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Pinneberg wird verhaftet und Jachmann sieht Gespenster. Rum ohne Tee

Es ist Abend, ein schöner heller Abend, später Frühling, halber Sommer. Pinneberg ist fertig mit seiner Tagesarbeit, er kommt aus dem Warenhaus Mandel, er ruft seinen Kollegen zu: »Also dann morgen wieder!« Und trabt los.

Eine Hand legt sich auf seine Schulter: »Pinneberg, Sie sind verhaftet!«

»Nanu!« sagt Pinneberg und ist kein bißchen erschrocken, »Wieso? Ach Gott, Sie, Herr Jachmann! Ich habe Sie ja eine Ewigkeit nicht gesehen!«

»Da sieht man das gute Gewissen«, sagt Jachmann melancholisch. »Kein bißchen zusammengezuckt. Gott, wer es auch so hätte wie diese jungen Leute! Beneidenswert!«

»Sachte, Herr Jachmann«, sagt Pinneberg. »Von wegen beneidenswert. Sie möchten keine drei Tage mit mir tauschen. Bei Mandel ...«

»Wieso bei Mandel? Ich wollte, ich hätte Ihre Stellung! Das ist doch was Festes, Solides«, sagt der trübe Jachmann und geht langsam mit Pinneberg weiter. »Das ist ja jetzt alles so triste. Na ja, was macht denn die Frau, Flitterwöchner?«

»Geht ihr gut«, sagt Pinneberg. »Wir haben jetzt einen Jungen.«

»Gott, ja? Wirklich? Einen Jungen?« Jachmann ist sehr überrascht. »Das ist ja verdammt schnell gegangen. Können Sie sich denn so was leisten? Beneidenswert!«

»Leisten können wir ihn uns ja nicht«, meint Pinneberg. »Aber wenn es danach ginge, kriegte unsereins überhaupt keine Kinder. Nun muß es eben gehen.«

»Richtig«, sagt Jachmann und hat entschieden überhaupt nicht zugehört. »Hören Sie, passen Sie mal auf, Pinneberg. Jetzt sehen wir uns da das Schaufenster von der Buchhandlung an ...«

»Ja –?« fragt Pinneberg erwartungsvoll.

»Es ist ein sehr belehrendes Buch«, sagt Jachmann vernehmlich. »Habe ich eine Masse draus gelernt.« Und leise: »Sehen Sie mal nach links. Unauffällig, Mensch, unauffällig!«

»Ja –?« fragt Pinneberg wieder und findet alles sehr rätselhaft und den Hünen Jachmann sehr verändert. »Was soll ich denn sehen –?«

»Der dicke Graue mit der Brille und dem Strubbelbart, haben Sie den gesehen?«

»Ja, natürlich«, sagt Pinneberg. »Da geht er hin.«

»Schön«, sagt Jachmann, »nun behalten Sie den im Auge. Nun unterhalten Sie sich ganz wie gewöhnlich mit mir. Das heißt, nennen Sie keine Namen, unter keinen Umständen meinen Namen. Nun erzählen Sie mir was!«

Pinneberg sucht in seinem Hirn: ›Was ist denn los? Was will Jachmann? Von Mutter sagt er auch kein Wort.‹

Und Jachmann drängt: »Nun reden Sie schon was. Erzählen Sie was, das sieht doch zu dämlich aus, wenn wir so stumm nebeneinander gehen. Das muß doch auffallen.«

›Auffallen? Wem auffallen?‹ denkt Pinneberg. Und laut: »Das Wetter ist jetzt immer herrlich, nicht wahr, Herr ...«

Und hätte sich beinahe mit dem Namen verplappert.

»Passen Sie bloß auf, Mensch«, flüstert Jachmann. Und vernehmlich: »Ja, wir haben ein wirklich schönes Wetter.«

»Ein bißchen Regen wäre aber vielleicht ganz gut«, sagt Pinneberg und betrachtet nachdenklich den Rücken des grauen Herrn drei Schritte vor ihm. »Es ist doch sehr trocken.«

»Regen wäre gut«, pflichtet Jachmann sofort bei. »Aber vielleicht nicht gerade zum Wochenende?«

»Nein, natürlich nicht!« sagt Pinneberg. »Zum Wochenende nicht!«

Und dann ist es alle, absolut alle. Ihm fällt nichts ein. Einmal sieht er Jachmann von der Seite an, er findet, daß er nicht mehr die strahlende Frische von früher hat. Und findet weiter, daß auch der gespannt auf den grauen Rücken starrt.

