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Keßler enthüllt und wird geohrfeigt. Aber Pinnebergs müssen doch ausziehen

Es ist Morgen, ein trüber, grauer Novembermorgen, bei Mandel ist es noch ganz still. Pinneberg ist eben gekommen, er ist der erste oder doch beinahe der erste auf der Abteilung. Hinten scheint noch jemand im Gang zu sein.

Pinneberg ist mies, niedergedrückt, sicher macht es das Wetter. Er nimmt einen Kupon Melton und fängt an, ihn aufzumessen.

Rumm – rumm – rumm.

Der andere, der im grauen Hintergrund gewirtschaftet hat, raschelt näher, nicht geradenwegs zu ihm, wie es Heilbutt tun würde, sondern bald hier, bald dort halt machend. Also wird es schon wieder Keßler sein, und Keßler wird etwas von ihm wollen. Das geht nun schon ewig, diese kleinen Nadelstiche, kleine, feige Stänkereien von Keßler. Und leider ärgert sich Pinneberg jedesmal von frischem darüber, wird richtig wütend, möchte den Keßler vertrimmen, hat ihn gefressen, seit der Bemerkung damals vom Lehmannstamm.

»Morgen«, sagt Keßler.

»Morgen«, antwortet Pinneberg und sieht nicht hoch.

»Noch mächtig dunkel heute«, sagt Keßler.

Pinneberg antwortet nicht. Rumm – rumm, macht der Kupon.

»Sind ja mächtig biereifrig«, sagt Keßler, etwas verlegen lächelnd.

»Ich trinke kein Bier«, antwortet Pinneberg.

Keßler scheint mit einem Entschluß zu kämpfen oder überlegt vielleicht, wie er es anfangen soll. Pinneberg ist sehr nervös, der will doch was von ihm, und nichts Gutes!

Keßler fragt: »Sie wohnen doch in der Spenerstraße, Pinneberg?«

»Woher wissen Sie denn das?«

»Ich habe mal so was gehört.«

»So«, sagt Pinneberg.

»Ich wohne nämlich in der Paulstraße. Ist nur komisch, daß wir uns nie in der Stadtbahn getroffen haben.«

›Der will doch was, der Kerl‹, denkt Pinneberg. ›Wenn er nur endlich damit raus wäre! So ein Schwein.‹

»Verheiratet sind Sie auch«, sagt Keßler, »Ist nicht leicht heute, verheiratet zu sein. Haben Sie Kinder?«

»Weiß ich nicht«, sagt Pinneberg wütend. »Sie könnten auch was tun, statt hier rumzustehen.«

»Weiß ich nicht, ist gut«, sagt Keßler. Und jetzt ist er ganz frech, beißt gewissermaßen zu: »Aber vielleicht stimmt's. Weiß ich nicht, ist sogar ausgezeichnet, wenn man das als Familienvater sagt ...«

»Hören Sie, Herr Keßler –!« sagt Pinneberg und hebt ein wenig das Metermaß an.

»Na, was denn?« fragt Keßler. »Sie haben's doch gesagt. Oder haben Sie's nicht gesagt? Hauptsache, wenn es die Frau Mia weiß ...«

»Wie?« schreit Pinneberg. Die paar, die unterdes gekommen sind, glotzen her. »Wie?« fragt er unwillkürlich leiser. »Wollen Sie was von mir? Ich schlag Ihnen ein paar in Ihre Fresse, Sie dummer Kerl. Ewig stänkern . . .«

»Das ist dann die diskrete Anbahnung vornehmer Geselligkeit, was?« fragt Keßler höhnisch. »Pusten Sie sich doch bloß nicht auf, Mensch! Ich möchte wissen, was Herr Jänecke sagt, wenn ich ihm das Inserat zeige. Wer seine Frau solche Dreckinserate aufgeben läßt, solche Schweineinserate ...«

Pinneberg ist kein Sportsmann. Er kommt nicht so rasch über den Verkaufsstand. Er muß herumlaufen, um den Kerl zu fassen, ganz herum ...

»'ne Schande für den ganzen Stand! Fangen Sie hier keine Schlägerei an!«

Aber nun ist Pinneberg über ihm. Wie gesagt, er ist kein Sportsmann, er langt dem anderen eine Ohrfeige, der schlägt wieder, nun halten sie sich, zerren ungeschickt aneinander.

»Warten Sie, Sie Saukerl«, keucht Pinneberg.

Von den anderen Ständen kommen sie gelaufen.

»Das geht doch nicht!«

»Wenn Jänecke das sieht, fliegen sie beide.«

»Jetzt fehlt nur noch Kundschaft im Laden.«

Plötzlich fühlt sich Pinneberg von hinten gefaßt, festgehalten, von seinem Gegner losgerissen.

»Lassen Sie mich los!« schreit er. »Ich muß den erst ...«

Aber es ist Heilbutt, und Heilbutt sagt ganz kühl: »Seien Sie nicht albern, Pinneberg. Ich habe viel mehr Kräfte als Sie und ich lasse Sie bestimmt nicht los ...«

Drüben, der andere, der Keßler, zieht schon wieder seinen Schlips zurecht. Der ist nicht sehr aufgeregt. Wenn man ein geborener Stänker ist, kriegt man öfters im Leben eine gelangt. »Ich möchte wohl mal wissen«, erklärt er zu den Umstehenden, »warum der sich so aufregt. Wo er's seine Olle öffentlich in die Zeitung setzen läßt!«

»Heilbutt!« fleht Pinneberg und zerrt an seinen Ketten.

