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Der gesunde Mensch beansprucht die ganze Erdkugel, er betrachtet sie als eins seiner Glieder, als einen untrennbaren Hauptteil seines Körpers, und zwar die ganze Erdkugel, nicht einen Teil davon; und die zu beantwortende Frage ist, wie ein jeder in den Vollgebrauch dieses Hauptorgans gelangen kann.
Teilung der Erde ist ausgeschlossen, denn durch die Teilung erhält jeder nur einen Teil, während er doch das Ganze braucht. Kann man die Ansprüche der einzelnen Familienglieder auf die Suppenschüssel damit befriedigen, daß man diese zerschlägt und jedem eine Scherbe hinwirft? Außerdem müßte bei jedem Begräbnis, bei jeder Geburt die Teilung von neuem beginnen, ganz abgesehen davon, daß die Teile durch Lage, Beschaffenheit, Witterungsverhältnisse usw. sämtlich verschieden sind und darum niemand zufriedengestellt werden kann. Denn während der eine seinen Teil auf sonniger Höhe haben möchte, sucht der andere die Nähe einer Bierbrauerei auf. Die Teilung (heute in der Regel durch Erbschaft) nimmt jedoch keine Rücksicht auf solche Wünsche, und so muß der Bierphilister täglich von der sonnigen Höhe herunter, um unten im Tale sein Bäuchlein zu füllen, während der andere nach der sonnigen Höhe lechzt und in der Talluft geistig und körperlich verkümmert.
Durch die Teilung wird niemand befriedigt, die Teilung kettet den Menschen an die Scholle, besonders wenn, wie das in der Regel der Fall ist, der Austausch der Teile (Umsatz) durch Umsatzsteuern erschwert wird. So möchte mancher wohl aus Gesundheitsrücksichten, wegziehen, mancher, der mit der Nachbarschaft verfeindet ist, täte aus Sicherheitsrücksichten wohl, eine andere Gegend aufzusuchen, aber sein Grundeigentum läßt ihn nicht los.
Die Umsatzsteuer beträgt vielerorts in Deutschland 1-2-3 vom Hundert, im Elsaß gar 5%. Bedenkt man, daß in der Regel die Grundstücke zu ¾ belastet sind, so bilden die 5% Umsatzsteuer schon 20% der Anzahlung oder des Vermögens des Käufers. Wenn also jemand nur fünfmal seinen Platz wechselt – was für die gute Entwicklung des Menschen durchaus nicht zu viel ist –, so löst sich sein ganzes Bodenkapital in Steuern auf. Mit der Wertzuwachssteuer der Bodenreformer, die nur beim Umsatz erhoben wird, verschlimmert man noch die Sache.
Für junge Landwirte ist der hohe Norden vortrefflich; mit dem Alter, wenn der Stoffwechsel träger wird, ist ein gemäßigter Himmelsstrich manchmal vorzuziehen, während ganz alte Leute in warmen Ländern sich am wohlsten fühlen. – Wie soll man nun mittels Teilung all diesen und tausend anderen Wünschen gerecht werden? Soll jeder seinen Acker als Gepäckstück herumschleppen? Sollen sie ihr Teil hier verkaufen, um es dort wieder zu kaufen? Was das bedeuten würde, weiß jeder, der dem Grundstückshandel nicht unausgesetzte Aufmerksamkeit schenken kann, aber durch die Verhältnisse gezwungen wird, seinen Platz mehrmals zu veräußern. Es geht ihm, wie dem Bauer, der eine Kuh zu Markte führte und nach einer Reihe von Tauschgeschäften schließlich einen Kanarienvogel heimbrachte. Darum muß gewöhnlich der Grundeigentümer für den Verkauf »die Gelegenheit abwarten«. Aber während er hier die Gelegenheit für den Verkauf, und dann dort wieder die Gelegenheit für den Kauf abwartet, vergeht die Zeit, so daß er gewöhnlich auf die Vorteile, die er vom Ortswechsel erwartet, verzichten muß. Wie mancher Bauer möchte gern in die Nähe der Stadt ziehen, um seinen begabten Kindern den Besuch der Schulen zu ermöglichen, wie mancher möchte die Nähe der Stadt fliehen, um seine Kinder in jungfräulicher Natur großzuziehen! Wie mancher gute Katholik, den sein Erbteil unter die Protestanten verpflanzt hat, sehnt sich zurück in die katholische Gemeinde. Das Grundeigentum beraubt sie all dieser Genüsse; das Grundeigentum macht aus ihnen Kettenhunde, Leibeigene, Sklaven des Bodens.
Und wie mancher, der gern bis an sein Lebensende die Scholle bebauen möchte, auf der schon seit Urzeiten seine Väter den Pflug führten, wird von einem Gläubiger, einem Wucherer, vom Steuervollstrecker vertrieben. Die Eigentumsgesetze verjagen ihn von seinem Eigentum.
Und wie mancher, der von seinem Vater sein »Teil« geerbt und seine 9 Geschwister nur durch eine Bodenverpfändung von 90% hat auszahlen können, wird jetzt durch die Zinszahlung erdrosselt. Eine geringe Lohnsteigerung, ein schwacher Rückgang der Grundrente (der allein schon durch eine Herabsetzung der Schiffsfrachten herbeigeführt werden kann) genügt, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, den Zins zu zahlen, genügt, um die ganze Wirtschaft unter den Hammer zu bringen. Die sogenannte Not der Landwirtschaft, in die sämtliche deutsche Grundeigentümer geraten waren, war eine Folge der mit dem Privatgrundeigentum untrennbar verbundenen Erbschaftsverschuldung des Bodens.
