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Es fehlte Hans, aber er wußte nicht, was; er war eine unbefriedigte Größe, aber er fühlte es bloß. Zum vollen Bewußtsein war sein Unbehagen nicht durchgebrochen. Es ist gar wunderlich, wie ein solches Mißbehagen über den Menschen kömmt und wie es die Augen färbt. Nun, den einen kömmt es ganz natürlich aus dem Magen, zum Beispiel Juristen ohne Amt und ohne Klienten, Literaten ohne Talent und ohne Leser, Studenten ohne Studien, bloß mit Durst behaftet; andern kömmt es aus dem schönen Sehnen nach oben, aus dem Drang einer edlen Natur nach Fortschritt, zum Beispiel Leutnants, die Obersten werden möchten, zwanzigjährigen Jünglingen, welche, mit dem zwanzigsten Jahre Oberlehrer geworden, es nicht ihr Lebtag bleiben möchten, nach Höherm trachten, aber eigentlich nicht wissen, nach was, Beamtete, welche an sich Holz zu Regenten fühlen und der Ansicht sind, mit der Benutzung von gutem Holz dürfe man nicht warten, bis die Würmer es gefressen. Den dritten endlich kömmt es, weil sie einmal am Speck gerochen, und wer einmal dran gerochen, kann selten die Beine unter dem Tische stillehalten, bis er wirklich auch Speck gekriegt. Das Riechen währt nicht lang, befriedigt nicht, macht nur g'lustig. Man nehme ein Exempel an den Mäusen, die sonst nicht dumm sind. Wenn der gebratene Speck nicht so verdammt schön riechen täte, man könnte lange Speck in den Fallen beizen, man kriegte keine Maus hinein.
Unter die letztern gehörte Hans. Man hatte ihm lange den Großrat im Gütterli gezeigt, ihm vorgemalt, was für einer er wäre. Er hatte es am Ende geglaubt, seine Person sei so gleichsam ein heilsamer Trank oder ein wundertätig Bünteli; wenn man dasselbe als Ratsherr der Republik an Hals hänge, so könne es ihr nicht mehr fehlen, so sei alles gut. Nun aber hing er ihr eben nicht am Halse, war nicht Ratsherr: was Wunder, daß es ihm schien, es gehe alles konträr, daß er den tiefsten Schmerz in seinem Herzen fühlte über das unglückliche Vaterland, welches in so schlechten Händen war, sich krümmte in Todesnöten, mit einem gräßlichen Wehgeschrei den Himmel füllte, welches Wehgeschrei aber nur Gott vernahm und seine Heiligen, Hans zum Beispiel, was Wunder, daß es ihn täglich mehr dünkte: nein, so könne es nicht länger gehen, das müsse geändert sein, wer nicht ein Verräter am Vaterland sein wolle, müsse dran hin.
Dieser Klassifizierung fügen wir noch die Bemerkung bei, daß eine solche Stimmung auch epidemisch werden kann wie Pfnüsel, Flußfieber, Ruhr und Röteln, das heißt, daß einer von andern angesteckt wird, ohne zu wissen, wie und warum, ohne im geringsten was dran machen zu können, ohne daß ein vernünftig Bedenken, ob man wolle oder nicht wolle, vorangeht, akkurat wie es bei der Cholera der Fall ist; die frägt auch nicht lange: darf ich oder darf ich nicht, willst oder willst nicht?
Mit diesem Krankheitsstoffe behaftet, trappete Hans einmal an einen Markt, welcher am Sitze des Amtsgerichtes abgehalten wurde. Hans hatte das unangenehme Gefühl dessen, der bei kälter werdender Witterung in Sommerkleidern steckt. Nun hatte Hans freilich währschafts, warmes G'schütz am Leibe, aber er fühlte eine Dünne im Geldsäckel, und die erzeugt bei dem, welcher nicht dran gewohnt ist, die nämliche Empfindung wie Sommerkleider im Winter. Hans fing so allgemach an, sich in Haus und Spycher nach verkäuflichen Dingen umzusehen, und solcher birgt ein Haus an einem rechten alten Bauernorte unglaublich viel. Man liebt die Vorräte von allen Arten aus ebendem Grunde wie die Oberländer alte Schinken und hundertjährigen Käs, aus ebendem Grunde wie adelige Häuser Stammbäume, Beweistümer des alten Bestandes einer Familie. Man spotte hierüber, wie arg man mag, und nenne es ein durch den Zeitgeist überwundenes Vorurteil: wenn eine Familie gern alt ist und ihren alten Bestand nachzuweisen sucht, es ist ein Gefühl, welches tief in der Natur liegt, welches kein Zeitgeist überwindet. »Es sind ja alle Familien gleich alt«, pflegt man zu spotten, »oder bist du älter als von Adam her, so sag's!« Das ist ein dummer Witz; so genommen, sind wir alle gleich alt und stammen alle aus einem Blute, aber wir haben nicht bloß ein leibliches Dasein wie jedes andere Tier, wir haben auch ein geschichtliches Dasein (historische Existenz). Dieses ist das Vorrecht der Menschen so gut als Ehe und Erbrecht.
