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V

Der Achsee war ein dunkler kleiner See in den Voralpen, der sich lang und schmal zwischen mit hohen Tannen bewachsenen Ufern hinzog. Wenige Hütten lagen an seinen Ufern, von Holzfällern und Fischern bewohnt; irgend ein einsamer Jäger ging dem Ufer entlang; dann und wann fuhr eine mit Holz beladene Plätte langsam über seinen Spiegel hin. Die Villa Frau Hogeraths, halb Schloß, halb Bauernhaus, war das einzige größere Gebäude, und es schien klein, da sich hinter ihm kahl und hoch die Grisselwand erhob.

Auf der andern Seite des Sees waren Hügel, kaum mehr Berge zu nennen, und wenn man auf den Waldwegen ging, kam man zu neuen kleinen schilfreichen Seen, die zwischen dunklen Bäumen und Büschen lagen.

Als Johanna am ersten Tag erwachte, drang die Morgenluft der Höhen herb und kühl in ihr Zimmer. Die große Stille der Berge umgab sie. Das geweißte Zimmer mit den lichten Möbeln lag im Schatten der Bergwand – jenes eigentümliche, jäh-freudige Gefühl, jener Rausch, den die herbe Frische der Luft beim ersten Erwachen im Gebirge gibt, durchdrang sie.

Sie stand auf und trat ins Freie – ein großer langhaariger, gelb- und weißgefleckter Hund kam ohne zu bellen und ohne Feindseligkeit auf sie zu und folgte ihr. Sie stieg über mit grünlichem Moos bewachsene graue Steine, Geröll und Grasabhänge empor, und sah von oben auf das Dach des Hauses herab. Noch tiefer unter ihr lag der See und spülte gegen den Tannenwald. Einsame Vögel kreisten über ihm.

Auf einer fernen Wiese bewegten sich langsam braune und weiße Kühe, und von Zeit zu Zeit trug eine Luftwelle die Töne der Herdenglocken herüber.

Heißes Gold lag auf den Felsspitzen. Und hoch über ihr ragte die Wand starr und grau und öde in das unendliche weiße Blau des Himmels.

 

Als sie zurückkam, trat sie in den großen Saal im Erdgeschoß, in den vier Türen mündeten. Die Decke des Saales war mit dunklem Holz getäfelt. In einer Ecke war auch die Wand mit Getäfel verkleidet und vor niedrigen mit Kissen belegten Holzbänken stand ein Eichentisch und eichene Bauernstühle. Alte Stahlstiche und Holzschnitte hingen an den Wänden, an denen mächtige geschnitzte Schränke und Truhen standen.

Johanna betrachtete die Bilder, ein leichtes Geräusch ließ sie sich umwenden, und sie sah Elinor in der Türe stehen. Das Mädchen trug ein graues Lodengewand; das feine, dunkelblonde Haar war über Haupt und Schläfen zurückgestrichen; sie stand an den Türpfeiler gelehnt, die Hände hingen schlaff am Körper herab und die großen graubraunen Augen waren mit einem seltsamen Ausdruck von Schmerz und Glut auf Johanna gerichtet. Johanna fand, daß dies nicht ein augenblicklicher Ausdruck war, sondern der einer Stimmung, die im Grunde ihrer Seele lag und zum Vorschein kam, wenn sie ihr Gesicht unbeherrscht sich verraten ließ.

Johanna ging auf sie zu, und sie küßten sich beide zum erstenmal.

Sie waren beide Menschen, denen Zärtlichkeit nicht leicht fiel und umsomehr bedeutete. Die innige Heftigkeit dieser Freundschaft, die so plötzlich sich offenbart hatte, ward für beide ein tiefes Erlebnis. Auf seiten Elinors war es eine hingebende Glut, die sich in Blicken und Worten scheuer Bewunderung, in unermüdlichen kleinen Diensten und Geschenken für Johanna verriet; sie schmückte das Zimmer der Freundin mit Blumen, hängte ihre hübschesten Bilder hinein und war unablässig bemüht, sie mit Liebe zu umgeben. In tiefen, innigen Impulsen, im strahlenden Lächeln bei Johannas überraschtem Dank offenbarte sich das Glück, das sie empfand, wenn sie der Freundin einen Strauß am Morgen auf den Felsen gepflückter Alpenrosen ins Zimmer stellte, oder ihr ein kleines Schmuckstück aufnötigte, das Johanna gefallen hatte.

