Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Fünftes Kapitel.
Die ewige Stadt im Mittelalter.

Die Leidenschaft, welche Friedrich von Neapel für die schöne Katharina Cornaro gefaßt hatte, war keine vorübergehende Laune, sondern eine ernsthafte Liebe, und er war keineswegs gesonnen, seine Hoffnungen sofort aufzugeben. Als er damals nach Neapel zurückgekehrt war, hatte er sich von den Teilnehmern seiner abenteuerlichen Fahrt bei Todesstrafe das unverbrüchlichste Stillschweigen geloben lassen und war dann mit seinem Vater zu Rate gegangen, wie er seinen Plan am sichersten zur Ausführung bringen könnte. So große Vorzüge die Stellung eines königlichen Prinzen auch hat, ist ein solcher doch auf der andern Seite von Hindernissen und Schwierigkeiten umgeben, welche für Menschen in andern Lebensstellungen nicht vorhanden sind. An eine offene Werbung von seiten Friedrichs konnte nicht gedacht werden, denn es lag zu sehr auf der Hand, daß eine solche Verbindung den Plänen der Republik Venedig durchaus entgegen war. Es blieb also nur übrig, den einmal vorgeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Die ganze Angelegenheit mußte lediglich den beiden Beteiligten überlassen bleiben. Lag die Thatsache der Vermählung erst vor, so konnte Venedig sie nicht mehr ungeschehen machen, und dem Könige Ferdinand wurde es leicht, den Überraschten zu spielen und sich den Anschein zu geben, als habe er gar nichts von den Plänen seines Sohnes gewußt. Des Königs ältester Sohn, Alfons, hatte selbst wieder einen Sohn, und es war daher sehr unwahrscheinlich, daß Friedrich jemals auf den neapolitanischen Thron kommen werde; um so weniger hatten die Venezianer Ursache zu ernsthaften Befürchtungen. Friedrich war ein tapferer und edelmütiger Mann, der die schöne Katharina Cornaro wahrhaft liebte; wäre ihm ihre Hand mit Venedigs Einwilligung zu teil geworden, er würde der treueste Bundesgenosse der Republik geblieben sein. Aber freilich, wer glaubte damals an Edelmut oder wahre Liebe, solange Egoismus und Habsucht die Welt regierten.

Friedrich war im Begriffe, sich mit einem entsprechenden Gefolge einzuschiffen, um möglichst vorsichtig zur Insel Cypern zu gelangen. Wiederum 87 wählte er mit seinen Begleitern die griechische Tracht, aber nur um dieselbe bis zur Ankunft bei der Villa Candoras beizubehalten. Dann sollte der Prinz seinem Range gemäß erscheinen und die Trauung in der Kapelle des Schlosses sofort vollzogen werden. Für Friedrich bedurfte es nur der Zusicherung des Vaters, daß derselbe unter keinen Umständen sich von Venedig bewegen lasse, die Ehe als ungültig zu erklären. Daß auch der Papst dies nicht thun werde, war sicher vorauszusehen, denn alle italienischen Staaten gönnten der hochmütigen Lagunenstadt eine solche Demütigung.

Katharina Cornaro.

Aber alle diese Vorbereitungen wurden im Keime erstickt, denn noch bevor Friedrich seine Brautfahrt antreten konnte, erfuhr die Welt die überraschende Neuigkeit, daß Georg Cornaro, im Auftrage des Rates der Zehn, seine Schwester gezwungen habe, Cypern zu verlassen, und die venezianische Regierung gleich darauf die schöne Insel für ihr Eigentum erklärt habe.

Die Vernichtung seiner Hoffnungen traf den Prinzen Friedrich für den Augenblick gleich einem schweren Schicksalsschlage, aber seine heißen Herzenswünsche betrafen weder die Insel Cypern, noch die gewesene Königin, die adoptierte Tochter der venezianischen Republik, sondern nur das schöne geliebte Weib, dessen körperliche und geistige Vorzüge seine Seele mit unzerreißbaren Banden umstrickt hatten. Mußte er vorläufig auf das geplante Unternehmen verzichten, so gab er damit keineswegs die Hoffnung auf eine endliche Vereinigung mit Katharina auf. Er sann Tag und Nacht, auf welche Weise er Nachricht von ihr erhalten, vielleicht sich ihr nähern und mit ihr verabreden könne, was zu thun sei, um das fern gerückte Ziel doch noch zu erreichen.

Da er von vornherein einsah, daß Katharinas Eigenschaft als Königin von Cypern das größte Hindernis für seine Wünsche bildete, entschloß er sich, ihre königliche Würde ganz außer acht zu lassen und sich im Gegenteil Bundesgenossen zu suchen, die ein Interesse daran hatten, Katharina von der Anwartschaft auf den Thron Cyperns zu entfernen. Zu diesem Zwecke war die Schwägerin Katharinas, die Halbschwester des verstorbenen illegitimen Königs, Carlotta von Lusignan, die sich selbst gleichfalls den Titel einer Königin von Cypern beilegte, besonders geeignet.

Diese Fürstin lebte in Rom, wo sie sich in der Nähe des Vatikan einen Palast gekauft hatte und einen Hof um sich versammelte, der zum großen Teil aus Schöngeistern, teils Flüchtlingen aus Griechenland, teils Griechen, die sich ihrer Studien wegen in Rom aufhielten, bestand. Denn es war damals in Rom und ganz Italien Mode geworden, sich mit dem klassischen Griechenland zu beschäftigen, und aus diesem Grunde galten die Nachkommen der alten Hellenen in der vornehmen italienischen Gesellschaft als besonders gern gesehene Erscheinungen. Mit einem Eifer, der fast übertrieben genannt werden konnte, wurden die Reste der klassischen Kunstwerke gesammelt und ergänzt. Herrlich, in andrer Art wie das antike, war auch das mittelalterliche Rom mit der Pracht seiner 88 Basiliken, dem Dienst seiner Grotten und Katakomben, den Patriarchien, jenen reichgeschmückten Hauptkirchen, in denen die Denkmäler des frühesten Christentums aufbewahrt sind, dem noch immer prächtigen Palast, der den deutschen Königen gehörte, den festen Burgen, welche sich die inmitten so vieler Gewalten unabhängigen Geschlechter der Orsini, Colonna u. a. trotzig eingerichtet hatten.