Der »glückliche Erbe« des Privatgrundeigentums rackert sich ab, er rechnet, schwitzt und kannegießert über Staatssachen – sein Eigentum zieht ihn unnachsichtlich in die Tiefe.
Viel schlimmere Folgen noch für die »Teilhaber« hat die Teilung der Erde in Form von gemeinsamem Eigentum (Kollektiveigentum), so wie das Gemeindeeigentum es darstellt und die Genossenschaft es erstrebt. Ein Verkauf seines Anteils ist dem einzelnen nicht möglich, und das Verlassen der Gemeinde ist mit dem Verluste des Anteils verknüpft. Die Umsatzsteuer verwandelt sich hier in eine Umzugssteuer von 100%. Es gibt Gemeinden, die nicht nur keine Steuern erheben, sondern noch bares Geld verteilen. Um nun diese Einnahmen nicht zu verlieren, bleibt mancher in der Gemeinde, trotzdem ihm die klimatischen, politischen, kirchlichen, geselligen Zustande, die Bier- und Lohnverhältnisse nicht zusagen. Und ich bin überzeugt, daß es nirgends mehr Rechtshändel, Zank und Mordtaten gibt, daß nirgends unglücklichere Leute leben müssen, als gerade in solchen reichen Gemeinden. Auch bin ich überzeugt, daß die Lohnverhältnisse in solchen Gemeinden schlechter als anderswo sein müssen, weil die für den Erfolg der Gewerbetätigkeit so nötige und von den persönlichen Fähigkeiten bestimmte, freie Berufswahl durch die hier gehemmte Freizügigkeit ganz außerordentlich beschränkt wird. Jeder ist hier auf die Industrie angewiesen, die sich am Orte hat entwickeln können, und während der eine vielleicht als Mann der Wissenschaft oder Tanzlehrer in der Welt sein Glück gemacht hätte, muß er hier, weil er seine Gemeinderechte nicht verlieren will, als Holzhacker sein Leben fristen.
Auf die gleichen Nachteile der »Teilung der Erde«, nur noch im Verhältnis wachsend, stoßen wir, wenn wir die Erde unter die einzelnen Völker verteilen. Keinem Volke genügt der ihm angewiesene Teil, keinem Volke kann dieser Teil genügen, muß doch zu seiner gedeihlichen Entwicklung jedes Volk wie jeder einzelne Mensch über die ganze Erdkugel verfügen können. Da nun der Teil nicht genügt, so sucht man durch Eroberung den Besitz zu vergrößern. Aber zur Eroberung gehört kriegerische Kraft, und es ist ein durch die Geschichte der Jahrtausende bestätigtes Gesetz, daß die Macht eines Staates sich nicht dauernd in dem Maße vermehrt, wie sein Gebiet größer wird, sondern im Gegenteil durch stete Eroberungen im Laufe der Zeit sich verringert. Deshalb ist es auch ausgeschlossen, daß alle Völker der Erde jemals durch Eroberung unter eine Herrschaft kommen. Die Eroberung beschränkt sich darum gewöhnlich auf kleine Happen, die dann bei einer anderen Gelegenheit wieder verloren gehen. Was der eine durch die Eroberung gewinnt, verliert der andere; und da dieser andere das gleiche Bedürfnis nach Ausdehnung hat, so bereitet er sich auf Rückeroberung vor und lauert auf Gelegenheit, über den Nachbar herzufallen.
So hat nun schon so ziemlich jedes Volk versucht, sich durch Eroberung in den ersehnten Besitz der Erdkugel zu setzen, immer mit dem gleichen Mißerfolg. Das Schwert wird, wie jedes Handwerkszeug, stumpf durch den Gebrauch. Und welche Opfer werden diesen kindischen Versuchen immer und immer wieder gebracht. Ströme von Blut, Berge von Leichen, Meere von Geld und Schweiß. Dabei keine Spur eines Erfolges. Die Staatenkarte unserer Erde sieht heute aus wie ein Bettlerrock, geflickt und zerfetzt; neue Grenzzäune erheben sich alle Tage, und eifersüchtiger denn je bewacht jeder seinen Knochen, seine von den Vätern geerbte Bettelsuppe. Kann man heute noch mit vernünftigen Gründen hoffen, daß einmal ein Eroberer erstehen wird, der uns alle vereint? Unsinnig wäre eine solche Hoffnung. Die Teilung führt zu Krieg, und der Krieg kann nur zusammenflicken. Die Nähte reißen immer wieder auf. Der Mensch braucht die ganze Erde, die ganze Kugel, keinen zusammengeflickten Fetzen. Und zwar jeder einzelne Mensch, jedes einzelne Volk; und solange diesem Grundbedürfnis des Menschen nicht genügt wird, gibt es Krieg. Mann gegen Mann, Volk gegen Volk, Erdteil gegen Erdteil. Wobei noch zu beachten ist, daß der aus solchen Ursachen entbrannte Krieg stets und regelmäßig das Gegenteil dessen erzeugen muß, was die Kriegführenden bezwecken. Trennung statt der Einigung; Verkleinerung statt Vergrößerung; Abgründe statt Brücken.
Es ist ja wahr, daß mancher Spießbürger sich am »gemütlichsten« in einer verräucherten Bierkneipe fühlt, daß er sich unsicher, unbehaglich fühlt oben auf dem Gipfel des Berges. Auch von den Altpreußen erzählt man, daß sie der Vereinigung mit dem deutschen Reiche nur widerwillig zugestimmt haben; der neue Glanz blendete, die Erdteilung erzeugte eben ein Bettlergeschlecht. Darum: weg mit diesen veralteten, stumpfen Werkzeugen, weg mit den Kanonen, weg mit dem Puppenspiel. Weg mit den Zaunpfählen, mit den Zollgrenzen, ins Feuer mit den Grundbüchern. Keine Teilung und Zertrümmerung der Erdkugel, keine Scherbe. Suum cuique. Jedem das Ganze.
