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Die Mutter Girolamo Savonarolas gab sich in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes zu Florenz dem tiefen innern Glücksgefühle hin, welches von dem Augenblicke, da sie den Triumph ihres Sohnes gesehen hatte, in ihr herrschte. Sie war überzeugt, seine Sache sei eine gute und Gott wohlgefällige, und da sie ihn nicht nur vom Volke geehrt, sondern wahrhaft geliebt sah, erfüllte der Gedanke, die Mutter eines solchen Mannes zu sein, sie mit freudigem Stolze.
Aber die gottesfürchtige Frau ahnte in ihrer Bescheidenheit doch nicht, wie groß die Bedeutung war, welche Savonarolas Auftreten den übrigen Weltbegebenheiten gegenüber hatte. Nach der Vertreibung Peters von Medici hatten sich die drei Parteien unter den vornehmen Geschlechtern gebildet, und da zu jener Zeit, als Savonarolas Mutter und Schwester nach Florenz kamen, die Piagnoni völlig die Oberhand hatten, war der kühne Mönch gerade damals das Oberhaupt der Stadt. Er gab derselben eine neue Verfassung, durch welche sie eine Stadt Gottes nach seinem Sinne sein sollte und ganz allein der Autorität Jesu Christi unterworfen wurde, also eine Art geistlicher Republik mit einem Präsidenten als Stellvertreter Christi. Aber der Blick des klugen Mönches reichte weiter als Florenz; er hoffte Italien, die ganze Welt, Staat und Kirche zugleich zu reformieren. Zwar wollte er seinen Ordensgelübden nicht untreu werden, sondern nur durch seine Reden der Republik den rechten Weg zeigen, deshalb bat er auch in einigen seiner Predigten. »Kommt nicht, mich wegen jeder Kleinigkeit zu belästigen; in großen Sachen und wenn Zweifel obwalten, will ich gern Euer Rat sein!« Aber er war doch unbedingt das Haupt und die Seele des neuen Gottesstaates und von seiner Kanzel ging sowohl die Anregung wie die Entscheidung zu allen wichtigen Reformen aus. Unaufhörlich verlangte er eine gründliche Erneuerung des christlichen Lebens und unter seiner Führung gewann das üppige und ausschweifende Florenz bald ein ganz neues Aussehen: die Schauspielhäuser standen leer, viele Wirtshäuser mußten geschlossen werden, immer mehr vornehme Frauen entsagten ihren 202 kostbaren Gewändern und brachten ihren Schmuck als Opfer zu dem Altare des Vaterlandes, große Summen wurden von Kaufleuten dargebracht, welche wegen ungerecht erworbener Güter Reue empfanden, kurzum, überall zeigte sich eine allgemeine Umwandlung, eine Erweckung zum neuen Leben.
Auf Savonarolas Betreiben wurden die Sittengesetze streng gehandhabt, die Spielhäuser geschlossen und harte Strafen für Verschwendung und unnütze Vergeudung der Zeit festgesetzt. Als Grundlage des öffentlichen Lebens wollte er die Bibel angesehen wissen, und er griff nach wie vor alle Mißbräuche der Kirche, namentlich aber den Schacher mit den hohen Ämtern beim heiligen Stuhle schonungslos an.
Wieder stieg Savonarolas Glückssonne in schönster Pracht empor, als am Palmsonntage auf seine Veranlassung ein feierlicher Umzug in Florenz stattfand. Er war in Wahrheit ein Freund des Volkes und das harmlose Vergnügen der Jugend lag ihm stets am Herzen.
Ähnlich wie am Karnevalstage waren auch diesmal die Kinder die Hauptteilnehmer an der Feierlichkeit, zu welcher der Himmel gleichsam die schöne Stadt Florenz mit dem herrlichsten Sonnenschein bevorzugt hatte. Festlich geschmückt und mit Blumen bekränzt durchzogen beinahe achttausend Kinder unter feierlichen Gesängen die Straßen der Stadt. Die reinste Freude glänzte auf allen Gesichtern, und man konnte in der That nichts Lieblicheres sehen, als diese hoffnungsvollen Menschenknospen im Schmucke der bunten und duftenden Boten des Lenzes. Wiederum trugen einzelne der Kinder Becken in den Händen, in welchen sie Geld und Schmuckgegenstände sammelten, die dann später dazu verwendet werden sollten, den Armen der Stadt einen Festtag zu bereiten. Der Zug wurde durch Trabanten eröffnet und begleitet. Voran schritt der Magistrat der Stadt, in seiner Mitte der Prior, welcher die ganze Festlichkeit ins Leben gerufen hatte. Dann kamen die Kinder und hinter ihnen der größte Teil der Bevölkerung. Von der Partei der Palleschi war der Versuch gemacht worden, den Zug zu stören, aber der Unwille darüber war so allgemein, daß jene Gegner sich beschämt zurückziehen mußten. Auf dem freien Platze vor dem Kloster San Marco ordnete sich die Schar der Kinder, und Savonarola sprach voll Begeisterung über Christus den Erlöser, welche Rede bei der zahlreichen Kinderschar und sämtlichen Anwesenden jubelnde Zustimmung fand.
Während dieser Zeit seiner höchsten, unbestrittenen Geltung, lebte Anna Savonarola in der Nähe ihres Sohnes. Zwar konnte sie ihn nur selten sehen, denn sein Amt als Prior und die vielen öffentlichen Staatsgeschäfte ließen ihm keine Zeit an persönliche Angelegenheiten zu denken, aber trotzdem war es für Anna eine glückselige Zeit, denn sie war durch lange Jahre von ihm getrennt gewesen und konnte nun Zeugin seiner schönsten Triumphe sein.
