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Was sollen wir essen? Und mit wem dürfen mir tanzen? Müssen wir jetzt heiraten?

Am Montag morgen sitzen Pinnebergs am Kaffeetisch, Lämmchens Augen glänzen ordentlich: »Also heute, heute fängt es richtig an!« Und mit einem Blick auf die Schreckenskammer: »Ich werde den ollen Möl schon klar kriegen!« Und mit einem Blick in die Tasse: »Wie findest du den Kaffee? Fünfundzwanzig Prozent Bohnen!«

»Da du fragst, weißt du ...«

»Ja, Junge, wenn wir sparen wollen ...«

Worauf Pinneberg ihr auseinandersetzt, daß er sich bisher morgens immer »richtigen« Bohnenkaffee hat leisten können. Und sie erklärt, daß zwei eben mehr kosten als einer. Und er sagt, er hat immer gehört, in der Ehe lebt man billiger, das Essen für zwei in der Ehe stellt sich billiger als das Gasthausessen für einen.

Eine längere Debatte setzt ein, bis er sagt: »Donnerwetter, ich muß ja fort! Und eiligst!!«

In der Tür Abschied. Er ist die halbe Treppe hinunter, da ruft sie: »Jungchen, halt, Jungchen! Was wollen wir denn heute überhaupt essen?«

»Ganz egal«, tönt es zurück.

»Sag doch! Bitte, sag doch! Ich weiß doch nicht ...«

»Ich auch nicht!« Und die Tür unten klappt.

Sie stürzt ans Fenster. Da geht er schon, erst winkt er mit der Hand, dann mit einem Taschentuch, und sie bleibt so lange am Fenster, bis er an der Gaslaterne vorüber ist und verschwunden hinter einer gelblichen Hauswand. Und nun hat Lämmchen, zum ersten Mal in ihrem zweiundzwanzigjährigen Leben, einen Vormittag für sich allein, eine Wohnung für sich allein, einen Küchenzettel zu machen ganz allein. Sie geht ans Werk.

Pinneberg aber trifft an der Ecke der Hauptstraße den Stadtsekretär Kranz und grüßt ihn höflich. Dabei fällt ihm etwas ein. Er hat mit der rechten Hand gegrüßt und an der rechten Hand trägt er ja einen Ring. Hoffentlich hat Kranz den nicht gesehen. Pinneberg nimmt den Ring ab und steckt ihn sorgfältig in das »Geheimfach« seiner Brieftasche. Es widerstrebt ihm, aber was sein muß, muß sein. –

Unterdes ist man auch bei seinem Brotherrn Emil Kleinholz aufgestanden. Das Aufstehen ist dort an keinem Morgen erfreulich, denn direkt aus dem Bett ist man dort stets besonders schlechter Laune und geneigt, einander Wahrheiten zu sagen. Aber der Montag morgen ist meist besonders schlimm, am Sonntag abend neigt der Vater zu Eskapaden und die rächen sich dann beim Erwachen.

Denn Frau Emilie Kleinholz ist nicht sanft; soweit man einen Mann zähmen kann, soweit hat sie ihren Emil gezähmt. Und in der letzten Zeit ist es ein paar Sonntage auch gut gegangen. Emilie hat einfach die Haustür am Sonntag abend abgeschlossen, ihrem Mann zum Abendbrot einen Siphon Bier spendiert und ihm späterhin mit Kognak die nötigen Lichter aufgesetzt. Irgend so etwas wie ein Familienabend ist dann auch wirklich zustande gekommen, der Junge hat in einer Ecke gekauzt und gemauzt (der Junge ist Miesling), die Frauen haben mit Handarbeiten am Tisch gesessen (für Maries Aussteuer) und Vater hat die Zeitung gelesen und ab und an gesagt: »Mutter, laß noch einen sausen.«

Worauf Frau Kleinholz jedes Mal sagte: »Vater, denk an das Kind!«, aber dann doch einen aus der Buddel sausen ließ, oder auch nicht, ganz nach dem Gemütszustand des Gatten.

So war auch dieser letzte Sonntag abend verlaufen und alles war ins Bett gegangen, um zehn herum.

Um elf Uhr wacht Frau Kleinholz auf, es ist dunkel im Zimmer, sie lauscht. Sie hört nebenan die Tochter Marie fiepen, die fiept im Schlaf, der Junge zieht seine Töne am Fußende des väterlichen Bettes, nur Vaters Schnarchen fehlt im Chor.

