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In jedem Lande gibt es eine Kriegspartei, d. h. Leute, die auf Grund von Beobachtungen, Forschungen, eigenen oder fremden Theorien, oder sonstwie zu der Meinung gelangt sind, daß der Bürger- und Völkerfrieden eine Schwärmerei sei. Wer aber nicht an den Frieden glauben kann, glaubt notwendigerweise an den Krieg und wirkt für den Krieg durch sein ganzes Tun und Lassen. Wenn er auch kein eingeschriebenes Mitglied der eigentlichen Kriegspartei ist, so kann man ihn doch als Mitläufer rechnen. Es ist dabei durchaus nicht nötig, daß der Betreffende etwa den Krieg wünscht und Freude bei seinem Ausbruch empfindet. Es genügt, daß er an die Unvermeidlichkeit der Kriege glaubt; der Rest kommt dann ganz von selbst. Hier geht es genau so zu, wie im Altertum, wo die Vorkehrungen gegen das von den Orakeln angekündigte Unheil notwendigerweise das Unheil herbeiführen mußten. Als man im Mittelalter das Ende der Welt für den folgenden Herbst verkündete, kam wirklich über weite Landstriche der Weltuntergang, weil man es für überflüssig gehalten hatte, die Äcker zu bestellen. Und ähnlich geht es auch noch bei uns zu, wo der Glaube an eine Wirtschaftskrise die Unternehmer davon abhält, die geplanten Werke auszuführen und sie bestimmt, ihre Arbeiter zu entlassen. Der Glaube an die Krise wird zur unmittelbaren Ursache ihres Ausbruchs. Allgemeiner Kriegsglaube und Kriegsausbruch fallen zeitlich zusammen.
Darum wiederhole ich: wer nicht an den Völkerfrieden glauben kann, wirkt im Sinne der Kriegspartei und ist ihr zuzurechnen. Er rüstet, er bestärkt durch seine Reden, seine Lehrsätze, die Zweifelnden im Glauben an den Krieg.
Man kann die Angehörigen der Kriegspartei in vier Gruppen einteilen, d. h. in Leute, denen der Krieg erscheint als:
Will es der Zufall, daß hüben und drüben der Grenze an einem unglücklichen Tag die Ansichten über den Zeitpunkt des Kriegsausbruches übereinstimmen, so bilden diese vier Gruppen der Kriegspartei vereint eine Macht in jedem Staate, und die Vorkehrungen, die sie treffen, mögen an sich schon genügen, den Krieg zu entfesseln. Dabei soll hier nochmals betont werden, daß die Anhänger dieser vier Gruppen der Kriegspartei durchaus keine Raufbolde zu sein brauchen, daß sie sogar persönlich von Friedenswünschen triefen mögen. Sie wirken nur darum für den Krieg, weil sie an den Frieden nicht glauben können.
Ich muß es mir hier versagen, die Theorien und Meinungen dieser vier Gruppen der Kriegspartei einzeln zu erörtern und ihre Hohlheit nachzuweisen. Ich werde mich nur mit der Gruppe 4, die den Krieg als ein Allheilmittel gegen wirtschaftliche Not betrachtet, beschäftigen können. Sie ist übrigens die weitaus größte und einflußreichste der genannten vier Gruppen; ihre Bekämpfung und mögliche Auflösung ist eine um so dankbarere Aufgabe, als ohne die Unterstützung dieser Gruppe die anderen drei zur Ohnmacht verurteilt sind. Es schaut aus der Bekämpfung und Besiegung dieser Gruppe 4 für das Friedenswerk aber noch mehr heraus, insofern als die drei anderen Gruppen mit ihren Beweismitteln für ihre Leitsätze sehr stark auf die Rüstung der Gruppe 4 angewiesen sind. Gelingt es also, die Gruppe 4 zu entwaffnen und zur Strecke zu bringen, so schwächen wir damit auch alle übrigen.
Zum besseren Verständnis für diesen Satz möge noch folgendes dienen: der Glaube an die Schlechtigkeit der Welt, der das Wesen der Gruppe 1 und 2 ausmacht, entstammt einer schwarzseherischen Lebensauffassung, und man weiß, wie sehr diese Lebensauffassung durch äußere Verhältnisse bei den meisten Menschen gefördert wird. Wenn es den Menschen wirtschaftlich schlecht geht, wenn die Dividenden ausbleiben, wenn der Arbeiter sich umsonst nach Arbeit umsieht, wenn der Kaufmann, über sein Hauptbuch gebeugt, darüber sinnt, wie er das Geld für fällige Wechsel beschaffen soll – dann feiert die Schwarzseherei das Erntefest. Dann spricht man vom Tal der Tränen, dann füllen sich die Klöster, dann ist der Krieg nötig zur Züchtigung und Besserung des sündigen Menschengeschlechts. Alles, was in solchen Zeiten das Völkchen treibt, erscheint als Sünde und Schmutz, wie bei trübem Wetter uns auch alles schmutzig erscheint.
Im Grunde genommen sind es also dieselben Leute, die auch die Gruppe 4 ausmachen, nur mit einem religiösen Einschlag. Der Anstoß zu ihrem Schwarzsehen kommt von den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen her, und die geheimnisvollen religiösen Folgerungen, die sie aus den schlechten Zeiten ziehen, stehen und fallen meistens mit den schlechten Zeiten selber. Damit sie von ihrem Pessimismus bekehrt werden, brauchen sich in der Regel nur ihre wirtschaftlichen Zustände zu bessern. Sind die wirtschaftlichen Verhältnisse befriedigend, finden die jungen Männer Arbeit und Verdienst, der ihnen gestattet, einen eigenen Hausstand zu gründen, gehen bei den Alten die Töchter ab, wie frische Semmeln, dann soll mal jemand vom Tal der Tränen reden und von der Notwendigkeit eines Krieges als Zuchtrute für die verderbte Menschheit. Man lacht ihn einfach aus.
Ähnlich geht es auch bei vielen Leuten der Gruppe 3, die den Krieg aus biologischen Gründen als ein Stahlbad, als ein Mittel schärferer Auslese betrachten. Länger anhaltende wirtschaftliche Not, Wirtschaftskrisen sind in ihrer Wirkung gleichbedeutend mit Entartung. Arbeitslosigkeit, schlechte Kost, schlechte Kleidung, schlechte Seife, schlechte Wohnungen, schlechte seelische Verfassung reiben die Menschen auf. Das kann niemand vertragen ohne Schaden zu leiden. Dauert die Not an, etwa wie in der Zeit von 1873 bis 1890, dann kann der Fachmann die Entartung mit Meßwerkzeugen mancherlei Art wissenschaftlich feststellen und sogar mit der Verbrecherstatistik geradezu in Prozenten nachweisen.
So ziehen also auch die biologisch geschulten Kriegsanhänger gewichtigen Beweisstoff aus den wirtschaftlichen Mißständen.
Daß es sich dabei nur um Trugschlüsse handelt, daß der Krieg das Gegenteil von dem fördern wird, was die Gruppen 1 bis 3 der Kriegspartei vom Stahlbad erwarten, ist ohne wirksame Bedeutung. Es genügt, daß sie es glauben. Sobald man sich bei seinem Tun und Reden von einer Theorie leiten läßt, kommt es für die Handlung gar nicht mehr darauf an, ob die Anschauung von Gesunden oder von Wahnsinnigen stammt. Wirft jemand dir einen Stein an den Kopf, so ist der Trost recht gering, daß sich der Steinwerfer im Ziel geirrt hat.
Gelänge es darum, den Ursachen der wirtschaftlichen Not und Mißstände auf die Spur zu kommen, so würden wir nicht allein die mächtigste der vier Gruppen der Kriegspartei auflösen, sondern auch noch darüber hinaus die anderen drei Gruppen bis zur Ohnmacht entwaffnen.
Wie entsteht nun eigentlich die wirtschaftliche Not, worauf sind die wirtschaftlichen Mißstände zurückzuführen? Der Beantwortung dieser Frage will ich mich jetzt zuwenden.
Alte Mären Es wäre mir leicht gewesen, den wirtschaftlichen Zuständen vor Kriegsausbruch die Beweise für meine Darlegung zu entnehmen. Ich zog es aber aus leicht begreiflichen Gründen vor, in die Vergangenheit zurückzugreifen, der wir alle vorurteilsfreier gegenüberstehen. erzählen uns von einem fabelhaften goldenen Zeitalter. Don Quijote de la Mancha beschreibt dieses Zeitalter als eine Zeit, wo man noch nicht zwischen Mein und Dein unterschied. Für ihn war das goldene Zeitalter die Zeit des Kommunismus. Und er sagt auch, daß man jenes Dorado nicht darum so nannte, weil man damals das Gold, »das man in dieser eisernen Zeit so hoch schätzt«, mit weniger Mühe erwerben konnte, sondern weil damals allen Menschen die Naturschätze zur freien Verfügung standen.
Ich halte diese Auffassung des sympathischen Philosophen für falsch. Ich glaube im Gegenteil, daß man das goldene Zeitalter unmittelbar mit der Einführung des Goldes als Tauschmittel, als Geld, in Verbindung zu bringen hat. Das Gold war das erste, einigermaßen den Bedürfnissen des Handels und der Arbeitsteilung gerecht werdende Tauschmittel.
Mit der Einführung dieses Geldes konnte sich die Arbeitsteilung viel freier entfalten. Der Tausch der Güter vollzog sich vergleichsweise viel sicherer, schneller und billiger, als mit irgend einer anderen der Geldarten, die bis dahin in Gebrauch gewesen waren. Es würde aber vollkommen zur Erklärung jener Mär vom goldenen Zeitalter genügen, wenn durch Einführung einer besseren Geldwirtschaft die Arbeitsteilung damals eine Förderung erfahren hätte. Denn in der Arbeitsteilung liegen ja allein die gewaltigen, fortschrittfördernden Kräfte, denen die Menschheit ihre Erhebung über den Tierzustand verdankt. Solange die Arbeitsteilung wegen Mangels an einem brauchbaren Geldwesen sich nicht entfalten konnte, waren die Menschen allgemein auf das angewiesen, was sie mit eigenen Händen aus den Stoffen herstellen konnten, die sie in ihrer nächsten Umgebung fanden. Das Leben, das sie unter solchen Umständen führen mußten, war im höchsten Grade armselig, tierisch. Hunger herrschte damals ewig, wie bei den Raubtieren der Wüste. Wir können uns von dieser Armseligkeit am besten dadurch einen Begriff machen, daß wir annehmen, die Nationalbank hätte bei Ausbruch dieses Krieges das von den Bürgern verscharrte Metallgeld nicht durch Ausgabe von Papiergeld ersetzt. Welcher Jammer, welche Not wäre da allenthalben ausgebrochen! Beseitigen wir in Europa das Geld nur auf drei Jahre, so wird die Hälfte der Einwohner schon an Not zugrunde gegangen sein. Der Rest würde bald auf die Kulturstufe der Pfahlbauern zurückgesunken sein, eine Kulturstufe, die im übrigen wohl das Höchstmaß dessen darstellt, was ohne das Geld als Tauschvermittler zu erreichen ist.
