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II

Zu Ostern kehrten Lux und Johanna nach Wien zurück. Marquart war der einzige, der um ihre Verbindung wußte. Sie hatte es ihm sogleich gesagt. Er war betroffen dagestanden und hatte lange zur Erde gesehen, und dann einige feierliche Worte gesprochen. Sie sollten in Schönheit von einander gehen. Johanna wußte, daß er bereits in andern Fesseln lag und daß sie in ihm einen Freund behielt.

Im Juli legte Lux zur großen Beruhigung seines Vaters die erste Staatsprüfung ab.

Es war natürlich, daß man in Klein-Lostitz an jede andre Frau eher als an Johanna gedacht hätte, die ganz aus dem Gesichtskreis geschwunden war. Dazu kam folgendes. Das Gerücht, ob wahr, ob verleumderisch, hat seine eigenen merkwürdigen Bewegungsgesetze und Wellenformen. Es berührt hier einen Kreis von Personen und läßt einen andern aus. Es tanzt gleich einem Schwärm böswilliger Kobolde um einzelne Menschen und umgibt sie mit einem Kranz lächerlicher oder pathetischer Geschichten, von denen sie selbst nichts wissen, läßt hier einzelne ganz aus, die nie etwas erfahren, hüpft gerade an dem vorbei, dem am meisten daran gelegen sein müßte, es zu kennen, läßt das Wesentliche fast immer unberücksichtigt, weiß alles, und alles falsch. Gerade in diesem Jahr wurden die Namen Johanna Berkheims und Marquarts wiederholt in Zusammenhang gebracht. Manche Leute hatten ja bereits früher ähnliches gehört, aber jetzt ward es für einen Teil der Personen, die die intellektuelle Gesellschaft Wiens bilden, eine – übrigens ziemlich gleichgültig aufgenommene – Tatsache. Wer über die Beiden unterrichtet war, wußte eben auch das. Daraufhin redete Christine Zimmermann dem Hofrat zu, sich gerichtlich von seiner Frau scheiden zu lassen; was er bisher nicht getan hatte, um jeden noch so leisen Skandal zu vermeiden. Er zögerte, weil er die aufregenden Formalitäten fürchtete, seine Schwägerin aber fand es um der Kinder willen unerläßlich. Frau von Gielowski, die den Winter im Süden verbrachte und durch einen Brief ihrer Freundin Krüsselberg unterrichtet wurde, wollte es nicht glauben; als sie später nicht mehr zweifelte, war sie aufs äußerste empört, weniger über die Tatsache, als über das, was sie Johannas unglaubliche Falschheit und gefährliche Verstellung nannte. Sie schrieb darüber an Marquart einen zwölf Seiten langen Brief, den er nicht recht verstand; weil darin kein Name genannt wurde, und nur viel von mißbrauchtem Vertrauen und Freundschaft die Rede war. Infolge dessen antwortete er lange gar nicht, und als er es schließlich tat, standen auch in seinem Brief nur große Anschauungen. Sowie er jedoch erfuhr, was seine alte Freundin gemeint hatte, suchte er sie sogleich auf und sprach sehr ernst mit ihr. Über die Tatsache weigerte er sich zu äußern, aber er versicherte sie, daß Johanna ein außerordentlicher Mensch sei und bat sie, ihr nie und unter keinen Umständen zu schaden. Sie erwiderte ihm, es sei nicht ihre Gewohnheit, andren Menschen Böses zu tun, und wie immer unter dem Zwang seiner Worte änderte sie ihre Ansicht vollständig, »verzieh« Johanna nicht nur, sondern sprach mit Begeisterung von ihr. Bei dem Besuch war ihr aufgefallen, wie elend Marquart aussah.

Helene und Carl Obrist hatten bei einem Aufenthalt in Wien gleichfalls von der Sache gehört und flüchtig darüber gesprochen. Helene, der Marquart unleidlich war, und die sehr mit Annita empfand, erinnerte ihren Mann, wie richtig das Vorgefühl gewesen, daß sie bei Richard Berkheims Hochzeit gehabt. Auch waren ihr von Ida bei ihrem Besuch in Klein-Lostitz Dinge über Johanna erzählt worden, die sie nicht vergessen hatte. Die Geschichte des Briefes und Marquarts Besuche. Das Mädchen hatte kaum gelogen, sie hatte die Dinge nur so erzählt, wie sie sie sah, und wie sie sich in einem feindseligen Gedächtnis unvermeidlich entstellen und ausschmücken. Was Helene gehört, erfüllte sie mit dem tiefsten Widerwillen: sie sah eine Frau, die nach beiden Seiten betrog.

