Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Zwölftes Kapitel.
Das Strafgericht bricht herein.

Schon hatte die Sonne einen Teil ihrer Kraft wiedergewonnen und das erste, was sie vollbrachte, war die siegreiche Sprengung der Fesseln, welche der Winter der Natur angelegt hatte. In den Thälern des schönen Italien wurde ihr dies leicht, denn dort waren nur geringe Spuren des winterlichen Einflusses zu vertilgen, aber in den höheren Gebirgslagen, namentlich in den Alpengebieten, handelte es sich um einen schweren Kampf. Indes blieb der endliche Erfolg nicht aus, und die überall herabrieselnden kleinen und großen Gewässer gaben die beste Kunde, daß die Sonne Siegerin blieb, soweit ihre Macht reichte. Nur in jenen unwirtbaren Regionen des ewigen Winters behaupteten Eis und Schnee ihre Herrschaft, aber auch hier mußte der mildern Zeit wenigstens ein Tribut gezollt werden, und so kam es, daß in den Thälern die Flüsse und Bäche mächtig anschwollen und den Bewohnern verkündeten, die warmen Sonnenstrahlen hätten endlich auch die höheren Schneegefilde erreicht.

Bereits sproßten in den tiefer gelegenen Thälern der Alpen die jungen Keime der Pflanzen und Kräuter. Es befanden sich darunter auch viele, welche als wirksame Heilmittel verwendet und daher sorgsam gesammelt wurden. An einem hellen Morgen konnte man einen Mann mit grauem Bart und Haar, scharf ausgeprägten, wie versteinert aussehenden Zügen und in wenig geordneter Kleidung aus einem von Felsen überragten Dorfe hinaufsteigen sehen zu den im ersten Grün prangenden Wiesenstreifen, die sich, mit wildem Felsgestein abwechselnd, bis hoch in die Schneeregion zogen. Aufmerksam blickte er spähend überall umher, um gewisse Kräuter zu entdecken, deren er zu irgendwelchem Zwecke bedurfte. Der einsame alte Mann war so sehr in sein Werk vertieft, daß er nur selten einmal aufblickte, und wenn dies geschah, war es, als ob sein Auge gleichgültig die wunderbare Pracht der erwachenden Natur umher anschaue, als ob die lächelnde Frühlingssonne für ihn nicht vorhanden sei, das Wehen der stärkenden Gebirgsluft seine Brust nicht erfrische und die ganze Welt ihn völlig gleichgültig lasse. Seltsam war es dabei, daß die einzige Aufgabe, 192 welche er verfolgte, ihn derart erfüllte, daß er immer höher stieg, immer neue Pfade einschlug. Während er die Kräuter, welche er hier und da entdeckte, nach sorgfältiger Prüfung durch Geruch und Geschmack, in einen leinenen Beutel steckte, den er an einem Bande über die Schultern trug, murmelte er mancherlei einzelne Worte vor sich hin, die sich auf die Arten der Pflanzen bezogen, welche er auf seinem Pfade sammelte.

Schon war er über Felsblöcke hinweggeklettert und hatte einzelne Schneefelder überschritten, um die kostbaren Frühlingskräuter im frischesten Zustande zu finden, als er sich unerwartet bei einer Felsengruppe befand, die nach obenhin an gewaltige Gletscher angrenzte und überhaupt die äußerste Grenze des ewigen Winters bezeichnete.

Müde geworden, wollte der Mann hier einen Augenblick ruhen und ließ sich auf ein Felsstück nieder. Um aber auch hier nicht unthätig zu sein, nahm er die leinene Tasche mit den gesammelten Kräutern hervor und begann, diese letzteren nach Geruch und Geschmack in ihre Arten zu sortieren, wobei er abermals so eifrig verfuhr und sich derart vertiefte, daß es schien, als kenne sein Geist gar keine andre Beschäftigung, kein andres Interesse als das, welches ihn eben erfüllte.