Nehmen wir nun an, daß durch Einführung des Goldes als Tauschmittel das Pfahlbautenvolk eines Tages in die Arbeitsteilung hineingezogen worden wäre, so daß sich jeder von ihnen für irgend ein Sondergebiet hätte technisch einrichten und hierin die Fertigkeit erlangen können, die sich bei der Beschränkung auf ein Gebiet von selbst einstellt. Wieviel mehr Steinäxte, Fischnetze, Angelhaken hätte nun jeder in der gleichen Arbeitszeit herstellen können, und wieviel besser wären diese Geräte geworden! Die Leistungsfähigkeit eines jeden hätte sich verhundertfacht, der Wohlstand aller wunderbar vermehrt. Wie viele hätten nun erst die Muße gehabt, über weitere, höhere, wichtigere Ziele zu grübeln und zu sinnen! Und wenn sie dann ihre Erzeugnisse gegen alle die verlockenden Gegenstände hätten austauschen können, die ihnen die Kaufleute aus fernen Welten zuführten – ob solche Pfahlbautenmenschen jene aufkommende Kultur nicht als etwas Köstliches bezeichnet haben würden? Und hätten dieselben Pfahlbautenmenschen späterhin, wenn sie ihren Enkeln von herrlichen alten Zeiten erzählten, diese nicht als goldene Zeiten bezeichnet, in Erinnerung daran, daß es das Gold gewesen war, das sie aus der Barbarei auf die Wege der Arbeitsteilung, des gewerblichen Fortschrittes, des Wohlstandes und der Gesittung gehoben hatte? Dann aber, meine ich, ist das Wort vom goldenen Zeitalter nicht bildlich, sondern wörtlich zu nehmen. Das Gold schuf wirklich das goldene Zeitalter.
Aber nein! das kann doch nicht sein, wird hier mancher sagen. Das Gold, das lebloseste aller Metalle, das Sinnbild des Todes, kann unmöglich in irgend einer Weise tätig in die Geschicke der Menschheit eingegriffen haben. Wie leblos das Gold ist, erkennt man am Hohenlied der Goldwährungsapostel. Was wird da zum Ruhme des Goldes nicht alles aufgezählt! Eine schier endlose Reihe von Verneinungen. Das Gold, so singt das Hohelied, rostet nicht, es riecht nicht, es kratzt nicht, es bricht nicht, es fault nicht, es schimmelt nicht, es kennt nur ganz wenige chemische Verwandtschaften, es ist nicht hart, es ist nicht weich, man findet es nicht auf der Straße, überhaupt nur an wenigen Orten, nur zu wenig Geräten ist es brauchbar, und der Seltenheit wegen, in der es auftritt, ist es nur ganz wenigen Menschen in winzigen Mengen zugänglich. Kurz, von all den Kräften, die sonst die anderen Stoffe auszeichnen und den Menschen nützlich machen, besitzt das Gold nur geringe Spuren. Verneinende Eigenschaften sind das Merkmal des Goldes! Und angesichts dieser Verneinungen leiten wir hier das goldene Zeitalter vom Gold ab, eine Erscheinung von solch gewaltiger Tragweite?
Diese Frage ist vollauf berechtigt und verlangt eine Antwort. Gewiß ist es so. Das Gold hat von allen Stoffen dieser Erde die geringste gewerbliche Verwendbarkeit. Unter allen Metallen ist das Gold das tote Metall. Das aber ist gerade das Eigentümliche am Geld: weil es sich so mit dem Gold verhält, konnte es besser als irgend ein anderer Stoff für seine Aufgabe als Geld verwendet werden. Weil wir im Golde keine oder keine nennenswerten Eigenschaften entdecken, darum hat es die für die Geldverwendung durchaus nötige, bestimmte Eigenschaft, allen Menschen gleichgültig zu sein. Je verneinenderer Art die stofflichen Eigenschaften des Geldes sind, um so vorzüglicher wird es seine Aufgaben als Tauschmittel erfüllen können.
Man verkauft eine Kuh und erhält Geld. Ein einziger Blick wird dem Geld geschenkt, und dann verschwindet es in die Tasche. Aber nun sehe man sich den Mann an, der die Kuh heimführt. Gibt er sich mit einem Blick auf die Kuh schon zufrieden? Betrachtet, befühlt und betastet er sie nicht von allen Seiten? Entdeckt er nicht alle Tage neue Eigenschaften an der Kuh, die ihn, je nachdem, himmelhoch jauchzen lassen und dann wieder zu Tode betrüben? Wenn das Geld uns stofflich nicht so durchaus gleichgültig wäre, wenn wir jede einzelne Münze so betrachten würden, wie wir eine Kuh, eine Axt, ein Buch betrachten – wahrhaftig, um dann eine Summe von 100 Mark zusammenzuzählen, brauchten wir einen ganzen Tag, und dann wäre noch niemand sicher, ob die Summe nach Menge und Echtheit stimmte. Nur weil wir alle kühl bis ans Herz hinab dem Geldstoff gegenüber stehen, können alte und neue, gelbe und rote Goldmünzen gleichwertig neben einander laufen. Wie gleichgültig wir alle in dieser Beziehung sind, erkennt man daran, daß unter 1000 in der Regel nicht einer zu finden ist, der einigermaßen genau die Goldmenge zu nennen weiß, die der Mark entsprechen soll. Man erkennt daran, wie glücklich die damaligen barbarischen Völker sich preisen konnten, daß die Vorsehung für einen Naturstoff gesorgt hatte, der wegen seines Mangels an Eigenschaften allen Menschen gleichgültig war, der darum auch widerstandslos von Hand zu Hand ging und dessen Menge einwandfrei, nötigenfalls gerichtlich festgestellt werden konnte.
In jenen fernen Zeiten konnte nur ein Naturstoff als Geld in Frage kommen. Die für die Verfertigung eines Kunstgeldes, des Papiergeldes z. B., nötige Technik sollte ja erst aus der Arbeitsteilung mit Hilfe des Goldgeldes erstehen. Das Gold war das einzig mögliche Geld für Menschen, die sich aus der Barbarei mit Hilfe der Arbeitsteilung erheben wollten.
Wenn nun mit der Erhebung des Goldes zum Tauschmittel der Völker ein allgemeines Rennen und Haschen nach Gold sich bemerkbar machte, so scheint das wieder mit unserer Behauptung, wonach die Menschen dem Gold gegenüber gleichgültig sind, in offenbarem Widerspruch zu stehen. Doch nur scheinbar. Die Morgan, Rockefeller, Spekulanten und Wucherer, die nach dem Gold rennen und jagen, sind diesem Metalle gegenüber vielleicht sogar noch gleichgültiger als die anderen. Diese Leute suchen im Gold das Geld, das Tauschmittel, auf das alle anderen Bürger für den Austausch ihrer Arbeitserzeugnisse angewiesen sind. Dieses Geld gibt ihnen die Macht, nach der sie streben. Ein Goldmonopol, wenn das Gold nicht auch Geld wäre, hatte bedeutend weniger Einfluß hinter sich als ein Silbermonopol, unter dem man sich ja heute auch nichts mehr vorstellen kann. Aber mit dem Goldmonopol hat Morgan bereits einmal 80 Millionen schwarze, weiße und rote Amerikaner zur Verzweiflung gebracht. – Das Rennen nach Gold ist also nichts anderes als Rennen nach Geld. Und dieses Rennen ist überall gleich, ob das Geld nun aus Gold, Papier oder Kupfer besteht. Darum ist es auch nicht wörtlich zu nehmen, wenn Goethe sagt: »Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles – ach wir Armen!« Denn sie rennen alle nach Geld. Früher rannte man nach Silber. Judas verriet seinen Meister um einen Beutel Silberlinge – weil damals Silber Geld war. Seitdem das Silber entmünzt ist, kräht kein Hahn mehr danach. Und sicher würde Goethe ausgelacht werden, wenn er heute sagen würde: Nach Silberlöffeln drängt, an Silberlöffeln hängt doch alles – ach wir Armen!
Wie gesagt, das zu Geld gewordene Gold ermöglichte es den Barbaren, die Arbeitsteilung einzuführen und sich technisch für die Warenerzeugung einzurichten. Das Gold war eine Leiter, die es dem Urmenschen gestattete, aus seiner Höhle auf lichtere Höhen des Menschentums zu steigen. Doch es war eine schadhafte Leiter, und eine schadhafte Leiter wird um so gefährlicher, je höher man damit steigt.
Es ist heute noch vielen vollkommen rätselhaft, wie fabelhaft schnell die alten Kulturvölker die höchsten Höhen des Menschentums erklommen hatten. Man staunt über das, was die Griechen, Römer und ältere Völker vor ihnen in oft verblüffend kurzen Zeiträumen geleistet haben. Dieses Rätsel löst das Gold, oder wie wir jetzt schon mit Verständnis sagen können: dieses Rätsel löst das Geld und die damit ermöglichte Arbeitsteilung, deren fortschrittfördernde Kraft niemals hoch genug eingeschätzt werden, niemals überschätzt werden wird. Diese erstaunliche Schnelligkeit der Entwicklung jener Völker gibt uns den besten Maßstab für die Bedeutung des Geldes. Der Vergleich mit der Erfindung der Eisenbahn gibt uns nur ein schwaches Bild von dem, was die mit dem Geld möglich gewordene Arbeitsteilung den Menschen geleistet hat. Das Geld ist die Grundmauer der Kultur – alles andere ist auf dieser Grundmauer errichtet. Diese alles überragende Bedeutung des Geldes sagt uns aber auch, was es bedeuten würde, wenn diese Grundmauer einmal versagte. Alles, was darauf gebaut wurde, stürzt dann wieder in sich zusammen. Und tatsächlich sanken auch die alten Kulturvölker in das Nichts zurück, als das Geld oder, wie es hier wieder heißen muß, als das Gold verschwand. Das Gold hob die Menschheit aus der Barbarei und stieß sie durch sein Schwinden wieder in die Barbarei zurück.