Frau Kleinholz faßt unter ihr Kopfkissen: der Hausschlüssel ist da. Frau Kleinholz macht Licht: der Mann ist nicht da. Frau Kleinholz steht auf, Frau Kleinholz geht durch die Wohnung, Frau Kleinholz geht in den Keller, Frau Kleinholz geht über den Hof (das Klo steht auf dem Hof): nichts. Schließlich entdeckt sie, daß ein Bürofenster nur angelehnt ist, und sie hat es bestimmt zugemacht. So was weiß sie stets bestimmt.

Frau Kleinholz ist kochende, siedende Wut: eine viertel Flasche Kognak, ein Siphon Bier, umsonst! Sie kleidet sich notdürftig an, sie wirft den lila wattierten Schlafrock um, sie geht, ihren Mann suchen. Sicher ist er an der Ecke im Krug von Bruhn, einen heben.

Es ist ein altes gutes Geschäft, das Getreidegeschäft der Kleinholzens am Marktplatz. Emil ist schon die dritte Generation, die es hat. Es ist reell gewesen, anständig, es ist ein Vertrauensgeschäft gewesen mit dreihundert alten Bauernkunden, Gutsbesitzerskunden. Wenn der Emil Kleinholz gesagt hat: »Franz, das Baumwollsaatmehl ist gut«, dann hat Franz nach keiner Gehaltsanalyse gefragt, er hats gekauft, und siehe, es war gut.

Aber einen Haken hat solch ein Geschäft: es muß begossen werden, es ist von Natur her ein feuchtes Geschäft. Es ist ein Saufgeschäft. Bei jedem Wagen Kartoffeln, bei jedem Frachtbrief, bei jeder Abrechnung: Bier, Korn, Kognak. Das geht, wenn die Frau gut ist, wenn ein Haushalt da ist, ein Zusammenhalt, eine Gemütlichkeit, aber es geht nicht, wenn die Frau ewig schimpft.

Frau Emilie Kleinholz hatte von eh und je geschimpft. Sie wußte, es war falsch, aber Emilie war eifersüchtig, sie hatte einen schönen Mann geheiratet, einen wohlhabenden Mann, sie war ein armes Ding gewesen mit sieben Zwetschgen, sie hatte ihn allen andern entrissen. Nun fletschte sie die Zähne über ihm, nach vierunddreißigjähriger Ehe kämpfte sie noch um ihn wie am ersten Tag.

Sie zottelt auf ihren Hausschuhen, in ihrem Schlafrock bis zur Ecke, zu Bruhn. Ihr Mann ist nicht da. Sie könnte höflich fragen, ob er dagewesen ist, aber das ist ihr nicht gegeben, sie überschüttet den Krüger mit Vorwürfen: Säufern zu saufen geben, solche Lumpen. Anzeigen wird sie ihn, Verführung ist das zum Suff.

Der olle Bruhn mit dem Vollbart bringt sie selber raus, sie tanzt neben dem Hünen einen Wuttriller, aber er hat einen sicheren Griff.

»So, junge Frau«, sagt er.

Da steht sie draußen. Dies ist ein Kleinstadtmarktplatz mit Buckelpflaster, zweistöckige Häuser, mal Giebel, mal Fronten nach dem Platz, alle verhängt, alle dunkel. Nur die Gaslaternen fackeln und wackeln.

Jetzt nach Haus? So siehst du aus! Daß der Emil sie tagelang aufzieht, zum Narren hält, sie ist auf der Suche nach ihm gewesen und hat ihn nicht gefunden. Finden muß sie ihn jetzt, aus dem besten Suff, der versoffensten Gesellschaft herausreißen – aus dem schönsten Vergnügen.

Dem schönsten Vergnügen!

Plötzlich weiß sie es: Im Tivoli ist heute Tanz, da ist Emil.

Da ist er! Da ist er!

Und so wie sie ist, zieht sie durch die halbe Stadt, Hausschuhe, Morgenrock, geht sie ins Tivoli, der Kassierer vom Verein Harmonie will eine Mark Eintritt von ihr, sie fragt nur: »«Willst 'nen Backs?«

Und der Kassierer will nichts mehr von ihr.

So steht sie im Tanzsaal, erst noch halb gehemmt, hinter einer Säule, spähend, aber dann schon ganz Wut. Da tanzt ihr immer noch schöner Emil mit dem blonden Vollbart, und er tanzt mit einem kleinen schwarzen Biest, sie kennt sie nicht mal, wenn man das tanzen nennen kann, dies besoffene Gestolper. Der Tanzordner sagt: »Meine Dame! Ich bitte Sie, meine Dame!«

Und dann begreift er, daß dies ein Naturereignis ist, ein Tornado, ein Vulkanausbruch, daß da Menschen machtlos sind. Und er tritt zurück. Eine Gasse entsteht zwischen den Tanzenden, zwischen zwei Menschenmauern geht sie auf das eine Paar zu, das da ahnungslos holpert und stolpert, das eine ahnungslose Paar.

