Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Neunzehntes Kapitel.
Die Vergeltung bleibt nicht aus.

Als Cäsar Borgia nach Frankreich gereist war, um die Bundesgenossenschaft des neuen Königs zu erwerben, machte er sowohl auf der Reise als auch während seines Aufenthalts einen so grenzenlosen Aufwand und entfaltete so unerhörte Pracht, daß sogar der königliche Hof dadurch verdunkelt wurde. Außerdem brachte Cäsar dem Erzbischof Georg von Amboise, dem Liebling und alles leitenden Minister des Königs neue Hoffnungen mit und ließ es nicht an Andeutungen fehlen, welche diesen ehrgeizigen und einflußreichen Mann zu der Aussicht auf die höchste Würde der Christenheit berechtigten. Dadurch erreichte Cäsar die Freundschaft des Königs, der ihm das Herzogtum Valentinois geschenkt hatte, ihm darauf einen Jahrgehalt aussetzte und zum Befehlshaber über hundert Reiter (Chevaliers) machte.

Kaum waren dann die Vorbereitungen genügend getroffen, so nahm der König den Titel »König von Neapel und Herzog von Mailand« an und rüstete zum Zuge nach Italien, nachdem er sich mit Venedig verbündet und zugleich mit dem Könige von Spanien, Ferdinand dem Katholischen, einen Vertrag verabredet hatte. Inzwischen verfolgte Cäsar Borgia den einmal eingeschlagenen Weg, um die kleineren Fürsten der Romagna zu beseitigen und sich zum Herrscher über ganz Mittelitalien zu machen.

Teils, um sich in dem Besitze seines Herzogtums zu sichern, teils auch, um seine ganz zerrütteten Finanzen durch einen kühnen Streich zu verbessern, warb damals der Herzog Herkules von Ferrara für seinen Sohn Alfons von Este um die Hand der Lucrezia Borgia, die wieder in Rom lebte. Die Mitgift der Braut wurde auf hunderttausend Goldgulden festgesetzt, der Lehnzins für Ferrara auf drei Generationen erlassen. Vor dem Gesandten des Herzogs Herkules öffnete Alexander VI. eine mit Perlen gefüllte Schatulle mit den Worten. »Alles dies ist für Lucrezia. Sie soll unter den Fürstinnen Italiens die meisten und schönsten Perlen besitzen.« Am Sonntage nach der Verlobung ritt Lucrezia durch die Stadt nach Santa Maria del popolo, vor ihr vier Bischöfe, in ihrem Gefolge gegen dreihundert Reiter. Am folgenden Tage durchzogen 288 zwei Schalksnarren die Straßen, der eine zu Pferde, welchem die Braut das tags zuvor getragene Kleid von Goldbrokat, dreihundert Gulden an Wert, geschenkt hatte, der andre zu Fuße, dem auch ein schönes Gewand zu teil geworden war. Sie riefen: Es lebe die durchlauchtigste Herzogin von Ferrara! Es lebe Papst Alexander! Hoch! Hoch! Noch vier Monate lang blieb Lucrezia in Rom. Dann erfolgte ihr Abzug nach Ferrara. Ihr Gefolge bestand aus sechshundert Personen. Hinter dem Wappenherold ritt zur Rechten der Kardinal-Erzbischof von Cosenza, Francesco Borgia, Legat für den Kirchenstaat während des Durchzugs der Braut, zur Linken der Kardinal Pierluigi Borgia, neben beiden die Prinzen von Ferrara, Ferdinando und Sigismondo, Alfonsos Brüder. Die Braut ritt zwischen dem Kardinal Ippolito d'Este und ihrem Bruder Cäsar. Edle und Bewaffnete folgten. Auch viele vornehme Römer nahmen in neuen glänzenden Anzügen von Gold- und Silberbrokat an dem Zuge teil. So schied Lucrezia Borgia von Rom, das sie nicht wiedergesehen hat.