Johanna selbst blieb beherrschter und kühler, wie es ihrem Wesen entsprach, in dem nichts Anschmiegsames war. Aber sie empfand nicht minder tief einen neuen Reichtum, etwas Warmes und Liebes in ihrem Leben. Sie fühlte ganz eigentümlich für Elinor: es war nichts Mütterliches, nichts Schwesterliches in ihrer Freundschaft – eher ein männliches Beruhigen und Beschützen der Seele des aufgeregten Kindes.

Sie waren weniger allein zusammen, als sie erwartet hatte. Elinor hatte ihre streng vorgeschriebenen Arbeitsstunden, und Frau Hogerath liebte es nicht, allein zu sein; Elinor mußte viel mit ihr spazieren gehen oder an den langen Abenden bei ihr am Tische sitzen. Sonst legte sie ihnen kein Hindernis in den Weg, denn Johanna gefiel ihr durch ihre strenge Pünktlichkeit, ihr regelmäßiges Arbeiten und ihr ruhiges Wesen. Elinor fügte sich wortlos und wohlerzogen den Anordnungen ihrer Tante, aber nicht der leiseste Hauch von Zärtlichkeit war in dem Ton, in dem beide mit einander verkehrten.

»Ich muß mich fügen, bis ich majorenn bin,« sagte sie einmal erklärend zu Johanna. »Maria hat es mir gesagt, und ich habe es ihr versprochen. – Es sind noch sechs Jahre,« fügte sie schweratmend hinzu.

Sie gingen Arm in Arm über die Wiesen und den Waldwegen entlang, sie ruderten und badeten im See, obgleich Elinor da Johanna nicht folgen konnte, deren schlanker Leib wie ein schneller Fisch durch das Wasser fuhr. Elinor erschloß sich ihr nicht schnell; mühevoll, gleichsam stoßweise, kamen hier und da ein paar kurze Sätze; Johanna fühlte, wieviel in ihr rang und arbeitete, und sie empfand ein herbes Mitleid mit der, die so schwer sprechen konnte.

Sie saßen beide am Ufer. Da fragte Johanna, die sich des Gespräches am ersten Abend erinnerte: »Warum haben Sie damals die Puppen in den See geworfen?«

»Weil man mir verboten hat, damit zu spielen!«

»Warum?«

Elinor warf die Lippen auf. »Das Fräulein hat gefunden, daß ich schon zu groß bin, und die Tante auch.«

Johanna lachte: »Hat es Ihnen wirklich soviel Vergnügen gemacht?«

»Es waren meine Kinder,« sagte Elinor heiß und leidenschaftlich.

Johanna begriff das nicht; sie selbst hatte Puppen verachtet, aber sie sah, daß Elinor bei der Erinnerung Tränen im Auge hatte.

»Was mir Freude gemacht hat, hat man mir verboten; und was mir unmöglich war, hat man von mir verlangt. Ich habe nie ein Mieder tragen können. Was das gegeben hat! Ich habe alle zuletzt zerrissen und zerschnitten. Das habe ich durchgesetzt, denn ich habe es nicht ertragen, aber was bin ich gestraft worden! Oder beim Zeichnen – ich habe zeichnen wollen, der Professor hat mir Vorlagen gegeben; ich aber habe Blumen und andere Sachen abzeichnen wollen; der Professor hat gesagt, ich bin noch nicht so weit. Die Vorlagen hab ich nicht gezeichnet – da hat die Tante den Professor weggeschickt und mir das Zeichnen ganz verboten.«

Am selben Abend saß Johanna bei Frau Hogerath.