Sofort kriegt er eine geklebt. »Oh mein Schnucki!« schreit er auf und begreift noch nicht. Und dann begreift er ...

Sie weiß, jetzt heißt es abgehen, mit Würde, mit Haltung. Sie gibt ihm ihren Arm: »Es ist Zeit, Emil. Komm jetzt.«

Und er geht mit. Er zockelt würdelos an ihrem Arm aus dem Saal, würdelos, wie ein großer verprügelter Hund sieht er sich noch einmal nach seiner kleinen netten, sanften Schwarzen um, Arbeiterin der Rahmenfabrik von Stössel, die verdammt auch nicht viel Glück in ihrem Leben gehabt und sich mächtig gefreut hat über den zahlungsfähigen, flotten Kavalier. Er geht ab, sie geht ab. Draußen ist plötzlich ein Auto da, soviel versteht der Vorstand von der Harmonie auch, daß bei solchen Gelegenheiten ein Auto am besten eiligst herantelefoniert wird.

Emil Kleinholz schläft schon auf der Fahrt fest ein, er wacht auch nicht auf, als ihn die Frau mit dem Chauffeur ins Haus bringt, ins Bett bringt, dies verhaßte Ehebett, das er vor netto zwei Stunden so unternehmungslustig verlassen hat. Er schläft. Und die Frau macht das Licht aus und liegt eine Weile im Dunkeln, und dann macht sie das Licht wieder an und betrachtet ihren Mann, ihren schönen, liederlichen, dunkelblonden Mann. Sie sieht unter dem gedunsenen fahlen Gesicht das Antlitz von dunnemals, als er hinter ihr her war, voll von tausend Kniffen und Streichen, immer lustig, immer saufrech, auf einen Griff an die Brüste kam es ihm nie an, freilich kam es ihm auch nie auf die Ohrfeige dafür an.

Und soweit ihr kleines, dummes Hirn denken kann, bedenkt sie den Weg von damals bis hierher, zwei Kinder, eine schieche Tochter, einen nöckrigen häßlichen Sohn. Ein halb vertanes Geschäft, ein verluderter Mann – und sie? Und sie?

Ja – schließlich kann man nur weinen, und das geht im Dunkeln auch, wenigstens das Licht kann man sparen, wo so viel verkommt. Und dann fällt ihr ein, wieviel er wohl heute in den zwei Stunden mal wieder verjuxt hat, und sie macht wieder Licht und sucht in seiner Brieftasche und zählt und rechnet. Und wieder im Dunkeln nimmt sie sich vor, von nun an nett zu ihm zu sein, und sie stöhnt und barmt: »Jetzt hilft es ja nichts mehr. Ich muß ihn noch kürzer halten!«

Und dann weint sie wieder und schließlich schläft sie ein, wie man immer schließlich einschläft, nach Zahnschmerzen und Kindergebären, nach Krach und nach einer seltenen großen Freude.

Dann kommt das erste Erwachen um fünf Uhr, und sie gibt nur schnell dem Futtermeister den Schlüssel zur Haferkiste, und dann das zweite um sechs, wenn das Mädchen klopft und den Schlüssel zur Speisekammer holt. Noch eine Stunde Schlaf! Noch eine Stunde Ruhe! Und dann das dritte endgültige Erwachen um dreiviertel sieben, der Junge muß zur Schule und der Mann schläft immer noch. Als sie um viertel acht wieder ins Schlafzimmer schaut, ist er wach, ist ihm übel.

»Ist dir ganz recht, was säufst du immer«, sagt sie und geht wieder.

Dann kommt er an den Kaffeetisch, schwarz, wortlos, verwüstet, »'nen Hering, Marie«, ist alles, was er sagt.

»Kannst dich auch was schämen, Vater, so rumzuludern«, sagt die Marie spitz, ehe sie den Hering holt.

»Gottverdammich!« brüllt er. »Die kommt mir jetzt aber sofort aus dem Haus!« brüllt er.

»Hast recht, Vater«, besänftigt die Frau. »Wozu fütterst du die drei Hungerleider?«

»Der Pinneberg ist der beste. Der Pinneberg muß ran!« sagt der Mann.

»Natürlich. Zieh ihm nur die Schrauben an.«

»Das will ich wohl besorgen«, sagt der Mann.

Und dann geht er rüber ins Büro, der Brotherr von Johannes Pinneberg, Herr über das Auskommen vom Jungen, dem Lämmchen und dem noch ungeborenen Murkel.


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