Nach einer Weile wurde er aus seiner Versunkenheit aufgeschreckt, und er hätte in der That blind und taub sein müssen, wenn ihn die nahende Störung nicht aus seinem versunkenen Treiben hätte aufrütteln sollen. Er blickte empor, und der bisher matte und teilnahmslose Blick seines Auges veränderte sich denn doch etwas bei dem völlig unerwarteten Anblick, der sich ihm bot.

Oben auf dem Kamme des Gebirges, auf einem nicht sehr breiten, von Schnee bedeckten Wege, der sich zwischen Gletscherriesen dahin wand, erschien ein Trupp von Reitern, teilweise in voller Waffenrüstung, teilweise von warmen Mänteln umhüllt, daneben Fußvolk und endlich eine Reihe von Geschützen und Wagen, die mühsam von starken Pferden fortgezogen wurden. Noch vernahm man nur das ferne Geräusch von Stimmen und Waffengeklirr, aber der Geist des alten Mannes hätte wirklich völlig abgestumpft sein müssen, wäre er nicht bei diesem unvorhergesehenen und fast rätselhaften Anblick aufgerüttelt worden. Zwar wußte er nicht, was er dabei denken sollte, aber er starrte die fremden Gestalten, die ihm riesengroß und gewaltig erschienen, mit sichtbarer Spannung an und erwartete, was sich weiter begeben werde.

Der reitende Trupp kam näher. Den Winken und Gebärden nach zu urteilen, durch welche die vorderen Anführer ihr Gespräch begleiteten, während sie ihre Gedanken miteinander austauschten, schienen sie hocherfreut, endlich aus der Region des ewigen Winters herauszukommen und ein sonnig beleuchtetes Thal vor sich zu sehen. Sie mußten an der Stelle vorüber, wo der einsame alte Mann saß, und da dieser noch immer sprachlos und fast wie im Traume nach ihnen hinblickte, waren die ersten Reiter bereits dicht bei ihm, bevor er eigentlich daran dachte, daß sie ihn bemerken würden.

193 Es durchfuhr ihn daher ein heftiger Schrecken, als die kühn dareinblickenden Reiter vor ihm still hielten und einer derselben ihn anredete. Also war es keine Vision, die seine Phantasie sich geschaffen, es waren Menschen von Fleisch und Blut, zwar fremdartig und seltsam in ihrem Wesen und auch schwer verständlich in der Sprache, aber doch immerhin von demselben Stoffe, wie er selbst, das fühlte er jetzt und er empfand auch, daß es bei ihrem plötzlichen Anblick wie Schuppen von seinen Augen fiel. War es ihm doch, als ob gleichsam ein Schleier, der seinen Geist verhüllt hatte, zerrissen und in die Lüfte verweht wurde! Wie die Boten aus einer Welt, in der er früher gelebt hatte, die aber seit langer, langer Zeit seinem inneren Blicke entschwunden war, traten jene Gestalten vor ihn hin.

Karl VIII. überschreitet die Alpen.

Es wurde ihm klar, daß der Ritter, der mit ihm sprach, der Anführer der andern sein müsse, und er konnte seine Gedanken so weit sammeln, daß er die Sprache des Fremden verstand, richtige Antwort darauf gab und Auskunft erteilte, wie das Dorf heiße, das da unten lag und wie weit es nach der nächsten, größeren Stadt sei und was dergleichen Fragen mehr waren.

Dann wollte der Anführer auch wissen, wer er selbst sei und was der leinene Sack enthalte, den er bei sich führte.

Schweigend reichte der alte Mann den Sack dem Ritter hin. Dieser nahm ihn und betrachtete neugierig die darin enthaltenen Kräuter. Dann reichte er ihn seinen Begleitern und auch diese prüften das Aussehen und den Geruch der Pflanzen, schüttelten den Kopf und redeten in ihrer fremden Sprache 194 untereinander. Endlich wendete sich der Anführer wieder zu dem alten Manne und sagte, sich mühsam verständlich machend:

»Seid Ihr ein Zauberer, der Wundertränke braut?«

Der Alte schüttelte mit dem Kopfe und lächelte dabei in einer Weise, daß kein Zweifel an der Irrigkeit der Voraussetzung blieb.