Denn das Gold wird gefunden. Das einzige Mittel, um Gold für Geldzwecke zu beschaffen, besteht im »Finden«. Findet man Gold, so ist Geld da, findet man keins, so ist auch kein Geld da. Zur Zeit der Babylonier, der Griechen, der Römer war man ebenso auf das Finden des Goldes angewiesen, wie noch heute. Die Babylonier machten ihr Geld nicht, ebensowenig wie wir heute, sondern sie suchten es. Nicht der Bedarf des Warenaustausches, das Gebot der Arbeitsteilung, der Kultur lieferte den Babyloniern, Griechen und Römern den Maßstab für die Geldherstellung, sondern der blinde Zufall. Wurde viel Gold gefunden, so machte man in Babylon viel Geld, genau wie man noch heute in Berlin, London, Bern viel Geld prägt, wenn man in Alaska viel Gold findet. Und findet man wenig Gold, so behilft man sich, so gut es geht, mit wenig Geld. Findet man überhaupt kein Gold mehr, so zieht man sich einfach in die Barbarei zurück. So wenigstens machten es die Babylonier, Juden, Griechen und Römer, und so würden es allem Anschein nach auch die europäischen Autoritäten, die Fachmänner, die Finanzleute machen. Wegen Mangels an Gold verzichtet man auf die Arbeitsteilung, kehrt zur Wirtschaftsweise der Hottentotten zurück! So machten es die Völker des Altertums, und das ist die Erklärung für das rätselhafte Verschwinden dieser Kulturvölker.
Denn vergessen wir es ja nicht, halten wir es klar vor Augen: das Gold wird gefunden, gefunden, gefunden, und wenn man kein Gold findet, so findet man eben keins. Bei allen anderen den Menschen nötigen Dingen, da heißt es: wir schaffen sie nach Bedarf. Heu, Stroh, Goldwährungsliteratur und Werttheorien, alles wird nach Bedarf beschafft. Aber das Gold, der Stoff zur Herstellung des Geldes, dieser Wiege aller Kultur und Grundlage staatlicher Kraft, das kann nicht nach Bedarf gemacht werden, das wird gefunden, wenn man es findet. Denken wir uns, der Präsident der Nationalbank hätte ein Loch in der Hosentasche und verlöre öfters den Schlüssel zur Stahlkammer. Dann wäre der Handel des ganzen Landes vom Finden dieses Schlüssels ungefähr ebenso abhängig, wie er noch heute vom Finden des Goldes abhängig ist. Solange der Präsident den Schlüssel sucht, stockt alles kaufmännische Leben im Lande, und weil die Völker des Altertums den verlorenen Schlüssel nicht wieder fanden, gingen sie mit ihrer Kultur wieder unter. Für die Römer traf das ungefähr um die Zeit des Kaisers Augustus zu, wo alle Goldbergwerke erschöpft waren und auch die spanischen Silberminen, die bis dahin den Hauptbeitrag zum Rohstoff der römischen Münzen geliefert hatten, nur noch sehr spärlich förderten.
Damit setzt der Verfall des Römerreiches ein. Roms Macht war, wie jede dauerhafte Staatsmacht, eine wirtschaftliche, auf Handel, Arbeitsteilung und Geldwesen aufgebaute Macht. Wohin das römische Geldwesen gelangte, da konnte sich die Arbeitsteilung entfalten, die den Wohlstand schuf. Diesen überall aufkommenden, sichtbaren und auffälligen Wohlstand schrieb man der römischen Herrschaft und Verwaltung zu; er steigerte so die Werbekraft dieser Herrschaft. Das hielt das Reich zusammen. Als aber die Römer kein Gold und Silber mehr fanden, da konnten die Römer auch kein Geld mehr prägen. Das vorhandene Geld verschwand nach und nach, ging verloren oder wurde großenteils als Bezahlung der Einfuhr aus dem Morgenlande, der keine entsprechende Ausfuhr gegenüberstand, ausgeführt. So mußte denn die Arbeitsteilung, die unter anderem auch die Heeresrüstung zu liefern hatte, wieder eingestellt weiden. Der Wohlstand schwand, die Steuern wurden immer unerträglicher und die Kräfte der Auflösung bekamen die Oberhand im Römerreich.
Die goldene Leiter brach, und das Römerreich stürzte so tief, weil es so hoch auf dieser verräterischen Leiter gestiegen war. Und heute staunen in der Umgegend Roms die Geißhirten verständnislos die Trümmer gewaltiger Werke an, die das Gold aus dem Nichts hervorgezaubert hatte. Roms Glanz war, wie der Glanz Babylons, Griechenlands und Jerusalems nur ein Abglanz der im Geldwesen verborgenen, urgewaltigen Kulturkräfte.
Was man sonst als Erklärung des Unterganges der Völker des Altertums anführt, stammt alles aus der mittelalterlichen, unfrohen, klösterlichen Weltanschauung, die dann zur Herrschaft gelangt, wenn kein Gold gefunden wird, wenn die Arbeitsteilung eingeschränkt oder aufgegeben werden muß, wenn Elend, Hunger und Unterwürfigkeit sich breit machen. Es ist nicht wahr, daß die Lasterhaftigkeit der herrschenden Klassen Roms Untergang verursachten. So mächtig sind keine Menschen, daß das Wohl und Wehe eines ganzen Volkes auf Jahrhunderte hinaus von ihnen abhinge. Ein gesundes, schaffensfrohes, reiches Volk, das in der Arbeitsteilung wirtschaftet, läßt sich von entarteten, lasterhaften Männlein nicht lange mißhandeln. Der mit Erfolg wirtschaftende Mensch sagt, wie die Inschrift der Wechsel, die er unterzeichnet, »Wert in mir selber«, er ist stolz und frei, weil er sich sicher fühlt in seiner Wirtschaft. Noch niemals haben Zwingherren ihre Herrschaft in Zeiten wirtschaftlichen Gedeihens befestigen können. Man duldet dann auch keine unfähigen Männer in der Staatsleitung. Mit der Wirtschaft schreitet alles voran, namentlich die freiheitliche Gesinnung, der Stolz der Völker. Aber wenn dasselbe Volk die Arbeitsteilung aufgeben und so, nach und nach, wie es in Rom, in Babylon, in Jerusalem der Fall war, zur Urwirtschaft zurückkehren muß, weil der Geldbestand immer geringer wird, wenn der Pesthauch des Trübsinns das ganze Volk ersaßt und das klägliche Gebaren der Bettler tonangebend wird, dann ist niemand mehr da, der noch den Stolz und Mut hat, unfähige, verderbte Männer aus ihrer Stellung zu heben, um sich selbst an diese Stelle zu setzen.
Nein, Rom ging nicht an der Sittenverderbnis zugrunde; verderbte Männer gehen selber an ihrer Verderbtheit zugrunde, doch das Volk hat damit nichts zu tun. Wie oft, wie oft wären die Völker Europas zugrunde gegangen, wenn die Lasterhaftigkeit der Fürsten, der herrschenden Klassen dazu genügte. Rom ging mit der Arbeitsteilung unter, und die Arbeitsteilung ging unter, weil man kein Gold mehr fand.
Es ist darum auch falsch, wenn behauptet wird, das ganze Römervolk wäre entartet gewesen. Heute nennt man den Kaffee, den Alkohol, den Tabak, die Syphilis, als die Ursachen völkischer Entartung. Ohne diese Gifte können sich unsere Ärzte eine Entartung überhaupt nicht mehr vorstellen. Den Römern aber waren diese Gifte unbekannt. Nur den Wein kannten sie, der sicherlich damals nicht in größeren Mengen geerntet wurde als heute. Sicherlich aber auch nicht in Mengen, die ausreichend gewesen wären, um ein ganzes Volk zu verderben.
Falsch ist es ferner, wenn man die Germanen für den Untergang Roms verantwortlich macht. Wir sehen es ja, was dieser Volksstamm leistet. Frohe Tatkraft, ernstes Sinnen, Streben nach den höchsten Höhen, kennzeichnen ihn. Wenn auch die Barbaren (die Germanen kannten kein Geld und keine Arbeitsteilung) das Römerreich in Scherben schlugen, warum erstand es nicht wieder unter der Germanenherrschaft? Man sagt doch sonst, daß das neue Leben besonders kräftig sich auf Ruinen entwickelt. Aber was sollten die Germanen auf den Trümmern Roms, wenn auch sie kein Gold fanden, um Geld für die Arbeitsteilung zu prägen? Und ohne Arbeitsteilung können auch Germanen keine Kultur schaffen. Rom ging an der Geldschwindsucht zugrunde, und diese tödliche Pest übertrug sich auf alle Völker, die nach Rom kamen. Aus den Trümmern Roms konnte kein neues Leben erstehen, auch unter germanischer Herrschaft nicht.