Die Erfolge des Königs von Frankreich waren ungewöhnlich und in ganz kurzer Zeit hatte er das Herzogtum Mailand erobert und den seitherigen Beherrscher daraus vertrieben. Auch diesmal wieder bewährte sich die Organisation und strenge Mannszucht im französischen Heere gegenüber den zusammengelaufenen Banden, wie sie die italienischen Condottieri auf den Kampfplatz führten. Auf beiden Seiten befanden sich Hilfstruppen aus der Schweiz, aber ein unglücklicher Zufall wollte es, daß dieselben vorzeitig in ihr Vaterland zurückgerufen wurden, wodurch der Herzog von Mailand in die größte Not geriet.

Bei den Truppen der italienischen Anführer herrschten noch die grausamsten Kriegsgebräuche. Außer dem Heldenmute, durch welchen sich die französischen Ritter auszeichneten, rühmte man auch einzelne Züge von Menschlichkeit, welche gleichsam um die gepriesenen Helden eine Art von Glorienschein woben. Namentlich zeichnete sich in dieser Zeit der Chevalier Bayard, der Ritter ohne Furcht und Tadel, als einer der gefeiertesten unter den französischen Anführern aus und man erzählte mancherlei Züge von ihm, wobei er als Muster eines echten Edelmanns nicht nur den höchsten Mut bewies, sondern auch keinen Flecken auf seiner Ehre duldete.

Bei der Erstürmung von Brescia war Bayard gefährlich verwundet worden, so gefährlich, daß er zu seinem Nebenmanne, dem Herrn von Mollart, sagte. »Kamerad, laßt Eure Leute einrücken, die Stadt ist gewonnen; was mich aber betrifft, so werde ich keinen Vorteil davon haben, ich bin dem Tod verfallen.«

Als die Stadt besetzt worden war, trugen zwei seiner Bogenschützen den verwundeten Bayard in ein Haus, welches das ansehnlichste in der ganzen Umgegend zu sein schien. Es war die Wohnung eines reichen Edelmanns. Dieser selbst hatte sich in ein Kloster geflüchtet, dagegen war seine Frau mit zwei hübschen Töchtern, welche sich auf einem Boden unter dem Heu versteckt hielten, den Schutz Gottes anflehend in der Wohnung zurückgeblieben.

289 Als an die Thür gepocht wurde, sah sie mit ernster Teilnahme, daß man einen schwer verwundeten Ritter zu ihr hereinbrachte. Er hatte die Pforte öffnen lassen und sagte dann zu seinen beiden Bogenschützen: »Ihr haftet mir mit eurem Leben dafür, daß außer meinen Leuten niemand hier hereinkommt; ich bin überzeugt, daß niemand gewaltsam eindringen wird, wenn man erfährt, es sei meine Wohnung und wenn ihr hier die Plünderung versäumt, werde ich euch anderwärts dafür entschädigen.«

Die Bogenschützen thaten nach seinem Befehle; er wurde in ein reich ausgestattetes Zimmer getragen, wo ihn die Hausfrau selbst empfing und sich ihm zu Füßen werfend also sprach: »Edler Herr, ich biete Euch dieses Haus an mit allem, was darin ist, denn ich weiß wohl, nach dem Gebrauche des Krieges ist es Euer Eigentum, aber ich flehe Euch an, mir die Ehre und das Leben zu retten, wie auch meinen beiden Töchtern, die mir und meinem Gatten das Liebste auf der Welt sind.«

Der Ritter antwortete ihr: »Edle Frau, ich weiß nicht, ob ich meinen Wunden erliegen werde, aber ich verspreche Euch, so lange ich lebe, soll weder Euch noch Euren Töchtern ein Leid zugefügt werden, so wenig wie mir selbst. Laßt die jungen Mädchen ihr Zimmer nicht verlassen, damit man sie nicht sieht; ich versichere Euch, daß keiner meiner Leute wagen wird, ohne Eure Erlaubnis irgend einen Raum zu betreten.«

