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Wer hätte in dem ernsten, im gereiften Alter stehenden Manne, der im Kloster San Marco zu Florenz durch seine eindringliche Beredsamkeit Aufsehen erregte, den einst so schüchternen Girolamo Savonarola wieder erkannt! Er war damals zu Bologna in den Orden der Dominikaner eingetreten, weil das träge Leben der Beschaulichkeit, wie es von Mönchen andrer Orden geführt wurde, seinem strebenden Feuergeiste nicht entsprach. Als Dominikaner konnte er öffentlich wirken, konnte er Jugendlehrer oder Volksprediger werden, und er widmete sich diesem erwählten Berufe mit dem hingebenden Eifer des begeisterten Propheten. Schon in Bologna hatten seine Vorgesetzten das große Talent und die reichen Kenntnisse, welche er besaß, richtig erkannt und ihn zum Lehrer der Philosophie an der Schule, welche mit dem Kloster, dem er angehörte, verbunden war, bestimmt.
Savonarola bemerkte bald, daß er gegen mancherlei Hindernisse und eigne Mängel anzukämpfen habe, wenn er durch seine öffentlichen Vorträge auf das große Publikum wirken wolle; sein Organ war schwach und dabei von hartem Klange, es fehlte seiner Vortragsweise die einschmeichelnde Grazie, und da er in der ersten Zeit seines Klosterlebens sich die strengste Enthaltsamkeit auferlegt hatte, war sein Körper geschwächt und zu großen geistigen Anstrengungen wenig geeignet. Seine Schüler bewunderten den Geist ihres neuen Lehrers, aber so oft die Vorgesetzten den Versuch machten, ihn von der Kanzel herab zu einem größeren Publikum reden zu lassen, wurde der Zweck verfehlt.
Da entschloß sich Savonarola, die Mängel, die ihm anhafteten, durch außerordentliche Anstrengung seiner moralischen Kraft zu besiegen; er zog sich für mehrere Jahre von jeder öffentlichen Wirksamkeit zurück und widmete sich ganz rednerischen Übungen, um seiner Stimme Geschmeidigkeit und seinem Vortrage Wirkung zu geben. Was die Natur ihm versagt hatte, das erreichte er durch unermüdliche Ausdauer und unbeugsame Willenskraft. Als er dann wieder den Versuch machte, öffentlich zu predigen, glaubten die Zuhörer kaum, daß es derselbe 118 Mensch sei, wie der frühere Mönch, denn sie vernahmen eine starke, wohlklingende und modulationsfähige Stimme, einen imponierenden und feurigen Vortrag, der zur Bewunderung hinriß und die Herzen der Hörer dem Prediger gewann. Dieser selbst hatte bereits soviel Selbstüberwindung gewonnen, daß er in tiefster Demut gegen Gott die Veränderung, welche mit ihm vorgegangen war, nicht als sein eignes Verdienst betrachtet wissen wollte, sondern sie einem Wunder zuschrieb, durch welches der Himmel ihm seinen Beruf gezeigt habe.
Von nun an widmete sich Savonarola ausschließlich der Predigt. Ein unwiderstehlicher Trieb führte ihn fortwährend zur öffentlichen Bekämpfung derjenigen Übelstände, welche so vielfach im Staate und in der Kirche immer verhängnisvoller hervortraten. Seinem prophetischen Geist entsprechend, legte er vorzugsweise Stellen aus der Offenbarung des Johannes seinen öffentlichen Vorträgen zu Grunde. Bald verbreitete sich sein Ruf in Bologna und der ganzen Umgebung, und jedermann wollte ihn hören.