»Gott, reden Sie doch ein Wort, Pinneberg«, sagt Jachmann nervös. »Sie müssen doch was zu erzählen haben. Wenn ich einen Menschen ein halbes Jahr nicht gesehen hätte, ich hätte immerzu was zu erzählen.«

»Jetzt haben Sie aber meinen Namen genannt«, stellt Pinneberg fest. »Wohin gehen wir eigentlich?«

»Nun, zu Ihnen! Wohin sonst? Ich begleite Sie doch!«

»Da hätten wir aber eben links abgehen müssen«, bemerkt Pinneberg. »Ich wohne jetzt in Alt-Moabit.«

Jachmann ist ärgerlich: »Ja, warum gehen Sie dann nicht links ab?«

»Ich denke, wir wollen dem grauen Herrn nachgehen ...«

»Oh Gott!« sagt der Riese. »Kapieren Sie denn nichts?«

»Nichts«, gesteht Pinneberg.

»Also, gehen Sie genau so, wie wenn Sie nach Hause gehen. Ich werde es Ihnen schon noch erzählen. Und nun unterhalten Sie sich mit mir.«

»Dann müssen wir jetzt wieder links ab«, sagt Pinneberg.

»Schön, dann gehen Sie doch, Mensch«, sagt Jachmann ärgerlich. »Wie geht es denn Ihrer Frau?«

»Wir haben einen Jungen gekriegt«, sagt Pinneberg verzweifelt. »Es geht ihr gut. Könnten Sie mir nicht sagen, was eigentlich los ist, Herr Jachmann? Ich werde immer dümmer.«

»Oh Gott, nun haben Sie gerade jetzt meinen Namen genannt«, schimpft Jachmann. »Nun kommt er uns sicher nach. Oh Mensch, sehen Sie sich wenigstens jetzt nicht um!«

Pinneberg sagt gar nichts und Jachmann sagt nach diesem Ausbruch auch nichts mehr. Sie gehen einen Häuserblock weiter, um eine Ecke, wieder einen Block entlang, über einen Fahrdamm und sind nun auf Pinnebergs gewohntem Heimweg.

Die Verkehrsampel brennt rot, sie müssen einen Augenblick warten.

»Sehen Sie ihn noch?« fragt Jachmann gespannt.

»Ich denke, ich soll nicht ... Nein, ich sehe ihn nicht mehr. Der ist vorhin geradeaus gegangen.«

»Na also!« sagt Jachmann und es klingt sehr befreit und befriedigt. »Habe ich mich eben geirrt. Manchmal sieht man Gespenster.«

»Können Sie mir nicht erzählen, Herr Jachmann –?« fängt Pinneberg an.

»Gar nichts. Das heißt später. Später natürlich. Jetzt wollen wir erst mal zu Ihnen. Zu Ihrer Frau. Einen Jungen haben Sie? Oder ein Mädchen? Ausgezeichnet! Vorzüglich! Ist doch alles glatt gegangen? Na, natürlich. Bei so 'ner Frau! Wissen Sie, Pinneberg, ich habe nie kapiert, daß Ihre Mutter 'nen Sohn gekriegt hat, das muß ein Versehen des Himmels, nicht nur der Gummifabriken gewesen sein. Na, entschuldigen Sie! Sie kennen mich ja. Wo ist denn hier ein Blumenladen? Wir kommen doch noch an einem Blumenladen vorbei? Oder ißt Ihre Frau lieber Konfekt?«

»Aber es ist wirklich nicht nötig, Herr Jachmann ...«

»Das weiß ich, das bestimme ich, junger Mann, was nötig ist.« Oh, wie ist Jachmann plötzlich im Gang! »Blumen und Pralinés? Das wirkt auf jedes Frauenherz. Das heißt, bei Ihrer Mutter wirkt es nicht, na, reden wir nicht davon, das ist ein anderer Fall. Also, Blumen und Konfekt. Warten Sie, ich gehe gleich hier rein.«