Inzwischen hatte der König von Frankreich sein Heer zusammengezogen und beschloß nun, so rasch als möglich sich dem eigentlichen Ziele des gewaltigen 203 Kriegszuges zu nähern. Zu diesem Zwecke mußte er abermals Florenz berühren, dann nach Rom und von da nach Neapel eilen. Nach allen Erfahrungen, die er bereits gesammelt hatte, durfte er erwarten, diesen Feldzug fast ohne Blutvergießen zu vollenden. Überall öffnete man ihm die Thore und die Fürsten wetteiferten, ihn durch Feste zu gewinnen. Jedenfalls war Karl VIII. ein unternehmender und lebenskräftiger Mann. Nicht nur der militärische Ehrgeiz, sondern auch die Freuden der Tafel und der Verkehr mit schönen Frauen hatten großen Einfluß auf ihn. Dies wußte der Herzog Ludwig Moro ganz genau, und als er zur Begrüßung des Königs nach Asti ging, ordnete er daselbst einige Festlichkeiten an, von denen er wußte, daß sie ganz im Geschmacke seines Gastes waren. Die Herzogin hatte aus Gesundheitsrücksichten zurückbleiben müssen, das heißt, Maria wollte an dieser Art von Festlichkeiten nicht teilnehmen, und man hatte daher den Ausweg gewählt, sie durch Krankheit zu entschuldigen; dafür aber waren die auserlesensten Schönheiten der Stadt Mailand vom Herzoge aufgefordert worden, den Banketten beizuwohnen, welche er in Asti veranstaltet hatte. König Karl und die Ritter seiner Umgebung bewährten den Ruf der Galanterie, welcher ihnen vorausging und vergaßen in Gesellschaft der schönen Mailänderinnen für mehrere Tage alle Strapazen des Feldzuges. Das herrliche Frühlingswetter, der auserlesene Geschmack in der Anordnung der Festlichkeiten und die wirklich ungewöhnliche Schönheit der weiblichen Gäste gaben den französischen Herren einen Vorgeschmack des Lebens, welches sie in dem bevorzugten Italien erwartete, aber sie empfanden auch schon jetzt etwas von dem entnervenden Einfluß, welchen der Zauber dieses Genußlebens auf alle Fremden ausübt.
Die Reise wurde fortgesetzt und der König fand wenig Schwierigkeiten auf seinem Heereszuge. In Pisa kam ihm eine florentinische Gesandtschaft mit Savonarola an der Spitze entgegen. Letzterer war erfüllt von seinem prophetischen Berufe und erschien vor dem Könige in der Überzeugung, daß seine Rede hier dieselbe unwiderstehliche Wirkung ausüben werde, welche er beim Volke bereits gewohnt war.
»Ziehe ein«, sagte er zu dem Könige, »nahe dich uns mit Vertrauen, mit Jubel und Triumph, denn derjenige, welcher dich sendet, ist derselbe, der zu unserm Heile am Kreuze triumphierte. Aber höre meine Worte, allerchristlichster König, und präge sie tief in dein Herz. Der Diener Gottes, der von oben erleuchtet ist, benachrichtigt dich, den der göttliche Herrscher in dieses Land gesendet hat, daß du aller Orten Gnade üben sollst, ganz besonders aber in seiner Stadt Florenz, in welcher er, obgleich viele Sünder daselbst wohnen, doch auch viele treue Bekenner besitzt, und um deretwillen sollst du diese Stadt verschonen, damit sie für dich beten und deinen Unterthanen Hilfe gewähren. Der Knecht Gottes, welcher zu dir spricht im Namen des Herrn, beschwört dich, mit aller deiner Macht die Unschuld, die Witwen und Waisen und die Unglücklichen 204 zu beschützen und besonders die Keuschheit der Bräute Gottes zu schonen, welche in den Klöstern sind, damit du nicht die Sünden auf Erden vermehrst und dadurch die Kraft abschwächst, welche Gott dir verliehen hat. Endlich, o König, ermahnt dich Gott, deinen Beleidigern zu verzeihen. Wenn du dich durch das florentinische Volk oder durch ein andres beleidigt glaubst, so verzeihe ihnen, denn sie haben aus Unwissenheit gesündigt, weil sie nicht wußten, daß du von Gott gesandt bist. Gedenke deines Erlösers, der noch vom Kreuze herab seinen Mördern verzieh. Wenn du alle diese Dinge thust, so wird Gott, dein König, deinen Ruhm vergrößern, dir überall den Sieg verleihen und dich dereinst in das ewige Königreich des Himmels aufnehmen.«
Der Ruf Savonarolas war wohl kaum bis zu den Ohren des Königs von Frankreich gedrungen. Seinen Brief in Bezug auf den Papst hatte er nicht erhalten; er sah in ihm nur einen schlichten guten Mönch und seine Rede erschien ihm wie eine fromme Predigt; er versprach daher, daß er in Florenz alles zur Zufriedenheit des Volkes ordnen werde. Er dachte dabei an ein Versprechen, welches er im Taumel des Vergnügens zu Asti dem Herzoge von Mailand gegeben hatte, und welches sich auf Peter von Medici bezog. Dies Versprechen war ihm bereits unbequem geworden, aber es erschien schwierig, sich dem gegebenen Worte zu entziehen.
Die Gesandtschaft ahnte nichts von den Gedanken des Königs; sie brachte nach Florenz die besten Hoffnungen zurück, und nun war das Ansehen Savonarolas auf den Gipfel gelangt. Da man in Rom sehr gespannt auf das Verhalten des Königs von Frankreich gegenüber der Stadt Florenz sein mußte, machte dort die Nachricht von der günstigen Wirkung, welche das kühne Auftreten des Dominikanermönches auf den König von Frankreich geübt hatte, großen Eindruck. Der Papst geriet in gewaltigen Zorn über seine Umgebung, weil er behauptete, man habe ihn über die Bedeutung des Prior von San Marco im Unklaren gelassen, er würde sonst längst alle Mittel aufgeboten haben, um sich denselben günstig zu stimmen und sein Interesse mit der Kirche zu vereinigen. Gewohnt, alles durch persönliche Begünstigung zu erreichen, und in der festen Meinung, eine große geistige Kraft wie Savonarola sei nicht weniger käuflich wie alles Übrige in der Welt, nur müsse man den entsprechenden Preis bieten, sandte Papst Alexander VI. sofort einen vertrauten Beamten nach Florenz und ließ Savonarola das Erzbistum Florenz und den Kardinalshut anbieten, wenn er sich entschließen wolle, mit derselben Begeisterung für die Zwecke des Oberhauptes der Kirche zu predigen, wie er bisher gegen denselben aufgetreten war.
