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Wohnung wie noch nie. Herr Puttbreese zieht und Herr Jachmann hilft

Als Pinneberg an diesem Abend nach Haus kommt, wird er plötzlich von einer elektrischen Taschenlampe angeleuchtet und eine Stimme ruft: »Halt! Hände hoch!«

»Was ist denn los?« fragt er mürrisch, denn er ist in diesen Tagen nicht sehr guter Stimmung. »Woher hast du denn die Taschenlampe?«

»Die brauchen wir«, ruft Lämmchen vergnügt. »In unserem neuen Palast funktioniert die Treppenbeleuchtung nicht.«

»Wir haben 'ne Wohnung?« fragt er atemlos. »O Lämmchen, haben wir wirklich 'ne Wohnung?«

»Wir haben eine«, jauchzt Lämmchen. »Wir haben 'ne richtige Wohnung!« Sie macht eine Pause: »Wenn du willst, heißt das, fest gemietet habe ich noch nicht.«

»O Gott«, sagt er bestürzt. »Und wenn sie nun unterdes anders vermietet wird?«

»Wird nicht«, sagt sie beruhigend. »Ich habe sie für heute fest an Hand. Wir gehen gleich nachher hin. Iß nur schnell.«

Während des Essens fragt er immerzu, aber sie erzählt nichts Rechtes: »Nein. Mußt du selbst sehen. O Gott, Junge, wenn du nur einverstanden bist ...«

»Also gehen wir«, sagt er und erhebt sich kauend.

Sie gehen die Spenerstraße hinauf, fest ineinander eingehängt, dann nach Alt-Moabit hinein.

»'ne Wohnung«, murmelt er, »'ne richtiggehende Wohnung für uns ganz allein.«

»'ne ganz richtige Wohnung ist es ja nicht«, sagt Lämmchen bittend. »Krieg bloß keinen Schreck.«

»Du kannst einen aber auch foltern!«

Also da liegt ein Kino und neben dem Kino gehen sie durch einen Torgang und kommen auf einen Hof. Es gibt zwei Arten von Höfen, dies ist die andere, mehr ein Fabrik- und Lagerhof. Eine runzlige Gaslaterne brennt und beleuchtet ein großes Tor, zweiflügelig, wie zu einer Garage. »Möbellager von Karl Puttbreese« steht daran.

Lämmchen deutet irgendwohin in den dunklen Hof. »Da ist unser Klo«, sagt sie.

»Wo?« fragt er. »Wo?«

»Da«, sagt sie und zeigt wieder. »Die kleine Tür dahinten.«

»Ich glaube immer, du verklappst mich.«

»Und hier ist unser Aufgang«, sagt Lämmchen und schließt die Garagentür mit dem Namen Puttbreese auf.

»Ach nee«, sagt Pinneberg.

Es ist ein großer Lagerschuppen, in den sie eintreten, vollgepfropft mit alten Möbeln. Das kümmerliche Licht der kleinen Taschenlampe verliert sich nach oben in einem grauen Sparrengewirr mit Spinnweben.

»Ich hoffe«, sagt Pinneberg atemholend, »dies ist nicht unser Wohnzimmer.«

»Dies ist Herrn Puttbreeses Lager. Herr Puttbreese ist Tischler und handelt nebenbei mit alten Möbeln«, erklärt Lämmchen. »Paß auf, ich zeige dir alles. Siehst du, da hinten, die schwarze Wand, sie reicht nicht bis zur Decke, da müssen wir oben rauf.«

»So«, sagt er.

»Das ist nämlich das Kino, da hast doch das Kino gesehen?«

»Habe ich«, sagt er, ganz Reserve.

»O Jungchen, zieh nicht so'n Gesicht. Du wirst schon sehen – Also das ist das Kino, und nun steigen wir dem Kino auf das Dach.«

Sie gehen näher, die Taschenlampe beleuchtet eine schmale Holztreppe, steil wie eine Leiter, die auf die Wand hinauf führt. Nein, es ist wohl wirklich eher eine Leiter als eine Treppe.