Gleichzeitig hörte sie auch ganz zufällig von einem älteren Herrn, der sie nach ihrem Sohn fragte, daß er ihn im vergangenen Sommer in den Alpen mit einer Dame gesehen. Helene fühlte einen Stich. Sie konnte sich nicht enthalten, lächelnd zu fragen, wie die Dame ausgesehen hätte. Sie erhielt nur eine sehr unbestimmte Auskunft. Schlanke Erscheinung und dunkles Haar war alles, woran jener sich erinnerte. Eine schlanke Erscheinung und dunkles Haar wurden zu einem nebelhaften Bild, das sie seither verfolgte.

Johanna erhielt einen Brief vom Anwalt ihres Mannes, in dem er ihr mitteilte, daß der Hofrat die Scheidung begehre und sie aufforderte, sich »behufs einer Besprechung in seiner Kanzlei einzufinden«. In ihrer Einfalt ging sie tatsächlich hin; sie traf einen kleinen Herrn mit einer Glatze und braunem Vollbart, der sie erst in einem von trübem Gaslicht erleuchteten Zimmer warten ließ, in dem drei Schreiber vor mit Papieren bedeckten staubigen Tischen saßen, und dann sehr geschäftlich und wie ihr schien, nicht besonders höflich mit ihr sprach. Erst Lux sagte ihr, daß sie das nicht mehr tun, sondern gleichfalls einen Advokaten nehmen müsse. Ein Freund Marquarts übernahm ihre Vertretung.

»Es ist eine besondere Rücksicht Ihres Herrn Gemahls,« hatte sein Advokat gesagt, »daß er die Form einer einverständlichen Scheidung wählt.«

Die Folge dieser Rücksicht »auf sich selbst«, wie Lux höhnisch bemerkte, war die Qual der Versöhnungsversuche. Dreimal mußte sie Richard Berkheim begegnen.

Er saß mit einem starren gequälten Gesicht da, das streng erscheinen sollte, und vermied es, sie anzusehen. Johanna stand die ganze Zeit aufrecht, schlank und jugendlich in ihrem einfachen dunklen Kleide und sehr ruhig in ihren Reden, nur ihre Stimme bebte ein wenig. Sie gab auf die Fragen des Richters klare und aufrichtige Antworten. Er war die vor Aufregung bebenden Stimmen bei seinen Verhandlungen gewohnt; abgesehen von der sozialen Stellung der Personen machte die Sache keinen besonderen Eindruck auf ihn. Nur als Johanna sagte, »daß ihr Mann sich stets vortrefflich gegen sie benommen, daß sie ihn aber nicht liebe, und es daher für ihre Pflicht gehalten, von ihm fort zu gehen ...« sah er sie einen Augenblick scharf an. Der Schriftführer, ein junger Mann mit einem blonden Bärtchen verwendete kein Auge von ihr. Die Advokaten sprachen eine Weile leise miteinander; der Richter redete den Ehegatten vorschriftsmäßig zu. Dr. Quandl, der Vertreter ihres Mannes, hielt es für angebracht, einige Bemerkungen zu machen, bei denen Johannas Vertreter mit erregten Gesten und einem »Bitte, Herr Kollege, das halte ich für ganz unnötig« aufsprang, und auch der Hofrat, der Johannas unwilliges Erröten sah, winkte ab.

»Kinder sind keine vorhanden?« fragte der Richter.

»Nein,« entgegneten beide Advokaten zugleich.

Schließlich wurde die gerichtliche Scheidung ausgesprochen.

