Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Zusammentreffen des Konklave. Nach Picart, »Cérémonies religieuses«.

Neuntes Kapitel.
Ludwig Moro hält Hochzeit.

Fast zu derselben Zeit, als Lorenzo von Medici starb, hatte sich der unerbittliche Tod auch dem Papste Innocenz VIII. genaht und dadurch die unwürdigen Ereignisse entfesselt, die sich auf die neue Papstwahl bezogen. Es handelte sich dabei um nichts weiter als um die größten Mittel zur Bestechung der Kardinäle, und die Verhandlungen wurden mit schamloser Offenheit betrieben. Daß in dieser Frist alle Familien, welche mit Rom in irgend einer Beziehung standen, fieberhaft aufgeregt wurden und dem Ergebnis der Papstwahl mit Sorge und Bangen entgegensahen, verstand sich von selbst; kein Wunder, daß auch die Familie Medici einen Teil ihrer Trauer um Lorenzos Tod vergaß, um mit Spannung auf den Zusammentritt des Konklave zu Rom und die Papstwahl zu blicken, denn nicht nur, daß Magdalenas Gatte mancherlei Befürchtungen wegen des unrechtmäßigen Reichtums, den er dem verstorbenen Papst verdankte, hegen konnte, auch die Zukunft des jugendlichen Kardinals Johann Medici kam in Betracht.

138 Endlich siegte der spanische Kardinal Rodrigo Borgia, der seiner kolossalen Reichtümer wegen alle übrigen Bewerber überbieten konnte und als Papst Alexander VI. den heiligen Stuhl Petri bestieg.

In dieser Wahl fand die stolze Clarissa von Medici den stärksten Trost; denn für die Familie Orsini war das Ergebnis von ganz besonders eingreifender Bedeutung und eröffnete dem Ehrgeize derselben neue Wege. Es war ein Beweis für die unermeßliche Gewalt des damaligen Papsttums, daß selbst eine Familie von so ruhmreicher Vergangenheit, wie die Orsini, darüber frohlockte, daß eine Frau aus ihrem Hause in ehebrecherischen Beziehungen zum Kardinal Rodrigo Borgia stand, als dieser den päpstlichen Stuhl bestieg.

Allerdings war die Familie Borgia selbst von hoher Herkunft und die betreffende Frau war mit einem nahen Verwandten des neuen Papstes vermählt gewesen. Schon Papst Calixtus  III. entstammte jenem Geschlechte, und unter ihm hatte sich diese spanische Familie zum großen Ärger der alten römischen Häuser Colonna und Orsini in Rom festgesetzt. Mit fünfundzwanzig Jahren ward Rodrigo Kardinal; als bald darauf sein Bruder, der gleichfalls in hohen Würden stand und große Reichtümer besaß, plötzlich starb, erbte er dessen sämtliche Güter und wurde dadurch einer der einflußreichsten Kardinäle.

Alle Welt in Rom wußte, daß der neue Papst ein Lebemann der schlimmsten Art war, der frühzeitig schon seine hohe Kirchenwürde bei üppigen Gelagen vergaß und dem öffentlichen Gerede den skandalösesten Stoff gab. Ebenso war es bekannt, daß er mit einer schönen Römerin, Namens Vanozza de Catanei, mehrere Kinder hatte, unter denen der älteste Sohn Cäsar und die darauf folgende Tochter Lucrezia bereits heranwuchsen. Noch vor der Papstwahl verheiratete er auf Grund einer reichen Mitgift die schöne Vanozza mit einem Mantuaner, der dann in Rom als päpstlicher Kämmerer eine Stellung fand. Darauf trat Rodrigo Borgia mit Frau Adriana, einer geborenen Mila aus dem Hause Borgia und Witwe eines Orsini, in freundschaftliche Beziehung und vertraute ihr die Erziehung seiner Tochter Lucrezia an. Madonna Adriana war eine kluge Frau; sie mag wohl gewußt haben, daß der geistreiche Kardinal Rodrigo Borgia zwar an ihrem Umgang dauernd Wohlgefallen finden könne, während seine unersättliche Sinnlichkeit andre Verbindungen suchen werde, und sie brachte ihn daher selbst mit ihrer eignen Schwiegertochter, der Gemahlin ihres Sohnes Orsinus Orsini, der jungen und schönen Julia aus dem Hause Farnese, zusammen. Bei Adriana Orsini sah der Kardinal die jugendliche Julia bereits vor ihrer Vermählung. Julia war so schön, daß man sie in Rom allgemein »la Bella« nannte. Sie hatte goldfarbiges Haar, große dunkelblaue Augen und war von Gesichtszügen eine der reizendsten Erscheinungen. Auch ihr Wuchs war nach allen übereinstimmenden Berichten tadellos. Ob dieses herrliche Geschöpf schon vor ihrer Vermählung durch die Kupplerkünste Adrianas in die Gewalt des Wüstlings Rodrigo Borgia geriet, oder ob sie die Sinne 139 des achtundfünfzigjährigen Mannes erst an dem Tage entflammte, als sie im Glanze entzückender Jugend in seinem Palaste als Braut des jungen Orsini vor ihm stand, ist zweifelhaft, aber ganz gewiß war Julia schon wenige Jahre nach ihrer Vermählung die erklärte Geliebte des Kardinals, und Madonna Adriana duldete dieses schmachvolle Verhältnis, weil sie durch dasselbe die mächtigste und einflußreichste Person im Hause des Kardinals und später am päpstlichen Hofe wurde.

Die Erhebung zur höchsten Würde der Christenheit hing einzig und allein davon ab, welche Summe der Bewerber zahlen konnte – war es da ein Wunder, wenn auch alle übrigen Vorzüge feil geboten wurden, und der Begriff von Tugend und Frauenehre völlig verschwand, sobald es sich um ein glänzendes Los, um Macht und Besitz handelte? Der Kardinal Borgia hatte seine bisherige Geliebte Vanozza verheiratet, um ein Hindernis bei der Papstwahl hinweg zu räumen, weil sie die Mutter seiner Kinder war, die von nun an als seine Neffen und Nichten gelten sollten – die kluge Adriana spekulierte richtig, als sie darauf die Blicke des zukünftigen Papstes auf die schöne Julia Farnese lenkte, und – klug zu spekulieren war die höchste Tugend, welche am römischen Hofe Wert besaß.

Bedenkt man, daß am Tage der Papstwahl diese drei Frauen, Vanozza, die ehemalige Geliebte des Kardinals Borgia und Mutter seiner Kinder, die jetzige Geliebte Julia Farnese und Madonna Adriana, die Erzieherin Lucrezias, die feurigsten Gebete zum Himmel sandten und der Madonna alle erdenklichen Gelübde thaten, wenn die Wahl auf Rodrigo Borgia falle, so hat man ein Bild von der Verwirrung aller religiösen Begriffe und von den damaligen Zuständen der Kirche.

