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Logierbesuch wider Willen. Jachmann entdeckt die guten, nahrhaften Dinge

Sie haben sich begrüßt, Lämmchen und Jachmann, und Jachmann hat pflichtgemäß einen Augenblick über die Krippe gebeugt dagestanden und hat gesagt: »Es ist natürlich ein ausgesprochen schönes Kind.«

»Ganz die Mutter«, hat Lämmchen gesagt.

»Ganz die Mutter«, hat Jachmann geantwortet.

Dann hat Jachmann ausgepackt, und wieder hat Lämmchen angesichts umfangreicher Delikatessenmassen pflichtgemäß gesagt: »Aber das sollen Sie doch nicht, Herr Jachmann!«

Dann haben sie gegessen und getrunken (Tee zwar, aber nicht Bratkartoffeln und Bückling) und dann hat Jachmann sich zurückgelehnt und hat gemütlich gesagt: »So – und nun kommt das Beste: die Zigarre.«

Und mit einer ungewohnten Energie hat Lämmchen geantwortet: »Leider kommt das Beste nicht, denn hier darf wegen des Murkels nicht geraucht werden.«

»Ernst –?« hat Jachmann gefragt.

»Unbedingt ernst«, hat Lämmchen entschieden geantwortet. Als aber Holger Jachmann schwer geseufzt hat, hat sie vorgeschlagen: »Machen Sie es doch wie mein Mann, gehen Sie ein Weilchen vor die Tür aufs Kinodach und qualmen Sie da. Ich stelle Ihnen eine Kerze raus.«

»Machen wir«, hat Jachmann sofort gesagt.

Und dann sind die beiden da auf und ab promeniert. Pinneberg mit seiner Zigarette und Jachmann mit seiner Zigarre. Und beide ganz wortlos. Die kleine Kerze hat auf dem Boden gestanden und ihr Lichtschimmer ist nicht einmal in das verstaubte Deckengebälk gedrungen.

Auf und ab. Auf und ab. Wortlos nebeneinander.

Und weil eine Zigarette schneller zu Ende ist als eine Zigarre, ist Pinneberg zwischendurch einmal zu Lämmchen reingehuscht und hat mit ihr diesen außergewöhnlichen Fall bekakelt.

»Was hat er denn gesagt?« hat Lämmchen gefragt.

»Gar nichts. Er ist einfach mitgekommen.«

»Hast du ihn denn zufällig getroffen?«

»Weiß ich nicht. Ich glaube, er hat mir aufgelauert. Aber ich weiß es nicht.«

»Ich finde das alles rätselhaft«, sagt Lämmchen. »Was will er bloß bei uns?«

»Keine Ahnung. Vor allen Dingen hat er zuerst den Fimmel gehabt, ein grauer Mann läuft ihm nach.«

»Wieso läuft ihm nach?«

»Kriminalpolizei denke ich mir. Und mit Mutter ist er auch verkracht. Vielleicht hängt es damit zusammen.«

»So«, sagt Lämmchen. »Und er hat gar nichts weiter gesagt?«

»Doch. Daß er morgen abend mit uns ins Kino gehen will.«

»Morgen abend? Will er denn hier bleiben? Er kann doch nicht hier bleiben über Nacht. Ein Bett haben wir nicht für ihn und das Wachstuchsofa ist zu kurz.«

»Nein, natürlich kann er nicht hier bleiben. – Aber wenn er einfach bleibt?«

»In einer halben Stunde«, sagt Lämmchen entschieden, »nähre ich den Murkel. Und wenn du es ihm dann nicht gesagt hast, sage ich es ihm.«

»Wir werden es ja beleben«, hat Pinneberg geseufzt. Und ist wieder zu dem schweigenden Wanderer hinausgegangen.

Und nach einer Weile hat Holger Jachmann sorgfältig seinen Zigarrenrest ausgetreten und hat tief geseufzt und hat gesagt: »Manchmal denke ich eine Weile ganz gerne nach. Meistens rede ich ja lieber, aber ab und zu eine halbe Stunde Nachdenken ist wunderschön.«

»Sie veräppeln mich ja«, hat Pinneberg protestiert.

»Aber keine Spur. Keine Spur. Ich habe eben darüber nachgedacht, wie ich wohl als kleines Kind gewesen bin ...«

»Na und –?« fragt Pinneberg.

»Ja, ich weiß doch nicht ...«, bemerkt Jachmann zögernd. »Ich glaube, ich bin mir heute gar nicht mehr ähnlich.« Er pfeift. »Vielleicht habe ich den ganzen Tinnef falsch gemacht. Meistens bin ich ja klotzig eingebildet; wissen Sie, ich habe als Diener angefangen.«

Pinneberg schweigt.