Noch wußten seine Jugendfreunde nicht, daß der gewaltige Bußprediger derselbe Mann sei, mit dem sie als Jüngling freundschaftlichen Umgang gepflogen hatten. Aber es währte nicht lange, so verbreitete sich sein Ruf überall, und auch in der Familie Bentivoglio begann man aufmerksam auf den berühmten Mönch zu werden. Schon war der gelehrte Dominikaner oft von andern Städten eingeladen worden, sich daselbst hören zu lassen, und er hatte wiederholt solchen Aufforderungen Folge geleistet, als er sich plötzlich entschloß, Bologna zu verlassen, um sich einen größeren Wirkungskreis zu suchen. Erfüllt von seinem inneren Berufe wurde ihm der Abschied nicht schwer. Von seinem Bruder Marco Aurelio trennte er sich mit Worten des festen Vertrauens auf die Zukunft. Bescheiden wie immer ging er zu Fuß nach Florenz und trat dort in das Kloster San Marco, wo sein Name bereits längst bekannt war und seine Ankunft mit Freuden begrüßt wurde.
Dieses Kloster gehörte damals seit kaum fünfzig Jahren den Dominikanern, denen es Papst Eugen IV. zugewiesen hatte. Es bestand allerdings über 150 Jahre und war ursprünglich als Zufluchtsort für Asketen von Valombrosa gegründet worden. Diese Mönche waren jedoch nach und nach in schlechten Ruf gekommen, und daher wurde das Kloster den Dominikanern, welche durch ihre öffentlichen Predigten als wirksame Waffe des Papsttums galten, übergeben. Die Medici hatten das Kloster stets mit Wohlthaten und Geschenken bedacht, dafür aber auch eine Art von Superiorität aufrecht erhalten.
Das Kloster war zu jener Zeit bereits ein stattlicher Bau. Zwei Höfe wurden von den Gebäuden umschlossen. Nach der Straßenseite zu befand sich die Kirche, die viele Kostbarkeiten und Reliquien enthielt; im Kloster selbst waren ein größeres und ein kleineres Refektorium, eine Kapelle und die Wirtschaftsräume. Im oberen Stockwerk reihte sich Zelle an Zelle, und außerdem befand sich daselbst die Bibliothek, welche Cosmus von Medici gestiftet hatte. 119 Alle diese Räume wurden mit Wandgemälden von den bedeutenden Meistern in der Malerei Fra Bartolomeo und Domenico Ghirlandajo geschmückt, denen Fra Angelico (da Fiesole) schaffend vorausgegangen war, so daß die Mönche stets Werke wahrer Frömmigkeit in der Kunst zur Nacheiferung vor Augen hatten.
In jener wilden und zerrütteten Zeit, wo der Eigennutz alle edlen Gefühle zurückdrängte, bot das friedselige Leben im Kloster San Marco zu Florenz ein erhebendes Bild selbstloser Hingabe an einen edlen Zweck.
Wohl schweiften die Mitglieder andrer Mönchsorden vielfach in den Straßen der Stadt umher, und wenn das Volk auch vor ihrem geistlichen Gewande noch immer den anerzogenen Respekt bewahrte, wurde ihr schamloses Verhalten im einzelnen doch vielfach getadelt und oft genug sogar öffentlich gerügt. Die Dominikaner von San Marco aber hatten sich die nützliche Aufgabe gestellt, die Jugend zu unterrichten, und strebten außerdem danach, durch Predigten das Volk zu belehren. Als das Oberhaupt der Kirche seine Zustimmung zur Stiftung dieses Ordens gab, geschah dies in der festen Überzeugung, daß die Dominikaner eine der besten Stützen des heiligen Stuhles werden sollten, und es kam dem damaligen Papste nicht in den Sinn, daß dieser Orden selbst eine Macht werden könne, welche ihren Einfluß auf das Volk auch einmal gegen 120 das Papsttum richten werde. War es doch in den letzten Jahrhunderten selbst innerhalb der Geistlichkeit schon oft zur Sprache gekommen, daß die Pflicht gegen die Kirche nichts mit dem Gehorsam gegen die päpstlichen Anordnungen zu thun habe, sobald der Papst sein heiliges Amt zu weltlichen Zwecken mißbrauche. Gerade diese Ansicht fand unter den Dominikanern und besonders bei Savonarola eifrige Vertretung. Es währte nicht lange, so predigte der neue Bruder zu San Marco unverhohlen gegen die unleidlichen Übelstände der Kirche und das Papsttum.
