Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Epilog.

Man hat öfter beobachtet, daß Menschen von ehrgeizigem Charakter, wenn ihr Ende herannaht, mit verdoppeltem Eifer diejenigen Ziele zu erringen trachten, auf welche sie das ganze Leben hindurch ihr Augenmerk gerichtet hatten. In ähnlicher Weise geschah es mit Cäsar Borgia in bezug auf den Papst Alexander VI., denn diese beiden Menschen konnten fast für eine Persönlichkeit gelten, und mit unstillbarer Hast suchte Cäsar durch seinen Vater in dessen letzten Lebensjahren möglichst viel zu erreichen, um seine Absicht, zum Könige von Mittelitalien erhoben zu werden, noch völlig in das Werk zu setzen. Die Geschichte weiß von einer großen Anzahl öffentlicher und geheimer Mordthaten, welche an größeren und kleineren Parteiführern begangen wurden, um dem Herzog von Valentinois nach und nach sämtliche festen Schlösser und Fürstentümer der Romagna in die Hände zu spielen. Es kam dabei nicht darauf an, ob man frühere Anhänglichkeit mit dem schwärzesten Undank lohnte, Familienglück zerstörte und dem Lande das Beispiel grauenhafter Verwilderung bot, wenn Cäsar nur Schritt für Schritt auf dem eingeschlagenen Wege vorwärts kam.

Der plötzliche Tod Alexanders VI. vereitelte jedoch alle diese Bemühungen. Der Papst starb entweder am Fieber, welches, bevor man den Gebrauch der Chinarinde kannte, in Rom häufig tödlich verlief, oder durch das Verbrechen seines eignen Sohnes. Man glaubte nämlich allgemein, er habe bei einem Gastmahle von dem vergifteten Weine getrunken, den sein schrecklicher Sohn für einen mißliebigen Kardinal hatte mischen lassen. In so verworrener Zeit läßt sich über derartige Vorgänge schwer Gewißheit erlangen, und es wäre immerhin möglich, daß die vergifteten Flaschen durch die Diener absichtlich verwechselt wurden. Anstatt des betreffenden Kardinals tranken Alexander und sein Sohn das Gift, und ersterer starb eines raschen Todes, während Cäsar schwer erkrankte.

Cäsar Borgia erzählte später gelegentlich dem Niccolo Macchiavelli, der sich im Auftrage der Republik Florenz in Rom aufhielt, er sei auf alles, was sich im Augenblicke des Todes seines Vaters ereignen könne, vorbereitet und gerüstet gewesen, aber niemals habe er daran gedacht, daß er selbst gerade in diesem Augenblicke tödlich krank sein könne. Er hatte darauf gerechnet, die 309 Wahl des neuen Papstes werde zum großen Teil von ihm abhängen, denn die Kardinäle, welche sein Vater ernannt und namentlich die vielen Spanier, welche er in das heilige Kollegium gebracht hatte, hoffte er nach seinem Willen zu lenken. Während seines Einflusses hatte er die gesamte römische Aristokratie derart in den Hintergrund gedrängt, daß er sie nicht mehr fürchten zu müssen glaubte. Alle Festungen in Rom und der Umgebung waren durch seine Soldaten besetzt, und die Armee, mit welcher er gegen die Orsini gefochten hatte, lagerte um die Mauern der Hauptstadt. Auf der andern Seite war er im Augenblicke mit den Höfen von Frankreich und Spanien etwas zerfallen und konnte auf keinen davon mit Sicherheit zählen. Aber so schlimm seine Lage war, verlor er doch das Selbstvertrauen nicht. Und während das Volk mit unbeschreiblichem Jubel nach der Peterskirche eilte, um die Leiche Alexanders VI. zu sehen und den öffentlichen Abscheu gegen den Verstorbenen zu erkennen zu geben, blieb Cäsar Borgia im Vatikan. Er verhandelte sofort mit den Colonna, gab ihnen einige Städte und Festungen zurück, die der Papst ihnen geraubt hatte, und versicherte sich um diesen Preis ihrer Neutralität. Aber er hatte nicht Truppen genug, um seinen Gegnern den Einzug in Rom zu verbieten und zugleich das Volk niederzuhalten, welches ihn verabscheute. Die Colonna waren zurückgekehrt, und die Orsini hatten nicht nur Besitz von dem römischen Palaste der Familie genommen, sondern auch die Häuser und Läden der spanischen Höflinge und Kaufleute der Plünderung preisgegeben, als Rache dafür, daß Alexander und Cäsar Borgia die Familie bekämpft hatten. Da die Soldaten des Herzogs von Valentinois fast alle in der Umgegend des Vatikans lagen, versammelten sich die Kardinäle in der Kirche Santa Maria sopra Minerva, um dort das Begräbnis des Papstes und dann die Wahl seines Nachfolgers vorzubereiten.