Wie kann man nun dieser Forderung ohne Gütergemeinschaft, ohne weltstaatliche Verbrüderung und ohne Aufhebung der staatlichen Selbständigkeit der einzelnen Volkshaufen genügen? Freiland antwortet auf diese Frage.
Wird nun mit der Verwirklichung dieser Forderung nicht schon jedem das ganze, innerhalb der Staatsgrenze gelegene Land zugänglich gemacht und als sein Eigentum erklärt? Erhält nach diesem Verfahren nicht jeder das Land zugewiesen, wonach er sich sehnt, wird nicht hierdurch jeder Wunsch, ja, jede Laune und Grille berücksichtigt? Wird das Umzugsgut durch Freiland nicht um den ganzen Ballast des Grundeigentums erleichtert und die Freizügigkeit nicht nur gesetzlich, sondern auch wirtschaftlich eingeführt?
Sehen wir näher zu. – Ein Bauer bewirtschaftet in der norddeutschen Tiefebene einen großen Hof mit seinen Buben. Da jedoch die Söhne nichts von der Landwirtschaft wissen wollen und in die Stadt ziehen, um ein Gewerbe zu betreiben, so wird der Hof zu groß für den Bauer, dessen Leistungsfähigkeit überdies durch Alter und Gebrechlichkeit abgenommen hat. Er möchte also einen kleineren Hof bewirtschaften und dies mit der Erfüllung eines Jugendtraumes verbinden, nämlich auf Bergen zu wohnen. Auch möchte er nicht weit von Frankfurt wohnen, weil sich seine Söhne dort niederließen. Das wäre nun heute eine ziemlich schwierige, für einen Bauer fast unausführbare Sache.
Mit Freiland ist die Sache anders. Grundeigentum hat der Mann nicht, er ist also frei, freizügig, wie ein Zugvogel. Selbst den Ablauf seines Pachtvertrages braucht er nicht abzuwarten, da er ihn gegen Zahlung einer Buße alle Tage lösen kann. Er bestellt sich also das bebilderte Verzeichnis, das die einzelnen Bezirke regelmäßig über die zur Pacht stehenden Höfe ausgeben, und merkt sich diejenigen Höfe, die seinen Verhältnissen am besten entsprechen. An Auswahl wird es nicht fehlen, denn rechnen wir mit einer durchschnittlichen Pachtdauer von 20 Jahren, so würde von je 20 Höfen jährlich einer frei, oder jährlich etwa 150 000 Höfe, in Durchschnittsgröße von 10 ha – und zwar große und kleine, für alle Verhältnisse, im Gebirge, in der Ebene, am Rhein, an der Elbe, an der Weichsel, in katholischen und protestantischen Gegenden, in konservativen, liberalen, sozialistischen Kreisen, im Morast, im Sande, am Meer, für Viehzüchter oder Zuckerrübenbauer im Walde, im Nebel, an frischen Bächen, in verräucherten Industriegegenden, in der Nähe der Stadt, der Brauerei, der Garnison, des Bischofs, der Schule, im französischen und polnischen Sprachgebiet, für Lungenkranke, für Heizleidende, für Starke und Schwache, Alte und Junge – kurz gesagt, eine Auswahl von jährlich 150 000 Höfen, die zu seiner Verfügung stehen, die sein Eigentum darstellen, die er nur zu bearbeiten braucht. Wird da nicht jeder sagen können, daß er das ganze Reich besitzt? Was fehlt ihm denn noch zum Besitze des Reiches? Mehr als einen Hof kann er doch nicht gleichzeitig bewohnen und besitzen. Denn besitzen heißt darauf sitzen. Auch wenn er ganz allein auf der Erde wäre, müßte er sich doch für einen Platz entschließen.
Gewiß, man wird ihm eine Pacht abfordern, aber diese Pacht ist die Gegenleistung für die Grundrente, die kein Erzeugnis des Bodens, sondern ein solches der Gesellschaft bildet. Und der Mensch hat ein Recht auf die Erde, nicht auf die Menschen. Wenn also der Bauer die Rente, die er in den Preisen seiner Feldfrüchte von der Gesellschaft erhebt, wieder als Pacht an die gleiche Gesellschaft abträgt, so wirkt er einfach als Rechnungsführer, als Steuerempfänger; sein Recht auf den Boden wird dadurch nicht verkümmert. Er gibt der Gesellschaft zurück, was ihm diese im Preise der Bodenfrüchte über seine Arbeit hinaus bezahlt hatte. Da nun aber der Pächter auch wieder Mitglied der Gesellschaft ist, so kommt auf ihn auch wieder sein Anteil an den Pachtsummen. Er zahlt also tatsächlich auch nicht einmal Pacht; er liefert nur die von ihm eingezogenen Grundrenten zur genauen Verrechnung an die Gesellschaft ab.
Wir müssen also zugeben, daß mit Freiland das Recht jedes Einzelnen auf das ganze deutsche Gebiet in unbeschränkter Form geschützt und verwirklicht wird.
Aber mit der deutschen Scherbe ist dem seiner Würde bewußten Menschen nicht genügt. Er fordert das Ganze, die Erdkugel, als sein Eigentum, als ein untrennbares Glied seiner selbst.
