Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Sechzehntes Kapitel.
Ein Gottesurteil.

Der schleunige Rückzug Karls VIII. bedeutete keineswegs eine sofortige Auflösung der Okkupation, welche er vollzogen hatte, sondern nur seine persönliche Entfernung vom Kriegsschauplatze. Das junge Italien raffte sich mit jenem Feuereifer auf, welcher dem dortigen Volkscharakter entspricht. Wenngleich solche patriotische Begeisterung gewöhnlich nicht von langer Dauer ist, wirkt sie dafür in ersten Augenblicke mit unwiderstehlicher Kraft. Venedig stand wieder einmal in bewundernswerter Größe da und aufs neue bewährte sich der Ausspruch, daß die Geschichte überhaupt nur drei wahrhaft große Republiken aufzuweisen habe: Sparta, Rom und Venedig. Der französische Feldherr und Geschichtschreiber Philipp von Commines befand sich während des Krieges als Gesandter in Venedig, wo er acht Monate verblieb. Er war dahin gesandt worden, um die mächtige Republik zu einem Bündnis mit Frankreich oder wenigstens zur Bewahrung der Neutralität zu bewegen. Er versprach dafür mancherlei Vorteile, aber die klugen Venezianer trauten einmal diesen Versprechungen nicht und bezweifelten überdies von Anfang an den Erfolg der Unternehmung des Königs. Aber auch der Kronprinz Alfons von Neapel und die Gesandten des Sultans Bajazed, welche beide für Neapel werben wollten, wurden zurückgewiesen und Venedig hatte sich jeglicher Beteiligung am Kriege enthalten, bis endlich nach der Besitznahme Roms die Befürchtung auftrat, daß der König von Frankreich mit dem gewissenlosen Papste Alexander einen Pakt schließen und von diesem die Kaiserkrone erhalten werde. Da erst brachte Venedig die Liga zustande.

Der Herzog von Mailand fiel hauptsächlich von Frankreich ab, weil es Karl VIII. nicht ermöglichen konnte, die Familie Medici in Florenz zu rehabilitieren. Im Einverständnis mit seinem Schwager Maximilian ließ Ludwig Moro in Deutschland zahlreiche Truppen werben, und die Lage der Dinge wurde endlich für die Franzosen bedenklich. So durcheilte Karl VIII. Rom 242 und kam nach Toscana, wo ihm in der Nähe von Florenz abermals Girolamo Savonarola entgegengesandt wurde, um ihn vor Gewaltthätigkeiten zu warnen. Der Prior von San Marco trat in der gewohnten Weise vor den König, indem er sich auf die göttliche Autorität stützte und ihm einen empfindlichen Schlag als Strafe des Himmels vorhersagte, da er seine Warnung nicht befolgt, seine Gesinnungen nicht geändert, den Unordnungen, welche seine Armee in Italien anrichtete, nicht genügend gesteuert und sein Schwert nicht gegen die Ungläubigen, stattdessen gegen die Christen gerichtet habe.

Der König hatte sich nach der siegreichen Schlacht bei Fornuovo in Mantua einquartiert, wo ihn ganz unerwarteter Weise die betrübende Kunde traf, daß der Sohn, welchen ihm Anna von Bretagne erst vor kurzer Zeit geboren hatte, plötzlich gestorben war. Dieser Zufall gab den Drohungen und Ermahnungen Savonarolas ein merkwürdiges Gewicht und erhöhte wieder das Ansehen des Priors bedeutend beim großen Publikum. Der König von Frankreich aber wurde durch diese Nachricht in seinen Hoffnungen sehr zurückgedrängt; er blickte niedergeschlagen in die Zukunft und beeilte umsomehr seine Heimkehr.

Die Zeit war längst verstrichen, in welcher Cäsar Borgia als Geisel dem Zuge des Königs zu folgen hatte. Jedenfalls hatte der thatkräftige Mann seine Zeit gut angewendet. Ehrgeiz und Genußsucht waren die beiden Hebel in Cäsars Wesen. Die Umstände, unter denen sich seine Natur entwickelte, machten ihn zu einem der gefürchtetsten Menschen, die jemals gelebt haben. Gleich den Söhnen aus den größten Fürstenhäusern erzogen und ganz einem solchen gleich geachtet, wußte er doch von Kindheit auf, daß seine Existenz überhaupt eine gesetzlich wenig berechtigte war. Von Anfang an war daher sein ganzes Dasein ein Widerspruch gegen die höchsten menschlichen Gesetze. Er war der Sohn desjenigen Mannes, in dessen Hand die Macht lag, als Stellvertreter Gottes im Himmel und auf Erden zu binden und zu lösen, und doch gab es kein Recht, das der Vater ihm vererben konnte, wenn es ihm nicht vorher als freiwilliges Geschenk verliehen war. Wollte Cäsar die Stellung behaupten, die seine Erziehung und der Wille seines Vaters ihm gegeben hatten, so mußte er dieselbe mit allen Mitteln, die sich ihm boten, befestigen. Gerade die kriegerischen Ereignisse der letzten Zeit hatten ihn gelehrt, worauf es ankam. Die politischen Zustände waren wandelbar und mit ihnen die daraus entstandenen Rechte. Er mußte große Macht gewinnen und sich mit unzerreißbaren Banden an andre Machthaber fesseln, wollte er dauernd feststehen. Zur Erreichung dieses Zieles sollte ihm der Einfluß seines Vaters dienen. Wo jemand einem seiner Pläne im Wege stand, mußte Gift oder Dolch das Hindernis beseitigen. In welcher furchtbaren Weise Cäsar diese Grundsätze befolgte, zeigte schon die nächste Zukunft.

Wenn er die Personen musterte, welche ihm zunächst standen und mit ihm die Gunst des Papstes Alexander teilten, so erblickte er zuerst seine beiden Brüder, wovon der ältere Don Juan, Herzog von Gandia, mit Maria, der Tochter 243 eines spanischen Granden vermählt war, und Don Jauffré, der durch seine Vermählung mit der Bastardtochter des Kronprinzen von Neapel zum Prinzen von Squillace ernannt worden war. Dann war Lucrezia, seine Schwester, welche als Gattin Giovanni Sforzas Herrin mehrerer Gebiete war, die der Vater ihr verliehen hatte. Cäsar selbst war von seinem Vater zu einer kirchlichen Würde bestimmt worden, aber seine Neigung trieb ihn nach weltlicher Herrschaft. Den Grund zu einer solchen konnte er legen, indem er den Kampf der päpstlichen Gewalt gegen die alten römischen Familien siegreich durchführen half und sich dann von seinem Vater zum Herrn der Romagna machen ließ. Die Häuser Colonna und Orsini sollten beseitigt werden und er an deren Stelle als souveräner Fürst treten. Zur Durchführung dieser Pläne bedurfte er einmal der freien Bewegung und dann der ausschließlichen Gunst seines Vaters, oder vielmehr der ausschließlichen Herrschaft über diesen, der am sichersten durch Weiber zu lenken war. Es mußte Cäsars Sorge sein, Julia und Adriana für sich zu gewinnen, was dem stattlichen Manne nicht allzuschwer wurde.