Aber Savonarola wies dies Anerbieten nicht nur mit Entrüstung zurück, sondern er ergriff auch die Gelegenheit, als er am nächsten Sonntage im Dome vor einem alle Räume erfüllenden Publikum sprach, die ganze Angelegenheit öffentlich mitzuteilen und die Worte hinzuzusetzen: »Jesus Christus ist mein Papst und ich begehre keinen roten Hut als den, der mit meinem eignen Blute gefärbt ist.«
205 Daß auch dieser Vorgang zu Florenz in allen Kreisen vielfach besprochen wurde, war selbstverständlich und auch ganz begreiflich, daß die Parteien für und gegen Savonarola sich infolgedessen noch schärfer als vorher absonderten. Die Mönche seines Klosters verehrten ihn in einer Weise, die an Anbetung grenzte, denn sie wußten am besten, welche Selbstverleugnung er übte und wie rein und tadellos stets sein eigner Lebenswandel war. Unter den ältern Klosterbrüdern waren ihm namentlich Domenico Buonvicini und Silvestro Maruffi mit ganzer Seele ergeben, während unter den jüngeren Mönchen Donato Ruffioli mit schwärmerischer Begeisterung zu ihm aufblickte.
Die übrigen Klöster in der Stadt stellten sich ihm größtenteils feindlich 206 gegenüber, namentlich blieben die Franziskaner seine erbitterten Gegner, welche ihn sogar offen zu bekämpfen suchten, indem ein Mönch dieses Ordens, Namens Zaccali, mit ihm vor vielen Zuhörern über mancherlei religiöse Fragen, allerdings ohne Erfolg, disputierte. Auch eine Nonne aus dem Annunziatenkloster hatte dem Drange nicht widerstehen können, Girolamo Savonarola den Fehdehandschuh hinzuwerfen, indem sie sich erbot, gleichfalls mit ihm zu disputieren; aber der Dominikanerprior hatte sie höhnisch zurückgewiesen und ihr einen Brief geschrieben, worin er sie ermahnte, sie möge nicht vergessen, daß sie ein Weib sei und ihre Pflicht besser am Spinnrocken erfüllen könne als durch Gelehrsamkeit. Derartige Vorfälle, die er stets in seinen Predigten den Zuhörern selbst mitteilte, erhöhten seine große Beliebtheit bei dem Volke.
Zufällig hatte der Pater Eusebius zu Ferrara die Mutter und Schwester Savonarolas gerade an das Annunziatenkloster in Florenz gewiesen. Zwar machte die Gastfreundschaft, welche ihnen von angesehenen Anhängern des Volksmannes geboten worden, den Aufenthalt im Kloster überflüssig, aber dennoch durften sie nicht versäumen, den frommen Schwestern ihren Besuch zu machen. Es geschah dies gerade zu jener Zeit, als Savonarola den Kardinalshut ausgeschlagen hatte, was den Insassen der Klöster als ein unerhörter Frevel erschien und als neuer Beweis dafür galt, daß der Dominikaner im Dienste des bösen Feindes stehe.
Die Nonnen in Santa Maria Annunziata empfingen Mutter und Schwester Savonarolas daher mit tiefer Bekümmernis und redeten im Tone christlicher Entrüstung von dem Sohne und Bruder ihrer Besucherinnen. Von Beatrice war der Groll über den Bruder nie völlig gewichen. Seitdem sie nun wußte, daß er Kardinal hätte werden können, wenn er dem Papste Gehorsam gelobt hätte, und dieses Anerbieten, welches für die ganze Familie die höchste Ehre und unabsehbare Vorteile bringen konnte, abgelehnt hatte, war ihre stille Verstimmung der Mutter gegenüber wieder zur lauten Anklage gegen den Bruder geworden. Vergeblich hatte die Mutter versucht, Girolamo zu verteidigen. Auch den Nonnen gegenüber hielt sie sich tapfer und nahm ihren Sohn gegen alle Verdächtigungen in Schutz.
Eines Tages aber, als jene gelehrte Klosterschwester, welche Savonarola an den Spinnrocken verwiesen hatte, mit einförmig kreischender Stimme das Verdammungsurteil über den Prior der Dominikaner von San Marco sprach, als Beatrice mit einstimmte und den Bruder, statt ihn zu verteidigen, in liebloser Weise verurteilte, brach die gekränkte Mutter in bittre Thränen aus, und es spielte sich in dem Empfangzimmer des frommen Klosters eine Szene ab, welche einer Stätte des Friedens und der Duldsamkeit sehr wenig entsprach.
Daß der Papst über die schroffe Ablehnung seiner glänzenden Anerbietungen heftig erzürnt war, ließ sich voraussehen; aber Alexander VI. war ein viel zu schlauer Diplomat, um nicht mit Vorsicht zu verfahren.
207 Es stand nun fest, daß Savonarola sich durch Vorteile nicht gewinnen ließ; es handelte sich also darum, ihn unschädlich zu machen. Dazu mußte er in eine Falle gelockt werden, denn sein Anhang in Florenz war zu groß, um dort etwas gegen ihn durchsetzen zu können. Überdies wußte der Papst ganz genau, daß dem Herzoge von Mailand und der Familie Medici gleichfalls ein Gefallen geschah, wenn der hartnäckige Mönch ihnen aus dem Wege geräumt wurde, und der Kardinal Medici, der Bruder Peters, hatte nicht versäumt, dies alles am gehörigen Orte eindringlich vorzubringen. Der Papst sandte daher abermals einen Boten zu ihm und lud ihn in schmeichelhaften Ausdrücken nach Rom ein, da seine Gabe der Weissagung sich durch den Einmarsch der Franzosen so glänzend bewährt habe und der heilige Vater von ihm selbst Aufklärung über seine prophetische Begabung erlangen wolle.
Savonarola lehnte indes auch diesmal die Aufforderung ab, ohne jedoch den Zorn des Papstes aufs neue reizen zu wollen. Er gab als Grund seiner Weigerung den Umstand an, daß seine Gesundheit schwankend und er überdies während der Kriegsunruhen außerhalb Florenz vor seinen Feinden nicht sicher sei.
Inzwischen war die schöne Königin von Cypern wieder nach Asolo zurückgekehrt und empfing an ihrem kleinen Hofe häufig Besuche. Sie war zwar fortwährend auch hier von Spionen umgeben, aber man gestattete ihr doch mancherlei Freiheiten und ließ sie ihren Liebhabereien nachgehen, so lange sie sich ruhig verhielt und keine weiteren Ansprüche erhob als den Umgang mit Künstlern und Gelehrten und den zeitweiligen Verkehr mit befreundeten Personen. Daß ihr auch die Damen der Familie Medici bald nach dem Karneval einen Besuch machten und bei dieser Gelegenheit von dem Prinzen Friedrich von Neapel begleitet wurden, konnte keinen Verdacht erwecken. Georg Cornaro, der Bruder, dem sie damals bei der Abreise von Cypern ihr Herz ausgeschüttet hatte, war tot und hatte jenes Geheimnis mit in das Grab genommen. Es wurde nicht einmal bemerkt, als die Damen Clarissa und Alfonsine ohne den Prinzen zurückkehrten.