In das geschichtliche Dasein trittet eine Familie oder kommt zum historischen Bewußtsein ihrer Existenz durch festes Besitztum oder eine bedeutende Persönlichkeit. Durch diese beiden Faktoren hauptsächlich werden Namen gemacht, die Familie erhält Bedeutung in ihren und anderer Augen, man spricht von ihr, man erzählt von ihrem Werden, ihrem Sein, sie erhält eine Vergangenheit; wer eine Vergangenheit hat, darf auf eine Zukunft hoffen. Das Tier kennt das eine nicht, hofft auf das andere nicht. Um der Zukunft willen soll der Mensch die Vergangenheit hochhalten, sie soll ihm heiligen die Gegenwart. Tut sie das nicht, konserviert und kultiviert er die Tugenden nicht, welche der Familie ihr Dasein gegeben, so untergräbt er die Zukunft, es konserviert sich die Familie nicht, sie fault in den Wurzeln ab, der Wind verweht ihren Staub. Es ist sonderbar: eine Masse, welche keinen Namen hat, kein historisches Dasein, tobt nicht bloß gegen solche Namen, sondern verhöhnt und verspottet auch die Tugenden, durch welche sie erworben werden, und kömmt einer aus dieser Masse zu der Hoffnung, eine Familie zu gründen, den Fuß irgendwie in den Bügel zu setzen, so ist er, durch die Natur gezwungen, umgewandelt, und sein eifrigstes Bemühen geht auf die Erhaltung dessen, was er früher aufs leidenschaftlichste verfolgt. Der wütendste Saulus wird zu einem Paulus. Nun freilich fehlt ihnen dann nur zu oft der Verstand, in der Wahl der Mittel haben sie keine Erfahrung, daher auch keine Weisheit und werden um so größere Toren; je mehr der sogenannte Zufall bei ihrer Erhebung beteiligt war, um so kürzer wird dann gewöhnlich aber auch die Herrlichkeit.
Hans hatte viel zu verkaufen. Indessen hatte ihm bei gemachter Inspektion doch geschienen, es sollte noch mehr sich vorfinden von verschiedenen Dingen. »Muß den Buben sagen«, dachte Hans, »daß sie mir besser aufpassen; das macht der Karrer, der hat einen hoffärtigen Schatz, und wenn das ist, ist beim Hagel nichts mehr sicher, und wär's hinter sieben Schlössern.« Der gute Hans dachte nicht daran, daß er den Bock zum Gärtner mache. Seine Buben verklopften ihm so viel Geld, daß er keinen Gedanken daran hatte, daß sie noch andere Erwerbsquellen haben könnten als des Vaters Hosensack und andere erlaubte Erwerbszweige wie zum Beispiel Schaf- und Taubenhandel usw. Auf dem Wege dachte er, wo er die und jene Händler antreffen könne und ihnen so gelegentlich stecken, sie fänden bei ihm ihre gesuchten Artikel käuflich, und zugleich dachte er sich in einen rechten Ingrimm hinein über die schlechten Zeiten, wo er nicht mehr Geld habe wie sonst. Ehemals hätte er sich zehnmal besonnen, ehe er einem Händler einmal Bescheid gegeben, jetzt müsse er ihnen selbst Bescheid machen. Das habe man von einer schlechten Regierung, welche nichts für den Handel tue, sich um den Bauersmann nichts kümmere, nichts tue und nichts im Kopfe habe als die verfluchte Politik, wovon der Landmann nichts hätte als ein ewig Gestürm und eine Tagsatzung auf die andere. So könne das aber sy Seel nicht ewig gehen, es werde bald Zeit sein, daß man der Mähre zum Auge sehe.
Auf einem Marktwege geht aber selten einer lange alleine, und da ist's, als ob der Teufel auch jedem seine Gedanken kenne und, wo er irgend in einer Ecke ein klein Fünklein sehe, er einen schicke, es anzublasen. Es ist eine kuriöse Sache mit dem Teufel, und falsch ist er wie Galgenholz. Die, welche am wenigsten von ihm wissen wollen, müssen ihm am eifrigsten dienen, und gerade denen ist er auch am aufsätzigsten und ringgelt sie am meisten. »Willst z'Märit, Hans?« frug eine Stimme. »Mit Schein du auch, Peter«, antwortete Hans, »wirst auf gut Schick auswollen?« »Hätte bald was gesagt«, entgegnete Peter, ein kleiner, gedrungener Mann mit ganzen Zentnern Verachtung gegen die ganze Welt im Gesichte. »Hätte gute Schicke nötig, so wie es geht. Gestern war mir der Almosner vor dem Hause, wollte eine doppelte Armentelle, jetzt muß ich zum Amtsschaffner mit Bodenzinsen, und dann erst noch Weihnacht und die Dienstenlöhne.« »Nun, Peter«, sagte Hans, »dir macht es nichts, und wenn's noch einmal so streng käme, du weißt ja, wo nehmen. Laß die klagen, wo geben sollen und nichts haben und in Ungelegenheit kommen, wenn sie nicht Bescheid und Antwort geben können!« »Das wird dich denke wenig angehen, Hans«, sagte Peter, »und bist mit Schein nicht klaghaft. Aber hab's nicht für ungut, Hans, ich weiß, du hast es mit dieser Regierung und bist bei den Herren wohl an und wirst wissen, warum. Aber unsereinem hat sich bitter zu erklagen, so kann's beim Schieß in die Länge nicht gehen, das ganze Land ist am Aufgeisten. Denk, Hans, was man uns verheißen von Erleichterungen, und jetzt was? Alle Tage die Hand im Sack. Wenn es an die Türe klopft, so ist's beim Schieß entweder ein Bettler oder ein Einzieher.« »So geht es«, sagte Hans, »was abgeschafft worden, vergißt man, und wenn man etwas erleichtert, so will man am Ende gar nichts mehr zahlen. Hast vergessen, daß man die Straßen den Gemeinden abgenommen, die Salzsteuer einen Kreuzer heruntergesetzt, in den Schreibereien alles niedriger gestellt, mit Zehnten und Bodenzinsen die Sache weit erleichtert und kurz, noch vieles, Peter; du hast es nur vergessen.«
So sprach Hans, der meinte, als Amtsrichter hätte er eine Art von Pflicht, der Regierung z'Best z'rede. Aber mit den Zehnten und Bodenzinsen kam Hans übel an. Peter war darauf gut eingeschult und wußte viel zu sagen von der Ungerechtigkeit dieser Abgabe und wie man die Last jetzt den Herren auflegen sollte, der Bauer hätte sie lange genug getragen.