Seine Schwester Lucrezia war eine zu wenig unternehmungslustige Natur, um seinen Plänen direkt nützlich sein zu können, aber sie hätte als die Gemahlin eines regierenden Herrn ihm einen mächtigen Bundesgenossen gewinnen können. Nun war sie mit Giovanni Sforza vermählt, einem Manne, auf welchen Cäsar mit Geringschätzung blickte, da er ihm nicht mehr galt als jeder andre päpstliche Offizier. Das mußte anders werden.

Zum Osterfeste versammelte sich die Familie Borgia in Rom. Auch Lucrezias Gemahl war dahin gekommen. Wie dreist das Auftreten des päpstlichen Hofes war, beweist der Umstand, daß bei den Festlichkeiten in Sankt Peter sowohl Giovanni von Pesaro, wie Cäsar Borgia und der Herzog von Gandia in feierlicher Weise und als Prinzen des Hofes bevorzugt wurden und die Osterpalme aus der Hand des heiligen Vaters empfingen. Der Prinz Jauffré lag gerade an einer Wunde krank, die er in einem unglücklichen Feldzuge gegen die Orsini empfangen hatte. Mit den drei bevorzugten Frauen, welche fortwährend um Alexander waren, saßen auch Lucrezia, Maria und Sancia auf den Sitzen, welche sonst nur die Kardinäle einnahmen, und diese Anordnung erregte das Murren des versammelten Volkes.

Bei Gelegenheit dieses Osterfestes sollte nun Giovanni Sforza, welcher seinem Schwager Cäsar unbequem war, beseitigt werden.

Eines Abends befand sich der Kammerdiener Giovannis im Gemache Lucrezias, als ihr Bruder Cäsar sich bei ihr anmelden ließ. Da Lucrezia wußte, daß ihr Bruder einen Groll gegen Giovanni hatte, wünschte sie in ihrer Angst nicht, daß er dessen Kämmerer bei ihr träfe und sie forderte diesen ängstlich auf, sich hinter einem Vorhang zu verbergen. Mit jener schamlosen Rücksichtslosigkeit, welche Cäsar eigen war, redete er offen mit der Schwester und sagte ihr, es sei beschlossen, daß Giovanni Sforza sterben müsse. Darauf 244 ging er wieder fort. Nun sagte Lucrezia zu dem Kammerdiener: »Hast du alles gehört? Gehe eilig zu deinem Herrn und lasse ihn wissen, was sie beschlossen haben. Erinnere ihn auch an die Wahrsagung, die mich so sehr beunruhigt hat und beschwöre ihn, sofort zu fliehen.«

Lucrezia Borgia.

Der Kammerdiener erfüllte eilig den Befehl der Herrin und traf dann mit den Dienern seines Herrn alle Vorbereitungen zur raschen Flucht. Unter dem Vorwande eines Ganges nach der Kirche San Onofrio entfernte sich Giovanni aus dem Vatikan und fand dort die für ihn bereitgehaltenen Pferde. Er warf sich auf sein bestes türkisches Pferd und jagte mit verhängten Zügeln in vierundzwanzig Stunden nach Pesaro, wo das Tier unter ihm zusammenstürzte.

Seine Entweichung versetzte Cäsar Borgia in nicht geringe Wut. Er hätte den Grafen lieber für immer stumm gemacht; da er die Hand der Schwester zu seinen Zwecken vergeben wollte und um seinen Willen durchzusetzen, mußte Lucrezia nun genötigt werden, einen skandalösen Scheidungsprozeß zu veranlassen, der bis zur Entscheidung durch den Papst geführt werden konnte.

Dieses Ereignis war vielleicht die erste Ursache zu den abscheulichen Gerüchten, welche sich an Lucrezias Namen hefteten. Das Publikum sah die Thatsache, aber es kannte die Motive nicht. Man wußte, daß der Papst stets von Frauen umgeben und beherrscht war und man erfuhr, daß Giovanni Sforza dem Tode, der ihn im Vatikan bedroht hatte, entflohen sei, während Lucrezia in Rom zurückblieb. Die Borgia waren zwar tief verabscheut, aber sie hatten die Macht in Händen, und außer dem kühnen Dominikanermönche in Florenz wagte niemand die bodenlose Verderbtheit am päpstlichen Hofe öffentlich anzugreifen. Desto eifriger wühlte die Klatschsucht, gestachelt durch Neid und Rachgier, und so tauchten damals zum erstenmal schlimme Vermutungen auf, welche Lucrezias Bild so arg besudelt haben.

Ob diese Gerüchte auch die Ursache waren, daß sie sich bald darauf in das Nonnenkloster von San Sisto an der Via Appia zurückzog, oder ob der Papst sie auf Cäsar Borgias Antrieb dorthin verbannte, weil sie sich der unerhörten Zumutung widersetzte, selbst die schändlichen Intrigen einzufädeln, durch welche man ihre Ehe mit Giovanni Sforza zu trennen versuchte, läßt sich nicht entscheiden; aber man weiß ja, daß die Klöster damals als Zwangsmittel vielfach mit Erfolg angewendet wurden.

Ungefähr um dieselbe Zeit ereignete sich im Hause Borgia ein andres geheimnisvolles Trauerspiel: die Ermordung Don Juans, des Herzogs von Gandia. Alexander liebte diesen Sohn ganz besonders und hoffte, ihm auf irgend eine Weise sogar die Krone Neapels zu verschaffen. Eines Abends gab Vanozza ihren Söhnen und einigen Verwandten eine Familienfestlichkeit in ihrer Villa, die in einem Weinberge bei San Pietro in Vincoli lag. In der Nacht verschwand Don Juan spurlos und drei Tage später fischte man seine Leiche im Tiber auf. Er war mit andern Teilnehmern an dem Feste in der Nacht aufgebrochen, um 245 sich heimwärts zu begeben. Die allgemeine Meinung bezeichnete sofort Cäsar Borgia als den Mörder seines eignen Bruders. Wie die Dinge lagen, gelang es Cäsar, den Papst zur Verzeihung der schändlichen That zu bewegen, aber von diesem Augenblicke an war Alexander VI. nur noch das Werkzeug seines ruchlosen Sohnes und mußte alles gutheißen, was letzterer unternahm. Cäsar Borgia ging Schritt für Schritt auf der entsetzensvollen Bahn vorwärts, die er mit solch unerhörtem Erfolge betreten hatte. Seine Kraft und sein Mut sowie der Scharfblick, welcher ihm eigen war, flößten überall Furcht und Entsetzen ein. Von nun an zauderte er nicht länger, seine ehrgeizigen Pläne offenkundig zu verfolgen. Der Papst ließ am Hofe von Neapel wegen der Vermählung seines jüngsten Sohnes Cäsar mit der Schwester des Prinzen Friedrich Unterhandlungen anknüpfen, während er dem Prinzen selbst die Hand Lucrezias antragen ließ, die inzwischen von Giovanni durch päpstlichen Machtspruch geschieden werden sollte.

Aber Friedrich verweigerte seine Zustimmung und auch die neapolitanische Prinzessin wies die Anträge des Papstes schroff zurück. Nach der Vertreibung der Franzosen hatte Friedrich die Regentschaft in Neapel übernommen, die Zustände waren jedoch derart, daß die päpstliche Partei in Rom auf einen baldigen Umsturz rechnete und damit die verwegene Hoffnung verband, Cäsar Borgia auf den erledigten königlichen Thron von Neapel zu bringen.