Diese Worte beruhigten die geängstigte Frau. Darauf bat er sie, irgend einen guten Wundarzt kommen zu lassen, um ihn zu verbinden; sie that dies und ging selbst mit einem der Bogenschützen nach dem Arzte. Dieser untersuchte die Wunde, die zwar schwer, aber doch nicht lebensgefährlich war. Bald darauf besuchte ihn auch der Leibarzt des Herzogs von Nemours, welcher so gut seine Pflicht that, daß der Ritter nach kaum einem Monat wieder genügend hergestellt war, um sein Pferd besteigen zu können. Als er angekleidet war, fragte er seine Wirtin, wo ihr Gatte sei, worauf die arme Frau traurig entgegnete:

»Meiner Treu, gnädiger Herr! ich weiß nicht, ob er lebt oder tot ist, aber wenn man ihn verschont hat, so glaube ich, daß er sich in einem gewissen Kloster befindet, wo er vielen Anhang hat.«

»Laßt ihn holen«, sagte der Ritter, »und ich werde ihn beschützen, damit ihm kein Leid geschieht.«

Sie ließ nach ihm forschen und nachdem sie ihn gefunden hatte, wurde er durch den Stallmeister und zwei Bogenschützen des Ritters sicher geleitet, worauf er herzlich von seinem Gaste empfangen und ihm die Versicherung gegeben wurde, er befinde sich unter Freunden.

Der Ritter war ungefähr vier bis fünf Wochen an seiner Wunde bettlägerig krank gewesen. Als er sich eines Tages erhob und durch das Zimmer schritt, ohne zu wissen, ob er sich aufrecht erhalten könne, duldete es ihn nicht länger in dieser Unthätigkeit. Er ließ den Wundarzt kommen und sagte zu ihm: 290 »Ich bitte Euch, mein Freund, gebt mir Bescheid, ob ich mich ohne Gefahr auf den Weg machen kann; mir scheint, ich bin gänzlich oder doch beinahe geheilt und ich gebe Euch die Versicherung, es wird besser sein, wenn ich mich von hier fortbegebe, da ich mich entsetzlich langweile.«

Die Diener des Ritters hatten dem Wundarzt bereits verraten, wie sehr sich ihr Herr nach der Schlacht sehne, denn jeden Tag erhielt er Nachricht vom Stande der Dinge, und da man eine Schlacht erwartete, fürchtete er, sie könne ohne ihn stattfinden. Da der Wundarzt die Gesinnung des Ritters kannte, entgegnete er ihm: »Gnädiger Herr, Eure Wunde ist noch nicht völlig geschlossen, aber sie ist innerlich geheilt. Ich werde Eurem Kammerdiener die nötigen Vorschriften geben, damit er Euch täglich verbinden kann, alsdann hat es keine Gefahr.«

Hätte man dem Ritter zehntausend Thaler gegeben, es würde ihm nicht so viel Freude gemacht haben als diese Nachricht. Er entschloß sich, in zwei Tagen abzureisen, indem er seinen Leuten befahl, alles in Bereitschaft zu setzen.

Die Frau des Hauses, welche sich noch immer mit ihrem Manne und ihren Töchtern als Gefangene des Ritters betrachtete, überlegte bei sich, daß sie ihr gesamtes Vermögen verloren haben würde, wenn ihr Gast sie und ihren Mann mit Strenge behandelt hätte, und sie bedachte, auf welche Weise sie ihm ein anständiges Geschenk machen könne, wodurch sie ihm ihre volle Erkenntlichkeit beweise.