Auch diese Schwierigkeit löst Freiland. Denken wir uns Freiland auf alle Länder ausgedehnt; ein Gedanke, der alles Absonderliche verliert, wenn wir überlegen, daß so manche eigenvölkische Einrichtung die Grenzen des Landes überschreitet und sich die ganze Welt erobert. Also angenommen, Freiland sei international eingeführt und durch Verträge dahin ergänzt worden, daß einwandernde Bürger anderer Staaten als gleichberechtigt angesehen werden, was ja schon heute in bezug auf die Gesetze so ziemlich allgemein der Fall ist. Was fehlt dann noch an der Verwirklichung des Rechtes jedes einzelnen Menschen auf den Besitz der ganzen Erdkugel? Die ganze Welt bildet von nun an sein uneingeschränktes Eigentum: er kann überall, wo es ihm gefällt, sich ansiedeln (heute zwar auch schon, aber nur, wenn er Geld hat), und zwar völlig umsonst, denn die Pacht, die er bezahlt, wird, wie gesagt, nicht eigentlich vom Boden erhoben, sondern als Gegenleistung der Grundrente, die er in den Preisen seiner Erzeugnisse von der Gesellschaft erhebt und die ihm in den Staatsleistungen zurückgegeben wird.
Also durch Freiland kommt jeder einzelne Mensch in den Besitz der ganzen Erdkugel. Sie gehört ihm; sie ist, wie sein Kopf, sein unbeschränktes Eigentum, sie ist mit ihm verwachsen; sie kann ihm nicht auf Grund eines protestierten Wechsels, einer Pfandschuld, einer Gutschrift für einen verkrachten Freund, abgenommen, abgeschnitten werden. Er kann machen, was er will, trinken, an der Börse spielen; sein Eigentum ist unantastbar. Ob er das Erbe seiner Väter mit 12 Geschwistern teilen muß, oder ob er einziges Kind ist – für das Grundeigentum ist das gleichgültig geworden. Ganz unabhängig von seinem Tun und Lassen bleibt die Erde sein Eigentum. Liefert er die im Preise der Ackererzeugnisse eingezogene Rente nicht an die Gesellschaft ab, so wird man ihn unter Vormundschaft stellen, aber die Erde bleibt darum nicht weniger sein Eigentum.
Durch die Bodenverstaatlichung kommt jedes Kind als Grundeigentümer zur Welt, und zwar halt jedes Kind, ob ehelich oder unehelich geboren, wie das Christuskind zu Prag die Erdkugel in der Hand. Den Schwarzen, den Roten, den Gelben, den Weißen, allen ohne Ausnahme gehört die Erde ungeteilt. Staub bist du, und in Staub wirst du zerfallen. Das scheint wenig, aber man unterschätze die wirtschaftliche Bedeutung dieses Standes ja nicht. Denn dieser Staub ist ein Bestandteil der Erde, die jetzt noch den Grundbesitzern gehört. Um zu werden und zu wachsen, brauchst du Bestandteile der Erde; schon ein geringer Fehlbetrag an Eisen in deinem Blut bringt dich um deine Gesundheit. Ohne die Erde und (falls diese den Grundbesitzern gehört) ohne Erlaubnis der Grundbesitzer darf niemand geboren werden. Das ist durchaus keine Übertreibung. Die Untersuchung deiner Asche ergibt gewisse Mengen erdiger Bestandteile, die niemand aus der Luft gewinnen kann. Diese erdigen Bestandteile gehörten einmal der Erde oder ihren Eigentümern, sie sind von diesen gekauft oder ihnen gestohlen worden. Eins von beiden.
In Bayern wurde die Erlaubnis zum Heiraten von einem gewissen Einkommen abhängig gemacht. Die Erlaubnis zur Geburt wird gesetzlich allen denen versagt, die den Staub nicht bezahlen können, der für den Aufbau ihres Knochengerüstes nötig ist.
Ohne Erlaubnis der Grundbesitzer darf aber auch niemand sterben, denn in Staub wirst du zerfallen, und dieser Staub beansprucht Platz auf der Erde; und was nun, wenn der Grundbesitzer dir diesen Platz versagt? Wer daher ohne Erlaubnis auf dem Boden eines Grundbesitzers stirbt, bestiehlt diesen Besitzer. Wer darum seine Begräbnisstelle nicht bezahlen kann, fährt geradeswegs in die Hölle. Darum sagt auch das spanische Sprichwort: Er hat nicht, wo er zum Sterben hinfallen darf. Und die Bibel: Des Menschen Sohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann.
Aber zwischen Wiege und Sarg liegt das ganze lange Leben, und das Leben ist ja bekanntlich ein Verbrennungsvorgang. Der Körper ist ein Ofen, worin eine beständige Hitze erhalten werden muß, wenn der Lebensfunken nicht erlöschen soll. Diese Wärme sucht man innerlich durch Nahrungszufuhr, äußerlich durch Kleidung und Wohnung als Schutz gegen Wärmeausstrahlung zu erhalten.
Nun gehören aber wieder die Nahrungsmittel, wie auch die Kleiderstoffe und die Baustoffe der Wohnungen zu den Erzeugnissen der Erde, und was nun. Wenn die Eigentümer dieser Erde dir diese Stoffe verweigern?
Ohne die Erlaubnis der Erdbesitzer wird also niemand essen, sich kleiden, überhaupt leben dürfen.
Auch das ist durchaus keine Übertreibung. Die Amerikaner versagen den Chinesen die Einwanderung, die Australier weisen von ihren Küsten alle ab, deren Haut nicht hellweiß ist; selbst schiffbrüchige Malaien, die an der australischen Küste Schutz suchten, wurden mitleidslos wieder ausgewiesen. Und wie verfährt bei uns die Polizei mit allen, die nicht über die Mittel verfügen, sich die Güter der Erde zu kaufen? »Du hast nichts, du lebst aber, folglich stiehlst du. Deine Körperwärme, die nur die Frucht eines mit Bodenerzeugnissen unterhaltenen Feuers sein kann, verrät deine Missetat, verrät, daß du stiehlst! Marsch ins Gefängnis!« Darum pflegen ja auch die Handwerksburschen sich einen unantastbaren eisernen Geldfonds zuzulegen; darum stellen sie sich, im Vollbewußtsein ihrer Schuld, mit den Worten vor: Entschuldigen Sie, ein armer Reisender.
