleich er oft Anlaß fand, das Haupt bedenklich zu schütteln, so ging es doch noch nicht wie im Weltschen hinten oder da, wo halbe Gerichte Tag und Nacht am Schatten sitzen, der Gemeindrat wegen Kiltgeschichten und Nachtlärm vor den Richter muß, Mitglieder der Schulkommission, vielleicht auch ein Präsident derselben sich äußert, der liebe Gott sei ein Kalb.
So arg ging's in Küchliwyl nicht zu, aber ganz genau nahm man es auch nicht mehr und lernte, wie man es machen muß, wenn man ein Auge zudrücken will. Das ist eine alte Kunst zwar, aber sie wurde jetzt allgemein eingeführt und erhielt, wenn nicht gesetzliche Sanktion, so doch gesetzliches Ansehen. Personen und Korporationen wurde entweder heillos scharf auf die Finger gesehen oder heillos durch die Finger, je nachdem sie im Geruch stunden und links oder rechts waren. Ja, das Ding ging so weit, daß es allgemein hieß, wenn man vor diesem oder jenem Gericht nicht einen Fürsprecher vom rechten Geschmack hätte, so sei d'Sach verloren. Und wenn es wahr sein sollte, was einst ein schielend und grännend Richterlein in offenem Wirtshause in seiner ausgeschämten Manier gesagt haben soll, der Verurteilte hätte ganz recht gehabt, aber seines Fürsprechs wegen hätte er ihm nicht den Gefallen getan, ihm recht zu geben, so muß wirklich was an der Sache gewesen sein.
Das kam natürlich den gut schmeckenden Herren zugut und allen denen, welchen man durch die Finger sah, besonders Vögten, die nicht Rechnung zu legen brauchten, denen man nicht auf die Finger, sondern durch die Finger sah und, wenn man ihnen auch zum Schein, ihrer Fahrlässigkeit willen, Hausarrest gab, doch nicht meinte, daß er müsse gehalten werden, sondern sie am hellen Tage herumspazieren, ihre Liebsten besuchen ließ. Ist das nicht altmodische Pedanterie, zu meinen, was gesagt worden, müsse gehalten werden und Urteile, welche man gefällt, auch ausgeführt? Ist es in unserem moralischen Zeitalter nicht hinreichend, ein Urteil zu fällen, das heißt zu sagen: »Der hat das Zuchthaus verdient, der hundert von hinten, der den Galgen«? Das macht moralischen Eindruck, und das ist hinreichend im Zeitalter der Kultur. Warum, wenn das hinreichend ist, jemanden noch ins Zuchthaus tun, ihm hundert geben oder mit ihm an Galgen? Das wäre, da es am moralischen Eindruck genug ist, durchaus überflüssig und würde dem Verurteilten Unannehmlichkeiten, ja sogar Schmerz verursachen, und jemanden unnötig Schmerz verursachen ist unmenschlich, ist Grausamkeit.
Bei solchen Vorgängen ist begreiflich, daß man dato im Jahr 1851 noch nicht zu ernsten Exekutionen geschritten ist, sondern nur noch zu gelinden Verweisen vorgerückt. Sprünge tun nie gut, weder im Bauwesen noch im Finanzwesen, und wer das erfahren hat, wird auch bei Menschen sie nicht versuchen, per se. Begreiflich ist es ebenfalls, daß man bei solcher Sachlage Tausende von Urteilen unvollzogen gefunden hat.
Indessen glaube man doch ja nicht, daß diese Nachsicht, diese Vergünstigungen den Geldbeutel von Hans sättigten, seine Bedürfnisse befriedigten. Einfältige, altväterische Leute begreifen gar nicht, was ein Leben, wie Hans es führte, verbraucht; mit ein oder zwei Fünffrankenstücken per Tag kann man zur Not auskommen an ganz ordinäre Regentagen, wo man den wüstesten Hund nicht drei Schritte vom Hause wegbringt; bei schönem Wetter geht es ganz anders. In einem Jahr lassen sich fünftausend, ja zehntausend Franken verklopfen wie Schnupf; dann werden Titel von sechstausend Franken für vier- und für dreitausend Franken verkauft, als ob es spanische Fonds wären, und sind die bombenfestesten Titel der ganzen Welt, Titel auf dreifaches Unterpfand und richtig zinsenden Schuldnern. Tage, wo so recht vaterländisch z'Bode gehudelt wurde, lassen sich unter honetten Leuten gar nicht beschreiben, kaum skizzieren. Man nahm Hans gerne mit zu solchen Tagen, gab ihm aber zuerst die Weisung, dafür zu sorgen, daß er brav Kümi bei sich habe, es möge geben, was es wolle, damit man nicht mit Schanden bestehe. Das dumme Publikum hielt sich einmal schrecklich darüber auf, daß ein Erziehungsdirektor, mit Respekt zu sagen, in drei Tagen hundert und wir wissen nicht, wieviel ungerade Franken verreiselt. Mein Gott, während den drei Tagen muß es der Herr Direktor sehr moderat gemacht haben. Man denke, ein Direktor ist denn doch immer Direktor und muß sich mehr in acht nehmen als zum Beispiel der, welcher in drei Tagen 750 Franken verklopfte.