Und so schlief denn Rom anderthalb Jahrtausend bis zur Wiedergeburt, bis zur Renaissance. Und diese Wiedergeburt ist der größten Erfindung aller Zeiten, der Erfindung unechter Münzen, zuzuschreiben. Jawohl, es ist so, die Falschmünzerei weckte Rom, weckte ganz Europa aus dem mittelalterlichen Winterschlaf. Es fehlte der Rohstoff, um echte Münzen zu machen, also machte man unechte. Die Künstler, Erfinder und Kaufherren der Renaissance sind Wirkungen, keine Ursache. Dichter, Erfinder werden zu allen Zeiten geboren. Ist die große Hebamme – Geld – zur Stelle, so gedeihen sie, entfalten ihre Kräfte, sonst aber gehen sie zugrunde. Die wahre Ursache der Renaissance lag also tiefer. Sie muß in der Tatsache erkannt werden, daß man im 15. Jahrhundert überall in Europa und namentlich in Italien daran ging, das wenige, von der Römerzeit herübergerettete Geld durch Zusatz von Kupfer zu vermehren und diesen unechten Münzen trotzdem die volle gesetzliche Zahlkraft zuzumessen. So machte man aus einem Dukaten deren 3 - 5 - 10 - 50 und mehr, und mit den so geprägten Dukaten konnten sich alle ihrer Schulden entledigen. Das Jobeljahr der Juden in anderer, verbesserter Form. Das verfügbare Geld wuchs, es sickerte in breitere Volksschichten. Die Preise der Waren, die seit Augustus' Zeiten ständig nach unten neigten und den Handel gefährlich, ja rechnerisch unmöglich machten, zogen jetzt an. Den Kaufleuten, die es jetzt wagten, einen Wechsel zu zeichnen, stand nicht mehr das Schuldgefängnis in sicherer Aussicht. Die Preise zogen ja an, folglich lag aller Wahrscheinlichkeit nach der Verkaufspreis über dem Einstandspreis; dank dem Kupfer, das die Fürsten, natürlich aus reiner Gewinnsucht, den Münzen zusetzten, war der Handel wieder rechnerisch möglich. Solange die Fürsten gemeinsame Sache mit den Kippern und Wippern machten und Schinderlinge auf den Markt brachten, sogenannte Falschmünzerei betrieben, konnte man sich wieder auf die Arbeitsteilung einrichten, konnte die Welt wieder aufatmen. Hier paßte das Wort: der Schinderling war von jener Kraft, die das Böse will und das Gute schafft. Waren es auch nicht die verderbten Fürsten, die Rom zugrunde regierten, so waren es doch diesmal die verderbten Fürsten, die Rom wieder aufrichteten. Der Schinderling gab der Arbeitsteilung wieder Luft, – und was war denn im Grunde die Renaissance anderes, als die Wiedergeburt der Arbeitsteilung? Denn die Arbeitsteilung ist ja die Grundlage aller Kultur. Dank den Schinderlingen konnten die Dichter und Maler Käufer für ihre Werke finden, und das regte sie zu immer neuen Schöpfungen an. Der eigentliche Kunstfreund, der damals alle Pinsel und Meißel in Arbeit setzte, das war der Schinderling, die neue, künstliche, unechte Münze. Diesem Schinderling verdanken wir es wahrscheinlich auch, daß Gutenberg einen Kapitalisten für die Ausbeutung seiner Erfindung gewinnen konnte. Es war zwar »nur« ein Schinderlingskapitalist, aber was macht das? Ohne Fausts Geld wäre Gutenbergs Erfindung vielleicht wieder verloren gegangen, wäre Gutenberg im Schuldgefängnis umgekommen. Die Schinderlinge verschafften den Waren Absatz, auch den Büchern, und um diesem steigenden Bücherverkauf genügen zu können, verfiel Gutenberg auf den Gedanken der mechanischen Vervielfältigung. Erfinder sind immer da. Sorge man nur für Absatz, – der Rest ist Sache der Technik, die sich noch immer den ihr gestellten Aufgaben gewachsen zeigte.
Da, wie wir zu Anfang gezeigt haben, denen, die Geld brauchen, also Waren verkaufen, der Stoff des Geldes gleichgültig ist, gingen die Schinderlinge von Hand zu Hand, und je röter die Schinderlinge (durch den Zusatz) wurden – umso schneller und sicherer gingen sie von Hand zu Hand. Und wo sie umliefen, da wurde gearbeitet, und die Arbeit, die die Schinderlinge auslösten, war nachher so viel, wie die Summe der Tauschhandlungen, die die Schinderlinge vermittelt hatten. Waren es eine Million Schinderlinge, die 100 mal im Jahre den Besitzer wechselten, so waren 100 mal 1 Million Schinderlinge in Waren erstanden, genug, um eine ganze Stadt in den Ruf des Reichtums zu bringen. So stand dann überall der Reichtum der Städte im umgekehrten Verhältnis zur Echtheit der Münzen, zur Ehrlichkeit der Fürsten. Wenn die Fürsten damals allesamt mit Bruder Martin ausgerufen hätten: »hier stehe ich, ich kann nicht anders«, und hätten das Ansinnen der Münzfälschungen mit Entrüstung von sich gewiesen, wir hätten keine Renaissance gehabt, und Bruder Martin hätte möglicherweise auch nicht den Mut zu seiner Rebellion gefunden. Denn zum Umsturz gehört eben etwas mehr als die Gewissensnot eines einzelnen Mönchleins. Es gehört dazu die ganze Umwelt eines in der Arbeitsteilung lebenden, schaffensfreudigen, mutigen, freiheitsliebenden und wohlhabenden Volkes. Bettler sind keine Umstürzler.
Dieses Loblied auf den Schinderling müßte eigentlich in die Forderung ausklingen, dieses Geschöpf münzherrlichen Schwindels zum Markstein des neuen Zeitalters zu erheben. Er verdient ja auch diese Ehrung eher als seinen Schimpfnamen. Die Rentner und Wucherer, die der Schinderling übervorteilte, sind längst zu Staub zerfallen. Aber die Werke, die der Schinderling ins Leben rief, werden »nicht in Äonen untergehen«. Die tausendfachen Verwünschungen, die dem Schinderling zugedacht worden sind, und an denen sich seltsamerweise bisher auch die »Nationalökonomen« redlich beteiligt haben, gehen von privatwirtschaftlichen, nicht von volkswirtschaftlichen Erwägungen aus. Man sah nur den Schaden, den der Besitzer des Schinderlings durch das stetige Röterwerden (Preissteigerung aller Waren) erlitt. Diesen elenden, kleinen Schaden. Den gewaltigen volkswirtschaftlichen Hebel, der in dem Röterwerden lag, übersah man. Der Schinderling besaß die gütertauschenden Kräfte, auf die es allein beim Geld ankommt, wenn man es von der Vogelschau der Arbeitsteilung, des Tausches, der Volkswirtschaft, des Geldzweckes betrachtet. Jedenfalls verdient die unechte Münze als Vorkämpferin staatlichen Eingreifens in das Geldwesen den Ehrentitel »Markstein der Neuzeit« eher, als die anderen Ereignisse, die man als Anstoß zu jenem mächtigen Umschwung nennt. Die Entdeckung Amerikas, die Reformation, die Erfindung der Buchdruckerkunst, des Schießpulvers, die gleichfalls jenen Ehrentitel beanspruchen, haben aber unmittelbar keinerlei Einfluß auf die Arbeitsteilung und auf den Austausch der Waren gehabt, während der Schinderling, in gleicher Weise wie noch heute jede Hochkonjunktur, als Peitsche der Arbeitsteilung angesehen werden muß.
»Mir ist keine Periode wirtschaftlicher Blüte bekannt, die nicht auf einen außergewöhnlichen Zufluß von Gold zurückzuführen wäre«, sagte der Berliner Professor Sombart.
Das Gold kann solchen Einfluß aber nur in seiner Eigenschaft als Geld ausüben, und Schinderlinge waren auch Geld, wirkten wirtschaftlich genau wie eine entsprechende Vermehrung des Goldzuflusses.
Wir teilen also die Geschichte in folgende Abschnitte ein:
Mit dem neuen Leben, das sich mit dem Auftreten der Schinderlinge im 15. Jahrhundert überall hier und da und dort zu regen begann, fanden wohl auch einzelne Bergleute den Mut und den Kredit, um nach Gold- und Silbererzen zu schürfen. Man wirft niemals mit Speckseiten nach Würsten, und Gold wirft man nicht gerne nach Mutungen und Schürfungen. Aber Schinderlinge, die alle Jahre röter werden, die gibt man schon lieber her für ein unsicheres Geschäft. Und wahrhaftig, die Schinderlinge lohnten den Mut, sie erwiesen sich auch hier als Bahnbrecher des Fortschritts. Man fand, was man während 1½ Jahrtausend kaum mehr zu suchen gewagt hatte, man fand Silbererze in Böhmen, in Sachsen, in Mähren und Ungarn. In Joachimstal wurden 1485 die ersten Joachimstaler geprägt. Nun regte sich das Leben nicht nur in den Landen der Schinderlingsfürsten, sondern auch dort, wo die Fürsten sich an der Schindluderei nicht hatten beteiligen wollen. Und dann ging das Silbergeld über die Grenzen Deutschlands hinaus, und wohin es auch gelangte, Segen folgte seinen Spuren. Die Peterskirche in Rom erstand aus dem Silber deutscher Bergwerke, das die frommen Büßer opferten. Ohne dieses Silber hätten Michelangelo und Raffael ganz gewiß nicht Gelegenheit gehabt, ihre Schöpferkraft zu zeigen.
Ob die böhmischen Taler, die Joachimstaler, schließlich nicht auch ihren Weg nach Spanien fanden und dort dieselben Wunder wirkten? Warum denn nicht – dem Silber stand ja damals die ganze Welt offen. Nun denn, so ist die Sache ja jetzt geklärt: jene Schiffe, die Kolumbus im Jahre 1492 in Palos bestieg, sie verdanken ihr Dasein dem Unternehmungsgeiste, der sich immer noch und überall zeigt, wo Geld hinkommt und für die Erzeugnisse der Arbeitsteilung den Absatz schafft.
Ich behaupte also, daß die Staaten des Altertums mit ihrem Naturgeld stiegen und mit diesem Gelde fielen, daß die 1½ Jahrtausend währende mittelalterliche Eiszeit eine Folge des Geldmangels war, daß die Renaissance von ihren ersten Anfängen an auf die Schinderlinge zurückzuführen ist, daß die Ausbreitung der Renaissance aber und die Entdeckung Amerikas Geschenke der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch die Schinderlinge erschlossenen deutschen Silberbergwerke waren. Vollständig ruhte der Bergbau selbstverständlich nie. Er war aber unerheblich und deckte kaum den Abgang an dem, was man vor den genannten Zeiträumen gefördert hatte.
Mit den großen Gold- und Silberfunden, die man in Amerika gemacht hatte, nahm nun das Mittelalter überhaupt ein Ende. Die Zufuhren von Geldmetall reichten hin, um ganz Europa der Geldwirtschaft und der Arbeitsteilung teilhaftig werden zu lassen. Gold schuf die alte Welt, Gold schuf die neue Welt. Gold stürzte die alte Welt, Gold wird auch die neue Welt stürzen, wenn...