Häufig hört man die Redensart: »Der Mensch hat ein natürliches Recht, auf die Erde.« Das ist aber Unsinn, denn dann könnte man auch sagen, der Mensch habe ein Recht auf seine Glieder. Von »Rechten« sollten wir hier nicht reden, sonst könnte man ja auch sagen, die Tanne habe ein Recht, ihre Wurzeln in die Erde zu senken. Kann der Mensch im Luftballon sein Leben verbringen? Die Erde gehört zum Menschen, sie bildet einen organischen Teil seiner selbst; wir können uns den Menschen ohne die Erde ebensowenig denken, wie ohne Kopf und Magen. Wie der Kopf, so ist auch die Erde ein Teil, ein Glied des Menschen. Wo beginnt der Verdauungsvorgang beim Menschen und wo hört er auf? Dieser Vorgang fängt nirgendwo an und hat auch kein Ende, er bildet einen geschlossenen Kreis ohne Anfang und Ende. Die Stoffe, die der Mensch braucht, sind im Rohzustand unverdaulich – sie müssen vorher bearbeitet werden, eine Verdauung durchmachen. Und diese Vorarbeit verrichtet nicht der Mund, sondern die Pflanze. Diese sammelt und verwandelt die Stoffe, so daß sie auf ihrem weiteren Weg durch den Verdauungskanal zu Nahrungsstoff werden können. Die Pflanzen mit ihrem Standort in der Erde gehören also ebenso zum Menschen, wie der Mund, die Zähne, der Magen.
Jedoch ist dem Menschen nicht, wie der Pflanze, mit einem Teile der Erde gedient; er braucht die ganze Erde, und zwar braucht jeder einzelne Mensch die ganze Erde ungeteilt. In Tälern und auf Inseln wohnende oder durch Mauern und Zölle abgeschlossene Völker verkümmern, sterben aus. Handelsvölker dagegen, die mit allen Erzeugnissen der Erde ihr Blut würzen, bleiben frisch, vermehren sich und erobern die Welt. Die leiblichen und geistigen Bedürfnisse der Menschen senken ihre Wurzeln in jedes Krümelchen der ganzen Erdrinde; sie umfassen die Erde wie mit Polypenarmen. Alles braucht der Mensch, nicht einen Teil. Er braucht die Früchte der heißen und der gemäßigten Zone, wie auch die des hohen Nordens, er braucht für seine Gesundheit die Gebirgs-, See- und Wüstenluft. Zur Geistesauffrischung braucht er den Verkehr und die Erfahrung aller Völker der Erde. Er braucht alles, selbst die Götter der verschiedenen Völker braucht er als Vergleichsgegenstände für seine Religion. Die ganze Erdkugel, so wie sie da im prächtigen Flug um die Sonne kreist, ist ein Teil, ein Organ des Menschen, jedes einzelnen Menschen.
Dürfen wir nun gestatten, daß einzelne Menschen Teile dieser Erde, Teile von uns selbst, als ausschließliches und ausschließendes Eigentum in Beschlag nehmen, Zäune errichten und mit Hunden und abgerichteten Sklaven uns von Teilen der Erde abhalten, uns ganze Glieder vom Leibe reißen? Bedeutet ein solches Vorgehen nicht dasselbe, wie eine Verstümmelung an uns selbst?
Man wird vielleicht diesen Vergleich nicht gelten lassen wollen, weil das Abschneiden eines Grundstückes nicht mit Blutverlust verbunden ist. Blutverlust! Wäre es doch nur gemeiner Blutverlust! Eine gewöhnliche Wunde heilt; man schneidet ein Ohr, eine Hand ab: der Blutstrom versiegt, die Wunde vernarbt. Aber die Wunde, die uns die Amputation eines Grundstückes am Leibe hinterläßt, eitert ewig, vernarbt nie. An jedem Zinszahlungstage springt die Wunde immer wieder auf, und das rote goldene Blut fließt in Strömen ab. Bis aufs Weiße wird da der Mensch geschröpft, blutleer wankt er einher. Das Abschneiden eines Grundstückes von unserem Leibe ist der blutigste aller Eingriffe, er hinterläßt eine jauchige, klaffende Wunde, die nur unter der Bedingung heilen kann, daß das geraubte Glied wieder angesetzt wird.
Aber wie? Ist nicht die Erde schon zerstückelt, in Scheiben zerschlagen, zerteilt und verteilt? Und hat man darüber keine Urkunden ausgestellt, die geachtet werden müssen? Nein, das ist Unsinn, nichts als Unsinn!
Wer hat die Urkunden ausgestellt, wer hat sie unterschrieben? Ich selbst habe in meinem Namen niemals in die Teilung der Erde, meiner Glieder, eingewilligt; und was andere für mich ohne meine Zustimmung getan haben, was geht das mich an! Für mich sind alle diese Urkunden wertloses Papier. Ich habe die Einwilligung zur Verstümmelung nicht gegeben, die aus mir einen Krüppel macht. Darum fordere ich meine geraubten Glieder zurück und erkläre jedem den Krieg, der mir einen Teil der Erde vorenthält.