Aber Heilbutt denkt nicht daran, ihn loszulassen.

Er sagt: »Hier, los, ausgepackt, Keßler! Was ist das für ein Inserat? Herzeigen!«

»Sie haben mir überhaupt gar nichts zu sagen«, erklärt Keßler. »Sie sind auch nicht mehr als ich, wenn Sie sich auch erster Verkäufer schimpfen.«

Aber nun erhebt sich doch ein allgemeines Murmeln des Unwillens: »Nur immer auspacken, oller Junge!«

»Jetzt den Rückzieher machen, ausgeschlossen!«

»Na also, werd' ich's vorlesen«, sagt Keßler und entfaltet eine Zeitung. »Mir wär's ja peinlich.«

Er zögert wieder, erhöht die Spannung.

»Nun mach aber los, Mensch.«

»Immer muß er stänkern.«

Keßler sagt: »Steht unter den Kleinen Anzeigen. Ich wundere mich immer, daß die Polizei da noch nicht hinter hakt. Lange gehts sicher nicht mehr.«

»Nun lesen Sie aber los!«

Keßler liest. Er macht das ganz hübsch. Wahrscheinlich hat er es heute morgen geprobt:

» Kein Glück in der Liebe?
Ich führe Sie in einen reizenden, vorurteilslosen Kreis entzückender Damen ein.
Sie werden befriedigt sein.
Frau Mia Pinneberg, Spenerstraße 92-II.«

Keßler kostet es aus: »Sie werden befriedigt sein ... Na, und was sagt ihr nun?« Er erklärt: »Er hat mir ausdrücklich bestätigt, daß er in der Spenerstraße wohnt, sonst würde ich natürlich keinen Ton gesagt haben.«

»Das ist alles mögliche!«

»Da kann man sich 'ne Scheibe von abschneiden.«

»Ich ...«, stammelt Pinneberg und er ist schneeweiß – »habe nicht ...«

»Geben Sie das Blatt her«, sagt plötzlich Heilbutt und er ist so wütend, wie er nur wütend werden kann. »Wo? Hier ... Frau Mia Pinneberg ... Pinneberg, deine Frau heißt doch nicht Mia, deine Frau heißt doch –?«

»Emma«, sagt Pinneberg tonlos.

»So, das wäre die zweite Ohrfeige für Sie, Keßler«, sagt Heilbutt. »Um Pinnebergs Frau handelt es sich erstmal nicht. Ziemlich unanständig von Ihnen, finde ich ...«

»Na, erlauben Sie mal«, protestiert Keßler. »Das kann ich nicht riechen.«

»Und dann«, erklärt Heilbutt. »Das sieht wohl jeder, daß unser Kollege Pinneberg von dieser Geschichte nichts gewußt hat. Nicht wahr, ist eine Verwandte, bei der du wohnst?«

»Ja«, flüstert Pinneberg.

»Na also«, sagt Heilbutt. »Ich kann auch nicht für alle meine Verwandten einstehen. Da kann man nichts bei machen.«

»Da können Sie mir«, sammelt sich Keßler, dem die allgemeine Mißbilligung etwas unbehaglich wird, »ja noch direkt dankbar sein, daß ich Sie auf die Schweinerei aufmerksam gemacht habe. Eigentlich ziemlich komisch, daß Sie davon nichts gemerkt haben ...«

»Nun ist aber Schluß«, erklärt Heilbutt, und die anderen bestätigen es. »Und ich denke, meine Herren, wir tun jetzt was. Herr Jänecke kann jeden Augenblick kommen. Und am besten ist es, am anständigsten meine ich, wir reden nicht weiter über die Geschichte, wäre ziemlich unkollegial, nicht?«

Sie nicken und verziehen sich.

»Hören Sie mal, Keßler«, sagt Heilbutt und nimmt ihn bei der Schulter. Die beiden verschwinden hinter einem Ständer mit Ulstern. Da reden sie eine ganze Weile, meistens flüsternd, ein paarmal protestiert Keßler lebhaft, aber am Schluß ist er sehr leise und still.

»So, das wäre erledigt«, sagt Heilbutt und kommt wieder zu Pinneberg. »Er läßt Sie ... dich zufrieden. Entschuldige nur, ich habe dich vorhin einfach du genannt. Ist es dir recht, wenn wir es dabei lassen?«

»Ja, wenn Sie ... wenn du magst.«

»Schön ... Also der Keßler läßt dich zufrieden, den habe ich klein.«

»Ich danke dir auch schön, Heilbutt«, sagt Pinneberg. »Ich kanns jetzt nicht so. Ich bin wie vor den Kopf geschlagen.«

»Ist deine Mutter, nicht wahr?« fragt Heilbutt.

»Ja«, sagt Pinneberg. »Weißt du, ich habe nie viel von ihr gehalten. Aber so was ... nein ...«

»Will ich nicht sagen«, meint Heilbutt. »Ich finde es gar nicht so schlimm.«

»Jedenfalls ziehe ich aus.«

»Das würde ich allerdings auch tun. Und möglichst rasch. Schon wegen der anderen, wo die jetzt Bescheid wissen. Es ist doch sehr möglich, daß die mal hingehen aus Neugier ...«

Pinneberg schüttelt sich. »Bloß nicht. Wenn ich weg bin, weiß ich von nichts. Die spielen ja auch Karten. Ich dachte immer, es wäre was mit Karten, ich habe manchmal solche Angst gehabt ... Na, nun muß Lämmchen sehen, daß sie rasch eine Wohnung findet.«


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