Man war in Venedig allgemein der Meinung, Prinz Friedrich befinde sich krank in seiner Wohnung, während derselbe sich in der Nähe von Asolo aufhielt, um dort die heimliche Abreise zu überwachen, welche Katharina Cornaro mit ihm und Clarissa von Medici verabredet hatte. Der Plan dazu war im Kopfe Clarissas gereift und sie glaubte, ihn schlau genug erdacht zu haben, da man weder ihren Einfluß noch auch die Beteiligung des neapolitanischen Prinzen vermuten konnte.
Katharina selbst war durch das Erscheinen Friedrichs plötzlich aus der Stimmung sanfter Beschaulichkeit, welche sie so viele Jahre bewahrt hatte, herausgerissen und wieder auf das sturmbewegte Meer heftiger Leidenschaft 208 versetzt worden. Als ihr Auge dem Blicke des Geliebten wieder begegnete, als sie ihre Hand in der seinigen fühlte, war die leidenschaftliche Empfindung mit vermehrter Kraft erwacht und sie wünschte nichts sehnlicher, als irgend ein Mittel zu finden, welches sie mit ihm vereinige. Wie lauschte sie nun, als er ihr mit beredten Worten den Weg zeigte, der zu ihrer Verbindung führen konnte. Klüglich hatte Clarissa von Medici die Anordnung getroffen, daß die Liebenden sich längere Zeit allein sprechen konnten, während sie mit ihrer Schwiegertochter die Kunstschätze in den anstoßenden Gemächern des anmutigen Schlosses der Königin besichtigte. Die glühendsten Küsse wurden inzwischen von dem lang getrennten Paare ausgetauscht, und in fliegender Hast teilte Friedrich der Geliebten mit, daß ihre Schwägerin Carlotta von Lusignan das Geheimnis ihrer Liebe kenne und bereit sei, ihre Verbindung zu fördern; deshalb solle Katharina mit einer kleinen Bedeckung sich aufmachen, um nach Rom zu reisen, wo Carlotta sie mit offenen Armen aufnehmen werde. Noch war der Weg frei und keine Gefahr zu fürchten. Katharina stimmte sofort bei.
In der That gelang die abenteuerliche Reise. Einige ihrer Frauen begleiteten Katharina und vertraute Diener bildeten ihr bewaffnetes Geleite.
Kaum war sie abgereist, so eilte Prinz Friedrich nach Venedig, um die dortige Signoria zu täuschen. Aber nur wenige Stunden daraus traf auch schon ein Bote von Asolo im Dogenpalaste ein, der von der heimlichen Abreise der Königin Bericht erstattete. Die Königin Katharina von Cypern stand also im Begriffe, ihre ärgste politische Feindin aufzusuchen, und die Königin Carlotta von Cypern kam dadurch in die Lage, der Republik Venedig, die sie auf den Tod haßte, große Verlegenheiten zu bereiten.
Es wurden daher unverzüglich die nötigen Schritte eingeleitet, um Katharinas sofortige Rückkehr zu veranlassen, und sie nötigenfalls zwangsweise durch die päpstliche Regierung wieder nach Asolo befördern zu lassen.
Wahrscheinlich hatte der hohe Rat zu Venedig auch erfahren, welche Rolle die Familie Medici bei diesem unerwünschten Zwischenfalle spielte und der Unwille der Machthaber, unter deren Schutz sich die florentinischen Flüchtlinge begeben und deren Gastfreundschaft sie nun durch unliebsame Intrigen vergolten hatten, würde sich deutlich erkenntlich gemacht haben, wäre nicht gerade um diese Zeit wieder einmal eine kleine Revolte in Florenz ausgebrochen, welche die Medici veranlaßte, sich in die Nähe ihrer Vaterstadt zu begeben.
War auch die Partei Savonarolas am Ruder und scheinbar sicher in der Gunst des Volkes, so fanden doch fortwährend Straßenkämpfe und schreckliche Szenen des Mordes bei Tag und Nacht statt. Vermummte und maskierte Gegner lauerten den Freunden des Priors auf und es kam soweit, daß niemand sich der Verwundeten und Sterbenden annehmen wollte. Auf Savonarolas Anregung erstarkte damals die Genossenschaft der Misericordia-Brüder, die sich aus allen Ständen zusammensetzte. In gleichmäßig weißen Gewändern mit weißen 209 Kapuzen, die den ganzen Kopf verhüllten und nur zwei Löcher für die Augen offen ließen, gingen diese barmherzigen Brüder durch die Straßen der Stadt; niemand kannte ihre Namen, niemand sah ihre Züge; sie waren durch heilige Eide zur Verschwiegenheit verpflichtet, und es geschah, daß neben dem schlichten Arbeiter der Mann aus hochadligem Hause das Gebot der Menschlichkeit erfüllte, wenn die Verwundeten und Toten auf den Straßen aufgehoben wurden, erstere um verpflegt, letztere um bestattet zu werden.
Jene eigentümliche Feier des Karnevals, welche Herz und Gemüt ergriffen und die Anhänger der neuen Lehren mit hoher Begeisterung erfüllt hatte, war gewissermaßen der Gipfelpunkt, welchen Savonarolas Beliebtheit erreichte, denn von nun an neigte sich dieselbe zum Niedergang, und bald sollte er erkennen, daß die Stimmung der Menge schwankend ist und das Volk heute »hosianna« ruft und morgen »kreuzige ihn«.
Wie alle Idealisten setzte auch Savonarola seine Hoffnung auf die edleren Eigenschaften in der menschlichen Natur. Daß er diese Hoffnung und das Vertrauen auf Gott unter keinen Umständen verlor, hat seinen Namen groß und erhaben gemacht. Aber sein irdisches Schicksal wurde durch das Zusammenwirken selbstsüchtiger Interessen der Machthaber bestimmt, und schon als König Karl VIII. in Florenz einzog, begann sich Girolamos Himmel zu umdüstern; denn der König von Frankreich erklärte der Republik, daß er ihre Unterwerfung annehme, aber nur, um Peter von Medici an seiner Stelle mit der Regierung zu betrauen. Der König war wieder im Palaste Medici abgestiegen und verhandelte von dort aus mit der Signoria. Da die letztere sich der Zurückberufung Peters von Medici widersetzte und der König zur Fortsetzung seines Kriegszuges Geld bedurfte, wurde zuletzt ein Traktat geschlossen, nach welchem der König die Stadt verließ. Wie sehr dieser Vorfall das Vertrauen Savonarolas abschwächte, bewies der Umstand, daß er bei einer neuen Unterredung mit dem Könige, dessen Ankunft er früher als göttliches Strafgericht angesehen, diesmal zu ihm sagte, Gott habe ihn beauftragt, den König zu ermahnen, er solle gegen die Türken ziehen und Italien verlassen.