Wer weiß, ob Hans immer so zurückhaltend geblieben, wenn nicht andere Leute dazugekommen und am Ende sogar ein Landjäger, der ihm sagte, der Regierer möchte gerne ein Wort mit ihm reden; sobald er hineinkomme, solle er zu ihm gehen. Diese Botschaft schmeichelte Hans nicht wenig, doch zeigte er es nicht. So geh es ihm, sagte er, er sei nie sein selbst. Wenn er einen Tritt versetze in eigenen Geschäften, so nehme man ihn z'weg für das oder für jenes. Er werde zuletzt noch ein Futteral machen lassen müssen und darin herumgehen, wo niemand sehe, wer darin sei.
Hans vergaß Schnitz- und Garnhändler und stellte alsbald beim Regierer sich ein. »Das ist brav«, sprach der, »Herr Amtsrichter, daß Ihr kömmt; mit Euch habe ich ein Wort zu reden, aber ein wichtiges. Ihr wißt, wie oft wir schon zusammen gesagt, unsere Herren fuhrwercheten nicht gut, und bessere es nicht, so müsse dem Faß der Boden aus. Statt zu bessern, geht es immer ärger; es ist keine Freisinnigkeit mehr, die Herren haben keinen Sinn mehr für das Volk, sondern nur für die grünen Sessel; sie würden das Land Pfaffen und Fürsten verschachern, wenn es genug gölte, und während den Völkern die Augen aufgehen, möchten sie hier die Lichter löschen. Man muß da sehen, was zu machen sei, ehe es zu spät ist; man muß anfangen, miteinander zu reden. Ich und einige Freunde kommen heute bei der ›Hintern Tugend‹ zusammen, es ist dort ziemlich einsam. Ich dachte an die ›Krone‹, aber es ist dort nicht recht kauscher. Bringt auch ein paar Freunde mit, aber vertraute Männer, welche das Maul halten können. Geredet soll dann schon werden zu seiner Zeit, jetzt aber ist schweigen besser.«
Hans kam es ganz merkwürdig vor, wie das alles wie an einer Schnur zusammentreffen müßte: seine Gedanken und Peters Gedanken und des Regierers Gedanken. »Ja so«, dachte er, »so steht's bös, das ganze Volk ist unzufrieden, so weit man hören mag, es ist aber auch kein Wunder. Es hassen mich alle Leute, aber ich tue darnach, sagt ja der Urispiegel.« Es brannte Hans ordentlich in Kopf und Beinen, es war ihm, als müßte er immer springen, um nicht zu spät zu kommen zur Anrichti. Schnitz-, Garn- und andere Händler kamen ihm als ganz unbedeutende Personen vor. Das Vaterland und die neue Anrichti waren ihm jetzt alles in allem. Er stürzte sich ins Marktgetümmel, um die Rechten, denen er den Weg zur ›Hintern Tugend‹ zeigen wollte, herauszufischen, wie eine Köchin im Fischtroge herumfährt und auf die Fische mit weißen Nasen fahndet. Hans war nicht unglücklich, er fing einige taugliche Exemplare auf, weihte sie in das Geheimnis ein und wies ihnen den Weg zur ›Hintern Tugend‹.
Der Regierer hatte große Vorliebe für diesen Gasthof; er lag in einem hintern Gäßchen, hatte eine hintere und eine vordere Türe und wurde von einer Witfrau gehalten, welche oft den festen Vorsatz äußerte, hintenher, das heißt, wenn sie nicht mehr jung sei, recht fromm und tugendhaft zu werden. Einstweilen war sie noch nicht im Alter dazu, sie war noch nicht einmal vierzig Jahre alt, wacker, rüstig, ja gegen einzelne Gäste von rührender Holdseligkeit. Sie war eine famose Köchin, wenn sie wollte. Ihren Wein wollten viele nicht rühmen, doch hatte sie ganz vortrefflichen für die, denen sie gut war. Der Regierer sagte oft, er hätte nirgends Wein mit einem so delikaten Bouquet gefunden als bei der ›Hintern Tugend‹. Wunderliche Leute, besonders solche, denen ihre Weiber auflauern ließen, wenn sie auf den Markt gingen, mieden die ›Hintere Tugend‹ sehr, besonders bei Tage und um die vordere Türe herum.
Diesmal wollen wir den Markt sein lassen, auch an kein Ordinäri sitzen – das kostet zehn Batzen samt einer Flasche Wein, das ist zuviel Geld in dieser teuren Zeit – wollen nicht einmal irgendwo ein Schnefeli Fleisch, einen Teller voll Sauerkraut oder Rübli samt einem Schoppen Wein uns zu Gemüte führen, das macht zwar nur sechs Batzen aus, aber immer noch viel Geld für zähes Fleisch beim »Bären«, siebenjähriges Sauerkraut beim »Ochsen«, gräueligen Wein beim »Löwen« und der vergränneten Frau Wirtin bei der »Wildsau«. Wir begeben uns geradenwegs zur »Hintern Tugend«, dort ist es lebendig: die Geigen gehen mörderlich, es ist nicht weit über Mittag, und schon sind sie ganz heiser. Junges Volk strömt ab und zu, Juden treiben allerlei Vieh, blindes und lahmes, hin und her, Hausierer mit Schwamm, Bändern, Nastüchern, besonders kommod für Mädchen, welche zum Tanze gehn und noch keine haben, stehen darum, brüllen die Leute an oder fassen sie gar mit fünf Fingern fest, als wären sie die Abkömmlinge jener Zöllner, welche auch niemand passieren ließen, es sei denn, er habe den Zoll zwei- und dreifach bezahlt.