»Da rauf?« sagt Pinneberg zweifelnd »Du, in deinem Zustand?«

»Das will ich dir zeigen«, sagt sie. Und klettert schon. Man muß sich wirklich stramm festhalten. »So, nun sind wir gleich da.«

Die Decke ist ganz dicht über ihnen. Sie gehen in einer Art Tunnelwölbung, irgendwo unten im Dämmern zur linken Hand stehen Puttbreeses Möbel.

»Geh nur grade hinter mir, sonst fällst du womöglich noch runter.«

Und nun macht Lämmchen eine Tür auf, eine richtige Tür hier oben, und dann macht sie Licht an, richtiges, elektrisches Licht, und dann sagt sie: »Hier sind wir.«

»Ja, hier sind wir«, sagt Pinneberg und sieht sich um. Und dann sagt er: »Ach so, dann freilich!«

»Siehst du«, sagt Lämmchen.

Es sind zwei Zimmer, oder eigentlich eines, denn die Tür zwischen beiden ist herausgenommen. Sehr niedrig sind sie. Mit dicken Balken an der geweißten Decke. Da, wo sie stehen, ist das Schlafzimmer, zwei Betten, ein Schrank, ein Stuhl und ein Waschtisch. Alle. Kein Fenster.

Aber drüben, da steht ein schöner runder Tisch und ein riesengroßes schwarzes Wachstuchsofa mit weißen Knöpfen und ein Sekretär und ein Nähtisch. Alles alte Mahagonimöbel, und ein Teppich liegt auch da. Es sieht herrlich gemütlich aus. Denn es hängen hübsche weiße Gardinen an den Fenstern, es sind drei Fenster, alle drei ganz klein, mit viergeteilten Scheiben.

»Und wo ist die Küche?« fragt er.

»Da«, sagt sie und schlägt auf den Eisenofen, der zwei Kochlöcher hat.

»Und die Wasserleitung?«

»Alles da, mein Junge.« Und es erweist sich, daß ein Hahn und ein Ausguß zwischen Sekretär und Ofen sind.

»Und was kostet das?« fragt er immer noch zweifelnd.

»Vierzig Mark«, sagt sie. »Das heißt eigentlich nichts.«

»Wieso eigentlich nichts?«

»Nun paß mal auf«, sagt sie. »Hast du das kapiert mit der Leiter hier rauf, und daß die Zimmer hier oben so verrückt sitzen?«

»Ne«, sagt er. »Keine Ahnung. Der Baumeister ist wahrscheinlich meschugge gewesen. Solche soll's viele geben.«

»Gar nicht meschugge«, sagt sie eifrig, »das hier ist mal eine richtige Wohnung gewesen mit Küche und Klo und Vorplatz und allem. Und hier herauf ist eine richtige Treppe gegangen.«

»Und wieso ist das alles weg?«

»Weil sie das Kino eingebaut haben. Bis zur Tür von unserem Schlafzimmer geht der Saal vom Kino. Alles andere ist weg für den Kinosaal. Diese zwei Zimmer sind übriggeblieben und kein Mensch hat gewußt, was damit anfangen. Richtig vergessen sind sie worden, bis sie Puttbreese wieder entdeckt hat. Und er hat die Leiter raufgemacht von seinem Lager her, und weil er Geld braucht, will er nun vermieten.«

»Und warum kostet die Wohnung eigentlich gar nichts und dann doch vierzig Mark?«

»Weil er natürlich nicht vermieten darf, weil das die Baupolizei gar nicht erlauben würde, wegen Feuersgefahr und Hals- und Beinbruch.«

