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Nachspiel
Alles geht weiter

Soll man Holz stehlen? Lämmchen verdient groß und gibt ihrem Jungen Beschäftigung

Nichts ist zu Ende: das Leben geht weiter. Alles geht weiter. Es ist November, es ist das Jahr darauf, vor vierzehn Monaten machte Pinneberg bei Mandel Feierabend. Es ist ein dunkler, kalter, nasser November, gut, wenn das Dach heil ist. Das Laubendach ist heil, Pinneberg hat es geschafft, er hat das Dach vor vier Wochen frisch geteert. Jetzt ist er wach geworden, das Leuchtzifferblatt des Weckers zeigt dreiviertel fünf. Pinneberg lauscht auf den Novemberregen, der auf das Laubendach prasselt und trommelt. »Hält dicht«, denkt er. »Habe ich fein hingekriegt. Hält dicht. Regen kann uns jedenfalls nichts tun.«

Er will sich befriedigt umdrehen und weiterschlafen, da fällt ihm ein, daß er von einem Geräusch wach geworden ist: die Gartentür hat gequietscht. Also wird Krymna gleich klopfen! Pinneberg faßt Lämmchen, die im engen Eisenbett neben ihm liegt, beim Arm, er versucht, sie sachte zu wecken. Aber sie fährt doch zusammen: »Was ist los?«

Lämmchen hat nicht mehr das fröhliche Wachwerden von ehemals; wenn man sie außer der Zeit weckt, wird es schon etwas Schlechtes sein. Pinneberg hört sie hastig atmen: »Was ist los?« »Leise!« flüstert Pinneberg. »Sonst wird der Murkel wach. Es ist noch nicht fünf.«

»Was ist denn?« fragt Lämmchen wieder und ist etwas ungeduldig.

»Krymna kommt«, flüstert Pinneberg. »Soll ich nicht vielleicht doch mitgehen?«

»Nein, nein, nein«, sagt Lämmchen leidenschaftlich. »Das ist ausgemacht, hörst du! Nein! Mit Stehlen fangen wir gar nicht erst an. Ich will das nicht ...«

»Aber ...«, wendet Pinneberg ein.

Es klopft draußen. »Pinneberg!« ruft eine Stimme. »Kommst du mit, Pinneberg?«

Pinneberg springt auf, einen Augenblick steht er zweifelnd.

»Also ...«, fragt er an und lauscht.

Aber Lämmchen antwortet nicht.

»Pinneberg! Mensch! Penner!« ruft der draußen.

Pinneberg tastet sich im Finstern auf die Veranda, durch die Glasscheiben sieht er den dunklen Umriß des anderen.

»Na endlich! Kommst du mit oder nicht?«

»Ich ...«, ruft Pinneberg durch die Tür, »... ich möchte ...«

»Also nein.«

»Versteh schon, Krymna, ich würde, aber meine Frau ... Du weißt doch. Frauen ...«

»Also nein!« brüllt Krymna draußen. »Denn nicht! Gehen wir eben alleine!«

Pinneberg sieht ihm nach. Er kann gegen den etwas helleren Himmel die klobige Gestalt von Krymna erkennen. Dann quietscht die Gartentür wieder und Krymna ist von der Nacht verschluckt.

Pinneberg seufzt noch einmal. Ihm ist sehr kalt, daß er hier im Hemd steht, kann nicht gut sein. Aber er steht da und starrt. Drinnen ruft der Murkel: »Pepp-Pepp! Memm-Memm!« Leise tastet sich Pinneberg in das Zimmer zurück. »Murkel muß schlafen«, sagt er. »Murkel muß noch ein Weilchen schlafen.« Das Kind atmet tief auf, der Vater hört, wie es sich im Bett zurechtlegt. »Püpping«, flüstert es leise. »Püpping ...«

Pinneberg müht sich im Dunkeln, die kleine Gummipuppe zu finden. Der Murkel muß sie beim Einschlafen in der Hand halten. Er findet die Puppe. »Hier, Murkel, ist Püpping. Halt Püpping gut fest. Nun schlaf schön ein, mein Murkel!« Das Kind stößt einen Laut aus, befriedigt, glücklich, gleich wird es eingeschlafen sein.

Auch Pinneberg geht wieder ins Bett, er bemüht sich, da er so kalt ist, jede Berührung mit Lämmchen zu vermeiden, er will sie nicht erschrecken.