Es würde zu weit führen, hier die mannigfachen Einflüsse auf die Entwicklung Europas zu beschreiben, die die unregelmäßig und stoßweise erfolgende Goldzufuhr ausübte. Es möge genügen, hier nochmals zu erwähnen, daß auch in Amerika das Gold immer nur gefunden wurde. Heute viel, morgen wenig, dann wieder ganze Haufen. Diese stoßweise erfolgenden Geldzufuhren machten und machen sich unmittelbar wie Erdstöße aus dem Erdinnern über die ganze Welt fühlbar. Zwar gingen die Goldfunde nicht mehr, wie das im Mittelalter der Fall gewesen, fast auf Null zurück, doch gab es lange Zeiträume durchaus unzureichender Zufuhren, wo dann auch wieder die Menschheit greisenhafte, mittelalterliche Züge annahm und der Fortschritt auf allen Gebieten zum Stillstand kam. Die letzte dieser Perioden war die Zeit nach 1872, als die Wucherer in der Gesetzgebung aller Länder die Oberhand gewannen und durch Ausschaltung des Silbers die Geldherstellung zu ihrem Vorteil zu beschränken verstanden. Es wurde nach Ansicht der Wucherer, der Rentner, damals zu viel Geld gemacht, das Geld wurde zu billig. Die Arbeiter und Bauern, sagte man, lebten in Saus und Braus, und das dürfe nicht sein. Darum fort mit dem Silber, die Preise der Waren sollten herunter, damit die Rentner mit dem Zinsgeld ein noch schöneres und reicheres Leben führen konnten. Es wollte aber nun der in diesen Dingen maßgebende Zufall, daß um diese Zeit auch die Goldfunde stark nachließen. So kam es zu der sogenannten chronischen Krise, die bis 1890 anhielt und durch ihre vielfachen Wirkungen auf die Dividenden und Kurse der Aktienpapiere die genannten Wuchererkreise schwer für ihren Einbruch in das Budget der Bauern und Arbeiter büßen ließ. Sie hatten über das Ziel hinaus geschossen und die Hühner umgebracht, die ihnen die goldenen Eier legten.
Nach 1890 stiegen die Goldfunde rasch und bis heute andauernd und halfen wieder die Preise hoch treiben, die bis dahin zur Verzweiflung der Unternehmer, der Kaufleute und der Bauern ständig abwärts gegangen waren. Es sei hier nur zur Kennzeichnung der Unzuverlässigkeit unseres Naturgeldes bemerkt, daß die Geldmetallfunde, die in den Jahren 1866-1870 über 4 Milliarden Mark (Gold und Silber) betrugen, in den folgenden fünfjährigen Zeitspannen auf 2½ Milliarden zurückgingen (nach Ausschaltung des Silbers), und daß sie seitdem auf fast 7 Milliarden gestiegen sind. Also solch gewaltigen Zufällen ist die wichtigste unserer gesellschaftlichen Einrichtungen ausgesetzt innerhalb eines Zeitraumes von nur 30 Jahren! Was würde geschehen sein, wenn die Goldfunde, die von 1856 bis 1885 ständig zurückgingen, von da ab noch weiter gesunken wären, statt heraufzugehen? Diese Frage ist doch wohl berechtigt, da es sich ja um Funde handelt, um Funde, die ganz vom Zufall abhängig sind.
Ein ständiger Rückgang der Geldherstellung übt einen ständig wachsenden Druck auf alle Warenpreise aus. Dieser erstickt jeden Unternehmungsgeist, er gibt den Schwarzsehern Recht, die da sagen, daß unter den obwaltenden Verhältnissen Nichtstun das bessere Unternehmen sei. Gegen den Strom sinkender Preise können Unternehmer und Kaufleute ebenso schwer vorankommen, wie ein Mensch beim Schwimmen flußaufwärts. Wer es versucht, wird der Regel nach in die Tiefe gerissen, und sein Unglück dient anderen als Warnung.
So steht denn schließlich das ganze Volk mit verschränkten Armen da, hungrig, demütig, bettlerhaft in Tun und Gesinnung, und wartet. Auf was warten die Toren? Darauf, daß Sesam sich wieder einmal auftue und Gold hinauslasse. Und wenn die Zauberformel zur Öffnung Sesams nicht gefunden wird, dann kommt, so sicher wie der Tod, die Eiszeit wieder über die Arbeitsteilung, und die Vergletscherung der Kulturwerke setzt wieder ein.
Für kurzsichtige Menschen mag es ja recht angenehm klingen, wenn sie hören, daß die Preise aller Waren abwärts gehen. Sie nennen den Rückgang der Preise eine Beibilligung der Lebenshaltung. Aber wer die Zusammenhänge nur einigermaßen durchschaut, der weiß, daß niedrige Preise nur für das Schmarotzertum zugleich auch billige Preise sind; daß im übrigen für alle, die vom Ertrage ihrer Arbeit leben und das Schmarotzertum mit ernähren müssen, steigende Preise in Wirklichkeit billige Preise sind. Im übrigen ist das Wort »billig« ja auch nur ein privat wirtschaftlicher, kein volkswirtschaftlicher Begriff. Und hier wird das Geld vom volkswirtschaftlichen Standpunkt betrachtet.
Anhaltende sogenannte billige Preise bedeuten letzten Endes den Stillstand der Volkswirtschaft. Statt Kohlen wirft man mit billigen Preisen Wasser in die Feueressen der Volkswirtschaft. Bei sogenannten billigen Preisen sind Handel und Gewerbe rechnerisch unmöglich.
Das bisher Gesagte zeigt uns, wie schlecht mit dem Gold die Arbeitsteilung gegründet ist. Aber noch nichts habe ich über die Art gesagt, wie das Gold die Güter verteilt, und das gehört doch auch hierher. Jedoch würde es über den Rahmen dieses Vortrages hinausgehen, wenn ich diese Dinge eingehender behandeln wollte. So unangenehm mir das ist, so muß ich mich hier mit Behauptungen begnügen und mich im übrigen auf meine, Schrift »Die neue Lehre vom Geld und Zins« Bildet jetzt Teil III-V dieses Buches. beziehen, wo diese Behauptungen eingehend begründet sind.
Dem Gold verdanken wir die Arbeitsteilung und damit auch die Kulturgüter, deren wir uns erfreuen. Dem Gold aber verdanken wir auch wieder, daß von den geschaffenen Gütern der bei weitem größte Teil, und zwar das Beste, dem Schmarotzertum verfällt. Ist doch das Gold der Vater des Kapitalismus. Dank seinen körperlichen (Edelmetall) und seinen gesetzlichen Vorrechten (gesetzliches Zahlungsmittel) nimmt das Goldgeld eine Ausnahmestelle ein unter den Gütern, deren Austausch auf das Geld angewiesen ist. Das Goldgeld ist darum auch zum allgemeinen Sparmittel geworden, und der Sparer gibt es nicht wieder heraus, es sei denn, daß man ihm einen Zins verspricht. Früh oder spät verfällt aber alles Geld, das der Staat als Tauschmittel in Umlauf setzt, der Kasse irgend eines Sparers, so daß wiederum alles umlaufende Geld aus den Sparkassen kommt, also mit Zins belastet den Markt betritt, um seine Tätigkeit als Tauschmittel zu erfüllen. Diese Doppelverwendung des Geldes als Tauschmittel und als Sparmittel ist gegensätzlicher Natur und als Mißbrauch des Tauschmittels zu betrachten. Dadurch, daß dem Güteraustausch nur verzinsliches Geld zur Verfügung steht, wird der Zins Vorbedingung der Warenerzeugung überhaupt. Nach Proudhon stellt sich das Geld vor die Tore der Märkte, der Läden, der Fabriken, jeder »Kapitalanlage« (soll heißen Geldanlage) und läßt nichts durch, was den Zins nicht bezahlt oder bezahlen kann.
So kam mit dem Gold und der Arbeitsteilung zugleich der große Friedensstörer, der Zins, auf die Welt. Die Arbeitsteilung an sich verlangt keinen Zins. Wer sollte da auch Zins zahlen, und weshalb? Die Arbeitsteilung hätte also den Menschen allgemeinen Wohlstand bringen sollen, da sie ja kein Vorrecht einzelner, sondern allen Menschen zugänglich ist. Aber aus den Händen des Goldes empfing die Menschheit diese Götterkraft nur unter der Bedingung des Zinses, und damit auch der Trennung der Menschen in Arm und Reich. Als ob neidische Götter der Menschheit den Machtzuwachs nicht gegönnt, die Unabhängigkeitserklärung der Menschen vom göttlichen Gängelband gefürchtet und dem dadurch vorgebeugt hatten, daß sie nach dem Grundsatz »teile und herrsche« den Zins als Spaltpilz in die Menschenfamilie eingepflanzt hätten! Das Gold läßt allgemeinen Volkswohlstand nicht zu. Es streikt, es versagt seine Dienste, wenn es mit freien Männern zu tun hat. Es will Herren und Knechte; geplagte, überarbeitete Menschen einerseits und Schmarotzer anderseits. Es liegt ein innerer Widerspruch in dem Verlangen, daß sich das Gold einem freien, stolzen und wahrhaft selbstherrlichen Volke zur Verfügung stelle. Goldgeld und ein freiheitliches Volksleben find unvereinbar. Gleich am ersten Tage seines Erscheinens setzt das Gold, unter Benutzung der urgewaltigen Kräfte, die ihm die Menschen durch die Übertragung der Geldeigenschaften verliehen, die Trennung der Menschen in Arbeiter und Genießer durch.
Und mit dieser Teilung der Menschheit in eine schwitzende, fluchende, arbeitende Klasse einerseits, und in schmarotzende Genießer anderseits, setzt auch die Erziehung des Menschen zu dem kleinlichen, bösartigen, neidischen Alberich ein, zu dem verbrecherischen Wesen, das uns in der Geschichte der Jahrtausende überall auf Schritt und Tritt begegnet. Das Gold ist wirtschaftlich zu unserm großen Verbündeten gemacht worden, zugleich wurde es aber auch zum Erbfeind der Menschenfamilie. Das Gold schafft selbsttätig die wirtschaftlichen Zustände, die der Begründung des Reiches Gottes auf Erden entgegenstehen. Neben dem Gold kann das Christentum in der Menschenfamilie nicht Fuß fassen. Das Christentum ist recht wohl mit der Arbeitsteilung, mit einem stolzen, freien, wohlhabenden Menschentum vereinbar. Ist aber diese Arbeitsteilung auf Gold gegründet, so muß das Christentum den Platz räumen. Und es hat sich ja auch überall von dort zurückgezogen, wo die Arbeitsteilung Platz gegriffen, und das ist heute so gut wie das ganze Volksleben. Christentum und Zins sind glatte Widersprüche. Aber Gold einerseits, und Glücksritter, Wucherer, Schmarotzer, Verbrecher, Zuchthäuser, Empörung und Gewaltsamkeiten anderseits, kurz, Gold und Zins, das paßt zusammen.