 

Lux verkehrte seit langem nicht mehr bei seinen Verwandten in der Stadt. Er war die » bête noire« der Familie geworden. Professor von Bauer war fast der einzige von seinen älteren Bekannten, den er noch gelegentlich besuchte. Der Professor war Junggeselle und bewohnte eine kleine Wohnung im Cottage. Er freute sich sehr, wenn Lux kam und hielt ihn gern zu einem einfachen Abendbrot, das er oft genug selbst bereitete. Mitunter vergaß er den Teekessel und eilte zu seiner Bibliothek, ein Buch aufzuschlagen, denn sie führten Diskussionen ohne Ende. Es gelang dem Professor nicht, Lux von seiner »Unbedingtheit« abzubringen, da dieser sich nie geschlagen gab. Er gab zu, daß er den pessimistischen Opportunismus des älteren Herrn nicht widerlegen konnte, und noch weniger seine historischen Entwicklungen – aber er sagte: »Logische Bücher und Systeme sind seit dem Anfang von den gescheitesten Menschen geschrieben worden – und immer hat ihnen das Leben den Boden unter den Füßen hinweggezogen und neue Elemente gebracht, an die sie bei ihrer Logik nie gedacht hatten,« oder er zitierte Marquarts: »Gründe sind überhaupt nicht wesentlich, auf die Tendenzen kommt es an!« oder stützte sich auf Bibers Anschauung, daß die Persönlichkeit allmächtig sei und man nur möglichst viel Persönlichkeiten erziehen müsse, die die Welt schon umgestalten würden. »Sozialistisch ist das nicht, was Sie da vorbringen,« sagte der Professor mit seinem scharfen Lächeln. Das war Lux gleichgültig. Er wollte sich auch von seinen eignen Theorien nicht knechten lassen. Er war sich dessen sehr wohl bewußt, daß all seine Gedanken nicht aus ihm selbst kamen, sondern aus den Büchern, die er las, und mehr noch fühlte er sich lebendig von Marquart und Biber beeinflußt. Diese beiden, die das gleichfalls wußten, sahen dennoch zu ihm mit Liebe empor, da sie in ihm den »Tuer ihrer Gedanken«, die »Verkörperung ihrer Ideale« erhofften ... weil all ihre Keime in ihm zu einer kristallklaren Blüte werden sollten.

»Achill ist mehr als Homer,« sagte Marquart paradox.

Für Biber hatte Lux ein eigentümliches Gefühl, die alte Verehrung mischte sich mit einer Art von Mitleid für den, der trotz allem Ringen nie zum Leben gelangte.

»Die Jahrtausende lasten auf mir,« sagte Biber seufzend.

»Ich wäre darauf stolz, wenn ich Jude wäre,« erwiderte Lux, »die uralte Tradition und der uralte Kampf ...«

»Die Tradition ist zerbrochen, und der Kampf war nur Leiden ...«

Sie entwickelten völkerpsychologische Theorien.

»Wir werden ja sehen, aus welcher Rasse der neue Heiland kommen wird,« sagte Biber, »vielleicht bleiben wir berufen.«

Luxens Gedanken flatterten wie farbige Wimpel an silbernen Stangen durch Morgenlüfte. Eine erlöste Menschheit zog an ihm vorbei.

»Oh Jahre der Jugend!« sagte Biber nochmals seufzend, im Gefühl seiner einunddreißig Jahre. Er gehörte zu denen, die nie jung und nie alt aussehen.

 

Fütterten ihn diese beiden mit Anschauungen und drängten sie ihm Bücher auf, wie Carlyle, Sören Kierkegaard, Ibsen und Nietzsche, – mit dem er lange rang, um sich zuletzt zu begeistern, – so vertiefte der Professor sein historisches und ökonomisches Wissen. Und das alles ward dann nach Kräften mit Johanna geteilt, für die Frau Krüsselberg nunmehr den Namen »der göttliche Blaustrumpf« gefunden hatte, der aber keinen Anklang fand. So vertieft waren sie beide in Liebe und in Lernen, daß es Johanna zuletzt auffiel, wie wenig Lux auf sein Äußeres achtete. Selbst die körperlichen Übungen, die er einst so geliebt, hatte er sein lassen. Sie hatte sich seiner Eleganz gefreut, und sie hielt es nicht für gut, daß er die Gesellschaft ganz aufgab. Er erwiderte, er brauche nur sie. Aber Johanna sagte ihm, daß sei eine Täuschung, er brauche eine allseitige Entwicklung, und niemandem tue es gut, immer nur in einer bestimmten kleinen Coterie festzusitzen. »Aus dem ›Tempel des Jubels‹, der ihr Zimmer für ihn war, aus der ›Höhenluft‹, die er bei ihr atmete, sollte er in den Alltag und Staub der Straße hinab, das verlange sie,« war seine Antwort. Und sie nickte. »Deine Gelenke dürfen nicht einrosten, Luxel! Du fängst an, Anlagen zum Ehemann zu zeigen, wenn du auch vier Straßen weit von mir wohnst.« Und sie trieb ihn hinaus, einerseits in Volksversammlungen und andrerseits in Gesellschaft.