»Ich habe für diese Kinder alles getan, was ihre eigene Mutter für sie hätte tun können,« sagte Frau Hogerath. »Sogar mehr, denn ihre eigene Mutter hat ihnen nichts Gutes getan! Tag und Nacht habe ich ihnen meine Gedanken gewidmet und jedes Wort, daß ich zu ihnen sprach, war überlegt. Sie haben es mir nie gedankt, aber ich habe mein Bewußtsein.« Die große Frau mit dem seinen weißen Teint – ihre Haut glich Elfenbein – kreuzte die Hände über der Brust und starrte ins Feuer.

Es war kühl in den Bergen trotz der Jahreszeit, und im Kamin krachten die Scheite, während zum Fenster noch die letzten Strahlen der Abendsonne hereinfielen. Johanna dachte, mit welcher Liebe sie selbst Ida entgegengekommen war, und wie ihr erwidert worden war und wunderte sich über das Leben.

»Ich kenne Ihre Geschichte, Frau Berkheim,« sagte die Hausfrau plötzlich zu ihr, »Sie sind geschieden?«

»Ja,« sagte Johanna, die an den gerichtlichen Ausdruck nicht dachte.

»Sie sind katholisch?«

»Ja.«

»Sie können also nie wieder heiraten!«

»Ich weiß es, gnädige Frau,« erwiderte sie.

Warum sagte man ihr das immer wieder?

»Jeder Mensch muß wissen, was er auf sich nehmen kann,« sagte Frau Hogerath, sie aufmerksam betrachtend. »Ich billige solche Schritte sonst nicht – aber den Ihren verstehe ich.«

Wer hatte ihr von den Kindern etwas gesagt, oder was konnte sie sonst meinen?

Frau Hogerath begann mit ihr über Kinder und Ehen zu sprechen, als Elinor eintrat.

Mit einem Blick auf das junge Mädchen brach Frau Hogerath das Gespräch ab. Johanna mußte lächeln.

Elinor brachte Briese, darunter einen für Johanna, den sie ihr mit einem eigentümlichen Blick reichte. Während Elinor und die Tante ihre Briefe lasen, ließ Johanna den ihren aufgeregt eine Weile vor sich liegen; er war von Marquart. Sie wollte ihn hier nicht öffnen, wollte nicht damit aus dem Zimmer gehen. Endlich, als ob sie dort besser lesen könnte, trat sie mit dem Brief ans Fenster.

Es war ein Schreiben voll Bitterkeit und Sehnsucht – demütiger und herrischer Sehnsucht und dazwischen die Ankündigung großer Dinge, neuer Schriften, die er begonnen, die der Welt etwas von ihm sagen, die sie freuen würden. Und dann wieder Vorwürfe über ihr abschiedsloses Gehen und eine Warnung vor den Menschen, unter denen sie weilte. »Du meine schöne kühle Heilige,« so schloß der Brief, »die ich inbrünstig liebe und verehre wie der einsame Mönch das Bild der Jungfrau – meine Narcissa, mein erzürntes Marmorbild, dessen weiße Füße ich küsse ... Ich weiß ja doch, wie heiß die kühle Heilige werden kann! – Wann kehrst du zurück, Johanna? Du magst fliehen, so weit du willst – ich halte dich in meinen Armen, ich küsse dich, Johanna!! – Du, du, nur du hast meinem Leben seine höchste Lust, seinen bittersten Reiz gegeben, und du wirst wiederkommen, Johanna!«

Flammendes Rot übergoß Johannas Gesicht – und sie ward zornig über die heftige Bewegung, in die der Brief sie versetzte. Sie wagte nicht, sich umzuwenden. Erregte Worte tönten hinter ihr und rissen sie aus ihrer Betäubung.

»Du hast auch einen Brief von Maria, gib ihn mir.« Elinor schien wie erstarrt, sie öffnete die Lippen und hielt den Brief an den Leib gepreßt. »Nein, Tante, ich kann nicht,« sagte sie.