Und nun gelang es wirklich dem Kardinal Rodrigo, die übrigen, mit ihm rivalisierenden Kardinäle zu überbieten. Er hatte alle Stimmen für sich erworben, und da es schließlich auf die Stimme des Kardinals Julius Rovere, des Neffen von Sixtus VI., der später als Julius II. den heiligen Stuhl bestieg, ankam, wurde derselbe durch Erfüllung seines Lieblingswunsches zur Zustimmung veranlaßt. Borgia verpflichtete sich, ihm die stärksten Festungen des Landes zu überlassen, und die Zukunft zeigte, daß der kriegerische Sinn des Kardinals Rovere dieses Zugeständnis zur rechten Zeit wohl zu benutzen wußte.

Zwar empfing Alexander VI. bald darauf die enthusiastischen Huldigungen aller italienischen Herrscher, aber diese äußeren Zeichen entsprachen nicht immer der innern Gesinnung. Am wenigsten war Venedig über die neue Wahl erfreut, während die Medici große Hoffnungen an dieselbe knüpften. Auch Neapel sah mit Mißtrauen auf Alexander, aber am freudigsten begrüßte den Umschwung der Herzog von Mailand, Ludovico Sforza, weil sein Bruder Ascanio Vizekanzler des neuen Papstes war und voraussichtlich den größten Einfluß auf die Staatsgeschäfte haben mußte.

140 Ludovico Sforza, seiner dunklen Gesichtsfarbe wegen il Moro genannt, war erst kürzlich wieder in Mailand zur Herrschaft gelangt, nachdem sein Haus längere Zeit von der Familie Simonetti verdrängt worden war. Überall in Italien herrschten dieselben Zustände, und nachdem in Mailand die Sforza den Visconti, und dann diese den Simonetti gewichen waren, mußten nun letztere wieder den Sforza die Herrschaft überlassen.

Für Ludwig Moro galt es nun, sich möglichst zu befestigen, und er richtete seine Blicke nach zwei Seiten, um Bundesgenossen zu gewinnen, die ihn kräftig schützen und seine Herrschaft unterstützen konnten. Dies waren die Medici und der neue Papst.

Ludovico war ein Mann von seltener männlicher Schönheit. Seine Gesichtsfarbe zeigte jene dunkle Schattierung, die mit krausen schwarzen Haaren und feurig blickenden Augen vortrefflich stimmte. Seine Gestalt war groß und kräftig, dabei aber geschmeidig, alle seine Bewegungen edel und maßvoll. Er war das Muster eines Mannes, wie jene Zeit sie hervorbrachte, nicht allzu gewissenhaft, wenn es seine eignen Interessen galt, aber doch nicht gerade rücksichtslos und grausam ohne Zweck. Er liebte rauschende Lustbarkeiten, prächtige Feste, große Jagden und Ritterspiele aller Art. Dabei war er aber auch ein Mann von Geschmack, der in seiner Kleidung wählerisch und reich, aber nie überladen erschien. Auch liebte er die Künste, obgleich er darin hinter den Neigungen der Familie Medici zurückblieb. Ludovico durchschaute die Zustände Italiens genau. Ihm lag daran, das schöne Mailand für sein Haus dauernd zu gewinnen und es zu einer der schönsten Städte Italiens zu machen. Ein Familienbündnis mit dem Hause Medici wäre ihm erwünscht gewesen. Frau Clarissa bemerkte dies und überlegte, ob sich ein solches nicht knüpfen lasse. Sie hatte jahrelang wenig nach der einzigen Schwester Lorenzos gefragt und erinnerte sich nun mit einem Male, daß Maria Pazzi ihres verstorbenen Gatten Nichte sei. Wilhelm Pazzi war nach der Verschwörung sehr reich geworden. Wie mochte es den Urenkeln Cosmus' von Medici auf dem entlegenen Kastell Buenfidardo wohl ergehen? Die Tochter des Hauses Orsini hatte keinen rechten Begriff von einem Leben, wie es dort geführt wurde.

Der Aufenthalt des jungen Malers Leonardo da Vinci auf dem Kastell hatte sich einige Zeit hingedehnt, und wäre es nur nach den eignen Wünschen des Künstlers gegangen, er würde gar keinen Abschied genommen haben, denn niemals hatte er glücklichere Tage verlebt, als ihm dort beschert wurden. Des Tags über konnte er mit Peter und dessen Vater die Umgegend durchstreifen, den Freuden der Jagd und des Fischfanges obliegen und dabei viele Zeit seiner Kunst widmen, indem er nicht nur den Entwurf zu dem Madonnenbilde, bei welchem Maria ihm als Modell diente, sorgfältig ausführte, sondern auch mancherlei Studien machte. War er doch längst unter seinen Genossen als origineller Mensch und künstlerisches Genie bekannt.

141 Man wußte, daß er tagelang einem recht auffallenden Menschengesichte nachlaufen konnte, um es von Grund aus aufzufassen und zu Papier zu bringen. Oder auch, er lud eine Schar Bauern zum Essen ein, machte ihnen Mut, sich recht behaglich zu fühlen, reizte sie zum Lachen und wußte sie mit Hilfe guter Freunde so lange darin zu erhalten, bis sich die grinsenden Gesichter aufs festeste in sein Gedächtnis eingegraben hatten. Dann stürzte er fort und begann zu zeichnen, und es kam oft ein Bild heraus, das kein Mensch ansehen konnte, ohne selbst zu lachen. Es war, als habe er das Bedürfnis eines schreienden Gegensatzes zu jenen wahrhaft himmlischen Gestalten, die er zu schaffen fähig war, in sich empfunden. Er selbst war schön von Antlitz und stark von Körper. In seiner Wohnung hatte er sich mit phantastischem Hausrat umgeben. In seinem Benehmen liebenswürdig gegen hoch und niedrig, und gleich talentvoll als Musiker, Dichter, Bildhauer, Architekt und Mechaniker, dabei doch eine Natur, die etwas zum Abenteuerlichen neigte. Als Knabe schon machten ihm Zeichnen und Modellieren Vergnügen. Sein Vater gab einige seiner Zeichnungen dem Andrea Verrocchio, der Donatellos Schüler und nach dessen Tode der erste Künstler in Florenz war. Dieser drang in den Vater, er müsse seinen Sohn Maler werden lassen und nahm Leonardo in seine Werkstätte auf. Hier wurde gemalt, in Marmor gearbeitet und in Erz gegossen.

Später trieb Leonardo neben den bildenden Künsten auch mechanische und architektonische Studien. Auch hier war sein Sinn auf ungewöhnliche Dinge gerichtet, er grübelte über Erfindungen künstlicher Mühlenwerke, dachte daran, Tunnels durch Berge zu bohren oder ungeheure Lasten fortzuschaffen, sowie an Anstalten, um Sümpfe zu entwässern.

Leonardo da Vinci im späteren Mannesalter.