Am Morgen des Tages, an welchem der Ritter gegen Abend ausziehen wollte, trat seine Wirtin in sein Zimmer und hinter ihr folgte ein Diener, der ein schönes Kästchen trug. Der Ritter ruhte auf einem Sessel, denn er hatte einen großen Weg gemacht, um sein geheiltes Bein nach und nach im Gebrauch zu üben. Sie warf sich vor ihm auf die Knie, aber er hob sie sofort auf und gestattete ihr nicht ein Wort, bevor sie sich nicht zu ihm gesetzt hatte. Sie begann darauf folgendermaßen: »Gnädiger Herr, ich betrachte es als eine Gnade von Gott, daß Ihr bei der Einnahme dieser Stadt in unser Haus gekommen seid, denn auf diese Weise rettete er meinem Manne und mir und unsern Töchtern das Leben und die Ehre, was mehr ist als alles. Seitdem Ihr hier angelangt seid, ist uns nichts als Höflichkeit widerfahren und keiner Eurer Leute hat etwas genommen, ohne es zu bezahlen. Ich weiß genau, daß wir alle Eure Gefangenen sind und daß unsre ganze Habe Euch gehört, aber ich bin gekommen, Eure Huld zu erflehen und bitte Euch, ein Geschenk von uns anzunehmen, welches nur gering ist im Verhältnis zu unsrer Dankbarkeit.«

Darauf nahm sie das Kästchen aus den Händen des Dieners und als sie es öffnete, sah der Ritter, daß es voll von blanken Dukaten war.

Der Ritter Bayard hatte niemals viel nach Geld gefragt und sagte rasch: »Wie viele Dukaten sind in diesem Kästchen?« Die erschrockene Frau glaubte, er sei entrüstet über die geringe Gabe und sie erwiderte: »Gnädigster 291 Herr, es sind nur zweitausendundfünfhundert Dukaten, aber wenn die Summe Euch nicht genügt, werden wir sie vermehren.« Darauf sagte er. »Meiner Treu, edle Frau, wenn Ihr mir hunderttausend Thaler geben wolltet, würde es nicht so viel wert sein, als die herzliche Aufnahme und gute Pflege, die Ihr mir angedeihen ließet; wo ich mich auch befinden werde, will ich Zeit meines Lebens Euch zu Diensten stehen. Was die Dukaten betrifft, so danke ich Euch dafür, denn ich habe mein lebenlang die Menschen mehr geliebt, als das Geld. Ich verlasse Euch aber so zufrieden, als wenn Ihr mir die ganze Stadt zu Füßen gelegt hättet.«

Die gute Frau war sehr niedergeschlagen über diese Ablehnung. »Edler Herr«, sagte sie, »ich würde mich mein lebenlang unglücklich fühlen, wenn Ihr dieses geringe Geschenk zurückweisen wolltet, welches so unbedeutend ist im Vergleich zu der Liebenswürdigkeit, die Ihr an uns bewiesen habt und noch beweiset.«

Als der Ritter sie so entschlossen sah, sagte er zu ihr: »Nun wohl, edle Frau, ich nehme Euch zuliebe die Gabe an, aber ich bitte, Eure Töchter zu rufen, damit ich ihnen Lebewohl sagen kann.«

Die gute Frau war ganz glücklich, als sie ihr Geschenk endlich angenommen sah; sie holte ihre Töchter, die beide schön und wohlerzogen waren und den Ritter während seiner Krankheit häufig durch Gesang und Lautenspiel ergötzt hatten. Während die Mutter sie herbeiführte, hatte Bayard die Dukaten in drei Teile geteilt, zwei zu tausend und einen zu fünfhundert Stück.

Die älteste der Schwestern begann: »Gnädiger Herr, wir beiden Mädchen, denen Ihr die Ehre angethan habt, sie zu beschützen, danken aufrichtig für so viele Güte und versichern Euch zum Abschiede, daß wir nie aufhören werden, zu Gott für Euer Wohl zu beten, da es nicht in unsrer Macht steht, Euch anders zu danken.«