246 Das Bestreben, die Unsicherheit seiner Zukunft zu verbessern, trieb Cäsar Borgia zu all diesen scheußlichen Thaten; im übrigen glich er allen andern vornehm erzogenen Herren seiner Zeit. Er interessierte sich nicht nur für ritterliche Übungen, für Tierhetzen und Stiergefechte, sondern er spielte auch den Mäcen; er liebte scheinbar die Wissenschaften und Künste, wenigstens huldigte er dem Geschmacke seiner Zeit, indem er auf diesen Gebieten bedeutende Männer an sich heranzog.

Durch den Kardinal Johann Pazzi, den Bruder der Herzogin von Mailand, hatte er von den vielseitigen Talenten Leonardo da Vincis gehört, der als Maler, Bildhauer, Musiker und Ingenieur bereits staunenswerte Erfolge gehabt hatte. Er ließ denselben durch den Kardinal nach Rom entbieten und als er fand, daß Leonardo nicht nur ein vielseitiger Künstler und Gelehrter, sondern auch ein liebenswürdiger Weltmann war, schenkte er ihm sein Vertrauen und beauftragte ihn, Pläne zu Festungen, Entwürfe zu Brücken und ähnlichen Unternehmungen zu machen. Leonardo war um so williger auf diesen Vorschlag eingegangen, als ihm der Aufenthalt in Florenz aus verschiedenen Gründen verleidet worden war. Einmal fehlte ihm der gewohnte Verkehr mit der Familie Pazzi. Wenngleich er keine eigentliche Leidenschaft für die jetzige Herzogin von Mailand empfunden hatte, glaubte er doch, die Erinnerung an sie ungetrübter bewahren zu können, falls er in einem andern Wirkungskreise und unter andrer Umgebung weile. Lebte doch in seinem Herzen jene stillere, aber oft um so unvergänglichere Glut, wie sie in einzelnen Fällen die Brust hochbegabter Männer für edle Frauen erfüllt und durch das ganze Leben begleitet. Maria Pazzi war ihm unerreichbar, das wußte er vom ersten Augenblicke an, da er sie gesehen hatte, aber sie leuchtete vor seinem inneren Auge gleich einem milden Sterne, zu dem der Künstler in allen Lebenslagen aufschaut, in seinem Glanze Trost und Erquickung suchend und findend.

Außerdem aber wirkte das Auftreten Savonarolas in Florenz lähmend auf das Wirken und sehr ungünstig auf die Verhältnisse der Künstler ein; denn der rein geistige Luxus, welcher sich in der Liebhaberei für weltliche Gemälde und Skulpturen aussprach, paßte nicht in die ernste Richtung, die durch die Predigten des Dominikanerpriors dort eingeführt wurde. War auch Peter von Medici in geistiger Beziehung seinem Vater Lorenzo nicht ähnlich und mehr auf eitlen Kleiderprunk und glänzende Äußerlichkeiten erpicht als auf wahre Kunstschätze, so blieb doch bei den Künstlern die Erinnerung an Lorenzos Freigebigkeit und großen Sinn lebendig und sie waren daher größtenteils mehr oder weniger Anhänger der vertriebenen Mediceer.

Noch ein andrer junger Künstler aus Florenz kam damals nach Rom, der schon früher seine Vaterstadt verlassen, nachdem der Tod Lorenzos von Medici ihn einer mächtigen Stütze beraubt hatte. Es war Michelangelo, der mit dem Sohne Lorenzos in kein richtiges Verhältnis kommen konnte. Gab doch dieser 247 nach einem starken Schneefalle dem Künstler einmal den Auftrag, eine Statue von Schnee im Hofe des Mediceerpalastes aufzustellen. Es war gerade in der Zeit, als Michelangelo einen Herkules von vier Fuß Höhe arbeitete und für den Prior des Klosters San Spirito ein beinahe lebensgroßes Kruzifix schnitzte, zum Dank dafür, daß ihm dieser heimlich gestattete, an Leichnamen im Hospitale anatomische Studien zu machen.

Michelangelo war bald darauf aus dem Palaste der Medici in das väterliche Haus zurückgekehrt und machte sich mit zwei Begleitern auf, um nach Venedig zu wandern. Die Barschaft der jungen Leute reichte nicht weit, und in Bologna wurden sie überdies wegen unterlassener Meldung am Thore festgenommen. Ein angesehener Bologneser Bürger, Gianfrancesco Aldobrandi, befreite Michelangelo und nahm ihn in sein Haus auf. Während der Kriegsunruhen wohnte Michelangelo ruhig bei diesem begeisterten Kunstfreunde, dem er des Abends aus Dante, Petrarca oder Boccaccio vorlas. Auch wurde ihm durch diesen Gönner die Ausführung eines Engels am Grabe des heiligen Dominikus übertragen. Darüber wurden die Bologneser Künstler eifersüchtig und machten dem jungen Florentiner den Aufenthalt unangenehm, so daß er nach seiner Vaterstadt zurückkehrte. Im folgenden Jahre ging er dann nach Rom und zwar aus einer besondern Veranlassung. Niemand konnte die Erhabenheit der antiken Bildhauerwerke besser schätzen als Michelangelo, aber gerade damals wurden die Ausgrabungen mit wahrer Leidenschaft betrieben und neben wirklichen Kunstschätzen von hohem Werte doch auch manches zu hohen Preisen gekauft, was minder hervorragend war. Die Anschaffung von antiken Skulpturen war geradezu Modesache geworden. Michelangelo hatte einen entzückenden schlafenden Amor in Marmor gemeißelt und auf den Rat eines Gönners dem Werke das Aussehen einer ausgegrabenen Antike gegeben. So ging die Arbeit nach Rom, wo ein gewisser Baltassare den Verkauf an den Kardinal Julius von Rovere vermittelte. Der schlaue Händler betrog aber nicht nur den Käufer, sondern auch den Künstler, dem er von zweihundert Dukaten nur dreißig zukommen ließ. Alles dies kam zu Tage und da Michelangelo nicht willens war, das Geld dem betrügerischen Unterhändler zu lassen, reiste er nach Rom, wo er allerdings trotz ausgezeichneter Empfehlungen nicht besonders empfangen wurde, denn der entrüstete Kardinal Rovere gab sich nicht eher zufrieden, als bis der betrügerische Handel rückgängig gemacht worden war.

Kaum hatte sich Italien etwas von den Folgen des Krieges mit dem Könige von Frankreich wieder erholt, so traten andre Interessen stärker wieder in den Vordergrund, und da es dem Herzoge von Mailand nicht gelungen war, die Zurückberufung seines Bundesgenossen und Verwandten, Peter von Medici, nach Florenz zu bewirken und ihn zum Herrn daselbst zu machen, warf er seinen ganzen Groll auf den kühnen Dominikaner, der die Republik nach seinen Anschauungen lenkte. Man würde aber sich in Rom noch immer nicht dazu 248 verstanden haben, gegen Savonarola mit feindseliger Strenge aufzutreten, hätte sich der Herzog von Mailand nicht an seinen Verwandten, den Kardinal Ascanio Sforza gewendet und durch diesen den Papst zum kräftigen Einschreiten auffordern lassen. Der Kardinal übergab also dem Papste den Brief des Herzogs und damit auch das Schreiben des Priors an Karl VIII., und die Folge davon war, daß der Streit zwischen Savonarola und dem Papste zu einem öffentlichen und bitter feindseligen Kampfe wurde.