»Aber hier auf diesen vergilbten Pergamenten steht die Unterschrift deiner Vorfahren!« Ganz recht, ich lese dort meinen Namen – aber ob der Name gefälscht wurde, wer weiß es? Und wenn auch die Unterschrift echt wäre, wofür sogar die Möglichkeit eines Beweises fehlt, so sehe ich neben der Unterschrift ein Loch, das vom Dolch herrührt, mit dem die Unterschrift erpreßt wurde, da doch niemand ohne unmittelbare Lebensgefahr einzelne seiner Glieder opfert. Auch der Fuchs beißt sich wohl ein Bein ab, aber nur, wenn er in der Falle sitzt. Und schließlich: ist denn heute jemand verpflichtet, die Schulden seiner Vorfahren anzuerkennen? Sind die Kinder für die Sünden ihrer Vorfahren haftbar? Dürfen die Eltern ihre Kinder verstümmeln, darf der Vater seine Tochter verkaufen? Unsinn, alles Unsinn.
Den Kindern der Säufer wird ein Vormund bestellt; und wer sagt, daß nicht alle diese Grundbuchurkunden im Rausche unterschrieben wurden? Wahrhaftig, man möchte glauben, unsere Vorfahren hätten in ewigem Rausche gelebt! Säufer wären es gewesen, die die Erde verjubelt haben, Säufer, wie die alten Germanen, die im Rausche Weib und Kind aufs Spiel setzten. Nur durch den Trunk verkommenes Gesindel verkauft sich oder seine Glieder, nur heruntergekommene Menschen können die Grundbuchurkunden freiwillig unterschrieben haben. Denke man sich doch nur, es käme vom Monde herunter ein Mann mit einer Schnapsflasche, um hier Land für den Mond zu kaufen! Würde man ihm erlauben, Teile dieser Erde, große und kleine, fortzuschleppen? Und doch ist es völlig gleich, ob die Erde auf den Mond getragen wird, oder ob ein Grundeigentümer sie in Beschlag nimmt. Der Grundeigentümer läßt nach Einziehung der Grundrente ja doch nur Öd- und Wüstland zurück. Wenn unsere Grundeigentümer auf der Kapitalflucht die gesamte Ackerkrume Deutschlands aufrollten und ins Ausland verschleppten, – für das Volk wäre das gleichgültig. Trotz der Hungersnot führten die in Paris prassenden russischen Grundbesitzer riesige Mengen Getreide aus Rußland aus, so daß selbst die Kosaken in Not gerieten und man zum Aufrechterhalten der Ordnung ein Ausfuhrverbot erließ.
Kann man also anders annehmen, als daß die Unterschriften im Grundbuch mit dem Dolche erpreßt, mit der Schnapsflasche erschwindelt wurden? Das Grundbuch, das ist das Verbrecheralbum Sodoms und Gomorrhas, und wenn irgendein Grundbesitzer die Verantwortung für die Handlungen seiner Vorfahren übernehmen möchte, so müßte man ihn gleich wegen Betrugs und Erpressung einsperren.
Jakob erpreßte von seinem Bruder für einen Teller Linsen dessen ganze Viehweide, als dieser, dem Verhungern nahe, von der Wolfsjagd heimkehrte. Sollen wir nun diesem Wucher die sittliche Weihe geben, dadurch, daß wir die Nachkommen Esaus mit der Polizei von der Benutzung jener Weide abhalten?
Jedoch, wir brauchen nicht bis auf Esau zurückzugreifen, um die Urgeschichte unserer Urkunden aufzudecken. »Die Besiedelung der meisten Länder hat ursprünglich auf dem Wege der Okkupation, der Eroberung, stattgefunden, und auch später hat oft genug das Schwert die bestehende Teilung wieder verändert«. Anton Menger: Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag. 4. Aufl. S. 2.
Und wie wird heute unter unseren Augen die Besetzung eines Landes betrieben? Für eine Flasche Schnaps für sich und ein buntes Kleid für seine Gemahlin veräußerte der schwarze Hererokönig das von ihm den Hottentotten entrissene Land. Millionen von Hektar, die ganze Weide ihrer Herden. Wußte er, was er tat, als er mit dem Schnapse im Kopfe das verräterische + unter das Schriftstück setzte? Wußte er, daß dieses Schriftstück nunmehr als wertvolle Urkunde wie ein Heiligtum in eisernem Schranke aufbewahrt, von einer Schildwache Tag und Nacht behütet würde? Wußte er, daß nunmehr er und sein ganzes Volk auf jenes unbeholfene Kreuz genagelt würden, daß er von da ab für jede seiner Kühe eine Rente würde zahlen müssen – er, seine Kinder, seine Enkel, heute, morgen, ewig? Das wußte er nicht, als er das von den Missionaren erlernte Zeichen des Kreuzes auf das Schriftstück malte. Wie kann man auch mit dem Christuszeichen betrogen und bestohlen werden? Und wenn er die Bedeutung des Schriftstückes kannte, warum hat man den Lumpen als Volksverräter nicht an den ersten besten Baum geknüpft? Aber er wußte es nicht, das geht ganz klar daraus hervor, daß, als der Inhalt der Urkunde in die Tat umgesetzt wurde, er sich erhob, um das »betrügerische Gesindel« (in den deutschen Zeitungen nannte man die unglücklichen Eingeborenen, die ihren »Freiheitskrieg« mit den ihnen zur Verfügung stehenden Waffen führen, in der Regel – Mordbrenner, Diebe, Gesindel usw.) zu vertreiben. Freilich nutzlos, denn nun wurde ein Hetz- und Treibjagd veranstaltet, und die wenigen, die nicht zur Strecke gebracht wurden, hat man in die Wüste gedrängt, wo sie verhungern werden (s. die öffentliche Bekanntmachung des Generals Trotha).