»Ich habe lange keinen Brief von dir verlangt, und du weißt, ich bin nicht neugierig, aber eine geheime Korrespondenz darf es nicht geben, hörst du?«

»Der Brief ist nur für mich geschrieben.«

»Ich bin überzeugt, daß Maria dir nichts schreibt, was ich nicht lesen kann.«

»Aber er ist nur für mich,« wiederholte Elinor mit Aufregung.

Ihr Gesicht wurde blutrot und wieder blaß. »Bitte, Tante Karoline, verlange den Brief nicht,« stammelte sie.

Die Tante klopfte auf den Tisch. »Wie lange muß ich noch warten –«

Elinor nahm den Brief aus dem Couvert; ihre Finger zitterten, sie beugte sich in dem Sessel vorwärts, streckte mit einer raschen Bewegung den Arm aus, und der Brief flackerte im Kaminfeuer.

Auch das Gesicht der Tante wurde weiß. »Geh auf dein Zimmer, Elinor,« sagte sie mit großer Beherrschung.

»Sie sehen!« sagte sie zu Johanna, als Elinor gegangen war.

»Ich kann sie begreifen,« erwiderte Johanna erregt.

»Ich hätte den Brief nicht gelesen,« sagte Frau Hogerath.

 

Der nächste Tag war ein Sonntag. Die Männer und Frauen aus den braunen verwitterten feuchten Holzhütten gingen ins Tal zur Kirche und grüßten die »Herrschaften«, denen sie auf dem Waldweg begegneten.

»Sie sind Protestantin wie Ihre Tante?« fragte Johanna.

»Nein,« sagte Elinor, »ich bin Heidin. Ich war protestantisch, aber Maria und ich, wir sind Heiden.« Sie sagte das so ruhig, als ob sie etwas ganz Alltägliches, ihre Zugehörigkeit zu einer wohlbekannten Konfession ausgesprochen hätte. Johanna mußte lachen.

»Ich glaube, ich bin auch eine Heidin,« sagte sie schließlich.

»Sie kennen den Doktor Marquart; nicht wahr?« fragte Elinor.

»Ja.«

»Haben Sie ihn gern?«

»Er hat mir viel geholfen und viel gegeben,« sagte Johanna. Sie wunderte sich, wie ruhig sie sprach.

»Uns auch. Er hat uns zu Heiden gemacht.« Sie erzählte, daß man sie bis dahin in dem strengen Gedanken erzogen, daß sie an sich schlecht und sündig seien, daß sie jeder eigenen Regung mißtrauen und der eigenen Natur nie folgen dürften. Und das sei entsetzlich gewesen – ein ewiges inneres Feuer – ein Wechsel von heißen Gebeten und Beschämungen qualvollster Art. Von dem Gefühl inbrünstiger Hingabe, das ihre kleinen Mädchenseelen sich fast als Englein im Himmel fühlen ließ, stürzten sie wieder zu tagelanger Marter ihres Sündenbewußtseins herab – – sie hätten oft nicht zu sprechen, nicht aufzuschauen, einander nicht anzublicken gewagt – jedes Spiel, jedes Lachen, jede Freude an einer süßen Speise schien Verderbnis. Da kam Marquart als berühmter Lehrer ins Haus. Alles, was früher langweilig gewesen, ward interessant, und bald spähte er tief in die Seelen seiner jungen Zöglinge und entdeckte die Qual, an der sie litten, und sagte ihnen mit lachendem Mund und mit der Autorität, die er bereits über sie gewonnen hatte, das sei alles nicht wahr: sie seien gut und alles um sie her sei gut und schön, nur die Menschen hätten diesen schrecklichen Unsinn in die Welt gebracht, und wenn sie sich für schlecht hielten, würden sie auch sicher schlecht werden. Und er hatte ihnen von den alten Göttern und von der Natur erzählt – und so seien sie Heiden geworden. Dann aber sei es herausgekommen, weil sie beide sich geweigert, weiter in die Kirche zu gehen, und die Tante Karoline habe Marquart einen »Seelenvergifter« genannt, und er sei aus dem Hause gekommen.

»Und dann ist damals noch etwas Schreckliches geschehen,« fügte sie hinzu.