Im Innern der Stadt Florenz war zwar manche Verbesserung nicht zu verkennen und der große Einfluß Savonarolas machte sich allenthalben da zum Segen geltend, wo es auf Ordnung und strenge Zucht ankam. Aber der Frohsinn und die Heiterkeit schwanden. Wer von Künstlern in der Stadt zurückblieb, wie Sandro Botticelli und andre, malte nur noch düstere Sachen. Selbst die einsichtsvollsten Männer konnten den reformierenden Prior mindestens von Einseitigkeit nicht freisprechen.

Noch befanden sich Savonarolas Mutter und seine Schwester in Florenz, wo die Gastfreundschaft der Anhänger Savonarolas sie zurückhielt. Beatrice hatte die Beziehung zu den Nonnen des Annunziatenklosters nicht aufgegeben und fand sich von Zeit zu Zeit daselbst ein, obgleich sie wußte, daß ihre Mutter diese Besuche nicht billigte. Jedesmal brachte sie die ungünstigsten Nachrichten über den Bruder zurück, und ihr eigner Groll gegen denselben wurde dadurch immer mehr genährt. Sie konnte nicht die Selbstlosigkeit der innigen mütterlichen Liebe verstehen, welche Anna für den Sohn hegte, ihr mißfiel es, daß der Bruder sich wenig um sie kümmerte und seinen gefährlichen Weg fortsetzte, ohne danach zu fragen, ob er der Familie damit Schaden bringe.

Einmal brachte Beatrice aus dem Kloster Santa Annunziata die Neuigkeit mit, daß Papst Alexander einen Brief an die Mönche des Dominikanerklosters San Marco gerichtet und dieselben streng aufgefordert habe, ihrem Prior Vorstellungen zu machen, damit er reumütig ablasse von der Feindseligkeit gegen den päpstlichen Stuhl. Zu gleicher Zeit seien die Franziskaner beauftragt, mit allem Eifer gegen Savonarola zu predigen und das Volk darüber aufzuklären, daß er ketzerischen Ansichten huldige. Savonarola selbst aber sollte aus Rom den strengsten Befehl erhalten haben, sich des öffentlichen Redens von der Kanzel herab zu enthalten bei Strafe der Exkommunikation.

Solche Nachrichten versetzten die besorgte Mutter in große Aufregung und sie sah mit ängstlicher Spannung dem nächsten Sonntage entgegen, um zu sehen, ob ihrem Sohne wirklich das Recht im Dome zu predigen entzogen sei.

Was sie an diesem Tage erleben sollte, bildete das vollkommene Gegenstück von den Triumphen, deren Zeugin sie so oft gewesen war.

Nach Beendigung der Messe erschien Girolamo in seinem Gewande als Prior der Dominikaner, um die Kanzel zu betreten. Als er die Treppe empor gestiegen war, schrak er mit der Gebärde heftigen Abscheus zurück, denn seine 249 Feinde hatten ihn durch eine rohe und abscheuliche Anstiftung kränken wollen. Auf der Kanzel, der Stätte seiner begeisterten Wirksamkeit, lag ein toter Hund, der notdürftig mit Stroh verhüllt war. Voll Ekel wendete Girolamo sich ab und stieg die Treppe hinunter, um vor dem Altare stehend zu predigen. Aber seine Gegner benutzten die Unruhe und Aufregung, welche diese widerliche Szene in der Kirche hervorrief und beleidigten den Prior durch schmähende Zurufe, wobei sie die Zuhörer aufforderten, ihn aus der Stadt zu jagen oder zu töten.

Savonarola bewahrte mit großer Selbstbeherrschung seine Ruhe und achtete nicht auf die persönlichen Beleidigungen.

Der Tumult war jedoch so groß, daß er vergeblich versuchte, sich Gehör zu verschaffen. Er mußte endlich entrüstet die Kirche verlassen.

Das war ein Augenblick bitterer Prüfung. Der Mann des Volkes, dessen reine Gesinnung und edle Absicht bisher wohl von den Machthabern, nie aber von der Menge bezweifelt worden, sah sich in gemeiner Weise beleidigt, ohne daß es ihm möglich wurde, ein Wort zu seiner Rechtfertigung zu sprechen.

Als er in die Thüre der Sakristei eintreten wollte, näherte sich ihm seine Mutter mit kummervollem Gesichte und Thränen in den Augen, um ihn zu beschwören, sein Leben nicht in Gefahr zu bringen und der Gewalt zu weichen, da seine Feinde gewiß nicht eher ruhen würden, bis sie ihn in das Verderben gestürzt hätten.

Aber der Sohn wies sie sanft mit der Hand zurück und sagte zu ihr:

»Meinen sterblichen Leib können sie vernichten, aber nicht meinen Geist, der von Gott stammt. Freue dich, Mutter, daß dein Sohn ausersehen ist, die irdische Hülle, in welcher du ihn geboren hast, dahin zu geben, um dem Berufe getreu zu bleiben, den Gott mit meinem Geiste in diese Hülle gekleidet hat.«

Wohl fühlte die verzweifelnde Mutter, welche Seelengröße aus diesen Worten sprach, aber ihr Herz blutete um den Sohn. Sie fand wenig Trost bei ihrer Tochter Beatrice, welche nach der altklugen Art der Alltagsmenschen alles vorher gewußt haben wollte und mehr über das Unglück der Familie als über das Schicksal des Bruders jammerte. In ihrer Herzensangst überlegte die Mutter, was sie zur Rettung Girolamos unternehmen könne. Endlich, als wieder eine Zeit drohender Gährung herannahte, kam ihr der Gedanke, Rat und Hilfe bei ihrem Sohne Marco Aurelio zu suchen, der im Dominikanerkloster zu Bologna als Mönch weilte. Sie schrieb an ihn und fertigte heimlich einen Boten mit dem Briefe ab, in welchem sie diesen Sohn dringend bat, das Kloster für kurze Zeit zu verlassen und nach Florenz zu kommen, um entweder den Bruder vom Verderben zu retten oder wenigstens der Mutter als Trost zur Seite zu stehen.

Der gewaltige Ruf Savonarolas hatte längst in allen Klöstern Widerhall gefunden und namentlich alle seine Ordensbrüder mit Stolz erfüllt. Es wurde Marco Aurelio nicht schwer, die Erlaubnis zur Reise nach Florenz zu erhalten. 250 Er langte dort kurz vor Weihnachten an und wurde im Kloster San Marco als Gast und Bruder des Priors mit Herzlichkeit aufgenommen.

Nun hatte die Mutter wenigstens den Trost, sich zuweilen aussprechen zu können und einen Beistand zu haben, wenn sie Beatricens Groll gegen den Bruder bekämpfte. Marco Aurelio teilte die Begeisterung, welche bei den meisten Mönchen im Kloster San Marco für Girolamo herrschte, und seine Ansicht änderte sich auch nicht, als die Exkommunikation von Rom wirklich eintraf, welche durch die Franziskanermönche in Florenz unter Glockengeläute von allen Kanzeln verlesen wurde und welche Savonarola in gewissem Sinne für vogelfrei erklärte.