»Na ja, wie du hier in ein paar Monaten raufkommen willst ...«

»Das laß man meine Sorge sein. Hauptsache, daß du die Wohnung willst ...«

»Ach, die Wohnung ist ja soweit ganz gut ...«

»O du Affe! Du Affe! Du Affe! Ganz gut ... Allein sind wir hier. Kein Mensch sieht uns mehr in unseren Kram. Herrlich ist es.«

»Also, Mädchen«, sagt er. »Dann mieten wir. Du hast die Arbeit und den Umstand, ich bin froh, wenn du willst.«

»Ich bin auch froh«, sagt sie. »Komm.«

»Junger Mann«, sagt Meister Puttbreese und sieht Pinneberg zwinkernd mit seinen geröteten kleinen Augen an. »Junger Mann. Geld nehme ich natürlich nicht für die Baracke. Sie wissen Bescheid.«

»Ja«, sagt Pinneberg.

»Sie wissen Bescheid!« sagt Meister Puttbreese mit erhobener Stimme.

»Ja?« fragt Pinneberg ermunternd.

»Gott«, sagt Lämmchen. »Leg da mal zwanzig Mark auf den Tisch.«

»Richtig«, sagt der Meister anerkennend. »Die junge Frau, die hat's. Halber November, schön. Und da lassen Sie sich man keine grauen Haare drüber wachsen, junge Frau, mit dem Bauch. Wenn der zu dick wird und es will nicht mehr mit der Hühnerleiter, dann machen wir einen Flaschenzug an und hängen einen Stuhl darunter, und dann ziehen wir Sie langsam hoch, das soll ein Genuß für mich sein.«

»Na, also«, lacht Lämmchen, »die Sorge auch los.«

»Und wann ziehen wir ein?« fragt der Meister.

Das Ehepaar sieht sich an.

»Heute«, sagt Pinneberg.

»Heute«, sagt Lämmchen.

»Aber wie?«

»Sagen Sie«, wendet sich Lämmchen an den Meister. »Können Sie uns wohl einen Handwagen pumpen? Und würden Sie vielleicht auch ein bißchen mit anfassen? Es sind nur zwei Koffer, und dann haben wir noch eine Frisiertoilette.«

»Frisiertoilette ist gut«, sagt der Meister. »Ich hätte auf Kinderwagen getippt. Na, man weiß nicht, wie man manchmal zu was kommt. Stimmt?«

»Stimmt wirklich«, sagt Lämmchen.

»Na also, mach' ich, tu ich«, sagt der Meister. »Kost 'ne Molle und einen Korn. Woll'n wir man abtrümmern.«

Sie trümmern ab, mit einem Handwagen.

Nachher, in der Destille, ist es gar nicht so einfach, dem Meister Puttbreese begreiflich zu machen, daß der Umzug in größter Stille vor sich zu gehen hat.

»Ach so«, sagt der Meister schließlich, »sie wollen Viole schieben? Sie wollen zappenduster machen? Von mir aus. Aber das sage ich Ihnen, bei mir wird Marie vorneweg abgelegt, jeden Ersten wird angetanzt, junger Mann. Und kommen Sie nicht, schadet's auch nicht, ich mach Ihnen dann selber den Umzug, ganz gratis, bis auf die Straße raus.«

Und Meister Puttbreese funkelt mit seinen kleinen roten Augen und lacht dröhnend.

Aber dann geht alles glänzend. Lämmchen packt mit einer geradezu gnomenhaften Fixigkeit, Pinneberg steht an der Tür und hält sicherheitshalber die Klinke fest, denn im Eßzimmer ist mal wieder eine Festivität im Gange, und Meister Puttbreese sitzt auf dem Fürstenbett und sagt immer wieder bewundernd: »Goldenes Bette, das muß ich meiner Ollen erzählen, das muß ja geradezu wie Jungfernschaft anregen, da drinnen ...«

Und dann fassen die Männer schon die Frisiertoilette an, Puttbreese nur mit einer Hand, in der anderen hat er den Spiegel, und wie sie wieder oben sind, sind die Koffer schon geschlossen, der Schrank gähnt leer, die Schiebladen stehen offen.