Zwischen diesem allem, Veh und Menschen, strichen einzelne Männer herum, die taten, als wüßten sie nicht recht, wo sie seien, oder als wüßten sie nicht, wohin sie wollten, während andere um eine Ecke schossen wie eine Schnepfe um die Waldecke. Wer nicht wußte, daß man um die Ecke herum zur hintern Türe kam, konnte nicht begreifen, was sie da so Pressierliches hatten. Noch andere stunden vereinzelt in der Ferne, und erst wann sie Verstärkung erhielten, noch ein anderer kam, den sie kannten und dem sie trauten, wagten sie sich zu zweien heran und rückten dann zur vordern Türe ein. Es waltete offenbar eine gewisse Ängstlichkeit vor, man schien lieber nicht gesehen zu sein, ob wegen der ›Hintern Tugend‹ oder wegen der Versammlung, blieb zweifelhaft. Viele meinten zwar: ho, da werde doch nicht viel Gefährliches sein, wenn der Regierer selbst dabeisei, während andere nicht zu glauben schienen, daß dessen Person der Sache viel Zuverlässigkeit gebe; es waren halt die Ängstlichen. Wo die Angst im Leibe steckt, da ist auch Gefahr allenthalben.
Die einen vermeiden, sich in der Gaststube sehn zu lassen, stolpern so leise und ungesehen als möglich bis hinauf unters Dach, während andere die Unbefangenen machen, am unverdächtigsten zu sein glauben, wenn sie in die Gaststube hinter einen halben Schoppen sich setzen und von dort aus spähen nach dem Orte und dem Anfange der Versammlung. Die geübten Augen erkannten gleich die Personen heraus, welche weder wegem Schoppen noch wegen der ›Hintern Tugend‹ da waren. Diese setzten sich wohl in die Nähe oder zusammen, aber redeten kein Wort vom Zwecke ihres Daseins oder von der Sache selbst, sondern vom Markte, ob die Pferde gegangen, die Kühe gezogen, es mit den Schweinen hinauf- oder hinuntergemacht.
Schon war es drei Uhr vorbei, und die Männer saßen da so ruhig, als wenn sie weiter nichts was anginge; da trat einen Augenblick der Regierer unter die offene Türe, nahm darunter eine Prise Tabak, drehte sich, als es ihm niemand brachte, um und ging. Bald darauf stund einer auf, bald ein anderer und gingen ihm nach die Treppen auf fast bis unters Dach. Dort mochten in einem ziemlich großen Zimmer ungefähr zwei Dutzend Männer sein, zumeist Bauern, und zwar allem Ansehen nach reiche, dann auch einige Rechtspraktikanten und Handelsleute, Käsehändler und Band- oder Strumpffabrikanten wahrscheinlich.
»Du«, sagte einer zum andern, »ist der Präsident nicht dabei?« »Weiß es nicht«, lautete die Antwort, »aber ich denke, er weiß nichts darum. Er und der Regierer hassen einander seit einigen Wochen grausam und tun einander zuleid, was sie können; man sagt, der Regierer habe den Präsidenten wollen verhexen lassen und der Präsident den Regierer bei den Kapuzinern zu Tod beten.« »Warum das?« fragte der erste. »Weiß es nicht«, antwortete der andere, »die einen sagen, es habe jeder der Hübschere sein wollen, während andere glauben, es sei wegem Zwängen angegangen, weil jeder die größere Meisterkatze sein wollte; die dritten endlich meinen, es sei einer dem andern übers Mätteli gegangen und habe ihm seine Birli g'schüttelt.« »Donners Narr«, antwortete der andere, »wirst sagen wollen, der Wüstere? Auf d'Hübschi wird sich doch, so Gott will, keiner viel einbilden.« »Wohl wäger«, antwortete der erste, »wenn an einem Orte die Schönsten gezeichnet würden, was gilt's, die wären am ersten auf dem Platz!«
Der Regierer redete mit diesem, mit jenem. Endlich, als er glaubte, die Versammlung sei vollständig, und Sicherheit erhalten hatte, daß nichts Verdächtiges da sei, stellte er sich oben im Zimmer z'weg; die Hände in beiden Rocktaschen und der Rede sehr gut mächtig, zergliederte er die Gebrechen des gegenwärtigen Zustandes, seiner Verhältnisse nach außen und nach innen und machte die Regierung zum Packesel, welchem er alle Schuld auflud, zum Sündenbock der Juden, dem sie am großen Versöhnungstage die Sünden des ganzen Volkes aufpackten und ihn so in die Wüste jagten, daß er nirgends mehr gesehen wurde. Er schilderte ihre Personen und ihre Unfähigkeit und Untätigkeit, zählte alle Gesetze auf, welche noch im Rückstand seien, machte auf die herrschaftlichen Gefälle, Zehnten und Bodenzinse aufmerksam, welche wie Schröpfhörner auf dem Volke säßen, machte besonders auf die vollen Kasten aufmerksam, wo der Schweiß des Volkes nutzlos modere, auf die im Ausland angelegten Gelder, ein Raub am Volke. Es sei eine Regierung eine verräterische, wenn sie ihr Geld im Ausland anlege, während sie es im Lande sollte in Kurs setzen. Wäre dieses Geld da, könnten alle Sümpfe ausgetrocknet, alle Berge abgetragen und die Kapitalien zu zwei Prozent ausgeliehen werden. Er machte aufmerksam auf die Gemeindelasten und nannte die Pflicht der Armenunterstützung ein aristokratisch Bubenstück. Die Armen seien des Staates, der Staat solle sie erhalten und nicht die Gemeinden. Das sei ein heillos Unrecht, daß arme Gemeinden tellen müßten, während reiche Gemeinden, zum Beispiel die Städte, nichts tellen müßten, sondern große Armengüter hätten, und diese Armengüter seien nichts als dem Lande abgestohlene Gelder; woher sie dieselben sonst haben wollten? Einmal nicht von den Engeländern und Franzosen, also gehörten sie auch wieder dem Lande. Von der großen Schelmerei, wie man der Stadt Bern Millionen in die Hände gespielt und das Volk darum betrogen, wolle er ein andermal gründlicher reden. Er wies auf die Verdummung des Volkes hin durch die Pfaffen und eine ungeheure Vernachlässigung des Volksschulwesens, eine unverzeihliche Hintansetzung des Lehrstandes, eine Bevorzugung der unnützen Pfaffen, von denen man eigentlich sowenig als von den Kröten begriffe, warum Gott sie geschaffen. Zum Schlusse machte er aufmerksam auf die auswärtige Politik. Wie da die Regierung eine Scheißerei nach der andern mache, wie sie die freisinnigen Brüder in andern Kantonen morden und unterdrücken lasse, wie man den Jesuiten Vorschub leiste, sie nächstens in den Kanton selbst einführen werde. Er möchte doch einmal wissen, wo die vierzigtausend Bajonette seien, mit denen man so groß gesprochen. Schuhwichser und Speichellecker von Guizot und Metternich seien sie, tanzten, wie die pfiffen, und merkten nicht, wie der Morgenstern der Freiheit über den Völkern aufgehe, die Herzen der Völker einander entgegenschlügen und die bemoosten Bursche, die Fürsten, bald ihr Ade singen würden. Das alles merkten sie nicht, begriffen die Stellung der Schweiz, der Mutter der Freiheit, nicht und wie sie Gotte sein müßte der Völkerfreiheit, wenn sie getauft werde in Jesuiten- und Aristokratenblut.