Daß die Exkommunikation unter den Bewohnern des Klosters San Marco die größte Aufregung hervorrufen mußte, war selbstverständlich. Wußten doch die Mönche, daß eine solche Verurteilung sehr ernst gemeint sei und in feierlicher Weise durch das Kollegium der Kardinäle ausgesprochen wurde.

Der Papst saß bei solchem Vorgange auf seinem hohen Kirchenthrone im Vatikan, weit über alle hervorragend, unter einem Baldachin von rotem Samt, der mit Gold reich verbrämt war. Eine Stufe niedriger saßen auf kleinen Stühlen die Kardinäle, alle in ihren Purpur gehüllt; ferner in weitem Umkreise Bischöfe und Prälaten aller Art, nach ihren roten und violettfarbenen Kapuzen zu unterscheiden. In der Mitte, etwas rechts vom Throne, sah man einen Tisch mit einem schwarzen Tuche bedeckt für die Auditoren, d. h. die Mitglieder und Beisitzer des heiligen Strafgerichts. An ihrer Spitze saß ein außerordentlicher Präsident. Gegenüber stand ein ähnlicher Tisch für den Fiskalprokurator und quer davor noch ein dritter für die Verteidiger.

Savonarola kannte alle diese Umstände genau; er wußte auch, wie seine Feinde es verstanden, auf das Gemüt des Volkes zu wirken. Aber er blieb nicht unthätig. Zuerst wollte er sich seiner Mönche versichern. In einer sternenklaren Nacht versammelte er dieselben in der Kirche. Nachdem dort Fackeln verteilt waren, schritt er ihnen voraus in den umschlossenen Klosterhof. Er selbst stellte sich dort unter den persischen Rosenstrauch, wo lange Jahre hindurch sein Standpunkt gewesen, wenn die Anhänger seiner Lehren sich um ihn scharten. Die Mönche bildeten einen Kreis und er hielt eine Ansprache, welche in den Herzen der Zuhörer die hingebendste Liebe entzündete. Fast jeder würde in diesem Augenblicke willig sein Leben für den verehrten Prior geopfert haben. Namentlich waren Silvestro Maruffi und der jugendliche Donato Ruffoli ganz Begeisterung für die Sache ihres Meisters. Auf das Begehren des letztern legten die Mönche den feierlichen Schwur ab, bis zum Tode getreu zu bleiben und Savonarolas Schicksal zu teilen, führe diese Treue sie auch zum martervollen Tode. Wohl bemerkte Savonarola, daß nicht alle Mönche mit in den Schwur einstimmten, aber er unterdrückte seinen Schmerz über diese Abtrünnigen und schöpfte neuen Mut aus der Anhänglichkeit der Mehrzahl.

251 Seitdem die Signoria von Florenz sich der Liga gegen Frankreich angeschlossen hatte, suchte sie mit dem Papste im guten Einvernehmen zu bleiben. Sie schrieb demselben, um Savonarola zu rechtfertigen, aber zu gleicher Zeit forderte sie diesen auf, seine Predigten zu unterlassen.

Kurze Zeit gehorchte Savonarola, dann aber konnte er dem Drange nicht länger widerstehen. Am Weihnachtstage celebrierte er öffentlich die Messe in der Kirche San Marco, nahm darauf mit seinen Mönchen und einer großen Zahl von Anhängern das Abendmahl und führte eine feierliche Prozession rund um die Kirche. Dann erklärte er öffentlich, indem er sich auf die Autorität des Papstes Pelagius berief, daß eine ungerechte Exkommunikation ohne Wirksamkeit sei und daß derjenige, welcher davon betroffen werde, nicht einmal nötig habe, sich zu rechtfertigen. Er versicherte dann, eine göttliche Inspiration nötige ihn, einem unwürdigen Tribunal nicht zu gehorchen.

Am folgenden Tage begann er aufs neue im Dome zu predigen und zwar unter noch weit größerem Zulauf als früher.

»Ich sage euch«, so sprach er mit lauter Stimme, »ein jeder, der sich diesem Bannspruche fügt und behauptet, daß ich hier nicht predigen soll, der ist ein Ketzer und befindet sich selbst im Bann. Auf welcher Seite steht Christus? Auf unsrer, die wir exkommuniziert sind, oder auf der Seite jener, die sich dem Saufen und Fressen, dem Geiz, der Wollust, der Lüge und jedem Laster ergeben haben? Christus sagt: ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, somit steht er bei uns, den Verfluchten, und der Teufel wird mit jenen sein, die vom Papste gesegnet sind. Meine Lehre stimmt überein mit der Heiligen Schrift; wer sie nicht will, der will das Reich des Bösen.«

Der Kampf nahm immer bedrohlichere Wendungen. Der Erzbischof von Florenz, ein Mitglied des mediceischen Hauses, erließ einen Aufruf, worin er alle diejenigen in den Bann that, welche die Predigten Savonarolas hörten. Sie sollten weder die Absolution erlangen, noch das Abendmahl erhalten, noch sollten ihre Leichen in geweihter Erde ruhen, aber die Signoria, welche noch immer günstig für Savonarola gestimmt war, ließ dem Erzbischof die Weisung zukommen, in zwei Stunden die Stadt zu verlassen.

Die nächsten Wochen predigte Savonarola mit derselben Unerschrockenheit und mit demselben Erfolge wie früher. Als der Karneval kam, hatte er abermals eine große Anzahl von Kindern versammelt, welche in der Stadt von Haus zu Haus gingen und sich alle unsaubern Bücher, alle zweideutigen Bilder, alle Spielkarten und Würfel, alle Lauten, Mandolinen und musikalische Instrumente, alle falschen Haare, Schminke und wohlriechenden Essenzen aushändigen ließen. Alle diese Dinge wurden, zum Zweck einer Wiederholung der damals sogenannten »Verbrennung der Eitelkeiten« auf einem großen, öffentlich errichteten Scheiterhaufen niedergelegt, und während derselbe in Flammen aufging, sang man Psalmen und religiöse Lieder.

252 Wie ein letztes Aufflackern der Macht Savonarolas über die Gemüter erschien dieser Karneval, an welchem sich die Aufzüge und Vorgänge des vergangenen Frühlings wiederholten. Die Maler Bartolomeo und Lorenzo Credi trugen ihre Studien nach nackten Körperformen selbst auf den Scheiterhaufen. Aber die Gegner dieser düstern Weltanschauung blickten mit schlecht verhehltem Groll den Reihen der singenden Kinder, Weiber und Mönche nach, und es war nicht zu verkennen, daß Savonarolas Anhang zusammenschmolz und sein allgemeines Ansehen bereits erschüttert war.

Aber je länger sich die Geltung Savonarolas erhielt, um so unzufriedener und erzürnter wurde der Papst. Namentlich schürten die Anhänger der Mediceer seinen Groll, denn diese waren der festen Überzeugung, Peter von Medici wäre längst Herr von Florenz, wenn der feindselige Mönch die Einwohner nicht gegen ihn aufgehetzt hätte. Der Papst erließ ein neues Breve an die Signoria, worin derselben befohlen wurde, dem Savonarola das Predigen zu untersagen, widrigenfalls die ganze Republik in den Bann gethan und vielleicht durch die Armee des Papstes zur Erfüllung des Verlangens werde gezwungen werden. Außerdem sollten die Güter der florentiner Kaufleute im Auslande eingezogen werden.