Wohl mochte der bescheidene Mönch, dessen klarer Geist sich nicht durch die Furcht vor irdischer Macht beirren ließ, ein Wunder darin erkennen, daß ihm die Gewalt der Rede nun in unwiderstehlicher Weise verliehen war. Die jüngeren Mönche des Klosters San Marco drängten sich um ihn und verehrten schon nach kurzer Zeit in ihm den Führer und Lenker ihrer eignen Bestrebungen. War es doch für sie Herzenssache, daß sie sich um einen Mann scharen konnten, welcher mit Unerschrockenheit von den veralteten Formeln abwich und ein freies Wort gegen die Mißbräuche der Kirche zu reden wagte.
Anstatt, wie sonst unter eintönigen Gesprächen in den Hallen der Kreuzgänge umher zu wandeln, oder einsam ihre regelmäßigen Gebete zu sprechen, versammelten sie sich jetzt stundenlang im Klostergarten, um den bewunderten und geliebten Bruder Girolamo zu hören, der ihnen über verschiedene Stellen aus der Heiligen Schrift Vorträge hielt und ihren Geist aus dem dumpfen Hinbrüten aufrüttelte. In dem friedlich gelegenen Garten hinter dem Kloster gab es eine Stelle, die bald zu bestimmten Stunden als Sammelort für die Freunde und Hörer Savonarolas galt. Ein mächtiger persischer Rosenstrauch rankte sich dort zwischen Lorbeergebüsch zu beträchtlicher Höhe empor und trug das ganze Jahr hindurch seine würzigen Blüten. Unter diesem herrlich duftenden Strauche hielt Savonarola seine Vorträge, und außer den jungen Dominikanern verschafften sich bald auch angesehene und gelehrte Männer aus der Stadt den Eintritt, um den Worten des vielbesprochenen Mönches zu lauschen. Ein freies Wort war damals eine so seltene und den Geist erfrischende Gabe, daß der kühne Klosterbruder immer mehr Anhänger fand und anregende Keime unter den denkenden Menschen in der Stadt ausstreuen konnte. Nach und nach sprach er seine Andeutungen nachdrücklicher und verständlicher aus; er tadelte den Eigennutz und die Selbstsucht der Großen, namentlich aber deutete er auf die Mißbräuche hin, welche in letzter Zeit alle hohen und einflußreichen Stellen in der Kirche käuflich gemacht hatten. Keineswegs wollte Savonarola die Einrichtungen der Kirche selbst tadeln, aber er prophezeite die schlimmsten Folgen, wenn der Wucher mit den heiligsten Gütern der Menschheit nicht aufhöre und die Großen der Erde nicht endlich einsehen wollten, daß sie Buße thun und das Wohl ihrer Unterthanen im Auge behalten müßten. Mit einer Bestimmtheit, die in den Zuhörern gar keinen Zweifel aufkommen ließ, verkündete er ein göttliches Strafgericht, welches über Italien hereinbrechen und die schlimmen Laster der Großen an diesen rächen werde.
121 Wenn ein hervorragender Geist in irgend einer Richtung die Aufmerksamkeit auf sich zieht und viel von sich reden macht, erweckt er zuerst das Interesse gleichgesinnter Menschen, die sich seinen Bestrebungen mit ernster Teilnahme anschließen. Hat er aber allgemeine Geltung erlangt, und ist es dahin gekommen, daß sein Name in jedem Munde ist, so schließt sich den denkenden und verständigen Menschen auch der ganze Troß unselbständiger Geister an, denn nun auf einmal will keiner zurückbleiben, wenn es sich darum handelt, den einflußreich gewordenen Führern der Gesellschaft nachzufolgen. Auf diese Weise wird häufig die Anerkennung der betreffenden Größe zur leeren Modethorheit, und die Eitelkeit der Bewunderer macht sich breit, indem sie sich dem Gefolge des Modehelden anschließt. Dies findet namentlich unter den Frauen vielfach statt. Es ist den meisten vollkommen gleichgültig, ob es sich um einen neuen Hut, ein neues Musikstück oder einen Prediger handelt, wenn es nur etwas ist, was allgemeines Aufsehen erregt, viel besprochen wird und Menschen aller Art anzieht. Es währte nicht lange, so drängte sich der eitle Schwarm solcher Modenärrinnen auch zu Savonarolas Predigten, und seine Gegner begannen bereits, ihm den leidigen Titel eines Damenpredigers beizulegen.