Da liegt er nun, er kann nicht mehr einschlafen, es lohnt sich auch nicht mehr recht. Er denkt über alles mögliche nach. Ob Krymna sehr wütend ist, daß Pinneberg nicht mit ihm zum »Holzholen« gegangen ist, und ob Krymna ihm sehr schaden kann in der Siedlung. Dann, woher sie das Geld nehmen für die Briketts, da sie nun kein Holz kriegen. Dann, daß er heute nach Berlin rein muß, heute wird Krisen gezahlt. Dann, daß er auch zu Puttbreese muß, der kriegt wieder sechs Mark. Der brauchte das Geld auch nicht, er vertrinkt es nur, es ist um wild zu werden, wozu Leute Geld verwenden, das andere so nötig brauchten. Dann denkt Pinneberg daran, daß Heilbutt heute auch seine zehn Mark haben muß, und schon ist die Krisenunterstützung alle. Woher Essen, Heizung für die nächste Woche zu nehmen ist, das weiß der liebe Himmel, aber der weiß es wahrscheinlich auch nicht ...

So geht es nun Wochen und Wochen. Monat und Monat ... Es ist das Trostloseste, daß es ewig so weitergeht. Hat Pinneberg einmal gedacht, daß es zu Ende ist? Das Schlimmste ist, daß es weiter geht, immer, immer so weiter geht ..., es ist nicht abzusehen.

Allmählich wird Pinneberg warm und schläfrig. Er wird doch noch eine Ecke Schlaf abreißen. Schlaf lohnt immer. Und dann klingelt der Wecker: es ist sieben Uhr. Pinneberg ist gleich wach, auch der Murkel ruft eifrig: »Tick-Tack! Tick-Tack! Tick-Tack!« Immer wieder, bis der Wecker abgestellt ist. Lämmchen schläft weiter.

Pinneberg brennt die kleine Petroleumlampe mit dem blauen Glasschirm an, jetzt geht der Tag los, die erste halbe Stunde hat er viel zu beschicken. Er läuft hin und her, jetzt ist er in den Hosen, der Murkel ruft nach »Ka-Ka«. Päppchen bringt ihm die Ka-Ka, das schönste Spielzeug, eine Zigarettenschachtel voll alter Spielkarten. Im kleinen Kanonenofen brennt das Feuer, nun auch im Herd, er läuft nach Wasser zu der Pumpe, die im Garten steht, er wäscht sich, er brüht den Kaffee auf, er schneidet Brot ab, schmiert es – Lämmchen schläft noch.

Denkt Pinneberg dabei an den Film, den er einmal – lang, lang ist's her – sah? Auch da lag die Frau im Bett, sie schlief rosig, der Mann lief und besorgte – ach, Lämmchen ist nicht rosig, Lämmchen muß den ganzen Tag arbeiten. Lämmchen ist blaß und müde, Lämmchen balanciert den Etat aus. Es ist alles ganz anders.

Pinneberg zieht den Jungen an. Dabei sagt er hinüber zum Bett: »Jetzt wird es Zeit für dich, Lämmchen.«

»Ja«, sagt sie gehorsam und fängt mit Anziehen an. »Was hat Krymna gesagt?«

»Ach, nichts. Er war wütend.«

»Laß ihn wütend sein. So etwas fangen wir gar nicht erst an.«

»Weißt du«, sagt Pinneberg behutsam, »passieren kann einem nichts. Die gehen doch immer zu sechs, acht Mann, wenn sie Holz holen. Da traut sich kein Förster ran.«

»Ganz egal«, erklärt Lämmchen. »Wir tun so etwas nicht und wir tun es eben nicht.«

»Und woher nehmen wir das Geld für Kohlen?«

»Heute habe ich wieder bei Krämers den ganzen Tag Strümpfe zu stopfen. Macht drei Mark. Und vielleicht kann ich morgen zum Wäscheausbessern zu Rechlins. Wieder drei Mark. Und in der nächsten Woche sind auch schon wieder drei Tage vergeben. Ich komme gut in Gang hier.«

Das Zimmer scheint heller zu werden, während sie so spricht, es ist frische Luft, die von ihr weht.

»Es ist so mühsame Arbeit«, sagt er. »Neun Stunden Strümpfe stopfen, und so kleines Geld!«

»Und die Kost mußt du auch rechnen«, sagt sie. »Bei Krämers kriege ich reichlich. Da bringe ich euch noch zu Abend was mit.«

»Du sollst dein Essen selbst essen«, sagt Pinneberg.

»Reichlich kriege ich bei Krämers«, sagt Lämmchen noch einmal.