»So seid Ihr ein Heilkünstler«, meinte der Ritter, »und habt diese Kräuter gesucht, um Arzneimittel daraus zu bereiten? Wohl, solch einen Mann könnten wir brauchen, denn unser Zug über dieses schreckliche Gebirge hat manchem unsrer Leute an der Gesundheit geschadet, und wenn wir erst in das gottverlassene Land da unten kommen, werden die giftigen Dünste uns genug zu schaffen machen. Ihr seid der erste Mensch, der uns auf dieser Seite der gewaltigen Grenze, welche die Natur zwischen Nord und Süd aufgetürmt hat, begegnet, und ich nehme dies als einen Wink des Himmels, der uns in Euch ein notwendiges Hilfsmittel bescheren will. Wenn Ihr wollt, und sonst nichts Euch abhält, könntet Ihr uns begleiten. Selbstverständlich gegen Lohn, denn wir zwingen niemand, der uns nicht feindlich entgegen tritt. Vor allen Dingen aber folgt uns nun in das Dorf, denn die zufällige Rast hier dauert unsern Leuten schon zu lange. Da unten können wir alles Weitere in Erwägung ziehen.«

Mit gespannter Aufmerksamkeit hatte der alte Mann diesen Worten zugehört und immer klarer wurde dabei sein Blick, immer teilnahmsvoller der Ausdruck seiner Züge. Zuletzt erhob er sich und fragte.

»Wer aber seid ihr, die ihr so unerwartet hier erscheint?«

»Wir sind Ultramontane«, entgegnete der Ritter; »Leute von jenseit der Berge; wir bringen das Strafgericht in dieses unselige Land, um alle Frevel zu rächen, die seit langer Zeit hier begangen wurden.«

Beim Anhören dieser Worte ging eine merkwürdige Verwandlung mit dem alten Manne vor. Seine Gestalt hob sich, sein Auge strahlte in unheimlicher Glut und mit Erstaunen bemerkte der Ritter, daß der Mann gar nicht so alt war, wie er vorher geschienen.

»Um alle Frevel zu rächen seid ihr in dies Land gekommen!« rief er aus, und auch seine Stimme klang anders als vorher; »wohlan, so folge ich euch und will euch dienen mit meiner ganzen geistigen Kraft und der Wissenschaft, die mich einst berühmt gemacht hat, vor allen Heilkundigen dieses Landes. Nehmt mich nur mit, ihr werdet es nicht bereuen, denn der Herr hat euch gleich beim Eintritte in dieses Land in mir einen Mann zugeführt, der ein Wort mitreden kann bei den Freveln, die hier stattgefunden haben.«

Darauf erhob er sich und schritt rüstig neben den Reitern einher, als hätte ihn das Zusammentreffen verjüngt. Der Anführer und seine Begleiter schauten verwundert nach dem seltsamen Führer, der sie an der Schwelle des Landes begrüßte, in welchem sie das Schwert im Namen des Königs von Frankreich schwingen sollten.

195 Unten im Dorfe sandte der Anführer einen seiner Leute mit Schriftstücken zu dem Podesta (Ortsvorsteher), um diesen zu benachrichtigen, daß ein neues Hilfsheer, welches der französische König in der Schweiz geworben habe, unter Führung des Ritters Torcy Quartier begehre und zwar auf Grund eines Übereinkommens zwischen dem Könige von Frankreich und dem Herzoge von Mailand. Selbstverständlich war bereits alt und jung im Dorfe zusammengelaufen, um die schweizerischen Soldaten zu sehen, die zu dem Heere des Königs der Franzosen stoßen und den Feldzug nach Rom und Neapel mitmachen sollten. Herr von Torcy und die französischen Ritter, die den Haufen anführten, machten einen zutrauenerweckenden Eindruck, und bald waren die biedern Schweizer von den Dorfbewohnern, die schon vor Plünderung in Furcht gewesen, gastlich aufgenommen. Oft genug gab es große Überraschungen und schwere Belästigung in den Dörfern, wenn Truppen einrückten, aber gegen die erhaltenen Befehle war nichts zu thun und die Gemeinde mußte sich in das Unabwendbare fügen. Daß sich sofort der Schrecken in der Umgegend verbreitete und in geflügelter Eile dem Heere voranging, war auch hier selbstverständlich.