Sein Ruf hatte bald die nächste Umgebung der Stadt Florenz weit überschritten. Ein Mönch, welcher es wagte, furchtlos gegen die Mißbräuche der päpstlichen Gewalt, gegen die Unthätigkeit der Klosterbewohner und gegen den Luxus in den Palästen der Machthaber zu eifern, war eine hochinteressante Erscheinung, die jeder kennen lernen wollte.
Man stritt sich in den näher gelegenen italienischen Städten um seinen Besuch, und obgleich er jedes Aufsehen, das seiner Person galt, vermied, konnte er doch nicht umhin, im Interesse der guten Sache zuweilen in auswärtigen Städten zu predigen. Auch von Bologna aus war wiederholt der Ruf an ihn ergangen, so daß er endlich den Bitten seiner dortigen Anhänger nachgeben und einige Zeit daselbst verweilen mußte.
Selbstverständlich machte die Anwesenheit des berühmten Buß- und Strafpredigers großes Aufsehen, und seine Predigten wurden von zahlreichen Personen jeden Alters und Standes besucht. Es gehörte zum guten Ton, den gefeierten Dominikanermönch zu hören, denn sein Auftreten wurde lebhaft besprochen, und nach und nach kamen auch seine an diese Stadt sich knüpfenden Lebensschicksale in das Gedächtnis früherer Freunde zurück.
So erinnerte sich auch die Gemahlin des Podesta Hippolyt Bentivoglio, die als Orsola Cantarelli einst ihr leichtfertiges Spiel mit Savonarola getrieben hatte, dieses längst vergessenen Vorganges, und sie bildete sich ein, gerade sie sei verpflichtet, dem Predigermönche ihre Protektion zu schenken, um demselben auf diese Weise eine Art Genugthuung zu geben und sich zugleich als Beschützerin freier geistiger Erhebung in ein recht glänzendes Licht zu setzen. Sie beschloß daher, seine Vorträge im Dome zu besuchen, und dies in einer Weise zu thun, 122 welche dem Publikum recht auffällig zeigen solle, daß sie, die angesehene Dame, diesem armen Mönche seiner geistigen Vorzüge wegen gewogen sei. Sie forderte daher die Damen und Edelfräulein aus ihrem Kreise auf, sie zu den Predigten Savonarolas zu begleiten und sich vorher bei ihr zu versammeln. Die Damen hatten allen Grund, sich der Gemahlin des Podesta gefällig zu zeigen, und fanden sich bei ihr zur festgesetzten Stunde im vollen Putze ein. Orsola war sehr munter und gesprächig. Sie erzählte unter Scherzen und Lachen, daß Savonarola einst ihr Anbeter gewesen sei und ihr seine Liebe erklärt habe.
Inzwischen hatte die Glocke zur Predigt geläutet, und einige der Damen gaben Zeichen der Ungeduld, die aber von Orsola gar nicht beachtet wurden, denn sie plauderte unbekümmert fort. Endlich brach sie auf, ging mit ihrem Gefolge nach dem Dome, trat dort rücksichtslos ein und verfügte sich mit pomphaftem Geräusche in die vordersten Reihen.