Neben solchen Bestrebungen genoß Leonardo das Leben und seine Jugend. Er hatte seine Freude an Pferden und andern schönen Tieren. Mit dieser Liebhaberei ging die Neigung zu den Naturwissenschaften Hand in Hand. Da er sich auch viel mit Astrologie beschäftigte, so beschuldigte man ihn ketzerischer Ansichten, und jedermann sah ihn mehr als einen Heiden wie einen Christen an. Bald übertraf Leonardo seinen Meister Verrocchio. Auf einem Bilde, das dieser für die Mönche von Vallombrosa malte, ragte ein Engel von der Hand Leonardos derart durch seine Schönheit hervor, daß Verrocchio von der Zeit an das Malen ganz aufgab. Die nächste Arbeit war die Zeichnung zu einem Teppich oder Thürvorhang, der in Flandern für den König von Portugal gewebt werden sollte. Zwischen Florenz, Lissabon und den niederländischen Höfen bestand fortwährend Verbindung. Der Karton zu diesem Teppich wurde lange Zeit bewundert. Er stellte den Sündenfall dar, und die Landschaft mit den Pflanzen und Tieren sowie der Baum mit Ästen und Blättern waren so vollkommen und fein ausgeführt, daß des Künstlers Geduld ebenso bewunderungswürdig war wie seine Kunst. Überhaupt war die Sorgfalt, mit welcher Leonardo malte, nur mit der Gewissenhaftigkeit zu vergleichen, mit der er seine Farben und Öle selbst bereitete. 142 Durch eine dämonische Unruhe bald hierher, bald dorthin getrieben, hatte er auch jetzt sein geliebtes Florenz verlassen. Daß ihn die himmlischen Züge Marias sobald wieder festhalten würden, hatte er nicht vorausgesehen.

Nun hatte er wie in Verzauberung auf dem einsamen Kastell Buenfidardo gelebt. Wohl war er sich bewußt, daß das liebliche Mädchen sein Herz gefangen hielt, aber es lag nicht im Geiste der Zeit, darüber zu grübeln oder sich unglücklich zu fühlen, obgleich er von Anfang an wußte, daß an eine Verbindung zwischen ihm und der schönen und reichen Nichte Lorenzos von Medici niemals gedacht werden konnte.

Übrigens war ihm Mariens Mutter in andrer Art sehr verehrungswürdig, und er wußte oft kaum, welche von beiden Frauen mehr auf seine künstlerischen Bestrebungen Einfluß übte. Blancas milder und überlegener Geist, die natürliche Würde und Anmut ihres Wesens flößten ihm achtungsvolle Freundschaft ein, und er bewunderte zugleich ihre charaktervolle und immer noch vollendet schöne Erscheinung. In andrer Art entzückte ihn Marias mädchenhaftes Wesen, aber auch dieses Gefühl klärte sich zu einer Art von Verehrung, wie sie damals von vielen Künstlern den Töchtern aus hohen Häusern geweiht wurde. Jedenfalls würde jedoch diese Verehrung sofort zur feurigsten Liebe geworden sein, wenn er sich hätte denken können, daß er der Beschützer oder vielmehr der Gatte des schüchternen und lieblichen Wesens werden könne.

Endlich mußte Leonardo wieder nach Florenz zurückkehren, aber dort empfand er bald, daß seine Seele gleichsam geteilt war. Stundenlang ging er wie ein Träumer umher, und gar oft, wenn er vor der Staffelei saß, schwebten Marias Züge vor seiner Phantasie. Aber keineswegs hemmte dieser Umstand seine weitere Entwickelung, er fühlte sich im Gegenteile angeregt und vorwärts getrieben, denn er fragte sich bei allem, was er that und unternahm, ob er damit auch das Wohlgefallen Marias und ihrer Mutter erringen werde. Nach wie vor verbannte er jeden Gedanken an die Möglichkeit einer engern Verbindung mit der Familie Pazzi, aber es gab viele Stunden, in denen er es sich als ein beneidenswertes Lebensglück ausmalte, unter Mariens Augen und in ihrer Nähe zu schaffen und zu arbeiten, ihr alle seine Pläne mitzuteilen, ihr Urteil über seine Werke zu hören und mit ihr über alles dasjenige zu sprechen, was seine Seele erfüllte und den Zweck seines Lebens ausmachte.

Außer den Beziehungen, welche Leonardo da Vinci an die Frauen des Hauses Pazzi banden, hatte sich auch zwischen ihm und Mariens Bruder ein inniger Freundschaftsbund entwickelt, der auf mancherlei übereinstimmenden Charaktereigenschaften beruhte. Beide liebten es, sich tüchtig umherzutummeln und ihre Kraft zu üben, aber für beide waren die Ritterspiele, Fechtübungen und Streifereien durch Wald und Feld, Jagd und Fischfang doch nur Nebensache, während ernstere Dinge ihren Geist beschäftigten. Die Frische und Harmlosigkeit ihres Wesens verbarg eine tiefe geistige Kraft.

143 Peter hatte längst gefühlt, daß ihm etwas mangelte, wenn er Tag für Tag mit dem Vater umherstreifte und demselben in der Verwaltung seiner Besitzungen zur Hand ging. Wilhelm Pazzi war sein ganzes Leben lang damit zufrieden gewesen, für sich und die Seinigen zu sorgen, in dem beschränkten Kreise seiner Familieninteressen Ordnung zu bewahren, in der Verwaltung der Güter immer mehr Verbesserungen einzuführen. In Peters Seele dagegen lebte der Drang nach größerer, womöglich öffentlicher Wirksamkeit und sein Blick hatte von Jugend auf etwas weiter gereicht, als der seines Vaters.

Die Erfahrungen, welche Peter bisher gemacht hatte, dienten nur dazu, seinem Wesen größere Reife zu geben. Namentlich als die harmlose Neigung zu seiner Base Magdalena in rücksichtsloser Weise zurückgedrängt wurde, durchlebte er eine Zeit, in welcher ihm das Vaterhaus überall zu eng erschien. Die Zeit milderte diese Unzufriedenheit und das Glück des innigen Familienlebens wiegte ihn in behagliche Selbstvergessenheit. Er liebte seine Eltern und seine Schwester zärtlich, aber das Ansinnen, aus den höheren Familien seiner Vaterstadt sich eine Lebensgefährtin zu wählen, wies er zurück, denn es regte sich alsdann jedesmal wieder der Wunsch nach einer größeren Wirksamkeit.