Die Bewohner des Grenzdorfes beklagten nach dem Abzuge der fremden Krieger die Wegführung des alten Mannes, der nun schon seit langer Zeit als Arzt im Dorfe viel Gutes gethan hatte. Der Geistliche nebst den meisten Bewohnern des Dorfes hielten den Mann für gestört im Geiste; sie ließen ihn gewähren, seitdem man wußte, daß er seine Verstandeskräfte beisammen hatte, sobald er an einem Krankenlager zu Rate gezogen wurde.

Auch seinen neuen Beschützern gegenüber hüllte sich der Arzt in den Schleier der Verborgenheit, denn sein umflorter Geist war seit langer Zeit daran gewöhnt, sich nicht mehr als denjenigen zu betrachten, der er wirklich war. Jahre waren darüber hingegangen, als er plötzlich durch den entsetzlichen Schicksalsschlag, der ihm die Kinder raubte, aus seinem friedlichen Leben im Ghetto zu Rom herausgerissen, der Verzweiflung und dem Wahnsinn verfiel. Wie oft trat die furchtbare Stunde jenes Abends vor seine Seele, als er im Vatikan am Lager des kranken Papstes Innocenz stand und diesem das Blut seiner eignen Söhne in die erschöpften Adern flößte! Damals stürmte er hinaus in Nacht und Grauen, als wäre er verdammt, auf Erden keine Ruhe zu finden und doch auch dem Tode nicht zu verfallen. Mit wirrem Haar und zerrissenen Kleidern wanderte er von Ort zu Ort, die Menschen flohen vor ihm, denn sein Aussehen war schreckenerregend und die düstere Flamme seines Auges verkündete den Zustand seiner irren Seele. Wenn er ermattet und hungrig war, erbarmten sich mitleidige Menschen über ihn, gaben ihm Speise und ließen ihn unter sicherem Dache schlafen. Aber immer wieder trieb es ihn fort. Oft jammerte er, daß er nicht sterben könne, weil er ewig wandern müsse von einem Ende der Welt zum andern. Kam er dann nach längerer Zeit wieder an denselben Ort zurück, so fürchteten die Menschen, er könne Unheil bringen und verschlossen oft die Thüren vor ihm.

196 So hatte er das Land Italien kreuz und quer durchzogen, bis er eines Abends müde und hungrig in jenes Gebirgsdorf an der Grenze kam und dort Obdach und Nahrung suchte. Lange war er vergeblich umhergewandert, bis endlich mitleidige Menschen ihm gestatteten, zu ihnen in die Stube zu kommen. Sie waren milder gestimmt als andre, denn das Unglück stand an ihrer Schwelle und schien dieselbe eben überschreiten zu wollen. Ein junges Ehepaar war es, dessen einziges Kind krank in der Wiege lag. Mit Thränen in den Augen setzte die Frau dem fremden Manne ihr eignes Abendbrot vor, und dieser verzehrte es gierig, ohne die Betrübnis der jungen Leute zu bemerken. Aber während er aß, drang ein klägliches Wimmern an sein Ohr, ein Ton, der die Nacht seines Geistes für einen Augenblick lichtete und den Beruf, der sonst die höchste Aufgabe seines Lebens gewesen, wieder in ihm weckte. Er kannte genau diese kläglichen Töne und er ahnte, was sie bedeuteten. Das junge Elternpaar erschrak fast, als der fremde Mann mit irrem Blicke, zerrauften Haaren und zerrissenen Kleidern sich der Wiege des Kindes näherte, dessen Händchen betastete, die Stirne befühlte und dann mancherlei Anordnungen traf, welche mit solcher Bestimmtheit gegeben wurden, daß die Eltern sich ihnen nicht zu widersetzen wagten. Der seltsame Mann verlangte dies und jenes und bereitete aus verschiedenen Dingen, welche rasch beschafft wurden, einen Trank, den er dem Kinde einflößte. Schon hatten alle alten Frauen im Dorfe ihre Heilkunst an dem kleinen kranken Geschöpfe versucht und den Eltern war bereits jede Hoffnung auf dessen Erhaltung geschwunden. Nun bemerkten sie zu ihrer Freude, daß der Trank des fremden Mannes gleich einem Wundermittel wirkte und dem Kinde Erleichterung brachte. Sie knieten zu beiden Seiten des kleinen Bettchens nieder und blickten voll freudiger Hoffnung in das Gesicht des schon verloren geglaubten Söhnchens, dann aber nötigten sie den Mann, zu bleiben, bis er sein Werk völlig vollbracht und das Knäblein ganz wiederhergestellt hatte.