Der Professor hatte einen Bruder, der Bankdirektor und gleichfalls mit Carl Obrist befreundet war. Dieser hatte eine kluge und liebenswürdige Frau, die Lux gerne sah und ihn oft einlud. Beide interessierten sich für ihn, und der Direktor sagte ihm einmal ernstlich unter vier Augen, daß er für ihn, sobald er nur das Doktorat gemacht, im Rechtsbureau seiner Bank eine Stelle bewahre. Lux dankte und sagte, er sei noch nicht so weit. Aber er mußte lachen, insbesondere, da er gleichzeitig vom Kommando seines Regiments eine Aufforderung erhielt, sich aktivieren zu lassen. »Meine Karriere ist gesichert, Johanna,« sagte er, »als was möchtest du mich lieber sehen, als General oder als Bankdirektor?«

»Du repräsentierst gut – das sichert dir jede Karriere,« meinte Biber lachend, dem er seine Aussichten, in, wie allgemein behauptet ward, so »schweren Zeiten« mitteilte.

Damit hing eine andre Frage zusammen. Er hatte für den Sommer eine Einberufung zu gewärtigen, und er war nicht sicher, ob er mit seinen Ansichten noch den Reserveleutnant spielen durfte. Biber fand seine Skrupel töricht. »Jeder Schritt auf dem Boden der heutigen Staaten ist ein Kompromiß. Du erkennst die bestehenden Mächte tatsächlich jeden Tag an. – Du kannst auch anders gar nicht wirken, als innerhalb des bestehenden Räderwerks.«

»Ich wirke nicht viel, wenn ich in blauen Hosen herumlaufe!« rief Lux.

»Dem entgehst du ja nicht!« sagte Biber.

»Der freie Mensch ist souverän, jede Form anzunehmen, die ihm zweckdienlich oder unvermeidlich scheint. Sie bindet ihn darum noch nicht.« Dies war Marquardts Ansicht, eine zweideutige Lehre, bei der Luxens Augen aufblitzten. »Ich kann jederzeit den Dienst verweigern, wenn er gegen mein Gewissen ist und mich vor ein Kriegsgericht stellen lassen,« sagte er zu Johanna. Die Entscheidung ward hinausgeschoben.