Während der Abwesenheit der Päpste in Avignon war dann aber das mittelalterliche Rom so gut verfallen, wie das antike längst in Trümmern lag.

Als Eugenius IV. im Jahre 1443 nach Rom zurückkehrte, war es eine Stadt der Rinderhirten geworden; die Einwohner unterschieden sich nicht von den Bauern und Hirten der Landschaft. Man hatte längst die Hügel verlassen, in der Ebene, an den Windungen der Tiber wohnte man; auf den engen Straßen gab es kein Pflaster, durch Balkone und Bogen, welche Haus an Haus stützten, waren sie noch mehr verdunkelt, man sah das Vieh wie auf dem Dorfe herumlaufen. An das Altertum war beinahe auch die Erinnerung verschwunden. Das Kapitol war der Berg der Ziegen, das Forum Romanum das Feld der Kühe geworden; an einige Monumente, die noch übrig waren, knüpfte man die seltsamsten Sagen. Die Peterskirche war in Gefahr zusammenzustürzen. Als endlich Nikolaus V. die Obedienz der gesamten Christenheit wiedergewonnen hatte, faßte er, reich geworden durch die Beiträge der zum Jubiläum strömenden, den Ablaß begehrenden Pilger, den Gedanken, Rom dergestalt mit Gebäuden zu schmücken, daß jedermann erkennen sollte, es sei die Hauptstadt der Welt.

In den vorhergehenden Jahrhunderten waren die Bauwerke der alten Welt teils von Barbarenhorden absichtlich zerstört, teils vom christlichen Fanatismus dem Zerfall überlassen worden. Man benutzte die Säulen zu christlichen Kirchenbauten, verbrannte den Marmor zu Kalk, verwandelte heidnische Tempel in Basiliken und Kapellen und vergrub die herrlichsten Meisterwerke griechischer Bildhauerkunst, weil man damit den Zauber bannen wollte, den der politische Unverstand einer dämonischen Macht zuschrieb, und der doch nur die Wirkung der reinsten Schönheit war. Alles was heidnischen Ursprungs schien, sollte umgewandelt oder der Vergessenheit anheim gegeben werden, und so vereinte sich die Indolenz der Menschen mit den Wirkungen der Zeit, um die unermeßlichen Schätze des Altertums allmählich den bewundernden Blicken zu entziehen, sie in Vergessenheit geraten und nach und nach ganz von der Welt verschwinden zu lassen. Das Volk sah selbstverständlich diesem Werke der Zerstörung gleichgültig zu, ja es trug in seiner frommen Einfalt das Seinige dazu bei. Aber die Zeit war nun gekommen, wo der gebildete Teil der gebildetsten Nation andern Sinnes wurde, und wie es häufig zu geschehen pflegt, geriet man aus einem Extrem in das andre, und ein wahrer Kultus der antiken Welt, namentlich der griechischen Kunstschätze, wurde in den gebildeten Kreisen von Italien Modesache.

Schon unter dem Papste Calixtus III., dem ersten Borgia, der die Tiara 89 trug, hatte die höchste geistliche Würde einen sehr weltlichen Charakter angenommen. Das Nepotentum, die Sucht, die direkten Nachkommen oder nächsten Verwandten möglichst zu bereichern und zu hohen Machtstellungen zu befördern, lenkte das Interesse der Päpste von den kirchlichen Angelegenheiten ab und entwickelte ihren weltlichen Sinn, der, entsprechend ihrer imponierenden Machtfülle und großartigen Stellung, einen ungewöhnlichen Charakter annahm. Was die Welt an Kostbarkeiten besaß, wurde ihnen zu Füßen niedergelegt.

So entwickelte sich inmitten des Überflusses die Prachtliebe und zugleich der Sinn für den schönen Schmuck der Künste, und sie zogen talentvolle Männer jeder Art in ihre Nähe, um sie teils zu eignen Schöpfungen aufzufordern, teils auch ihnen die Mittel zu gewähren, die Kunstwerke der großen Vergangenheit wieder an das Licht zu ziehen. Unter Sixtus IV. hatte die Prachtliebe und das Interesse für die Kunst den größten Aufschwung genommen; er und seine Nachfolger waren aber doch noch in kirchlichen Ansichten befangen, und die Künstler durften noch nicht wagen, sich ganz einer weltlichen Richtung zu überlassen. Sieht man die Werke von Luca Signorelli, von Mantegna, von Ghirlandajo, von Sandro Botticelli, denen sich in Florenz Filippo Lippi und Pietro 90 Perugino, in Bologna Francesco Francia, in Venedig die Brüder Bellini, Giorgione da Castelfranca und Vittore Carpaccio anschlossen, so erkennt man jenen frommen Sinn christlicher Einfachheit und Demut, der nach und nach einer kühneren und weltlicheren Auffassung wich.

Selbstverständlich bildete das Studium der griechischen Sprache eine Modebeschäftigung im damaligen Rom, und das Haus der Königin Carlotta von Cypern war schon darum von der höchsten Gesellschaft sehr besucht, weil man dort stets gelehrte Männer aus Griechenland traf, welche Gelegenheit zur Übung in ihrer Sprache gaben. Der Palast Carlottas war eingerichtet, wie es damals Sitte war. Massive Treppen von Marmor führten zu den eigentlichen Wohngemächern, welche etwas schwerfällig und düster waren. Sowohl der Hauptsaal wie die Nebenzimmer hatten Fußböden aus Fliesen und Plafonds aus Balken und Holzgetäfel, welche kunstvoll bemalt und vergoldet waren. Die weiß getünchten Wände waren mit gewirkten Tapeten behängt, hohe hölzerne Stühle mit Schnitzwerk, auf deren Sitz man Polster legte, massive Tische mit marmornen, teilweise auch mit eingelegten Platten, welche antike Mosaiken nachahmten, standen umher, und an den Wänden sah man mächtige Truhen aus bemaltem oder geschnitztem Holze. Carlotta hatte den großen Saal mit den Bildern ihrer Verwandten geschmückt und was sie an antiken Statuen, Vasen und Büsten hatte sammeln können, war überall aufgestellt; im Speisezimmer war der Kredenzschrank mit vielen Kostbarkeiten der Kunstindustrie besetzt, mit Schüsseln, Schalen und Trinkgeschirren von Gold und Silber und namentlich mit schönen Majoliken, welche hier wie überall nicht nur als Eßgeschirre dienten, sondern auch förmlich zur Schau gestellt waren.