Was dem Herzog zu statten kam, war der Umstand, daß die kleinen Fürstentümer, die er an sich gerissen hatte, nur ungern wieder in den Besitz ihrer früheren Beherrscher, zu deren Zeit es in ihren Schlössern auf Kosten der Unterthanen hoch hergegangen war, zurückkehren wollten. Er mußte sich nun entscheiden, ob er sich mit Frankreich oder Spanien, die wegen Neapel in Feindschaft waren, verbinden wolle, und da er die französische Armee näher wußte, wählte er das Klügere und schloß sich dem Könige von Frankreich wieder enger an. Er ließ den Kardinal Georg d'Amboise, der in aller Eile nach Rom kam und nicht nur die dringenden Empfehlungen seines Souveräns, sondern auch große Reichtümer mitbrachte, in dem festen Glauben, daß ihm der päpstliche Stuhl gesichert sei, ja er schloß mit Ludwig XII. einen förmlichen Kontrakt, in welchem er allen seinen Einfluß für die Wahl des Kardinals d'Amboise versprach.

Aber die Kardinäle fürchteten den Einfluß des maßlos ehrgeizigen Cäsar Borgia und sie beeilten sich daher mit der Wahl des neuen Papstes. Noch bevor Cäsar wieder völlig genesen war, hatte das Konklave bereits den Kardinal Franz Piccolomini gewählt, einen Mann von so hohem Alter und schwacher 310 Gesundheit, so daß seine Wahl eigentlich nichts weiter bedeutete als Zeitgewinn, um Maßregeln zu treffen, welche den Einfluß der Borgia vernichten konnten.

Unter dem Namen Pius III. bestieg Piccolomini den päpstlichen Stuhl, und von diesem Augenblicke an änderten sich wieder alle politischen Verhältnisse. Die Franzosen hatten das Interesse für den Herzog von Valentinois verloren und verwendeten alle Aufmerksamkeit auf Neapel.

Die Orsini würden sich Frankreich angeschlossen haben, wenn der Kardinal d'Amboise sie nicht durch seine Freundschaft zu Cäsar Borgia beleidigt hätte, während die Colonna sich dem Könige von Spanien zur Verfügung stellten. Zuletzt mischte sich Venedig ein, und es geschah das Unglaubliche, daß die Orsini und Colonna sich aussöhnten und gemeinschaftlich zu Spanien hielten, um den allgemein verabscheuten Herzog von Valentinois mit aller Kraft zu bekämpfen.

Pius III. täuschte die Erwartung der Kardinäle nicht, denn er starb schon nach zwei Monaten, man vermutete an Gift, weil ein so rasches Ableben doch nicht vorhergesehen war.

Inzwischen hatten die Kardinäle ihre Maßregeln getroffen, und diejenigen, welche mit dem nun in Aussicht genommenen Papste nicht übereinstimmten, entschlossen sich zuletzt, ihre Zustimmung möglichst hoch zu verkaufen. Der Kardinal d'Amboise, welcher einsehen mußte, daß er selbst die Tiara nicht erlangen werde, lenkte die Stimmen, über welche er verfügte, auf denjenigen Kardinal, der sich am lebhaftesten für die Interessen Frankreichs ausgesprochen hatte; dieses war der Kardinal Julius de la Rovere, der Neffe Sixtus' IV.