Eine Einladung des Direktors, die er auf Johannas Drängen annahm, führte ihn zum erstenmal nach langer Zeit wieder in den Ballsaal. Er war ernst und schweigsam geworden und fühlte sich in der Gesellschaft nicht heimisch. Er spottete seiner selbst, als er sich in einem der großen Spiegel im Frack sah. Andre Blicke fanden ihn nicht lächerlich. Während er unter einer Reihe in den Saal starrender Herren an der Wand stand und die Paare vorüberwirbeln ließ, trat ein junger Mann in der Uniform eines freiwilligen Dragoners an ihn heran und begrüßte ihn. »Sie erkennen mich nicht mehr, – Freddy Hogerath,« schnarrte er. Der junge Mensch weckte eine frohe Erinnerung, und Lux streckte ihm die Hand entgegen. Der Andre sprach über den Ball und machte sich darüber lustig, daß die Frau vom Hause auf ihren Einladungskarten »geborene Baronin Saarstein« hatte drucken lassen, während sie doch nur die Tochter eines lange nach ihrer Geburt geadelten Bankiers war. Er selbst nenne sich einfach Hogerath und hätte doch ein ganz andres Recht auf das »von«, nicht nur, weil sein Vater die eiserne Krone habe, sondern weil seine Familie schon vor zweihundert Jahren den kurländischen Adel besessen. Der Rittmeister hätte diesen Adel bereits erneuern lassen, er selbst warte noch, bis sein Vater sich vom Geschäft zurückgezogen, denn er wolle sich entweder der »Politik oder der Diplomazie (so sprach er das Wort aus) widmen.« Lux beglückwünschte ihn und ließ ihn stehen. Ihn hatte schon sein Vater in der Verachtung aller Titel erzogen. Ein Wort des Sozialisten, der ihn warten geheißen, fiel ihm ein. »Ein Grafentitel oder das Prädikat Exzellenz ist feiner als die blaue Tätowierung eines Indianerhäuptlings, aber zuletzt ist es doch ein und dasselbe.« Er mußte in der Erinnerung daran lachen beim Anblick der betitelten und uniformierten Menge. Bekannte Gesichter flogen unter den walzenden Paaren an ihm vorüber, und er mußte wiederholt grüßen. Er sah seine Cousinen Berkheim und Zimmermann und wurde von ihnen gesehen. Lux konnte ihrer nie ohne Spott gedenken, immer fiel ihm das Wort seines Bruders Hermann über sie ein: »Professorentöchter von Distinktion«. Er dachte nicht daran, liebenswürdig zu sein, und eine von ihnen zum Tanz aufzufordern. Da kam bei einer Damenwahl Gerti, die offenbar inmitten zahlreicher andrer Interessen ihre alte Liebe nicht vergessen hatte, rotbackig, ein wenig dicklich, mit freundlichen Lippen und Augen und schmachtenden Kopfbewegungen auf ihn zu und sagte: »Verachtest du uns so tief. Lux, daß du einen Tanz ausschlägst?« Lux lachte und versicherte sie, daß er sich sehr geehrt fühle. Er hatte nicht mehr getanzt, seitdem er damals mit Johanna in den Garten der Gielowska hinausgetanzt war – und einmal im Gebirge mit ihr unter Bauern und Bäuerinnen. Er führte die strahlende kleine Cousine bald an ihren Platz zurück. Dort saß Ida, hübsch und sehr blaß, neben ihrer Tante Zimmermann. Lux begrüßte beide, und die grelle Stimme der Hofrätin fragte, warum er sich nie sehen lasse. Er sprach von seinen Studien.

»Oh, lieber Herr Obrist,« sagte die Hausfrau, die eben hinzukam. »Reden Sie nicht von Ihren Studien! Man sieht Sie manchmal und nicht allein!«

Lux sah ihr scharf in die Augen. »Sind Sie gewiß, daß ich das bin, gnädige Frau, den man sieht?«

»Schon gut!« sagte Frau von Bauer und drohte ihm mit dem Finger. »Kommen Sie, führen Sie mich ins Buffetzimmer.« Auf dem Wege erfuhr er, weshalb Ida so blaß aussah. Frau von Bauer war darüber ganz erstaunt, daß Lux nicht wußte, daß infolge der Scheidung seines Onkels von »dieser schrecklichen Frau« Idas Verlobung mit dem jungen Hans Zigmalik zurückgegangen war. Die Eltern des Bräutigams hatten ihre Einwilligung widerrufen.

Mit seinem Geheimnis auf dem Herzen fühlte Lux eine vielfache Bewegung, Freude darüber, daß Frau von Bauer offenbar nichts ahnte, Hohn über diese zurückgegangene Verlobung, den Bräutigam, der sich dergleichen vorschreiben ließ, und die Erkenntnis, in welcher Gefahr er und Johanna schwebten, wenn tausend schädliche Zungen sich dessen, was diese Menschen nie verstehen konnten, bemächtigen würden. Er lief Spießruten in seiner Phantasie.

Er stand wieder im Tanzsaal und sah sich darin um. Es war ein großer Raum mit Rokokomöbeln; Spiegeltische mit Marmorplatten und geschweiften vergoldeten Füßen, und Sessel mit gelber Seide auf weißlackiertem Holz standen an den Wänden; die Türen öffneten sich weit in einen grünen Salon, in dem kostbare Bilder hingen, die auf Metalltäfelchen die Namen »Van Dyk«, »Van der Meer«, »Andrea del Sarto« und andre trugen: die Kollektion Saarstein. »Alles gefälscht«, hörte er einen Herrn mit braunem Bart und goldenem Kneifer zu einem andern mit grauem Spitzbart und langen grauen Locken sagen. Beide lachten.