Wenn Friedrich von Neapel mit der geistvollen Carlotta von Lusignan in Verbindung treten wollte, war dies am besten dadurch zu erreichen, daß er sich unter angenommenem Namen nach Rom begab. Als Graf von Spoleto führte er sich daselbst ein, und obgleich man bald am päpstlichen Hofe und in der vornehmen Gesellschaft seinen wahren Rang erkannte, ließ man ihn gewähren und behandelte ihn, seinem Wunsche nachgebend, nicht als Mitglied eines königlichen Hauses. Er konnte sich ungestörter bewegen, seinen eigentlichen Zweck verfolgen und den Vorwand gebrauchen, daß er sich einen Einblick in die römischen Verhältnisse verschaffen wolle.

Der junge Prinz hatte bald durchschaut, daß Carlotta ein förmliches Netz von Intrigen gegen Venedig spann. Sie trug sich mit der allerdings auf schwachen Füßen ruhenden Hoffnung, die in ihrem Hause erbliche Krone Cyperns doch noch zu erlangen. Für ihre Schwägerin Katharina hatte sie natürlich nur geringe Sympathien, aber sie ließ derselben persönliche Gerechtigkeit widerfahren, und Friedrich bemerkte gar bald, daß Carlotta nichts lieber sehen würde, als eine Vermählung Katharinas, weil dann ihre eignen Ansprüche wieder in den Vordergrund treten konnten. Friedrich erfuhr, daß 91 Katharina Cornaro als souveräne Fürstin das Schloß Asolo in Treviso bewohnte und sich dort im Kreise gelehrter Freunde mit Litteratur und Kunst beschäftigte. Sie sei still und in sich gekehrt, wurde hinzugesetzt. Carlotta von Lusignan schrieb diese Stimmung der Trauer über den Verlust ihrer Königswürde zu, während Friedrich im stillen hoffte, die geliebte Frau habe ihm ein treues Andenken bewahrt und aus Kummer über die Trennung von ihm ihre Heiterkeit eingebüßt.

Nach einiger Zeit war Friedrich mit Carlotta von Lusignan auf den Fuß wohlwollender Freundschaft gekommen. Daß ein geheimer Kummer ihren neuen Freund drückte, hatte sie bald entdeckt. Er zögerte auch nicht lange, ihr sein Geheimnis mitzuteilen und sie um ihren Beistand zu bitten. Mit lebhaftem Eifer ergriff Carlotta diese Angelegenheit und machte sie sofort zum Gegenstande ihrer sorgsamsten Überlegung.

Zwar waren die Trostgründe, welche Carlotta dem Prinzen zu geben hatte, nicht allzu erfreulicher Art, denn seine Ungeduld verlangte eine möglichst rasche Entscheidung, und sie konnte ihm nur eine Hoffnung zeigen, die an ungewisse Ereignisse geknüpft war. Papst Innocenz VIII. war seit längerer Zeit kränklich, und es war natürlich, daß nicht nur Rom, sondern die ganze Welt bereits im voraus die wichtige Frage über seinen Nachfolger in der höchsten Würde der Christenheit besprach. Hing doch von der Persönlichkeit des Papstes die Entscheidung in den wichtigsten politischen Fragen ab! Es war vorauszusehen, daß viele Zustände eine ganz andere Wendung nahmen, sobald der neue Papst dies wollte.

Im Hause der Königin Carlotta verkehrte der Kardinal Rodrigo Borgia, ein Lebemann, der unermeßliche Reichtümer besaß und den man bereits ziemlich sicher als den Nachfolger des jetzigen Papstes bezeichnete. Als gewandter und zugleich schlauer Mann ließ er bei allen einflußreichen Persönlichkeiten durchblicken, daß er ihre Wünsche billige und dieselben realisieren werde, sobald es auf ihn ankomme. Auch Carlotta hatte diese Versicherung oft erhalten und war daher fest überzeugt, daß der nächste Papst Venedig zwingen werde, ihre angestammten Rechte auf Cypern anzuerkennen und die schöne Insel, den Wünschen der Bewohner entsprechend, dem Hause Lusignan zurückzugeben. War dies der Fall, so fielen alle Hindernisse, welche einer Verbindung zwischen Friedrich und Katharina Cornaro entgegenstanden, in nichts zusammen.

Dies leuchtete dem Prinzen allerdings ein, aber es fiel ihm schwer, seine Ungeduld zu bemeistern und seine Sehnsucht auf diese ungewisse Hoffnung zurückzudrängen. Carlotta hatte den Kardinal Borgia im Vertrauen über Friedrichs Angelegenheit gesprochen und den jungen Königssohn dann mit dem schlauen Spanier bekannt gemacht. Der Kardinal befolgte auch hier wieder den Grundsatz, bei Friedrich eine günstige Stimmung für sich zu erwirken, indem er zwar vorsichtig vermied, die eigne Angelegenheit des Prinzen zu 92 berühren, aber dafür nachdrücklich die Meinung erkennen ließ, daß Carlotta von Lusignan ohne Zweifel noch einmal den cyprischen Thron besteigen werde. Damit war für Friedrich alles gesagt, und von diesem Augenblicke an hatte der Kardinal Borgia einen eifrigen Parteigänger mehr, der überdies von königlichem Geblüte war.

Das Schicksal drängte die Liebe des Prinzen zurück, als die ausgebrochene Empörung der Barone im Königreich Neapel seine Rückkehr sofort nötig machte. Er hoffte die Hauptstadt noch zu erreichen, aber er wurde unterwegs von den Rebellen aufgehalten und diese stellten an ihn die Forderung, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen, da sie weder seinen Vater, den König, noch seinen Bruder Alfons, sondern ihn als Herrscher anerkennen wollten. Aber Friedrich erklärte, er werde lieber in lebenslänglicher Gefangenschaft bleiben, oder den Tod erleiden, als das Schwert gegen seinen eignen Vater ziehen. Die Verschwörer hielten ihn darauf noch eine Zeit lang zurück und ließen ihn dann seines Weges ziehen.