Peter von Medici befand sich in einer eigentümlichen und peinlichen Lage. Endlich schien ihm durch den König von Frankreich die Erfüllung seines höchsten Wunsches gewiß, denn dieser war bereit, ihn zum Regenten in Florenz zu erheben. Aber die Venezianer überwachten ihn strenge, da sie gegen alle Anordnungen des französischen Königs waren. Auch hatte sich Peter des Treubruchs gegen den König von Neapel schuldig gemacht. Es war eine schwere Zeit, die er durchlebte; seine Mutter wollte ihn veranlassen, nach Florenz zu gehen, sich an die Spitze der Palleschi zu stellen, vom Palaste der Signoria Besitz zu nehmen und sich zum Souverän zu machen. Dieser Versuch würde jedoch sehr unglücklich ausgefallen sein, nachdem die Florentiner mit schwerem Gelde vom Könige von Frankreich ihre Freiheit erkauft hatten und noch nicht wußten, wie 210 sie Mittel für diese Kontribution auftreiben sollten, denn überall im Lande herrschte infolge der unruhigen Zeiten Geldmangel.
Wie gewöhnlich in solchen Zeiten wendete man sich an die reichen jüdischen Geldleute, und als diese sich bereit zeigten, die erforderliche Summe zu beschaffen, trat die übliche Folge ein, daß man die Juden des Wuchers beschuldigte und gern einen Vorwand gefunden hätte, um ihnen ihr Geld ohne Rückerstattung abzunehmen. Auch Savonarola war ein Feind der Juden und regte den Gedanken an, in Florenz Leihhäuser zu gründen, um auf diese Weise Geld zusammenzubringen. Die reichen Juden aber, welche bisher in Zeiten der Verlegenheit ausschließlich die Gelder besorgt hatten, boten alles auf, um Savonarola zu schaden und seine Unkenntnis in bezug auf Geschäftsangelegenheiten darzuthun. Zwar mußten sie diese Hetzereien schwer büßen, denn das Volk war noch immer für seinen Parteiführer eingenommen. Es entstand ein Aufruhr in Florenz, infolgedessen sämtliche Juden aus der Stadt verbannt wurden. Auch in andern Städten entstanden blutige Unruhen, weil überall während des Krieges die Regierungen Geld bedurften und die Juden dasselbe aufzutreiben suchten. Teils zu ihrer eignen Sicherheit, teils auch, um das aufgeregte Volk zu besänftigen, wurden die üblichen Maßregeln in bezug auf die Juden erneuert und verstärkt.
Namentlich geschah dies in Rom, wo nicht nur strenger als sonst darauf gesehen wurde, daß sie die Nacht im Ghetto zubrachten, sondern auch die Vorschriften in bezug auf ihre Abzeichen erneuert wurden. Sie mußten einen Lappen von gelber Farbe auf der Brust tragen und die Frauen eine Schleife von gleicher Farbe am rechten Ärmel. Gelb war die Pestfarbe auf Schiffen und in Lazaretten, und deshalb betrachteten die vermögenden Juden diese Anordnung als eine unerträgliche Schmach.
Sobald in Rom die neue polizeiliche Verfügung erschien, hielt ein reicher Jude die ganze Bestimmung für eine Geldspekulation und bot dem Papste hunderttausend Scudi, wenn die Anordnung für ihn und seine Familie keine Geltung haben solle. Aber Papst Alexander ließ den bei seinem Volke hochangesehenen Mann öffentlich auspeitschen, und von nun an zweifelte kein Jude mehr an der Ernsthaftigkeit der Vorschriften.
Als Karl VIII. mit seiner Armee in den Kirchenstaat einmarschierte, mußte er bald die Erfahrung machen, wie schwierig es wurde, die Verproviantierung durchzusetzen, denn das Land war durch die ewigen Kämpfe der Colonna und Orsini völlig ausgesogen. In Rom sah man mit Schrecken dem nahenden Feinde entgegen, denn man hatte bereits Wunderdinge von der Organisation der französischen Armee gehört.
Indessen gab es daselbst auch einzelne Personen, welche der Ankunft des Königs von Frankreich um so mehr mit gespannter Erwartung entgegensahen, da sie stille Hoffnungen an dieselbe knüpften und in dem fremden Eroberer den Verteidiger von Rechten ersehnten, welche zu andrer Zeit nicht hervortreten durften. 211 Ähnlich wie das Hans Medici vom Könige die vergeblich erstrebte Souveränität zu erhalten glaubte, so hoffte auch Carlotta von Lusignan, daß Karl VIII. die verhaßten Venezianer demütigen und bei dieser Gelegenheit ihre Ansprüche auf den cyprischen Königsthron zur Geltung bringen werde.
Das entzückend schöne und reiche Cypern war seit langer Zeit ein wahrer Zankapfel. Bald hatte Genua, bald Venedig daselbst die Protektion. Als der König Johann gestorben war, erbte zunächst Carlotta das Anrecht auf den Thron, aber ihr Halbbruder Jakob, der illegitime Sohn ihres Vaters, entriß ihr die Krone. Nachdem sie vergebens versucht hatte, die herrliche Insel wieder zu gewinnen, zog sie sich nach Rom zurück, wo sie unter dem Schutze des päpstlichen Hofes lebte, aber die Hoffnung der Rückkehr auf den cyprischen Thron nicht aufgab. Katharina Cornaro war nur ein Jahr die Gemahlin Jakobs gewesen. Dieser starb; ihr einziger Sohn, der nach Jakobs Tode geboren wurde, lebte kaum einige Jahre. Sie saß als Scheinkönigin so lange auf Cyperns Throne, als Venedig es duldete, aber Carlotta wußte, daß die junge, unerfahrene Frau niemals ein selbständiges Regiment geführt hatte und nur das Werkzeug der venezianischen Signoria war. Sie hatte ihr daher nie gegrollt.