Nun wird es ganz hell, die Sonne ist aufgegangen. Er bläst die Lampe aus und sie setzen sich an den Kaffeetisch. Der Murkel sitzt mal auf dem Schoß des Vaters, mal bei der Mutter. Er trinkt seine Milch, er ißt sein Brot, seine Augen glänzen vor Vergnügen über den neuen Tag.

»Wenn du heute zur Stadt gehst«, sagt Lämmchen, »könntest du ein Viertelpfund gute Butter für ihn mitbringen. Ich glaube, immer Margarine ist nicht gut für ihn. Er kriegt die Zähne zu schwer.«

»Ich muß aber dem Puttbreese heute auch seine sechs Mark bringen.«

»Das mußt du. Vergiß es nur nicht.«

»Und Heilbutt muß seine zehn Mark Miete kriegen. Übermorgen ist der Erste.«

»Richtig«, sagt Lämmchen.

»Und da ist die Krisenunterstützung alle. Ich habe grade noch Fahrgeld.«

»Ich gebe dir noch fünf Mark mit«, sagt Lämmchen. »Ich krieg ja heute wieder drei. Dann holst du die Butter und dann siehst du, daß du am Alex Bananen zu fünf Pfennig kriegst. Hier nehmen die Räuber fünfzehn. Wer das bezahlen soll!«

»Tu ich«, sagt er. »Sieh zu, daß du nicht so spät kommst, daß der Junge nicht so lange allein ist.«

»Ich will sehen, was sich machen läßt. Vielleicht bin ich schon um halb sechs wieder hier. Du fährst doch um eins?«

»Ja«, sagt er. »Um zwei bin ich auf dem Arbeitsamt dran.«

»Es wird schon klappen«, sagt sie. »Ungemütlich ist es ja, wenn der Murkel so allein in der Laube ist. Aber es hat ja immer geklappt.«

»Bis es mal nicht klappt.«

»So was mußt du nicht sagen«, meint sie. »Warum sollen wir immer nur Unglück haben? Wo ich jetzt die Flickerei und Stopferei habe, geht es uns doch noch gar nicht schlecht.«

»Nein«, sagt er langsam. »Nein, natürlich nicht.«

»Oh, Junge!« ruft sie. »Es kommt ja auch wieder anders. Halte die Ohren steif. Es kommt auch wieder besser.«

»Ich hab dich nicht geheiratet«, sagt er hartnäckig, »daß du mich ernähren sollst.«

»Tu ich auch gar nicht«, sagt sie. »Von meinen drei Mark? Unsinn!« – Sie überlegt: »Hör mal zu, Junge, du könntest mir was helfen.« Sie zögert. »Es ist nicht sehr angenehm, aber es wäre mir eine große Hilfe ...«

»Ja?« fragt er erwartungsvoll. »Alles!«

»Ich habe doch vor drei Wochen bei Rusch in der Gartenstraße geflickt. Zwei Tage sechs Mark. Das Geld hab ich noch immer nicht.«

»Soll ich hingehen?«

»Ja«, sagt sie. »Aber du darfst keinen Krach machen, das mußt du mir versprechen.«

»Nein, nein«, sagt er. »Ich will das Geld schon so kriegen.«

»Schön«, sagt sie. »Dann bin ich eine Last los. – Und nun muß ich weg. Tjüs, mein Junge. Tjüs, mein Murkelchen.«

»Tjüs, mein Mädchen«, sagt er. »Stopf nicht so wild. Zwei Paar Strümpfe mehr tun es auch nicht. Mach Winke-Winke, Murkel!«

»Tjüs, mein kleiner Murkel!« sagt die Frau. »Und heute abend machen wir uns bestimmt einen Plan, was wir im Garten bauen wollen im nächsten Frühjahr. Wir wollen so viel Gemüse haben! Überleg es schon immer.«

»Du bist die Beste«, sagt er. »Du bist die Allerbeste. Ja, schon gut, ich überleg's. Tjüs, Frau.«

»Tjüs, Mann.«

Er hat das Kind auf dem Arm, sie sehen der Frau nach, wie sie den Gartensteig entlang geht. Sie rufen, sie lachen und winken. Dann quietscht die Gartentür. Lämmchen geht den Weg zwischen den Parzellen entlang. Manchmal kommt eine Laube dazwischen, dann ruft der Murkel: »Memm-Memm!« »Memm-Memm kommt bald wieder«, tröstet der Vater.

Aber schließlich ist sie nicht mehr zu sehen, und die beiden gehen ins Haus.


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