»Etwas Schreckliches?«

»Ja, etwas Schreckliches, etwas, wovon ich nicht sprechen kann. Da bin ich dann in die Pension gekommen.« Sie versank in Schweigen. »Es gibt Sachen, von denen ich auch mit Maria nicht sprechen kann, und doch möchte ich einmal mit Ihnen darüber sprechen. Ich habe Sie lieb.«

»Oh lieber Schatz!« sagte Johanna, und sie küßten sich und sagten sich »du«.

Als sie nach Hause kamen, kramte Elinor unter ihren Sachen und wählte einen Halsschmuck aus altem Silber – eine kleine zarte Frauengestalt beugte sich darauf zu einem Quell – für Johanna, den diese sogleich anlegen und tragen mußte.

»Das hat mein Vater gezeichnet,« sagte sie, »und aus dem brennenden Haus mit mir gerettet.«

»Davon hast du mir nie erzählt!«

»Ich war fünf Jahre alt. Oh, was wir als Kinder alles durchgemacht haben – auf dem Meer und in London, wo Vater so arm, und Mutter so krank war ... Ich bin in London auf die Welt gekommen. Oh ... ich sehe noch die Lichter und das Wasser. – Und wie wir uns verloren haben, Maria und ich; ganz allein sind wir zwei Kleinen durch die Straßen gegangen und sind auf die Polizei gebracht worden ...«

Erstaunt sah Johanna auf das Kind, das solch eine Vergangenheit hatte! Wie reich an Bildern von trauriger Schönheit und heftigen Kontrasten war ihre Erinnerung bereits! Manchmal begann sie davon zu erzählen, aber von ihren Eltern sprach sie nicht wieder.

»Ich bin eine Hogerath,« sagte sie einmal, »und allen Hogeraths begegnet immer viel im Leben. Und ich will auch alles auf mich nehmen, ich will das werden, wozu ich da bin ... aber« – ein leises Lachen flog über ihr Gesicht, und sie sah Johanna nicht an.

»Was, Schatz?!«

»Ich möchte einmal sehr glücklich sein,« sagte Elinor noch immer leise lachend.

In der Vergangenheit floß diese Zeit für Johanna zu einem wechselnden Bilde zusammen: Sie sah die hohe schroffe Wand, über der hie und da ein Raubvogel schwebte, sie sah die düsteren Tannen regungslos im mittagsstarren See gespiegelt, und sie sah das einsame Wasser selbst, das manchmal heiß und blau in der Sonne schimmerte und des Abends wie ein schwarzes Juwel aus dem dunkelsten Grund goldene und purpurne Strahlen schoß, sah, wie es bleigrau vor dem Gewitter und weiß und bräunlich schäumend im Sturme lag.

Und durch diese Bilder schritt Elinor mit dem scheuen sehnsuchtsvollen Mund, den heißen Augen, und dem dunkelgoldnen Haar, das sie niemals offen tragen wollte, »weil es doch nicht so schön wie das Marias sei.« Und in ihren Augen lag in Johanna's Erinnerung ein fragender Ausdruck: »Was hast du mir gebracht, und was bringst du mir noch, du mein Bruder in Frauengestalt?« und Johanna hatte das Gefühl, als verschlängen sich leise Fädenanfänge zu einem Schicksal ohne gleichen.

»Ich wollte, ich wäre ein Mann und brächte dir Liebe,« dachte sie – »denn das wäre die Erlösung, die dir not tut. Aber welche Tragödien werden kommen, wenn du lieben wirst!«

Oh, Johanna war reif geworden für ihre fünfundzwanzig Jahre! Sie kam sich alt vor in ihrer Lebensweisheit – aber mußte sie nicht sich reif geben in ihrer Freundschaft mit diesem Kinde? Ihr eigener Schmerz und ihr eigenes Lebenverlangen lagen tief verborgen und halb vergessen in ihr. Und dann: im innersten zweifelte sie nicht an ihrer Kraft dem Leben gegenüber, es zu ergreifen, wie es zu ertragen.


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