Die ewigen Unruhen, welche bald hier bald dort in Italien aufflammten, hatten in dieser Zeit auch das Geschlecht Bentivoglio in Bologna betroffen, zwar nicht in der eignen Stadt, wohl aber in Faenza, wo Hippolyts Schwester, Francesca, mit Galeotto Manfredi, dem Gebieter der Stadt, vermählt war. Wohl mochte Galeotto seinem Weibe nicht völlig getreu sein und Francesca hatte ihrerseits vielleicht Ursache zur Eifersucht, aber sie ging doch zu weit, als sie sich von ihm, einer Geliebten wegen, vernachlässigt glaubte und den finstersten Rachegedanken Raum gab. Ihr heftiger Charakter hatte die Eintracht ihrer Ehe gestört. Es wäre ihr nicht schwer geworden, den Gemahl durch sanfte Nachgiebigkeit wieder an sich zu fesseln. Statt dessen mietete sie drei Mörder, welche sich unter ihrem Bett versteckt hielten, während sie sich selbst gefährlich krank stellte und ihren Gatten auffordern ließ, zu ihr zu kommen. Ein vierter Mörder war hinter den Vorhängen des Gemaches verborgen. Dieser stürzte sofort auf Manfredi los, als er in das Zimmer trat und sich dem Bett seines vermeintlich kranken Weibes näherte. Da Manfredi ein ungewöhnlich kräftiger und gewandter Mann war, überwältigte er seinen Gegner, noch bevor die drei andern Mörder unter dem Bett hervorkommen konnten. Aber Francesca geriet in ihrer Wut derart außer sich, daß sie vom Bett aufsprang, einen Degen ergriff und ihn in die Brust ihres Gatten stieß. Die Mörderin entfloh darauf mit ihren Kindern und suchte Sicherheit in der Festung von Faenza. Die Bewohner dieser Stadt verehrten jedoch Galeotto und die Familie Manfredi und vernahmen die Kunde von dem Tode ihres Fürsten mit Abscheu und Wut. Johann Bentivoglio erkannte die Gefahr, welche seiner Tochter drohte, und eilte mit militärischer Hilfe herbei, um sie zu retten. Aber die Einwohner stellten sich ihm entgegen, und das Volk der Umgegend eilte in Massen herbei. Sie kämpften mit Glück gegen den alten Bentivoglio und nahmen ihn gefangen. 94 Zugleich wendeten sie sich an Lorenzo von Medici und baten um seinen Beistand. Lorenzo begrüßte diese Gelegenheit mit Freuden, denn er wußte, daß die Venezianer längst den Besitz von Faenza anstrebten, und er schlichtete den Streit dahin, daß Johann Bentivoglio mit seiner Tochter nach Bologna zurückkehrte, während die florentinische Republik die Vormundschaft über die Erben Galeottos übernahm.

Kurze Zeit darauf starb Johann Bentivoglio, und sein Sohn Hippolyt folgte ihm in der Herrschaft über Bologna. Er war bereits längere Zeit mit Orsola Cantarelli verheiratet und strebte gleich den andern kleinen Regenten Italiens, seine Herrschaft immer weiter auszudehnen, wobei ihm die Wahl der Mittel zu seinen Zwecken wenig Gewissensskrupel machte.

Franceschetto Cybo, der vom heiligen Vater zum Fürsten von Massa und Carrara ernannt worden, war nun gleichfalls bereits mit Magdalena von Medici verheiratet, und das junge Paar verlebte die erste Zeit seiner Ehe in Florenz, wo Franceschetto sich einen Palast hatte bauen lassen und in der Freigebigkeit gegen Künstler nicht hinter seinem Schwiegervater zurückblieb. Magdalena hatte sich dem Willen ihrer Eltern gefügt, aber sie blieb verdrossenen Sinnes, und ihr Gatte versuchte vergeblich, durch die größten Aufmerksamkeiten ihr zuweilen ein freundliches Wort zu entlocken. Schon fing die Ungeduld an, sich seines Wesens zu bemächtigen und er suchte sich durch die früher gewohnten Zerstreuungen für die Kälte seiner Gattin zu entschädigen, als ihn eines Tages die Kunde vom bevorstehenden Tode des Papstes nach Rom rief. Innocenz VIII. war schon seit einiger Zeit schwer erkrankt, und man befürchtete täglich sein Hinscheiden. Franceschetto eilte rechtzeitig nach Rom, um sich des päpstlichen Schatzes zu bemächtigen und da er bei seiner Ankunft von dem erfolgten Tode des Papstes hörte, machte er sofort Anstalten, diese Absicht auszuführen. Aber die Kardinäle befanden sich bereits im Vatikan, um das Inventarium des Schatzes aufzunehmen. Franceschetto wurde beschuldigt, seit langer Zeit bereits einen Teil der Kirchenschätze nach Florenz gebracht zu haben, und es entstand ein höchst ärgerlicher Streit um die päpstliche Hinterlassenschaft. Und inmitten dieses Lärms kam der Papst, der zwanzig Stunden im Starrkrampf gelegen und alles gehört hatte, was um ihn vorging, wieder zu sich und kaum fühlte er seine Kräfte zurückkehren, so schickte er die Kardinäle fort, indem er ihnen die Versicherung gab, daß er sie noch alle zu überleben hoffe.