Und Isaak Yem blieb, denn er hatte einen Zweck, der ihn fesselte. Es war unzweifelhaft, daß die Heilung des Kindes seine irren Gedanken von der Vergangenheit ablenkte und die Phantasien in seiner Seele zurückdrängte.

Schon am folgenden Tage erfuhr man im Dorfe von dem seltsamen Menschen, der mehr von der Heilkunde verstand als alle übrigen Bewohner der Gegend. Noch bevor das Kind seiner Wirtsleute vollkommen genesen war, hatte man ihn schon zu andern Kranken berufen, und es gelangen ihm mehrere schwierige Kuren. Man zog ihn auch in der Umgegend zu Rate, und wenn ihn auch wiederholt die innere Unruhe packte und ihm den Wanderstab wieder in die Hand geben wollte, immer kam eine Verpflichtung dazwischen, welche das Gewissen des Arztes bestürmte und ihn zum Bleiben nötigte. So hatte sich nach und nach eine Wandlung in ihm vollzogen. Die ewige Unruhe, welche ihn früher durch Länder und Städte getrieben hatte, schwand allmählich, und es trat an ihre Stelle ein stiller Tiefsinn, der ihn jedoch nicht hinderte, seinen 197 Beruf als Arzt mit Eifer auszuüben. Es kostete ihn viele Mühe, in dem abgelegenen Dorfe die Heilmittel zu erhalten, deren er bedurfte, und so gewöhnte er sich, Kräuter und Wurzeln zu suchen, um die Tränke und Pulver selbst zu bereiten. Eine einfache Stube, wenig Nahrungsmittel und die Einsamkeit hatten ihm jahrelang genügt, bis nun endlich die überraschende Erscheinung der Hilfstruppen des französischen Heeres seinen Geist mächtig aufrüttelte und sein Schicksal in andre Bahnen lenkte.

Je mehr die Verstandeskräfte des jüdischen Arztes wieder erstarkten, um so mehr erstaunte er über alle die großen Begebenheiten, von denen er bisher keine Ahnung gehabt. Wohl erhob er zu wiederholten Malen seine Arme gen Himmel und seine bebenden Lippen stammelten hebräische Worte des Lobes für Jehova, als er erfuhr, wie gewaltig das Strafgericht über Italien hereingebrochen war. Innocenz VIII. war tot und Alexander VI. saß auf dem päpstlichen Stuhle; der König von Frankreich hatte sich an die Spitze seiner tapfern Ritter und Mietstruppen gestellt, mit denen er bereits vor Monaten die Alpenpässe überschritten hatte, während die Flotte mit der Artillerie, der furchtbarsten Waffe der Franzosen, von Marseille nach Genua unter Segel gegangen war. Ohne Schwertstreich war der König vorgerückt und stand nun nahe bei Rom. Er hatte sich nicht nur mit dem Könige von England, dem deutschen Kaiser und dem Könige von Spanien ins Einvernehmen gesetzt, sondern auch Gesandte nach den verschiedenen italienischen Staaten geschickt, um zu erfahren, wie sie sich zu den Ansprüchen, die er in bezug auf Neapel erhob, stellen würden. Mit Ausnahme von Venedig hatten die norditalienischen Regierungen sich alle auf Seite des Königs von Frankreich gestellt oder ausweichend geantwortet. Neapel durfte also nur auf Venedig als Bundesgenossen zählen.