Ihr Eintritt störte nicht nur die Zuhörer, sondern wurde auch von Savonarola bemerkt. Dieser erkannte die Dame auf den ersten Blick, aber ihr Erscheinen weckte auch nicht die geringste Regung früherer Empfindungen in ihm, denn sein Herz war gestählt gegen den Eindruck irdischer Angelegenheiten. Es verdroß ihn nur, daß die eintretenden Frauen die Andacht seiner Zuhörer abgelenkt hatten. Gelassen und ruhig unterbrach er einen Augenblick seine Rede und richtete an die angekommenen Damen die Bitte, wenn sie wieder seine Predigt hören wollten, möchten sie bei Beginn derselben eintreten und nicht durch späteres Erscheinen Ärgernis geben. Orsola that gar nicht, als ob diese Mahnung an sie gerichtet sein könne, denn sie dünkte sich viel zu angesehen, als daß ein derartiger Tadel sie treffen könne. Sie blieb bis zum Schlusse der Predigt und verließ dann mit ihren Begleiterinnen schwatzend und niemand sonst beachtend die Kirche.
Wenige Tage darauf predigte Savonarola abermals, und Orsola hatte die Dreistigkeit, ganz dasselbe Manöver wieder auszuführen. Ihrer Thorheit war nur daran gelegen, sich als Protektorin des vielbesprochenen Mönches zu zeigen. Sie hatte ein schweres kostbares Kleid angezogen, und als sie mit den andern vornehmen Damen durch die Kirche schritt, machte das Geknitter der reichen Stoffe soviel Lärm, daß wieder die ganze Andacht gestört wurde.
Abermals warnte sie Savonarola von der Kanzel herab, und wieder that sie, als seien seine Worte gar nicht an sie gerichtet.
Unter ihren Freundinnen sowie bei andern Bekannten gab sie sich den Anschein, als habe sie das lebhafteste Interesse für die Vorträge des kühnen Predigers; ihrem Gatten gegenüber verschmähte sie sogar nicht, sich damit zu brüsten, daß die ruhmreiche Laufbahn Savonarolas eigentlich ihr Werk sei, da die Liebe zu ihr ihn in das Kloster getrieben habe.
Als Savonarola zum drittenmale in Bologna predigte, wiederholte das eitle und auf ihre Stellung stolze Weib Bentivoglios die für Alle lästige Störung. 123 Ihr war es lediglich darum zu thun, selbst bemerkt zu werden, und in ihrer thörichten Eitelkeit glaubte sie sich zur Beschützerin aller geistigen Bestrebungen in der Stadt aufwerfen zu müssen.
Aber Savonarolas Geduld war erschöpft. Mit zornfunkelnden Blicken richtete er seine Gestalt derart auf, daß er von imponierender Größe erschien, als Orsola mit ihrem Gefolge eintrat, und mit laut schallender Stimme sprach er die strafenden Worte.
»Vergeblich habe ich versucht, die Stimme Gottes, welche aus mir spricht, vor Mißachtung zu schützen: die Eitelkeit läßt sich nicht zurückweisen.« Und indem er mit dem Finger geradezu auf die stolz einherschreitende Orsola deutete, fuhr er noch heftiger fort:
»Das ist der Dämon, der da kommt, um das Wort Gottes zu stören.«
Diese strafenden Worte wirkten auf die ganze Gemeinde wie ein Donnerschlag, und Orsola fühlte sich tödlich beleidigt, denn sie sah sich zum Gespötte der von ihr verachteten niederen Menschen gemacht. Sie wendete sich voller Wut und schritt einem Kampfhahne gleich wieder zur Kirche hinaus, hinter ihr das ganze Gefolge der ihr treu gebliebenen Modenärrinnen.
Savonarola setzte seine Predigt ruhig fort, und als er geendigt hatte, umringten ihn viele wohldenkenden Menschen und stimmten ihm ohne jede Rücksicht gegen die Frau des Podesta bei.