Eines Tages saß nun Carlotta von Lusignan mit Katharina Cornaro, die sich als Gast bei ihr aufhielt, in ihrem Gemache und war mit einer feinen Handarbeit beschäftigt, wie sie die Töchter vornehmer Häuser in den Klöstern erlernten. Katharina Cornaro hatte im Hause ihres Vaters schon als Kind viel mit Künstlern und Gelehrten verkehrt und mancherlei Dinge gelernt, die sie in bezug auf höhere geistige Bildung ihrer Verwandten Carlotta überlegen machten. In ihrer Bescheidenheit bewunderte sie nun die große Geschicklichkeit, mit welcher Carlotta feine Leinenfäden mit ganz dünnem Golddraht zu einer zierlichen Spitzenweberei verflocht. Es war ein hübsches Bild, wie die beiden Frauen so beisammen saßen. Um die Arbeit besser sehen zu können, hatte sich Katharina auf ein Kissen zu Carlottas Füßen gekauert und blickte mit Andacht auf die raschen Bewegungen der Finger ihrer Schwägerin, was jedoch nicht hinderte, daß beide von ganz andern Dingen miteinander sprachen. Carlotta war bedeutend älter als ihre Schwägerin, und da auch die reizende Katharina Cornaro, obgleich äußerlich noch in der vollen Blüte ihrer Schönheit, doch bereits mehr als dreißig Jahre zählte, konnte ihre Schwägerin schon für etwas verblüht gelten, was bei ihrem südlichen Teint, den rabenschwarzen Haaren und Augen wohl bemerkt wurde.
Carlotta war nicht wenig erstaunt gewesen, als sie ganz unerwartet durch den Besuch ihrer Schwägerin überrascht wurde. Sie hatte die gutmütige Katharina niemals gehaßt und war derselben neuerdings infolge des Geständnisses, welches ihr Friedrich von Neapel gemacht hatte, von Herzen zugethan. In einem großen Hause wurden in damaliger Zeit so viele Diener gehalten, daß die Anwesenheit von Katharina Cornaros Gefolge gar keine Belästigung 212 war; Carlotta war daher über deren Besuch sehr erfreut, obgleich sich bald herausstellte, daß der Zweck desselben mit Carlottas Plänen etwas im Widerspruch war, denn letztere setzte auf die Ankunft des Königs von Frankreich große Hoffnungen, und Katharinas Geliebter gehörte dem Hause an, dessen Sturz des Königs Absicht war! Aber in der großen Politik sehen die Dinge oft ganz anders aus, als sie dem Volke erscheinen. Carlotta hatte ihrem Gaste auseinandergesetzt, daß die Ankunft des Königs von Frankreich auch für sie segensreich sein könne, denn wenn derselbe den König von Neapel vertrieb, wurde dessen Stolz gedemütigt, so daß er auch ohne die Aussicht auf die Insel Cypern die Verbindung seines Sohnes mit Katharina billigen werde.
Dann aber, so hatte Carlotta versichert, sei sie selbst entschlossen, den Prinzen Friedrich von Neapel zu adoptieren und auf diese Weise die Wünsche aller Beteiligten vereinigt zu erfüllen! Daß diese Absicht das Verhältnis zwischen Katharina und Carlotta rasch zur herzlichsten Freundschaft gestaltete, war sehr begreiflich.
Katharinas Leben war im Verhältnis zu demjenigen Carlottas ein ruhiges gewesen, denn letztere hatte jahrelang alle Anstrengungen gemacht, um fremde Mächte für ihre Sache zu gewinnen; sie hatte fast immer von ihrem Gatten, Ludwig von Savoyen, getrennt gelebt, und als sie endlich alle Hoffnungen in den Hintergrund drängte und nach Rom übersiedelte, zog ihr Gemahl sich in ein Kloster am Genfer See von der Welt zurück.
Es mochte wohl eine Folge von Carlottas herben Lebensschicksalen sein, daß sie die Liebe des neapolitanischen Prinzen zu Katharina Cornaro begünstigte. Sie selbst hatte in allen ihren persönlichen Neigungen Schiffbruch gelitten und stand ganz allein in der Welt.
»Man sagt oft«, meinte sie, »daß die Männer selten wahrhaft lieben können, indes der König von Frankreich hat in seiner eignen Familie ein überzeugendes Beispiel gesehen. Sein Onkel Philipp von Anjou war mit Bianca von Kastilien vermählt worden, aber er liebte seit langer Zeit ein Fräulein aus der Umgebung seiner Mutter. Bianca ließ dieselbe erdrosseln und hoffte nun den Gemahl für sich allein zu besitzen. Aber sie hatte sich geirrt, denn Philipp betrauerte seine Geliebte solange er lebte und verließ ihre Mörderin völlig.«
»Und hat er den Tod der Geliebten nicht blutig gerächt?« frug Katharina mit blitzenden Augen.
»In Frankreich«, entgegnete Carlotta, »rächt kein Mann eine Kränkung, welche ihm von einer Frau angethan wird. Darum ging Philipp in die weite Welt, sich durch Abenteuer und merkwürdige Erlebnisse zu zerstreuen, aber seine Gemahlin sah er niemals wieder.«
In diesem Augenblicke wurde der Besuch zweier Damen angemeldet, und aus der Art und Weise, wie Carlotta die Ankündigung aufnahm, konnte Katharina bemerken, daß jene Damen sehr angesehene Persönlichkeiten waren. 213 Sie waren in der Sänfte sitzen geblieben, in welcher sie sich hatten tragen lassen. Die Herrin des Hauses ließ sie höflich bitten, sich herauf zu bemühen, da sie über ihren Besuch sehr erfreut sei. Die Besucherinnen waren Madonna Adriana Orsini und die Nichte des Papstes, Lucrezia Borgia, von der jedoch jedermann wußte, daß sie nicht die Nichte, sondern eine Tochter Alexanders VI. war.
Seit der Erwählung des neuen Papstes waren dessen Kinder zu großen Ehren gelangt. Zwar hatte er die feierliche Erklärung abgegeben, daß er sich vom Nepotismus rein halten wolle, aber das war eine jener Förmlichkeiten, welche Rodrigo Borgia von jeher und bei jeder Gelegenheit anzuwenden wußte und welche er selbst niemals ernsthaft nahm.