144 Da war nun der Besuch des jungen Künstlers wie ein Lichtstrahl in seine Seele gefallen, und es war gleichsam, als berührten sich die in ihnen wohnenden Triebkräfte, um sich gegenseitig anzuspornen und zu fördern. Wie beneidete Peter den jungen Freund, daß dieser dem Drange seines künstlerischen Genius folgen und seine geistigen Kräfte in einer Laufbahn verwerten konnte, welche ihm die schönsten Triumphe und eine dauernde Einwirkung auf die menschlichen Gemüter versprach! Wenn die jungen Leute zusammen die Umgegend durchstreiften, so ergingen sie sich nicht in oberflächlicher Unterhaltung, sondern sie erwogen, auf welchen Wegen thatkräftige junge Männer sich der Welt nützlich erweisen könnten. Für Leonardo war diese Wahl entschieden, und mit freudiger Zuversicht blickte er auf die vor ihm liegende Künstlerlaufbahn, aber oft erwogen sie die Frage, welche Wege Peter Pazzi einschlagen könne, um gleichfalls auf einem größern Felde mit Erfolg zu schaffen und zu wirken. Die Verhältnisse, aus denen er hervorgegangen und in welchen er erzogen war, mußten dabei berücksichtigt werden, und so kamen die Freunde nach und nach immer öfter darauf zurück, daß eine hohe geistliche Würde die beste Gelegenheit bieten könne für einen Mann, dem eine künstlerische Thätigkeit oder eine kriegerische Laufbahn fern liege, zu einer bedeutenden und segensreichen Wirksamkeit zu gelangen. Beide wußten, daß die höchste Stufe im Reiche der Kirche damals nur durch die gewissenlosesten Mittel erstiegen werden konnte, aber in der unmittelbarsten Nähe dieser höchsten Staffel konnte Großes erzielt werden, was eine Besserung der Zustände anbahnte.

Leonardo hatte dem Freunde von Savonarola erzählt, und sie waren dann ganz naturgemäß auf die Zustände in Rom gekommen.

Man konnte behaupten, daß das damalige Oberhaupt der Kirche der unsittlichste Mensch der ganzen Christenheit war, ein Mann, der keine Rücksichten kannte, wenn es seine Zwecke galt, der nie sein Wort hielt, wenn es sich um seinen Vorteil handelte, der in seiner Politik ohne jedes Rechtsgefühl und in seiner Rache ohne alle Menschlichkeit verfuhr. Er war ein Priester, der sich zum Verteidiger des Glaubens und zum Feinde der Ketzerei aufwarf, aber selbst für die Religion, als deren Oberhaupt er galt, nicht mehr Achtung besaß als für jede andre Angelegenheit. Durch seine Entschlüsse, welche den Kirchengesetzen zuwiderliefen, rief er ebensowohl die allgemeine Entrüstung hervor, wie durch sein übriges Betragen. Nichts war ihm heilig. Er opferte alles seinem Vorteil, dem Ehrgeiz, oder sinnlichen Wünschen, die er gerade hegte.

Wenn irgend etwas diese Verkommenheit des Papstes entschuldigen könnte, meinte Leonardo, so wäre es die traurige Zerrüttung des seiner Regierung unterworfenen Landes. Der Kirchenstaat war das am schlechtesten regierte Land der Erde, täglich kamen Betrug und Grausamkeiten vor. Die Gewohnheit an diese Dinge hatte das Entsetzen vor ihnen derart abgestumpft, daß man in den abscheulichsten Vorgängen kaum mehr etwas Verwerfliches fand.

145 Derjenige Teil des Kirchenstaates, der Rom am nächsten liegt, befand sich fast gänzlich unter der Herrschaft der beiden mächtigsten Familien Orsini und Colonna. Die Orsini übten hauptsächlich auf dem Gebiete jenseit des Tiber ihre Herrschaft aus, während die Colonna die römische Campagna und das Sabinergebirge, diesseit des Tiber, beherrschten. Die Orsini wurden als Guelfen, die Colonna als Ghibellinen betrachtet, und diese beiden Bezeichnungen, welche nicht mehr verschiedene Ansichten, sondern tief eingewurzelte Gefühle des Hasses bedeuteten, gaben den Streitigkeiten etwas Wildes und Unerbittliches. Der ganze Adel ordnete sich den beiden Hauptführern unter. Die Savelli und die Conti folgten der Partei der Ghibellinen, die Vitelli derjenigen der Guelfen.

Diese Familien gründeten ihre Macht auf ihre Gewohnheit der Waffenführung und die Anhänglichkeit der Soldaten, während dagegen die päpstliche Regierung thörichterweise die Verteidigung des Staates Mietlingen überließ. Alle Orsini, alle Colonna, ebenso die Savelli wie Conti, kurz der ganze römische Adel bestand aus Condottieri; jeder von ihnen hatte eine Kompanie von Bewaffneten unter sich, die ihm vollständig ergeben war, jeder verhandelte besonders mit den Königen, den Republiken und den Päpsten, in deren Dienste er trat, jeder zog sich in den Ruhepausen, die ihm die fremden Kriege gewährten, in eine seiner Burgen zurück, die er befestigte und wo er neue Kräfte sammelte. Je mehr junge Anführer eine jener Familien besaß, um so stärker fühlte sie sich.

Die langwierigen Kriege zwischen den Colonnas und Orsinis hatten die Landleute in der Campagna völlig aufgerieben, da sie weder Sicherheit für ihre Personen noch für ihr Vieh und die Ernten fanden. Nur die Bewohner der befestigten Schlösser waren vor den Plünderungen der Soldaten sicher. Unter den fortwährenden zerstörenden Streitigkeiten waren ihre Weinberge vernichtet und ihre Olivenbäume verbrannt worden, und so war nach und nach die römische Campagna ohne Bewohner, ohne Bäume, ohne Wohnungen und unterschied sich von einer Wüste nur durch vereinzelte bebaute Strecken, denen man ansehen konnte, daß sie mit geringer Zuversicht auf eine Ernte bearbeitet waren. Die schlechte Luft der Maremmen verbreitete sich über die verlassenen Felder, und wenn dann in ruhigen Zeiten die früheren Bewohner eine Rückkehr versuchten, unterlagen sie dem Fieber, und vergeblich unternahmen zuweilen die Edelleute, die Verwüstungen des Krieges wieder auszugleichen, denn bald kamen abermals neue Fehden und Kämpfe, die alles zerstörten.

Zu diesen traurigen Bildern boten die zahlreichen Höfe der kleinen Regenten einen grellen Gegensatz. Sie gaben der Romagna einen Anschein von Eleganz und Reichtum. Jede Residenz war mit schönen Kirchen und Palästen, dazu mit reichen Bibliotheken geschmückt. Einige Dichter und Künstler, einige Gelehrte befanden sich stets in der Umgebung jedes einzelnen Fürsten. Solch geistiger Luxus brachte viele Laster hervor; die Schmeichler eines Fürsten rühmten zwar seine Freigebigkeit, aber die Unterthanen wurden schonungslos gedrückt.

146 Außerdem richteten die Fürsten ihre Blicke auf Erbschaften, und so entstanden die abscheulichsten Familientragödien, weil man die näherstehenden Verwandten aus dem Wege zu räumen suchte; die Habsucht artete zu einer Grausamkeit aus, die allen menschlichen Gefühlen Hohn sprach.