So sprach der Regierer. Als er den Brei recht eingerührt glaubte und alle voll Schauder und Grauen sah, frug er: »Oder ist's nicht so, ihr werten Freunde und Bürger? Und wenn es so ist, was jetzt machen? Oder wollt ihr es so gehen lassen, bis der Wagen ganz im Dreck ist, daß ihn niemand mehr hinausziehen mag?«
Da blieb es lange still, denn bei solchen ersten Zusammenkünften, wo man noch nicht recht weiß, was der Handel für einen Ausgang hat, nimmt niemand gerne das erste Wort, lieber das letzte. »Redet, ihr Manne!« sagte der Regierer, »habe ich recht, oder habe ich nicht recht?« Da gab es ein stark Gemunkel: »Wohl, er hat recht, der Regierer hat recht, ja, präzis so ist's, und wenn nur das Halbe wahr wäre, wär's mehr als genug; ja, man wüßte noch viel zu sagen, wenn man es dartun könnte; d's Halb z'wenig sei gesagt, ehe d's Halb z'viel.«
Da stund endlich einer wirklich und ganz auf, es war unser Hans. Ja, sagte er, er habe auch schon lange Gedanken gehabt, »unsereinem hat auch seine Gedanken so gut als andere, wenn man schon nicht allemal davon redet.« Als er heute morgen z'Märit gegangen, habe er diesen Gedanken nachgedacht, da sei einer zu ihm gekommen und habe ihm präzis gesagt, was er gedacht, und als er zum Ort gekommen, habe er Bescheid bekommen, er soll zum Herrn Regierer, und als er zu diesem gekommen, habe ihm der auch präzis gesagt, was er auch in Gedanken gehabt. Wenn das nichts zu bedeuten hätte, wüßte er dann nicht mehr, was noch etwas zu bedeuten hätte. Und heute auf dem Märit hin und wieder habe er das gleiche gehört, das Volk wolle endlich, daß die Verfassung eine Wahrheit werde. Warum sind noch Zehnten und Bodenzinse, warum muß man die Armen erhalten, warum löst der Bauer nichts aus seinem Gewächs, und was er kaufen muß, kostet, daß es keine Art hat? Und mit den Isiliten hulf er auch fort und rechte Lehrer anstellen, wo aufgeklärt seien, und der Staat solle sie zahlen. So könn es nicht mehr gehen, man sei ganz unterdrückt. Groß Löhn könnten sie nehmen und täten nichts davor, und wo an einem Ort ein Löhl sei, da müßte der an die Regierung. Es gehe darum auch darnach. Darum sei seine Meinung die, daß man es anders machen solle und d'Sach zur Hand nehmen, und abe mit ne! Minger Löhn nit bloß der Regierig, sondern auch Knechten und Mägden, oder dann ganz vergebe uf Staatskösten!
Da stund ein anderer auf und sagte: Gerade das sei auch seine Meinung, »abe mit ne!« Aber die Finger möchte er dabei nicht verbrennen, selb wäre ihm nicht anständig, von wegen er möchte sie noch brauchen. Aber der Herr Regierer werde das am besten angeben können, wie man es machen müsse, daß es niemanden was tue und doch alle den Nutzen davon hätten.
»D'Sach ist nicht schwer«, sagte der Regierer, »nur muß man nicht damit anfangen, zu sagen: ›Abe mit ne!‹ Man muß vorsichtig sein, dann geht die Sache schon. Man muß es nur machen, wie man es macht, wenn man Asche oder Kohlen lebendig machen will, man muß brav blasen, blasen von allen Seiten, erst hübscheli, dann nach und nach, was man in den Hals bringt, dann geht es. Die Hauptsache ist die, daß man dagegen nicht viel machen kann. Wir können reden und schreiben, was wir wollen, wir sind frei, der Regierung dagegen sind die Hände gebunden. Sie darf nicht strafen, sie darf weder Reden noch Schriften verfolgen; man hat es ihr eingebleuet, daß eine freisinnige Regierung dieses nie tun dürfe, ja, und wenn man putschen wollte, was aber nicht geschehen soll, so darf sie nur passiven Widerstand entgegensetzen, aufs Volk darf eine freisinnige Regierung nicht schießen. Zudem ist dafür gesorgt, daß wir alles vernehmen, nicht bloß was sie wirklich beschließt, sondern was sie im Schilde führt und beschließen möchte. Sie kann keine Prise Tabak nehmen, ohne daß wir es wissen. Dagegen ist dafür gesorgt, daß sie nicht weiß, was wir wollen, und daß, was sie vernimmt, ihr zu nichts dient, als ihr angst zu machen und sie zu verwirren. Es soll ihr gehen wie dem König Pharao, der im Roten Meer ersoffen sein soll – ob's wahr ist, weiß ich nicht, war gottlob nicht dabei –, daß, was sie heute beschließt, sie morgen zurücknimmt. Bringt man es einmal dahin, so ist die Sache gewonnen.