Selbstverständlich blieb dieser Vorfall nicht ohne großen Einfluß auf die Gemütsstimmung des Papstes. Fast wäre er lebendig begraben worden. Er wurde namentlich auch gegen seine Ärzte mit Mißtrauen erfüllt. Die medizinische Wissenschaft lag damals sehr im argen und bestand mehr als zur Hälfte aus Charlatanerie. Die unglaublichsten Heilmittel wurden aus allen Naturreichen zusammengebraut, und wenn es sich um die Gesundheit eines Hochstehenden handelte, wendeten die Ärzte oft die kostspieligsten und seltensten 95 Dinge als Arzneimittel an. Da wurden Perlen zerstoßen, Edelsteine aufgelöst und lebende Tiere martervoll zerstückelt, um Heilkräfte zu gewinnen. Papst Innocenz hatte wiederholt von einem Arzte reden gehört, der zwar ein Hebräer war und im Ghetto wohnte, dessen Ruf aber durch einige staunenerregende Kuren, welche fast an das Wunderbare grenzten, schon bis zum Vatikan drang. Der Papst wünschte diesen Mann zu Rate zu ziehen, und obgleich die meisten Kardinäle und der ganze päpstliche Hof dieses Verlangen mit Entsetzen vernahmen und alles aufboten, den heiligen Vater von seinem Plane abzubringen, blieb er dennoch dabei und brachte endlich durch seinen energischen Befehl alle widersprechenden Meinungen zum Schweigen.

Das Ghetto, oder die Judenstadt, bestand damals aus einer Hauptstraße, die sehr enge war, und mehreren noch engeren Seitengäßchen. Der ganze Komplex war abgeschlossen. An beiden Enden der Hauptstraße befanden sich eiserne Gitterthore, die seit der Zeit des Papstes Pius IV. des Abends geschlossen und des Morgens geöffnet wurden. Diese, nahe der Tiber gelegenen Straßen, gehörten an und für sich zu den ungesundesten Teilen der Stadt. Der Umstand, daß die engen Wohnungen überfüllt waren, trug natürlich nicht wenig dazu bei, dort zuweilen Krankheiten ausbrechen zu lassen, die dann auch benachbarte Gegenden ergriffen und das von Vorurteilen geängstigte Volk auf den Gedanken brachten, die Juden vergifteten absichtlich Wasser und Luft. Dazu kam, daß in jener finstern Zeit überall in Europa die jüdischen Ärzte, welche die maurische Gelehrsamkeit studierten, alle einheimischen Quacksalber an Einsicht und Kenntnissen bedeutend überragten, was dann dem kleinlichen Neide zu gehässigen Verleumdungen Veranlassung gab. Hatte hier und da ein jüdischer Arzt seinen Landsleuten den Rat gegeben, das schlechte Trinkwasser durch irgend einen Zusatz zu verbessern, so gab dieser Umstand die Handhabe zu thörichten und abscheulichen Gerüchten.

In der Hauptstraße des Ghetto befanden sich große und schöne Häuser, von denen einige nach der Straße hin so gebaut waren, daß sie unansehnlich aussahen, während sie nach den Höfen schön verzierte Außenwände besaßen und im Innern große Wohnräume enthielten. Da selten ein Christ diese Häuser besuchte, und wenn dies geschah, der Besuch sich darauf beschränkte, die Geschäftsräume des Hausherrn zu betreten, so konnten die Juden ungescheut in ihren Wohnstuben so viel Luxus entfalten, als sie wollten. Wie in einer Märchenwelt mochte sich daher der fremde Besucher wähnen, der einmal zufällig jene geheimnisvollen Räume betrat.

Ghetto zu Rom.

Zuerst kam er in die abgelegene, enge und schmutzige Gasse, ging darauf in ein finster aussehendes Haus, dessen Äußeres eher einem Gefängnisse, als einer geschmackvollen menschlichen Wohnung glich. Aber unerwartet erblickte er sich dann plötzlich in hell erleuchteten, im orientalischen Geschmack und mit fremdartigem Luxus ausgestatteten Räumen. Kostbare Teppiche bedeckten die 96 Fußböden, weich gepolsterte Divans luden zum Sitzen ein, und von der Decke hingen prächtige Lampen herab. Da viele Juden auch in ihrer Kleidung die Sitte ihrer orientalischen Heimat beibehielten, wurde der märchenhafte Eindruck noch verstärkt, wenn die Frauen und Töchter in ihrer fremdartigen Schönheit sich dem Besucher in einer Tracht näherten, welche an die biblischen Erzählungen des Alten Testaments gemahnte und oft durch Reichtum und Pracht das erstaunte Auge blendete.

So mag es auch im Hause des jüdischen Arztes Isaak Yem gewesen sein, umsomehr, da dessen Gattin die Tochter eines sehr reichen Kaufmanns war, der Mittel genug besaß, um seinem Kinde eine wirklich reiche und kostbare Einrichtung zu geben.

Man gelangte durch eine hohe und schmale Thür in die dunkle Hausflur, worin sich das Auge erst zurecht finden mußte, um die Treppe zu gewahren, die nach den oberen Stockwerken führte. Unten befanden sich zu beiden Seiten der Flur große Kaufgewölbe, welche vermietet waren und die ihr Licht durch Thüren empfingen, welche nach der Straße gingen. Hatte man die dunkle Treppe, die ziemlich steil nach oben ging, endlich gefunden und mühsam erklommen, so mußte man an eine Thür klopfen, die oben wieder zu einem Vorplatz führte, der ebenfalls nur spärliches Licht hatte. Dann erst gelangte man in das Zimmer des Hausherrn, welches ganz den Charakter der Studierstube eines gelehrten Arztes trug. Große Folianten in griechischer und hebräischer Sprache füllten die geschnitzten Holzgestelle, die einen Teil der Wände deckten. Auf andern Gestellen sah man Flaschen und Phiolen mit allerhand Flüssigkeiten, und Gegenstände, die in Spiritus aufbewahrt wurden. Auch an ausgestopften Tieren, Gerippen und Totenschädeln fehlte es nicht, und der große Tisch in der Mitte des Gemaches trug stets eine Menge von Instrumenten und ähnlichen Gegenständen zum fortwährenden Gebrauch. Erst durch dieses Studierzimmer gelangte man in das Heiligtum des Hauses, in die große Familienstube, welche zur linken Hand lag. Hier war in der That alles vereinigt, um in dem Besucher die Stimmung wachzurufen, welche bei der Schilderung orientalischer Märchenpracht in der Seele aufsteigt. Kein Bild und keine Statue war zu sehen, aber den Boden und die Wände bedeckten kostbare türkische Teppiche, welche auch die Thüröffnungen verhüllten. Alle Möbel, Zieraten und sonstige Einrichtungsstücke waren im maurischen Stil gehalten und wurden vom Lichte der kostbaren Hängelampe bestrahlt, die nicht nur des Abends, sondern auch einen großen Teil des Tages über brennen mußte, weil die Enge der Straße und des Hofraums nur wenig Tageslicht einließ. In diesem Zimmer war die Hausfrau meistens zu finden.