Leonardo teilte seinem Freunde mit, daß Savonarola alles dieses in seinen öffentlichen Predigten bereits ausgesprochen hatte.

Fortwährend eiferte der kühne Mönch gegen die Zustände am päpstlichen Hofe.

»Ich frage dich, Rom«, rief er eines Tages, »wie es möglich sein kann, daß du noch auf dem Erdboden stehst?« – Elftausend Kurtisanen seien in Rom zu finden und das sei fast noch zu tief gegriffen. Nachts trieben sich die Priester bei diesen Frauen umher, morgens darauf hielten sie die Messen und teilten die Sakramente aus. Alles sei in Rom käuflich, alle Stellen und Christi Blut selber für Geld zu haben. Aber das Strafgericht werde nicht ausbleiben. Rom und Italien würden gänzlich vernichtet werden. Furchtbare Rächerbanden würden sich über das Land ergießen und den Hochmut der Fürsten bestrafen; die Kirchen, die von ihren Priestern zu öffentlichen Häusern der Schande erniedrigt würden, sollten dann die Ställe der Pferde und des unreinen Viehes sein.

Für ein edel denkendes und von hohem Streben erfülltes Männerherz gab es in jeder Richtung Ziele, welche des höchsten Aufwandes von geistiger Kraft würdig waren. Regten sich doch allenthalben die Keime eines mächtigen Vorwärtsdrängens, denn nicht nur auf den Gebieten der Kunst erhoben sich Kräfte voll edelsten Strebens. Die Wissenschaft wurde von Männern, welche gewaltige Fortschritte versprachen, eifrig gepflegt, wunderbare Entdeckungen kündigten eine ganz neue Epoche der Kultur an. Wer in solcher Zeit das Bedürfnis fühlte, im großen Strom der Begebenheiten zu schwimmen, für den hatte die Möglichkeit, dem Mittelpunkte der Christenheit nahe zu stehen, einen ganz besondern Reiz. Und nur wenigen winkte diese verlockende Aussicht.

Daß Peter Pazzi nicht vergeblich danach ringen werde, war neuerdings seit dem Tode seines Onkels Lorenzo wahrscheinlich geworden, denn nicht nur Clarissa, sondern auch Lorenzos Sohn und Nachfolger, Peter von Medici, hatte die alten Beziehungen zu seinen Verwandten wieder aufleben lassen, und es war außer Frage, daß ihn das Schicksal der Geschwister Pazzi lebhaft interessierte.

Peter von Medici war keine energisch angelegte Natur. Er hatte sich früher dem Einflusse seiner Mutter und seiner Gemahlin Alfonsine gefügt, aber gerade jetzt lebten zuweilen die Erinnerungen an die frohe Kinderzeit in ihm auf, und er suchte gleichsam nach einem Gegengewichte für den Einfluß der Familie Orsini. Er war ganz wie der Sohn aus einem souveränen Hause erzogen, und was noch bei seinem Vorfahren als eine Art Anmaßung erschien, war bei ihm schon zur Natur geworden. Mit ihm selbst würden sich die Florentiner vielleicht versöhnt und ihm freiwillig zugestanden haben, daß er stillschweigend als Herrscher galt. Aber der verletzende Stolz der beiden Frauen 147 aus dem Hause Orsini reizte fortwährend den Unwillen der ersten Familien in Florenz. Hatte Clarissa doch bei wiederholten Gelegenheiten den Frauen aus den ältesten Häusern zugemutet, ihr gleichsam als Ehrendamen zu dienen, und es war vorgekommen, daß sie den Gemahlinnen hoch angesehner Patrizier, wenn sie zum Besuche bei ihr waren, keinen Sitz anbot, sondern es ganz selbstverständlich fand, daß sie dieselben sitzend empfing, während jene stehen sollten. Ähnliche Überhebungen maßte sich Alfonsine an, und es war daher ganz begreiflich, daß Peter sich zuweilen in dieser Atmosphäre des rücksichtslosen Hochmutes und der starren Form etwas unheimisch fühlte und an die harmlose Zeit seiner Kinderjahre dachte, als er mit seinen Geschwistern im Garten der Villa Pazzi mit Peter und Marias älterer Schwester spielte und die Leutseligkeit des Urgroßvaters Cosmus rühmen hörte. Zwar waren es nur ganz geringe und zufällige Beweise der Sympathie, welche von seiner Seite nach Buenfidardo gelangten, aber sie genügten, um der Familie Pazzi zu beweisen, daß Peter von Medici ihnen persönlich wohlwollte, was allerdings nicht viel bedeutete, solange dessen Mutter und Gemahlin den kalten Stolz festhielten, der die früheren freundschaftlichen Beziehungen gestört hatte. Inzwischen stellte es sich heraus, daß das Verhältnis zwischen beiden Familien eine veränderte Gestalt angenommen hatte, und die Veranlassung dazu gab eben das Bestreben Ludwig Moros, sich mit der Familie Medici in die engste Verbindung zu setzen.

Leonardo da Vinci war während seines Aufenthaltes auf dem Kastell mit allen Gliedern der Familie Pazzi derart befreundet geworden, daß seine baldige Wiederkehr fast als selbstverständlich gelten mochte. Die wahrhaft brüderliche Zuneigung, welche sich zwischen ihm und Peter Pazzi entwickelt hatte, machte an und für sich schon eine öftere Wiederholung seiner Besuche begreiflich, aber seine an Anbetung grenzende Hochachtung für Maria und Blanca und das aufrichtige Wohlwollen, welches auch zwischen ihm und dem Hausherrn bestand, alles dies stellte ihn der ganzen Familie so nahe, daß man seine Wiederkehr fast wie die eines lieben Verwandten sehnlich erwartete und ihn mit Freuden begrüßte.

Mehrmals war er nun bereits wochenlang auf dem Kastell gewesen, hatte das erste Bild, welches er daselbst begonnen, auch vollendet und es der Kapelle des Kastells gewidmet; andre Arbeiten waren von ihm entworfen und teilweise ausgeführt worden, die Frauen hatten sich lebhaft für deren Entstehung interessiert, und außerdem hatte der Künstler mit seinem Freunde Peter mancherlei architektonische Entwürfe besprochen. Die großartige Wiedergeburt der Künste war und blieb ein Gegenstand ihrer Gespräche.