Ja, ihr werten Freunde, es ist gesorget für d'Sach, es sind Vorarbeiten gemacht, welche den Erfolg garantieren. Die Freisinnigen in allen Kantonen stehen zusammen in Verbindung, unterstützen einander, handeln gemeinsam. Ein Zopfregiment nach dem andern muß fallen, dann kommt die rechte Freiheit ohne Pfaffentum und bigotte Sitten und pietistisches Gelärme. Ja, und nicht bloß auf die Schweiz beschränkt sich der Bund der Freisinnigen, sondern über ganz Europa. Da geht alles wie an einem Schnürchen, es ist alles wie ein Leib und eine Seele. Die Völker sind satt, Schmarotzer zu mästen und selbst zu darben, sie wollen mal für sich sorgen, sie sind zum Verstand gekommen und begreifen endlich den Spruch: ›Selber essen macht fett.‹ Es muß anders werden in ganz Europa, und dazu muß ein Bruder dem andern helfen, dazu ist man gegenseitig solidarisch verpflichtet. Erst wenn über ganz Europa die Sonne der Freiheit aufgegangen ist, ist die Freiheit der einzelnen gesichert. Und darum muß unsere Regierung, die dreißiger, abe, abe, weil sie das nicht will, weil sie sich stettig macht auf halbem Wege wie ein Esel und keinen Schritt mehr weiterwill.
Ja, werte Freunde, wir stehen am Vorabend großer Tage, in wenig Jahren weht nur noch eine Fahne auf Erden, es ist die Fahne der Freiheit. Also mithelfen zur großen Tat wollt ihr, das ist schön, jetzt nur recht blasen und klagt dem Teufel die Eisen ab! In einem Monat oder zweien wollen wir uns wiederum treffen und hören, wie die Sachen stehn und ob's Zeit sei, Volksversammlungen zu halten, oder noch zugewartet werden müsse. Unterdessen wird es mich immer freuen, den einen oder den andern bei mir zu sehen und zu hören, wie die Sachen stehn und wie das Volk es aufnimmt. Und noch eins: Dem Präsident, dem trauet nicht! Erstlich ist er es Babi, nun, das wäre eigentlich schon genug, und fürs andere ist er mit Leuten in Verbindung, welche nichts taugen, so fern als möglich gehalten werden müssen, das sind ungesunde Leute für die rechte Freiheit. Nun danke ich euch allen herzlich für das Zutrauen, welches ihr mir erwiesen, daß ihr hierhergekommen seid, ich werde es mir angelegen sein lassen, es ferner zu verdienen. Wo das Vaterland noch solche Männer hat und in solcher Zahl, da ist's noch nicht verloren. Da kann man mit Freuden Hand anlegen, es auf den Standpunkt zu erheben, der zeitgemäß ist und wo ihm alleine das wahre Glück und die rechte Freiheit blüht. Nun spare euch Gott gesund, und kommt glücklich heim! Doch trinkt zuerst noch einen guten Schoppen, ich denke, ihr werdet alle durstig geworden sein!«
Somit war die erste geheime Sitzung aufgehoben, der Regierer ward wieder den andern Menschen gleich, trat unter sie, klopfte freundlich auf die Achsel, reckte die Hand, offerierte eine Prise, fragte, ob er es recht gemacht, bemerkte, wieviel er hätte sagen können und nicht gesagt. Während er so plauderte und seiner Selbstzufriedenheit Luft ließ, schoben sich viele, so rasch sie konnten, weg und zur Hintertüre hinaus. Die einen waren wirklich pressiert, die gewöhnliche Stunde ihrer Abreise war längst vorüber, sie wußten, daß das Kapitel, welches ihrer daheim wartete, mit jeder Minute länger und schärfer würde. Andere dachten, gut sei es, wenn es gehe; flecke es aber, wollten sie lieber die Suppe nicht ausessen, die Finger zu tief in den Teig wollten sie nicht stecken, und einstweilen sei es besser, es wüßte niemand, daß sie bei der »Hintern Tugend« gewesen, und wenn man länger gewartet, so wüßte man nicht, ob man nicht gar noch etwas hätte unterschreiben müssen. Selb wäre ihnen doch dann nicht anständig gewesen. Noch andern wirbelten die Aussichten auf die wahre Freiheit, Abschaffung der Armen, der Zehnten und Bodenzinse usw. gar gewaltig im Kopf herum. Die mochten nicht warten, bis sie zu einem Stück Kreide oder einem Bleistift und einem ruhigen Augenblick kamen, um zusammenzurechnen, wieviel ihnen dies im Jahr bringe. Unterdessen rechneten sie im Kopf so eifrig als möglich, was aber an einem Markttage eine ziemlich schwere Arbeit ist; denn je eifriger sie rechneten, desto mehr schossen sie an oder stolperten, was allemal einen Strich durch die Rechnung machte, daß sie von vornen anfangen mußten. Einer sagte: am besten habe ihm doch Hunghans gefallen, der meine es am besten. Nichts wäre billiger, als daß der Staat die Dienstenlöhne zahle. Alsbald wollte er zwei Knechte und eine Magd mehr halten. Er dächte, ein billig Kostgeld würde er wohl auch zahlen. Erst dann wollte er recht anfangen zu bauren, und wem nütze das mehr als dem Lande?