Als er noch Kardinal war, hatte er seinen Sohn Cäsar auf die Universität zu Pisa geschickt, wo derselbe mit fürstlicher Verschwendung lebte und zuweilen auch die Familie Medici in Florenz besuchte. Ungefähr um dieselbe Zeit war Lucrezia als Kind von elf Jahren bereits mit dem Sohne eines spanischen Großen verlobt worden, der gleichfalls noch nicht fünfzehn Jahre alt war. Diese frühzeitigen Verlöbnisse waren in damaliger Zeit in allen fürstlichen Familien Sitte. Sobald Kardinal Borgia den päpstlichen Stuhl bestiegen hatte, änderte sich vieles. Er machte seinen Sohn Cäsar vorerst zum Erzbischof von Valenzia, mit der Absicht, ihn bald zum Kardinal zu erheben. Lucrezia aber wurde mit einem Grafen Sforza, einem Verwandten des Herzogs von Mailand verlobt, nachdem der Papst das Verlöbnis mit dem jungen Spanier aufgelöst hatte.
Der Graf Giovanni Sforza war Herr von Pesaro und zugleich einer der Condottieri bei der Armee des Papstes. Als Lucrezia eben vierzehn Jahre alt geworden war, wurde sie mit ihm vermählt.
Die Vermählungsfestlichkeiten waren mit solcher Pracht gefeiert worden, daß nicht nur ganz Rom, sondern alle europäischen Höfe darüber in Erstaunen gerieten. Darüber war jetzt gerade ein Jahr vergangen, und Lucrezia hielt sich gegenwärtig in Rom auf, wohin ihr Gatte wegen der bevorstehenden Annäherung des französischen Heeres gerufen worden war.
Natürlich war die gegenseitige Begrüßung zwischen Carlotta und den Frauen eine sehr herzliche.
Carlotta von Lusignan stellte Katharina Cornaro als eine ihrer Freundinnen, eine Marchesa Cypriani aus Padua vor. Voll Neugierde betrachtete Katharina die hübsche Lucrezia, welche ähnliches goldfarbiges Haar wie sie selbst hatte und mit ihren großen klugen Augen voll Bewunderung zu der Fremden hinblickte, denn Katharina war eine Schönheit ersten Ranges, und obgleich Lucrezia Borgia mit höchst einnehmenden Zügen den anmutvollsten Wuchs verband, konnte sie doch den Vergleich mit der schönen Venezianerin nicht aushalten.
Nach verschiedenen Äußerungen konnte man erkennen, wie sehr die beiden römischen Damen gleich allen denjenigen Personen, welche zum päpstlichen Hofe gehörten, mit Furcht und Schrecken der Ankunft des Königs von Frankreich 214 entgegensahen und diesen Monarchen für eine Art Abgesandten der Hölle hielten. Carlotta von Lusignan war eine viel zu kluge und erfahrene Frau, um ihre wahre Meinung zu verraten. Auch forderte die Pflicht der Höflichkeit, daß sie die beiden Damen, welche erst kürzlich in Rom eingetroffen waren und ihr nun einen Bewillkommungsbesuch machten, nicht fühlen ließ, wie sehr sie ihnen und dem ganzen Anhange des Papstes das bevorstehende Strafgericht gönnte.
Man beschränkte sich daher auf Mitteilungen allgemeiner Art, auf liebenswürdige Redensarten und den Ausdruck des Bedauerns über einen Unfall, welcher Madonna Adriana kürzlich betroffen hatte. Dieselbe war nämlich mit ihrer Schwiegertochter Julia Farnese, der erklärten Geliebten des Papstes, von ihrem Schlosse Capo de Monte eines Tages ausgezogen, um sich zu ihrem Bruder, dem Kardinal Orsini, nach Viterbo zu begeben. Etwa in der Entfernung einer Meile von jenem Orte stießen sie auf einen Trupp französischer Reiterei und wurden samt ihrer Begleitung von fünfundzwanzig Personen gefangen genommen und nach Montefiascone geführt. Erst nachdem sich der Papst direkt an den König gewendet und dreitausend Dukaten Lösegeld bezahlt hatte, wurden die Frauen freigelassen und mit einer Bedeckung von vierhundert Franzosen bis an die Thore Roms gebracht.
Dieses Ereignis also bildete einen Hauptgegenstand des Gespräches der vier Damen, wobei Madonna Adriana nicht unterließ, die galante Lebensart der französischen Herren zu rühmen.
Bald darauf verabschiedeten sich Adriana Orsini und Lucrezia Borgia. Erstere schlug dabei einen bekümmerten Ton an, indem sie der Königin Carlotta, welche von den Damen mit »Majestät« angeredet wurde, mitteilte, sie würden wohl nun für längere Zeit von allem Verkehre abgeschnitten sein, da sie in der Engelsburg Aufenthalt nehmen müßten, weil Seine Heiligkeit beschlossen habe, sich während des Einzuges der Franzosen dorthin zu begeben.
»Und Ihr werdet diesen traurigen Aufenthalt teilen?« frug Carlotta.
»Wie wäre dies anders möglich«, erwiderte Adriana, indem sie seufzend die Augen verdrehte, »in solcher gefahrvollen Zeit würde der Papst sich zu unglücklich fühlen, wenn die ihm zunächst stehenden Personen sein Schicksal nicht mit ihm teilen wollten. Und kann es ein erhebenderes Bewußtsein geben, als dem Stellvertreter Gottes zur Seite zu stehen und ihm Trost zu gewähren, wenn er unter der Sündhaftigkeit andrer Menschen leidet?«
Carlotta stimmte diesem Ausspruche bei und setzte hinzu, sie habe nicht nötig, die Damen der Gnade Gottes zu empfehlen, da diese ihnen bei solchem Entschlusse unmöglich fehlen könne.