»Also los«, sagt Pinneberg.

Puttbreese faßt jeden der beiden Koffer an einem Ende an, Lämmchen und der Junge je einen am anderen. Oben auf den Körben liegt ein Handkoffer, Lämmchens Stadtkoffer, und die Eierkiste mit dem Porzellan. –

»Abmarsch!« sagt Puttbreese.

Lämmchen sieht noch einmal zurück, das ist das Zimmer, ihr erstes Berliner Zimmer, es ist doch schwer, fortzugehen. O Gott, sie muß noch das Licht ausmachen.

»Einen Augenblick!« ruft Lämmchen. »Das Licht!« Und sie läßt ihren Kofferhenkel los.

Zuerst kommt der Stadtkoffer ins Rutschen, er schlägt mit einem leichten kurzen Knall auf den Boden. Der Handkoffer macht schon mehr Getöse, die Eierkiste aber ...

»Junge Frau«, sagt Puttbreese mit seinem tiefen Baß, »wenn die das nicht gehört haben, dann verdienen sie es, daß sie ihr Geld los sind ...«

Die beiden Pinnebergs stehen wie die ertappten Sünder, die Augen starr auf die Tür vom Berliner Zimmer gerichtet. Und es ist richtig –: die Tür öffnet sich, in ihr steht mit gerötetem, lachendem Gesicht Holger Jachmann. Pinnebergs starren ihn an. Jachmanns Gesicht verändert sich, er zieht die Tür hinter sich heran und macht einen Schritt auf die Gruppe zu ... »Nanu«, sagt er.

»Herr Jachmann«, sagt Lämmchen leise und flehend. »Herr Jachmann, wir ziehen! Ich bitte Sie ... Sie wissen doch!«

Auch Jachmanns Gesicht hat sich verändert, er sieht die junge Frau nachdenklich an, auf seiner Stirn steht eine senkrechte Falte, sein Mund ist halb offen.

Jachmann macht noch einen Schritt. Er sagt, und er spricht ganz leise: »Das ist nichts für Sie, daß Sie in Ihrem Zustand Koffer tragen.«

Er faßt mit der einen Hand den Korb, mit der anderen Hand den Handkoffer.

»Ab dafür.«

»Herr Jachmann«, sagt Lämmchen noch einmal.

Aber Jachmann spricht kein Wort mehr, er trägt die Koffer schweigend die Treppe hinunter, er legt sie schweigend auf die Karre, schweigend läßt er sich von Pinnebergs die Hand drücken. Dann sieht er ihnen nach, wie sie in der grauen, nebligen Straße verschwinden: eine Karre mit ein bißchen Krams, eine etwas schäbig gekleidete schwangere Frau, ein talmieleganter Garnichts und ein versoffenes dickes Tier in blauer Bluse ...

Herr Jachmann schiebt die Unterlippe vor und denkt angestrengt nach. Da steht er, im Smoking, sehr elegant, sehr gepflegt, sicher hat er heute nachmittag ausgiebig gebadet. Er seufzt schwer und steigt dann langsam, Stufe für Stufe, die Treppe empor. Er schließt die Etagentür, die noch immer offen steht, sieht kurz in das wüste Zimmer, nickt, knipst das Licht aus und geht in das Berliner Zimmer.

»Wo warst du denn wieder?« empfängt ihn Frau Pinneberg im Kranz ihrer Gäste. »Wieder bei den jungen Leuten? Wenn ich Talent dazu hätte, würde ich noch eifersüchtig werden.«

»Gib mir einen Kognak«, sagt Jachmann. Er trinkt ihn aus.

»Übrigens lassen dich die jungen Leute grüßen. Sie sind eben ausgezogen.«

»Ausgezogen –?« fragt Frau Pinneberg.

Und dann sagt sie schnell und empört sehr viele Dinge.


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