Um sich an Alexander, der sein persönlicher Feind war, zu rächen, hatte Julius die französischen Armeen unter Karl VIII. nach Italien gelockt, und nachdem Alexander ihn aus Rom verbannt hatte, lebte er fast immer am französischen Hofe. Er besaß unermeßliche Reichtümer und große Einkünfte, über welche er zu gunsten seiner Parteigänger verfügen konnte. Außerdem besaß er das allgemeine Vertrauen. Er verdankte dasselbe seltsamerweise seinem Feinde Alexander, welcher wiederholt ausgesprochen hatte, der Kardinal de la Rovere besitze bei unzähligen Lastern nur eine Tugend und diese sei die Zuverlässigkeit.

Aber der Kardinal d'Amboise hatte nicht vorhergesehen, daß Julius ganz der Mann dazu war, um alle Umstände zu seinem Vorteile zu benutzen und am Ziele nur so zu handeln, wie er selbst es für gut fand. Zwei Tage vor der Wahl schloß Julius mit Cäsar Borgia einen Vertrag, in welchem die früher geplante Verlobung seines Neffen mit der Tochter des Herzogs von Valentinois ausgesprochen wurde. So kam es, daß am Tage, als das Konklave zusammentrat, sofort alle Stimmen dem Kardinal Rovere zufielen, so daß die Kardinäle nicht einmal nötig hatten, sich einzuschließen. Der erwählte Papst nahm den Namen Julius II. an.

Papst Julius II. Nach Raffael.

Dieser gewaltige Mensch, dem es nur im Verkehr mit bedeutenden Geistern wohl war, brachte für Rom eine große Epoche künstlerischen Schaffens, und 311 die Namen Michelangelo und Raffael Sanzio sind für immer mit dem seinigen verbunden. Die Kunstgeschichte weiht ihm ein besonders dankbares Andenken, und die großartigen Werke, die unter seiner Regierung geschaffen wurden, überdauern alle Zeiten. Dagegen ist der Name der Borgia so sehr mit Schmach bedeckt, daß selbst die guten Seiten des Papstes Alexander ausgelöscht sind, gleich den lügenhaften Prahlereien, die schon kurz nach seinem Tode an den Wänden der Borgia-Stanzen auf Befehl Julius II. übermalt wurden und an deren Stelle später die unsterblichen Meisterwerke Raffaels das Auge des Beschauers entzücken sollten.

Unter dem Pontifikate Alexanders hatte sich bereits jene große Bauthätigkeit, welche unter Julius II. die reichsten Früchte trug, geregt. Der berühmte Bramante von Urbino begann seine Wirksamkeit bereits zu Borgias Lebzeiten, und Bauwerke, wie der Palast Riario, der später den Namen »Cancelleria« erhielt, zeigten schon damals den reinsten Charakter der Renaissance. Interessant ist auch der Umstand, daß zu den Verzierungen der neuen Kirche Santa Maria maggiore das erste aus Amerika gesandte Gold verwendet wurde. Columbus ehrte die Kirche hoch, in seinem Testamente vermachte er der Republik Genua, seiner geliebten Heimat, ein Gebetbuch, welches ihm Papst Alexander einst geschenkt, und welches ihm in Kerker, Kampf und Widerwärtigkeiten zum höchsten Troste gereicht hatte.

Was Cäsar Borgia immer gefürchtet hatte, daß sein Ansehen nach dem Tode des Papstes Alexander zu Grunde gerichtet sei, erfüllte sich im vollen Maße. Anfangs versuchte Julius II. ihn zu seinen Zwecken zu gebrauchen, 312 aber es kamen Betrügereien zu Tage, und Cäsar ward eines Tages in demselben Turme der Borgia eingesperrt, in welchem er so viele Unschuldige hatte martern und umbringen lassen; doch entließ man ihn bald wieder aus dieser Haft. Er geriet dann in mancherlei Abenteuer, tauchte bald in Italien, bald in Spanien als Condottiere auf und begleitete als solcher endlich seinen Schwager, den König von Navarra, auf einem Kriegszuge, wo er sein Leben verlor.