Als der Regierer sich umsah, war er ganz verwundert, wie schnell die schweren Manne verschwinden konnten, und hatte es fast ungern. Er hatte darauf gerechnet, noch einen guten Schoppen mit ihnen zu trinken und ihnen dabei in traulichem Gespräche das rechte Verständnis zu geben, was sich in einer Rede nicht wohl tun ließ. Nicht minder tief empfand dieses Verschwinden die Wirtin zur »Hintern Tugend« selbst, sie hatte ganz anders gerechnet. Mit Schrecken hatte sie wahrgenommen, wie viele den Finkenstrich nahmen, und kam nun in eigener Person, dem Desertieren zu wehren. Es war eine stattliche Frau, groß, üppig, rasch und kühn, sie wußte, was sie wollte, und verstund ihren Willen geltend zu machen. Doch konnte sie auch ganz sanftmütig reden und liebliche Mieneli machen, dem Teufel eben, obgleich dieselben vor achtzehn Jahren ihr besser angestanden haben mochten. Sie frug: warum jetzt die Manne fortgingen? Sie hätte eine hintere Stube geheizt, wo sie ruhig sein könnten, und hätte darauf gerechnet, ihnen was auf einem Teller zuzugeben, zarte Gänse und ein gut Salätli dazu. Sie würden doch nicht wollen, daß sie dieselben umsonst gebraten. Wenn sie gedurft, sie wäre schon früher gekommen und hätte den mehrer Teil nicht fortlaufen lassen. Da war nichts anders zu machen für die, welche noch da waren, als der Einladung der Wirtin und des Regierers, der sich derselben annahm, zu gehorchen, in die hintere Stube zu gehen und sich die Gänse bringen zu lassen.
Dem Mahl wollen wir nicht beiwohnen, wollen weder die Gänse beschreiben noch die Reden des Regierers wiederholen, obgleich dieselben sehr kurzweilig waren, denn von der höhern Politik kam er auf die niedere, das heißt, er gab die Lebensgeschichten der hochgestellten Häupter zum besten und teilweise auch die ihrer Frauen. Es waren wirklich sehr belehrende und aufmunternde Gespräche für ehrliche Landleute, sie lernten daraus, was man alles treiben und sich erlauben dürfe, wenn man einmal an der Regierung sei, und wäre ein Logiker unter ihnen gewesen, was wir nicht wissen, hätte er Schlüsse machen können, wie zum Beispiel, was einem erlaubt sei, sei allen erlaubt, und wenn einmal die rechte Freiheit komme, könne im ganzen Lande jeder ebenfalls treiben, was ihn gelüste. Ja, er gab zuletzt eine weitläufige Theorie über die sichersten Kennzeichen, an denen man die besten Huren erkenne, zum besten. Nun, es ging allweg lustig zu, und sehr spät war's, als man endlich selig aufbrach, doch noch nicht Mitternacht wie manch andermal.
Es war eine helle Sternennacht und Hans ganz selig im Gemüte. Er dachte dem heutigen Tage nach und zählte ihn unter die glücklichsten, welche er noch gehabt. Nicht deswegen, weil er schon Großes erfischet hatte an diesem Tage, sondern weil ihm dieser Tag der Schoß schien, der ihm Großes gebären werde. Er war ja der Vertraute des Regierers und der Regierer in Zukunft der erste im Staate, er war jetzt der, der alle Fäden in seiner Hand hatte und mit ganz Europa in Verbindung stund. Er, Hans, mußte der erste nach ihm werden, so gleichsam Pharaos Joseph. Und hatte er nicht geredet, daß Salomo neben ihm nur noch ein Ampelistock war! Seine Grit ließ er dann im Hunghafen krebsen, er lebte flott in der Hauptstadt, war ein großer, berühmter Mann und lebte ungefähr, wie er eben gehört hatte, daß man lebe. In diesem hohen Schwunge seiner Gedanken vergaß er ganz den Vorteil, welcher ihm zuwuchs, wenn Zehnten und Bodenzinse mit nassem Finger durchgetan und die Armen dem Staate aufgesalzen wurden. Seine Freude trug sich auf seinen Hans über: der müßte auch was Großes werden, Hauptmann, dann Oberst, das gebe Donners e Brave, dachte er. Wenn die Fuchsstute ein Hengstfüllen kriege, so wolle er das auferziehen, das müsse dann Hans reiten, wenn er Oberst sei. Das werde es Donners schöns Luege sy, wenn Hans auf dem Fuchs mit einem Dreiröhre ufem Gring mit dem Bataillon hingerdry u d'r Musik vora beim Hunghafe vorbeiziehe u nit nebe ume luegi, so stadisch u prüßisch. Der müsse ihm e Donners e Rychi ha, wo er dann so recht zeigen könne, wer er sei. So eine zu bekommen, mache ihm keinen Kummer, da liefen ihm die Reichsten selbst nach, und welche ihn bekomme, werde die Finger schlecke bis an Ellbogen. Wenn der einmal nach Basel käme auf dem Fuchs, d'r Dreiröhre ufem Gring, d's Bataillon hingerdry u d'Musik vora, er wär imstand, er brächt ihm eine heim mit einem Dutzend oder mehr Millionen. So eine begehre er nicht einmal, so eine müßte man das ganze Jahr in Baumwolle haben und in einem Druckli, und nehme man sie einmal hervor, habe sie den Pfnüsel drei Vierteljahre lang. Lieber e Mindere, dachte er, so mit einer oder seinethalb zwei Millionen, aber dann eine währschafte, wo nicht abenanderefahre, wenn man z'Not an sie käme. Sie hielten Hans zwar immer vor, er hocke wie e Schneider ufem Roß, aber wenn er einmal einen Dreiröhre ufem Gring heig, werd dä ne scho strecke.