Das Gold also stellt sich der Arbeitsteilung nur um den Preis des Bürgerfriedens zur Verfügung.
»Ehret Lykurg«, sagte darum auch Pythagoras vor 2½ Jahrtausenden, »ehret ihn, denn er ächtete das Gold, die Ursache aller Verbrechen«.
Von Menschen, die im Klassenstaat, unter Herren und Knechten, unter Bettlern und Almosenspendern, in Wohltätigkeitsbazaren aufwachsen, unter Gesetzen, die viel mehr darauf zugespitzt sind, den Klassen- und Gewaltstaat, die Vorrechte der Reichen zu schützen, als dem Wohle aller Bürger zu dienen, können wir nicht den christlichen Geist erwarten, der nötig ist, wenn wir den Frieden nach innen, wie nach außen, aufrecht erhalten wollen. Der Geist der Empörung, der bei den Unterdrückten, bei den schwarzen, wimmelnden Arbeitermassen überall in allen Staaten herrscht, und der Geist der Gewaltherrschaft und Unterdrückung, der in den anderen Klassen in entscheidenden Fällen regelmäßig die Oberhand gewinnt, schafft selbsttätig die Zustände, die zum Kriege führen. Der Geist aber des Bürger– und Völkerfriedens muß am häuslichen Herd, als guter Hausgeist herrschen, alle in seinem Bannkreis festhalten, und zwar nicht allein am Weihnachtsabend, im Kreise der nächsten Freunde, sondern von Jugend an. Den Keim zur friedlichen Denkungsart soll das Kind an der Mutterbrust einsaugen, sagt Schiller. In der Art, wie sich Vater und Mutter unterhalten, wie die Geschwister untereinander verkehren, steckt schon ein gut Teil Kriegs– und Friedensrüstung. Und das setzt sich fort in der Schule, in der Kirche, im Handel, in der Presse, im Amte, in der Volksvertretung und im Verkehr mit ausländischen Staaten.
Als Mensch gedeihen kann allein der Wohlhabende unter Wohlhabenden, der Sorgenfreie unter Sorgenfreien. Reichtum und Armut sind gleichmäßig verkehrte Zustände, sie gehören nicht in einen geordneten Staat, sie sind mit dem Bürger– und Völkerfrieden unvereinbar. Friede ist nichts anderes als Freiheit, und frei ist nur der Mann, der für die Deckung seiner Bedürfnisse sich auf seine eigene Arbeit, seine wirtschaftliche Stellung verlassen kann. Armut ist eine Kette, und Reichtum ist eine Kette, und der Anblick von Ketten muß jedem Freien ein Greuel sein. Wo er sie sieht, muß er sie brechen. Das ist Friedensarbeit. Weg mit den Rentnern, weg mit dem Proletariat, weg mit dem Zins!
Ehe wir nicht den letzten Proletarier zur letzten Ruhe neben dem letzten Rentner bestatten, gibt es keinen Frieden am Herd, in der Gemeinde, im Staate und im Völkerleben.
Beseitigen wir den Zins (und die Grundrente), so muß wieder jeder sein Brot im Schweiße seines Angesichts essen. Die aber, die auf den Ertrag eigener Arbeit für ihr täglich Brot angewiesen sind, sind friedfertig. Den Beweis ihrer Friedfertigkeit haben wir schon in der Engelsgeduld, mit der sie das Schmarotzertum ertragen. Immer in der Hoffnung, daß sich die »Gerechtigkeit« doch einmal auf friedlichem Wege Bahn brechen werde, unterdrücken sie den Geist der Empörung, der in ihnen durch den Anblick all der Unbill, all des Blödsinns stets von neuem entfacht wird. Freilich darf die Bedrückung gewisse Grenzen nicht überschreiten.
Diesen »friedentriefenden« Geist zeugt die Arbeit, und er stammt letzten Endes von dem Gefühl der Kraft und Sicherheit, das jeden erfüllt, der sich bewußt ist, für sich selbst und die Seinen sorgen zu können. Dieses Sicherheitsgefühl ist aber Vorbedingung für klares Denken und gerechtes Urteilen. Nur der Mächtige, der Starke und Sichere ist gerecht. Gott ist nur darum gerecht, weil er alle andern an Macht überragt und sich auf seinem Thron völlig sicher weiß. Lucifer dagegen, der schon einmal am eigenen Leib die Macht des Stärkeren gespürt hat, sucht sich mit allerlei Tücken durchs Leben zu schlagen. Und wie Lucifer macht es der Mensch, den der Zinsgenuß, das Leben auf Kosten anderer, geistig und leiblich unfähig gemacht hat, seine täglichen Bedürfnisse durch eigene Macht, durch Arbeit zu befriedigen. Immer muß er mit der Empörung der Zinszahler rechnen, wobei also seine wirtschaftliche Sicherheit außerhalb seines Ichs, stets gefährdet und gewissermaßen auf Kündigung, in Vorrechten und Papieren liegt. Ein solcher Mensch verliert ganz selbstverständlich die Fähigkeit, sachlich und gerecht zu denken gegenüber all den Ereignissen, die sein Dasein als Schmarotzer bedrohen. Überzeuge man doch einmal einen Floh von der Ungerechtigkeit seines Lebenswandels! Dem Schwächling (als solchen muß man den Rentner halten) ist selbstverständlich jedes Mittel recht, womit er seine Vorrechte schützen zu können glaubt. Er wird auch ebenso selbstverständlich jeden für roh, gemein, verdorben und des Todes für würdig halten, der seine Vorrechte angreift. Für den Schutz seiner Vorrechte sind ihm alle Mittel heilig. Not kennt auch hier kein Gebot. Auf die Probe gestellt, gebraucht er alle Mittel, auch den Krieg!
Haben nicht schon unzähligemal Fürsten Kriege vom Zaune gebrochen als Blitzableiter gegen die Empörung des eigenen Volkes? Und wenn Fürsten das tun, warum sollen das die Rentner nicht auch tun? Ein Krieg ist das vorzüglichste Mittel, um die Arbeiterorganisationen zu sprengen, um die Arbeiter gegenseitig zu verhetzen. Fürchtet man also Gefahr von dieser Seite, warum soll man da, sagt man sich, den Krieg nicht benutzen? Wozu der Selbsterhaltungstrieb den Menschen befähigt, das sieht man unter Schiffbrüchigen beim Kampf um die Rettungsboote. Und wie wirksam der Krieg die Arbeiterorganisationen zu sprengen vermag, das hat dieser Krieg wieder gezeigt. Dieselbe Internationale, die vor dem Kriegsausbruch zu singen pflegte: »Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will!« sie war zersprengt. Ob sich die Rentner das nicht gemerkt haben? Das Mittel ist doch sicherlich wirksam. Und die Macht, den Krieg zu entfesseln, hat man in der Presse, die man zu diesem Zwecke kauft oder gründet. Auch Zeit und Muße, alles gründlich und von langer Hand vorzubereiten, haben die, die vom arbeitlosen Einkommen leben. Während die anderen sich müde arbeiten, sitzen die Schmarotzer im Lehnstuhl und überlegen. Und auch die nötige Rücksichtslosigkeit kann man hier voraussetzen, die nötige Abgebrühtheit ebenfalls. Wer sich nicht scheut, die Lebenshaltung breiter Volksschichten durch die Zinserhebung so zu drücken, wie er es tut, der scheut sich noch weniger, dieselben Leute zur Sicherung seiner bevorzugten Stellung gegeneinander zu Herzen. Die Neuyorker Börsenräuber, die 1907 den großen Börsenkrach herbeiführten, und die all die Scheußlichkeiten, all das Elend, die diesem Krach folgten, mit völliger Sicherheit voraussahen, die ziehen, sobald es sich »lohnt«, auch den Krieg in den Kreis ihrer Umtriebe. Zumal, wenn es sich ums Ganze, um Sein oder Nichtsein, um eine Entwaffnung der Arbeiterorganisationen handelt. Kämpfend will der Mensch zugrunde gehen; er zieht ein Ende mit Schrecken dem Schrecken ohne Ende vor. Und die Gelegenheit zu diesem Schrecken bricht er vom Zaune, sobald er sich überzeugt hat, daß die Zeit zum Handeln gekommen ist.
Das Gold ist die Ursache aller Verbrechen, sagte Pythagoras, und die Trennung der Menschenfamilie in sich bekämpfende Gruppen ist auch ein Verbrechen. Das Gold hat uns den Klassenstaat gebracht, den Bürgerkrieg, der in den Eingeweiden der Staaten tobt. So wird es wohl auch das Gold sein, das die Völker auseinanderreißt und in Waffen gegeneinander führt. Sehen wir zu, wie es das zuwege bringt.
Die gewaltigen Kräfte, die ein reichlicher Zufluß von Gold (Geld) in der Volkswirtschaft auslöst (geschäftliche Glanzzeit, Hochkonjunktur) sind nicht unbeachtet geblieben und haben zu mancherlei Vorschlägen und Gesetzen gefühlt, um diesen Goldzufluß zu fördern oder um den Goldabfluß zu verhindern. »Merkantilisten« nannte man die Leute früher, die ihrem Lande auf diese Weise zu helfen suchten. Schutzzöllner nennt man sie heute. Den »Kampf um die zu kurze Golddecke« nennt man das ganze Treiben. Die Goldsperre bei Ausbruch dieses Krieges in fast allen Ländern Europas ist der neueste Ausdruck dieses Wahnes. Die Merkantilisten oder Schutzzöllner sagten: Wareneinfuhr bedeutet Goldausfuhr, folglich müssen wir, um den Goldbestand unseres Landes zu heben, die Wareneinfuhr hemmen. Warenausfuhr dagegen bedeutet Goldeinfuhr, folglich müssen wir die Warenausfuhr mit allen Mitteln fördern. Die gewünschte Hemmung der Einfuhr erreichen wir durch Einfuhrzölle, und die Förderung der Ausfuhr durch Ausfuhrprämien (in Deutschland in Gestalt ermäßigter Eisenbahnfrachtsätze für Ausfuhrgüter und von Frachtrabatt bei Seetarifen). So locken wir das Gold herein und halten es fest. Unser Land gedeiht infolge reichlichen Geldumlaufes, der Zinsfuß geht herunter, und was aus den anderen Völkern wird, denen wir das Gold abluchsen, das geht uns als »Realpolitiker« nichts an.