Mit dem 13. Jahrhundert war der neue in Frankreich entstandene Baustil, den man den gotischen nannte, auch in Italien eingedrungen. Daß nicht Franzosen, sondern Deutsche den gotischen Stil nach Italien brachten, mochte daher kommen, weil in Frankreich bei dem Bau vieler Kathedralen kein Fachmann entbehrlich war. Das herrliche Material kam der neuen Richtung zu 148 statten, und der gotische Stil kam gerade zu der Zeit nach Italien, als dort die höchste Begeisterung für monumentale Kirchenbauten herrschte, und so geschah es, daß die antiken Formen sich mit der gotischen verschmolzen und der Kuppelbau sich in riesigen Dimensionen versuchte. Die Fassade nahm oft den Charakter einer Prachtdekoration an, der Turm blieb getrennt oder er wurde bloß an die Kirche angelehnt. Noch im 12. und 13. Jahrhundert gewöhnte man sich in Florenz an die altrömischen Formen. Das Baptisterium war davon ein starker Beweis, und es hatte sich die Ansicht erhalten, dasselbe sei ein antiker Tempel gewesen. Der Dom wurde dann zuerst nach einem Modelle des Arnolfo und später nach demjenigen des Brunelleschi erbaut. Unter den Päpsten war Nikolaus V. der erste, bei welchem das Bauen zu einer förmlichen Leidenschaft geworden war. Er hatte die Absicht, die römischen Stadtmauern herstellen zu lassen, das Borgo zur Wohnung für die versammelten Kurien umzubauen, den Vatikan und die Peterskirche ganz neu bauen zu lassen.

Nicht aus Ehrgeiz, aus Prachtliebe oder Ruhmsucht habe er diese großen Unternehmungen begonnen, sagte er, sondern zur Erhöhung des Ansehens des apostolischen Stuhls bei der ganzen Christenheit und damit künftig die Päpste nicht mehr vertrieben, gefangen genommen oder sonst bedrängt werden möchten.

Von den nächstfolgenden Päpsten Calixtus III., Pius II., Paul II., Sixtus IV., Innocenz VIII. und Alexander VI. verriet keiner mehr diesen hohen Eifer. Zwar ließ Sixtus IV. die mittlere Tiberbrücke, den Ponte Sisto, errichten, die Fontana Trevi wieder für Rom herstellen, aber erst der gewaltige Julius II. unternahm den Neubau der Peterskirche und des Vatikan in großartigem Stile. Er hatte aber auch Männer um sich wie Bramante, Raffael, Baltassare Peruzzi, Antonio da Sangallo und Michelangelo.

Peterskirche zu Rom.

Mit dem älteren Pazzi sprach Leonardo auch über mechanische Versuche. Es war bei solchen Unterhaltungen oft lebhaft zugegangen, und mitunter nahm die ganze Familie an den Versuchen teil, die der junge Mann in bezug auf seine wissenschaftlichen Untersuchungen anstellte. Scherzend hatte Frau Blanca wiederholt geäußert, es sei eigentlich fraglich, ob Leonardo mehr zum Maler oder zum Architekten oder zum Mechaniker berufen sei.

Zwar hatte Leonardos Herz Maria gegenüber nicht immer die gleiche Ruhe bewahren können, aber wenn überhaupt von einem leidenschaftlichen Gefühle die Rede sein konnte, trat dies doch in so zartsinniger Weise auf, daß er niemals die Besonnenheit verlor und einer vergeblichen Hoffnung Raum gab.

Eines Tages war er nicht wenig überrascht, als ihn sein Freund Peter Pazzi in Florenz aufsuchte und ihm die Mitteilung machte, daß auch die Eltern mit der Schwester sich zum erstenmale wieder seit vielen Jahren auf ihrer Villa bei der Stadt eingefunden hätten und in verwandtschaftlicher Weise mit den Medici verkehrten. Die Veranlassung dazu sei eine sehr dringende Einladung von seiten Peter Medicis, der den Besuch des Herzogs von Mailand erwarte.

150 Leonardo war von dieser Nachricht nicht nur überrascht, sondern schmerzlich betroffen, da er sofort vermutete, um was es sich bei der ganzen Sache handelte.

In der That waren bereits Verhandlungen gepflogen worden, um eine Vermählung zwischen Ludwig Moro und Maria Pazzi herbeizuführen, und der junge Maler konnte leicht erraten, daß der Herzog Ludwig erwartet werde, um bei beiderseitigem Wohlgefallen die Verlobung offiziell zu feiern.

Das waren Neuigkeiten, die allerdings unerwartet kamen und vorläufig das Idyll des Verkehrs auf Kastell Buenfidardo gänzlich vernichten konnten. Peter bemerkte, daß seine Mitteilung den Freund tief und schmerzlich aufregte. Er blickte ihm teilnehmend ins Auge und drückte ihm schweigend die Hand.

»Nach menschlicher Berechnung«, sagte Peter, »steht unser Haus an der Schwelle eines großen Glückes. Ludwig Sforza, der Herzog von Mailand, hat durch Abgesandte bei Peter von Medici um ein enges Bündnis auf Schutz und Trutz antragen lassen und bei dieser Gelegenheit kam der Plan einer Heirat zwischen ihm und meiner Schwester zur Sprache. Es wurde darauf mit dem Herzoge verhandelt und dieser wünschte ein Bild Marias zu sehen. Da nun unmöglich Marias Züge und der Ausdruck ihres Wesens ähnlicher und sprechender wiedergegeben werden können, als es in dem Marienbilde unsrer Kapelle durch dich geschehen, so wurde dieses wohlverwahrt dem Herzoge zugesandt.«

Leonardo schlug beide Hände vor das Gesicht, und es schien dem Freunde, als entringe sich ein Seufzer der beengten Brust des Künstlers.

Dieser bezwang sich jedoch und konnte endlich die Frage hervorbringen:

»Und Maria?«

»Meine Schwester fügt sich dem Willen meiner Eltern. Wenn die Verbindung zustande kommt, und sie findet kein Glück, wird sie ihr Schicksal in Geduld und Demut tragen. Sie vertraut auf die Gnade des Himmels.«

»Und ist diese Ehe von seiten des Herzogs bereits eine beschlossene Sache?« fragte Leonardo.

»Als das Bild ihm gesandt wurde«, versetzte Peter, »war selbstverständlich ein Geschäftsträger des Hauses Medici dabei, der die genauen Bedingungen, welche dem Heiratskontrakte zu Grunde gelegt werden sollen, mit dem Herzoge besprach. Es ist nicht die Tochter Wilhelm Pazzis, sondern die Nichte Lorenzos von Medici, welche Ludwig Moro heiratet, und das gegenseitige Bündnis der Häuser Sforza und Medici ist der eigentliche Zweck dieser Ehe.«

Leonardo hatte diesen Worten zugehört; er war niedergeschlagen, aber auch diese Stimmung ging vorüber. Hatte er nicht immer gewußt, daß Maria zu hoch für ihn sei, und war es nicht gewissermaßen nur eine Bestätigung dieser seiner Ansicht, wenn sie zur regierenden Herrin, zur Herzogin von Mailand wurde? Im Verlaufe des Gespräches mit dem Freunde gewann er immer mehr seine Fassung wieder, und es war ihm zuletzt, als handle es sich um die Verheiratung einer teuren Angehörigen von ihm. In gespannter Erwartung 151 erkundigte er sich nach allen Einzelheiten, und da es bekannt war, daß Ludwig Sforza ein thatkräftiger und hochstrebender Mann sei, unterdrückte er jeden Funken von Eifersucht und wünschte von ganzem Herzen, Maria möge an der Seite ihres künftigen Gatten ein recht glückliches Los finden.