So träumte Hans ganz selig, und wenn er schon über Wurzeln stolperte oder Bäumen zu nahe kam, störte ihn dies durchaus nicht in seiner Seligkeit. Er sagte bloß: »Uha!« oder: »Hest g'meint, es sött mih gä!« So rückte er vor, kam dem Hunghafen immer näher, kriegte ihn endlich zu Gesichte. »Einen Batzen gäbte ich«, sagte er, »es wäre zwischen dort und hier noch ein Wirtshäusli. Die Donners Narre, wo immer schreien, es seien zuviel Pinten – d's Halb z'wenig sind, laufe jetzt eine Stunde und kam zu keiner! Meine Alte darf ich nicht wecken, sonst muckelt und gruchset sie noch sieben Tage und sieben Nächte hintereinander in einem fort. Im Gänterli ist kein Kirschenwasser mehr, trank gestern es aus, und sie wird sich nicht versündigt und die Flasche gefüllt haben. Kann jetzt das Maul an die Brunnröhre hängen wie eine alte Bettlerin, wenn sie einem den Verstand machen will, daß man ihr Milch anbiete. Bin verflucht durstig, bin lange nicht so durstig gewesen. Sie haben in der ›Hintern Tugend‹ verdammt räße Sachen mit Schein. Aber was Teufels ist das?« sagte er plötzlich, »da geht Licht ums Haus, was soll das um diese Zeit? Brennen tut es doch nicht, sehe weder Rauch noch Feuer. Sind es Diebe? Werden doch kein Licht anzünden. Ruft nicht jemand? 's ist grad, als ob meine Alte Laut gebe. Was Teufels treibt die um Mitternacht ums Haus herum? Die liegt sonst gut, wenn sie liegt, es ist ihr nicht bald ums Aufstehen. Sie ruft immer noch; was Hagels hat die? Soll man ihr die Flöh aus den Federn schütteln? Ich glaube gar, sie springt dem Lichte nach. Das habe ich seit bald zwanzig Jahren noch nicht erlebt, und gegen den Stall zu. Es muß doch was los sein! Wenn du es noch kannst, kann ich's auch«, sagte Hans, dem es nachgerade angst wurde, und so rasch er konnte, setzte sich der Amtsrichter in Sprung. Und obschon es nicht mehr ging wie vor zwanzig Jahren, als er noch Feuerläufer war, so war doch die kurze Strecke bis zu seinem Hause schnell zurückgelegt.
Im Roßstall fand er seine Frau und eine Magd mit einer Laterne. »Ach Gott«, jammerte Gritli, »so geht's, wenn niemand daheim, alles ums H... und Saufen aus ist und kein Löhl dran denkt, was begegnen könne und wer helfen solle, wenn niemand daheim ist!« »Was ist, was gibt es da?« frug Hans rauh. Die Weibsbilder fuhren zusammen, als sei der Böse ihnen erschienen. Hans bedurfte übrigens keiner Antwort, vor ihm lag der schöne Fuchs im Verenden, und mit dem Füllen, auf dem er seinen Hans als Obersten gesehen, war es auch aus. Gritli hatte Lärm im Stall gehört, erst gedacht, es werde schon jemand nachsehen. Als das Ding nicht gutete, rief es endlich die Magd, sie solle den Knechten oder den Buben rufen, aber weder Buben noch Knechte waren da. Die einen waren vom Markte noch nicht heim, die andern in ein benachbartes Wirtshaus, wo getanzt wurde, gegangen. Da der Meister nicht daheim war, nahm jedes sich das Recht, ebenfalls zu sein, wo 's ihm wohlgefiel. Man war gewohnt, daß dessen sich niemand achtete, hatte es schon oft so getrieben, und es war nichts Nachteiliges daraus erfolgt. Die Magd sah in den Stall und brachte Bericht, sie dürfe nicht hinein, entweder sei es ung'hürig darin, oder es sei was mit dem Fuchs, der tue ganz absonderlich. Da stund die Bäurin selbst auf, schickte die eine Magd nach einem Nachbarhause, welches aber ferne lag, und ging mit der andern Magd in den Stall. Sie durften aber nichts daran machen, der Fuchs lag am Boden, schlug um sich, alle Rosse waren wie ertaubet.
Hans konnte bloß mit Lebensgefahr die Kette lösen, da röchelte der Fuchs noch einige Male, zuckte und war tot; dreißig Louisd'or waren wieder hin. Nun begehrte Hans schrecklich auf, erst mit den Anwesenden; den Abwesenden konnte er natürlich nichts sagen. Die, welche da waren, vermochten sich des Schadens ja nichts, sie waren ja, wo sie hingehörten, daheim, und die Rosse gingen sie nichts an, und doch warf Hans vorerst auf sie alle Schuld. Wenn sie zu rechter Zeit gehört, zu rechter Zeit gegangen, zu rechter Zeit gesprungen, zu rechter Zeit die Kette gelöst, zu rechter Zeit ihm von vorrätigen Hausmitteln gegeben, kurz, wenn sie an alles gedacht und alles gemacht, wozu vier starke Männer nötig gewesen wären, so war es möglich, daß der Fuchs nicht draufgegangen. Dann wollte er die Knechte fortjagen und die Buben prügeln. Wer weiß, was es gegeben, wenn sie alsbald heimgekommen wären, aber das taten sie nicht; Hans mochte sie nicht erwarten, mußte zu Bette, ehe er die einen fortgejagt, die andern geprügelt.
Am folgenden Morgen fiel dann freilich manch hartes Wort, aber was sagte ihm endlich Hans, der künftige Kommandant, obgleich der Dreiröhrehut ihn noch nicht gestreckt, als er in der Mitte des Vormittags angetrunken heimkam? Er sagte, er hätte des Brülls bald genug. Ehemals sei es der Brauch gewesen, daß an einem Markte die Alten zu rechter Zeit heimgegangen, die Jungen dagegen, wenn es sich ihnen geschickt hätte. Hätte der Vater nun getan, wie üblich und bräuchlich und einem Ältern wohl anstehe, so wäre d'Sach nicht begegnet. Er hätte daher des Aufbegehrens satt. Er solle die bei der Nase nehmen, die es verdient. So sprach der junge Hans, und was sagte darauf der alte Hans? Er fluchte über die Regierung. Seit man die D... Sch... im Lande habe, sei nirgends keine Ordnung mehr, und wenn man schon Ordnung halten wolle im Hause, so könne man lang, so ästimier eim ke Hung meh, v'rschwyge es King. Und wenn man schon noch wollte, so verteufle man sie einem in der Garnison und mache sie so g'stabelig, daß man sie ung'froren an einem Bein gerade hinaushalten könnte. Es sei Zeit, daß man mit der D... More ausfahre. Drum abe mit ne, abe!
So endete also der Tag, dessen Anfang so viel Glück verheißen hatte, wie Hanse meinte. So ist's schon manchem Hans gegangen und auch noch andern Menschenkindern.