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Blake lachte, als ihm zum Bewußtsein kam, was Athertons Entdeckung bedeutete. Er fühlte plötzlich große Erleichterung. Wenn man erst einmal einen festen Punkt in der Sache hatte, würde sich das Weitere schon finden. Er hatte ja schon immer geglaubt, daß dieser Boyce Malvery mit dem Verschwinden Richards zu tun hatte.
»Ausgezeichnet!« rief er begeistert. »Das war wirklich ein Glückszufall!«
»Sie lag tatsächlich direkt vor meiner Nase, als ich dort saß.«
»Aber daß die Pfeife da liegt, beweist eigentlich noch nicht, daß auch ihr Eigentümer im Haus war«, sagte Blake plötzlich.
»Das mag im allgemeinen stimmen. Die Pfeife war aber noch warm! Es hatte jemand daraus geraucht, kurz bevor wir hereinkamen. Der Betreffende hat sie auf den Tisch gelegt, während er sich selbst versteckte.«
»Es wäre ja möglich, daß Boyce Malvery die Pfeife verloren und ein anderer sie gefunden hat«, meinte Blake. »Ich habe Boyce Malvery heute nachmittag auf der High Street gesehen, als er von seinem Haus zu seinem Büro ging. Und da rauchte er dieselbe Pfeife. Nein, ich gehe jede Wette ein, Blake, daß ich recht habe. Boyce Malvery war während unseres Besuches irgendwo im Haus versteckt. Ich werde wohl von jetzt ab meine Ansicht über ihn ändern müssen. Das ist doch eine sehr merkwürdige Geschichte. Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll.«
Er fuhr wieder schneller und kam bald zu der Garage, wo er seinen Wagen unterstellte. Es schlug gerade elf vom großen Turm der Kathedrale, als sie wieder auf die verlassene Straße hinaustraten.
»Kommen Sie doch noch auf eine halbe Stunde auf mein Zimmer«, schlug Blake vor. »Ich möchte gern noch einiges mit Ihnen besprechen, solange meine Erinnerung noch frisch ist.«
»Gut, ich begleite Sie. Ich hätte zwar gern noch bei Boyce Malvery vorgesprochen, um mich zu vergewissern, ob er zu Hause ist. Aber für Brychester ist es schon reichlich spät, und es hat auch keinen Zweck, seine Mutter und das Personal aus dem Schlaf zu stören.«
Sie gingen in das Hotel, und Blake bot seinem Gast eine gute Zigarre und ein Glas Whisky-Soda an.
»Nun, was haben Sie auf dem Herzen?« fragte Atherton, als sie gemütlich beieinander saßen.
»Erinnern Sie sich noch an die Bemerkung, die Gillian Clent über das Geld machte? Sie sagte doch, daß sie guten Grund zu der Annahme hätte, daß Dick Malvery ihr und ihrer Mutter das geliehene Geld zurückzahlen wollte.«
»Ja, aber ich legte dieser Äußerung keine besondere Wichtigkeit bei.«
»Glauben Sie nicht, daß das etwas mit dem Scheck zu tun hat? Könnte sie nicht die Zwischenperson sein, von der Dick den Scheck bekommen hat?«
»Das wäre möglich!« rief Atherton. »Die ganze Sache mit dem Scheck ist mir seltsam vorgekommen. Ich bin davon überzeugt, daß die beiden Pykes viel mehr wissen, als sie uns sagten, ebenso Gillian. Und ich habe kein Mittel, diese Leute zum Sprechen zu bringen!«
»Darin bin ich nicht so ganz Ihrer Meinung. Ich glaube, daß man sie zum Reden bringen kann!«
»Sie meinen, man könnte an ihr Gewissen appellieren und sie moralisch zwingen?« fragte Atherton lächelnd. »Ach, das ist doch Unsinn! Nein, ich denke an – Geld!«
»Man soll die Leute bestechen und ihnen soviel zahlen, daß es sich lohnt?«
»Nein, ich halte es für das beste, wir setzen eine wirklich hohe Belohnung aus. Hundert Pfund sind zu wenig. Und nebenbei hat sich der Fuhrmann Abinett ja diese Summe verdient. Wir wollen sie ihm morgen auszahlen. Und dann bringen wir eine neue Bekanntmachung heraus, die wir auch im ›Argus‹ und in den Lokalzeitungen veröffentlichen. Man muß die Begierde der Leute wecken und ihnen so viel geben, daß es sich lohnt, wie Sie sagen.«