Inzwischen war Peter von Medici, den das kühle Verhalten Hippolyt Bentivoglios gekränkt hatte, von Bologna nach Venedig gereist und hatte seine Familie dorthin kommen lassen. So war also in Venedig ein Zusammenfluß von Elementen, welche dem Könige von Frankreich entgegen zu wirken schienen. Karl VIII. schickte seinen Bevollmächtigten, Philipp von Commines, dahin, um womöglich noch ein Übereinkommen zu schließen. Die Verhandlungen waren auch so weit gediehen, daß Commines in das Hauptlager des Königs bei Genua zurückkehrte, aber zur selben Zeit versuchte auch der König von Neapel durch seinen Sohn Friedrich auf die Entschließung des Rates der Zehn einzuwirken.

Peter von Medici war noch ein halbes Kind gewesen, als sein Vater Lorenzo den König von Neapel besucht hatte, aber Clarissa, seine Mutter, erinnerte sich aller damaligen Vorgänge sehr genau, und es konnte nicht ausbleiben, daß ihr beim Anblicke des neapolitanischen Prinzen dessen unglückliche Liebe zur schönen Katharina Cornaro wieder in das Gedächtnis kam. Katharina lebte nach wie vor als Herrin zu Asolo, mit dem Titel Königin von Jerusalem, Cypern und Armenien, welchen übrigens Carlotta von Lusignan auch führte. 198 Die Schönheit der ehemaligen Gemahlin Jakobs von Cypern hatte sich nicht vermindert und Katharina war noch immer eine höchst reizende Erscheinung. Als sie ihren feierlichen Einzug in die neue Residenz gehalten hatte, wurde sie durch eine besondere Deputation begrüßt. Eine Schar von Kindern zog ihr aus der Stadt mit Olivenzweigen in den Händen entgegen, und unter einem Baldachin von Goldstoff, den die Notabeln Asolos trugen, wurde sie durch die mit Teppichen und Laubgewinden geschmückten Straßen, von einer großen Volksmenge umgeben, in die Hauptkirche und später in ihr Schloß geleitet. Sie hatte einen zahlreichen Hofstaat, darunter auch, nach der Sitte der Zeit, einige Dichter und Gelehrte. Schon ein Jahr nach ihrer Ankunft ließ sie sich einen eignen Sommersitz nahe bei Asolo erbauen, der von einem prächtigen Parke im damaligen Stile umgeben war. War doch überhaupt gerade in der letzten Zeit während der diplomatischen Verhandlungen mit Venedig häufiger wie sonst von der ehemaligen Königin von Cypern die Rede gewesen, denn der gelehrte Dichter und Geschichtschreiber Bembo, ein vornehmer Venetianer, der sich häufig an dem kleinen Hofe Katharinas zu Asolo aufhielt, war von dort zu den Verhandlungen nach der Lagunenstadt gekommen und verkehrte mit allen jenen Personen, welche an den stattfindenden Beratungen Interesse hatten.

Den Winter pflegte die schöne Königin von Cypern gewöhnlich in Venedig zu verleben, wo sie dann im vollen Schmucke ihrer Würde an großen kirchlichen Feierlichkeiten teil nahm.

Auch in diesem Winter lebte sie in der Vaterstadt und sie beteiligte sich ausnahmsweise bei den Karnevalsfestlichkeiten. Ihr Bruder Georg, der vor einigen Jahren gestorben war, hatte eine aufblühende Tochter hinterlassen, welche fast immer in Gesellschaft der jugendlichen Tante erschien, und da der Prinz Friedrich von Neapel auffallend häufig in der Nähe dieser Damen gesehen wurde, wußte man nicht, wem eigentlich seine Aufmerksamkeiten galten.