Der Hüne seufzt. »Na ja, es hat keinen Zweck, darüber zu reden. Da haben Sie vollkommen recht. Wollen wir wieder zu Ihrer Frau reingehen?«

Und dann gehen sie hinein, und sofort fängt Jachmann bei strahlender Laune an, sein Garn aufzurebbeln: »Also, Frau Pinneberg, dies ist die verrückteste Wohnung von der Welt. Ich habe schon manches erlebt, aber so was von Verrücktheit und Gemütlichkeit ... Daß die Baupolizei so was erlaubt, ist mir immer noch unfaßbar.«

»Das erlaubt sie auch nicht«, bemerkt Pinneberg. »Wir wohnen hier ganz inoffiziell.«

»Inoffiziell?«

»Na ja, die Wohnung ist natürlich keine Wohnung, das sind Lagerräume. Und daß wir hier wohnen, weiß nur der, der uns die Lagerräume vermietet hat. Offiziell wohnen wir vorn bei dem Tischler.«

»So«, sagt Jachmann, lang gedehnt, »dann weiß keiner, nicht mal die Polizei, daß Sie hier wohnen?«

»Keiner«, sagt Pinneberg mit Nachdruck und sieht Lämmchen an.

»Schön«, sagt Jachmann wieder. »Sehr schön.« Und er sieht die Räume mit einem gewissermaßen zärtlichen Blick an.

»Herr Jachmann«, sagt Lämmchen und ist der Engel mit dem Schwert. »Ich muß das Kind jetzt zur Nacht fertig machen und nähren ...«

»Schön«, sagt Jachmann wieder. »Lassen Sie sich nicht stören. Und das Beste ist, wir gehen dann hinterher auch gleich ins Bett. Ich bin heute schrecklich rumgelaufen, ich bin müde. Ich werde mir unterdessen hier das Sofa mit Kissen und Stühlen zurechtbauen ...«

Das Ehepaar sieht sich an. Und dann wendet sich Pinneberg ab und tritt ans Fenster und trommelt auf den Scheiben, während seine Schultern zucken. Lämmchen aber sagt: »Unterstehen Sie sich! Ihr Bett mache ich Ihnen zurecht.«

»Auch gut«, sagt Jachmann. »Dann sehe ich mir das Nähren an. So was wollte ich schon immer gerne sehen.«

Und mit einer zornigen Entschiedenheit nimmt Lämmchen den Sohn aus der Krippe und fängt an, ihn aufzubündeln.

»Kommen Sie ganz nahe heran, Herr Jachmann«, sagt sie. »Sehen Sie sich alles gut an.«

Der Murkel fängt an zu schreien.

»Sehen Sie, das sind die sogenannten Windeln. Die riechen nicht gut.«

»Das stört mich gar nicht«, sagt Jachmann. »Ich bin im Felde gewesen und mir hat nichts und niemand den Appetit auch nur auf einen Augenblick verekeln können.«

Lämmchen läßt die Schultern sinken: »Ach, nichts hilft bei Ihnen, Herr Jachmann«, sagt sie. »Sehen Sie, nun reiben wir den Pöker mit Öl ein, mit schönem reinem Olivenöl ...«

»Warum denn?«

»Damit er nicht wund wird. Mein Sohn ist noch nie wund gewesen.«

»Mein Sohn ist noch nie wund gewesen«, sagt Jachmann träumerisch. »Gott, wie das klingt! Mein Sohn hat noch nie gelogen. Mein Sohn hat mir noch nie Kummer gemacht. – Wie Sie das hinkriegen mit den Windeln, das finde ich einfach wunderbar. Ja, so was ist angeboren. Die geborene Mutter ...«

Lämmchen lacht: »Schwärmen Sie lieber nicht. Fragen Sie mal meinen Mann, wie wir den ersten Tag hier gestanden haben. So, und nun müssen Sie sich einen Augenblick umdrehen ...«

Und während Jachmann gehorsam zum Fenster geht und in den schweigenden nächtlichen Garten hinausblickt, in dem sich die Äste der Bäume im Lichtschein des Feuers leise bewegen (»Sieht aus, als quatschten sie miteinander, Pinneberg«) – unterdes schlüpft Lämmchen aus ihrem Kleid und streift die Tragbänder von Unterkleid und Hemd von den Schultern. Dann nimmt sie den Bademantel um und legt das Kind an die Brust.

Im gleichen Moment hört es auf zu schreien, mit einem tiefen Seufzer, fast noch einem Schluchzen, legen sich die Lippen um die Brustwarze und der Murkel fängt an zu saugen. Lämmchen sieht auf ihn hinunter, und von der plötzlichen tiefen Stille angezogen, drehen sich die beiden Männer um und betrachten schweigend Mutter und Kind.

Nicht lange schweigend, dann sagt Jachmann: »Natürlich habe ich alles falsch gemacht, Pinneberg. Die guten einfachen Dinge ... Die guten nahrhaften Dinge ...« Er pocht gegen seine Schläfen. »Alter Esel! Alter Esel!«

Und dann gehen sie schlafen.


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