Auf der andern Seite von Isaaks Arbeitsstube befand sich ein Raum, in welchem seine beiden hoffnungsvollen Knaben ihren Studien und nebenbei auch ihren Spielen nachgehen konnten. Eine Treppe höher waren die 97 Schlafräume, in welche wenigstens etwas Licht und Luft eindringen konnte und die der kundige Arzt gerade deshalb zu diesem Zwecke bestimmt hatte.

Es erregte nicht wenig Aufsehen im Ghetto, als päpstliche Diener daselbst erschienen, um den gepriesenen Arzt Yem in den Vatikan abzuholen. Doch war es keine freudige Überraschung, denn Isaak sowohl wie seine Glaubensbrüder wußten, daß man sich ihrer stets nur in der größten Not erinnerte, wenn gar keine andre Hilfe mehr zu finden war: aber sie hatten genugsame Erfahrungen, daß man sich in den meisten Fällen mit Widerwillen und Haß ihrer bediente. Kamen Christen in das Ghetto, um Geld zu leihen, so waren sie den Juden willkommen, denn diese gaben keine Darlehen heraus, wenn ihnen nicht hohe Zinsen und dreifache Sicherheit zu teil geworden waren. Aber ungern verfügten sie sich selbst in die Wohnung christlicher Machthaber, weil sie sich dort nicht sicher fühlten. Und nun gar als ärztlicher Ratgeber an das Bett des kranken Papstes gerufen zu werden, war eine sehr gefährliche Sache, die leicht zu einem schlimmen Ende führen konnte!

Und doch hob sich Isaaks Brust mit stolzem Bewußtsein und kühner Hoffnung, als er die Botschaft erhielt. Seit Wochen und Monaten war der Zustand 98 des Papstes in allen seinen Einzelheiten oft und viel besprochen worden. Die Leibärzte und fremden Gelehrten, welche man zugezogen hatte, wußten keinen Rat mehr, denn sie hatten alle Mittel erschöpft, welche die Heilkunde nach dem damaligen Stande der ärztlichen Wissenschaft ihnen bieten konnte, und es war geradezu rätselhaft, daß die Kräfte des Kranken nicht zunehmen und doch auch nicht soweit herabsinken wollten, um dem Tode das Feld zu räumen.

Der Papst galt als die wichtigste Person in Europa, und von seinem Leben oder Tod hing in jeder Richtung soviel ab, daß es begreiflich war, wenn sein körperliches Befinden mit dem größten Interesse beobachtet wurde. Für die Ärzte war seine Krankheit daher ein Gegenstand fortwährenden Nachdenkens, und Isaak Yem kannte ganz genau alle Symptome und Umstände seines Leidens. Als ein begeisterter Jünger seiner Wissenschaft, hatte er längst seine eignen Ansichten über das Übel, welches das Oberhaupt der Kirche erfaßt hatte, und er glaubte das einzige Mittel zu kennen, welches dem Papste die Gesundheit wiedergeben könne.

Aus diesem Grunde freute er sich der Berufung zu dem Kranken. Er beruhigte mit freudiger Zuversicht sein ängstliches Weib und die herbeieilenden Freunde, dann ging er nicht in Besorgnis, sondern mit der Hoffnung auf einen großen Triumph der Wissenschaft mit seinen Begleitern über die Tiberbrücke nach dem Vatikan.

Der Vatikan zu Rom.

Innocenz VIII. erwartete den jüdischen Arzt mit begreiflicher Ungeduld. Wer ihn Genesung hoffen ließ, war selbstverständlich für ihn ein Heiland. Da die kostbarsten Reliquien und alle lebenden Wunderthäter der Kirche vergeblich ihre Kunst an ihm versucht hatten, sah er nun in dem vielgenannten jüdischen Heilkünstler seine letzte Zuflucht und war im voraus entschlossen, sich ganz dessen Anordnungen zu fügen. Mit Ärger sahen die Kardinäle diesen gegen alles Herkommen verstoßenden Schritt des heiligen Vaters, und mit Neid blickten die meisten Ärzte des Vatikans auf den ungläubigen Kollegen, dessen Ruf unermeßlich steigen mußte, wenn es ihm wirklich gelang, dem Papste wieder zur Gesundheit zu verhelfen.

Kaum hatte Isaak den körperlichen Zustand seines erhabenen Patienten untersucht, als er alle seine Vermutungen bestätigt fand und mit kühnem Mute die Überzeugung aussprach, es gebe nur ein einziges Mittel, um das kostbare Leben zu retten. Dieses Mittel bestehe in der Zuführung von gesundem jugendlichen Menschenblute, welches durch eine Operation direkt in die Adern des entkräfteten Greises geleitet werden müsse.

Dieser Ausspruch machte das größte Aufsehen. Wohl kannte man die Versuche, welche gemacht worden waren, um das Blut von Tieren in die Adern kranker Menschen zu leiten, aber da das Leben eines Tieres in solchem Falle nicht in Betracht kommt, hatte man nicht den geringsten Anstand genommen, dieselben bei solchen Operationen dem Tode zu überliefern. Nun aber wagte 99 der jüdische Heilkünstler den Vorschlag zu machen, daß ein Menschenleben gewagt werden sollte, um den Versuch zu machen, dem Papste Genesung zu verschaffen. Die verschiedenartigsten Empfindungen bemächtigten sich der Umgebung des Kranken. Bestürzung, Entrüstung, ja sogar Abscheu sprach aus allen Mienen.