»Vorausgesetzt, daß die Pykes und Gillian Clent wirklich etwas Wichtiges zu erzählen haben. Aber Sie müssen auch bedenken, daß diese Leute alle möglichen Rücksichten zu nehmen haben. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie nichts erzählen dürfen, ganz gleich, wie hoch die Belohnung ist, die Sie ihnen anbieten können.«
»Wollen Sie damit sagen, daß sich die Leute durch ihre Aussagen eventuell selbst belasten?«
»Vielleicht. Und das würde keine Belohnung aufwiegen können, selbst wenn sie eine noch so große Möglichkeit haben, mit heiler Haut davonzukommen.«
»Trotzdem werde ich eine höhere Belohnung aussetzen, und zwar diesmal tausend Pfund. Wir müssen auch den Text anders abfassen, denn wenn wir nur erfahren wollen, was Dick in der Nacht vom 27. Februar gemacht hat, würden die Pykes natürlich die Belohnung beanspruchen. Wir müssen also so sagen: ›Da es bekannt geworden ist, daß Richard Malvery an jenem Abend in Shilhampton war und eine Villa in Norman's Point um halb elf offensichtlich in der Absicht verließ, an der Küste entlang nach Malvery Hold zu gehen, werden demjenigen tausend Pfund ausgezahlt, der ihn nach dieser Stunde gesehen hat oder Angaben machen kann, die zu seiner Wiederauffindung, sei es lebendig oder tot, führen‹. Was meinen Sie dazu?«
»Ja, so ähnlich könnte man die Bekanntmachung abfassen. Wir müssen in Erfahrung zu bringen suchen, was aus ihm geworden ist, nachdem er von den Pykes fortging. Aber wollen Sie wirklich im Ernst eine so hohe Belohnung aussetzen?«
Als Blake nickte, nahm Atherton Papier und Feder und setzte den Wortlaut auf.
»Morgen in aller Frühe bekommt es die Druckerei.«
*
Am nächsten Morgen blieb Blake noch so lange in der Stadt, bis er sich davon überzeugt hatte, daß die neue Bekanntmachung überall an den Anschlagsäulen angeklebt war. Die Anschläge hingen in jedem Laden und in allen Lokalen aus, und kurz vor Mittag war die Sache in ganz Brychester bekannt. Die Leute schüttelten den Kopf und sagten, daß man wohl die Hoffnung aufgeben müßte, wenn auch jetzt das Verschwinden Malverys nicht aufgeklärt würde. Aber als Blake vor der Bank zufällig Daniel Pyke traf, lächelte dieser nur ironisch.
»Das hat alles keinen Zweck, Mr. Blake«, sagte er und zuckte die Schultern. »Auf diese Weise werden Sie es nicht herausbringen!«
»Warum denn nicht?«
»Weil die einzigen Leute, die die absolute Wahrheit über Dick Malvery wissen, schweigen, selbst wenn Sie ihnen zehn- und zwanzigtausend Pfund bieten.«
Blake dachte einen Augenblick über diese Antwort nach. »Vielleicht schreibe ich noch eine andere Belohnung aus. Wie wäre es, wenn ich demjenigen tausend Pfund verspreche, der mir die Leute nennt, die etwas wissen, es aber nicht sagen wollen? Was meinen Sie dazu?«
Daniel Pyke lachte und wandte sich zum Gehen.
»Ich muß jetzt zum Mittagessen!« Damit verabschiedete er sich.
Blake blieb stehen und fragte sich, wie viel die Pykes wohl in Wirklichkeit wissen mochten.
»Am Ende wissen sie überhaupt nichts Wichtiges«, sagte er sich. »Ich glaube, ich muß mich ganz auf mich selbst verlassen, wenn ich etwas herausbringen will.«
Am Nachmittag besuchte er Malvery Hold. Rachel lauschte seinem Bericht über die Ereignisse der beiden letzten Tage in hellem Erstaunen. Aber zu Blakes größter Überraschung zeigte sie keinerlei Verwunderung, als er ihr erzählte, daß Boyce wahrscheinlich am vergangenen Abend bei den Clents gewesen war. Sie lachte nur etwas bitter und sarkastisch.