Jeder Gast schien von den Leuten vom Hause Übles zu reden. Wozu gaben sie diese Gesellschaften? Der Direktor liebte diese Abende nicht; er gab sie seiner Frau zu Liebe, die danach Bedürfnis trug. Beim Anblick der Vasen und Bilder und Blumen, der Bedienten, die mit Tassen umhergingen, auf denen Eis und Limonade serviert wurde, dachte Lux, was dieser wertlose Abend kostete! Wenn es eine edle künstlerische Freude, ja wenn es nur eine wilde jauchzende Orgie gewesen wäre! Aber diese falschen Festtöne, diese geschminkte Freudlosigkeit! Höchstens ein Paar der jüngsten Mädchen hatten ein wirkliches Vergnügen.

Während die Blumen dufteten, die farbigen und weißen Seidenkleider, die blonden und schwarzen Haare, die lächelnden Gesichter, die bewegten Fächer an ihm vorüberglitten und die Musik wieder einfiel und der Tanz sich erneuerte, versank er in Träume. An die Wand gelehnt, glich er einer schönen Statue; etwas ehernes war in seiner Haltung, und der energische Mund bekam einen drohenden Zug. Im Traum zerstörte er diese bürgerliche Pracht: Flammen schlugen zur Decke empor. Mochten diese Parasiten mit Schrecken zu Grunde gehen! Ja, wer würde die Flammen legen? Er sah die Uniformen im Saal – französische Revolutionsheere sah er im Traum. Les Bleus! – die Zeit und die Männer, für die er schwärmte. Damals hatte es einen Sinn gehabt, Soldat zu sein. Konnte solch eine Zeit wiederkommen? Und hier bei diesem trägblütigen Volke? Er richtete sich zornig und verachtend empor. War es die Hitze, das ungewohnte Tanzen, der Wein, den er gleichfalls nicht mehr gewohnt war, was ihm so zu Kopfe stieg?

Eine Stimme riß ihn aus seinem Traum. Es war wieder Freddy Hogerath, der ihn bat, mit ihm zu kommen, weil seine Cousine ihn sprechen wollte. Lux stand vor Maria, die ihm freundlich die Hand reichte und den Sessel neben ihr zum Sitzen wies. Wer schon kam ein Tänzer und holte sie fort, und ihm folgte sogleich ein zweiter. Dem Dritten dankte sie und bat ihn sehr anmutig, sie zu entschuldigen, sie sei zu müde. Sie nahm Luxens Arm und ging mit ihm in den Wintergarten. »Ich will mit Ihnen reden.«

»Kommen Sie noch mit Frau Schmidt-Berkheim zusammen?« fragte sie, als sie unter Palmen und Blumen vor einem kleinen Springbrunnen standen. Es war für Lux nicht leicht, Johannas Namen so unerwartet ausgesprochen zu hören, ohne daß seine Nasenflügel zu beben begannen und seine Lippen sich schlossen. Er fühlte, daß Marias Blick mit lächelnder Aufmerksamkeit auf ihm ruhte, eine Aufmerksamkeit, die in ein leichtes Erstaunen überging. Er nahm sich zusammen und sagte:

»Ja ... Wünschen Sie ...?«

»Nur ihre Adresse. Meine Schwester ist hier und möchte sie sehen. Kommen Sie, ich will Sie meiner Schwester vorstellen.«

Aber die Schwester war nicht gleich zu finden, und man ging bereits zu Tische. »Sind Sie noch frei? Wollen Sie mein rechter Tischnachbar sein?« fragte Maria. Lux hatte sich vorgenommen, vor der Pause zu gehen, nun blieb er.