»Sie sollen aber nicht ...«

Doch schon ist Jachmann im Konfitürengeschäft verschwunden. Taucht aber nach zwei Minuten wieder auf. »Haben Sie 'ne Ahnung, was Ihre Frau für Konfekt gern mag? Kognakkirschen?«

»Alkohol ist doch ausgeschlossen, Herr Jachmann«, sagt Pinneberg vorwurfsvoll. »Meine Frau nährt doch.«

»Ach so, sie nährt. Natürlich. Wieso eigentlich nährt sie? Ach so, den Jungen nährt sie. Natürlich! Und dann ißt man keine Kognakkirschen? Hab ich auch noch nicht gewußt. Dies Leben ist eins der schwersten, sage ich Ihnen!« Er hat sich wieder ins Geschäft geredet.

Und taucht nach einer Weile von neuem auf, mit einem sehr umfangreichen Paket behängt.

»Herr Jachmann!« sagt Pinneberg bedenklich. »So viel! Ich weiß nicht, ob das meiner Frau recht sein wird ...«

»Wieso? Sie braucht doch nicht alles auf einmal aufzuessen. Es ist doch nur, weil ich ihren Geschmack nicht kenne. Es gibt so viele Sorten. Nun passen Sie mal auf, wenn ein Blumengeschäft kommt ...«

»Das lassen Sie nun aber, Herr Jachmann. Das ist ganz überflüssig.«

»Überflüssig, was so ein junger Mann redet! Wissen Sie überhaupt, was überflüssig ist?«

»Daß Sie jetzt meiner Frau auch noch Blumen mitbringen!«

»Nee, flüssiger als flüssig, das ist überflüssig. Es gibt auch einen Witz dazu, aber den erzähle ich Ihnen nicht, Sie haben keinen Sinn für so was. Also, hier hätten wir den Blumenladen ...«

Jachmann bleibt nachdenklich stehen. »Wissen Sie, ich werde Ihrer Frau nichts Guillotiniertes mitbringen, keine Blumenleichen, mehr so ein Topfgewächs. Paßt besser für die junge Frau. Ist sie noch so blond?«

»Herr Jachmann, ich bitte Sie –!«

Aber Herr Jachmann ist schon weg, es dauert eine ganze Weile und dann ist er wieder da.

»So ein Blumenladen, Herr Pinneberg, das wäre was für Ihre Frau. Müßte ich ihr einrichten. Irgendwo in einer guten Gegend, wo die Affen es zu würdigen wissen, wenn eine schöne Frau bedient.«

Pinneberg wird ganz verlegen: »Na, daß meine Frau schön ist, Herr Jachmann ...«

»Reden Sie bloß kein Blech, Pinneberg, reden Sie von Dingen, von denen Sie was verstehen! Ich weiß nicht, verstehen Sie überhaupt von was was? Schönheit ... Sie glauben wohl auch an Filmschönheit, außen manikürtes Fleisch und innen Geldgier und Doofheit –?«

»Ich bin eine Ewigkeit nicht im Kino gewesen«, sagt Pinneberg melancholisch.

»Aber warum denn nicht? Ins Kino muß man immerzu gehen, jeden Abend womöglich, so lange man es nur aushält. Das gibt Selbstvertrauen, mir kann keiner, die andern sind alle noch zehnmal so doof ... Also gehen wir mal ins Kino. Gleich! Heute abend! Was geben die denn? Warten Sie, an der nächsten Litfaßsäule ...«

»Erst aber«, grinst Pinneberg, »wollten Sie meiner Frau doch ein Blumengeschäft kaufen?«

»Ja, natürlich. Eigentlich ist es eine glänzende Idee. Das Geld wird sich bestimmt gut verzinsen. Aber ...« er seufzt schwer, er versammelt zwei Blumentöpfe und ein Schokoladenpaket in einen Arm, mit dem andern hängt er sich bei Pinneberg ein ... »aber es geht nicht, Jüngling. Ich bin in der Bredouille ...«

Pinneberg ist entrüstet: »Dann sollen Sie aber nicht für uns hier alle Läden leer kaufen!«

»Ach, reden Sie keinen Stuß! Nicht mit Geld. Geld habe ich wie Mist. Noch. Aber so bin ich in der Bredouille. Anders. Wir reden später davon. Ich erzähl es Ihnen und Ihrem Lamm. Nur das eine ...« Er neigt sich zu Pinneberg, er flüstert: »Ihre Mutter ist ein Aas.«

»Das habe ich immer gewußt«, sagt Pinneberg kühl.