Wie hätte es ausbleiben können, daß Friedrich von Neapel sich auch an die Frauen des Hauses Medici näher anschloß und manchen Abend in ihrer Gesellschaft verbrachte! Die Tage gingen in Beratungen und Abfertigung von Depeschen hin, und erst die Abendstunden brachten eine Erholung, indem man auch einmal auf persönliche Angelegenheiten kam und die Dinge in einem andern Lichte sah. Peters Gemahlin, Alfonsine Orsini, kannte Carlotta von Lusignan, und so woben die verschiedenen freundschaftlichen Beziehungen ein Band wohlthuender Vertraulichkeit, welches den liebenswürdigen und ernstgesinnten Prinzen immer enger mit den Damen des Hauses Medici verknüpfte.

Clarissa war neuerdings erzürnt über den Herzog von Mailand, der durch sein Bündnis mit dem Könige von Frankreich zwar für sich selbst festen Boden gewonnen, aber die übrigen italienischen Fürsten und namentlich Peter von Medici in eine schiefe Stellung gebracht hatte. Selbst die starkgeistigste Frau kann sich schwer von persönlichen Stimmungen frei halten, und das 199 unglückselige Schwanken in Peters Haltung kam seit einiger Zeit ganz allein auf Rechnung des Einflusses seiner Mutter. So war Clarissa auch jetzt sehr geneigt, wieder ganz auf die Seite des Königs von Neapel zu treten, und da sie in Venedig vielfach dergleichen Ansichten begegnete, gewährte es ihr eine Genugthuung, dem Prinzen Friedrich ihre ganze Sympathie zu zeigen.

Es fiel ihr nicht schwer, eines Tages im vertraulichen Gespräche mit ihm auch auf Katharina Cornaro zu kommen, und sie bemerkte bald aus der Art, wie Friedrich über das Scheitern seiner Hoffnungen sprach, daß diese weniger auf die Herrschaft über Cypern, als auf den Besitz der schönen Frau gerichtet waren. So ehrgeizig und stolz Clarissa auch war, hatte sie doch ihren Gatten Lorenzo wahrhaft geliebt, und sie nahm daher innigen Anteil an der noch immer nicht erstorbenen Trauer des schönen Prinzen über die Hoffnungslosigkeit seiner Liebe. Sie rieth zu dem Versuch, Katharinas Hand, wenn ihre Liebe ihm treu geblieben, doch noch zu erringen. Friedrich kämpfte einen schweren Kampf. Sein väterliches Reich war in Gefahr, er selbst befand sich in diplomatischer Sendung zu Venedig, und sein Herz drängte ihn, einem gefahrvollen Liebesabenteuer nachzugehen. Aber es handelte sich um eine wahre, echte Liebe, welche bereits eine jahrelange Trennung überdauert hatte, und das rein menschliche Empfinden behauptete den ersten Rang in der Brust des Prinzen, dessen ganze Natur zu Staatsgeschäften wenig geeignet war.

Während in Florenz der strenge Savonarola die Zeit des Karnevals benutzte, um seine Sittenlehren dem Volke recht anschaulich vor Augen zu führen, fanden sich in dem üppigen Venedig eine Anzahl von Personen zusammen, die teils durch ihr Thun, teils durch ihr Schicksal so recht den Geist jener Epoche repräsentierten, welchen der ernste Dominikanerprior bekämpfte. Katharina Cornaro schmachtete seit ihrem fünfzehnten Jahre als das reich geschmückte Opfer am Altare des handelspolitischen Egoismus; Friedrich von Neapel war der Sohn eines rücksichtslosen Usurpators, und diese beiden bedauernswerten Menschen litten unter den Sünden andrer, wohingegen die Glieder des Hauses Medici für die eigne Schuld büßten. Welche Leidenschaften mochten sich unter den Masken und kostbaren Gewändern bergen, und welche Pläne und Intrigen kamen unter scheinbar harmlosen Gesprächen zur Erörterung!