Das ist in wenig Worten der ganze Sinn oder Unsinn der sogenannten Schutzzollpolitik. Sie ist eine natürliche Folge des Umstandes, daß man das Gold nicht nach Wunsch oder Bedarf finden kann, sondern auf die Einfuhr angewiesen ist und diese wiederum vom Zufall der Funde beherrscht wird. Würden die Staaten ihr Geld nach Bedarf herstellen, so verlöre der »Kampf um die zu kurze Golddecke« jeden Sinn. Daß die ganze Sache überdies nur ein Ergebnis oberflächlicher Betrachtung der wirtschaftlichen Vorgänge ist und den gewünschten Erfolg niemals haben kann, insofern als das Gold sich nach eigenen Gesetzen über die Erde verbreitet (ähnlich dem Gesetz der kommunizierenden Röhren) ändert nichts an der Sache selbst.
Nun beachte man, was alles in dem Verhältnis der Völker zu einander durch die beschriebene Goldpolitik neu entsteht, was alles durch diese Politik getrübt wird.
Zunächst werden die einzelnen Völler durch den Begriff »Ein- und Ausfuhr« in Gegensatz zu einander gesetzt. Der Staatsbegriff erhält einen ganz neuen Inhalt. Der tolle Begriff des »nationalen Wirtschaftsgebietes« erscheint. Bis dahin verschickte man die Waren überallhin. Man führte sie nicht ein und aus. Ähnlich wie man noch heute innerhalb Deutschlands, der Schweiz, der Vereinigten Staaten nicht von Ein- und Ausfuhr spricht. Man verschickt Waren vom Kanton Neuenburg nach dem Kanton Schwyz. Aber von der Schweiz schickt man keine Waren nach Deutschland, sondern man »führt sie aus«. Über das Verschicken ganzer Eisenbahnzüge von einem Kanton zum andern führt man keine Statistik. Von den Waren, die »ausgeführt« werden, geht dagegen jedes Postpaket in die Statistik über.
So wird die Politik auf unsere Arbeitserzeugnisse übertragen. Die Waren erhalten ein staatliches Gepräge. Es handelt sich nicht mehr um einen einfachen Austausch der Produkte. Die Bezeichnung »deutsches Erzeugnis« ( made in Germany), von England gefordert, sollte einen Gegensatz zum »englischen Erzeugnis« ( made in England) schaffen. Da die Völker das Rassengepräge immer mehr verlieren, so wollte man es wenigstens der Stiefelwichse verleihen, die man von Deutschland erhielt.
Aber Ein- und Ausfuhr kann man sich ohne scharf bezeichnete Grenze nicht vorstellen. Bis dahin hatte der Begriff »Staat« nur wenig an unterscheidendem Inhalt. Die Staaten lagen neben einander, wie heute die Dörfer, Marken, Provinzen, Kantone, Bundesstaaten nebeneinander liegen. Die Völker waren verschieden durch Sprache, Rasse, Sitten usw., aber ihre Staaten gingen mehr oder weniger in einander über. Die Übereinstimmung der Gesetze und der vollkommen ungehinderte Verkehr verbanden die Völker; nichts trennte sie als höchstens die Fehden der Fürsten. Pack schlug sich und vertrug sich. Die Landesgrenze war kein Trennungsstrich für die Völker. Kaum wußte jemand diese Grenze anzugeben. Wirksame Bedeutung hatte sie für niemand. Niemand bewachte sie. Von Wert war sie nur für die Fürsten und ihre Nachkommen. Sie war auf alle Fälle nur mit Kreide gezogen; man überschritt sie, ohne den Fuß zu heben, den Kopf zu senken und ohne sich scheu nach allen Seiten umzusehen. Im Grunde genommen gab es während des Mittelalters nur eine Grenze, und zwar eine religiöse, die die christliche von der mohammedanischen Welt trennte. Für den Juden und für alle die, die zugleich Christen und Mohammedaner waren, bestand auch diese Grenze nicht; ihnen gehörte die ganze Welt.
Sieht man von der Zollgrenze ab, so gehen die Staaten auch heute noch mehr oder weniger in einander über, und es besteht der offensichtliche Wunsch, dieses Ineinanderfließen zu fördern. Die Gesetze der einzelnen Länder haben soviel Übereinstimmendes, daß sich kaum jemand die Mühe gibt, die Gesetze des Landes, wo er sich niederzulassen gedenkt, zu erforschen. Jeder nimmt als selbstverständlich an, daß sie nicht anders sein werden, als bei ihm zu Hause. Haben doch manche Völker, um sich die Mühe einer Durchberatung der Gesetze zu ersparen, einfach die Verfassung und die Gesetze des Nachbarvolkes angenommen. Sind aber die Gesetze zweier Länder gleich, so gibt es zwischen diesen Ländern auch keine Grenze mehr. Sie stießen wie zwei Wasserköpfen ineinander über. Das Gleiche eint, das Ungleiche trennt und bezeichnet die Grenze. Zudem gibt es noch Dutzende von zwischenstaatlichen Verträgen, die in sehr wichtigen Angelegenheiten die Brücke von einem Lande zum anderen schlagen und im Bereiche ihres Inhalts die Grenze aufheben.
Ohne die Zollgrenze und die Verhetzung, die sie durch die verkehrten und verdrehten volkswirtschaftlichen Ansichten, die zu den Zöllen führten, schuf, wären die Staaten heute wahrhaftig kaum von einander zu unterscheiden.
Aber die Zollgrenze hebt gewaltsam alles auf, was die Völker von Natur aus eint. Die trennende Gewalt der Zölle allein wiegt alle einenden Umstände auf. Denn der Zoll greift in die Wirtschaft der Menschen, also gerade in das Gebiet, dem der Mensch in der Regel 99 % seines Geistes, seiner Kraft, seines Lebens widmet.
Jeder gesunde Mensch erhebt wie Alexander der Große Anspruch auf die ganze Welt. Mit einem umzäunten, umgrenzten Stück ist ihm nicht gedient. Er hält die Welt nicht für einen zoologischen Garten, wo die Völker, durch bunte Eisenstäbe voneinander getrennt, in Einzelhaft leben sollen. Die Kugel, die da im weiten Bogen um die Sonne kreist – das ist des Menschen Heimat. Diese Heimat will ihm aber der Zoll streitig machen. Das ist Unsinn, das ist Krieg.
Sobald ein Volk das Land, das es besetzt hält, für sich allein beansprucht und abzuschließen sucht (sei es auch nur mit dem merkantilistischen Zweck der Goldanhäufung), so wird im Menschen Alexander der Große wach, dann sinnt er, wie er diesen Teil seines natürlichen Erbes mit Gewalt wieder an sich reißen kann. Denn die ganze Erde, von Pol zu Pol, ist sein Erbe. Jeder Mensch betrachtet sich bewußt oder unbewußt als Kronprinz der Welt. Und kann er die Erde nicht ganz haben, so will er wenigstens einen möglichst großen Teil an sich reißen und ihn sich und seinen Nachkommen mit allen Mitteln sichern. Dann kommt ihm der Gedanke der Eroberung, des Krieges; ein Gedanke, der sonst dem Arbeiter vollkommen fern liegt. Aber dieser Gedanke kommt, so sicher wie der Tod, sobald der Mensch für sich oder seine Erzeugnisse irgendwo auf eine Grenze stößt. Wenn es keine solche Grenze gäbe, welchen vernünftigen Sinn könnte da noch eine Eroberungspolitik haben? Wer würde dabei noch etwas gewinnen und was? Geht man nicht geradezu auf Raub und Sklaverei aus, so hat die Eroberung eines Gebietes nur den einen vernünftigen Sinn, es dem eigenen Zollgebiet einzuverleiben. Dieses Zollgebiet sucht jeder nach Kräften zu erweitern.
Zoll – Krieg – Eroberung sind also ein und derselbe Gedanke. Mit dem Wegfall des Zolles gibt es in der Welt kein Gebiet mehr, das man erobern könnte. Der Wegfall des Zolles verwirklicht die Pläne Alexanders. Jeder ist dann im Vollbesitz der Welt und schaut von seinen Ballen und Fässern mitleidig auf die kleinen Könige dieser Welt herab. Als Karl der Große und später Karl V. ihre Reiche zerstückelten, hat sich aus dem Volke niemand dagegen erhoben. Die Zerstückelung war nur eine äußerlicher Vorgang und berührte die Völker nicht. Wenn aber heute irgend ein König ein einheitliches Zollgebiet in mehrere selbständige Gebiete zerlegen wollte, so würde das ganze Volk diese Teilung auf das empfindlichste wahrnehmen und solche Teilung untersagen. Im Sezessionskrieg der Vereinigten Staaten waren es nur wirtschaftliche Belange, die die Trennung verhinderten. Hätte man damals in der Welt noch keine Zölle gekannt, so würden die Nordstaaten sich vielleicht über die Abtrennung der Negerstaaten gefreut haben. Auf alle Fälle hätte man gegen die Trennung keinen Widerstand geleistet – ähnlich wie sich Norwegen und Schweden ohne große Schwierigkeit trennten, weil die bis dahin bestandene staatliche Gemeinschaft beschränkter Art war und beide Länder schon vorher verschiedene Zollgebiete bildeten. Es sind also wirtschaftliche Interessen, die die Staaten zusammenhalten. Und diese Belange werden künstlich durch das Zollwesen geschaffen. Wäre der Zoll nicht da, auch die Furcht vor künftigen Zöllen nicht, so gäbe es keine wirtschaftlichen Grenzen, folglich auch keine wirtschaftlichen Gegensätze; der Begriff »nationales Wirtschaftsgebiet« würde aus der Welt geschafft, und eine Erweiterung des Wirtschaftsgebietes wäre nicht mehr möglich, weder durch Verträge noch durch Eroberung, weil das Wirtschaftsgebiet jedes Landes, jedes Volkes, jedes Menschen ohne weiteres die ganze Welt bereits umfassen würde.