Es war natürlich, daß Leonardo noch an demselben Tage sich in der Villa einfand, um dort die Familie Pazzi zu begrüßen.

Wehmütige Gefühle bestürmten ihn, als er Maria wiedersah.

Noch durfte die bevorstehende Verlobung nicht als eine abgemachte Thatsache behandelt werden, aber in der eigentümlich liebreizenden und dabei doch zurückhaltenden Verschämtheit, mit welcher sie dem Künstler die Hand reichte, lag für beide Teile eine Art von Verständigung.

Leonardo aber pries sich innerlich glücklich, daß er nie die Grenzlinie überschritten hatte, welche den einfachen Künstler von der Tochter aus hohem Hause schied. Nun konnten sie sich bleiben, was sie sich immer gewesen, und nur der eine Gedanke trübte des jungen Mannes Stirn, daß die angebetete liebliche Frauenblüte vielleicht bald auf immer seinem Gesichtskreise entrückt werde.

Das Elternpaar Pazzi war selbstverständlich in sehr glücklicher Stimmung, denn da Herzog Ludwig ein Mann schien, dessen Vorzüge Glück bringen konnten, durfte die Aussicht auf die glänzende Versorgung ihrer einzigen Tochter beiden als die Erfüllung der liebsten Wünsche erscheinen.

Wenn etwas die frohe Stimmung in der Familie Medici stören konnte, so war es der Umstand, daß das Wiedersehen zwischen Magdalena, der Gemahlin Franceschetto Cybos, und Peter Pazzi nicht vermieden werden konnte.

Magdalena hatte sich in ihr Los gefunden; sie bekümmerte sich wenig um ihren Gemahl, dessen Augenmerk hauptsächlich auf Vermehrung seines Einkommens gerichtet war, damit er seinen Neigungen frönen konnte. Sie selbst hatte vom Vater die Prachtliebe geerbt, und es schien fast, als bereite es ihr doppelte Freude, wenn sie durch den Glanz ihres Haushaltes, durch Kleiderpracht, rauschende Feste und kostspielige Anschaffungen aller Art ihrem Manne große Summen entlocken konnte, die er lieber im Spiel vergeudet hätte. Sie galt daher im Kreise ihrer Bekannten als eine Verschwenderin im größten Maßstabe, und ihr Schmuck wie die kostbaren Stoffe, welche sie mit teuren Summen erkaufte, erweckten den Neid aller andern Frauen.

Aber dieses oberflächliche Geschöpf, das nur in glänzenden Gewändern dahinrauschte, schien nun mit einem Male wie umgewandelt, seitdem sie den Jugendgeliebten wiedersah. Sie wurde still und in sich gekehrt, vernachlässigte ihre Kleidung und sandte die Händler, welche täglich mit Vorschlägen, Mustern und neuen Anträgen in den Palast kamen, ganz gegen ihre Gewohnheit unverrichteter Sache fort, ohne auch nur auf ihre Empfehlungen zu hören.

Ihr Gemahl fühlte bald den Grund dieser veränderten Stimmung heraus und geriet darüber in Wut, aber er war ungeschickt in der Führung der Waffen, 152 dazu wenig beliebt und ohne viele Anhänger; hätte er auf Rache ausgehen wollen, so würde nur der Ausweg geblieben sein, gedungene Mörder dem Nebenbuhler in den Weg zu senden.

Clarissa von Medici sah dies ein, und bei der gegenwärtigen Sachlage mußte ihr alles daran gelegen sein, eine solche Familientragödie zu verhüten. Sie begrüßte es daher wie eine glückliche Wendung, als ihr eigner Sohn Peter ihr eines Tages berichtete, daß ihm sein Vetter Peter Pazzi sein Herz erschlossen und ihm mitgeteilt hätte, er finde an dem stillen Leben auf den ererbten Gütern wenig Geschmack, vielmehr würde er eine Laufbahn auf diplomatischem Gebiete, etwa in der Nähe des Heiligen Stuhles, mit Freuden betreten.

Das war ein Wink für Clarissa Orsini, und noch einmal regte sich in ihr die alte Neigung zum energischen Eingreifen in die Verhältnisse.

Noch während der Festlichkeiten, die zu Ehren des Herzogs stattfanden, setzte sie sich mit ihrer Familie in Rom in Verbindung und teilte den betreffenden Persönlichkeiten die bevorstehende Verbindung zwischen Maria Pazzi und dem Herzoge von Mailand mit, wobei sie zugleich den Wunsch aussprach, ihren Neffen Peter Pazzi am römischen Hofe verwendet zu sehen. Es währte nicht lange, so wurde ihr mit Sicherheit der nächste erledigte Kardinalshut für ihren Neffen, den zukünftigen Schwager des Herzogs von Mailand, zugesichert.

Die Verheiratung einer Verwandten des Hauses Medici mit dem Herzoge Ludwig Moro war für ganz Italien ein wichtiges Ereignis, denn die Familie Sforza, obgleich längere Zeit vertrieben und kaum wieder in ihre Rechte eingesetzt, gehörte zu den angesehensten Geschlechtern.

Der Vater Ludwigs, der von den Viscontis verdrängt und dessen unermeßliche Reichtümer zum Teil eingezogen waren, hieß Galeazzo; er war zugleich der Vater von Blanca Sforza, welche der deutsche Kaiser Maximilian geheiratet hatte, nachdem seine Werbung um Anna von Bretagne gescheitert war.

Obgleich Ludwig auf dem neu erstiegenen Herzogsthrone sich noch nicht sicher fühlte, standen ihm doch mancherlei Verbindungen zur Seite, die allerdings den geringen Halt, den er unter den italienischen Fürsten hatte, wenig befestigen konnten. Deshalb hatte er sein Augenmerk auf die Familie Medici gerichtet, und zwar hauptsächlich in Rücksicht auf Lorenzos Stellung und die gewisse Hoffnung, daß dessen Sohn Peter in kurzer Zeit die Souveränitätsrechte erlangen werde. Von seiten des Hauses Medici war diese Heirat nur eine Folge ehrgeiziger Kombinationen, denn hätte Peter eine Schwester gehabt, so würde diese an Marias Stelle Herzogin von Mailand geworden sein. Die Töchter aus hohen Häusern wußten von Jugend an, daß ihr Schicksal in dieser Weise bestimmt wurde. Sie erwuchsen meistens derart in geistiger Abhängigkeit, daß sie kaum an eine eigne Wahl dachten.