Vielleicht würde niemand unter andern Umständen etwas Entsetzliches in dem Vorschlage gefunden haben, aber nun wurde derselbe mit Mißtrauen aufgenommen, weil man befürchtete, der Jude habe eine tückische Nebenabsicht und wolle mit seinem Heilmittel zugleich der Kirche in ihrem Oberhaupte einen empfindlichen Schlag versetzen. Denn was sollte Europa, was sollte die ganze Menschheit dazu sagen, wenn das Leben des Papstes gleichsam durch ein Menschenopfer gerettet wurde! War dies nicht eine direkte Verleugnung aller christlichen Gesinnungen? Und selbst wenn die Entziehung des Blutes nicht tödlich war und sich Eltern finden sollten, welche ihre Kinder zu diesem Zwecke gegen reichliche Entschädigung hingaben, die Thatsache, daß der Papst seine Rettung einem Unternehmen verdankte, bei welchem ein Menschenleben in Gefahr kam, wurde dadurch nicht geändert.

Innocenz selbst fühlte dies, aber der Wunsch nach Genesung war zu lebhaft in ihm, um den Vorschlag sofort zurückzuweisen. Um jedoch dem Juden gegenüber wenigstens den Schein seiner Pflicht als erster Hüter der christlichen Gebote zu wahren, fragte er diesen, ob für diejenigen Menschen, durch deren Blut seine gesunkenen Kräfte gehoben werden sollten, eine Lebensgefahr im Spiele sei. Isaak gab darauf die feste Zusicherung, dies sei nicht der Fall, und bei einigermaßen sorgfältigem Verfahren könne er die Garantie übernehmen, daß Seine Heiligkeit wieder hergestellt werde, ohne Schaden für die betreffenden Menschen, deren Blut als Heilmittel dienen werde. Diese Zusicherung beruhigte das letzte Bedenken des Papstes und veranlaßte ihn, den Befehl zu geben, man solle dem gelehrten Isaak Yem in allen Stücken gehorchen, sofort für die Herbeischaffung der nötigen Instrumente sorgen und Umschau halten nach gottergebenen Menschen, die bereit seien, ihr Blut für die Genesung des Hauptes der Kirche zu opfern.

Die Kardinäle verfügten sich mit den übrigen Ärzten in ein andres Gemach, um die Angelegenheit zu beraten. Die verschiedensten Leidenschaften sprachen aus ihren Blicken, Mienen und Worten, und wenn auch keiner wagte, dem ausgesprochenen Wunsche des Papstes sich zu widersetzen, so waren sie doch wie auf Verabredung darin einig, daß der Jude ihren tiefsten Haß und jede erdenkliche Rache verdient habe. Einer der anwesenden Ärzte kannte Yems Familienverhältnisse, und auf eine Bemerkung von seiner Seite, vereinigten sich sämtliche Kardinäle zu einem Plane, der wenigstens dem verhaßten Juden als unvergeßlicher Denkzettel dienen und ihm reichlich die Angst und Aufregung heimzahlen sollte, die er ihnen verursacht hatte.

100 Man begab sich wieder in das Zimmer des Kranken, und unter dem Vorwande, Isaaks Vorschlag müsse so geheim und rasch wie möglich ausgeführt werden, damit nicht vorher der Unwille des Volkes erzeugt und dadurch ein Hindernis hervorgerufen werde, ordneten sie an, der Jude solle im Vatikan bleiben, damit die Operation ohne Verzug vollzogen werde. Die nötigen Instrumente sollten für ihn sofort zur Stelle geschafft und für ein Paar gesunde Kinder oder Jünglinge gesorgt werden, welche gegen eine hohe Entschädigung die immerhin lebensgefährliche Entziehung des Blutes mit sich vornehmen lassen wollten.

Der jüdische Arzt war damit zufrieden und begann sofort und mit Eifer alle Vorbereitungen zu dem wichtigen Vornehmen zu treffen. Als wären sie inzwischen mit ihm versöhnt worden, stellten sich die übrigen Ärzte zu seiner Verfügung, ordneten und reinigten die herbeigeschafften Instrumente und gingen ihm in jeder Hinsicht bereitwillig zur Hand.

Endlich trat ein Diener ein und flüsterte dem Juden in das Ohr, daß die beiden Kinder, welche bei der Operation verwendet werden sollten, in einem anstoßenden Gemache seiner harrten.

Noch ganz im Eifer der Anordnungen, legte Yem die Instrumente aus der Hand, wischte seine Finger mit einem reinen Tuche ab und ging heiteren Mutes auf das Nebengemach zu, um jene Kinder mit einem prüfenden Blicke zu betrachten.

Aber fast wäre er an der Schwelle ohnmächtig vor Schreck zusammengesunken, denn er erblickte in jenem Zimmer, von den Kardinälen, die mit ernsten drohenden Blicken jede seiner Bewegungen beobachteten, umringt, seine eignen beiden Knaben, welche man unter einem Vorwande von der Seite der ängstlichen Mutter aus dem Hause im Ghetto weggeholt und hierher gebracht hatte.

Was sollte Isaak beginnen? Mit dem ersten Blicke erkannte er die furchtbare Schwierigkeit seiner Lage. Verzweiflungsvoll irrte sein Auge zu den Kardinälen, aber diese wußten von der Angst des Vaters ebensowenig, wie von dem stillen Glücke, welches der Frieden des Hauses gewährt. Sie hatten längst die Gefühle verleugnet, welche die Natur als die heiligsten anerkennt und überdies sahen sie in Yem ein Glied des verhaßten Volkes, welches einst den Tod des Stifters ihrer Religion bewirkt und an dessen Fersen sich seitdem der Fluch geheftet hatte.

Einen Augenblick lang glaubte der Arzt einen Ausweg finden zu können und er stieß rasch die Worte hervor.