Kaum hatten die beiden Besucherinnen den Palast verlassen, so gab Carlotta ihrem Gast einige Erläuterungen zu dem Gespräche. Sie kam dabei auch auf den Überfall, von welchem die päpstliche Freundin erzählt hatte. Wenn die Franzosen klug gewesen wären, meinte Carlotta, so würden sie Madonna 215 Julia und Madonna Adriana nicht so leichten Kaufes hergegeben haben, denn diese Frauen seien das Herz und die Augen des Papstes und würden als die besten Geiseln gedient haben, um Seine Heiligkeit zu allem, was man wünschen konnte, zu zwingen, da er ohne sie nicht leben könne und statt dreitausend Dukaten mehr als fünfzigtausend bezahlt hätte, um sie wieder zu erlangen. Ferner erzählte Carlotta, man habe sich in ganz Rom darüber aufgehalten, daß Seine Heiligkeit den Damen in vollständig weltlicher Kleidung entgegengegangen sei, als sie sich nach jenem peinlichen Erlebnisse zu seiner Begrüßung im Vatikan einfanden. Er habe ein schwarzes Wams mit Borten von Goldbrokat und einen schönen Gürtel nach spanischer Mode getragen, dazu Degen und Dolch, spanische Stiefeln und ein samtnes Barett. Sie setzte hinzu, der Papst sei allerdings, trotz seiner sechzig Jahre, noch immer ein schöner, stattlicher Mann, aber sein Betragen entweihe sein hohes Amt, und er sei eine Hauptursache des Einzugs der Franzosen, weil die Kardinäle Julius von Rovere und Ascanio Sforza selbst den König von Frankreich aufgefordert hätten, ein Konzil zu berufen, um Alexander seiner Würde zu entsetzen, die er nur durch Bestechung errungen habe und durch sein ausschweifendes Leben fortwährend entheilige. Sein erbittertster Feind sei der Kardinal Julius von Rovere. Wohl habe Karl VIII. sich bereits vorher als den rechtmäßigen König von Neapel betrachtet, er habe jedoch längere Zeit geschwankt, bevor er sich entschloß, diese Rechte mit den Waffen zu verteidigen. Ludwig Moro habe ihn wiederholt dazu aufgefordert, aber erst, als der Kardinal von Rovere ihn in Lyon persönlich ermutigt, den Krieg gegen Rom und Neapel zu wagen, führte er seine Heere in die Lombardei.
Noch waren die beiden Damen im lebhaften Gespräche vertieft, als ein neuer Besuch sie überraschte.
Diesmal aber konnte Carlotta dem Diener nicht erst den Auftrag geben, den Ankommenden einzulassen, denn letzterer überschritt bereits die Schwelle und wartete kaum, bis der Diener sich entfernt hatte, um Carlotta flüchtig die Hand zu küssen und dann die in freudiger Erregung aufgesprungene Katharina in seine Arme zu schließen.
Es war Prinz Friedrich von Neapel, welcher in Asolo nicht gedacht hatte, daß die Ereignisse sich so gewaltig drängen würden. Zwar hatte er damals gehofft, daß der Plan einer heimlichen Verbindung mit der Geliebten gelingen werde. Seine Vorkehrungen waren derart getroffen, daß er mit Sicherheit glaubte, wenige Tage nach Katharinas Abreise ihr nach Rom folgen zu können, aber es waren drängende Umstände eingetreten, die ihn so rasch an den Hof seines Vaters nach Neapel riefen, daß er kaum Zeit finden konnte, die Geliebte in Rom zu begrüßen. Mit fliegender Hast erzählte er den Damen, daß er soeben aus dem Vatikan komme, wo er mit dem Papste Wichtiges verhandelt habe. Sein Vater, König Ferdinand, sei schwer erkrankt, und sein Bruder Alfons befinde sich an der Spitze der Armee, welche den Anmarsch der Franzosen erwarte. 216 Der Generalkapitän Orsini, welcher mit dem Prinzen Alfons in einer Art verwandtschaftlichem Verhältnisse stehe, da er eine natürliche Tochter desselben zur Frau hatte, sei bemüht gewesen, den Papst zur Parteinahme für Neapel zu gewinnen, aber vor wenig Augenblicken habe Alexander VI. erklärt, er gedenke gütlich mit Frankreich zu unterhandeln.
»Niemals«, so setzte der junge feurige Prinz hinzu, »hätte ich es für möglich gehalten, daß Italien so zerklüftet und uneinig sein könne, wie es jetzt sich zeigt. Das Haus Aragon steht allein einem riesenstarken Feinde entgegen, dem sich alle Wege öffnen, um uns zu Lande und zur See zu überfallen.« Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, wendete er sich wieder zu Katharina, die er stürmisch an seine Brust zog. »Wie tief beklage ich es«, sagte er zu ihr, »daß ich dein Schicksal, geliebtes Wesen, mit dem meinigen verknüpft habe. Verzeihe mir um der heißen Liebe willen, welche die Schuld an jeder Übereilung trägt, die ich dir gegenüber beging. Harre aus nur noch kurze Zeit, so wird und muß sich das Schicksal unsrer Zukunft entscheiden. Entweder falle ich im Kampfe gegen den Feind meines Landes oder ich kehre wieder, um mich allen Hindernissen zum Trotz auf ewig mit dir zu verbinden.«
»Sorge nicht«, entgegnete Katharina, »daß ich jemals bereuen werde, deiner Liebe vertraut zu haben. Verdanke ich dir doch die einzigen wahren Lichtblicke meines Lebens, das in öder Eintönigkeit dahin geschwunden sein würde, wenn du nicht vor meinen Augen erschienen wärest. Aber sprich, hast du nicht erfahren, wie man in Venedig die Nachricht von meiner Flucht aufnahm und ob man ahnt, wo ich mich jetzt befinde?«
»So viel ich weiß, ist sowohl der Senat wie auch die ganze Familie Cornaro in großer Entrüstung, aber niemand ahnt deinen Aufenthalt«, entgegnete Friedrich. »O, teure Freundin«, sagte er dann, indem er sich zu Carlotta von Lusignan wendete und ihr dankbar die Hand drückte, »gewährt uns auch ferner Euren Schutz und ich hoffe, wir werden Euch dereinst unser höchstes Lebensglück danken können. Ich darf keinen Augenblick länger verweilen, denn schon steht mein Gefolge gerüstet, um mit mir nach Neapel aufzubrechen. Lebe wohl, Katharina –« und er schloß die Geliebte noch einmal fest und innig an seine Brust – »lebt wohl, edle Frau, die unsrer Liebe als Schutzgeist zur Seite steht. Wäre ich ein einfacher Edelmann, wie viel glücklicher könnte ich sein als nun, da mich das Geschick an die Seite eines Thrones stellte! Aber die wahre Liebe überwindet alles und sie wird auch uns zu einem glücklichen Ziele führen.«
Nach diesen Worten stürmte er fort, und sein Auge sah nicht mehr, daß die schöne Katharina Cornaro ihr von Thränen überströmtes Gesicht an Carlottas Busen verbarg, während diese mitleidig ihre Arme um die Weinende schlang. 217