Dies war jedoch bei Maria Pazzi ebensowenig der Fall, wie bei Magdalena Medici, und wenn sie auch nie gewagt hätte, dem Willen ihrer Eltern 153 und Verwandten sich zu widersetzen, betete sie doch Nacht und Tag in ihrem Herzen zur Jungfrau Maria, daß der Herzog von Mailand wenigstens ein Mann sein möge, den sie achten und ehren könne, kein ungestalteter Mensch, kein roher oder blutgieriger Tyrann, und wenn es möglich wäre, so flehte sie, daß er ein hübscher und liebenswürdiger Fürst sei, dann wolle sie in dankbarer Ergebenheit der heiligen Jungfrau alle erdenklichen Ehren erweisen und ihren Gatten so innig lieben, wie es einer treuen Gattin gezieme.

Viele Herzen pochten stärker an dem Tage, als Ludwig Moro in Florenz einritt und im Palaste Medici mit seinem zahlreichen Gefolge abstieg. Aber kein Herz schlug höher als das der jugendlichen Braut, die zwischen ihrer Mutter und ihrer Tante Clarissa und umgeben von ihren Verwandten und zahlreichen Ehrendamen in der großen Halle zu ebener Erde den Bräutigam erwartete. Als dann der Bräutigam an der Schwelle erschien, neben ihm Peter von Medici, die beiden Pazzi und ein Teil seines Gefolges, da erschrak sie fast vor freudiger Überraschung, denn so männlich schön, so edel in der Erscheinung hatte sie ihn sich nicht gedacht, obgleich das Gerücht in letzter Zeit manches über seine Gestalt und seine Züge bis zu ihr getragen hatte. Die Sitte verlangte, daß die Frauen dem Gaste einige Schritte entgegengingen, aber Maria erbebte bei jeder Bewegung, und glühendes Rot überzog ihr Gesicht, je mehr sie sich ihm näherte.

Offenbar war der Herzog nicht minder freudig überrascht beim Anblicke der holden Gestalt, die er nun bald die Seinige nennen sollte. Er fand kaum die nötigen Worte, um die Frauen zu begrüßen, und Maria wußte dann wieder kaum, was sie auf seine Anrede erwiderte. Aber ihre liebliche Verlegenheit gab dem Herzoge das Gefühl seiner männlichen Sicherheit wieder, und ohne erst zu fragen, ob das, wozu sein Herz ihn trieb, auch den vorgeschriebenen Gebräuchen entsprach, faßte er sie in seine Arme und drückte einen Kuß auf ihren Mund.

Damit war der Zauber gelöst und die Befangenheit geschwunden. Innig beglückt, fühlte sich Maria in Liebe zu dem ihr bestimmten Gatten hingezogen. Dieser selbst vergaß im Anblicke seiner schönen Braut alle ehrgeizigen Pläne und großen Zukunftsgedanken. Er ergriff die erste Gelegenheit, welche sich zu einem vertraulichen Gespräche bot, um zu Maria zu sagen:

»Ich fühle mich strafbar und verächtlich, seitdem ich Euch von Angesicht zu Angesicht gesehen. Wollt Ihr Gnade üben und mir die Sünde verzeihen, die ich an Eurer Holdseligkeit beging?«

»Welche Sünde meint Ihr, Herr Herzog?« flüsterte Maria.

»Diejenige«, versetzte der Herzog, »daß ich Euch heiraten wollte, bevor ich Euch kannte und wußte, wie heiß man Euch lieben muß, wenn man in Eure schönen Augen geblickt hat.«

Maria lächelte. »Solche Sünde«, sagte sie, »muß gebüßt werden durch unveränderliche Treue, dann ist sie im voraus verziehen.«

154 Der Herzog war entzückt über diese treffende Antwort. Sein feuriger Blick wurde weich und mild, so oft seine Augen denen seiner reizenden Braut begegneten. Er war in der liebenswürdigsten Laune und fühlte sich ganz als Glied der Familie Medici, was dann wieder bewirkte, daß diese ihn mit voller Herzlichkeit aufnahm.

Wilhelm Pazzi hatte nicht nötig, seine Tochter dem Herzoge von Mailand mit leeren Händen zu übergeben, und obgleich er sich gefallen lassen mußte, daß sein Neffe, als das Haupt der Familie Medici, die Hochzeit ausrüstete, hatte er selbst doch die Mitgift so hoch bestimmen können, daß selbst Ludwig Sforza darüber verwundert war. Die Unterhandlungen nahmen daher einen raschen und günstigen Verlauf, so daß die Vermählungsfeier schon bald nach der ersten Zusammenkunft, der sofort die Verlobung folgte, festgesetzt werden konnte. Die Vorbereitungen dazu nahmen viele Wochen in Anspruch, denn Peter von Medici wußte sehr genau, daß sämtliche Fürstenhäuser Europas sich darüber berichten lassen würden, und es durfte daher nichts außer acht gelassen werden, was den bereits sprichwörtlich gewordenen Glanz des Mediceerhauses erhöhen konnte.

Die Vermählungsfeierlichkeiten währten mehrere Tage, und die Hochzeit selbst wurde dann wirklich mit solcher Pracht in Szene gesetzt, daß selbst die stolzeste Fürstentochter sich durch dieselbe geehrt gefühlt hätte.

Aus allen Kreisen der Bevölkerung von Florenz wurden der lieblichen Braut Andenken überreicht, und die Feindseligkeit gegen den Namen Pazzi schien in das Gegenteil umgewandelt. Am längsten verweilten Marias Blicke bei einem kostbaren Gebetbuche mit herrlich gemalten Initialen und Arabesken von der Hand des Künstlers Leonardo da Vinci. Sie zerdrückte eine Thräne und behielt das schöne Geschenk bei sich während der Trauungszeremonie. Die Stadt gab dem Brautpaare ein großes Ritterspiel mit darauffolgendem Bankett. Man war in Florenz gewiß an prachtvolle Feste und glänzende Ausschmückung gewöhnt, aber der Reichtum, den das Haus Medici an diesem Tage zur Schau trug, blendete selbst die Augen der Bewohner dieser üppigen Stadt. Zwischen kunstvoll gewundenen Blumenkränzen prangten gemalte und gewirkte Teppiche, die an Farbenpracht mit der Natur wetteiferten. Am Abend beleuchteten Fackeln die Umgegend des Palastes, und das Volk drängte sich scharenweise umher, nicht nur der rauschenden Musik und des Anblickes der Gäste wegen, sondern weil von Zeit zu Zeit von freigebiger Hand Geld aus den Fenstern geworfen wurde, um welches sich dann die Menschen auf der Straße jauchzend stritten.

Am Abend vor der Hochzeit waren von den edelsten Herren und Damen der Stadt aus der Villa Pazzi einige kleine Bühnenspiele, von jener Art, die man Moresken nannte, aufgeführt worden, bei welchen auch der Herzog Ludwig und seine anmutige Braut tanzten. Alle Anwesenden waren darüber einig, daß ein schöneres Paar gar nicht denkbar sei. 155

 


 


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