»Wie sollte ich im stande sein, an meinen eignen Kindern eine so gefährliche Operation vorzunehmen? Das ist vollständig unmöglich.«

Aber der Kardinal Orsini, der ein großer Judenfeind war, entgegnete heftig: »Und doch wolltest du es wagen, Christenkinder dieser Gefahr auszusetzen? Du selbst hast den Vorschlag gemacht, welchen wir alle mißbilligen, trage nun auch die Folgen deiner Kühnheit. Nur auf diese Weise ist dir die 101 Möglichkeit gegeben, das Verderben von dir und den Deinigen abzuhalten. Du hast keine Wahl mehr. Deinen eignen Kindern gegenüber wirst du alle Vorsicht anwenden, um ihr Leben zu schonen, und es kann weder für dich noch für den heiligen Vater und seine Umgebung Unheil aus dieser Operation entstehen. Suche also keine Ausflüchte und gehe rasch ans Werk, wenn du nicht willst, daß die ganze Strenge des Gesetzes dich und die Deinigen treffe. Du weißt, daß man mit deinesgleichen wenig Umstände macht.«

Beim Anhören dieser schrecklichen Worte blickte Isaak noch einmal wie in Verzweiflung um sich. Er rang vergeblich die Hände und mühte sein Gehirn ab, um einen Ausweg zu entdecken. Was half es ihm, daß er sein ganzes Leben der Wissenschaft gewidmet hatte und seiner Tugenden wegen unter seinem Volke hoch geachtet war? Hilflos stand er hier, und keine Macht der Erde konnte ihn aus dieser entsetzensvollen Lage reißen. Endlich faßte er einen männlichen, wenn auch grauenerregenden Entschluß. Er eilte auf seine beiden Knaben zu, preßte abwechselnd ihre geliebten Häupter an seine Brust und bedeckte ihre erstaunten Gesichter mit zärtlichen Küssen.

»Habt Mut«, flüsterte er ihnen zu, »und haltet standhaft aus, was jetzt mit euch geschehen soll. Jehovah kann uns in dieser Stunde seine Hilfe nicht entziehen. Sie haben euch hierher gebracht, damit meine Hand zittern und ich das Werk nicht richtig vollbringen könne, aber sie sollen sich täuschen, und die Wissenschaft wird heute durch mich einen großen Triumph feiern.«

Dann wendete er sich zu den Kardinälen und sagte mit fester Stimme und in fast feierlichem Tone.

»Ich bin bereit: die Operation kann beginnen.«

Die Thür wurde geöffnet, und an jeder Hand einen seiner Knaben führend, trat Yem geisterbleich, aber gefaßten Herzens in das Krankenzimmer des Papstes, wo die andern Ärzte seiner harrten. Die Kardinäle blieben im Seitenzimmer und warteten gespannt auf den Erfolg.

Mit der geübten Hand des erfahrenen Meisters vollführte Yem die Operation, und alles ging glücklich von statten. Die Wirkung war unverkennbar, und mit Ingrimm bemerkten die christlichen Ärzte, daß der Erfolg des Juden ihre Kunst in Schatten stellte. Yem hatte keinem seiner Knaben viel Blut entziehen wollen und daher von jedem derselben etwas genommen. Alles war über Erwarten geglückt, und die Brust des jüdischen Gelehrten hob sich bereits in frohem Selbstbewußtsein. Aber nachdem die Überführung des Blutes geschehen war, kam es vor allen Dingen darauf an, bei jedem der Knaben so rasch als möglich den Verband anzulegen, denn wenn auch nur ein kleinster Teil von atmosphärischer Luft in die Adern gelangte, entstand höchste Lebensgefahr. Niemand, selbst Yem nicht, hatte von diesem gefährlichen Umstande genaue Kenntnis, denn noch war die ganze Operation eine Neuerung, und die Erfahrung fehlte nach allen Richtungen hin.

102 Für den Patienten war die Operation offenbar von entscheidendem Erfolg gewesen, und im ersten Augenblicke schienen auch die beiden Knaben ungefährdet, aber nach kurzer Zeit stellten sich schlimme Symptome und krampfhafte Anfälle ein, so daß die Kinder rasch in ein andres Gemach gebracht werden mußten, wo der unglückliche Vater ihnen folgte, um alle Mittel zu ihrer Rettung anzuwenden.

Während nun der greise Papst unter der Obhut der übrigen Ärzte in einen heilsamen Schlummer verfiel, verschlimmerte sich der schreckliche Zustand der beiden hingeopferten Judenknaben so rasch, daß kaum nach einer Stunde der unselige Vater zwei Leichen vor sich sah.

Da schlug der Dämon des Wahnsinns seine furchtbaren Krallen ihm in das verwüstete Gehirn. Wie hätte er daran denken können, die lieblichen einzigen Kinder, welche noch vor kaum zwei Stunden blühend und fröhlich bei der Mutter geweilt hatten, dieser als Leichen zurückzubringen! Wie konnte er der armen Mutter überhaupt jemals wieder vor die Augen treten? Wähnte er doch, daß sie diesen Schlag nicht überleben werde, und wie hätte er nun auch noch ihren Tod ertragen sollen! Seine Gedanken verwirrten sich; ihm war, als müsse er fliehen, wandern, unaufhörlich wandern, um dem Fluche zu entgehen, welcher auf ihm und seinem Volke lastete. Immer wieder fielen seine irren Blicke auf die blassen Züge seiner getöteten Kinder. Sterben wäre ihm wie eine Erlösung erschienen, aber im Wahnsinn glaubte er nun, der Tod fliehe vor ihm, weil er ihm seine beste Beute entrissen habe und hinfort werde er alles um sich her sterben sehen, nur er selbst müsse leben, um ruhelos zu wandern bis an das Ende der Welt. –

So verließ Yem den Vatikan und als er unten auf dem Platze vor der Peterskirche anlangte und das Gewühl der aufgeregten Menschen sah, von denen viele wissen wollten, wie es mit dem Papste stehe, steigerte sich die Verwirrung seiner Gedanken, und er glaubte sich von schlimmen Dämonen gejagt. Keine Macht der Welt würde ihn wieder nach dem Ghetto zurückgebracht haben. Einen Augenblick versteckte er sich und lauerte, bis er sah, daß dunkle Gestalten eine verhüllte Bahre aus dem päpstlichen Palaste brachten. Mit zuckendem Herzen folgte er ihnen und da er erkannte, daß sie den Weg nach dem Ghetto nahmen, packte ihn aufs neue der Wahnsinn, und wie von grimmigen Mächten des Sturmes gepeitscht, eilte er hinaus vor die Stadt und weiter, immer weiter, ohne zu wissen, wohin. 103

 


 


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