Inzwischen war Orsola nach Hause geeilt und sofort in das Zimmer ihres Gemahls gestürmt, der eben mit der Prüfung neuer Waffen beschäftigt war. In fliegender Hast erzählte ihm Orsola, was ihr begegnet war, und verlangte von ihm, daß er die ihr angethane Beschimpfung blutig rächen und den anmaßenden Mönch sofort töten solle. Dazu hatte Hippolyt nicht die geringste Lust, und da seine Gefühle für Orsola schon etwas abgekühlt waren und er ihr Betragen gegen Savonarola durchaus nicht gut heißen konnte, weigerte er sich, ihrem Wunsche zu willfahren und sagte:
»Willst du dich an ihm rächen, so thue es selbst, denn kein verständiger Mann wird in diesem Falle der Thorheit eines Weibes ein solches Opfer bringen wollen. Savonarola ist der Liebling des Volkes, und sein Leben wiegt in diesem Augenblicke vielleicht schwerer, als das unsrige. Unterdrücke deinen Groll und bedenke, daß du seinen Zorn durch dein unkluges Betragen verdient hast.«
Orsola bebte vor Wut, aber es blieb ihr nichts übrig, als dem Mönche innerlich Rache zu schwören und vorläufig der Welt gegenüber eine gleichgültige Miene anzunehmen. Der kühne Prediger verließ darauf Bologna.
Während Savonarolas Abwesenheit war im Kloster San Marco zu Florenz der Tod des Priors erfolgt, und es handelte sich um die Wiederbesetzung der Stelle. Die Mönche beschlossen unter sich, den unerschrockenen und so sehr alle anderen überragenden Bruder Girolamo zum Prior zu wählen. Ihm war im Kloster die Verehrung fast sämtlicher jüngeren Mönche zugewandt, und auch unter 124 den älteren waren einige seine Anhänger, die ihm mit Liebe und Achtung zugethan waren. Viele darunter würden gern ihr Leben für ihn gelassen haben. Diese waren es hauptsächlich, welche seine Wahl zum Prior durchsetzten, und als er wieder in das Kloster zurückkehrte, wurde ihm die neue Würde feierlich angetragen. Auch in diesem Vorgange sah der bescheidene Mann wieder nur einen Fingerzeig Gottes, und er fügte sich dem Wunsche der Mönche.
Nun war es seit langer Zeit Gebrauch, daß die neu ernannten Prioren dem Haupte des Hauses Medici ihre Aufwartung machten, um damit anzudeuten, daß sie gleichsam ihre Würde von ihm empfangen hätten. Girolamo that dies nicht, denn sein strenger Sinn sah in Lorenzo von Medici einen Usurpator, der sich die Herrschaft über die Republik angemaßt und überdies durch seine Verschwendung und seinen weltlichen Sinn jedes Recht auf seine Hochachtung verscherzt habe. Vergeblich wartete Lorenzo einige Zeit auf den Besuch des neuen Priors, und es war ihm im höchsten Grade peinlich, daß dieser dem üblichen Gebrauche sich nicht fügen wollte. Mehr noch fühlte sich seine Gemahlin Clarissa, die stolze Tochter des Hauses Orsini, durch diese Unterlassung des Mönches gekränkt. Sie sowohl wie ihr Gemahl sahen ein, daß hier durch Gewalt nichts auszurichten sei, denn Girolamo war der Liebling des Volkes und sein unbeugsamer Mut war allgemein bekannt.
Im Hause Medici befanden sich eine Anzahl von Vertrauensmännern, welche ursprünglich die kaufmännischen Geschäfte leiteten, dann aber auch von Lorenzo in Staatsangelegenheiten verwendet wurden.
Zwei von diesen, Pietro de Bibiena und Domenico Bonti, schickte er zu dem widerspenstigen Mönche, um ihn in freundschaftlicher Weise zur Änderung seiner Gesinnung zu bewegen. Die Abgesandten machten Savonarola darauf aufmerksam, welche Vorteile das Kloster durch Lorenzos Freigebigkeit habe, und daß dieser eigentlich die Wahl des Priors bestätigen müsse, aber Girolamo sagte zu ihnen, er verdanke seine Würde Gott und keinem Sterblichen.
Die Sache war für Lorenzo ganz unerträglich, denn Savonarola trat durch seine Weigerung ohne Scheu als sein Gegner auf. Er machte einen weiteren Versuch, durch einen geheimen Abgesandten auf Girolamos Entschluß einzuwirken. Der Mann, der durch seine Predigten das Volk ganz nach seinem Willen lenkte, mußte gewonnen werden. In Lorenzos Namen bot ihm Leonardo Rucellai wertvolle Geschenke, aber Savonarola wies dieselben mit Verachtung zurück.