Der Ritter war gerührt über die Sanftmut und Ergebenheit der hübschen Mädchen und erwiderte ihnen: »Ihr thut dasjenige, was ich thun sollte, denn an mir ist es, Euch, mein edles Fräulein und Eurer Schwester für die Huld zu danken, die ihr mir erzeigt habt. Ihr wißt, daß man im Kriege nicht darauf eingerichtet ist, den Damen zierliche Geschenke zu machen, ich bedaure aufrichtig, nicht in der Lage zu sein, euch kostbare Schmucksachen anzubieten. Eure Mutter hat mir zweitausendfünfhundert Dukaten geschenkt, die ihr hier auf dem Tische sehet, ich gebe jeder von euch eintausend zur Hochzeitsgabe, und wenn es Euch gefällt, möget ihr meiner im Gebete gedenken.«

Er nötigte sie hierauf, die Dukaten anzunehmen und wendete sich an seine Wirtin mit den Worten: »Edle Frau, ich nehme die fünfhundert Dukaten an, aber ich bestimme sie zum Geschenke für Frauen, welche die Plünderung hart betroffen hat, und ich überlasse Euch die Verteilung, da Ihr am besten beurteilen werdet, wo die Hilfe not thut; und damit nehme ich Abschied von Euch.«

292 Darauf reichte er ihnen nach der italienischen Mode die Hand, was in Frankreich nicht Sitte war, und sie wollten ihm knieend danken, was er jedoch nicht duldete. Sie zogen sich zurück, aber sie weinten so heftig, daß man glauben konnte, es gehe ihnen an das Leben.

Die beiden jungen Damen von Brescia und Bayard.

Gegen Abend verlangte der Ritter nach seinen Pferden, denn er sehnte sich zu seinen Kriegsgenossen, damit die Schlacht nicht ohne ihn stattfinden möge. Als er sein Zimmer verließ, um sein Pferd zu besteigen, kamen die beiden schönen Töchter des Hauses heraus und jede von ihnen überreichte ihm ein Geschenk, welches sie während seiner Krankheit gearbeitet hatten. Die eine brachte zwei allerliebste Armbänder aus Gold- und Silberfäden, die andre eine Goldbörse, beides wundervoll gearbeitet. Er dankte ihnen herzlich und sagte, daß diese Geschenke für ihn von unermeßlichem Werte seien. Er ließ sich die Armbänder sofort anlegen und befestigte die Börse an seinen Gürtel, indem er versicherte, er wolle sie zum Andenken so lange tragen, als sie dauern würden.

Bayard hatte mit Grund so sehr geeilt, seine Waffengefährten wieder zu finden, um die Schlacht nicht zu versäumen, denn während er verwundet in Brescia gelegen hatte, war der Prinz Gaston de Foix jeden Tag zu ihm gekommen und hatte zu ihm gesagt: »Mein lieber Freund Bayard, wenn Eure Wunde rasch heilt, könnt Ihr dabei sein, sobald wir dem Feinde die nächste Schlacht bieten, bei welcher ich Euch nicht entbehren möchte«, und Bayard hatte darauf erwidert, er würde sich lieber im Bette ins Gefecht tragen lassen, als davon fern bleiben.

Wenn übrigens der König Ludwig XII. von Frankreich und seine Feldherren sich in der Hoffnung wiegten, auch diesmal wieder werde die französische Armee Italien im Fluge durcheilen und fast überall ohne Schwertstreich vordringen, so hatten sie sich bitter getäuscht und zwar hauptsächlich deshalb, weil sie den wichtigen Umstand außer Acht ließen, daß der erste französische Feldzug für die italienischen Fürsten und Heerführer eine harte aber sehr lehrreiche Schule gewesen war. Als damals Karl VIII. rasch und unerwartet das Land mit seiner Armee überzog, waren die Zustände in größter Verwirrung und niemand kannte die neuern Mittel der Kriegführung; inzwischen aber hatten die lebhaften und gelehrigen Italiener sich aller jener Kenntnisse bemächtigt, welche sie befähigten, ihrem mächtigen Feinde die Spitze zu bieten; Festungen waren errichtet, Brücken gebaut und neue Waffen angeschafft worden, kurzum, die hochmütige und glänzende französische Ritterschaft sah sich einem ganz andern Feinde gegenüber, und es zeigte sich bald, daß diesmal die Sache eine total veränderte Wendung nahm. Die größten Künstler: Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael u. a. legten die Palette und den Meißel zur Seite und beschäftigten sich mit dem Ausdenken von Plänen zu besseren Verteidigungsmitteln; die Strategie kam zu ungeahnter Entwicklung und die Klugheit der Italiener begann erfolgreich gegen die ritterliche Tapferkeit der Franzosen zu kämpfen.