Wie bereits früher erwähnt, lebte Lucrezia Borgia zu Ferrara als Gattin des Herzogs und Mutter zweier Kinder. Nebenbei wurde sie auch als Beschützerin der Künste und Wissenschaften geschätzt und geachtet, und es war ihr jedenfalls sehr erwünscht, wenn man nach und nach ihre Herkunft ganz in Vergessenheit geraten ließ. Ihre Stellung als die Gemahlin eines souveränen Fürsten schützte sie vor persönlichen Beleidigungen, aber schon zu ihren Lebzeiten verwechselte man den Makel, der auf ihrer Geburt lag, mit dem Urteil über ihren Charakter. Ihre Kinder machten ihr keine Unehre, und es ist merkwürdig genug, daß eine Frau, welche in der Geschichte der Reformation als Freundin Calvins bekannt ist, die Prinzessin Renata von Frankreich, Tochter Ludwigs XII., sich mit einem Enkel des berüchtigten Papstes Alexander, dem Sohne des Herzogs Alphons und der Lucrezia Borgia vermählte.

Da man in Rom daraus bedacht war, das Andenken an den Papst Alexander möglichst in den Hintergrund treten zu lassen, verstand es sich von selbst, daß die Frauen, welche ihm im Leben nahe gestanden hatten, nur in größter Zurückgezogenheit leben konnten und in strengster Frömmigkeit die Erinnerung an vergangene Zeiten zu begraben suchten. Weder von Madonna Adriana noch von der schönen Julia Farnese erfuhr die Welt wieder etwas, und es war nur durch ganz besondere Umstände zu erklären, daß im Frühlinge des Jahres 1510 bei dem Leichenbegängnisse der Frau Vanozza de Catanei noch einmal die ganze fluchbeladene Periode, welche mit dem Ableben des Papstes Alexander ihr Ende erreicht hatte, gleichsam aus der Vergessenheit hervortrat.

Von all den Personen, welche jenem Papste nahe gestanden hatten, war Vanozza die einzige, welche zuweilen mit Besonnenheit die Vorgänge betrachtete und mit klarem Blicke die Folgen erwog. Da jedoch ihr persönlicher Einfluß gerade in dem Augenblicke, als der Kardinal Borgia den päpstlichen Stuhl bestieg, geschmälert wurde und sie die Herrschaft andern weiblichen Händen überlassen mußte, dachte sie mit verständigem Sinne daran, wenigstens ihre eigne Zukunft zu sichern, und sie brachte es durch kluge Benutzung der Umstände zu beträchtlichem Reichtum. Sie war nun seit längerer Zeit Witwe und lebte gleichfalls in vorsichtiger Zurückgezogenheit, aber sie verwendete einen Teil ihrer Besitztümer zu frommen Stiftungen, die unter dem Schutze der Geistlichkeit standen, und sie bewirkte dadurch, daß ihr Name unter den größten Wohlthätern der Stadt genannt wurde, was ihr zuletzt eine Art Nimbus verlieh und das Gedächtnis früherer Zeiten in bezug auf ihre Persönlichkeit auslöschte.

313 Als sie ihr Ende herannahen fühlte, ließ sie sich mit den Sterbesakramenten versehen und bestimmte in ihrem Testamente noch einige so großartige Schenkungen an verschiedene Klöster der Stadt, daß die oberste Kirchenbehörde sich genötigt sah, ihr Andenken in besonders feierlicher Weise zu ehren. Die Kirche Santa Maria del popolo war diejenige gewesen, welche dem Patronate des Kardinals Rodrigo Borgia einst unterstellt war und die er auch während seines Pontifikates bei allen Gelegenheiten bevorzugte. Vanozza hatte stets den Wunsch, in dieser Kirche beigesetzt zu werden, und im Hinblick auf ihre großartige Mildthätigkeit war es nicht anders möglich, als daß dieser ihr letzter Wunsch bewilligt wurde. Überdies blieb sie immerhin die Mutter der Herzogin von Ferrara, und es mußten ihr schon aus diesem Grunde besondere Ehren erzeigt werden, da jedenfalls vorauszusehen war, daß die herzogliche Familie sich durch eine besondere Gesandtschaft bei der Beerdigung vertreten lassen werde. Es fanden mancherlei Beratungen statt, und endlich wurde der Beschluß gefaßt, Frau Vanozza de Catanei als eine Wohlthäterin und Freundin der Kirche nach ihrem Tode öffentlich durch ein pomphaftes Leichenbegängnis zu ehren. Ihrem Wunsche entsprechend sollte sie in der Kirche San Maria del popolo beigesetzt und ihr daselbst ein entsprechendes Denkmal gesetzt werden. Daß zu diesem Entschlusse der Einfluß von Ferrara aus mitgewirkt hatte, war zweifellos.