Die Behörden wußten keinen Rat, sie bedurften des Papstes und sie erließen wirklich das Verbot an Savonarola. Dieser nahm darauf von seinen Zuhörern in einer glänzenden Rede Abschied, aber er sorgte dafür, daß seine Stelle durch zwei seiner eifrigsten Anhänger, die Dominikanermönche Silvestro Maruffi und Domenico von Peschia ganz in seinem Geiste ausgefüllt wurde.

Kurze Zeit darauf predigte der Franziskanermönch Publio in der Kirche Santa Croce gegen Savonarolas Lehre und teilte mit, er habe vernommen, daß der Prior von San Marco versprochen habe, seine falschen Lehren durch ein Wunder zu bekräftigen; er habe sich erboten, mit einem Franziskanermönche in die Gewölbe der Kirche zu steigen, wo sich die Gräber befanden, und dann sollte die Lehre desjenigen für wahr erkannt werden, welcher einen Toten erwecken könne.

Der Franziskaner erklärte, daß er sich für einen Sünder halte und nicht voraussetze, auf ein derartiges Wunder zählen zu dürfen, aber er schlage seinem Gegner das Gottesurteil der Feuerprobe vor, welches zu bestehen er bereit sei. »Ich weiß, daß ich dabei zu Grunde gehe«, sagte er, »aber die christliche Liebe lehrt mich, mein Leben für nichts zu achten, wenn ich die Kirche dadurch von einem Ketzer befreien kann, der schon viele Seelen der ewigen Verdammnis überliefert hat und fortfahren wird, dies zu thun.«

Dieser seltsame Vorschlag wurde Savonarola überbracht, aber er wollte nicht darauf eingehen, weil er fürchtete, eine arge List seiner Feinde stecke dahinter. Er zweifelte übrigens nicht daran, daß die Vorsehung seine Lehre durch ein Wunder bekräftigen werde. Darum erklärte sein eifrigster Anhänger, Domenico von Peschia, der voll von Begeisterung für die Sache war, er sei 253 sofort bereit, die Feuerprobe an Stelle Girolamos zu bestehen, um die Wahrheit der Predigten seines Meisters zu bestätigen, da er keinen Augenblick daran zweifle, daß Gott ihn durch ein Wunder retten werde.

Von diesem Augenblicke an blickte die Bevölkerung von Florenz mit der größten Spannung dieser schrecklichen Probe entgegen, um die Vertreter der neuen Reform ihre Sache durch ein Gottesurteil öffentlich bekräftigen zu sehen. Die Gegner hofften inzwischen mit Sicherheit, daß die Anhänger der römischen Kirche einen Triumph feiern würden und ein Ketzer sich selbst den Flammen überliefern werde. Die Menge aber war begierig auf das ungewöhnliche Schauspiel, bei welchem lebende Menschen sich wirklicher Todesgefahr aussetzten und das direkte Eingreifen des göttlichen Willens erwartet wurde.

Die Obrigkeit von Florenz ergriff mit Freuden eine Gelegenheit, um aus dem Zwiespalt, in welchem sie sich zwischen der Kirche und dem Reformator befand, herauszukommen. Papst Alexander aber schrieb an die Franziskaner zu Florenz und dankte ihnen für den Eifer, womit sie ihr Leben wagen wollten, um die Autorität der Kirche zu verteidigen, und er erklärte, das Gedächtnis dieses ruhmvollen Entschlusses solle niemals vergessen werden.

Der Bruder Publio erklärte jedoch, er werde nur mit Savonarola selbst die Feuerprobe bestehen und sich nicht einem sichern Tode weihen, wenn der große Ketzer nicht gleichfalls dem Verderben entgegen gehe. Indessen meldeten sich sofort zwei andre Franziskanermönche, welche die Probe mit dem Bruder Domenico bestehen wollten; zwar trat der eine davon wieder zurück, aber der andre, Bruder Andreas Rondinelli, blieb bei seinem Vorhaben. Von der andern Seite erklärten sich viele Anhänger Savonarolas für das Bestehen der Probe an seiner Stelle; in erster Linie fast sämtliche Dominikaner in Toscana, viele Priester, ja sogar Frauen und Kinder suchten um die Erlaubnis nach, für Savonarola oder wenigstens mit ihm den Scheiterhaufen besteigen zu dürfen, um auf solche Weise die göttliche Gnade, auf welche sie sicher zählten, teilen zu können. Die Signoria wies alle diese Anerbietungen zurück und bestimmte auf der einen Seite den Bruder Domenico Buonvicini von Peschia und auf der andern Andreas Rondinelli zum Bestehen der Probe.

Zehn Bürger, fünf von jeder Partei, wurden außerdem erwählt, um die Einzelheiten zu regeln; der Tag wurde festgesetzt und als Ort der große Platz vor der Signoria ausersehen. Die Aufregung wuchs von Tag zu Tag und nicht nur ganz Florenz, sondern auch die Bewohner der Umgegend waren in fieberhafter Spannung.

Ein Scheiterhaufen von fast 2 Meter Höhe, über 3 Meter Breite und etwa 6 Meter Länge war quer über den Platz errichtet worden. Er war mit Erde und ausgestochenen Rasenstücken bedeckt, um die Gewalt des Feuers zu dämpfen. Den Scheiterhaufen selbst hatte man von Holz errichtet, untermischt mit Reisig und leicht entzündbaren Stoffen. Den ganzen Holzstoß entlang 254 hatte man einen Durchgang freigelassen, so daß zu beiden Seiten noch mehr als ein Meter des aufgeschichteten Materials blieb. Schon der Anblick allein war schreckenerregend.

Man betrat den Zwischenraum von der berühmten Loggia dei Lanzi aus, dieser herrlichen Halle von schlanken Säulen, welche durch ein Gitter in zwei Teile geteilt war, wovon man die eine Hälfte den Franziskanern und die andre den Dominikanern überwiesen hatte.

Die beiden Mönche sollten zusammen aus der Loggia heraustreten und den brennenden Scheiterhaufen in seiner ganzen Länge durchschreiten.

Der verhängnisvolle Tag brach an und vom frühen Morgen an wogte eine unabsehbare Menge von neugierigen Menschen in den Straßen der Stadt. Tausende von Fremden waren zugeströmt, denn es galt eines der seltensten Schauspiele, bei welchem die höchsten Interessen im Spiele waren.

Endlich nahte die festgesetzte Stunde. Die Franziskaner erschienen ganz ohne Aufsehen, während Girolamo Savonarola in den geistlichen Gewändern, in welchen er die Messe gelesen hatte, auftrat, in einem Tabernakel das Sakrament in seinen Händen tragend.

Hinter Savonarola kamen eine Menge von Bürgern, welche angezündetes Reisig trugen. Schon sechs Stunden vor der festgesetzten Zeit waren der Platz, die Fenster, ja sogar die Dächer der Häuser mit Zuschauern bedeckt. Nicht nur die ganze Stadt, sondern auch das Volk der Umgegend bis auf eine weite Entfernung hatten sich nach und nach daselbst versammelt. Die Sätze, für welche die Feuerprobe den Ausschlag geben sollte, waren von Savonarola folgendermaßen aufgestellt.