»Woran dachten Sie, als Sie vorhin an der Wand standen? Sie sahen wie ein zürnender Erzengel aus!«

»Können Sie sich den im Frack vorstellen?«

»Mein Gott, wenn wir gläubig und unwissend wären, würden wir die Engel vielleicht im Frack malen.«

»Da wir aber ungläubig und wissend sind ...«

»... Sollten wir keine Engel malen!«

Von dieser schwierigen Frage, über die Lux noch keine Ansicht hatte, kamen sie auf Toiletten zurück, und Lux konnte sich nicht enthalten, die ihre zu bewundern – ein Kunstwerk in weißer Seide, in Spitzen und Gold. »Weiß und Gold hinfort meine Fahne,« sagte der Offizier, der zu ihrer Linken saß; Maria und Lux wechselten jenen leisen Blick des Verständnisses, der in solchen Fällen zwischen Menschen, in denen ein Gran Bosheit ist, nicht vermeidlich bleibt. Maria gestand, daß sie kein Bild sehe, ohne die Kleidung der dargestellten Personen im Kopf zu behalten, daß ihr »Hirn-Kastel« ein Modejournal sei, das alle Kostüme wie Illustrationen vorrätig habe und beständig neue kombiniere. Sie sei auch nur zu ihrer Schneiderin nach Wien gekommen, obgleich sie auch in Innsbruck eine Hausschneiderin abgerichtet habe, mit der sie selbst arbeite. Darauf nahm der Herr zur Linken sie wieder in Anspruch. Als sie vom Souper aufstanden, blieb Lux zurück. Ehe sie sich trennten, lud Maria ihn dringend ein, sie ja gewiß in Innsbruck oder am Achsee zu besuchen. Er sah noch, wie die beiden in der Türe einem andern Paar begegneten, und wie eine junge Dame in einem schwarzen Seidenkleid mit dunkelgoldenem Haar sich mit einer Bewegung, die ihm königlich schien, zu Maria zurückwendete, während sie gleichzeitig mit der freien Hand ihr Kleid aufnahm.

Lux wollte nun gehen, da ereilte ihn der Professor und schleppte ihn ins Rauchzimmer, und so saß er noch zwei Stunden unter den Herren in allerlei Diskussionen, meist als Zuhörer, begleitete dann den Professor zu Fuß nach Währing und schritt wieder zurück.

Er dachte an das Bild in weißer Seide und Gold und an die königliche Bewegung der andern, – Marias Schwester hätte er vermutet, wenn sie ihr ähnlich gesehen hätte; Johanna sagte, die Schwestern wären einander sehr ähnlich. Oh Johanna! Ihr geradliniges Wesen hatte ihn ganz in die klassische Kunst gebannt – die Griechen bewunderte sie und Goethe und die Romantiker und die Kunst der früheren Jahrhunderte. Maria hatte von den modernen Engländern und Franzosen und von den Japanern gesprochen. Hatte er übrigens Zeit für diese Dinge? – Johanna vertrug auch Heine nicht, der ihm helle Freude machen konnte. Man mußte sie von solchen Einseitigkeiten heilen! Nein, sie gehörten zu ihr – so wie die Linien ihres Angesichts und ihres Leibes über der königlichsten Schönheit standen. Diese herbe Linie war es, in die die Natur für ihn das Geheimnis ihrer Schönheit eingeschlossen: seinem Wesen entsprach sie! Ho, Johanna! göttliches Geschöpf! die innerliche Königin! die helläugige, klargeistige – in Götterburgen über dieser Welt wohnend!

Er war dem Ende seines Weges nahe – die matterleuchtete Finsternis war allmählich einem bleichen Tage gewichen. Es war Anfangs März. Nun sah er die Sonne aus dem Morgendunst emporsteigen und die Ringstraßenhäuser ihm gegenüber in rötliche Schatten hüllen, während die Fenster der andern Seite in Glut brannten. Die breite Straße lag leer und licht vor ihm. Auf dem weißen Pflaster des Schwarzenbergplatzes kehrte ein Mann den Staub zusammen. »Schön bist du, meine Stadt!« dachte er, als er die Kuppel und die Säulen der Karlskirche zur Rechten sah und dann der dunklen niedrigen Kaserne entlang und neben den überhängenden laublosen Bäumen des Modenagartens, durch die wiederum die rote Sonne erglühte, unter dem hallenden Schwibbogen der Salesianergasse hindurchschritt.


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