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Helene und Johanna gingen neben einander, und Helene beobachtete die schweigsame junge Frau.
»Ich muß Ihr Gesicht schon irgendwo gesehen haben,« sagte Johanna plötzlich.
»Sonderbar! ich habe ganz dasselbe Gefühl,« erwiderte Helene, »aber ich wüßte nicht wo.« Sie sahen einander an und lächelten.
»Nein! was für wundervolles Haar Sie haben!« rief Johanna. Helene hatte keinen Hut auf, und ihre dichten goldblonden Flechten glänzten wie eine Krone um ihr Haupt. Sie gingen neben Rosenstöcken hin, die in Reihen gezogen waren, und Johanna brach von den vollen, schweren, duftenden Blüten und bot sie der Frau an, die ihr so wohl gefiel. Wieder sahen sie einander in die Augen, und Helene wollte sie umarmen und küssen, aber sie besann sich, ehe der Impuls Bewegung geworden: irgend etwas hielt sie zurück. Ihr war in diesem Augenblick, als liege etwas Hartes und Drohendes in dem Ausdruck des jungen Gesichtes; es war vielleicht nur ein starrer Schatten, den die grelle Augustsonne warf, aber ihre zärtliche Regung ward zurückgedrängt und unfreundliche Gedanken in ihr wachgerufen. Johanna aber ging bereits wieder zwischen den Stöcken hin und griff nach Rosen. Sie trug ein weißes Morgenkleid, das dicht unter der Brust durch ein Band zusammengehalten war und das sie sehr gut kleidete. Mit ihrem kurzen schwarzen Haar, das vom frühen Bade noch offen hing, sah sie ungewöhnlich aus, und es war ein herber Reiz um sie.
»Was für eine Zukunft mag vor dir liegen! wie viel Unheil wirst du noch über dich und andre bringen!« dachte Helene. Denn daß dieses Geschöpf mit den kräftigen Schritten und den kühnen suchenden Augen nicht ruhig in dem Netz bleiben würde, in dem es sich verfangen, daran zweifelte sie nicht. Und sie zürnte ihr in diesem Augenblick um das, was sie getan, mochte es Torheit oder Niedrigkeit gewesen sein.
Lux ward unten sichtbar, wie er längs dem weiten schimmernden blauen Wasser, auf dem die Morgensonne funkelte, dahinschritt. Er schwang seinen Hut, und die Frauen winkten ihm.
»Hat er Ihnen viel Mühe verursacht?« fragte Helene.
»Gar keine. Er ist ein so lieber Kerl. Er hat Leben in unser Haus gebracht,« antwortete Johanna.
Das war ein direkter Weg zum Herzen der Mutter. »Nicht wahr, das bringt er? er ist wie die Freude!« sagte sie glücklich.
»Wissen Sie, was ich manchmal denke? Werden Sie mich verstehen? Ich glaube, man sieht ihm an, wie lieb Carl und ich uns gehabt haben ...«
Johanna sah rasch mit einem fragenden Blick nach ihr hin.
»Oder haben; wenn Sie wollen,« fügte Helene lächelnd hinzu. »Es ist nichts gestorben, und ich will nicht mißverstanden werden.«
Johanna schwieg. Lux kam ihnen bereits entgegen, er hatte Blumen in seinen Hut gesteckt und hielt eine Menge Seetang und Binsen in den Händen.
Helene ergriff seinen Arm: »Daß dieser große Junge mein Sohn sein soll! Nun führe mich, Herr! –« Lux lächelte, als er auf die »kleine Mutter« herab sah. »Nun müssen Sie mich entschuldigen,« sagte sie, »ich muß mit meinem Jungen allein sein und mich mit ihm ausplaudern.«
»Aber bitte!« sagte Johanna. Sie sah den beiden nach und ging dann langsam und sinnend durch den Garten zurück. Die beiden Männer saßen auf der Terrasse und rauchten.
»Nun, lieber Richard, glaubst du noch immer an die Medizin?« fragte Carl. »Glaubt er noch immer daran, gnädige Frau?«
»Ich denke, er glaubt daran!« erwiderte Johanna ernst, indem sie den Fragenden staunend ansah.
»Freilich, er muß ja so tun, denn er lebt ja davon – aber unter uns könnte er doch die Wahrheit gestehen! So lange die Ärzte den Schnupfen nicht heilen können und den Haarausfall, so lange glaube ich nicht an sie ...«
»Ich streite nicht mit dir,« sagte der Hoftat lächelnd. Im Grunde war ihm die leichtfertige Rede über ernste Dinge zuwider.