Die Kirche bedarf der Umgestaltung und Erneuerung. – Die Kirche wird von Gott gezüchtigt, danach umgestaltet und erneuert werden. –

Die Ungläubigen sollen dann bekehrt werden. –

Florenz wird gezüchtigt, dann erneuert werden und frisch wieder aufblühen. Alles dies geschieht in unsern Tagen. –

Die verhängte Exkommunikation ist ungültig, und wer sich nicht an sie kehrt, sündigt nicht. –

Dieser letzte Satz war also eine direkte Auflehnung gegen die päpstliche Macht und somit der wichtigste von allen.

Die meisten Zugänge zu dem Platze waren gesperrt und an den Eingängen der beiden offen gelassenen Hauptstraßen waren starke Wachen aufgestellt. Der den Dominikanern eingeräumte Teil der Loggia war gleich einer Kapelle geschmückt und vier Stunden lang sangen sie darin unaufhörlich geistliche Lieder.

Indessen wurde die schreckliche Probe durch zahllose Schwierigkeiten verzögert, welche die Franziskaner veranlaßten. »Vielleicht«, sagten sie, »ist der Prior der Dominikaner ein Zauberer und sein Stellvertreter trägt einen Talisman 255 bei sich, der ihn beschützt. Daraufhin stellten sie die Bedingung, daß er seiner Gewänder entledigt, untersucht und dann mit andern bekleidet werde.

Nach langen Verhandlungen unterwarf sich Domenico von Peschia dieser demütigenden Bedingung. Dann überreichte ihm Savonarola das Tabernakel, welches das Sakrament enthielt, das er als seinen Schutz betrachtete.

Darauf schrieen die Franziskaner, es sei eine gottlose Handlung, die Hostie der Gefahr auszusetzen, daß sie verbrennen könne, welches Ereignis jedenfalls den Glauben an die Gegenwart Christi in der Hostie bei der Menge erschüttern müsse. Aber in diesem Punkte blieb Savonarola unerschütterlich; er antwortete, nur von diesem Gotte, den er trage, könne sein Freund und Genosse Heil erwarten.

Die Verhandlungen über diesen Punkt zogen sich mehrere Stunden hin, und das Volk, welches seit Beginn des Tages auf der Straße, ja sogar auf den Dächern der Häuser verweilte, um das Schauspiel besser genießen zu können, mußte Hunger und Durst leiden und verlor endlich die Geduld.

Obgleich die Franziskaner in Wirklichkeit diejenigen waren, welche sich unter allerlei Vorwänden der Ausführung widersetzten, fanden die Anhänger Savonarolas doch, dieser solle sich leichter über die Forderungen seiner Gegner hinwegsetzen, wenn er von einem Wunder überzeugt sei.

Die Menge wußte nicht, welche Motive die beiden Parteien der Mönche vorbrachten; sie sah nur diesen furchtbaren Scheiterhaufen, auf dessen Entzündung sie mit Spannung wartete, und sie merkte, daß die beiden Gegner sich weigerten, den Gang zu unternehmen; die Bedenken derselben, so begründet dieselben waren, erschienen den Zuschauern lächerlich; zuletzt glaubten dieselben sich zum besten gehalten und dieser Tag des vergeblichen Wartens verwandelte die Begeisterung des Volkes für Savonarolas Sache in Verdruß und Verachtung. Sie waren in der Hoffnung erschienen, daß die Angelegenheit, für welche der Prior von San Marco sie angefeuert hatte, heute zum Siege gelangen und vor ihren Augen triumphieren werde. Diesen Triumph zu feiern waren sie bereit gewesen, aber unverrichteter Sache, enttäuscht und niedergeschlagen nach Hause geschickt zu werden, wollte ihnen nicht gefallen.

Endlich, als die Nacht fast hereinbrach und die beiden Parteien noch nicht einig waren, kam auch noch ein heftiger und unerwarteter Regen, der den Scheiterhaufen und die Zuschauer durchnäßte, so daß die Signoria sich veranlaßt sah, die Versammlung durch öffentlichen Aufruf zu verabschieden.

Als Girolamo Savonarola in das Kloster San Marco zurückkam, bestieg er augenblicklich die Kanzel, um der Menschenmenge, die ihm gefolgt war, den Hergang genau zu erzählen. Aber sein Ansehen hatte einen furchtbaren Stoß erhalten. Bereits auf dem Wege zum Kloster hatte man ihm beleidigende Beschuldigungen in das Gesicht geschleudert. Die Menge war entrüstet, weil ihr das erwartete Schauspiel entgangen war und viele glaubten, Savonarola habe durch Zaubermacht zu seiner Rettung den plötzlichen Regen hervorgerufen.

256 Wenige Tage später war das Himmelfahrtsfest. Der furchtlose Reformator hatte in dieser kurzen Zeit einen gewaltigen Kampf bestanden. Seine Zuversicht war geschwunden, wenn auch seine Überzeugung fester stand als jemals. Er sah ein, daß er den Sieg über seine Gegner nicht als triumphierender, sondern als leidender Gotteszeuge erringen werde. Er unterwarf sich dem himmlischen Ratschlusse und war entschlossen, alle Leiden geduldig zu ertragen. Ach! auch den Jammer seiner Mutter mußte er tragen und als schmerzliches Opfer für seine Überzeugung auf Gottes Altar darbringen.

Savonarola predigte am Himmelfahrtstage mit vieler Ergebung, indem er gewissermaßen von seinen Zuhörern Abschied nahm und ihnen verkündigte, er sei bereit, sich Gott zum Opfer darzubringen. Er wußte bereits, wie gut seine Gegner die mißlungene Feuerprobe gegen ihn benutzt hatten. Die ausschweifende Jugend von Florenz vereinte sich mit den prinzipiellen Gegnern seiner Lehre, um ihn aufs neue der Heuchelei zu beschuldigen und das Publikum zu ermahnen, sich nicht länger durch einen falschen Propheten gängeln zu lassen, der im Augenblicke der Gefahr vor der Probe für seinen Beruf, die er selbst angeordnet hatte, zurückgeschreckt sei.

Die Aufregung unter den Bewohnern der Stadt wuchs von Minute zu Minute. Die Gegner Savonarolas erkannten, daß die Gelegenheit zu seinem Sturze gekommen sei; sie rotteten sich zusammen und zogen nach dem Kloster, mit dem Rufe. »Zu den Waffen! Auf nach San Marco!«

Bald darauf hatte sich eine aufgeregte Menge um diese Aufwiegler versammelt und ließ sich von ihnen nach dem Kloster San Marco führen. In der Kirche desselben war eine zahllose Menschenmenge versammelt, welche dem Gottesdienste dort beigewohnt hatte. Diese waren fast sämtlich ohne Waffen, während die heranstürmenden Massen bewaffnet waren und das Kloster nicht nur mit Schwertern und Lanzen, sondern auch mit Werkzeugen aller Art angriffen. Die Anhänger Savonarolas verteidigten die Kirche. Die Frauen, darunter auch seine Mutter und Schwester, wurden in die Sakristei in Sicherheit gebracht. Die Mönche versammelten sich am Altare und umringten Savonarola, darunter namentlich Domenico von Peschia, Silvestro Maruffi, und der junge Schwärmer Donato Ruffoli, dessen Augen vor Begeisterung und Kampfeslust Feuer sprühten. Um den Kampf friedlich beizulegen und die Kirche vor Entweihung zu schützen, traten die Mönche den Aufrührern entgegen, aber diese schonten die Wehrlosen nicht und trieben sie mit den Waffen zurück.