»Das ist leicht möglich. Habe ich Ihnen nicht längst gesagt, daß das ganze Geheimnis von Dicks Verschwinden dort liegt?«
Sie gingen auf der Terrasse am Ende des verwilderten Gartens auf und ab, und bei den letzten Worten zeigte sie über die Bucht hinüber zu Clents Haus, das von hier aus gut sichtbar war.
»Dort ist ihm meiner Meinung nach ein Unglück zugestoßen«, sagte sie leidenschaftlich. »Erkunden Sie all die Geheimnisse dieses Hauses, so klein und unbedeutend sie auch sein mögen, und dann werden Sie wissen, was Sie wissen wollen.«
»Aber wie erklären Sie sich, daß Boyce Malvery gestern abend dort war? Warum geht er dorthin, und was hat er mit den Clents zu tun?«
»Wie soll ich das wissen? Ich weiß von Boyce Malvery nur, daß er nach dem Titel strebt, der mit dem Tod meines Vaters frei wird. Und nichts würde ihm mehr Freude machen als die Gewißheit, daß Richard den Titel nicht erbt. Sie könnten Boyce keine bessere Nachricht bringen, als daß Dick wirklich tot ist. Er hat ihn immer gehaßt, weil er ihm im Wege stand, und er lag immer auf der Lauer, um Dick zu schaden. Diese ganze Geschichte mit dem Scheck ist weiter nichts als ein gemeiner Plan, um Dick unmöglich zu machen. Ach, ich bin so verzweifelt! Nachts kann ich nicht mehr schlafen, weil ich nicht weiß, wo Dick ist, und manchmal glaube ich ihn mitten in der Nacht am Tor klopfen zu hören. Ich bin schon mehrere Male hinuntergegangen, um zu sehen, ob er vor der Tür steht.«
»Tun Sie das nicht«, bat Blake. »Das führt zu nichts Gutem. Sie müssen sich selbst fest in der Hand behalten und solche Anwandlungen unterdrücken. Sie sagen, das Geheimnis läge in Clents Haus. Aber wie könnte ich an diese Leute herankommen? Ich kann nicht in ihr Haus gehen und darauf bestehen, es zu durchsuchen. Wenn ich sie nur beobachten könnte, um irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, mag er auch noch so klein sein.«
Rachel, die düster über die Bucht hinüberstarrte, in der eben die Ebbe einsetzte, ging plötzlich von der Mauer fort, an die sie sich gelehnt hatte.
»Kommen Sie diesen Weg«, sagte sie. »Ich will Ihnen einen Platz zeigen, von dem aus ich das Haus der Clents oft beobachtet habe. Warum ich das tat, weiß ich selbst nicht.«
Sie führte ihn über die moosbewachsene Terrasse in ein dichtes Gebüsch, das sich bis nahe an die Bucht hinzog. Der Weg führte durch Gestrüpp und wurde offenbar selten benutzt. Schließlich kamen sie zu einem viereckigen, halbverfallenen Turm, der sich ein wenig über die Baumkronen erhob. Rachel stieß die Tür auf, und sie kamen auf einer Wendeltreppe zu einem Zimmer, in dem ein paar alte Möbel standen.
»Mein Großvater hat diesen Turm als Beobachtungs- und Wachtturm bauen lassen. Sehen Sie, hier sind Fenster nach Osten, Westen und Norden, und dieses vierte hier beherrscht die Bucht nach dem Meer zu. Schauen Sie einmal hinaus.«
Blake ging zu dem verstaubten Fenster und betrachtete die Aussicht. Er sah auf die Bucht hinunter und konnte die Barre sehen, die draußen vor der Mündung im Meer lag; er sah den brodelnden Strudel und die kleine Landzunge mit den Felsen, an die das Clentsche Haus gebaut war.
»Sie sehen, was das für ein guter Beobachtungsposten ist«, bemerkte Rachel. »Im vorigen Winter, als ich mich sehr elend fühlte und viele Sorgen hatte, kam ich häufig abends hierher, manchmal auch spät in der Nacht. Ich war dann ganz allein hier und konnte vieles beobachten. Und obwohl ich noch zu niemand darüber gesprochen habe, bin ich doch davon überzeugt, daß die Clents Schmuggler sind.«