»Ach, Sie verstehen ja alles falsch«, sagt Jachmann und nimmt Pinneberg seinen Arm wieder weg. »Ein Aas, ein richtiges Biest, aber eine herrliche Frau ... Nein, vorläufig ist es mit dem Blumengeschäft nichts ...«

»Wegen des Grauen mit dem Strubbelbart?« versucht Pinneberg zu raten.

»Wieso? Welcher Graue?« Jachmann lacht. »Ach, Pinneberg, da habe ich Sie doch nur durch den Kakao geholt. Haben Sie das denn nicht kapiert?«

»Nee«, sagt Pinneberg. »Und ich glaube es Ihnen auch nicht.«

»Dann lassen Sie's. Sie werden ja sehen. Und ins Kino gehen wir alle zusammen heute abend. Nein, heute abend geht nicht, heute abend essen wir gemütlich zu Abend – was gibt es denn bei Ihnen zum Abendessen?«

»Bratkartoffeln«, erklärt Pinneberg. »Und einen Bückling.«

»Und was gibt es zu trinken?«

»Tee«, sagt Pinneberg.

»Mit Rum?«

»Meine Frau trinkt keinen Alkohol!«

»Richtig! Sie nährt. Das ist die Ehe. Meine Frau trinkt keinen Alkohol. Also trinke ich auch keinen Alkohol. Sie Ärmster!«

»Aber ich mag keinen Rum in Tee.«

»Das bilden Sie sich ein, weil Sie verheiratet sind. Wären Sie Junggeselle, möchten sie es, das sind so Ehe-Erscheinungen. Ach, reden Sie nicht, ich bin nie verheiratet gewesen, ich weiß doch Bescheid. Wenn ich mit 'ner Frau zusammen war und solche Erscheinungen traten bei mir auf wie Rum ohne Tee ...«

»Rum ohne Tee«, wiederholt Pinneberg ernsthaft.

Der andere merkt nichts: »Ja, grade so was, dann habe ich Schluß gemacht, unwiderruflich Schluß gemacht, und wenn es mir noch so schwer fiel. Also Bratkartoffeln und Hering ...«

»Bückling.«

»Bückling und Tee. Wissen Sie, Pinneberg, ich gehe da schnell mal rein in das Geschäft. Aber es ist jetzt auch bestimmt das letzte ...«

Und Jachmann verschwindet in einem Delikatessengeschäft.

Als er wieder auftaucht, sagt Pinneberg mit Nachdruck: »Nun sage ich Ihnen noch eins. Herr Jachmann ...«

»Ja?« fragt der Riese. »Sie könnten mir übrigens gut und gerne auch ein Paket tragen.«

»Geben Sie her. Der Murkel ist erst ein gutes Vierteljahr alt. Der sieht noch nichts, der hört noch nichts, der spielt noch mit nichts ...«

»Warum Sie mir das erzählen ...«

»Wenn Sie also auf die Idee kommen sollten, noch in einen Spielzeugladen zu laufen und meinem Sohn einen Teddy zu kaufen oder eine Puffbahn, dann finden Sie mich nachher nicht mehr vor der Tür!«

»Spielzeugladen ...« sagt Jachmann träumerisch. »Teddy ... Puffbahn ... wie so 'n Vater so was sagt! Kommen wir denn noch an einem Spielzeugladen vorbei?«

Pinneberg fängt an zu lachen. »Ich lauf weg, Herr Jachmann«, sagt er.

»Sie sind wirklich ein alberner Mensch, Pinneberg«, sagt Jachmann seufzend. »Wo ich sozusagen Ihr Vater bin!«


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