Es ist recht schön und fromm, dem Kriege aus dem Wege zu gehen. Um ihm aber unter allen Umständen aus dem Wege gehen zu können, muß man begründete Hoffnung haben, daß in absehbarer Zeit die Zölle, als gegen das Völkerrecht verstoßend, in der ganzen Welt spurlos ausgerottet werden. Wenn dann noch ein Volk Zölle einfühlt, so muß es wissen, daß es sich damit auf Kriegsfuß mit der übrigen Menschheit setzt und die Gegenmaßnahmen der ganzen Welt wird erwarten müssen. Wenn aber die heutige geistlose und widerspruchsvolle Zollpolitik aufrecht erhalten werden soll, so ist der Ruf »die Waffen nieder!« sinnlos. Es gibt noch Schlimmeres als Krieg.
Man hat soviel von der Freiheit der Meere gesprochen, und es ist gewiß gut, daß man auch die Meere den Menschen frei macht. Viel wichtiger aber als die Freiheit der Meere ist die Freiheit des Landes. Und da empfinde ich es geradezu als eine Verhöhnung des Menschen, wenn Präsident Wilson nur von der Freiheit des Meeres zu reden weiß und nichts von der Freiheit des Festlandes. Keinem Volle sollen auf das Gebiet, das es befetzt hält, ausschließende Rechte zugebilligt werden. Den Mongolen sollen die Häfen der Vereinigten Staaten geöffnet werden, die Güter der ganzen Welt sollen dort freien Zutritt haben, wie auch umgekehrt den Amerikanern die Welt geöffnet werden soll. Unsere Vorfahren haben doch Amerika nicht etwa entdeckt und besiedelt, damit sich das Land von der Welt abschließen soll. Allen Menschen ist die Erde als Tummelplatz angewiesen, allen unter den gleichen natürlichen Bedingungen. Und wer sich dann auf diesem Platze als der Tüchtigste erweist, der soll hoch leben und seine Art vermehren.
Und zu dieser unbedingten Freiheit der Meere und der Länder werden wir auch gelangen, sobald wir uns erst vom Gedanken befreit haben, daß wir Gold für unser Geld brauchen und daß, wenn dieses Gold nicht in ausreichender Menge gefunden wird, wir es uns gegenseitig durch den »Kampf um die zu kurze Decke« abschwindeln müssen.
Ich will mit dieser Kritik der Goldwährung hier schließen. Vieles, und vom währungstechnischen Standpunkt auch Gewichtigeres, wäre noch zu sagen, was gegen die Beibehaltung dieser Unglückswährung spricht. Wer mehr wissen will, der studiere das vorhin erwähnte Buch. Dieser Vortrag soll überhaupt erst einmal die Aufmerksamkeit weiterer Kreise, und namentlich die der Friedensfreunde, auf den allgemeinen Störenfried, genannt Goldwährung, lenken und ihnen zeigen, wo sie mit ihrer Tätigkeit einzusetzen haben, wenn sie gründliche Arbeit leisten wollen. Alles, was die Friedensfreunde tun, ist gut und lobenswert. Aber ungleich wirkungsvoller wäre ihre menschenfreundliche Tätigkeit, wenn sie ihre Aufmerksamkeit mehr den wirtschaftlichen Ursachen der Kriege zuwenden wollten, und namentlich nicht immer nur von Völkerkriegen, sondern auch vom Bürgerkrieg, der seit 3000 Jahren ununterbrochen tobt, reden wollten.
Es hat sich vor einiger Zeit in der Schweiz unter dem Namen: »Schweizer Freiland-Freigeld-Bund« eine Gesellschaft gebildet, die dem Völkerfrieden dadurch die Wege ebnen will, daß sie zunächst einmal im eigenen Lande die wirtschaftlichen Grundlagen für einen echten Bürgerfrieden zu schaffen sucht. In Deutschland verfolgen das gleiche Ziel der »Deutsche Freiland-Freigeld-Bund« und die »Physiokratische Bereinigung«, beide mit einer Reihe von Ortsgruppen (jetzt, 1931: Fysiokratischer Kampfbund, Freiwirtschaftsbund und Freiwirtschaftliche Partei Deutschlands. H. Tm.)
Beseitigung des arbeitlosen Einkommens, Schaffung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag, das ist die Bedingung, die der Bund für die Verwirklichung der Friedensträume stellt. Beseitigung des Goldes und seine Ersetzung durch ein nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu verwaltendes Papiergeld – das ist die erste Forderung. Die zweite Forderung lautet: Rückführung des Bodens in den Gemeinbesitz des Volkes – eine Sache von ebenso einschneidender Wirkung – von der aber hier nicht mehr gesprochen werden kann.
Hier im Programm des »Freiland-Freigeld-Bundes« liegt wahre, bedächtige, tiefgründige Friedensarbeit. Hier wird wirklich einmal gründlich abgerüstet. Denn die Kriegsrüstung besteht heute weniger in Festungen und Schiffen, als in den faulen wirtschaftlichen Zuständen. Was heißt auch abrüsten? Der Mensch kommt gerüstet zur Welt. Schneidet man ihm die Nägel, feilt man ihm die Zähne ab, so erwürgt er seinen Gegner. Und lieferte nicht der unschuldige Hanf die Stricke und Rüstung des empörten Pariser Proletariats? Kain holte sich die Rüstung vom dürren Ast einer Eiche. Die Rüstung an sich führt nicht zu Kriegen. Der Grund der Kriege liegt tiefer. Wer wirklich abrüsten will, der muß die Menschheit von den Fesseln befreien, in die die Menschen durch das Gold geschlagen wurden.
Das Gold, sagte Pythagoras vor 2½ Jahrtausenden, ist die eigentliche Ursache aller Verbrechen. Hierzu gehören auch die Kriege.
Darum, wer für den Bürger- und Völkerfrieden wirken und Ersprießliches leisten will, der unterstütze die Bestrebungen des »Freiland-Freigeld- Bundes«, der trete diesem Bunde als Mitglied bei.
Lots Weib schaute rückwärts und erstarrte zu Fels beim Anblick des Grausens. Und allen Menschen geht es noch heute ebenso, die rückwärts schauen; sie versteinern oder verknöchern, werden zu Krustentieren, zu Rüstungsagenten, zu Militaristen. Denn Grausen erfüllt jeden, der in der Geschichte der Menschenkultur liest. Greuel, nichts als Greuel und Untergang. »Rüste, rüste, panzere dich, sonst wirst du erschlagen! Sieh die Ruinen Babylons, Ninives, Jerusalems, Roms! Der ewige Krieg liegt in der Natur des Menschen begründet! Babylon stände noch heute, groß und herrlich, wäre es gerüstet, militärisch besser gerüstet gewesen!« – So redet, wenigstens scheinbar, die Geschichte.
Kopernikus und Galilei haben uns gezeigt, wie der Schein trügen kann.
Daß er auch die betrogen hat, die bislang die Zeichen der Geschichte zu deuten versuchten, war ein unermeßliches Unglück. Wie eine falsche Zeichendeutung unter Umstanden wirkt, haben wir in Rom gesehen, als Galilei nachwies, daß die Sonne sich nicht um die Erde drehe. Die ewige Stadt erbebte in ihren Grundmauern. Und doch handelte es sich damals nur um eine astronomische Frage von rein geistiger Bedeutung. Wie werden aber erst die Grundlagen unseres gesamten Denkens und Handelns erschüttert werden, wenn einmal die Erkenntnis sich Bahn bricht, daß die Geschicke der Menschheit nicht um Mars, sondern um Merkur kreisen!
Die merkantilistische Erklärung des Unterganges der Kulturvölker des Altertums wird uns auf allen Gebieten neue Bahnen weisen, in erster Linie auf dem Gebiete der Friedensfreunde. Denn der Mensch braucht die Geschichte; sie ist die große Lehrmeisterin – wenn man ihre Sprache versteht. Der Rückblick wird zum Ausblick. Die Erfahrung ist das beste Orakel. Nach dem, was die Geschichte lehrt, stellt der Mensch sein Verhalten ein auf allen Gebieten. Wie macht's zum Beispiel der Pionier, der ferne Welten aufsucht? Als erstes erforscht er die Pflanzenwelt, deren Überbleibsel er in der Ackerkrume findet. Dann erkundet er die Witterungsverhältnisse und sieht sich um nach den Überbleibseln früherer Heereszüge. Wie mancher Eingewanderte mag schon am Ufer eines sanft, wie ein grasendes Lämmlein, durch die Fluren sich schlängelnden Flusses sorglos sich angebaut, gerodet, gepflügt haben, bis ihn von ungefähr ein daherziehender Indianer auf die hoch über seinem Kopfe in den Zweigen einer Pappel hängenden dürren Binsen aufmerksam machte. Diese Binsen sind unserem Pionier das, was die Ruinen Babylons unsern Staatsgründern sein sollten; sie sagen ihm, daß der Schein ihn betrogen, daß das sanfte Flüßlein bei der Schneeschmelze im Gebirge zum alles verheerenden Riesenstrom wird. Entsetzt bricht er sein Zelt ab und flieht, ohne sich umzuschauen, wie Lot beim Untergang Sodoms.
Der Mensch ist verloren, wenn er die Geschichte nicht zu Rate zieht, die Zeichen nicht deutet. Er ist aber erst recht verloren, wenn er die Zeichen falsch deutet. Und das haben wir getan. Der Schein hat uns betrogen. Unser geschichtlicher Wegweiser wies auf die Notwendigkeit der Rüstung hin, und die Rüstung brachte uns den Krieg. Die Zeichendeuter wiesen auf die Notwendigkeit des kriegerischen Geistes zum Schutze des Staates hin, diesen Geist flößten wir der Jugend ein, und der kriegerische Geist brachte uns den Krieg, gegen den wir uns doch nur schützen wollten.
Wie anders wäre es geworden, wenn wir dem Scheine, der Oberfläche mißtrauend, ein wenig nur in den »Kjökkenmöddingern« der Kultur gekratzt, geschürft hätten! Wie bald wären wir da auf eine der Tafeln gestoßen mit der Inschrift: »Die Goldwährung ist die Räuberhöhle, der der Pesthauch der Bürger- und Völkerkriege entsteigt. Die Goldwährung entwaffnete mich, so daß ich dem Ansturm der Barbaren nicht widerstehen konnte. Das Gold rief mich ins Dasein, doch die große Kindsmörderin vernichtete das keimende Leben. Ehret Lykurg! er ächtete das Gold, die Ursache aller Verbrechen.«