Sie konnten nicht zusammen sein, ohne zu sticheln. Bei Tische stritten sie über Politik. Doch das war ein Thema, das Carl aufregte. Er hatte der Linken angehört und sich dann der Richtung Fischhofs und des Freiherrn von Walterskirchen angeschlossen und darüber sein Mandat verloren. Nun sah er zornig den »Zerfall Österreichs« und auch auf die Liberalen war er nicht gut zu sprechen.
»Ich war liberal, ich bin liberal und ich werde liberal bleiben,« sagte der Hofrat ruhig.
»Ja, euch ist nicht zu helfen,« erwiderte Obrist. »Ihr werdet sehen, wieviel von euch übrig bleiben werden. Aber du, du bist ja ein Knäblein in diesen Dingen. Doktrinäre Theoretiker, wie du, werden ja von den Geschäftsleuten nur zum Aufputz auf dem Wahlaufruf verwendet! ...«
Und Obrist gab eine Charakteristik des liberalen Österreichers mit seiner falschen Liebenswürdigkeit und seinen unsicheren Doktrinen, seinem ungewissen Verhältnis zum Militarismus, zur Polizei, zur Kirche, zu den Juden, die er nicht leiden kann und denen er schmeichelt ... Er schilderte ehemalige Kollegen, »Leute, die Pardon! sagen, wenn man ihnen auf den Fuß tritt!«
Helene und Lux lachten, aber der Hofrat ärgerte sich.
»Es ist doch die einzige Partei,« sagte er, »die in Österreich ernste Politiker hervorgebracht hat.«
»Schöne Politiker!« rief Obrist. »Die Deutschen in Österreich sind überhaupt unfähig, irgend einen politischen Gedanken mit seinen Konsequenzen zu denken!«
Damit waren sie bei der Nationalitätenfrage angekommen, und der Streit der Männer wurde so heftig, daß es den Frauen unbehaglich ward. Carls Art zu sprechen verwirrte Johanna. Er sprang nervös von einem Gegenstand zum andern, und zwischen Witz und Heftigkeit wußte sie nie, was er ernst meinte. Aber als er später mit ihr durch den Garten ging, war er ganz verändert; nun war er nur ein ritterlich freundlicher Begleiter, in dessen leuchtenden Augen und vornehmen Bewegungen sie Lux wiederfand.
Die Besucher blieben nur bis zum nächsten Tage. Abends hatten die zwei Männer eine längere Unterredung.
Als Johanna ihrem Mann sagte, daß Carl Obrist ihr nicht ganz verständlich sei, sagte der Hofrat, daß »überhaupt nicht soviel dahinter sei.«
»Das ist lauter Feuerwerk,« bemerkte er.
»Aber witzig!« sagte Johanna.
»Aller Witz ist unfruchtbar.«
»Er muß doch ein sehr gescheiter Mensch sein, und nach dem, was er erzählt, auch sehr tätig,« widersprach sie.
»Und mit all seiner Gescheitheit und seiner Tätigkeit bringt er es zu nichts. Er ist schon wieder in einer schlimmen Lage. Darum ist er so nervös und heftig.«
»Du hast ihm geholfen!?« fragte Johanna mit plötzlicher Erkenntnis.
»Ich frage mich, ob es vernünftig war – das Geld ist wohl verloren.«
»Wie gut du bist!« rief sie. »Ich freue mich, daß du das getan hast.«
»Ich weiß nicht, ob man sich freuen soll, einem Narren geholfen zu haben. Ein hoffnungsloser Verschwender! Aber es hat mir um seine Frau und um die Kinder leid getan.«
Der lieblose Ausdruck erstickte das freundliche Gefühl, das Johanna bewegte. Ihr Mann war wirklich gut – aber es tat ihm doch immer um das Geld leid, das er hergegeben hatte, und das mißfiel ihr. Sie wollte eine freudige Großmut. Ja, eine leichtsinnige hätte sie mehr angezogen – eine Großmut, wie es die Carl Obrists für seine Arbeiter war. »Es ist leicht von fremdem Geld großmütig sein,« sagte ihr Mann.
Die Abreise der Gäste brachte Johanna eine ungeahnte Erregung durch den Eindruck des Bildes, das sie boten. Sie gehörten so innig zusammen, Vater, Mutter und Sohn. Schlank und schön stand Lux zwischen seinen Eltern, ein lebendiges Versprechen kommender Kraft und Herrlichkeit – und sie standen neben ihm, wie am gleichen Zweige zwei schöne herbstliche Blüten um eine strahlende Frucht. Und in bitterer Verzweiflung floh Johanna über die abendlichen Hügel, da ihr zum erstenmal die Erkenntnis der Unfruchtbarkeit und Unheiligkeit ihrer Ehe und ihres Lebens aufdämmerte.