Noch einmal schickte Lorenzo eine Gesandtschaft, um dem hartnäckigen Mönche auseinanderzusetzen, daß sein Verhalten Zwietracht säen und Parteiungen in der Stadt herbeiführen werde, so daß zuletzt sein eignes Verweilen daselbst unmöglich werde. Girolamo entgegnete hierauf. »Lorenzo selbst mag gehen, ich aber muß bleiben, denn nicht ich bringe der Stadt Unheil, sondern er.«
Wie die Verhältnisse in Florenz lagen, durfte Lorenzo nicht auf dieses Vorrecht, welches er dem Prior gegenüber besaß, verzichten, wollte er sich in 125 den Augen der Volksmenge nicht um alles Ansehen bringen. Er selbst schätzte übrigens den geistvollen und kühnen Gegner hoch und fühlte innerlich das Bedürfnis, Hand in Hand mit ihm zu gehen.
Endlich machte er daher den letzten Versuch. Er kam selbst in das Kloster, um den Starrsinn Savonarolas zu brechen. Wenn er früher San Marco besuchte, wurde er im Kreuzgang von dem Prior und den ältesten Mönchen feierlich empfangen, aber Girolamo that dies nicht, und Lorenzo mußte endlich einsehen, daß jeder Versuch, diesen unbeugsamen Charakter zu besiegen, vergeblich sein werde.
Wir müssen bei diesem Ereignisse einen Augenblick verweilen, um die Bedeutung desselben in das Auge zu fassen. Lorenzo von Medici war einer der hervorragendsten Männer seiner Zeit, und seine geistigen Bestrebungen erhielten durch seine kaufmännische Stellung, die ihm fortwährend die größten Summen zur Verfügung stellte, die großartigste Förderung. Es gab Herrscher, welche der Kunst huldigten, andre, die politischen Ehrgeiz hatten, und wieder andre, welche große Reichtümer besaßen, aber Lorenzo vereinigte dies alles, und sein Stern war im Begriffe, alle andern zu überstrahlen.
Die Künste, die bei uns doch immer nur ein besonderer Schmuck des Lebens sind, ohne den man sich allenfalls behelfen kann, bildeten in Florenz fast ein unentbehrliches Stück Leben. Man dichtete und sang, und ein geistvolles Gespräch wurde als ein Genuß betrachtet, gleich einem frischen Bade. Und wie liebten die Florentiner ihre Stadt! Was sich daheim ereignete, interessierte sie mehr, als alles übrige in der Welt.
Für ein solches Volk war Lorenzo von Medici bisher ein unübertreffliches Vorbild gewesen; hatte er doch im Garten des Klosters von San Marco eine Art Kunstmuseum gegründet, wo antike und neue Skulpturen für lernbegierige Kunstschüler aufgestellt waren. Und dieses Museum wurde die Veranlassung, daß der talentvolle Michelangelo Buonarotti, der bisher heimlich gegen den Willen seines Vaters der Malerei gehuldigt und es durchgesetzt hatte, daß er als Lehrling zu Domenico Ghirlandajo kam, auch bei diesem in der Bildhauerkunst sich versuchte. Er war nämlich durch seinen Freund Francesco Granorecci, der gleichfalls ein Schüler Ghirlandajos war, in den Garten von San Marco eingeführt worden und machte dort zuerst den Versuch mit einer Faunmaske, durch welche Lorenzo Medici auf ihn aufmerksam wurde und es bei seinem Vater durchsetzte, daß er den Sohn im Mediceerpalaste wohnen ließ. Damals geschah es, daß Torrigiano, einer der Mitschüler des Michelangelo, diesem die Nase durch einen Faustschlag zerschmetterte. Michelangelo sollte ihn gereizt haben, doch wird anderseits behauptet, es sei der bloße Neid gewesen. Er wurde damals für tot nach Hause getragen. Torrigiano, der ein roher Mensch war, mußte