Das auf diese Weise besetzte Land hat man dann, laut amtlicher Auskunft, wie folgt, verteilt: Deutsche Volksstimme. 20. Dezember 1904.
1. Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika | 135 000 qkm |
2. Siedelungsgesellschaft | 20 000 qkm |
3. Hanseatische Land-, Minen- und Handelsgesellschaft | 10 000 qkm |
4. Kaoko Land- und Minengesellschaft | 105 000 qkm |
5. Southwestafrika Co. Ltd | 13 000 qkm |
6. South Afrika Territories Ltd. | 12 000 qkm |
______________ | |
Sa. 295 000 qkm |
gleich 900 Millionen Morgen Land.
Was haben diese 6 Erwerber wohl für die 900 Millionen Morgen Land gegeben? Einen Schnaps, ein Linsengericht. So ging es und geht es in Afrika, in Asien, in Australien.
In Südamerika hat man es noch bedeutend einfacher gemacht, da hat man sich das Schriftstück mit dem
+ als Unterschrift gespart: Man schickte den General Roca, den nachherigen Präsidenten, mit einer Bande Soldaten gegen die Indianer aus, um diese von den fruchtbaren Weideplätzen der Pampa zu vertreiben. Man knallte die Mehrzahl nieder, schleppte die Weiber und Kinder nach der Hauptstadt als billige Arbeitskräfte, und trieb den Rest über den Rio Negro. Das Land wurde dann unter die Soldaten verteilt und verschrieben, die in der Regel nichts Eiligeres zu tun hatten, als ihre Rechte zu verkaufen – für Schnaps und bunte Tücher.
Im Hamburger Fremdenblatt vom 22. Dez. 1904 finde ich folgende Mitteilung: »
Latifundien in Argentinien. Hamburg. 22. Dez. Wie der hiesige Generalkonsul mitteilt, haben kürzlich Verkäufe von großen Ländereien in Argentinien stattgefunden, die deutlich zeigen, wie sehr der Wert von Grund und Boden auch in diesem Lande steigt. Antonio Devoto kaufte in dem Territorium der Pampa von der englischen Gesellschaft South American Land Company ein Areal von 116 Leguas mit 12 000 Stück Hornvieh, 300 000 Schafen usw. für 6½ Millionen Dollars = etwa 50 000 Dollars per Legua von 2500 ha. – Jose Guazzone, der Weizenkönig genannt, kaufte im Bezirk Navarria in der Provinz Buenos Aires 5 Leguas à 200 000 Dollars. – Die Jewish Colonisation Society kaufte 40 Leguas, teils in Piqué, teils in der Pampa Central zum Preise von 80 000 Dollars per Legua, die der Verkäufer, Herr Federico Leloix im Jahre 1879 für 400 Dollars per Legua erstand. – Alle diese Ländereien der Pampa, die im Jahre 1878 von den Indianerhorden befreit wurden, sind 1879/80 von der Regierung zu 400 Dollars die Legua von 2500 ha öffentlich verkauft worden; sie eignen sich besonders für Viehzucht, und ihr Wert hat sich seitdem um das 150–200fache gesteigert, ein gutes Zeichen für das Gedeihen und die Zukunft des Landes.«
Hierzu ist noch zu bemerken, daß die berechnete 200fache Preissteigerung in Wirklichkeit bedeutend größer ist. Die 400 Dollars für die Legua von 2500 ha, waren in moneda corriente zahlbar, wovon 30 auf einen heutigen Peso gingen. Die Preissteigerung ist also 30 × 200 = 6000fach. Es wird erzählt, daß die Soldaten ihre Landanteile für Streichhölzchen (
Cajas de fósforos) verkauften.
So, nicht anders, entstanden »die heiligen, unantastbaren Rechte« der heutigen Besitzer des besten, fruchtbarsten Bodens, den es vielleicht in der Welt gibt. Der Tummelplatz von Millionen von Schafen, Pferden und Kühen, der Boden für ein schon im Entstehen begriffenes neues großes Volk befindet sich heute im Besitz einer Handvoll Leute, die nichts weiter dafür gegeben haben als – eine Flasche Schnaps.
In Nord-Amerika waren die in jüngster Zeit besiedelten Ländereien meistens unbewohnt. Da konnte sich jeder einfach nehmen, soviel er brauchte. Jeder Erwachsene, Mann oder Frau, hatte da das Recht aus 160 Acker Land, so daß Familien mit 6 erwachsenen Kindern 1000 Acker gleich 400 ha beanspruchen konnten. Gegen die kleine Verpflichtung, einige Bäume zu pflanzen und zu pflegen, durfte jeder die doppelte Anzahl Acker (also 320) in Besitz nehmen. Nach einer Reihe von Jahren (6) wurden Besitztitel ausgeschrieben, und das Land war dann verkäuflich. Durch Ankauf solcher »Heimstätten« für billiges Geld (denn für eine Sache, die man so ohne weiteres überall in Besitz nehmen kann, konnte nicht viel gefordert werden) sind dann die Riesenfarmen von Tausenden von Hektar entstanden. Preis: eine Flasche Schnaps, ein Linsengericht. So besitzen zwei Luxemburger Bauern, die Herren Müller und Lux, in Kalifornien heute einen Landsitz so groß, daß Preußen und Lippe bequem darin Platz finden würden. Preis: eine Flasche Schnaps, ein Linsengericht.
Die Northern-Pacific-Eisenbahn erhielt von der Regierung die Genehmigung zum Bau der Eisenbahn umsonst, dazu noch die Hälfte des Landes, das sich rechts und links der Bahn hinzieht, und zwar 40 Meilen landeinwärts. Man denke: 40 Meilen rechts und links der ganzen, 2000 Meilen langen Bahn! Preis? Ein Schnaps? Nein, weniger als ein Schnaps – umsonst!