294 Wäre nicht noch immer die Uneinigkeit zwischen den einzelnen italienischen Staaten ein Hindernis gewesen, hätte namentlich der Haß gegen Venedig sie nicht fortwährend an energischem Zusammenhalten gehindert, wer weiß, ob es nicht schon früher zu einer Entscheidung gekommen wäre, welche den Franzosen das Vordringen auf der Halbinsel verwehrt hätte.

Darin hatte sich König Ludwig nicht verrechnet, daß das Bündnis mit Cäsar Borgia und durch diesen die Freundschaft des Papstes ihm die größten Vorteile bringen werde, denn nur auf diese Weise war es möglich, das mittlere Italien rasch zu durcheilen und bis nach Neapel zu gelangen, wo dann allerdings das Blatt sich wendete.

Vergeblich hatte der kranke Friedrich von Neapel versucht, den Krieg von seinem Reiche fern zu halten, indem er sich erbot, den König von Frankreich als Oberherrn anzuerkennen und sich selbst mit der Würde eines Vizekönigs zu begnügen. Ludwig ließ nicht von seinem Plane und eroberte Neapel, allerdings nur, um das schöne Reich nach kurzer Zeit in der Schlacht bei Gaeta an Spanien wieder zu verlieren, von wo aus dasselbe dann von aragonischen Vizekönigen regiert wurde.

In der sumpfigen Ebene an den Ufern des Garigliano, nahe bei Neapel, verlor Peter von Medici bei diesem Feldzuge sein Leben. Im Widerspruche mit den Traditionen seines Hauses hatte er sich dem Könige von Frankreich angeschlossen. Diesseits am Flusse, bei den Trümmern des alten Minturnä standen die Franzosen unter Franz Gonzaga von Mantua, Bayard in ihrer Mitte, jenseits die Spanier unter Gonzales Fernandez Aghilar de Cordova, dem großen Kapitän. Endlich war es den Franzosen gelungen, den Fluß zu überschreiten, aber Gonzales sagte, ihm sei ein Grab einen Fuß breit vorwärts lieber, als hundert Jahre Leben einige Ellen rückwärts, und er drängte die Feinde in die Flucht. Die Franzosen gingen bis Gaeta zurück und dort kam es zur Schlacht. Mit gewohnter Tapferkeit fochten die Franzosen, aber zuletzt blieben die Spanier Sieger. Schon am Garigliano hatte sich Peter Medici auf ein überladenes Schiff geflüchtet und war mit demselben unrettbar gesunken.

Auch das Schicksal des schönen und hochgepriesenen Friedrich von Neapel fand infolge dieses Krieges seinen Abschluß. Die Geschichtschreiber sind nicht einig darüber, ob er in seiner Vaterstadt der schweren Krankheit erlag, welche ihn bereits befallen hatte, als der Feind sich Neapel näherte, oder ob er in Frankreich noch kurze Zeit lebte. Ludwig XII. habe ihm den Besitz der Grafschaft Anjou und einen Jahrgehalt zugesichert, wird von einigen Seiten behauptet. Jedenfalls war sein Leben öde und einsam gleich demjenigen der von ihm so heiß geliebten Katharina Cornaro. Schönheit und edle Empfindung finden keine Stätte in so rauher Zeit, wo der Eigennutz die Welt beherrscht, der Lärm der Waffen die süßen Klänge sanfter Schwärmerei übertönt und die heiße Sehnsucht liebender Herzen vergeblich nach Erfüllung ihrer Wünsche ringt. 295

 


 


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