In demselben Jahre starb auch eine andre berühmte Frau, und am Morgen des 12. Juli bewegte sich zu Venedig ein großartiger Leichenzug über eine zu diesem Zwecke besonders errichtete Brücke nach der Apostelkirche, wo das Erbbegräbnis der Familie Cornaro sich befand. In dem mit Goldstoffen überdeckten Sarge ruhten die Überreste der einst so gefeierten Königin Katharina, welche ihre letzten Lebensjahre zu Asolo verlebt hatte, woselbst sie, wie bereits früher erwähnt, einen kleinen Musenhof unterhielt, der in seinen Bestrebungen an Lorenzo von Medici und Ludwig Moro erinnerte. So suchte die schöne Frau sich über die Leere ihres Herzens und den Gram über ihr verlorenes Liebesglück hinwegzutäuschen. Ein poetisches Werk ihres Geheimschreibers Bembo ist bis auf unsre Zeit gekommen. Dasselbe ist »Asolari« betitelt und besteht aus Dialogen über die Natur der Liebe. Es entspinnen sich diese Dialoge bei einer Reihe von Festlichkeiten, die Katharina bei Verheiratung eines ihrer Hoffräulein veranstaltet, wobei drei eingeladene Kavaliere, denen die Namen Perottino, Gismondo und Lavinello beigelegt werden, in den Anlagen des Parks mit drei Edelfrauen: Berenice, Lisa und Sabinetta, sich zusammenfinden.

Am ersten Tage spricht Perottino, ein unglücklich Liebender, über die Übel, die die Liebe verursacht, und geht unter Thränen ab. Am zweiten bekämpft der glücklich liebende Gismondo seines Vorgängers Klage und feiert die Liebe als das Süßeste und Erquickendste. Am dritten endlich soll Lavinello in Gegenwart Katharinas, die von diesen Dialogen vernommen, die Argumente seiner Vorgänger prüfen und ein Urteil darüber abgeben. Statt dessen erzählt 314 er nun eine Geschichte, wie er kurz vorher in dem hinter dem Schlosse aufsteigenden Waldgebirge einen Einsiedler gefunden, den er um Rat gebeten, da derselbe bereits durch einen Traum Kenntnis von diesen Dialogen erlangt hat. Die Meinung des Einsiedlers ist, daß die irdische Liebe eine unwahre sei, die wahre dagegen sei die himmlische, an der man sich ewig erfreuen könne.

Die Dialoge, die uns die Szenerie in reichen Farben schildern, beruhen vielfach auf mythologischen Bildern und klassischer Belesenheit. Sie sind mit Sonetten und Kanzonen durchflochten und waren im 16. Jahrhundert sehr beliebt. Auch die bildende Kunst stellte zuweilen den Gegensatz zwischen der himmlischen und irdischen Liebe dar. Eines der berühmtesten Bilder des venezianischen Meisters Tizian, welches zuletzt in den Borghesischen Palast zu Rom gelangt ist, zeigt zwei Frauengestalten, in welchen sich die himmlische und irdische Liebe verkörpern, und es geht die Sage, daß der Kopf der unbekleideten idealen Frauenerscheinung die Züge der schönen Katharina Cornaro trägt.

Das nach Schauspielen aller Art begierige römische Volk strömte an dem Tage des Begräbnisses der Frau Vanozza de Catanei, der Mutter Cäsars Borgia und der Herzogin von Ferrara, Lucrezia Borgia, in ganzen Scharen zu dem Leichenbegängnisse, welches durch singende Mönche und eine große Anzahl von Priestern und Bischöfen in ihrem Ornate eröffnet und wieder durch andre Mönche mit brennenden Wachskerzen beschlossen wurde. Die Kirche war überfüllt, und es konnte als ein besonderer Vorzug betrachtet werden, wenn man darin einen geeigneten Platz fand, um die merkwürdige Feierlichkeit recht deutlich beobachten zu können.