Bei der Kanada-Pacific-Bahn verhält es sich ähnlich. In der von dieser Bahngesellschaft ausgegebenen Flugschrift »Die neue Weltstraße nach dem Orient« heißt es S. 5: »Die Gesellschaft übernahm den Bau der 1920 Meilen, wofür sie von der Regierung eine Anzahl wertvoller Vorrechte und Freiheiten, ferner 25 Millionen Dollars in Geld, 25 (sage und schreibe fünfundzwanzig) Millionen Morgen Ackerland und 638 Meilen schon fertiger Eisenbahn erhalten hat.«
Wer nun etwa glaubt, daß als Preis dieser Leistungen die zu bauende Eisenbahn anzusehen wäre, der irrt sich gewaltig. Die erwähnte Flugschrift sagt, die ganze Bahn solle Eigentum der Gesellschaft sein. Aber wo, so wird man fragen, ist denn die Gegenleistung der geschenkten 25 Millionen Acker Land, der 25 Millionen Dollars in Geld, der 638 Meilen fertiger Eisenbahn und der wertvollen Freiheiten? Antwort: ein Schnaps, ein Linsengericht, die Verlustgefahr (Risiko) für die Verzinsung des Anlagekapitals.
So gingen hier durch einen Federstrich 25 Millionen Morgen Ackerland in den Privatbesitz über, in einem der fruchtbarsten, schönsten und gesündesten Länder. Man hatte sich nicht einmal die Mühe gegeben, sich das Land anzusehen, das da verschenkt werden sollte. Erst während des Bahnbaues »entdeckte« man die außerordentliche Fruchtbarkeit des Bodens, die Schönheit der Landschaft, den Reichtum an Kohlen und Erzen. Und das war nicht in Afrika, sondern in dem sonst durch seine treffliche Verwaltung rühmlichst bekannten Kanada.
So entsteht heute der Privatgrundbesitz in Ländern, von denen Europa so abhängig ist, wie von den eigenen Ackern.
Sollen wir nun, nachdem wir wissen, wie der Privatgrundbesitz heute entsteht, noch weiter danach forschen, wie er gestern entstand? » Peor es menearlo«, sagt der Spanier: schlimmer wird es, je mehr man darin herumrührt. Sollen wir die Kirche fragen, auf wieviel Grad die Hölle geheizt worden war, als die Sterbende ihren Landsitz der Kirche vermachte? Sollen wir die Grafen, Fürsten, Freiherren fragen, durch welche hochverräterischen Mittel sie vom schwächlichen, kranken Kaiser die Umwandlung des mit der Heeresfolge belasteten Lehens in lastenfreies Besitztum erwirkten; wie sie den Einfall räuberischer Nachbarn als hochwillkommene Gelegenheit benutzten, um vom Kaiser Vorrechte und Grundbesitz zu erpressen? » Peor es menearlo.« Es stinkt, wenn man darin herumrührt. Sollen wir die englischen Landlords fragen, wie sie eigentlich zum Grundbesitz in Irland gelangten? Raub, Mord, Hochverrat und Erbschleicherei, das wären die Antworten auf diese Fragen. Und wer mit diesen Antworten etwa nicht zufriedengestellt ist, dem werden die alten Mären und Trinklieder, der jämmerliche, körperliche und geistige Zerfall der Rasse die gewünschte, volle Auskunft über die Herkunft des Privatgrundbesitzes geben. Er wird sich überzeugen, daß unsere Ahnen eine Bande von Säufern waren, die das Erbe ihrer Nachkommen verjubelt haben und die sich den Teufel um das Schicksal der folgenden Geschlechter kümmerten. Nach uns die Sündflut, das war ihr Wahlspruch. Sollen wir nun die »altehrwürdigen« Zustände, die diese lustigen Brüder geschaffen haben, aufrecht erhalten, aus frommer Ehrfurcht vor den Flaschen, die dabei geleert wurden, aus Dankbarkeit für das verseuchte Blut, für die verkrüppelten Glieder, die sie uns hinterlassen?
Die Werke der Toten sind für uns nicht maßgebend; jedes Zeitalter hat seine eigenen Aufgaben zu erfüllen, übrigens auch gerade genug damit zu tun. Das tote Laub der Bäume fegt der Herbststurm fort, den toten Maulwurf auf dem Wege, den Mist der weidenden Herden verscharren die Käfer, kurz die Natur sorgt dafür, daß das Abgestorbene vernichtet werde, damit die Erde immer jung und frisch bleibe. Die Natur haßt alles, was an den Tod erinnert. Ich habe noch niemals beobachtet, daß das bleiche Gerippe einer dürren Fichte dem aufstrebenden jungen Geschlechte als Stütze und Leiter gedient hätte. Ehe noch das Samenkorn keimt, hat den dürren Baum der Sturm schon gestürzt. Im Schatten der alten Bäume kann das junge Geschlecht nicht gedeihen; kaum aber sind die alten gefällt, so wächst und gedeiht alles.
So laßt uns also mit dem Toten auch seine Werke und Gesetze begraben. Errichtet aus den alten Urkunden und Grundbüchern einen Scheiterhaufen und legt den Toten darauf. Der Sarg ist ein schlechtes, allzuenges Bett, und was sind die Gesetze und Grundbücher für uns anderes als Särge, worin die geistige Hülle unserer Vorfahren gebettet liegt?
Fort also ins Feuer mit dem vermoderten Plunder! Der Asche, nicht der Leiche, entsteigt der Phönix!