Der Maler Bartolomeo that in diesem Augenblicke das feierliche Gelübde, Mönch zu werden, wenn der Kampf glücklich ausfalle. Auch Marco Aurelio Savonarola, Girolamos Bruder, befand sich unter denjenigen Mönchen, welche den Prior mit ihrem eignen Leben schützen wollten.

Donato Ruffoli hatte sich der Gefahr am unerschrockensten entgegengestellt. Von einem Lanzenstiche verwundet, taumelte der schwärmerisch begeisterte Jüngling 257 bis zu dem Altare, zu welchem sich einige Mönche mit Savonarola zurückgezogen hatten. Sterbend sank Donato zu den Füßen seines Meisters, der ihm segnend mit Thränen im Auge die Hand auf das Haupt legte, und die letzten Worte, welche den Lippen des Jünglings entflohen, waren:

»Ich danke dir, Herr, mein Gott, daß du mich zum Blutzeugen der Wahrheit auserkoren hast.«

Schon hatten die Aufrührer überall die Thüren gesprengt und Feuer angelegt, als die Mönche erkannten, daß es nicht in ihrer Macht lag, die Feinde zurückzuhalten, und sie begannen mit denselben zu unterhandeln.

Die feindliche Menge verlangte, daß Girolamo Savonarola und seine beiden Hauptanhänger, Domenico Buonvicini und Silvestro Maruffi, sofort verhaftet und in das Gefängnis geführt würden. Girolamo erklärte sich bereit, ihnen zu folgen, er erbat nur eine kurze Frist, um von seinen Mönchen Abschied zu nehmen und begab sich mit denselben in die Bibliothek.

Einem Heiligen gleich, der für seinen Glauben dem sichern und martervollen Tode entgegengeht, stand Savonarola inmitten der getreuen Schar, die am besten von der Lauterkeit seiner Gesinnung und der Reinheit seines Wandels überzeugt sein konnte. Wohl wußte er, daß einige unter seinen Mönchen wankelmütig waren, aber in diesem Augenblicke vereinte alle das Gefühl der unbedingten Hochachtung; sie drängten sich um ihn, knieten zu seinen Füßen nieder, küßten seine Hände und seine Gewänder und baten um seinen Segen. Schluchzend vernahmen sie seine letzten Worte, mit welchen er seine Getreuen zur Ausdauer und Geduld, die Schwankenden zur Unterwerfung unter Gottes Willen ermahnte. Herzzerreißend war darauf die Szene, welche unerwartet sich ereignete, als er sich den Gegnern überliefern wollte.

Frau Anna hatte mit Todesangst den Vorgängen gelauscht und mit Entsetzen die Entscheidung vernommen. Die Kraft der Verzweiflung ergriff die ängstliche Frau und sie drängte sich aus der Sakristei und durch die Klosterkirche, um noch einmal zu ihrem Sohne zu gelangen. Sie kam bis in die Bibliothek und sank laut schluchzend zu den Füßen Girolamos nieder, als dieser eben im Begriffe war, sich den Feinden auszuliefern.

Er sprach mild beruhigende Worte zu der armen Mutter, empfahl sie dem Schutze Gottes und bat den Bruder, der neben ihm stand, sie hinwegzuführen.

Savonarola's Abführung in das Gefängnis.

Begleitet von seinen Mönchen, begab er sich dann wieder hinab, um mit den beiden treuen Gefährten sich von seinen Feinden in das Gefängnis führen zu lassen. Seine Mutter, die sich mit starker Seele gefaßt hatte, folgte ihm, gestützt auf Beatrice und ihren Sohn Marco Aurelio. Aber die Unmenschen wurden durch den Anblick dieser rührenden Gruppe nicht ergriffen. Als sie erfuhren, daß der fremde Dominikaner Girolamos Bruder sei, bestanden sie darauf, auch ihn zu verhaften, während sie die Mutter und ihre Tochter in das Kloster der Augustinerinnen führen ließen.

258 Es war bereits sieben Uhr des Abends, als Girolamo Savonarola mit seinen beiden Gefährten und seinem Bruder, von dem Wutgeschrei des Volkes verfolgt, in das Gefängnis geführt wurde. Man hätte glauben können, die hereinbrechende Nacht werde den Aufruhr dämpfen. Aber die Leidenschaften waren einmal entfesselt und da sich unter Savonarolas Gegnern mehrere befanden, welche den Augenblick zur Rache gekommen glaubten, verbreitete sich der Tumult in weit größerm Umfange und die ganze Stadt nahm daran teil. Die Palleschi waren für den Augenblick Sieger und mehrere Häuser der eifrigsten Piagnoni wurden verwüstet. Die Verwandten eines Mannes, der bei einem Aufruhr zu gunsten der Medici zum Tode verurteilt worden war, erstürmten das Haus desjenigen Richters, welcher damals für den Tod gestimmt hatte. Es war Paolo Campini, in dessen Hause seit Monaten Girolamos Mutter Gastfreundschaft genossen hatte. Wie bei allen solchen Unruhen mischten sich die persönlichen Leidenschaften in den Zwist der Parteien ein. Paolo Campini fiel als ein Opfer der Blutrache. Er selbst wurde von dem Sohne jenes verurteilten Parteigängers der Palleschi getötet. Alle diejenigen, welche bis zum letzten Augenblicke Anhänglichkeit für Savonarola gezeigt hatten, wurden von dem wütenden Volke mißhandelt und als Heuchler und Sünder verschrieen, so daß sie froh sein mußten, wenn sie in dieser Schreckensnacht ihr Leben retteten.

In der Frühe des andern Morgens, als die ersten Sonnenstrahlen die Türme der Stadt Florenz so glänzend wie sonst vergoldeten, sah man auf einem Wege, der in der Richtung nach Bologna eine Anhöhe hinauf führte, die ehrwürdige Gestalt der alten Mutter Savonarolas auf den Arm des Sohnes Marco Aurelio gestützt, von dannen wanken. Man hatte ihn mit der Weisung aus dem Gefängnis entlassen, sich sofort auf den Weg zu seinem Kloster in Bologna zu begeben. Er war zu dem Kloster der Angustinerinnen geeilt, um von Mutter und Schwester Abschied zu nehmen. Letztere sagte sich feierlich von dem Bruder los und warf sich nun ganz den Augustinerinnen in die Arme. Aber die Mutter flehte ihn an, sie mitzunehmen, denn der Boden von Florenz brannte ihr unter den Füßen. Sie fühle, daß sie bald sterben werde, sagte sie, und sie wolle nicht hier ihr Leben beschließen, wo ihr Sohn Girolamo von dem undankbaren Volke dem Verderben geweiht werde.

Ihre Kraft war gebrochen und sie wußte, daß ihre Stunden gezählt seien, aber in ihrem Herzen nahm sie die Überzeugung mit sich, daß ihr Sohn Girolamo ein Streiter sei für die göttliche Wahrheit, ein Blutzeuge gegen die Verderbnis der Kirche, daß seine Feinde ihn zwar gewaltsam vernichten und ihm das Leben rauben konnten, aber daß sie nicht den Samen zerstören würden, den er in die Herzen von Tausenden bereits gestreut hatte. 259

 


 


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