Auf einer großen Maskerade, welche der Doge veranstaltete, erschien ein griechischer Minnesänger mit der Laute, und niemand ahnte, wer er sei, auch dann nicht, als er sich mit einer weiblichen Maske in dem geschmackvollen Kostüme einer vornehmen Bewohnerin von Cypern, die man sofort als die anmutvolle Katharina Cornaro erkannt hatte, in eine lebhafte Unterhaltung einließ.


Bald nach dem Karneval hatte Peter von Medici den Versuch gemacht, in Florenz wieder festen Fuß zu fassen. Die Republik Venedig hatte ihm eine Anzahl Gemälde abgekauft, so daß es ihm an Geld nicht fehlte. Die Orsini 200 hatten die nötigen Truppen aufgebracht, die Signoria zu Florenz war ihm günstig gestimmt, aber die Gegner hielten sie im Palaste fest, schlossen die Thore der Stadt und fuhren Kanonen auf. Die Mitglieder der Signoria traten ab und die Gegner der Medici kamen in den Rat. Peter kehrte dicht vor den Thoren um und ging nach Siena zurück.

Die Anhänger Savonarolas waren die Piagnoni, diejenigen der Medici die Palleschi, so genannt nach den fünf Kugeln (palle), welche die Medici im Wappen hatten. Eine dritte Partei waren die Arabiaten, die sich am eifrigsten zeigten und weder für Savonarola noch für die Medici, sondern für das Wohl der unabhängigen Republik entflammt waren. Vorläufig war die Partei der Piagnoni am Ruder, aber Savonarola wußte, daß er seine Feinde nicht treffen konnte, so lange Papst Alexander selbst nicht beiseite geschafft war. In energischen Sendschreiben an die höchsten Fürsten der Christenheit, den deutschen Kaiser und die Könige von England, Spanien und Frankreich, forderte er mit Berufung auf die anerkannte Verworfenheit Borgias und die Notwendigkeit einer Reform des Kirchenregimentes ein Konzil, auf welchem der Papst gerichtet und abgesetzt werden sollte. Einen dieser Briefe und zwar für König Karl VIII. von Frankreich fing Ludwig Moro auf und ließ ihn an den Papst gelangen.

Ein Konzil war das Einzige, was die Päpste fürchteten, und von nun an wurde der Prior von St. Marco für den Papst eine große Gefahr.

Übrigens haßten alle jungen Lebemänner in Florenz das eiserne Regiment des Dominikaners, denn sie mußten ihren liebgewordenen Unterhaltungen entsagen. Auch die jugendlichen Mitglieder des Rates, die er selbst gefördert und auf deren Liebe und Begeisterung er besonders gezählt hatte, waren nicht für ihn. Bis dahin hatten letztere die Umänderung der öffentlichen Verhältnisse, die Abstellung des fröhlichen Lebens, wie es früher in Florenz geherrscht hatte, ertragen müssen. Jetzt besaßen sie Macht und Einfluß, und indem sie ins gegnerische Lager der Arabiaten übergingen, schlug nach und nach die Situation um.

Bisher war ein Alter von dreißig Jahren erforderlich gewesen, um Eintritt in das Consiglio zu erlangen, von jetzt ab sollte das zurückgelegte vierundzwanzigste genügen. Savonarola zählte dabei auf die jungen Männer, welche als Knaben ihn gehört hatten, und auf die Kinder, welche er für sich zu begeistern wußte und die rasch heranwuchsen, aber er übersah dabei, daß seine ernste Richtung auch der herangewachsenen Jugend nicht sonderlich gefiel, da die unschuldigen Freuden, welche er gestattete, dem lebensfrohen Sinne der jungen Männer zu wenig Spielraum gaben und ihnen nüchtern und langweilig erschienen, sobald sie die Kinderschuhe ausgetreten hatten. 201

 


 


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