Dieses Vorzugs erfreute sich auch ein gelehrter deutscher Augustinermönch, der durch ein Zusammentreffen von Zufälligkeiten aus seinem Kloster zu Wittenberg nach Rom gekommen war, um in einer geschäftlichen Streitfrage die Entscheidung des höchsten kirchlichen Kollegiums einzuholen. Der junge Mann war von dem Prior seines eignen Klosters zu dieser Mission ausersehen worden, weil er nicht nur von vielen Insassen des Klosters die meisten Sprachkenntnisse besaß, sondern auch bei allen Gelegenheiten eine eiserne Energie und zähe Ausdauer bewiesen hatte. Seinem strebsamen Geiste und seinem Durste nach Erkenntnis kam diese Sendung sehr zu statten. Überall, wo er sich unterwegs aufhalten durfte, hatte er die Gelegenheit ergriffen, sich nicht nur über die Natur der äußeren Erscheinungen, sondern auch über den Geist der geschichtlichen Ereignisse zu unterrichten. In Florenz hatte er nicht versäumt, die berühmte Bibliothek des Klosters San Marco zu besichtigen, und bei dieser Gelegenheit wurde ihm auch die Zelle des unglücklichen Priors Girolamo Savonarola gezeigt, in welcher man mancherlei Andenken an diesen Mann aufbewahrte. Wohl kannte der junge deutsche Mönch die Geschichte des abtrünnigen Klosterbruders, aber bei dem Mangel an gewissenhaften und vorurteilsfreien Nachrichten ging ihm doch erst hier an der Stätte seines Wirkens 315 und Leidens ein Licht über dessen eigentliches Wollen auf. Die Mönche zeigten ihm den persischen Rosenstrauch, unter welchem Savonarola seine Anhänger um sich zu versammeln pflegte. Wie oft, dachte er bei sich, wird die Verheißung vom Reiche Gottes auf Erden noch von Weisen wie von Thoren mißverstanden werden!

Mit sichtlicher Aufmerksamkeit lauschte der junge Deutsche diesen Mitteilungen und sein selbständiger Geist ging bei der Beurteilung dessen, was er sah und hörte, seine eignen Wege. Noch waren nicht allzu viele Jahre vergangen, seit Savonarola für seine Überzeugung sterben mußte, aber die Welt hatte inzwischen Riesenschritte vorwärts gethan. Die Erfindung der Buchdruckerkunst und die Entdeckung Amerikas bildeten die beiden großen Ereignisse, deren Tragweite zwar selbst von den klügsten Köpfen kaum geahnt wurde, die aber doch in ihrer Einwirkung auf die allgemeinen Zustände sich schon bemerkbar machten. Noch lebte die Seele des ernstblickenden Mönches von Wittenberg fast ausschließlich in der Erwägung religiöser oder vielmehr kirchlicher Fragen, und da er durchaus keine Anlagen zur Schwärmerei hatte, so war das weltliche Regiment des Papstes und was damit zusammenhing, häufig der Gegenstand seines Nachdenkens. In Savonarola hatte er seither nur den ketzerischen Rebellen gegen die Lehren der Kirche gesehen, aber es wurde ihm klar, daß jener ein neues Reich der göttlichen Verheißung auf Erden gründen und der päpstlichen Herrschaft die wahre Kirche, als deren Grundpfeiler Christus gelten sollte, entgegenstellen wollte. Ihm fiel ein, daß jetzt gerade hundert Jahre vorüber waren, seitdem Huß zu Konstanz den Scheiterhaufen aus ähnlichem Anlaß besteigen mußte. Auch dieser hatte das Reich Gottes nicht in der innern Heiligung, sondern in vergänglichen irdischen Einrichtungen gesucht. Im Geiste des deutschen Mönches dämmerte damals schon die Ahnung einer Verwirklichung jener Hoffnung auf geistigem Gebiete. Ein eigentliches Losreißen von der ehrwürdigen Mutter Kirche kam ihm dabei nicht in den Sinn.

Noch lebte die Familie Medici in der Verbannung, aber in ganz Florenz wußte man bereits, daß Lorenzo, der Sohn Pietros und Enkel Lorenzos des Prächtigen, demnächst zurückkehren und in die alten Rechte seines Hauses wieder eintreten werde. – Mit großem Eifer belehrte sich der Augustinermönch aus Wittenberg über alle geschichtlichen Vorgänge, die an Ort und Stelle sich ganz anders darstellten, als er sie aus der Entfernung kennen lernte. Es dämmerte in ihm die Ahnung auf, daß durch die Erfindung der Buchdruckerkunst ein großer Fortschritt in der richtigen Beurteilung fernliegender Ereignisse angebahnt werde, da die mündlichen und handschriftlichen Überlieferungen nur spärlich verbreitet und durch persönliche Auffassung oft getrübt wurden.