flüchten und durfte lange Jahre nicht nach Florenz zurückkehren. Bis nach Lorenzos Tode blieb Michelangelo als dessen Schützling und Günstling in seinem Palaste und studierte die reichen Kunstschätze, welche sich dort befanden. Auch hatte 126 Lorenzo dem Vater des Künstlers, dessen Vermögensverhältnisse zurückgegangen waren, eine kleine Anstellung verschafft, und ihn dadurch völlig mit der Laufbahn seines Sohnes ausgesöhnt. Solche Fälle bewiesen, wie Lorenzo seine Kunstliebe bethätigte. In den Studien, wie sie damals unter seinem Einfluß in Florenz betrieben wurden, zeigt sich das schöne Beispiel einer Kunstakademie, die gute und reichliche Früchte trug. Die Kunst wird immer erniedrigt werden, wenn Fürsten aus äußerlichen Rücksichten und nicht aus eigener Neigung und einem Seelenbedürfnis sie zu heben versuchen. Lorenzo von Medici war selbst tief in die klassischen Studien eingeweiht. Er konnte die Jünglinge mit eigenem Blicke auswählen, er bestellte die Lehrer, verfolgte die Fortschritte und erkannte aus den Versuchen des Anfängers dessen künstlerische Zukunft. An den Sammlungen, die er ihnen zu Gebote stellte, hatte er selber die größte Freude. Er bot den jungen Leuten in seinem Palaste den Verkehr mit den ersten Geistern Italiens. Für diejenigen Künstler, deren Talent ihn interessierte, war täglich an seinem Tische ein offener Platz, und er zog dieselben in jeder Weise in die Nähe seiner Familie. Und einem solchen Manne wagte der neue Prior von San Marco Trotz zu bieten! Wie die Verhältnisse lagen, war die Weigerung Savonarolas, die Oberhoheit Lorenzos anzuerkennen, eine offene Kriegserklärung, denn seit der Verschwörung der Pazzi war das Haus Medici in Florenz so hoch gestiegen, daß Lorenzo gleichsam unantastbar schien.
Selbstverständlich mußte der kühne Mönch seine feindselige Haltung bei seinen Anhängern motivieren. Er that es, indem er Lorenzo beschuldigte, seine Macht durch unsittliche Mittel zu verstärken. Die Vermählung Magdalenas mit Franceschetto Cybo gab ihm dazu die beste Handhabe. Franceschetto war ein leidenschaftlicher Spieler; er vergeudete oft ungeheure Summen, und jedermann wußte, daß das Geld, das er verspielte, aus dem päpstlichen Schatze kam, also großenteils von den frommen Spenden fremder Pilger, aus den Einnahmen für Ablaß und aus dem Verkaufe der Reliquien. Lorenzo hatte seine Tochter diesem leichtsinnigen Menschen, der öffentlich für den Sohn des Papstes galt, zur Frau gegeben, um sich dem heiligen Vater möglichst nahe zu stellen. Sein zweiter Sohn Johann war darauf trotz seiner großen Jugend Kardinal geworden. Man hielt damals Astrologen fast in jedem großen Hause, und den Kindern wurde bei der Geburt das Horoskop gestellt. Marsilio Ficino, der Astrolog bei Lorenzo, stellte bei der Geburt des kleinen Johann das Horoskop, derselbe werde Papst werden. Der gelehrte Pico von Mirandola hatte längst gegen die Astrologie geeifert und gesagt, der Glaube an Sterne sei die Wurzel aller Gottlosigkeit und Unsittlichkeit. Savonarola war derselben Ansicht. Alles dies zusammengenommen bewirkte bei dem eifrigen Mönche, daß er Lorenzos Kunstliebe und Prachtentfaltung für eitel Blendwerk erklärte und demselben als einem Anhänger heidnischer Anschauungen und Teilnehmer an dem gottlosen Treiben des päpstlichen Hofes offen den Krieg erklärte. 127