War es nicht ein ungewöhnliches Zusammentreffen, daß der junge Mönch kurze Zeit nachher dem Begräbnisse der Vanozza de Catanei zu Rom beiwohnte, jener Frau, bei deren Andenken noch einmal aller Pomp, alle Entsittlichung, alle Prahlsucht und alle Grausamkeit, die sich an den Namen Borgia knüpften, 316 im Gedächtnis der Menschheit auftauchten! Es lebten noch Augenzeugen genug, um jede Einzelheit berichten und bestätigen zu können, und auch hier wieder machte der deutsche Mönch die Erfahrung, daß viele Dinge in einem ganz andern Lichte erscheinen, wenn man sie an Ort und Stelle kennen lernt. Seinem biedern deutschen Sinne widerstrebte schon der weltliche Glanz des gegenwärtigen päpstlichen Hofes, wenn er sah, wie die Bußgelder der ganzen katholischen Welt hier für Wunderwerke der Kunst verwendet wurden, und er erinnerte sich des schamlosen Ablaßhandels, der in seinem eignen Vaterlande allerorten getrieben wurde, um das im Schweiße erworbene Geld des absichtlich verdummten Volkes nach Rom zu leiten. Ein Chaos von Gedanken wogte und gährte in dem Kopfe des ernsten jungen Mannes, und er harrte des Rufes von oben, der den entscheidenden Lichtstrahl in diese wogende Gedankenflut senden werde.

Sein Geschäftsanliegen beim heiligen Stuhle nötigte ihn, einige Wochen in Rom zu bleiben. Er lebte während dieser Zeit als Beauftragter seines Priors in einem Kloster der Augustinermönche, welches mit der Kirche Santa Maria del popolo in Verbindung stand. Nächsten Sonntag sollte er die Kanzel dieser Kirche betreten, um daselbst eine lateinische Gastpredigt zu halten. Vielleicht war es sogar möglich, daß der Papst, der für ihn noch immer das geheiligte Oberhaupt der gesamten Christenheit war, ihm eine besondere Audienz gewährte. Welche reiche Erlebnisse brachte ihm diese Pilgerfahrt nach Rom und wie prägte sich ihm alles ein, was er sah und vernahm! Galt er doch in der Heimat bereits als grundgelehrter Mann, der das Studium der Bibel mit Feuereifer betrieb und an der Universität zu Wittenberg als Professor lehrte! Aber er fühlte wohl, wie dieser Aufenthalt in Rom alle seine Anschauungen umänderte und er ahnte, daß er als neuer Mensch zurückkehren werde. Heute nun befand er sich auf einem sehr bequemen Sitze, von welchem er die Begräbnisfeierlichkeit zu Ehren Vanozzas in allen Einzelheiten genau beobachten konnte, denn da die Mönche des Augustinerklosters sich bei dem Zuge beteiligen mußten, hatte der freundliche Prior dem deutschen Gaste den besten Platz anweisen können. Aus dem gesund und kräftig dreinschauenden Gesichte leuchteten die klugen Augen, die in den letzten Wochen auf der Reise so vieles Große und Schöne in Natur und Menschenleben, aber hier in Rom auch gar manches Abstoßende und Unerfreuliche erschauen konnten, und sie blickten schon nicht mehr so kindlich verwundert drein als in den ersten Tagen seines Aufenthaltes in der gewaltigen und prächtigen Stadt, zu welcher alle Wege führten, da die Pilger aus aller Herren Länder unwiderstehlich dorthin gezogen wurden. Da der Prior nun sah, mit welcher gespannten Aufmerksamkeit der junge Mönch die Vorgänge betrachtete, näherte er sich ihm und flüsterte mit wohlwollendem Lächeln:

»Könnt Ihr alles gut sehen, Frater Martinus Luther?«

Der junge Mann sah auf und nickte dankbar und erfreut.

 

Ende.

 


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